MLLOS
ZEITSCHRIFT FDR MUSIK
VII. JAHR
1 • 9 • 2 • 8
*%
DER MELOSVERLAG/ MAINZ
Inhaltsverzeichnis zum 7. Jahrgang (1928
(nach Autoren geordnet)
Ainar, Licco
/ Gedanken iiber Erziehung zur Musik
Appel, Paul
Rudi Stephnn's Bild
Bagier, Guido
Der akustische Film
Balthasar, Fritz
„Musikstadt" Leipzig
Baresel, Alfred
Kunst-Jazz
274
125
163
615.
354
Becce, Giuseppe
Der Film vind die Musik
Bcngtson, Jorgen
Nielsen's „Saul" in Goteborg
Beninger, Eduard
Pianistische Probleme, im Anschluft an die
Klavier sverke von Ernst Toch ,
Braudo, Eugen
Leo Tolstoi und die Musik
de Campagnolle, Roger
Der gekiirzte Wagner
Coeuroy, Andre
Entwicklung der neueren franziisischen Schule
Curjel, Hans
Zur Renaissance der Handel-Oper
David, Hans Th.
Krise unserer Tasteninstrumente ...
Spiel auf mehreren Klavieren
Generation und Vergangenheit
Deutsch, Leonhard
Kunst der Fingerfertigkeit oder Lesetechnik
Die Moor'sche Doppelklaviatur
/Doflein, Erich
Organische und mechanische Musik .
Ende oder Umformung der Kritik ? . .
- Ueber Grundlagen der Beurteilung gegen
wfirtiger Musik
Kammeroper
Engel, Robert
Die neue Tschaikowskij-Biographie .
Neue russische Musikliteratur
170
619
63
487
469
594
462
Seite
Engelhardt, Wolfgang '
Zum Beetbovenbild der Gegenwart . . . 405
/Epstein, Peter
Arnold Schonberg : Die gliickliche Hand . 197
Gatti, Guido M.
( Drei neue italienisclie Opern ..... 534
Gerigk, Herbert
Neuer Geist in Konigsberg 499
GJjeboff, Igor
/ Die junge Komponistengeneration in Lenin-
grad 131, 186
/Gombosi, Otto
Bela Bartok's neueste Werke
21
Gfeiser, Wolfgang
/ Betrachtungen zur Frage der Entstehung der
russisch-kunstlerischen Musik 222
/Gruber, Roman
/Boris Godunow in der Autorfassung . . 189
/-Die Musikkritik in RuRland 233
/TJas Musikleben in Leningrad .... 350
„Gutnian, Hanns
- Der tonende Film 6
/Wege zur Spiel technik 138
<T
Die Rolle der Musik im Rundfunk
Musikalische Notizen aus Paris
295
367
54
85
417
68
90
116
172''
287
335
36
256
/Guttniann, Alfred
1st eine Vierteltonmusik moglich ? . . . 530
'Guttmaiin, Oskar
Fritz Cortolezis : Der verlorene Gulden . 202
r/
/Was heifit und zu welcbem Ende veranstaltet
' man ein Musikfest ? 362
^-Uber die Kultmusik in Deutscbland . . 489
^Die Tagung des RDTM in Darmstadt . . 554
Hamel, Fred
Wien im Festfieber 619
/Holl, Karl
/Jazz im Konservatorium ...... 30
/Rudi Stephan 121
/Holle, Hugo
Uber die Kammerkantate ...... 339
INHA.LTSVERZEICHNIS
III
^ Hutter, J.
Stilprinzipien der modernen tschechisclien
/< Musik . . • • • • • • • -133
I^yanow-Boretzky, M.
Ein Moskauer Skizzenbuch von Beethoven . 407
/Jfapob-Loewenson, Alice
^/Busoiii: Die sonatina seconda . . . .194
X-- ]yi U sik J) e i Granowsky 365
Jhering, Herbert
Zeittheater . . 522
,Katz, Erich
/ " Orgelmusik der Gegenwart 341
Knauer, Werner
/ Gesangverein oder Singgemeinde? . , . 306
..-•-" Kositzki, Philipp
Musik in der Sowjet-Ukraine .... 224
, Krasnopolski, Paul
KlSnge von Gestern ....... 10
-KUznizky, Hans
--''Die neuzeitliche deutsche Volksschule . 257/
,-' ■ Der zweite Tanzerkongreft in Essen . . 439
-- Latzko, Ernst
. i/TJie Lage der Provinzoper 113
/ Rundfunk und Neue Musik 191
./Arthur Honegger : Judith 201
., Rundhmk-Umschau . 246, 299, 484, 545, 602
Max Ettinger : Fri'ihlingsefwachen . . . 259
Sinfoniekonzert ohne Dirigenten . . . 357
/Handel Renaissance und Opernregie . . . 436^
■ Joh. Seb. Bach's Musikalisches Opfer . . 445
Janacek im Leipziger Gewandhaus . . . 560
^Laux, Karl
/ Wellesz in Mannheim . 500
Toch und Verdi am Mannheimer National-
theater 558
Leichtentritt, Hugo
/ Dr. Kurt Johnen : Neue Wege zur Energetik
des Klavierspiels 373
/Luedtke, Hans
Filmmusik und Kunst 167
Meissinger, Karl August
Beethoven und der Genialismus .... 390
xMelichar, Alois
/ Das kirgisische Lied 228
i Meloskritik
/ Werkbesprechung :
/ Mersmann, Schultze-Ritter, Strobel, Windsperger
/ Auffiihrungsbesprecllung :
/Springer, Strobel, IVolffheim
Ernst Krenek : „Jonny spielt auf" ... 24
Instrumentalkonzerte 25
26, 80, 129,
Meloskritik (Fortsetzung)
J Auffuhrungsbespreehung
/Hanns Eisler
/Kurt Thomas
r'otrawinsky : „Oedipus Rex"
/Neue Werke von Arthur Honegger ,
/ Paul Hindemith : Cardillac .....
Kurzopern ... . . ...
^/Neue Sonaten von Alexander Jemnitz
/^Deutsche Kammermusik Baden Baden 1928
//Neue Musik aus dem Schonberg-Kreise .
/Westphal: Die moderne Musik . . ".
7 Abwehr ...
/ Hermann Reutter
/ Michael Praetorius : Gesamtausgabe .
/ Schubertliteratur . . ....
/ Neuausgaben alter Musik (Mersmann) .
/ Soziologie . . .
/ Coeuroy: Panorama de la musique contem-
poraine (Schultze-Ritter)
-j Mersmann, Hans ( s . a . Meloskritik)
,/' Chaos und Gestalt
/ Zeitschriftenschau 142,
/ Zur Erkenntnis der Musik
/Musikwissenschaitliche Literatur ....
!/' Kunstpolitik .
/ Musiklehre
/Der Tempel der Symphonie
^ Schubert ...
Muche, Georg
Malerei
\ Nachricliteh
>4f95, 146, 205, 262, 315, 375,
^562, 620
452,
Seite
245
76
126
180
242
292
347
422
423
479
481
482
539
541
542
543
598
600
33
. 448
176
196
252
279
363
551
524
503,
^Oppenheiin, Hans
Die Oper und das Operntheater von Morgen 588
/Osborn, Franz
Die stilistischen Probleme der modernen
Klaviermusik . 59
Pijper, Willem (und Sanders)
Hollandische Musik von 1900-1925 . . 430
Reger, Erik
Die musikalische Situation im Ruhrrevier . 501
y Szymanowski's „K6nig Roger" in Duisburg 559
Rimsky-Korssakoff, Georg
Theorie und Praxis der Reintonsysteme im
Sowjet-Rufiland 15
Rohlfing, A.
Arthur Honegger : Antigone 81
414
<?
r
Rosenzweig, Alfred
Ein unbekanntes Skizzenblatt Beethovens
IV
INHALTSVEHZEICHNIS
Seite
Russolo, Luigi
/ Die Kunst der Gerausche als For tent wicklung
des modernen Orchesters 12
Sanders, Paul F.-(und Pijper)-
Hollandische Musik von 1900-1925 . . 430
Scharoun, Hans
Bauen 527
Scherchen, Hermann
Das Musikprogramm der ORAG im Winter
1928-29 605
Schmid, Willi
Zur Interpretation von Beethovens Streich-
quartetten 396
Musik und Schule 608
Schoen, Ernst
Zur Soziologie der Oper 108
Die Musik im Rundfunk ...... 426
Honeggers „Judith" in Darmstadt . . . 498
Kartell oder Sozialisierung 583
Schultze-Ritter, Hans (t. a. Meloskritik)
Verdi-Renaissance 466
Seiber, Matyas
Jazz als Erziehungsmittel 281
Springer, Hermann (s. Meloskritik)
Strobel, Heinrich (t. a. Meloskritik)
Neue Aufgaben der Kritik 18
Zeksenau 42, 92, 144, 203, 260, 313, 373, 450,
^92, 555, 613
Opernpublikum . . . . . ... . .111
Seite
Strobel, Heinrich (Fortsetzung)
/ ' /Kurt Weill: Der Zar lafit sich photo-
7 graphieren 137
/Das Tonkiinstlerfest in Schwerin . . . 302
/ iJrauffuhrungen in Dresden 309
Film und Musik 343
/Die Internationale in Siena 494
/ „Agyptische Helena" und „Dreigroschenoper"
/ in Berlin 497
Weill und Strawinsky in Berlin .... 557
/ Berliner Musik: Bittner-Krenek-Schonberg . 617
Stuckenschmidt, H. H.
Briider Karamasow als Oper 561
Therstappen, Hans J.
David's Einrichtung der Kunst der Fuge
in Kiel 560
Warschauer, Frank
/ Organisationsfragen des Musikwesens im
' Rundfunk 549
Weill, Kurt
■ Zeitoper 106
Wellesz, E.
Der Musiker und diese Zeit . . . . . 579
Westphal, Kurt
Das Musikschrifttum in der Gegenwart . . 72
Das neue Horen 352
Windsperger, Lothar (s. Meloskritik)
Wohlfahrt, Siegfried
Zur Meloskritik 183
' Wtffffheim, Werner (i. Meloskritik)
Drei Ankundigungen
fur das Jahr 1928
1 . MELOSKRITIK (Werkbesprechung)
Mit diesem Heft wird in unserer Zeitschritt eine Werkbesprechung eingerichtet und
hierfur ein ganz neuer Weg beschritten :
Die Besprechung wird dauernd von einer Kommission ausgeiibt und auf dasjenige
Material beschrankt, welches eine Diskussion verdient. Schriftleitung und Verlag liefien
sich hierbei von der Uberzeugung leiten, dafi die dauernde lebendige Stellungnahme
zum Schaffen unserer Zeit zu den vornehmsten Aufgaben des MELOS gehort, dafi sich
aber eine solche produktive Kritik wesentlich von den iiblichen Zeitschrii'tbesprech-
iingen uiiterscheiden nriisse.
Die neue Form der Besprechung erstreckt sicli auf das gesamte verofTentlichte
Material an Tonwerken, aber auch auf ungedruckte Werke lebender ■Komponisten, soweit
es sich um Schopfungen handelt, die eine solche Wiirdigung verdienen oder grundsatzlich
zu bekampfen sind. Sie wird also von allem zufallig Eingereichten unabhangig sein und
schon durch die Wahl des Stoff'es ein Urted bedeuten.
Die Kritik selbst wird den Geist, aus dem ein Werk geschaffen wurde, und die
schopferische Potenz mehr beachten, als die unter Umstanden offenbaren Schwachen
einer noch ungeiibten Feder und damit die haufigen Fehlerquellen iiblicher Beurteilung
zu vermeiden suchen. Sie wird bestrebt sein, das einzelne Werk als Teil eines Gesamt-
schaffens zu werten. Dem Urheber, nicht der einzelnen Xufierung gilt ihr Eintreten.
Das Ergebnis solcher Untersuchungen soil die Verbindung zum Zeitschafl'en mit
dem Musikleben beiestigen und zugleich ein Batgeber sein fur alle, die sich praktisch
oder theoretisch um das Zeitschafl'en bemiihen.
Da die Bedeutung einer solchen Aufgabe die Kraft und Verantwortung eines Ein-
zelnen iibersclireitet, wurde, analog der fur die Musikfeste eingeburgerten und bewiihrten
Jury, eine Kommission gewahlt, die im gegenseitigen Gedankenaustausch das Urteil bildet,
das, zwar auch nur Menschenwerk, imnierhin auf einer lireiteren Basis steht. als die
von so manchen Zufalligkeiten abhangige Aufierung eines Einzelnen.
Der Kommission fur Werkbesprechung gehoren an : Hans Mersmann, Hans Schultze-
Bitter, Heinrich Strobel und Lothar Windsperger.
2. M E L O S K B. I T 1 K (AufRilimngsbespechung)
Von gleichen Gesichtspunkten aus ist die Besprechung der Auifuhruiigeii eingerichtet.
MalJstab ist hierbei das Musikleben Berlins, in welchem sich alle wesentlichen Ereignisse
des dentscben Konzertlebens spiegeln. Wichtige Ur- und ErstaufFuhrungen im Beiche.
werden natiirlich nach wie vor selbstandig behandelt. |
Die Auffuhrungsbesprechung wird von drei Personlichkeiten ausgeiibt, welche der
Tageskritik angehoren oder ihr nahestehen. Ihr Ziel ist nicht Chronik oder Musikbericht,
sondern Herauslosung weniger wesentlicher Ereignisse. Auffiihruiigen von mittlerem
Niveau fallen nicht in den Rahmen der Besprechung. Dagegen soil es ein Ziel dieser
Form der Kritik sein, auch jungen, noch nicht anerkannten Kiinstlern wirksam zu helfen.
Sie bemiiht sich, erstarrte Werturteile nachzuprtifen, Schaden aufzudecken und zu einer
unabhangigen, reinen und fortschrittlichen Wertung zu gelangen.
Der Kommission fur Auffuhrungsbesprechung gehoren an: Hermann Springer,
Heinrich Strobel. Werner Wolffheim.
3. MELOSBUCHEBEI
Das neue Unternehmen stellt den Anfang einer in Kiirze erscheinenden, fort-
laufenden Schriftenreihe dar, deren Inhalte sich zunachst auf Fragen der gegenwartigen
Musik bezieht. Die in der Zeitschrift behandelten Probleme drangen immer wieder
iiber den Rahmen eines einzelnen Aufsatzes hinaus. So soil aus dem Grundgedanken
des MELOS heraus mid im engen Zusammenhang rait der Zeitschrift eine neue, breite
Basis geschaffen werden.
Die Ziele der MELOSBUCHEREI sind in erster Linie praktischer Art. Brennende
Zeitprohleme werden in knappem Raume zusammengefaiSt; aUes weitschweifige Theore-
tisieren, alle blofie Materialanhaufung wird vermieden. Die Biicherei soil vor ahem
dem immer grofier werdenden Kreis der Nichtmusiker, welcher Fiihlung mit der jungen
Musik und Anschlufi an den Pulsschlag der Zeit suchen, zum notvvendigen Fuhrer werden.
Die einzelnen Veroffentlichungen halten sich im Umfang von etwa 80 Druckseiten
und haben z. T. Notenbeispiele und Bildbeilagen. Der Preis betragt ca. 2.50 M. ITeraus-
geber der Sammlung ist der Schriftleiter der Zeitschrift MELOS.
Im Januar erscheinen folgende Bandchen (Bestellkarte liegt bei) :
1. Hans Mersmann: Die Tonsprache der neuen Musik
Von der Erfahrung ausgehend, dafi es viele Menschen gibt, welche den Vi eg zur jungen Musik
mit ehrlichem Willen suchen, aber einfach an den Schwierigkeiten der Spraclie scheitern, versucht
der Verfasser, eine Grammatik der neuen Musik zu schreiben. Immer vom lebendigen Beispiel
ausgehend, wird die veranderle Lage der Melodik, Harmonik und Rhytlimik, die neuen Beziehungen
zwisclien den Elementen, ihre Auswiikungen im Dynamischen und im Kolorit, untersucht. Ein
zweiter Teil umreifit die Grundfragen der Form, der neuen Bezichung zwischen ^\ 7 ort und Ton,
des Archaismus und der Volksmusik und stellt die junge Musik geschichtlirh und soziologisch in
die Entwicklung ein.
2. Heinz Tiessen: Zur Geschichte der jixngsten Musik (1913-1928)
Nach der Entwicklung der lelzten Vergangenheit zwingt sich alien aufierlich und innerlich Be-
teiligten die Frage auf, wie sich die verwirrende Fulle der Erscheinungen in die Zeit bindet.
Aus den ersten Zeiten des Experimentierens hat die junge Musik fiber die Briicke der Musikfeste
immer mehr Eingang in unser Konzertleben gefunden und steht jetzt fest und unverdrangbar in
ihm. Damit schliefit sich der Kreis um ein Jahrzehnt schon zu einem Stiick Geschichte. Von
dieser Lage geht der Verfasser aus. Er zeichnet den Weg von innen nach aufien. Er gelangt
von den inneren Crundlagen der gegenvartigen Musik aus zu ihren aufieren Grenzen und lafit
die Arbeit der neuen und der bestehenden Vereinigungen und Musikgesellschaften noch einmal
an uns vorbeigehen. Audi etliche Zeitdokumente, welche, vor kurzem noch Fahnen und Pro-
gramme, jetzt bereits ein Stiick Geschichte geworden sind und einen ganz neuen Sinn offenbaren,
werden vollstandig oder in Auszugen mitgeteilt.
3. Heinrich Strobel: Paul Hindemith
Zum ersten Mai wird eine monographische Zusammenfassung des Gesamtwerks von Hindemith
unternommen. Der personliche Entwicklungsweg dieses jungen Fuhrenden ist symbolisch fur die
Entwicklung der deutschen Musik iiberhaupt. Der allmahliche Ablosungsprozefi von Spatromantik
und Impressionismus, das leidenschaftliche ungestume Erlebenis chaotischer Urkrafte und ihre
Bandigung zur Form und zur Gestalt ist nicht nur das Schicksal des Einzelnen, sondern der Weg
unserer Zeit. Dieser Weg wird an Hindemith gezeigt und durch zahlreiche Notenbelege lebendig
gemacht. Dabei wurden auch ungedruckte und bisher unzugangliche Verke des Komponisten
herangezogen.
SCHRIFTLEITUNG UND VERLAG
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in 6er
3e0e ftr. 40 Pfennig
Srofc be$ biffigen preife$ 3(u$gaben/ bic ben
feuerffen in nid)fg nacbftefyen
3nfofge einer ifkreinfunff mif ben Dviginafoerlegern
tDurben bic bcruf)mfcn [RetJiftontfausgaben unb Sc«
arbeifungen Don 3Jiat)er^a^r, ©dynabet^tcfd?, 6d)nirtin,
Ifteger, 300^101, laurifc&futf, 6d)u<f uftD. tikrnommen
33er(angen 6ie foffcnTod ben ©onberprofpeft Sraljme 1 3tr. 101
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35. 6*otf'$ 6ot?nc / attains unb leipsig
MELOS
ZEITSCHRIFT FUR MUSIK
SCHRIFTLEITUNG: PROF. DR. HANS MERSMANN
Alle Sendungen fiir die Scliriftleitung und Besprediungsstucke nach Berlin-Grunewald, Neufertallee 5 (Fernspr. Uhland 3705) erbetcn.
Die Scliriftleitung bittet vor Zusendung von Manuskripten urn Anfrage mitHiickporto. Alle Reclite fiir samtliche Beilrage vorbehalten.
Fiir Anzeigen und Verlogsmitteilungen verantwortl. : Dr. Johannes Pctschull, Mainz / Verlag: MELOSVERLAG (B. SCHOTT'S SOHNE}
MAINZ, Weihergarten 5; Fernspreclier 529, 530; Telegr. : Scotaon; Postscheck nur Berlin 19425 • Auslieferuug in Leipzig: Linden-
strafie 16/18 (B. Sdiott's Sohne) / Druck: B. Scliott's Sohne, Mainz
Die Zcitschrift erscheint am 15. jeden Monats. - Zu beziehen durdi alle Bud]- und Musikalienhandlungen oder direkt vom Verlug.
Das Einzelheft kostet 1.- Mk., ' """' "' " "" " '""*' "
Anzeigenpreiae : '/j Seile ICC. ■
Das Einzelheft kostet 1. - Mk., da's Abonnement jfihrl. (12 H.) 8. - Mk., viertelj. (3 H.) 2.50 Mk. (zuziigl. 15 Pf. Porto p.H., Ausland 20 Pf. p. H.j
- Mk. '/e Seite 60.— Mk. i j t Seite 35.— Mk. Bei Wiederholungen Rabatte. Auftrage an den Verlag
ZUM INHALT
Die Ankundigungen des Dezemberhefts haben bereits von wesentlichen Umgestaltungen dieses Jahr-
gangs berichtet. Alle neuen Dispositionen baben den gleichen Sinn : bei volliger Wahrung des in der
Zeitschrift stets eingehaltenen Niveaus die Farbigkeit, Vielfaltigkeit und Aktualitat des Einzelhefts zu steigern.
Die kommenden Hefte werden in reicherer und vielseirigerer Gliederung, meist audi in grofierem
Umfang als bisher erscheinen. Der wie immer stofflich einheitliche Hauptteil soil ausschliefilicher noch als
frflher der MUSIK selbst gewidmet sein. Wissenschaftliche und theorerische Inhalte werden fiir ganze Hefte
kiinftig vermieden und sollen unter eigener Rubrik WISSENSCHAFT laufend vertreten sein. DIE LEBENDEN
werden sich wie fridier mit alien markanten Erscheinungen gegenwarrig Schaffender beschaftigen und werden
jetzt unter neuem Gesichtspunkt als verbreiterte Basis fiir die Werkbesprechung der MELOSKRITIK er-
scheinen, iiber deren Ausgestaltiing die Ankundigungen und ein programmatischer Aufsatz dieses Heftes
Heftes unterrichten. Kritische Besprechungen, gedrangte Behandlung aktueller Zeitfragen, Auslandberichte
werden den Inhalt der UMSCHAU bilden, an deren Ausbau systematisch weitergearbeitet wird. Das MUSIK-
LEBEN soil sich nicht mit einer Sammlung von Notizen begniigen sondern wird durdi planmafiige Erwei-
terung im Laufe des Jahrgangs eine umfassende Spiegelung des internationalen Musiklebens zu geben suchen.
Ein einleitender Aufsatz ZEITSCHAU wird das Grundsatzliche der Erscheinungen beleuchten.
Im Brennpunkt des musikalischen Hauptteils stehen diesmal einige Fragen aus Grenzgebieten.
Unsere Zeit tastet, wie keine andere, diese Grenzgebiete ab. Sie sucht neue Ausdrucksmittel jenseits des
Tonsystems und der gewohnten Klangerzeugung. Das Spiel mit der Glasharmonika erweist sich als
interessanter Vorlaufer ahnlicher Versuche in der Gegenwart. Der ita^ienische Maler Luigi Russolo war vor
anderthalb Jahrzehnten einer der Wortfiihrer des italienischen Futurismus. Er hat inzwischen an einer
urspriinglich rein revolutionaren Idee exakt gearbeitet und berichtet nun iiber ein von ihm konstruiertes
neues Gera usch instrument. Mag dies ein bisher noch isolierter Grenzpunkt der neuen Musik sein, so
steht der tonende Film mit seinen sich eben erschliefienden neuen Moglichkeiten im Brennpunkt der
Entwicldung. Irgendwo begegnen seine zut Mechanisierung des Fliefienden strebenden Impulse den iiber
Reintonsysteme zur mechanisclien Musikerzeugung fortschreitenden Arbeiten der Wissenschaft. Georg
Rimski-Korssakoff, der Neife des auch bei uns bekanntgewordenen russischen Komponisten, bietet einen
Uberblick iiber den Stand dieser Bestrebungen in Rufiland. Wenn unter den LEBENDEN die Analyse von
Bela Bartoks letzten Werken erscheint, die auch in der Werkbesprechung der MELOSKBITIK wiederkehren,
mag dies als Zeichen gelten, welches Interesse der hochst eigenartigen jiingsten Entwicldung dieses Kompo-
nisten auch bei uns entgegengebracht wird. Die Scliriftleitung
MUSIK
Hanns Gutman (Berlin)
DER TONENDE FILM
l.
Wenn es erlaubt ist, ein Thema zunachst negativ zu formulieren, so soil gleich
gesagt werden, wovon im Folgenden nicht die Rede sein wird: von der Technik des
Tonnlms. Nicht nur halt sich der Schreiber dieser Zeilen fur nicht kompetent und fur
unbefugt, iiber eine derartige Frage zu sprechen, sondern es sind auch ganz andere
Gesichtspunkte, die ihn bestimmen. zu dem Thema der TJberschrift einige Notizen
zu machen.
Das Phanomen des Tonnlms, eines Films also, in dessen Band Musik, Sprache oder
irgendwelche Schalle so eingefiigt sind, dafi das Horbild gleichzeitig mit dem Schaubild
abrollt, darf als bekannt vorausgesetzt werden. Man hat vielleicht die Vorfuhrungen
in Baden-Baden gehort oder auch die in Berlin; man weift jedenfalls, worum es sich
handelt. Allenthalben sind ideenreiche Techniker an der Arbeit, um Verbesserungen
zu ersinnen, um die leidigen Nebengerausche auf ein Minimum und die Plastizitat des
Tones auf ein Maximum zu bringen. Kein Zweifel: eines naheren oder ferneren Tages
wird das technische Problem restlos gelost sein. Darum scheint mir jetzt der rechte
Augenblick, die kiinstlerischen Aussichten zu betrachten.
Nun bin ich nicht so weltfremd, zu glauben, asthetische Erwagungen konnten
jemals auf die Beherrscher der Kunstindustrie, denn um eine solche handelt es sich,
irgend einen Einflufi gewinnen. Fiir sie wird es immer nur eine entscheidende Kritik
geben, die Stimme des Publikums. Da diirfen wir uns also auf das Schlimmste gefafit
machen. Das kann uns aber nicht hindern, einmal zu fragen, was denn der tonende
Film eigentlich leisten kann, ob er, kiinstlerisch betrachtet, iiberhaupt erheblich ist.
Ob technische Erfhidungen das Kunstschaffen beeinflussen, ihm neue Richtung
weisen, oder ob vielmehr das Kunstwollen sich jeweils den ihm gemafien Apparat er-
zwingt, das ist eine oft diskutierte Frage. Ohne hier ein so tiefgi'eifendes und prinzipielles
Problem beriihren zu wollen, darf ich feststellen, dafi in den technischen Neuerungen
der letzten Vergangenheit, soweit sie zur Kunst in Beziehung stehen, der Primat der
Technik unverkennbar ist. Der Grund liegt auf der Hand. Wo immer in friiheren
Zeiten technische Fortschritte im kiinstlerischen Zusammenhange sichtbar werden, sei es
verursachend oder bewirkt, waren sie entstanden aus dem Antrieb, der Kunst zu dienen,
ihr Zuwachs an Wirkungsfulle zu schaffen. Die Ei*finder des Hammerklavieres waren
Instrumentenbauer, also, im Sinne dieser Darlegung, Techniker; was sie aber veranlafite,
den Kiel durch die Mechanik des Hammers zu ersetzen, war der Wunsch, dem Tasten-
instrument grofiere Tonstarke und ldangliche Kontinuitat zu verleihen. Die Erscheinung
des Saxophons entsprang dem Bedtirfnis, dem vollen Orchesterklang einen neuen Farb-
wert einzuftigen. Es waren, kurz gesagt, technische Neuerungen von primar kiinstlerischer
DER TtfNENDE FILM
Bedeutung. Sie wurden in unserer Zeit abgelost durch Erfmdungen, die urprunglich
garnicht auf die Kunst abzielten, die erst nachtraglich und keineswegs ausschliefilich
in Bezug zur Kunst gesetzt wurden. Ihre kiinstlerische Bedeutung war daher sekundar,
worin auch die Tatsache bedingt ist, dafi sie lange nur als Ersatzmittel angesehen
wurden und vielfach noch angesehen werden miissen. Das eben ist die Frage: wird
es gelingen, die mechanisch-mittelbare Musik aus der Position eines Surrogates in die
einer originalen, eigen-gesetzlichen Kunst zu erheben.
Freilich darf ein sehr wesentliches Merkmal nicht iibersehen werden. Grammophon,
Badio und auch der Tonfilm sind in der Tat Ersatzmittel, insofern als sie eine gegebene
Musik iibertragen, ohne ihr einen neuen Klang, eine neue Note (im Doppelsinn des
Wortes) hinzuzufiigen. Hierin unterscheiden sie sich von den mechanischen Klavieren
und Orgeln, die, seitdem es gelungen ist, Kompositionen unter Ausschaltung des
menschlichen Spielers direkt in die Walze zu gravieren, eine Setzweise darstellen konnen,
welche fur den Spieler unausfuhrbar ware. Der Komponist wird so zum „Notenstecher",
der Mensch als reproduktiver Mittler wird ausgeschlossen, ausfuhrendes Organ ist das
Instrument selbst. Was das Grammophon angeht, so sind ahnliche Versuche, namlich
die Platten direkt zu beschreiben und so jede Klangphantasie zu realisieren, im Gange,
vorlaufig ohne greifbare Ergebnisse. Ob sich die Moglichkeit ergeben wird, den Film
ebenfalls mit Hilfe neuer Tonzeichen unmittelbar zu beschriften, ist eine weitere Frage
der Technik, sicherlich auch eine von musikalischer Belevanz, die indessen nicht diskutiert
zu werden braucht, solange sie rein theoretiscli bleibt. Fassen wir daher zusammen,
was der tonende Film im heutigen Stadium seiner Entwicklung darstellen kann, so
zeigt sich dies. ■ Er kann jegliche akustische Erscheinung, natiirlich auch ohne Beigabe
des optischen Bddes, aufhehmen und, was ein sehr beachtenswerter Vorzug ist, die zeitliche
Dauer der Aufhahme ist unbegrenzt. Denn das ist ja das storendste Ubel der Grammophon-
platte, so grofi ihre klanglichen Qualitaten heute sind, dafi sie durch den vom Apparal
abhangigen Durchmesser an eine bestimmte Spielzeit, und zwar an eine sehr kurze,
gebunden ist. Die vielfach angestellten Versuche, diesem Ubelstand durch eine engere
Anordnung der Tonlinien auf der Platte abzuhelfen, konnen immer nur relative Ergeb-
nisse zeitigen, vermindert noch durch den okonomischen Nachted, dafi die Wiedergabe
einen neuen Typus des Apparates erfordert. Der Tonfilm hingegen kennt solche zeit-
Iichen Beschrankungen nicht. Mit ihm konnte man (wovor ein giitiges Geschick uns
bewahren moge!) die Partitur der „G6tterdammerung" aufnehmen.
Die praktischen Konsequenzen dieser technisch-theoretischen Voraussetzungen sind
klar. Es sind zunachst padagogische und historische. Ist schon die Bedeutung der Platte
fur den Unterricht eine eminente (die durch die bisher mangelnde Auswertung nicht
geschmalert wird), so ist naturgemafi der Tonfilm, da er den Eindruck des GehQrten
durch den gleichzeitigen Sehens verstarkt, dem Prinzip moderner Wissenschaft, Anschauung
an die Stelle abstrakter Lehre zu setzen, noch dienlicher. Fur den Gesangstudierenden
beispielsweise ist die beliebig oft wiederholbare Vorfiihrung von vollendeten Stimmen
gewifi aufierst lehrreich. Wieviel eindringlicher aber wird die Belehrung, wenn dem
Horbild so wiclitige Ingredienzien wie Mundstellung, Korperhaltung, Atemfiihrung bei-
gegeben sind. Eines Tages mag sogar die padagogische Literatur, in ihrer Erscheinungs-
form des Buches, angesichts der Vorziige solcher Anschaidichkeit an Geltung verlieren.
8 HAN NS GUT MAN
Die Verbreitung des Wissensstoffes an die Masse wird, neben dem Radio, durch den
Tonnlm die starkste Forderung erfahren. Was unter d'er geschichtlichen Rolle des
Schallfilms verstanden wird, kann ebenfalls nicht zweifelhaft sein. Die Aufbewahrung
zeitgeschichtlicher Ereignisse, die der heutige Fdm nur im Bdd festhalt, wird in Zukunft
jede Schallbegleitung einschliefien, seien es Reden, Tone, Gerausche oder was immer.
2.
Soviel also kann der tonende Film zur Verbesserung schon vorhandener Praktiken
beitragen. Doch begnugt er sich damit keineswegs, er ist anspruchsvoller und will auJi
die Kunst ergreifen. Er wird sich zuerst an ihr vergreifen. Denn es ist nicht wahr,
dafi man durch Schaden klug wird. Die fundamentale Unrichtigkeit dieses Sprichwortes
ist gerade durch die mehrfache falsche Anwendung technischer Neuerungen auf die
Kunst in unserer Zeit wieder evident geworden. Alle Fehler, die der Bildnlm in den zwei
Jahrzehnten seines Beginnes gemacht und die er inzwischen teilweise erkannt und
korrigiert hat, werden heute vom Bundfunk getreulich wiederholt. Beiden gemeinsam
ist die Einseitigkeit ihrer Darstellungsmittel; wie der Bildfilm nur optisch, so' kann der
Rundfunk nur akustisch wirken. Beide haben es dennoch unternommen, gegebene
Kunstwerke in ihre Bestandteile zu zerlegen und ausschliefilich den ihnen zuganglichen
zu reproduzieren. Neue Technik aber erfordert neue Kunst. Wird sie dazu mifibraucht,
eine unter anderen Bedingungen geschaffene Kunst darzustellen, so kann, was so entsteht,
nur unbefriedigend sein. Der Fall ist aber haufig, die gewahlten Beispielen sind nicht
vereinzelt. Auch die Atherwellen-Musik des Leo Theremin, ein technisches Wunderwerk,
ist kiinstlerisch vollig belanglos, solange sie zur Auffiihrung des „Schwan" von Saint-Saens
verwandt wird.
Geben wir uns keinen Dlusionen hin: auch der Tonnlm wird mit den gleichen
Fehlern beginnen. Er wird die Ubernahme von Oper, Operette, Ballett und Schauspiel
mit umso grofierer Sicherheit pflegen, als er wirklich, aufierlich gesehen, deren Voraus-
setzungen erfiillt. Er kann reden und darstellen, singen und musizieren; er endlich
vereint, als erste Maschine, die optische und die akustische Qualitat. Er ist, so scheint es,
das neuzeitliche Ausfiihrungsorgan des Gesamtkunstwerks. Aber der Schein triigt.
Denn wenn auch der tonende Film Sprache und Landschaft, Stimme und Musik noch
so vollkommen wiederspiegelt, es ist ihm auf dem Umweg iiber das laufende Band ein
Faktor abhanden gekommen : die Erscheinung des lebendigen Menschen. Nun ist mir
bekannt, dafi dieser heute nicht hoch im Kurse steht, dafi sogar seine ganzliche Eliminierung
aus der Kunst (die doch immer von Menschen fur Menschen gemacht -wird) manchen
Kunstlern als das Ideal gilt. Die Moglichkeiten und Aussichten derartiger Bestrebungen
bleiben unerortert. Aber es mufi gesagt werden, dafi alle bisherige Biihnenkunst mit
der sinnlichen Erscheinung des Menschen rechnet, auf ihr geradezu basiert. Das Schau-
spiel Shakespeares, die Komodie Molieres, die Oper Verdis und das Wagnersche
Musikdrama — sie alle benotigen, urn Gestalt zu gewinnen, als Medium den sprechenden,
singenden, agierenden, kurz: lebendigen Menschen. Der Film, er tone wie er wolle,
kann sie einfach nicht sinnvoll darstellen.
Indem er es dennoch versucht, wird er zum Surrogat. Die Rolle, die er so spielen
kann, darf keineswegs unterschatzt werden. Der sprechende Film als Schauspielersatz,
DER TONENDE FILM
der tonende als Opern- und Operettenersatz konnen in ldeineren Stadten jegliches
Theater ersetzen, sie konnen sogar den bestehenden Btihnen, die fast alle in den
schwersten finanziellen Noten sich befinden, ernsthafte Konkurrenz machen; die Herab-
setzung der Unkosten wird enorm sein. Nur mufi man sich hiiten, einen so gearteten
Tonfilm fiir eine Bereicherung der Kunst zu halten. Das ist er ebensowenig wie die
photographische Vervielfaltigung eines Gemaldes. Die Frage wird aus einer kiinstlerischen
zu einer wirtschaftlichen.
Aber gerade seine Wirtschaftlichkeit kann den Tonfilm audi fur die Kunst erheblich
machen, namlich auf dem Gebiet der Filmmusik. Dafi jenes iibliche kunstgewerbliche
Mosaik von Musikfetzen, Kunstwerken wie des „Goldrausch" oder „Potemkin" unwiirdig
ist, wurde langst erkannt. Dafi dennoch originale Filmpartituren zu den grofiten
Seltenheiten gehoren, ist in ihrer Unrentabilitat begriindet. Selbst wenn sich die Film-
theater der Grofistadte in einem Anfall von Idealismus, der ihnen fernliegt, entschlossen,
zu wertvollen Filmen eine authentische Begleitmusik schreiben zu lassen, so ware damit
wenig geholfen, weil die numerisch bei weitem iiberlegenen Kleinstadt-Theater in aller
Welt eine fiir ein menschliches Ordiester gedachte Partitur nicht iibernehmen konnen.
Das Beispiel eines Bichard Straufi, der seine Filmpartitur zum „Bosenkavalier" aus
Griinden der Darstellbarkeit in mehreren Besetzungen ausfertigte und dennoch keinen
rechten Erfolg hatte, zeigt deutlich, dajS auch ein so reduziertes Orchester eine noch zu
grofie Belastung bedeutet. Hier kann, wie sich leicht einsehen lafit, der Tonfilm ent-
scheidende Anderungen herbeifiihren. Da er die gleichzeitige Aufnahme von Bdd und
Ton ermoglicht, so, dafi die musikalische Begleitung als schmaler Streifen graphischer
Zeichen dem Filmband einkopiert ist, wird die Beproduktion der Begleitmusik ebenso
automatisch wie die des Bildes. Zur Wiedergabe der Schallaufnahmen bedarf es einer
Lautsprecheranlage, die heute vielleicht noch kompliziert und daher kostspielig ist, deren
Vereinfachung und damit Verbilligung aber aufier Frage steht. Der Bildfilm mit ein-
kopierter Begleitmusik wird also in nicht ferner Zeit eine Bealitat sein. Dann entfallt
die billige Ausrede, originale Fdmpartituren seien zu teuer, die Wirtschaftlichkeit ist
gesichert, und fiir die komponierenden Musiker wird der Vorteil umso grofier sein, als
die nur einmalige faktische Ausfiihrung ihrer Musik, die aber beliebig wiederholbar und
somit unbegrenzt auswertbar ist, ihnen alle Mittel klanglicher wie gerauschlicher Natur
an die Hand gibt.
Wenn nichts anderes, so wird der tonende Film das leisten konnen, die Kunst-
manufaktur der Filmmusik in kiinstlerische Arbeit umzuwandeln. Und wenn es, wie
mir scheint, die wichtigste Aufgabe heutiger Musik ist, die Gebrauchsmusik zu einer
kiinstlerischen und die Kunstmusik wieder zu einer gebrauchlichen zu madien, dann hat
in diesem Zusammenhange audi der Tonfilm die besten Aussichten.
Aber ich glaube, dafi spaterhin der Tonfilm audi im wirklich produktiven Sinne
einmal bedeutsam Averden konnte, indem er sich einen eigenen Stil schafft, der alle
seine Mittel und technischen Fahigkeiten beniitzt, ohne sie indes ersatzweise auf eine
iiberkommene Kunst anzuwenden. Denn neuer Stil verlangt neue Inhalte. Wie freilich
ein soldier vorstellbarer Eigenstil des tonenden Fdmes sich gestalten miifite, verinag
ich nicht zu sagen. Dem Betrachter ist nur die Fragestellung anheimgegeben, Die
Antwort steht bei den Schaffenden,
10 PAUL KRASNOPOLSKI
Paul Krasnopolski (Prag)
KLANGE VON GESTERN
Benjamin Franklins Erfinderruhm erschopft sich nicht mit dem Blitzableiter. Nach
mancherlei Versuchen ersann er sich ein Musikinstrument, welches die Freude des
spateren achtzehnten Jahrhunderts und die Wonne der Romantiker bildete. Erst der
Larm der Eisenbahnen, welche seit dem Ende der dreifiiger Jahre des vorigen Jahr-
hundertes Osterreich und Deutschland durchzogen, hat es iibertont und endgiiltig aus
den Konzertsalen vertrieben. Sein Schopfer nannte es Harmonica. Vor ihm hatten
schon der Irlander Puckeridge, der bei dem grofien Brande Londons im Jahre 1750
umkam, und dann Delaval, welchen der Amerikaner 1762 in London horte, es unter-
nommen, mit nassen Fingern Melodien zu spielen auf dem Rande wassergefiillter, ab-
gestimmter und auf einen Resonanzboden gestellter Glaser. Bereits im siebzehnten Jahr-
hundert bekannt, gab dieses sogenannte Glasspiel Veranlassxmg zu Franklin's Erfindung.
Sie verwendete in ihrer spateren allgemein xiblichen Form, die mit der ursprxinglichen
fast ganz ubereinstimmte, Glocken aus sehr weichem Glase, die an einer starken,
stahlernen Walze derart befestigt waren, dafi immer die kleinere in der grofieren steckte,
das Ganze mithin einen Kegel bildete, dessen Basis links und dessen Spitze auf der
rechten Seite lag, wobei die tiefsten Glocken Durchmesser von ungefahr 26 und die
hochsten einen von 8 cm hatten. Ein vom Spieler mit dem rechten Fufie getretenes
Schwnngrad setzte die Glaser, die in einem holzernen Kasten von annahernd einem
Meter Lange und einem halben Meter Breite untergebracht waren, in Bewegung. Sie
svurden leicht angefeuchtet, und dann legte man die vorher sorgfaltig gereinigten Finger
ausgestreckt an die Glocken, sodaiJ sie an diese anschleifexx mxifiten (Franklin hatte nocli
trockene Glaser mit benetzten Fingern zum Erklingen gebracht). Die Franklin'sche
Hax - monica besafi einen Umfang von drei Oktaven, vom G bis zum g" und bymte
Glaser, wahrend die Halbtone weifi waren. C zeigte rot, d orange und e gelb, f war
grun, g blau, a hatte eine Indigo und h eine violette Farbung, und diese Skala
wiederholte sich bei der Oktave. I
Durch den Drxick der Finger liefien sich die Tone vom leisesten Hauch bis zu
betrachtlicher Starke steigern. Die Tone galten als nervenerschutternd und ihr dauernder
Genufi sollte der Gesxxndheit der Zxihorer gefahrlich, ja schon ein einziger, in gefuhl-
voller Weise erzeugter Ton imstande sein, namentlich bei Frauen eine Ohnmacht hervor-
zxxrufen. Noch mehr schien infolge der doppelten Einwirkung durch Ohr xxnd Finger-
spitzen das Nervensystem des Spielers bei anhaltender Ausiibung solcher Kunst bedroht,
weshalb fast alle Harmonica-Virtuosen nach verhaltnismafiig kxirzer Zeit sich zum Auf-
geben ihrer Tatigkeit genotigt sahen, wollten sie sich nicht zugrunde richten. Schon
Friedrich Johann Rochlitz, der 1842 gestorben ist, stellte daher besondere Gesxindheits-
regeln auf, deren Befolgung noch in den siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts
als unerlafilich betrachtet wurde. Nervenkranke sollten demnach iiberhaupt nicht,
Schwachliche nxxr selten und selbst robuste Personen nur bei Tag und moglichst rticht
zxxr Nachtzeit sich an solcher Musik tatig ergotzen. Ein Zuhorer behauptete am
25. Apxil 1791 : „Das Spiel weckt sanftes, stilles Wonnegefxih], Ahxidxxngen einer hohei'en
Harmonie, wie sie die guten Seelen in einer schonen Sonxmex-hacht durchzitterh. " Uii'tef
KLXNGE VON GESTERN H
den Fingern reift der Ton zu seiner vollen, schonen Zeitigung und stirbt so lieblich
hin wie Nachtigallenton, der mitternachts in einer schonen Gegend verhallet. Noch im
letzten Moment des Verschwindens durchzittert er die zartesten Fasern des Gehors.
Seine Schwingungen sclieinen nicht gemeine Luft, sie scheinen Ather zu sein,
Elektrik. Der Ausdruck fiihrt das Geprage des innigsten Gefiihls hochgestimmter
Leidenschaft."
Freilich muSte man das Gerate auch richtig handhaben, sollte nur Stiicke spielen,
welche ,,gewichtvoll, kurz und wenig figuriert waren" und ohne Begleitung eines anderen
Instruments oder der menschlicben Stimme, weil sonst sehr leicht die Siifie und Zart-
heit des Tones verloren geht, und ihm das Nervenerschutternde — dieses schatzte das
achtzehnte Jahrhundert ganz besonders — genommen wird.
Verschiedene Gelehrte versuchten bis zum Ende dieses Zeitraumes, die Harmonica
zu verbessern, sie namentlich durch Tasten leichter spielbar zu machen, wobei ange-
feuchtete Stiickchen von Badeschwamm, die auf kleinen Rofihaarpolstern befestigt waren,
die Glocken zum Erklingen brachten. Mit dem Ernst und der Griindlichheit, welche das
hochwichtige Ereignis beanspruchen durfte, pochte Franz Joseph ' Bartl hier auf seinen
Ruhm und War dazu umsomehr berechtigt, als der „Allerdurchlauchtigste Grofimiichtigste
und Unuberwindlichste romische Kaiser Franz H." die von ihm ersonnene Tastenharmonica
in sein Kunstkabinett nahm. Auf den „Alleruntertanigsten, treugehorsamsten" Professor
der Mathemathik ,,auf" dem k. k. Lyceaum zu Olmiitz machte das freudige Ereignis
soldier hochsten Gnade entsprechenden Eindruck, er erklarte kurz und bvindig: „Ich
ersterbe". Er tat es nicht. Und das ist das Beruhigende an seiner Erfindung, bei
welcher die Tone „wie eine harmonische Seele hinsterben, wie wenn ein laues Liiftchen
die Saiten einer Laute zitternd beruhrt, und nach einem langeren Hallen verlischt.
Thranen gleiteten fiber die Wangen der Kenner, und sie schamten sich ihrer nicht."
Die Harmonica hat auch in Prag in den achtziger Jahren des achtzehnten
Jahrhunderts ihren Einzug gehalten. Dort hat der Normalschulprofessor Anton Renner
ein eifriger Mechani- und Musicus, der den Wetterableiter in Bohmen eingefiihrt ha ben
soil, als erster ein solches Insti'ument gebaut und gespielt, dort starb im Jahre 1831
Vinzent Maschek, der weitgereiste Klaviervirtuose, der schon 1786 eine Tastenharmonica
ersann.
Am gelaufigsten aber klang Professor Cron's Name und Spiel den Zeitgenossen.
Bei einer offentlichen Akademie zum Besten der Armen in Prag vernrochte er auf dem
„angenehmen Geschopf des unsterblichen Franklin ein grofies Konzert mit alien vorhin
unmoglich scheinenden Geschwindigkeiten und Ausdruck, selbst im Rondeau, wegzuspielen ?
und seitdem erhielt die sonst nur im Adagio langsam klagende Harmonica die Hoffnung,
sanft den hvipfenden Grazien vorzusingen".
Alle Prager musikalischen Erfinder ubertonte jedoch Leopold Sauer. Sein Orchestrion
vom Jahre 1805 verdient das Orchester des kleinen Mannes oder die Universalhausmusik
genannt zu werden. Eine einzige Person konnte als Klaviervirtuose und Meister von
sechs Blasinstrumenten aiifrreten, mit einem lieblich klingenden Glockenspiel sich begleiten.
die grofte turkische und die Wirbeltrommel nebst den Glockchen am halben Mond
horen lassen und iiberdies eine gemalte Darstellung des Donnerwetters auf der Riickseite
dieser bescheidenen Tonmaschine fiir Aug und Ohr illustrieren. Auf einem eigenen
12 LUIGI RUSSOLO
Register spielte der Musizierende dann Jupiter tonans, Blitze zuckten, der Gewitterregen
rauschte, der Dormer rollte und beim Wettereinschlag sah man einen sehr feurig-
schlangenformigen Blitzstrahl und der Schlag erfolgte mit furchterlichem Geprassel. Das
Bogen-Klavier, welches einen Menschen in ein Violinquartett mit und ohne Floten-
begleitung verwandelte, das Fliigel-Fortepiano mit zwei Tastaturen, deren obere einen
der „Quitara" sehr ahnlichen Ton hervorbrachte, — sie sind nur der schwache Nachhall
einer Erfindung, deren gr66te Merkwiirdigkeit wohl war, dafi sie einen Kaufer angelockt
hat, und vor der die Harfe mit Flotenakkompagnement des Prager Insti'umentenmachers
Johann Michael Weifi verstummen mufite.
Ganz ahnlich wie die Franklin'sche Harmonica, nur noch sanfter und f'einer,
aber auch schwacher und weniger nachhallend, klang das Euphon, von dem sein
Schopfer, der Doktor Chladni, zuerst im Jahre 1790 der aufhorchenden Mitwelt Nachricht
gab. Bei ihm wurden diinne Glasstabe iiber einem Besonanzrahmen mit nafien Fingern
gestrichen. Sein Umfang betrug drei Oktaven und eine grofie Terz vom c bis zum e"',
und war trotzdem so gering, dafi es sich in einem Wagen unter dem Sitz bequem
transportieren liefi. Und so konnte sich der Reisende die Falirten mit Musik verktirzen.
Armes achtzehntes Jahrhundert, welches aus den Vehikeln nur diese zarten Weisen
und nicht die kraftvollen Tone von lieblich hustenden Siren en und melodisch grunzenden
Hupen erschallen lassen konnte !
Luigi Bussolo (Mailand)
DIE KUNST DER GERAUSCHE ALS FORTENTWICKLUNG ^
DES MODERNEN ORCHESTERS
Luigi Russolo fiihrte kiirzlich in einem Konzert an der Pariser
Sorbonne seine neue Erfindung, das Rumoiharmonium, einem
zahlreichen Auditorium von Musikern vor, das die unge-
wohnten musikalischen Eindriicke mit Interesse und Reifall aufnahm.
1.
Das Leben im Altertum war tiberall Buhe. Im 19. Jahrhundert, mit der Er-
findung der Maschine, entstand das Gerausch. Heute triumphiert das Gerausch und
beherrscht die Nerven (Empfindsamkeit) des modernen Menschen. Die alte Musik er-
strebte und erreichte die Beinheit und Siisse der Tone und suchte in wohllautendem
Mehrklang dem Ohre zii schmeicheln. Die moderne Musik wird immer komplizierter
und bindet die missklingendsten, fremdesten und dem Ohr hiirtesten Tone zusammen.
So nahern wir uns mehr und mehr dem eigentlichen G e r ii u s ch - T o n.
Diese Evolution der Musik lauft parallel mit dem Aufschwung der Technik.
Maschinen arbeiten gemeinsam mit den Menschen. Nicht nur in den tosenden Larm
der Grofistadt, sondern auch in die Stille der landlichen Zuruckgezogenheit hat die
Maschine den Widerstreit der verschiedensten Gerausche getragen, so dafi der reine
Ton in seiner dxirftigen Einformigkeit keine Empfindungen mehr wach ruft.
DIE KUNST DEH GERAUSCHE ALS FORTENTVi 1GK.LUNG DES MODERNEN ORCHESTERS 13
Urn die Empnndlichkeit unserer J\ erven zu erregen mid zu steigern, entwickelt
die Musik die vollkommenste Polyphonic und erzielt eine grossere Vielfaltigkeit der
Orchesterfarben dnrch die gefahrlichsten Dissonanzenfolgen. So bereitet sie das Zu-
standekommen des ninsikalisclien Gerausches von ungefahr vor. Diese Weiter-
entwickliing nacli dem „ Gerausch ton" hin war friiher nicht moglich. Das Ohr eines
Menschen aus dem 1 7. Jahrhundert ware nicht im Stande gewesen, die Eindringlichkeit
der Disharmonien zu ertragen, die gewisse Akkorde unseres heutigen Orchesters (das
an Zahl der Ausfuhrenden dem damaligen dreimal iiberlegen ist) hervorrufen. Unser
Ohr dagegen iindet Gefallen an ihnen, da es durch das moderne Leben mit seinen
unzahligen, verschiedenen Gerauschen dazu erzogen ist, und verlangt nach immer
stark eren Gehorseinotionen.
Anderseits ist der musikalische Ton in der qualitativen Verschiedenheit der
Klaugfarben zu sehr beschrankt. Das komplizierteste Orchester wird auf vier oder
fiinf Klassen von Instrumenten reduziert, die sich in der Klangfarbe von einander
unterscheiden : Streich- und Zupfinstrumente, Holz- und Blechblaser und Schlagzeug.
In diesem kleinen Kreise muht sich die Musik vergebens neue Farbenmoglichkeiten zu
schaffen.
Es ist an der Zeit, diesen engen Zirkel der reiuen Tone zu durchbrechen und die
unendliche Vielfaltigkeit der Gerausche zu erobern.
2.
Die Akustik, tniter den physischen Wissenschaften zweifellos die am vvenigsten
fortgeschrittene, hat sich ausschliesslich dem Problem der reinen Kliinge gewidmet und
das Studium der Gerausche vollkommen vernachlassigt, Man hat geglaubt, die Klange
von den Gerauschen deutlich trennen zu miissen, eine Aufl'assung, die vollkommen
unberechtigt ist. In einem meiner Biicher, „L'arte dei rumori" (1916 erschienen) habe
ich ausfuhrlich bewiesen, da6 der wahre und fundamentale Unterschied zwischen Klang
und Gerausch einzig darin besteht, dass das Gerausch weit reicher an Obertonen ist,
als der Klang im allgemeinen.
Diese Obertone eines Gerausches sind meistens viel starker als die, welche einen
Ton begleiten. Wie die ObertSne immer einen dominierenden Grundton begleiten,
so hat das Gerausch seinen Ton.
Aus diesen Griinden habe ich vor zwolf Jahren begonnen, neue, im Klang ver-
schiedene und bisher unbekannte Instrumente zu bauen, um unser farbenarmes Orchester
von heute zu bereichern. Es ist mir gelungen, solche Instrumente zu schaffen, indeni
ich den verschiedenen Gerauschen in Natur und Leben nachging. Ich habe sie Heuler,
Knisterer, Summer, Brummer, Quaker, Gurgler und Zischer genannt. Mit diesen „Ge-
rauschtonern" (italienisch „Intonarumo] , i", franzosisch „Bruiteurs") habe ich in Mailand,
London und Genua im Jahre 1914 und in Paris 1921 Konzerte gegeben. Wahrend
meiner w^eiteren Studien und Forschungen habe ich diese verschiedenen Gerauschtoner
vervollkommnet und kiirzlich in einem einzigen Instrumente vereinigt, dem ich den vom
Lateinischen abgeleiteten Namen „Bumo rhar monium" gegeben habe.
Dieses Instrument hat die Form eines gewohnlichen Harmoniums mit zwei Bali-
Pedalen. An Stelle der Klaviatur sind sieben verschiebbare Hebel auf einer bestimmten
Einteilung angebracht, die den verschiedenen Abstanden der diatonischen und chroma-
|4 LUIGI RUSSOLO
tischen Tonleiter entsprechen. Jeder dieser Hebel dient einem verscliiedenen Gerausch
und durch ihre Verschiebung erhalt man alle Tone der diatonischen und chromatischen
Tonleiter in einem Timbre, der sich von alien bisher im Orchester bekannten Klang^
farben unterscheidet.
' Nicht allein Ganz- und Halbtone kann man auf diese "Weise erzeugen, sondern
auch kleinere Bruchtede des Halb tones; Viertel- und Achteltone, kurz alle Moglichkeiten
des enharmonischen Systems.
3.
Die Konstruktionsstudien haben mich auf dem Gebiete der Enharmonik zu den
definitiven Schlussen gefiihrt, aus der materiellen Herstellbarkeit ein vollkommenes
musikalisches System abzuleiten.
Meine Schliisse finden ihre Bestatigung in der physischen Erkenntnis, dafi die
Enharmonik in der Natur vorhanden ist; in der praktischen Erkenntnis, dafi sie in
materieller Form realisierbar ist, und vollends in der kiinstlerischen Erkenntnis, dafi
mit der Beschranktheit des kiinstlichen Halb- und Ganstonsystems aufgeraumt
werden mufi. Es ist wirklich an der Zeit, dafi sich das Reich der Tone durch
all die unendlichen Moglichkeiten der Nuancen bereichere, die zwischen zwei Tonen
liegen, um so zu den letzten, bis heute unbekannten musikalischen Sinneseindriicken
zu gelangen.
Eine Tatsache vor allem steht fest, alle Klange und Gerausche, die die Natur
hervorbringt, verandern den Ton (ich spreche natiirlich von Tonen und Gerauschen
die eine gewisse Dauer haben) durch eine enharmonische Tonsteigerung und
nicht durch Tonspriinge. So heult der Wind in einer vollkommenen, steigenden und
fallenden Tonleiter. Diese Tonleiter ist weder diatonisch noch chromatisch, sondern
enharmoniscli.
Ebenso finden wir, wenn wir von den Naturgerauschen zu der unendlich reicheren
Welt der Maschinengerausche iibergehen, dafi alle Gerausche, die durch rotative Bewegungen
hervorgerufen werden, in ihrer Tonzu- und Abnahme immer enharmonisch sind. Diese
Tonzu- und Abnahme steht natiirlich in direktem Verhaltnis zur Zu- und Abnahme
der Schnelligkeit. Beispiele: der Dynamo und der elektrische Motor.
Vor fast dreihundert Jahren hat Rousseau in seinem Werk iiber den Ursprung
der Sprache geschrieben, „dafi die Melodie an Ausdruckskraft und Eindringlichkeit
eingebiifit hat, seitdem sie sich nicht mehr von Tonfall und Modidation ftihren lafit,
sondern sich mit der Berechnung von Intervallen abgibt". Zu welch unerhorter Feinheit
konnte man gelangen, wenn alle Instrumente nicht nur tiber wenige enharmonische
Moglichkeiten unseres temperierten Tonsystems, sondern iiber aUe Nuancen zwischen
zwei Tonen, ohne Unterbrechung der Kontinuitat, verfiigen wiirden, wie es bei den
Gerauschen des Bumorharmoniums moglich ist.
"Wir miifiten zu einer vollkommen dynamischen und horizontalen Harmonieform
gelangen im Gegensatz zur gegenwartigen, die vertdcal ist und bei der Modidation im-
mer auf grofiere oder kleinere Spriinge angewiesen ist. Solche Zukunftsmoglichkeiten,
denen keine Grenzen gesteckt sind, zu realisieren, bleibt einer Nachwelt vorbehalten.
Wenn ich mit meinen Arbeiten und meinen Instrumenten auf den Weg gewiesen habe,
werde ich mich gliicklich schatzen.
REINTONSYSTEME IN SOWJET-RUSSLAND 15
Georg Rimsky-Korssakoff (Leningrad)
THEORIE UND PRAXIS DER REINTONSYSTEME IM SOWJET-
RUSSLAND
Das Problem des Hyperchromatismus d. h. der Erweiterung des chromatischen Ton-
systems, wird im Sowjet-Russland wie theoretisch, so aucli praktisch behandelt. In erster
Linie soil hier
1.
DAS VIERTELTONSYSTEM
genannt werden, welches als die einfachste und aktuellste Moglichkeit des neuen Ton-
materials anzuselien ist. Es ist zugleich das Einzige von den vielstufigen Systemen, welches
reelle Moglichkeit gibt, nicht nur zu theoretisieren, sondern auch zu komponieren und
Musik auszufiihren. Der erste Vierteltoner in Rutland — damals noch nicht Sowjet-
Rufiland — scheint der Kiinstler-Futurist, auch Komponist Michael Matjuschin zu
sein, der im Jahre 1912 seine Vierteltonviolinschule herausgab und der die Viertelton-
intervalle auf der Violine zu erzeugen pflegte. Der Zweite ist Iwan Wyschnegradsky
der freilich seit 1918 in Paris lebt und doch mit den Leningrad er Vierteltonern brieflich
fverbunden ist. Mehrere seiner Kompositionen, teilweise in U. S.S.R. gelassen, teilweise hier-
her geschickt, sind zur Verfiigung des ,,Vierteltonkreises", der seit 1922 im Leningrader
Staatl. Konservatorium wirkt. Am Anfang der Revolution nahm auch der Komponist
Arthur Lourie an den Vierteltonversuchen teil.
Der Vierteltonkreis war von den Studenten des Konservatoriums gegriindet. Nach
vielen Versuchen, die Vierteltone in melodischer und harmonischer AVeise, wie auf Saiten-
so auch auf Blasinstrumenteii zu erzeugen, erhielt der Kreis von der Administration des
Konservatoriums (die Liitiative gehorte dem Prof. Ossowsky) 2 Klaviere, von denen eines
um '/* Ton tiefer gestimmt wurde, so dafi die beiden Instrumente ein voiles Viertelton-
insti'ument ersetzten. Leider gibt es zur Zeit in U. S. S.R. keine finanziellen Moglichkeiten,
ganze Vierteltonklaviere zu haben. Aufierdem erhielt der Vierteltonkreis ein zweimanualiges
Harmonium, dessen 2 achtfufiige Register ebenso wie die 2 Klaviere umgestimmt wurden.
Dazu wurde den Vierteltonern auch eine Harfe gewahrt, bei der jede Oktave in einer
Vierteltonstufen enthaltenden Leiter gestimmt wurde.
Der Vierteltonki'eis gebraucht folgende Benennungen der Vierteltone, von
G. Rimsky-Korssakoff vorgeschlagen :
cit = 1 /i Ton hoher als c
cist = '/♦ Ton hoher als cis
cet = '/i Ton tiefer als c
cest = 3 /i Ton tiefer als ces
ebenso von d — dit, dist, det, dest usw.
Die Hauptleiter der Harfe ist folgende : ces, des, est, fes, gest, as, hest (bet). Soldi
eine Stimmung gibt 20 Stufen in der Oktave. Es fallen aus: g, at, cit, det.
Die Vierteltonmusik wurde mehrmals im Konservatorium von solchem Ensemble
(zuweilen mit 2 Hornern in F und Fet gestimmt) aufgefuhrt, unter der Leitung von
Jurij Kaufmann und den Autoren. Die Ausfiihrenden waren: Schostakowitsch, Feldt,
Berlinsky u. a. Es wurden folgende Vierteltonstiicke von Leningrader Komponisten ge-
16 O. KIMSKI-KORSSAKOFF
1
spielt: Poem und 3 Praludien von Georg Rimsky-Korssakoff, Poem und 2
Praludien von Nicolaj Malachowsky, „2 Esquisses" von Alexander Quenelles.
Aufierdem wurden mehrere auslandische Kompositionen aufgefiihrt, namlich von W y s ch n e-
gradsky, Haba, Mager und Mollendorff.
Die theoretische Auffassung des Vierteltonproblems wurde meistenteils auf akus-
tiscliem Wege erprobt, wie es auch bei Wyschnegradsky der Fall ist. Das Interesse fur
eine Theorie des Vierteltonsystems fand Platz im Staatl. Kunsthistorischen Institut
(Leningrad). Es gab da Vortrage von G. Rimsky-Korssakoff, N. Malachowsky,
M. Matschinsky.
Der Vortrag von G Rimsky-Korssakoff „Begriindung des Vierteltonsystems" wurde
in „De Musica" (Publikationen der Musikabteilung des Kunsthistorischen Instituts I
1925 Leningrad) veroffentlicht. Alle drei arbeiteten auch am Problem der Viertelton-
tastatur, dessen bekannte Losungen im Auslande den Leningradern nicht vollkommener
zu sein scbeinen.
Es wird im Institut auch ein Harmonium vierteltonsweise gestimmt und mit einer
neuen Tastatur versehen werden. 2 Klaviere im Vierteltonabstande sind schon da.
Ende Marz 1927 fand im Institut eine Demonstration der Vierteltonmusik statt, und
zwar war es am 25 jahrigen Jubilaum des Instituts.
Auch in Moskau gibt es Interesse fur das Vierteltonsystem. Im engeren Kreis
des GIMN (Staatl. Institut fur Musikwissenschaft) hat P. Rentschizky im Jahre 1926
erne Reihe Vortrage iiber die Theorie der Musiksysteme und die der Vierteltone ver-
anstaltet.
Im April 1927 gab es im GIMN einen Vortrag von G. Rimsky-Korssakoff
iiber die diatonischen Viertelton-Leitern und eine Demonstration der Vierteltonmusik,
mit Teilnahme von ahnlichen Instrumenten, wie im Leningrader Konservatorium, die mit
Hilfe des Moskauer Konservatoriums gefunden und gestimmt wurden, Unter den
Ausfiihrenden waren Leo Oborin und Wissarion Schebalin.
Die Forschungen auf dem Gebiete der Vierteltone, so wie auch der anderen Bruchinter-
valle, werden in Sowjet-Russland nicht abgesondert von West- und Mitteleuropa durch-
gefuhrt. Die Vierteltoner, die sich auch fur die anderen Ton-Differenzmoglichkeiten
interessieren, stehen im Verkehr mit den europaischen Neutonern und audi mit dem
Amerikaner Julian Carillo (New-York). Zur Zeit ist der Vierteltonkreis nicht meni-
als solcher anzusehen. G. Rimsky-Korssakoff, sein ehemaliger Leiter, fuhrt einerseits in
der musikwissenschaftlichen Abteilung des Konservatoriums ein Seminar fur temperierte
Musiksysteme ; andererseits wurde allmahlich das Vierteltonproblem ein Objekt von regel-
mafiiger Arbeit der physisch-mathematiscben Sektion des Kunsthistorischen Institutes.
Somit ist die Arbeit des Vereines ein Teil der akademischen Arbeit des Konservatoriums
und des genannten Institutes geworden.
2.
FEINERE MUSIKSYSTEME
sind leider fast ausschliefilich theoretisch anzusehen. Der bekannteste und sehr
energische Hyperchromatiker Arsenij Awraamoff ist bier zuerst zu nenneii. Er hat in
RE1NT0NSYSTEME IN SO W JET-RUSSLAND 17
den letzten 12 Jahren (seit 1915) viele Aufsatze und Artikel dariiber in musikalischen
und Kunstzeitschriften veroffentlicht. Sein Weg in der breitesten Erforschung der Feinton-
systeme hat von der Ganztonleiter angefangen und eine lange Evolution erlebt. Zur Zeit ist
er Pionier der 96-stufigen Temperatur (ebenso wie J. Carillo), welche er aber nicht als
etwas Vollkommenes und Selbstandiges, sondern nur als einen Weg zum Alltonsystem
auffafit, das miter alien moglichen Ton-Kombinationen/vorerst die akustisch reinen
Kombinationen wiedergeben soil. Awraamoff betracbtet gern die Untertonskala, bis zum
32. Unterton erweitert, als ein Mittel, die Volkslieder aller Lander rein wiederzugeben ;
die Obertonreihtf dient ihm als Mittel zur Konstruktion hyperchroniatischer Akkorde.
Praktisch ist ihm gehuigen, eine 48-stufige Temperatur auf 4 Manualen des Harmoniums
und auf 4 Flugem zu gewinnen; aufierdem besitzt er reingestimmte Harmonium-Register
mit Ober- und .Untertonreihen. Das letzte erlaubt ihm, Volkslieder mit reinen Intervallen
zu akkompagnieren, was er auch in einem Konzert von Tatarinowa in Moskau getan
hat (April 1927).
Im Marz 1926 promovierte Awraamoff am Kunsthistorischen Institut mit einer
Dissertation unter dem Namen „Universal-Ton-System", welche von einer grofien
Demonstration der 48-stufigen Temperatur unter Teilnahme von Kamensky, J. Braudo,
Popoff u. a. begleitet wurde. Es wurden ausgefiihrt: Stiicke aus „Vers la flamme" von
A. Skrjabin und von Liszt „Mephisto-Walzer" in Achtelton-Transkription und eigene
sequenzenartige Kompositionsversuche von Awraamoff.
Die Theorie der Reintonsysteme bearbeiten in Moskau aufier Awraamoff noch folgende
Theoretiker : Prof. Rosenoff, Prof. Garbusoff, Prof. Leiberg. Sie besitzen reingestimmte
Harmoniums, von denen das interessanteste das von Prof. Leiberg beherrschte Harmonium
in der zweiten Moskauer Universitat ist, welches von Smirnoff in Iwanoff-Wosnessensk gebaut
worden ist und zu der 12-stufigen temperierten Leiter Obertone bis zum 13. hinzufugt
(5 Manuale). Auch die Elektrizitat, die in Deutschland fur die Ferntonsysteme von
J. Mager ausgenutzt worden ist, wird im Sowjet-Rufiland ausgewertet. Die Kathoden-
instrumente von Theremin, Guroff, Rshewkin und Kaufmann sind prinzipiell
geeignet, nicht nur die Vierteltone und kleinere Stufen wiederzugeben, sondern die
Wechselung der Haupttonleiter, also die Anzahl der Stufen in der Oktave zu geben.
Mit der Losungder beiden Probleme — der Tondifferenzierung und des Tonfarbewechsels —
die diese Instrumente versprechen, kann man erwarten, eine ganz neue Epoche der
Musikentwicklung im Sowjet-Rufiland zu sehen: die Epoche des Wechsels des Ton-
materials wahrend der Abspielung des Musikprozesses in jeder seiner kleinsten Ver-
zweigungen (Stimmen).
WISSENSCHAFT
Heinrich Strobel (Berlin)
NEUE AUFGABEN DER KRITIK
Im Musikleben der Gegenwart vollzieht sich langsam, aber deutlich spiirbar, eine
grundlegende Wandlung. Neue Musik, die als revolutionare Erscheinung zuerst isoliert
dastand, beginnt organischer Teil der Musikpflege zu werden. Das neue LebensgefiihU
aus dem sie geboren wurde, aufiert sich in einer neuen kiinstlerischen Gesinnung, die
sich allmahlich uberall durchsetzt. Das hangt eng zusammen mit der Umschichtung
der Horergruppen in Theater und Konzert, mit dem Erstarken von Besucherorganisationen,
die sich im Gegensatz zu den rein burgerlich-gesellschaftlich organisierten alten Abon-
nenten zu einer im 20. Jahrhundert verankerten Weltanschauung bekennen. So sehr
auch gerade die reprasentativen Institute immer noch fest am traditionellen Bepertoire
und an der traditionellen Darstellungsart festhalten: es dringen doch neue Werke ein.
Man begegnet ihnen nicht mehr mit vorsatzlichem Mifitrauen oder mit vorsatzlicher
Boswilligkeit, sie sind nicht mehr sensationelle Angelegenheiten, fiir die ein kleiner Kreis
von Fanatikern um jeden Preis kampft. Jedes Provinztheater, jeder Leiter einer
Konzertorganisation fiihlt sich verpflichtet, fiir sie einzutreten. Man kann neue Musik
nicht mehr iibergehen. Sie wurde ein Faktor, mit dem zu rechnen ist. Einige Werke
von Hindemith und Strawinsky sind bereits Bestandteil der Repertoires. Es gibt noch
ein deutlich eres Zeichen dafiir, dafi die neue Gesinnung alle Horer ergreift: die vollig
veranderte Einstellung zu vielen Erscheinungen der Vergangenheit, das Erwachen der alten
Musik, die Renaissance Mozarts, Handels und Verdis. Wir suchen den reichen Schatz
der Uberlieferten neu zu erwerben, um ihn aus der Bejahung der Zeit heraus neu
zu besitzen.
Die veranderte Situation stellt auch den Kritiker vor neue Aufgaben. Er war
gewohnt, die subjektiven Eindriicke beim Anhoren einer Oper oder einer Symphonie in
mehr oder weniger poetisierender Ausschmiiclcung nachzuerzahlen. Die fast immer von
aufiermusikalischen Assoziationen abhangigen Werke des romantischen Jahrhunderts
liefien das auch zu. Die Methode hermeneutischer Musikbeschreibung konnte in dieser
Zeit aufkommen. Da romantische Musik immer vom Kiinstler et« r as aussagt, immer
individuelle Erlebnisinhalte ausspricht, ins Uberpersonliche steigert, so war eine kon-
geniale Einfiihlung durchaus moglich. Romantische Kiinstler, wie E. T. A. Hofmann
und Robert Schumann wandten diese poetische Beschreibung von musikalischen
Erlebnissen bereits auf Musik an, die aufierhalb dieses Kreises lag. Das fuhrte dazu, die
Kunst Bachs unter einem sehr einseitigen Gesichtspunkt zu betrachten. Man zwangte
sie in eine Gefuhlsskala, die ihr fremd ist. Man interpretierte subjektive Inhalte hinein,
wo strengste Objektivierung herrscht.
In den allermeisten Fallen wird auch heute noch die subjektiv ausdeutende Methode
in der Tageskritik angewendet. Sie mag immerhin angangig sein fiir die romantischen
Werke, wenn eine Personlichkeit, welche das Fachliche beherrscht, die Kritik ausiibt.
Aber selbst in diesem Bereich wurde Unheil genug angerichtet, als mit dem Aufschwung,
NEUE AUFGABEN DEft KnlTlK 19
den der Journalismus in den letzten Jahrzehnten genommen hat, Nicht-Beruf'ene das
kritische Handwerk betrieben. Anstelle der aus verstandnisvoller Einfuhlung in das
Kunstwerk geborenen Kritik trat die billige Phrase. Dilletantismus schofi iippig ins
Kraut. Gefuhlsmafiige Kritik aber wurde zum Verhangnis, als es gait sich mit neuer
Musik anseinanderzusetzen. Man vermied eben die Aitseinandersetzung und stellte nur
die vollkoramene „Sinnlosigkeit" der neuen Erscheinungen mit mehr oder weniger Ge-
hiissigkeit fest. Man spiirte wohl, daiJ hier Gefuhlsinhalte garnicht die Rolle spielten,
die man ihnen der Bequemlichkeit oder des Unverstandnisses wegen unterschob. Man
mafi mit den Regeln der Brucknerschen Symphonik oder des Wagnerschen Musikdramas
ebenso wie man eine Generation friiher die Hocliromantik mit den Regeln der Klassik
gemessen hatte — urn beide Male vernichtende Urteile zu fallen. Es zeigt sich, dafi
der grofite Teil der heutigen Fachkritik die wdchtigste Fahigkeit verloren hat, die es
fur den Kritiker gibt: in lebendiger Fiihlung mit den schopferischen Ereignissen der
Zeit zu bleiben unci von ihnen die Mafistabe der Beurteilung abzuleiten. Die Musik-
kritik steht infolgedessen heute leider nur allzuhaufig vollig isoliert da, Sie verknocherl
mit dem Epigonentum der Romantik. Sie findet nicht den Mut, der Organik einer von
alien Assoziationen freien, das Spiel der Elemente in eindeutigen Formablauf bannenden
„neuen" Musik nachzuspiiren. Der „Fall Cardillac" ist auch ein „Fall Musikkritik".
Hier wurde der Beweis dafiir erbracbt, daft die meisten Kritiker immer noch dem Ideal
des Musikdramas nachtrauern.
Die unromantische Gegenwart verlangt Abkehr von veralteten kritischen Methoden.
Musik besann sich aid' ihre Eigengesetzlichkeit, streifte alle Bindungen von aufien her
ab. Kritik wird das Werk unmittelbar zu umspannen suchen, sie bedarf keiner Gefiihls-
krucken mehr. Sie hat noch eine andere Aufgabe: die einzelne kiinstlerische Aufierung
in das kultureUe Weltbild einzuordnen, Zusammenhange aufzudecken, die zwischen dem
Leben und der Kunst heute wieder bestehen. Sinkt auf der einen Seite Kritik, die
sich in eine gegenwartsferne Ideologic verliert, zur gehassigen Geiferei oder zum brillanten
Feuilletonismus herab, drangt die Person des Kritikers sich selbstgefallig hervor, so er-
kennt man aid' der anderen ein neues Verantwortungsbewufitsein gegeniiber der Zeit.
Diese Kritik fuhlt sich Teil eines Ganzen, sie arbeitet sachlicher, ist mitunter vielleicht
auch trockener, sie dient mit Bewufitheit dem Zeitschaffen, sie setzt sich von der
Gegenwart aus mit der Vergangenheit auseinander, sie sucht die Arbeit der produk-
tiven Musiker zu befruchten.
Auch eine der heutigen Einstellung zur Musik entspringende Kritik, die den sti-
listischen und strukturellen Bedingtheiten eines neuen Werks nachzugehen sich bemiiht,
ist naturgemafi von subjektiven Momenten abhangig, wenn auch in geringerem Mafie
als eine einfiihlend-beschreibende. Es gilt eine Basis zu finden, auf der bei absoluter
Bejahung des Heute die subjektiven Fehlerquellen nach Moglichkeit ausgeschaltet werden.
Voraussetzung ist die moderne Gesinnung, ist die kritische Methode, welche das Werk
als feststehende Einheit annimmt und jede rein gefiihlshafte Beurteilung ausschliefit.
Nicht Objektivierung sondern Intensivierung, Verstarkung, Vertiefung soil erreicht werden,
wenn in Zukunft im „Melos" die Kritik von mehr er en ausgeiibt wird. Zufalligkeiten, die
jedes Einzelurted beeinflussen, sollen ausgeschieden werden. Es kann auf diese Weise,
unter standiger Betonung der Grundeinstellung, die sich mit der Grundeinstellung der
20 HEINRICH STROBEL
Zeitschrift deckt, em Bild der schcipferischen und nachschopferischen Erscheinungen ge-
boten werden, das weder von gesellschaftlichem Wohlwollen nocli von Ironie getriibt
ist. Diese Kritik ist fur den Kiinstler wichtiger, weil sie auf einer breiteren Basis gefallt
wurde. Sie gibt dem Leser der Zeitschrift eine viel grxindlichere Orientierung iiber die
augenblickliche Situation als der iibliche Musikbrief. Sie kann in starkerem Mafie als
gebrauchlich allgemeine Gesichtspunkte herausstellen, kann die kunstpolitischen Hinter-
griinde sicherer aufrollen. Sie mufi sich auf das Wesentliche beschranken und fallt
schon durch die Erwahnung oder Nichtervvahnung eines Ereignisses ein Urteil. Sie
bietet, da mebrere Menschen verantwortlicb an ihr arbeiten, die Moglichkeit einer sonst
n'ur schwer zu erreichenden Konzentration.
Eine Zusammenarbeit auf dieser Basis war naturgemafi erst moglich, als neue
Musik ein fester Wert wurde. Als sie den Charakter einer sensationellen Neuheit
abgestreift hatte. So bezeichnet, in anderer Weise, die Ausiibung der Kritik durch eine
{Commission wieder die gegenwartige Lage. Von einer neuen Einstellung zu den Phano-
meneii aus strebt man in den verschiedensten Kreisen nach der Gewinnung eines klaren
Bildes. Strebt man nach einer neuen Bindung durch die Musik selbst: in Theater, in
Chorpflege, in der Hausmusik, auch schon im Konzertsaal. Die gemeinschaftliche Kritik
wird diesen Absichten dienen.
DIE LEBENDEN
Otto Gombosi (Budapest)
BELA BARTOKS NEUESTE WERKE
Das Schaffen Bela Bartoks zeigt eine konsequente und strenge Linie der Entwick-
lung, die, wie ich es schon — das Analysierbare analysierend — audi an dieser Stelle
zu skizzieren Gelegenheit hatte, auf zwei Komponenten zuriickzufuhren ist. . Die
eine ist sein hellseherisches Zusammentreffen mit dem ungarischen Melos : Zusammen-
trefFen, indem er einer der Entdecker dieser unbeachteten lebendigen Volkskunst ist,
die von den hoheren Schichten der ungarischen Gesellschaft durch eine stadtische Gentry-
Zigeuner-Musik und Musikpraxis fast ganz uberschiittet wurde; hellselierisch aber, da
er die einzige Losung des Problems eirier werdenden ungarischen Musik erblickte : von
der Volkskunst die Gesetze eines Stiles abzulauschen, die in den Stricken fremden
Musikempfindens festgebundene und dem Ungaren doch die einzige Ausdrucksmoglichkeit
bedeutende Melodik zum formschaffenden Prinzip zu erheben. Der zweite Komponent
ist aber sein Interesse fur alles Neue in der Musik. Dies ist ja Notwendigkeit. Er steht
ja vor einer Aufgabe, die noch nie ein Einziger zu losen hatte. Er mufi mehr sehen,
mehr versuchen, mehr schaffen als die anderen. Fiir seine Arbeit ist alles nur Roh-
material, nur ein Magazin der Moglichkeiten, die er im gegebenen Falle verwerten kann.
Diese Einstellung mufi dann zwingend wirken: sie bedeutet nicht mehr Verwerten-
konne n, sondern, Verwertenmiiss en.
Stellen wir die Volksliedbearbeitungen Bartoks nebeneinander, so wird die chrono-
logische Folge der Werke neben dem Niederschlage dieses Verwertenmussens eine
eigenartig-einheitliche Entwicklungslinie zeigen. Angefangen bei den „10 Klavierstiicken"
iiber die ,,BagateUen", „Fiir Kinder", „Volkslieder" bis zu den „Improvisationen" und
uber sie hinaus bis zu den neuesten Werken konnen wir diese Linie verfolgen. Von
den einfachsten Gebilden schreiten sie bis zu den imitatorischen Stiicken des ,,Tombeau
de Debussy" in ungebrochener Reihenfolge. Der harmonische Gesichtskreis wird erweitert,
die Grenzen der Tonalitat ausgedehnt. Eine unerforschte Gesetzmafiigkeit bindet seine
Harmonien: ihr Weg ist genau vorgezeichnet und notw^endig. Sein Harmoniesy r stem
wachst aus der Melodik heraus : Es ist ein synthetisches Zusammenfassen, eine syn-
chronische Spiegelung des Melos. Alles koloristische steht ihm fern, jede bunte Vielheit,
aUes, was nur eine accidentale Moglichkeit und nicht absolute Notwendigkeit ist. Die
synthetische Harmonik fafit ganze Perioden in ostinatoartigen Harmoniespharen zusammen.
Diese Eisenkonstruktion tragt die maximale Last der Melodiebogen. Je weitblickender
die Harmonik wird, umso einfacher mufi sie werden. Grofiziigigkeit ist Einfachheit.
Dies zeigt sich am klarsten in den Modulationen; man betrachte z. B. die Wiederkehr
des — kolorierten — Themas im 3. Satze der Klaviersonate : mit einem einzigen Ton
ist dem harmonischen Gewebe die neue, abrundende Richtung gegeben: zwingend,
notwendig, okonomisch.
22 OTTO GOMBOSI
Neben clem allmahlichen Erlangen clieser weiten Perspektive der Harmonik geht
audi eine Differeiizierung des Satzgewebes vor sich. Die Problematik ist auf das
Kontrapunktische konzentriert. Es ist eine Wechselwirkung zwischen Harmonik und
Kontrapunktik vorhanden: je einfacher, je synthetischer die harmonische Fassung, umso
klarer der Kontrapunkt. Und umgekehrt: die ldare, massive, strenge Imitation legt
die Angelpnnkte der harmonisclien Entwicklung fest. Man vergleiche hierzu das Klavier-
konzert, die Klaviersonate, die Dialoge.
In seinen neuesten Werken kommt Bartok zum ersten Male mit den tieferen Problemen
der Form in Beruhrung. Audi bis jetzt strebte er grossen, geschlossenen, einlieitlichen
Formen nach. Doch erst jetzt wird die Frage brennend: was kann man aus der Materie
in orgaiiischster, okonomischster Form gestalten? An diesem Punkte erreicht er —
zuerst vielleicht in den Improvisationen — die wunderbare Welt der polyphonen
^Composition. Was er in den „Vier Dialogen" sdiuf, wandelt auf Bach'scher Hohe:
die Melodien sind ausdrucksvoll und plastisch, die StimmfiUirung von unerbittlicher
Logik, das Gleichgewicht der Formteile uiierschutterlich. Stellt man z. B. die Anfangstakte
dcs zweiten Streicliquartetts daneben, so fallt die veranderte Stelluiignahme sof'ort auf.
Hicr, im neuen Stil, die absolut lineare Gestaltung innerhalb der harmonisch festgelegten
Formteile; dort, in der Vergangenheit, der Kampf um die Freiheit der Meloddc, um die
Tragweite der harmonisclien Kopplungen. Hier herbe, stabile, verhalten-ausdrucks-
schwangere Beife, dort bewegtes, fesselnreifiendes Bingen um die Form.
Man ist gern geneigt, in dieser Wendung der Schreibweise die Nachahmung
Sd'awinskys zu erblicken; wenn man die zahnien, formalistisdien Passagen, Terz- und
Sexlskalen, die figurativen Kontrapunkte betrachtet, so ist es zweifelsolme klar, dafi die
riickblickende, mit mechanistiscli-ausdrucksunbetonten Elementen operierende Methode
Strawinskys den entscbeidenden Impuls gab. Bartok aber kennt keine Kojaie, keine
Nachahmung, keine Spielerei. Sein Vorbild gibt ihm eben nur den ersten Impuls und
nichts weiter. Er ist eben eine Personlichkeit, die aus eigener Kraft schopft und auf
ganz anderer musikalischer und ethischer Basis steht als Strawinsky. Scbon die auf-
I'alleiide Tatsache wirft auf das Verhaltnis beider ein grelles Licht, dafi laei Strawinsky
alles, Ijesonders aber die leicht hingeworfenen Gedanken, trotz — oder eben wegen —
der scheinbaren Atl'ektlosigkeit aus Abwehr ins Grotesk-spielerische umschlagen und —
was fur una nodi wichtigcr erscheint — in der besorgten Unbesorgtheit um die Leicht-
fliissigkeir — scheinbar aber um die Urnatur spielende Bliythmik frei auswirken zu
lassen — selbst die Form, die stabile Architektonik nur ausserlich aufrecht zu erhalten.
Was bei Strawinsky spielerisch ist, wird bei Bartok zum fiebernden Suchen und Finden;
was bei Strawinsky mechanistisches Wirkenlassen der Bliythmik ist, ersetzt bei Bartok
eine stets ptdsende, ausdruckssatte, aus tiefsten Seel enschich ten auflodernde rhythmische
Orgie, wie sie tier Basse scbon binge nicht mebr anerkennen will. Strawinskys Maunig-
faltigkeil, seine fliefienden, asyminetrisdieii, dyjiamiscben Formen sind dem, der Stabilitat,
Grossartigkeil, inneren Gesclilosscnbeit, organisch sich entwickelnden Notwendigkeit zu-
steuernden Forinwdlen Bartoks fremd. Strawinsky sagte sidi imierlich dem statischen
Ideal der geschlossenen Form los und streift das Verbliiffende. Bartok baut sich seine
Formenwelt selbst und tragt audi das Material allein zusammen. Sti-awinsky ist der
gi'insende Pessimist, Bartok der bitterernste Optimist.
BELA BARTOKS NEUESTE WERKE 23
Beweisen wir das Gesagte aiialytiscli. Man stelle etwa die Klavierkonzertc beider
Meister nebeneiiiander. Bei Slrawinsky: diinne. Fast jiur andeutungsweise gezeichnete
Linien, klare, durchsichtige Struktur, in der die ,,Strawhiskysmen" fast unangebracht an-
gebracht sind. Das mustergultig dahinrauschende Allegro vereint die elegante Kleidung
der italienisierenden Formsprache mit der geistreichen Beweglichkeit des gezahmten
russischen Rhythmus. Links und rechts ist aber das enge Gewand geflickt und zwar mil
fremdem Material. Da guckt hinter Pergolesi's Maske Strawinsky Jiervor: aus deni
frohen, frischen, gutgelaunten Edelmann wird erne gemacht-durnme, zweideutige, spottische
August-Fratze.
Bartdk aber will das Ideal des heranreifenden Barock auf einer anderen Ebene
verwirklichen. Er steht auf dem festen Boden des aus volkischem Gut aufgebluhten
Melos. Die melodischen Gedanken fliessen iiber selbstgestaltete Harmonieregionen und
ein elementarer Rhythmus halt das lebende Material in Bewegung. Ein zielbewufiter
FormwiUe waltet in dieseni grossartigen Versuch. Das am Papier sich aufdrangende
mechanistische Beiwerk der diatonischen Laufe und Kontrapunkt-Kombinationen ist
gewissermassen nur Luckenbusser, ist nur das aufzuarbeitende Rohmaterial. Das Werk
ist bestimmt ein Versuch: manches konnte noch anders sein; vielleicht ist die Ordnung
der Gedanken nicht aid's Gliicklichste ausgefaUen; vielleicht hatten Wiederholungen und
Wiederholungsketten verlassen oder verandert werden sollen. Es mag vieUeicht sein,
dafi Bartok schon bedeutendere, geschlossen-einheitlichere Werke gesclirieben hat. Doch
ist es nicht zu verkennen, dafi das Werk Formprobleme aufwirft, die seit den Violin-
sonaten kaum angeruhrt wurden, da die Tanzsuite in dieser Hinsicht nur den Ruhepunkt,
das Verweilen auf dem erlangten Plateau bedeutet. Das Konzcrt, die Klaviersonate, die
Inventionen weisen den weiteren einsamen Weg Bartoks.
AVohin fuhrt denn seine Bahn ?
Gewifi zum Auflosen des figurativ gebundenen Konti-apunkts. Er wird sich von
der „Objektivitat" der sozusagen choreographisch gebundenen, formalistischen, etikettmafiig-
streng sequenzierten, toten Bewegung, die selbst Bach nicht immer mit voHbltitigem
Leben fxillen konnte, retten mussen. Er wird der Bewegung, dem Ornament ihre
Bedeutung wiedergeben.
In der letzten Zeit beschaftigt sich Bartok intensiv mit den Klaviermeistern des
Friihbarock und wird erne Reihe von "Werken Frescobaldis und Michelangelo Rossi's
herausgeben. Die Friichte dieser Tatigkeit zeigen sich schon in den drei neuen kleinen
Rhapsodien, die er jungst uraufgefiihrt hat.
Ich hoffe, gezeigt zu haben, dafi in den neuen Werken Bartoks viel weniger von
einem Einflufi Strawinskys die Rede sein kann, als vor Jahren etwa vom Einflusse
Debussys oder StrauSens. Sie gaben ihm alle starke Impulse, doch ist die innere Logik
der Entwicklung unerschuttert und unerschiitterlich. Seine Personlichkeit ist in sich
geschlossen : wie im Leben, so steht er auch in der Kunst verschlossen, unnahbar da.
Er geht einsam seine gerade Sti'afie und trifft nur jene, deren Wege den seinen kreuzen,
MELOSKRITIK
Die neue. hier angestrebte Form der Kritik berulit darauf, dafi sie von
mehreren ausgeiibt wird. Dadurcli soil ilire Wertung von alien Zu-
falligkeiten und Hemmungen abgelost werden, denen der Einzelne
ausgesetzt ist. Langsam gewonnene gsmeinsarae Formulierung, aus
gleicher Gesinnung entstanden, erstrebt. einen hoberen Grad von Ver-
bindlicbkeit. Die Werkbesprechung will alle Bezirke gegenwartigen
Scba ffens umspannen. Die Aufl'uhrungsbesprechung mufi sich auf
Berlin als Knotenpunkt des deutscben Musiklebens beschranken.
Werkbesprechung
Hans Mersaian i — Hans Schidtze-Ritter
Heinrich Strobsl — Lothar Windsperger
1. ERNST KRENEK: „JONNY SPIELT AUF"
Es ist notig, auf diese Oper noch einmal einzugehen, da sie, gegenwartig an mehr
als funfzig Biihnen gespielt, fur den grofiten Teil aller Tlieaterbesucher als der Typus
der Zeitoper schlechthin angesehen wird. Wohl enthalt das "Werk eine Reihe von
Merkmalen heutigen Lebens (Milieu, Maschine, Jazz), doch wirken diese Dinge in ihrer
rein aufierlichen Stofflichkeit als Requisit. Zeit ist nicht gestaltet, sondern ihre auf-
dringliclisten Attribute werden skrupellos hingeworfen. Die sensatianelle Wirkung der
der UraurFiihrung mufite daher bei einer Wiedergabe bald verblassen, welche (wie die
Berliner) die Aufierlichkeiten bis zum plumpen Naturalismus und zur schlecht gemacliten
Revue vergroberte. Denn die Handlung der Oper ist trotz ihrer Haufung von Sensationen
und reifierischen Effekten im Grunde durchaus langweilend, weil die dramatische Spannung
sowohl innerhalb der Einzelbilder als auch zwischen den Szenen fortwahrend abreifit.
Die Musik bezeichnet in der bis jetzt ubersehbaren Entv\dcklung Kreneks einen
Tiel'punkt. Sie ist ein schlecliter Kompromifi zwischen romantisierender Oper und Jazz.
Diesem felilt jede ausgesprochene Haltung und Vitalitat; die Tanzrhythmuc bleibt stumpf.
Die formale Anlage ist von der gleichen Fliichtigkeit, welche die gesamte Ton-
sprache der Oper charakterisiert. Die Musik liiuft unorganisch und stiickweise dahin,
ohne den Text von sich aus zu gestalten. Nur einzelne Szenen, wie die zwischen den
Polizisten und zwischen Max und Yvonne sind organisch gebaut und erreichen eine
Verschmelzung zwischen Musik und dramatischer Situation. Das durchweg blasse Klang-
bild ist Resultat handwerklicher Unfertigkeit, die an der ganzen Partitur zu beobachten ist.
Wir wollen, statt iiber das Schopferische zu reden, den Komponisten selbst sprechen lassen
mit zwei Stellen, in denen wir (gestiitzt auf seine eigenen Aufierungen) den unmittelbarsten
Niederschlag seines musikalischen AusdruckswiUens erblicken diirfen. Sie sind nur durch wenige
(irjstrumentale) Takte von einander getrennt. Das sind die „beiden Spharen" dieser Oper.
MAX
appassionato
WERKBESPRECHUNG
25
Zehn Uhr ein-und- vier - zig 1 ! Wardas nicht ein Au - to -mo -Ml
2. INSTRUMENT ALKONZERTE
Kein Zufall, dafi die Zahl der jetzt geschaffenen Iiistrumentalkonzerte""von'Bedeutung
standig wachst. Eine Gattung, die schopferisch ein Jahrhundert ,.hrach gelegen hatte^
gewinnt aus der Vitalitat unserer Zeit heraus neue Daseinsberechtigung. Elementare
konzertierende Krafte iiberwinden die Architektonik der Sonatenform.
Unter den hier zur Diskussion stehenden Werken knvipft das Klavierkonzert von
Ernst Toch am deutlichsten an die altere Formtradition an. Der dualistische Charakter
seiner Themathik bedingt einen geschlossenen Formablauf, der sich mit der brillanten
Haltung des Konzerts mtihelos verbindet. Der eklektische Stil des Werkes verschmilzt
romantischen Ausdruck mit konstruktiver Polyphonie. Die auseinanderstrebenden Krafte
werden durch Schwung und Witz auf das gliicklichste gebunden.
Auch die Partita fur Klavier und Orch ester von Alfredo Casella kntipft an altere
Form an. Bei ihm ist die Beziehung zur Vergangenheit eindeu tiger. Er gewinnt aus
romanischem Formgefixhl klassizistiscbe Klarheit. Seine Melodik wurzelt im Nationalen,
sein konzertanter Sdawung ist liberaus glanzend. Die suitenhafte Einheit wird durcb
die Passacaglia in ihren stilistischen Widerspriichen bedroht.
Kurt Weills Konzert ftir Violine und Blasorchester (Opus 12) schafft sich im
Gegensatz zu den beiden vorher genannten Werken einen neuen, unsymphonischen Stil. .
Weill kommt auch hier vom Theater, das ihn in den Ecksatzen zuweilen in die Geste
drangt. Konzertante, dramatische und koloristische Elemente bewirken ein kontrastreiches
und fiir das Soloinsti-ument ungemein wirkungsvolles Nebeneinander. Der Grad stili-
stischer Abhangigkeit (Strawinsky) gefahrdet die Ursprunglichkeit Die drei zu einer Ein-
heit zusammengefafiten Mittelsatze binden Virtuositat in tanzerische Haltung.
Dem Violinkonzert Opus 29 von Ernst Krenek gibt thematische Einheitlichkeit
und Bezogenheit auf das Soloinstrument eine gewisse spi6lfreudig& Straffheit. Die vir-
tuos behandelte Geige macht den Mangel an Substanz weniger fiihlbar.
2,6 MEL0SKRIT1K
Volkstum als Kraft steht audi hinter dem Klavierkonzert Bela Bartoks. Aber
dieses Volkstum hat nicht mehr die suggestive Leuchtkraft seinei' friihen Werke. Es ist
durch eine personliche Entwicklung hindurchgegangen, die wiederum nur als Ted einer
allgemeinen Entwicklung verstanden werden kann (Strawinsky). Abstraktion vom shin-
lichen Klang legt in der Tiefe wirkende Urkraft blofi, welche als hammernde Rhythmen,
melodische Fragmente und starr gewordene Klange heraufgetrieben werden. So ensteht
eine Musik von vollendeter Objektivitat, aufierstev Gegenpol der Bomantik. Daraus
ergibt sich mit Notwendigkeit ein KlaA'iersatz von unvirtuoser, sachlicher Strenge.
Wenn Paul Hindemith in seinem Bratschenkonzert Opus 36, 4 zu einer aufier-
licli vielleicht ahnlichen Versachlichung des Konzertanten gelangt, so wirken hier vollig
andere Krafte. Sein elementares Musikantentum bindet ihn an das Leben, dem Bartok
entwachsen ist. Seinem starken Formwillen gelingt es, im ersten Satz eine vom Anfang
bis zum letzten Takt durchpulsende Bewegung der Bratscbe zu einem Ablauf von
eiserner Festigkeit zu binden. Durch Verbindung von musikantischem Spielbetrieb, der
sich im Finale bis zur Hereinnahme des bayrischen Avanciermarschs steigert, mit einer
neuen Polyphonie, die dem Komponisten zur natiirlichen Sprache geworden ist, entstehl
ein Konzertstil, der, aus der Zeit geboren, der Gattung einen neuen Sinn gibt.
Auffuhrungsbesprechuiig
Hermann Springer — Heinrich Strobel - Werner Wolffheim
Die Opernarbeit steht durch Intensitat unci Gewicht der Ergebnisse im Vordergrund.
Der fruchtbaren Entf'altung der Krafte traten Hindernisse besonderer Art entgegen. Die
Stadtische Oper miter Tietj en und Walter konnte zwar ungehindert arbeiten : die Staats-
oper, iiber der jetzt Tietjen als Generalintendant steht. nuifite sich mit der neuen Ver-
zogerung des Umbaus unter den Linden ablinden. Das alte Haus kann nicht vor
Fruhjahr erofi'net werden. Horth, der nevie Direktor, bleibt weiter auf die Krolloper
uud wenige Abende imSchau spielhaus angewiesen. Klemperer hat mit einiger Ver-
spatung sein Ami als Leiter der Krolloper angetreten uud mufi sich mit Horth in das
Haus teilen. Es ist offensichtlich, dafi sich aus dieser raundichen Beschrankung Schwierig-
keiten in der Probenarbeit und damit in der Repertoiregestaltung ergebeu.
Klemperer hat sich mit einer Auffuhrung von imponierender Geschlossenheit
eingefiihrt. Sein Fid elio, den er als Dirigent und Spieileiter voUig neu gestaltet, wirkt
reinigend als schopferische Tat eines mit unerbittlicher Konsequenz sich durchsetzenden
Widens, der auf deutlichste Herausarbeitung des Dramas, auf letzte Konzentration
gerichtet ist. Klemperer ist vom Werk besessen, er gibt die Musik mit zwingender
Bestimmtheit. UberaU ist der einheitliche Plan dieser Neugestaltung zu spiiren: in der
genau iiberwachtetr Dynamik der Geste, in der Zuriickdrangung des Singspielhaften, in
der gliedernden und steigernden Anordnung der Stellungen, in der Fuhrung des vom
lauten Pathos befi - eiten Dialogs, in der vom dekorativen Naturalismus losgelosten Szene
Ewald Dill bergs. Alles wachst mit innerer Notwendigkeit aus dem Organismus des
AUFFPHRUIVGSBESPRECHUX G 27
musikalischen Kunstwerks heraus. Im Kosttim wird der Zeitstil der Revolution her-
gestellt, in der die Rettungsoper wurzelt. Voraussetzung fur die Geschlossenheit einer
solchen Wiedergabe ist die Unterordnung aller Mitwirkenden unter die willensstarke
Personlichkeit des Fiihrers. Das Starsystem wird von Klemperer abgelehnt. Es ent-
sprache auch nicht der Bestimmung des Instituts, das in erste.r Linie als Volksoper
wirken soil.
Welche Gefahren diese grundsatzliche Einstellung in sich birgt, lassen die weiteren
Auffuhrungeu des Klemperer ensembles erkennen. Niu - eine so suggestive Kraft wie die
Klemperers vermag die Einzelleistung dermafien zu spannen unci dem Organismus des
gestalteten Kunstwerks einzugliedern, dafi Unzulanglichkeiten des Materials zuriicktreten.
Eine frulie Verdi- Op er wie Luis a Miller ist so sehr auf Glanz und Vollendung des Ge-
sanglichen gestellt, dafi die Intensitat des Dramatischen dieseii Mangel nicht aufwiegen
kann. Doch war innere Gespanntheit in dieser Auffuhrung, die von Zweig mit Hin-
gabe geleitet und von Schulz-Dornburg a us dem Geist der Musik heraus inszenieit
wurde. In dem Schillerschen Stuck fand Verdi die packenden Situationen und Effekte,
die er von einem Opernlibretto verlangte und die Cammarano unbekummert ura die
Psychologie der Zusammenhange mit starkem Theatersinn herausholte. Trotz vieler
sorglos hingeSchriebener, konventioneller Partien reifit die Musik an dramatischen Hohe-
punkten durch ihre elementare Kraft und ihren melodischen Reichtum inimer wieder
empor. Fur die Bestimmtheit von Verdis Stilentwicklung ist sie iiberaus lehrreich.
Die musikalichen Werte, am reichsten im Schlufiakt, rechtfertigen die Wiedererweckung
der Oper.
Die dritte Premiere der Klempereroper war Smetanas K u s s , mit der sich Zemlinsky
als Dirigent in Berlin einfiihrte. Die Innigkeit und volksliedhafte Frische der Musik,
in der sich ein zartes, von Schwermut beschattetes Gefiihl gegen den tanzfrohen Rhyth-
mus abhebt, lasst den ungeschickten Text ertragen, abgesehen vom Beginn des zweiten
Aktes, der nicht zu retten ist.
Noch vor Klemperers Fidelio brachte die alte Staatsoper im Krollhause den
Doktor Faust von Busoni. Sie bot damit eine ihrer starksten Leistungen der letzten
Jahre. Die Bedeutung dieser Auffuhrung lag darin, daB sie das Wesen des Werks, das
Erdhaftes und Jenseitiges verschmilzt und, wegstrebend vom Wagnerschen Musikdrama,
Oper als Spielgeschehen auf einer Ebene reiner Geistigkeit erneuert, zu lebendigster
Wirkung brachte. Die schwierige Realisierung der im Magischen ruhenden Oper wurde
von Horth und Blech, unterstiitzt von Aravantinos, in kaum zu tibertreffender Weise
gelost. Uberragend der Faust Friedrich Schorrs, von hochster Lebendigkeit der
Mephistopheles Scots. Das Werk, das mit Bewunderung aufgenommen wurde, hat
nicht auf Massenwirkung zu rechnen, es wendet sich an einen kleinen Ki - eis geistiger
Menschen.
In der Stadtischen Oper brachte Bruno Walter den Orpheus von Gluck in einer
eignen Bearbeitung, welche die mit Monotonie drohenden Ballettsatze der Pariser
Fassurig beschneidet und den schwachen Schlufi durch ein heiter-festliches Stiick aus
Echo und Narziss ersetzt. Walter lost die Partitur in weiches Gefiihl auf. Die
Schlichtheit und Einfachheit dieser Musik fordert letzte Gestaltungsgrofie, die in dieser
Auffuhrung nicht erreicht wurde. Das Werk ist auf Stiitzung durch die Szene ange-
28 MELOSKRITIK
wiesen. Das Unterweltsbild mit seinen im Dunkel verschwindenden Massen kam der
dramatisclien Idee nahe. Die Darstellung der Unwirldichkeit im Licht mifilang. Im
Elysium wie im Schlufibild storte die Versufilichung des Buhneiigeschehens, das Karl
Heinz Martin und Casar Klein formten.
Es war ein besonderes Verdienst Bruno Walters, dafi er sich einer Schopfung
annahm, deren klassische Einmaligkeit aucli heute noch lebendig gefiihlt wird-i Pelleas
und Melisande von Debussy. Walter mid Martin schwachten das Seelisch-Fliefiende,
Uiiwesenhafte des Werks durcb Unterstreichung des Dramatisclien ab, das angedeutet
ist. Dazu ergab sich ein Gegensatz zwisclien der Musik, - die Walter von sich aus ge-
schlossen gestaltete, und den Buhnenbildern Kainers, die zwisclien Uberphantastik und
werkfremdem Bealismus schwankten. - ,'
In Kreneks Jonny wollte der Begisseur Martin durch einen handfesten Naturalis-
mus imponieren. Er machte keinen Gebrauch von der vom Autor selbst gegebenen
Mogliclikeit einer andeutenden Elusion. In der musikalischen Darstellung durcli
Sebastian fiel der Mangel an innerem Schwung bei aufierem Brio auf.
In dem krisenhaft erschutterten Konzertbetrieb sind die Phdharmonischen Konzei'te
in bezug auf kuiistlerische Leistung und Publikumswirkung am sicliersten fundiert. Trotz
mancher Widerstande versucht Furtwangler neue Musik in vorsichtiger Auswahl nach
Mogliclikeit durcbzusetzen. Der Glanz einer bis ins Letzte durchgefedten Wiedergabe kam
der Komodie fur Orchester von Ernst Toch zugute: eine lduge, in ihren rhythmischen
Effekten unterhaltsame, virtuos geniachte Musik, die den Lustspielton bis zu lauter und
greller Komik steigert. Bei Furtwangler horte man aucli die zweite Suite aus Bavels
Ballett Daphnis und Chlo e, drei Stiicke von satter Leuchtkraft und idyllischer Gelost-
heit, die in ein Finale von wirbelnder tanzerisclier Bewegung miindet. Bavel erschien
aucli in einem Konzert, das Werner Wolff mit den Plidharmonikern gab. Das Tombeau
de Couperin ist in Form und Gehalt der reinste Ausdruck franzosisclien Kunstgeistes.
Der Dirigent stellte im gleiclien Konzert Kreneks Sieben Orchesterstiicke zur
Diskussion, die in ihrer Kurzatmigkeit niclit iiber den Wert von Studien hiiiauskpmmen ; .
Aufier Kleiber gibt aucli Klemperer in diesem Winter zehn Konzerte mit der
Staatskapelle. Er braclite neben der Sinfonietta von Janacek, deren unbefangeneVitalitat
durcli eine reiche Klangliclikeit gelioben wird, das Bratschenkonzert von Hindemith
zur Urauffulirung. Von Hindemith selber iiberlegen und sachlich vorgetragen und von
Klemperer in vorbddlicher Prazision begleitet, wurde es in seinein musikantischen Leben
und in der meisterlichen Gebundenheit seines personlich-schopferischen Stils mit
sturmischem Beifall aufgenommen. Aus der jungsten Produktion vermittelte ferner
Eugen Lang eine Ballade fur Bafi von Kurt Weill, welche die sclineidende Sprache
Brechts in diisteren Blaserklang hiillt, und die Geschichte von David und Goliath,
die E. W. S t e r n b e r g mit Anlauf zu satirischem Humor und greller Farbengebung fur
Bafi und Kammerorch ester komponiert hat. Heinz Unger formte, charakteristisch in
Klang und Bhythmus, die vom Ballet her bekannte Skythische Suite von Prokofieft
nach. Strawinskys Sacre konnte man in der Darstellung durch Oskar Fried wieder
begriifien. Bemerkenswert war die Berliner Erstauffuhrung der Messe des Lebens von
AUFFUHRUNGSBESPRECHUNG 29
Delius, der Zarathustra-Worte aus seiner sensitiven Personlichkeit heraus deutet. Karl
Schuricht trat fur ihn mit Energie und Uberzeugung ein. Die Singakademie unter
Georg Schumann erinnerte an den in Berlin lange nicht mehr aufgefiihrten Christus
von Liszt in einer leider stark gekiirzten, mystische Tiefen nicht erschliefienden Dar-
stellung, die iiberdies erheblichen Schwankungen unterworfen war. Man soil das
bedeutende Wei-k nicht wieder in Vergessenheit sinken lassen.
Schonbergs neues Str eichquartett op. 30 spielte das Kolis ch quart ett
mit absoluter Vollendung. Es brachte auch die sublimierte Romantik von Alban
Bergs Lyrischer Suite in unvergleichlich abgerun deter Interpretation. Der mit
arifierster Konsequenz durchgefiihrte Konstruktivimus Schonbergs gelangt im neuen
Str eichquartett zu einer fafibaren und durchsichtigen Gestalt.
U M S C H A U
JAZZ I.M KONSERVATORIUM
Jazz ist eine Tatsache, die eine Zeitlang neben unserem sogenannten Kunstleben her
lief, die dann durch ihren Einflufi auf bestimmte Komponisten auch in diesen bisher
so test umfriedeten Bezirk eingriff, doch von unserer Kunstpadagogik — zumal von den
offiziellen Bildungsanstalten — so gut wie gar nicht beachtet wurde. Die Frage,
ob ein ernst geleitetes Konservatorium das Recht habe, Jazzmusik zu pflegen bezw. ihre
Ausubung zu lehren, hat jetzt Dr. Hochs Konservatorium in Frankfurt mit der
Ankundigung einer Jazz-Klasse bejaht. Ein Rundschreiben des Direktors Bernhard
Sekles stellt aufier dem Unterricht im Gebrauch der typischen Jazz-Instrumente vor
allem auch regelmassige Ensemble-TJbungen sowie, fur spater, einen erganzenden Vokal-
kursus in Aussicht. Seldes ist sich der kultureUen Gefahren, welche die bisherige Jazz-
Praxis birgt, durchaus bewufit. Er verurteilt die als „Verjazzung" meisterlichen Gutes
bekannten Ausschreitungen der sogenannten Jazz-Komponisten. Er steht aber anderseits
auf dem Standpunkt, dafi man einen Kunstzweig nicht nach seinen Entartungen beur-
teden darf, dafi eine offentliche Musikbildungsanstalt gegeniiber einem Musikgenre, das
vom Gros unserer jungen Musiker schon aus Existenzgriinden zwangslaufig ausgeiibt
wii'd, nicht nur das Recht, sondern die Pflicht zu padagogischer Vorbereitung habe, und
dafi dieser Unterricht gerade im Falle „Jazz" die allgemeine Ausbildung des europaischen
Musikers in wesentliclien Ziigen wertvoll verstarken und erweitern konne. Insbesondere
verspricht sich Sekles in seiner Ankundigung von einem geordneten Spezialunterricht
im Jazz eine betrachdiche Hebung des technischen Niveaus der kulturell viel zu wenig
beachteten Unterhaltungsmusik, ein wirksames Gegenmittel gegen den in der modernen
Musik so stark hervorti'etenden Zug ins Abstrakte und Spekulative sowie, was als
Grundkomponente dieses Remediums zu gelten hatte, die Intensivierung des gerade
beim deutschen Musiker verhaltnismafiig gering entwickelten rhythmischen Sinns.
Das Ungluck hat es gewollt, dafi dem Musiker Sekles bei der literarischen For-
mulierung und Begriindung seiner Absicht, wie das bei seinesgleichen ja ofter vorkommen
soil, die Feder durchgegangen ist; dafi er im Uberschwang der Gefiihle, in iibertriebener
Bemiihung seiner stets regsamen Mentalitat und wohl auch mit einem Seitenblick auf
die Rentabilitat der seiner Leitung unterstellten Anstalt sich zu iibertreibenden Aus-
driicken hat hinreifien lassen, die seinen Plan bei angstlichen und voreingenommenen Ge-
miitern von vornherein in Mifikredit bringen mufiten. Es versteht sich im politisierten
Deutschland xmserer Tage leider von selbst, dafi die „Transfusion unverbrauchten Nigger-
blutes", die Sekles der europaischen Musik mit arztlicher Geste verordnete von alien, die
sich zur Verteidigung des Herkommens oder gar zum Schutz der „Volkischen Belange"
berufen fuhlen, alsbald mit einer entsprechend iibertriebenen ethischen, asthetischen
oder nationalen Geste zuriickgewiesen wurde; mochte dariiber auch der gesunde Kern
seines Planes^zum Teufel gehen. Schweigen wir indessen von dem mit einer gewissen
Methode „entfesselten" Sturm der Entriistung und von seinen realen Hintergriinden.
Fragen wir ganz einfach nach dem moglichen praktischen Nutzen der gedachten
Mafinahme.
JAZZ IM K0NSERVAT0R1UM 3J
Die Einrichtung einer Jazz-Klasse an einer groJJen, geachleten musikalischen
Bildungsanstalt erscheint prinzipiell wertvoll, weil damit von amtlichei' kunstpada-
gogischer Seite zum ersten Mai eine sonst vernachlassigte ernste Sache nach Gebuhr
ernst genommen wird: die Beziehung zwischen Volks- und Kunstmusik, der Ein-
flufi ihres gegenseitigen Verhaltnisses auf das Ganze unserer musikalischen und all-
gemeinen Kultur. Wer sich am Schicksal der Musik wirklich mitverantwortlich fiihlt,
wer vor den veranderten zivilisatorischen Bedingungen unseres Lebens nicht den Kopf
in den Sand steckt, sondern die Wandlung unseres Empfindungslebens und seiner Aus-
drucksformen taglich an sich selber erfahrt, der wird die ganze Schwere des Problems
,,Volks-Kunst und Bildungs-Kunst", „Unterhaltungs-Musik und Kultur 'Musik' - '' audi dann
richtig erfassen, die Notwendigkeit einer Losung bezw. eines Ausgleiches audi dann
richtig erkennen, vvenn die Uberbriickung jenes von alien Zeitbewufiten beklagten
,,Bisses" mit unzureichenden propagandistischen Mitteln angestrebt wird. Ein guter
Kenner der sogenannten Unterhaltungsmusik : Alfred Bares el ist erst kiirzlicb mil
einem auf tagtaglicher Erfahrung beruhenden Appell hervorgetreten, in dem es unter
anderem heifit: ,,Jazz komite eine Briicke zwischen Unterhaltungsmusik und holier Kunst
sein. Denn er stellt nicht nur in technischer Beziehung hochste Forderungen an die
Ausfuhrendeii ..... sondern verlangt auch improvisatorische, also eigentlich musikalische
Fahigkeiten — Unterhaltungsmusik sollte nicht bekampft, sondern gehoben werden.
Ihre Ausrottung ware Utopie."
Der praktische Wert des Jazz-Unterrichts erstreckt sich in gleicher Weise auf
das soziale, auf das allgemein padagogische und auf das spezifisch musikpiidagogische
und musikschopferische Gebiet. Das von Sekles nur summarisch betonte soziale Moment
wird durch Baresels Angabe drastisch unterstrichen, daft etwa achtzig Prozent unserer
Musikstudierenden von der Unterhaltungsmusik leben, ohne datur geniigend vorbercitet
zu sein. In der allgem einen Padagogik werden zur Zeit Versuche mit Gerausch-
und Unterhaltungsmusik angestellt, die sidi in psycho-physischer Hinsicht aufierordentlich
bewahren soUen. Was aber den eigentlich musikpadagogisch en Nutzcn einer
Beschaftigung mit jenem besonderen Genre moderner Unterhaltungsmusik anlangt,
so besteht dieser fur jedes unbefangene Auge ofl'eiikundig nicht nvir in einer Ve.rmehrung
der artistischen Ausdrucksmittel und Erweiterung ihres Gebrauchs, sondern auch in der
Starkung der musikalischen Urtriebe und gi'undlegenden Formelemente ; in reproduktiver
wie in produktiver Beziehung. Ernst Schoen hat in dieser Zeitschrift (Dezember-
heft 1927) die technischen Auswirkungen des Jazz auf die Kunstmusik nach den drei
Bichtungen: Vermehrung der iiblichen Klangfarben durch neue bezw. wiederentdeckte
Instrumente, Erweiterung der Technik der gebrauchlichen Instrumente (namentlich der
Blaser) und Begeneration des Spielti'iebs im Musiker ausfuhrlich dargelegt. Das letzt-
genannte Moment: der neue Antrieb zur Virtuositat steht mit dem von Seldes nur im
vagen Shine des „Ensembles", von Baresel dagegen in seiner ganzen schopferischen
Bedeutung angefiihrten innerniusikalischen Moment der ,,Improvisation" in innigem
Zusammenhang. Von den grundlegenden Formkraften aber wird der Bhythmus durch
die Beschaftigung mit dem Jazz in einem Grade entwickelt und gefestigt, wie es auf
instrumentalem Gebiet wo hi durch keine Gattung unserer Kunstmusik moglidi ware.
Gerade in diesem Punkte ist freilich von den Gegnern des Jazzunterrichts die Frage
32 U M S C H A U
eingeworfen worden, ob die europaische und gar die deutsche Musik denn eine solche
rhythmische Riickenstarkung notig habe, ob nicht ihr geistiger Rhythmus den vitalen,
trotz aller Zivilisation und Industrialisierung immer noch vitalen Rhythmus des Jazz an
Wirkung so himmelhoch iiberrage, dafi die Forderung des letzteren mit all ihren
Konsequenzen bei uns einer Selbsterniedrigung oder gar einem Selbstmord europaischer
Musikkultur gleichkomme. Dafi es aber audi auf kiinstlerischem Gebiet eine Degeneration
durch Inzucht gibt, dafi hier zur Erreichung bedeutender Leistungen von jeher immer
wieder die Adoption unverbrauchter fremder Substanz notwendig wurde, scheint den
Anwalten dieses Arguments gar nicht bewufit geworden zu sein. Die ganze Unklarheit
iiber diese Zusammenhange, namentlich in den Kreisen der bewufit national gerichteten
zeitgenossischen deutschen Komponisten wird durch nichts besser erhellt, als durch die
Tatsache, dafi einer, der mit ihnen in alien anderen Argumentationen gegeniiber der
„neuen Musik" ubereinstimmt : Friedrich Klose in seinen ,,Erinnerungen und Be-
trachtungen" im selben Augenblick ebenfaUs die Verarmung des rhythmischen Sinnes
beim deutschen Musiker beklagt, in welchem seine Gesinnungsfreunde iiber die bezugliche
Bemerkung von Sekles Zeter und Mordio schreien.
Alles in allem : Seldes hat mit seiner geschwollenen Propaganda, seine Gegnerschaft
mit ihrer nicht minder pathetischen, zum Teil unsachlichen Abwehr weit libers Ziel
hinausgeschossen. Dieses Ziel selbst aber ist bei niichterner Betrachtung eines Versuches
wert. Das Gelingen dieses Versuches, den Jazz als Lehr- und Ubungsstoff zu verwenden,
wird in entscheidender Weise von der richtigen kategorischen Einschatzung des Stoffes
abhangen. Jazz ist — und das hatte man von Sekles in der Ankiindigung seines Planes
gern als Pramisse gelesen — mit den uns gelaufigen Arten von Kunstmusik wahrlich
nicht auf eine Stufe zu stellen. Er ist, wenn wir den Begriff „Kunst" so verantwortlich
fassen, wie uns das unsere kulturelle Tradition auferlegt, tiberhaupt nicht musikalische
Kunst, sondern, wie ihn kiirzlich ein Jazz-Praktiker treffend gekennzeichnet hat,
musikalisches Kunstgewerbe. Als solches ist er fur die Tatigkeit des Berufs-
musikers wie fur den klanglichen Horizont des breiten Publikums gleich wichtig und
unter den heutigen sozialen Bedingungen vielleicht wichtiger zu nehmen als manche
Kunstkomposition, die sich ideell gebardet und im Grunde doch aus demselben
Holze geschnitzt ist. Jazz kann, wie wir ausgefiihrt haben, auf den Stand der reproduktiven
Musikpflege einen wohltatigen Einflufi iiben und das Musikschaffen selbst im Shine neuer
Triebhaftigkeit sowie neuer Lust und Form der Gestaltung nachhaltig anregen. Wir
wollen ihm unter dem Gesichtspunkt des europaischen Kunstbegriffs wahrlich keine
giinstigere Diagnose und Prognose stellen, meinen aber, dafi die gegebene geniigt, um
den Jazz-Unterricht im Konservatorium im Rahmen eines iiberwiegend von den geistigen
und ethischen Werten unserer Kunstmusik bestimmten Lehrplanes zu rechtfertigen.
Karl Ho 11 (Frankfurt a. M.)
CHAOS UN D GESTALT 33
CHAOS UND GESTALT
zu Adolf Weifimanns Buch: „Die Entgotterung der Musik" ')
'...'■■ 1.
,,Die musikalischen Zeiten iasen. Fiinf Jahre etwa sind fur den Betrachter so
reich an Erfahrungen, dafi er audi nadl sdieinbar endgultiger Zusammeiifassung des
Gegenwartigen ein nodi Gegenwartigeres, em Gegenwartigstes sieht." Adolf We ifi man n
schreibt ein Buch aus der Zeit lieraus, deren Zusammenhange er mit starken Instinkten
aufspiirt. Die Linie, welclie er aufzeigt und in kurzen, gemeifielten Kapiteln gestaltet,
scheint so wesentlich, dafi idi zunachst bei ihr verweilen mufi.
,,Was wir sehen, ist: der Geist erfand die Mascliine, die Maschine fesselt und treibt
den Geist." Wie immer, wenn ein Zeitgescbehen gezeigt werden soil, stehen die Jahr-
hunderte gegeneinander. Dem Jahrhundert der Bomantik steht das Jahrhundert der
Maschine gegeniiber. Maschine ist das Zeichen der Zeit. Hire Kristallisation in der
Musik ist das Klavier. „Leuchtet die Maschine in aUe Ecken der Welt, dann mufi Ro-
mantik notwendig sterben . . .Das entseelte, zum Schlagzeug werdende Klavier spricht
von entgotterter Musik."
Auf dem Grund dieser Anschauung erhebt sich Weifimanns Zeitdeutung. AUe
Bausteine der Gegenwart zertrummern die letzten Reste der Bomantik. Psychoanalyse
reifit den Schleier von den Geheimiiissen des Unterbewufitseins. Vor allem aber:
„Sport bekampft Musik". Audi aus dem Tanz wird Sport. Er hat die letzten Beste
der Orgie verloren und wird „Freiluftsport, eine der gesiindesten Beschaftigungen fiir
den Gegenwartsmenschen . . . ein musikalischer Erfolg der Maschine". Der Tanz aber
ist es, der das „neue Klangergebnis" bringt. Stopfldang, Schlagzeug, unerbittlicher
Bhythmus strahlen „unbandige spordiche Heiterkeit aus".
Dadurch geschah der „Verfall der Tristanerotik". Feierlichkeit und Sehnsucht
schwanden; Psychoanalyse ,,bringt audi das Verhaltnis zweier Liebenden zu einer Ein-
deutigkeit, die auf alles Kiinstlerische zuriickwirken mufi". Der Sieg des AUtaglichen
ist die Herrschaft von Badio und Film. Die Entgotterung der Musik schreitet bis zu
letzten Konsequenzen fort.
Aus dieser Lage erwachst ein Zeitbild, zu dessen Symbolen vor alien der Dirigent
gehort. Er ist die Primadonna von heute. Mit seinem einseitigen kiinstlich iiberstei-
gerten Wachstum hangt der Abstieg der Konzerte unmittelbar zusammen. Audi Kon-
zert wurde Betrieb, ein Glied der Maschine. Seine besondere Erscheinungsform sind
die Musikfeste, welclie sich zu Musikmessen entwickelten. ,,Der Uberflufi an Musikern,
schaffenden und ausiibenden, fuhrt von selbst zur Groteske." Die Krise der Oper liegt
nicht im Mangel an Stimmen sondern im Nachlassen der Produktion begriindet. So
ergibt sich „aus dem Weltchaos des Krieges ein Weltchaos der Musik". ,,Zwischen Chaos
und Maschine" stehen einige grofie Personlichkeiten : Schonberg, Strawinsky, Bartok.
Hier aber setzt der neue Blick ein. Er fiihrt ,,von der Maschine zum Menschen".
Gegen die objektive, maschinelle „neue Sachlichkeit" wachst etwas, „was wir als neue
Menschlickkeit bezeichnen konnten". Der Mensch wehrt sich gegen die Maschine.
') Deutsche Verlags-Anstalt, Smttgart, Berlin und Leipzig 192!}.
34 U M S C H A li
Uberail wird wiedcr gesungen. Liedhafte, oratorische Musik wird zum Trager von
Zukunftswerten. Die Stimmen, die der junge Musiker in sich niederschrie, drangen mit
potenzierter Kraft zum Leben: sie treiben ihn in die Ai-me einer neuen Romantik.
„Die Mascliine, des Menschen Werk, muft am Ende als Weltmacht sich selbst iiberleben,
wahi-end der Mensch mit seinen Sehnstichten bleibt". So erblickt der Kritiker der Zeit
auch nach der Entgotterung der Musik Zukunft.
Dieser AVeg durcb Weifimanns Buch lafit die Dreiteilung hervortreten, unter welcher
die Zeitdeutung gegeben ist. Zuerst wird die Maschine als Symbol einer neuen Welt-
anschauung und als Gegenpol gegen die Romantik aufgestellt. Dann wird von der
gewonnenen Hohe Ausschau gehalten auf Konzert, Oper, Radio und Film als Zeichen
des Verfalls. Aus aller dieser Zersetzung heraus aber richtet sich der Blick schliefilich
auf die Zukunft, welche als Uberwindung der Maschine neue Romantik sein wird.
hi Weifimanns kleinem Buche ist eine Fulle von Leben gefafit. Ein aufiergewohn-
liches Mafi von Erfahrung, Eindrucken und Kraft des Zusammenschauens riickt Musik
in den Strom der Zeit, macht sie zu einer Funktion ihres Atems wie Sport und Ma-
schine. Klare, knappe Formulierung, glanzende Schreibweise verleihen der Pragung der
Gedanken suggestive Kraft.
Alles das zwingt zu einer Auseinandersetzung. Sie mufi mit dem Vorbehalt der
Subjektivitat begonnen werden. Zeit zu sehen, ist immer eine Angelegenheit person-
licher Perspektive. Aber gerade um dieser Perspektive wiUen mufi dem „Bekenntnis"
ein Gegenbekenntnis gegenubergestellt werden.
Uusere Zeit, in ihrer unbegrenzten Fahigkeit der Aneignung fremder stilistischer
Inhalte, fallt auch in die Romantik zuriick. Aber es scheint mir Gefahr, die romantischen
Schwachezeichen, fiir welche Krenek der „Kronzeuge" des Verfassers ist, als Zukunft zu
deuten. Gefahr, Strawinslcys Spiel mit alteren Stilen, seine Liebe zu Tschaikowsky
als Uberwandung der „trockenen' - Epoche zu buchen, der die Klaviersonate entstammt.
Hochste, Gefahr, in der Romantik das Gottliche der Musik, in ihrer Uberwindung
..Entgotterung 1 ' zu sehen.
Wir begegnen uns: rasend ist das Tempo der Zeit. Was vorher das Werk von
Generationen bezeichnete, scheint sich jetzt in einem halben Jahrzehnt zu vollenden.
Romantik starb. Ihr ScheidegrulA mag Mahlers „Lied von der Erde" sein. Ihre letzten
Zeichen wurden umgedeutel: im impressionismus, der, noch einmal als Epoche begrenz-
bar, von Debussy bis zu Skrjabin reicht. Aus der Zersetzung des impressionistischen
Weltbilds \s r uchs Arnold Schonbergs einsame Entwicklung bis zum „Pierrot Lunaire".
Wir begegnen uns weiter: Chaos bricht ein. In Volksmusik und Jazz wachsen Urkrafte,
von wenigen getragen. schnell abgenutzt. Musik wird blofigelegt bis zur reinen Substanz.
Neue Gesetze ihres Wachstuins entstehen, die jenseits des Organischen liegen ; mechanische
Musik aber drangt zur Maschine.
Wir trennen uns : die Maschine (im weitesten Sinne) bleibt Episode. Musik, die
ihren Gesetzen nachgeht, liegt auf einem Seitenweg. Aktualitat und literarische Ein-
stellung uberschatzen den Grenzbezirk der mechanischen Musikerzeugung, der Reinton-
CHAOS UND GESTALT 35
systeme, des tonenden Films. Hier liegt scharfste Trennung des Schopferischen von der
Reproduction. Eine von maschinellen Impulsen getragene Musik aber ist em Stuck des
Chaos, ein Durchgang, ein Uberwundenes.
Dies aber scheint mir das Wesentliche : Uberwindung des Chaos ist nicht Uber-
windung der Maschine. Das Chaos ist uberwunden. Ein neues Weltbdd ist im Regriff,
Gestalt zu werden. Seine Konturen sind klar. Dieses neue Weltbdd aber ist „unromantisch".
Wir verstandigen uns auf dem Boden der Schlagworte. „Neue Sachlichkeit" ist mit
dem, was sich hinter ihr deckt, Symbol der Gegenwartigkeit und mufi es bleiben.
Sie ist riickwarts Absage sowohl gegen die Romantik wie audi gegen das Chaos.
Sie ist eine breite Platti'orm, stark genug, auch eine „neue Menschlichkeit" mit zu tragen.
In alien Fuhrenden dieses letzten Jahrzehnts liegt das gleiche Gesetz vorgezeichnet :
in Schonbergs Durchstofi vom zersetzten impressionistischen Weltbdd zum reinen Klang-
erlebnis, in Strawinsky, der vom chaotischen Urerlebnis der Elemente iiber die Poly-
phonie in eine gereinigte, ganz unromantische Tonalitat zuruckkehrt, in Bartok, der
gerade die romantischen Impulse seiner friiheren, von Kraften des Volkstums getragenen
Musik in eine sprode, herbe, zuhochst sachliche Tonsprache von letzter Konsequenz
verwandelt. Fiir die (wohl iiberhaupt miftliche) Gegenuberstellung von Hindemith
und Krenek aber ergibt sich nun die umgekehrte Perspektive. Hindemith ist es, der
die Tendenzen dieser Entwickhmg verkorpert, der Rilke aus einer neuen, wiederum
„sachlichen" Geistigkeit heraus voUig unromantisch vertont und im „Marienleben" einen
neuen Typus des deutschen Kunstlieds aufstellt, der aus dem vitalen Erlebnis des Konzerte
heraus die romantische Konfliktstellung der Sonate endgultig iiberwindet.
Wir woUen die Reinheit der Atmosphare nicht preisgeben, welche uns die Ent-
wicklung der letzten zehn Jahre schenkte. "Wir anerkennen, den Blick zu Tristan zuriick-
gewendet, den VerfaU seiner Erotik und die Entgotterung der Musik. Aber diese
Entgotterung stimmt uns froh. Wir bejahen sie. Und wenii der auch auf uns immer
mehr uljergreifende Sport aus den Landern stammt, „wo das Leben starker ist als die
Kunst", so mogen wir ihn getrost aufnehmen. Der Tristan hat uns die Kunst aufgedeckt
und entschleiert, die starker war als das Leben. Wir wollen sie nicht mehr. Die
Kunst, in der wir heute unseren Ausdruclc erblicken, soU ein Ted unseres Lebens sein,
eine seiner Quellen zugleich und seiner Funktionen.
Noch einmal : wir diirfen die Reinheit der Atmosphare nicht preisgeben. Wo der
Pendelschlag der Entndcldung in seiner Rtickbewegung auch die Romantik streift und
die Ki'aft hat, sie einzuschmelzen, da gehort auch sie zu den Zeichen der Zeit. Wo
sie aber als Krampf und Schwache begegnet, wie etwa in Kreneks „Jonny", wird die
Zeit mit unwiderruflicher Gesetzmafiigkeit iiber sie hinwegschreiten.
Wir griifien den neuen Menschen, welcher aus der neuen Atmosphare unserer
Musik herauswachst. Wir sind nicht besorgt, dafi er die Musik von neuem „verg6ttere".
Er ist Mensch, darum wird es Sehnsucht sein, welche ihn tragt. An ihm aber ist es
dieser Sehnsucht nicht nur Ausdruck zu geben, sondern: Gestalt.
Hans Mersmann (Berlin)
36 U M S C H A U
DIE NEUE TSCHAIKOWSKIJ-BIOGRAPHIE
Eilie erschopfende Biographie P. I. Tschaikowskijs, die den Grundforderungen, welch e
man an ein solches "Werk stellen darf, entspricht, besitzen wir — trotz unserer grossen
Liebe zu diesem russischen Komponisten — noch immer nicht. Audi die neueste sehr
umfangreiche Arbeit (Richard H. Stein, Tschaikowskij, Deutsche Verlags-Anstalt, Stutt-
gart, 1927., 508 S.) hat diese Liicke nicht ganz ausgefiillt und diese nur in der beachtens-
werten asthetisch-kritischen Wiirdigung des Schaffens P. I. Tschaikowskijs ausgeglichen.
Die Tatsache, dafi Rich. H. Stein sich ein grofies Ziel gestellt hat, dafi er sich nicht
nur mit dem Komponisten auseinandersetzt, sondern auch andere Gebiete, wie die
Geschichte der russischen Musik, streift, veranlasst uns, auf sein Buch naher einzugehen,
dessen Nach- und Vorteile zu notieren, zu wurdigen und sonst nach Kraften dazu
beizutragen, dafi in Zukunft ein Biograph eines russischen Komponisten den Bogen
nicht zu weit spannt und nur Gebiete beriihrt, die im Bereich seiner Kenntnisse liegen.
Uberschatzt er seine Orientierung der weitverzweigten russischen Probleme, so lauft
er unvermeidlich Gefahr, "Wertvolles und Ernstes neb en Minderwertigem und Frag-
wiirdigem zu geben.
Der Biographie selbst ist eine Einfuhrung in die Geschichte der russischen
Musik vorausgeschickt, die, obgleich sie auch von Tschaikowskij ausgeht, d. h. sein
Verhaltnis zu anderen russischen Komponisten und seine Einstellung zur russischen
Musik gelegentlich streift, immerhin den anfechtbarsten und nicht recht in den Rahmen
des gesamten Werkes passenden Teil bildet. Diese ersten 86 Seiten des Buches sind
aus den Bundfunkvortragen, die der Verfasser 1925 und spater, wenn ich richtig unter-
richtet bin, in einer der Volkshochschulen in Berlin hielt, zusammengestellt. Ihre
Zeitungsaktualitat hat es mit sich gebracht, dass einiges bereits veraltet und iiberholt
ist. Es geniigt auf das hinzuweisen, was Stein von den russischen Musikzeit-
schriften sagt.
Auch sonst gibt es in diesem Abschnitt Aufierungen, mit denen sich ein Kenner
russischer Musikverhaltnisse nicht immer einverstanden erklaren kann. Wenn B. H.
Stein meint, dafi bei uns keine Melodie Beethovens oder Mozarts, geschweige denn Bachs,
jemals so popular gewesen oder gewoi'den ist wie gewisse „Gassenhawerlin", wahrend
in Rufiland kein Gassenhauer sich an Popularitat mit den Melodien Glinkas messen
kann, so mufi man sagen, dafi sich in dieser Behauptung, so gern ich ihr auch sonst
beipflichten mochte, doch eine viel zu grosse und irrefuhrende Idealisierung der russischen
Musikverhaltnisse birgt. Ich mochte nur an die kunstlerischen Ergebnisse des letzten
allrussischen "Wettbewerbes der Harmonikaspieler hinweisen, auf dem gewisse russsische
„Gassenhawerlin" wahrhafte Orgien feierten. Leider war es ja auch in der Vorkriegs-
zeit nicht besser. Der Mittelstand und die oberen Zehntausend haben immer die
quasi-russischen und pseudo-italienischen Werke so gut wie die gefalschten Zigeuner-
lieder der AVjalzewa, Plewitzkaja und tutti quanti den Liedern Glinkas oder Tschaikowskijs
vorgezogen. Ahnliche Erscheinungen, so unerfreulich sie auch sind, konnen wohl liberal]
beobachtet werden, da sich fur inhaltreiche Musik doch immer nur ein verschwindender
Teil der Gesamtbevolkerung interessiert.
DIE NEUE TSCHAIKOWSKIJ-BIOGRAPHIE 37
Zu der im Kapitel iiber Glinka wiedergegebenen, von den meisten Biographen
aufgegriffeiien Mitteilung, dafi der Schopfer der russischen nationalen Kunstmusik im
Hause des Gesanglehrers Pollini sein eigenes Streichquartett einmal horte und dieses
nicht erkannte, mufi gesagt werden, dafi der durchaus ernst zu nehmende Freund und
Gomier Glinkas, W. P. Engelhardt, der in Dresden viele Jahre ein Observatorium unter-
hielt und dort kurz vor dem Kriege verschied, dies widerlegt und verneint; er behauptet
vielmehr, dafi diese Mitteilung auf einem Irrtum beruht. Folglicb miisste sie kunftig-
hin mit einer gewissen Einschrankung weitergegeben werden.
Sehr anzuerkennen ist, dagegen, die zwar etwas anfechtbare, aber durchaus originelle
und interessante Erlauterung der novatorischen Bedeutung A. S. Dargomyshskijs, auf die
wir hier leider nicht naher eingehen konnen.
Die Auffassung des „Lohengriii". welch e B.H. Stein als typisch russisch wiedergibt.
diirfte wohl ganz vereinzelt dastehen, denn gerade diese Oper erfreut sich bis auf den
heutigen Tag — und hatte es audi stets — der grofiten Sympathie der Russeii. Man
kann sogar sagen, dafi sie, da die spateren Werke Wagners, audi der „ Tristan", langst
noch nicht gentigend verbreitet sind, die beliebteste Oper des Bayreuther Meisters in
Rufiland ist.
Einem Druckfehler, vielleicht aber audi der Benutzung alter Quellen ist wohl die
Hehauptung zuzuschreiben — im Kapitel iiber die funf Novatoren — dafi Beethovens
Quartette Op. 127, 130 und 132 dem Vater des Grafen Wielhorskij gewidmet sind.
Dagegen macht der Verfasser im Nachtrag „Chronologisches Verzeichnis hervorragender
russischer Musiker" (ob die hier angefuhrten Musiker tatsachlich alle hervorragend sind_
lafit sich iibrigens sehr bezweifeln, da sich darunter Namen dritt- ja sechstrangiger
Komponisten befinden) selbst die richtige Angabe,indem er bei Fiirst Nikolaj Borissowitsch
Golitzyn schreibt: ,,Beethoven schrieb fiir ihn die drei seiner letzten Quartette".
Im Kapitel iiber Bimsky-Korssakoff vermissen wir leider die Frische und Unbe-
fangenheit, die zuweilen so herzerquickend in der eigentlichen Biographie Tschaikowskijs
wirkt. Es ist audi zu bedauern, dafi R. H. Stein hier iiber das tibliche einseitige und
eine griindliche Bevision fordernde Urteil nicht herauskommt, das sich bei uns nun
einmal gebildet hat und mit dem in der Zukunft wohl noch einmal ebenso griindlich
aufgeraumt werden wird, wie es R. H. Stein jetzt mit so mandien Zopfen, die noch
immer unserer Vorstellung von Tschaikowskij anhaften, getan hat. Audi die Behauptung,
dafi seine (Rimskij-Korssakoffs) letzten Werke merklich unter dem Einflufi Wagners stehen,
halte ich fur durchaus nicht zutreffend. Sehr angreifbar und unbegrimdet ist die Angabe
Rich. H. Steins, dafi das „Machtige Hauflein" d. h. M. P. Moussorgskij, N. A. Rimsky-
KorssakofF, A. P. Rorodin, M. A. Balakireff und C. A. Cui, zuweilen in einer Wohnung
zusammen hausten, Verkiinder des musikalischen Kommunismus waren usw.
Ferner stimmt es audi nicht ganz, dafi Anton Rubinstein, als er das Petersburger
Konservatorium griindete, ausschliefilich deutsche Kiinstler berief, denn einige Nicht-
deutsche waren audi im Lehrerkollegium. Zum Kapitel Anton Rubinstein ware aufierdem
noch hinzuzufugen, dass sich von den Opern dieses Komponisten „Der Damon" bis in
die letzte Zeit in Rufiland einer aufierordentlichen und vom streng kunstlerischen
Standpunkt aus kaum gutzuheifienden Reliebtheit beim Publikum aller Stadte erfreute.
38 UMSCHAU
(Stein nennt die Oper Rubinsteins „Gorjuscha" — „Gorjuschka"; das ist aber nicht
richtig, da es sich hier doch nicht um ein Diminutivum handelt),
Zu wenig hat der Verfasser von einem der interessantesten, aber audi von den
Russen selbst noch nicht nach Gebiihr eingeschatzten Musiker S. I. Tanejeff gesagt; das
was man hier vorfindet, ist in jedem Musiklexikon nachzulesen, ohne eine im entferntesten
leise Vorstellung von der Eigenart der Personlichkeit und des Schaffens desselben zu
erhalten. (Einen sehr wertvollen Beitrag zu den mehr als diirftigen biographischen
Quellen iiber Tanejeff bildet der vor zwei Jahren in Moskau erschienene Sammelband,
der neue Aufschlusse, Erinnerungen, Dokumente seines Lebens und Schaffens in reicher
Auswahl bietet. Diese Quelle miifite bei der Behandlung des Thema Tanejeff stets
herangezogen werden).
Unsere Vorstellung von Skrjabin beginnt sich nicht nur zu festigen sondern auch
schon etwas ,,offiziell" zu werden; das zeigt sich auch zum Teil beim Verfasser der Tschai-
kowskij-Biographie.
In seine kurze Ubersicht der neueren russischen Musik hat R. H. Stein auch den
Komponisten Rebikoff aufgenommen, doch ist er gegen diesen zweitrangigen Komponisten
und Neuerer aus der Provinz nicht immer milde genug. Rebikoff hat — man kann
sich zu seinem Schaffen stellen wie man will — doch auch Wertvolles geleistet. Seine
Oper „Christbaum" (nach einer Erzahlung Dostojewskijs) konnte auch in Deutschland,
nicht nur dank ihrer musikalischen Reize sondern auch durch ihre vornehme Sentimen-
talitat und leise Wehmut, Erfolg haben . . . wenn sie jemand kennen wurde.
Wir haben schon erwahnt, dafi einiges im ersten Teil des Buches durch das
Getriebe des Musiklebens bereits uberholt ist. Ganz fremd ist in Deutschland der jiingere
Tscherepnin ja nicht mehr, wie auch nicht mehr behauptet werden darf, dafi man
Prokofjeff in Deutschland fast gar nicht kennt. Die Werke des Kritikers Stassow sind
zwar, wie der Verfasser richtig sagt, in drei Banden gesammelt, die, nebenbei bemerkt
nicht alles erhalten, was dieser geschrieben hat; seine musikalischen Aufsatze fiillen
aber nur einen und zwar den dritten Band.
Im Kapitel uber die Musikgelehrten des neuen Rufilands sind einige Fehler richtig
zu stellen. Einen Musikgelehrten A. Finapek gibt es nicht; diese Bezeichnung ist lediglich
eine, durch den Druckfehlerteufel entstellte Schreibweise des Namens Finagin, der eine
kleine, aber neue Wege weisende Schrift tiber das russische Volkslied verfafit hat. Dieser
Autor hat einmal einen seiner Aufsatze unter dem Pseudonym B. Sotoff geschrieben,
das lange Zeit nicht einmal in Petersburg entziffert wurde. Der Name des Musikgelehrten
Garbusoff ist, wahrscheinlich wohl durch einen Druckfehler, in Garsuboff verwandelt.
Einen gtinstigeren Eindruck als die „Einfuhrung in die Geschichte der russischen
Musik", in der die Einteilung der Komponisten in „drei Initiatoren", „ftinf Novatoren",
„drei Traditionalisten" etwas sehi - gezwungen, kiinstlich erscheint, macht die Biographie
selbst. Wenn der Verfasser sich auch dann und wann auf sozial-politische und ahnliche
aktuelle Tagesfragen einlafit, die man ja auch vermissen konnte und mochte, so mufi
doch gesagt werden, dafi er seinem Gegenstand durchaus gewachsen ist, besonders soweit
dieses die Werke selbst betrifft. Heikle und schwierige Fragen, tiber die wohl immer
ein Schleier hangen wird, behandelt er in einer durchaus vornehmen Weise und sehr
zartfuhlend, so z. B. die Beziehungen Tschaikowskijs zu den Frauen und seine Heirat.
DIE NEUE TSCHAIKOWSKIJ-BIOGRAPHIE 39
Nicht jeder wird die Meinung des Verfassers teilen, dafi der Tod Tschaikowskijs nicht
nur von ihm gewollt, sondern auch herbeigefiihrt war.
Nicht nur in einigen rein biographischen Fragen geht R. H. Stein seine eigenen
Wege; er wahlt diese audi bei der Besprechung wie einzelner Gattungen von Werken
so auch bei einzelnen Werken selbst. Vieles wird auf diese Weise in ein ganz neues
Licht geriickt, gewinnt an Eigenart und wird beim Leser wahrscheinlich wohl Widerhall
und Anldang finden. Vielleicht wird dieser sogar, durch Stein angeregt, den Tschai-
kowskij in einen Tschaikowskij verwandeln.
Wenn der Verfasser auch einige Urteile fallt, die nicht leicht zu teilen sind,
so ist dies mehr auf personliche AufFassung zuruckzufiihren. Die Hinrichtungsszene
im „Mazeppa" wird ja nicht so iiberaus realistisch dargestellt, wie sich das R. H. Stein
denkt — ich habe dieses Werk ofters gesehen — und wirkt schliefilich durchaus nicht
brutaler als etwa die in Deutschland so iiberaus populare (weshalb eigentlich) „Tosca".
Die Kritik des „Eugen Onegin" habe ich mir gerade bei diesem Verfasser ganz
anders vorgestellt; so wie sie geschrieben ist, macht es fast den Eindruck, als ob R. H.
Stein auf den Komponisten b6se ware, dafi dieser sein Werk nicht nach dem iiblichen
Opernschema geschrieben hat. Es ware auch erwiinscht, das iiberaus tiefe Verhaltnis
der Russen zu dieser Oper (es ist bei der Intelligenz unbedingt inniger und aufrichtiger
als das zu Werken anderer Komponisten) dem der Westeuropaer und der Deutschen
gegeniiberzustellen. Uberhaupt hatte Stein mit diesem Kapitel wenig Gliick. Auf
Seite 151 sagt er: Das Publikum mufite sich erst daran gewohnen, Gestalten seiner
Zeit auf der Riihne zu sehen und weiter „zwischen dem 2. und 3. Akt liegt ein
Zwischenraum von etwa dreifiig Jahren". Die Oper handelt zum Beginn des 19. Jahrhunderts
aufgefiihrt wurde sie 1879; zudem dreifiig Jahre liegen zwischen dem 2. und 3. Akt
doch auch nicht.
Sehr viel Dank mufi man dem Verfasser sagen, dafi er mit dem Unfug der standigen
Verwechslung des „Schneewittchens" mit dem ,,Schneeflockchen" aufgeraumt hat, wenn
er audi in seinem Urteil zu dem Werk Ostrowskijs und der gleichnamigen Oper Rimskij-
Korssakoffs — wie es scheint — die richtige Einstellung nicht gefunden hat. Doch ist
die Behauptung, dafi diese Oper Rimskij-Korssakows in Deutschland noch vollig unbe-
kannt ist ebenso wenig mit der Tatsache zu vereinbaren, wie die Rezeichnung dieses
als eines schwachen mit dem auf Seite 319 angefiihrten Redauern.
Jeder, der die Werke Tschaikowskijs kennt, wird dem Verfasser beistimmen, dafi
es sich wohl lohnen wiirde, die drei ersten Symphonien auch einmal zu Gehor zu
bringen. Gut ist auch, dafi R. H. Stein die beiden letzten Symphonien in Hirer musntalischen
Verwandschaft betrachtet, was sehr wertvolle Ausblicke bietet. Weshalb aber der Ver-
fasser den „Sturm" so stiefmiitterlich behandelt, ist nicht ganz verstandlich, denn auch
dieses Werk wird wohl noch einmal als ein „gar nicht so wertloses Stiiclc" entdeckt werden.
Zur fast vernichtenden, doch durchaus gerechten Besprechung der Ouvertiire ,,1812"
ware noch hinzuzufiigen, dafi zu alien anderen Ubeln noch eins hinzukommt: der
Komponist verwendet in diesem Werk, das die Ereignisse des Jahres 1812 schildert, die
russische Nationalhymne, welche aber einige Jahrzehrite spater entstanden ist.
Dem Fachmusiker, wie dem Musikfreund, dem angeblichen, wie dem tatsachlichen
Tschailcowskij-Freund, kann das nicht warm genug empfohlen werden, was der Verfasser
40 UMSCHAL
auf S. 467 sagt. Es wiirde zu weit fiihren, hier Zitate zu bringen (obgleich es wohl
gerecht ware), doch sei kurz bemerkt, daft das Gerede vom Klavierkomponisteu
Tschaikowskij lediglich als Salonkomponist nichts anderes als eben Gerede ist, das nicht nur
gedankenlos hingesprochen, sondern leider auch ebenso gedankenlos wiederholt und
weitergegeben wird. Auch das Kapitel vom Liedschaffen des russischen Meisters ist
als sehr wertvoU zu empfehlen.
Wir konnten hier nur auf einige Kapitel eingehen und gestatten uns deshalb. zum
Schlufi einige wohlgemeinte Benierkungeii, die diejenigen Fehler aufzahlen, welche in
der zweiten Auflage, die hoft'entlich auch in der gesamten Konzeption gedrungener sein
wird, korrigiert werden irritlSten.
Vor allem kommt wiedenmi die leidige Transkription russischer Namen und Worte.
Im grofien Ganzen ist sie richtig, doch fiihrt sie der Verfasser nicht konsequent genug
durch. "Wenn er Sseroff und Ssolocha schreibt, so mufite es auch Ssarafan, Sseergejewitsch,
Ssadko, Ssascha, Ssologub, Ssnegurotschka, Ssapelnikoff, Karssawina usw. heiiJen. Immer
raehr iiberzeugt man sich, dafi das ,,sh" als Notbehelf beibehalten werden mufi. Es
heifit nicht Jaleika sondern Shalaika, nicht Muschik sondern Mushik; auch soil es nicht
Zaporoger sondern Saporoger, besser aber Saporoshzy heifien; aber nicht Syganoff sondern
Zyganoff. Die Oper P. I. Tschaikowskijs heifit nicht ,,Tscherewitschkij" sondern
„Tscherewitschki", da es sich hier urn ein Hauptwort nicht aber um ein Eigenschaftswort
handelt. Auch lautet das Eigenschaftswort von Kieff nicht kieffer sondern kiewer.
Ferner: nicht Obukoff und auch nicht Obukhof sondern Obuchoff.
Aid' S. 204 erwalmt der Verfasser die Tagebiicher Tschaikowskijs. Hierzu sei
bemerkt, dafi 1923 der Russische Staatsverlag die Tagebiicher des Komponisten aus
den Jahren 1873 — 1891 herausgegeben hat, die den breiteren Schichten der Musikliebhaber
nichts Interessantes hieten, dem Forscher und Biographen aber manche wertvolle
Anhaltspunkte und Material geben. Im Verzeichnis der wichtigsten Literatur iiber
Tschaikowskij, das auch eine Reihe russischer Bucher enthalt, ist dieses Werk nicht
angegeben. Es fehlt hier auch die zweite und wertvollere Biographie des Komponisten
aus der Feder Igor Glebows, die 1922 in Rutland erschien und neben einer ldeinen
Studie desselben Verfassers zu den geistreichsten und tiefsten Monographien iiber diesen
Tonkiinstler gehort.
Bei der Erwahnung des Widmungsschicksals des Violinkonzerts ware auch die
Gegenpartei — Leopold Auer — zu AVort kommen zu lassen. Auer aufiert sich in
seinem, 1924 in Amerika erschienenen, Erinnerungen „My long life in Musik" dariiber
avisfiihrlich. Dasselbe Buch bietet audi interessante neue Angaben iiber die Geschichte
der ersten Auffuhrung des „.Jewgenij Onegin" auf der kaiserlichen Biihne.
Bei der Besprechung der ,,Tolstoj-Gesange" — wie R. H. Stein die Lieder Tschaikowskijs
nach den Worten Tolstojs nicht gerade sehr gliicldich nennt — ist dem Verfasser insofern
ein Irrtum unterlaufen, als den Werken nicht, wie R. H. Stein das annimmt, Worte von
Lew Tolstoj sondern von Alexaj Tolstoj (1817 - 1875), einem sehr bedeutenden Dramatiker
und Lyriker, der auch bei uns durch die Gastspiele des Moskauer Kiinstler-Theaters
zu Worte gekommen ist, unterlegt sind. Die Worte des herrlichen, viel zu wenig beachteten
Liedes Tschaikowskijs „Gesegnet sei mir Wald und Au" sind dem Poem „Johann von
Damaskus" von A. K. Tolstoj entnommen.
DIE NEUE TSCHAIKOWSKIJ-BIOGRAPHIE 41
Fa(£t man kurz den Gesamteiiidruck von der neuen Tschaikowskij-Biographie
zusammen, so muii gesagt werden, date dem Verl'asser das Verdienst zukommt, uns
Tscliaikowskij als Menschen und Kunstler fast in alien seinen Schwachen und Hohepunkten
(die bei ihm nattirlich iiberwiegen) sowie seiner Vielgestaltigkeit nahergebracht zu haben,
was wir von dem was Stein uns von russischer Musikkultur und Musikgeschichte erzahlt
hat, leider nicht behaupten konnen.
Robert Engel (Berlin)
MUSIKLEBEN
ZEITSCHAU
Das Beethovenjahr ging zu Ende. Das Schubertjahr begann mit Glockenlauten
in alien osterreichischen Kirchen. 1928 wird Schubert feiern, wie 1927 Beethoven ge-
feiert hat. Man wird unzahlige Male die h-nioll Symphonie spielen, man wird gutge-
meinte Beden halten, Mannerchore werden Schubert singen. Es besteht die Gefahr,
dafi das Schubertjubilaum, ahnlich wie oft genug im vorigen Jahre die Beethovenfeiern,
vom Betrieb verschlungen wird. dafi der aufiere Aufwand in keinem Verhaltnis
zur inneren Notwendigkeit steht, dafi uniiberlegt nachgesprochene Phrase schliefilich als
Siegerin aus einer lauten Jubilaumsgeschaftigkeit hervorgeht, die nicht zuletzt der Be-
friedigung privater Ehrgeize und Eitelkeiten dient. Wir wissen, dafi das Lobpreisen der
Vergangenheit zu einer bequemen Zuflucht fur alle wurde, die der Auseinandersetzung
mit der Gegenwart angstlich ausweichen. Wir erinnern tins der offiziellen Festrede bei
der Bonner Beethoven feier. die sich als ein Pamphlet gegen die Musik der Zeit
entpuppte. Wir wehren uns dagegen, dafi nun auch das Schubertjubilaum zur reaktio-
naren Kundgebung mifibraucht wird. Denn die Feier kann nur Sinn haben, wenn sie
uns aus der Bejahung der Zeit heraus ein neues und lebendiges Verhaltnis zum Werk
Schuberts finden lafit, wenn gewohnheitsmafiige Urteile nachgepriift, gewohnheitsmafiige
Darstellungen durch eine heutige, vielleicht antitraditionelle, aber jedenfalls wahrere
Auffassung abgelost werden, wenn sie uns den unbekannten Schubert als lebendigen
BCsitz schenkt. Den wirklichen Schubert endlich gegen das populare Schwammerl-
und Dreimaderlhaus-Ideal durchzusetzen : das ist eine Pflicht im Jubdaumsjahr.
Man wird 1928 auch noch andere Feste feiern. Die gleiche Fragestellung : sind
sie gewohnheitsrnafiiger Brauch oder Notwendigkeit. Fur den Allgemeinen Deutschen
Musikverein ist die Situation kritisch. Es wird hochste Zeit, dafi er Anschlufi an die
Zeit findet, wenn er lebendiger Faktor sein will. Auch die Internationale Gesell-
schaft fvir neue Musik steht vor einer Entscheidung. Gewifi bedarf sie dauernd
diplomatischer Vorsicht, um die sehr verschiedenen nationalen Temperamente zusammen-
zvxhalten. Doch wird sie sich dartiber klar werden miissen, ob sie vorwiegend gesell-
schaftliche Ziele verfolgen oder aktiv das internationale Schaffen anregen will. Im
letzteren Fall dtirften Progi-amme wie 1927 fiir Frankfurt nicht mehr aufgestellt
werden. Die I. G. N. M. konnte, unbeschadet der viel schwierigeren Lage, dasselbe
werden, was Baden-Baden heute schon fiir Deutschland ist: Zentrum des neuen
Musikwollens. Vorlaufig warten wir ab, was Siena bringen wird. Die phantastische
italienische Kleinstadt mufi Besucher anlocken. Wir konnen sie nicht enttauscht verlassen.
Von der Ausschau greifen wir auf naher Liegendes iiber. Die inter nationalen
Beziehungen der deutschen Musik werden immer lebendiger. Augenblicldich locken
die benachbarten Lander mehr als das viel gelobte Amerika. Ein wichtiges Ereignis
ist zu verzeichnen: die Berliner Philharmoniker gehen zum ersten Mai nach
England. Feiern unter Furtwangler unerhorte Triumphe. TJberall werden die
letzten. Spuren der unhedvollen Trennung durch den Wahnsinn des Krieges getilgt.
ZEITSCHAU 43
In Paris dirigieren regelmafiig deutsche Kapellmeister im neu eroffneten Pleyelsaal.
Bruno Walter bereitet eine deutsche Mozart- Woche in der franzosischen Hauptstadt
vor. Kleiber war eben in Rom, und nach den grofien deutschen Dirigenten besuchte
nun audi das Amar-Quartett' das neue Rufiland, eben um dieselbe Zeit als der
Rn's si's die Staatschor zum ersten Mai ins Ausland geht.
Die deutsche Opernsaison setzt nach ruhigeren Monaten nun umso starker ein.
Wieder beweist das Rheinland seine Aktivitat. Der wirtschafdiche Konkurrenzkampf
der rheinischen IndustriestSdte regt das kiinstlerische Leben machtig an. In
diesem Zentrum heutigen Lebens sucht man auf verschiedenen Wegen eine heutige
kiinstlerische Gestalt. Essen eroffhete in diesem Winter seine Folkwangschulen, die,
von der Einheit der Kiinste ausgehend, eine Erziehung nicht zum asthetischen Kunst-
genufi sondern zum aktiven Kunsterleben versuchen und dabei von der gemeinschafts-
bildenden Macht der Musik ausgehen. Wie weit sich diese Absichten als fruchtbar
erweisen, wird die Zukunft zeigen. Gerade das Industriegebiet, in dem aus aufieren
Griiiiden neue Lebensformen viel deutlicher in Erscheinung treten als in anderen Teilen
Deutschlands, in dem der Gedanke des Kollektivismus aus den Bedingtheiten des Da-
seins erwachst, kann eine geeignete Basis fi'ir die Entfaltung eines neuen Erziehungs^
willens sein.
Bezeichnend fiir die Aktivitat rheinischen Theaterlebens, dass fast in alien Stadten
Intendantenwechsel stattgefunden haben. Man verpflichtet junge Krafte. Man bringt
neue Musik. Diisseldorf gibt „Cardillac" und veranstaltet dazu eine Bundfrage,
aus der zu ersehen ist, dafi man allmahlich die grundlegende Bedeutung dieses Werkes
fiir die deutsche Musik erkennt, dafi die Fabel von seiner Undramatik im Schwinden
begriffen ist. Essen stent Honeggers „An tigone" als Urauffiihrung heraus, dann
folgt wieder Diisseldorf mit den westdeutschen Premieren des „ Oedipus' Rex"
und „Der Zar lafit sich photographier en" von Kurt Weill, den Leipzig im
Februar zum ersten Mai geben wird. Attch in Koln plant man eine Neuorganisation
der Oper: man will einen eigenen Opernintendanten anstellen. Der Dresden er Regiss eur
Ehrhar dt und der Leipziger Briigmann werden genannt. Wir ziehen den Kreis
ein wenig weiter. Da erscheint Wiesbaden, das unter Paul Bekker drei neue
Kreneks auffiihrt. Da meldet sich auch schon Duisburg, das sich fiir 1929 die
OpernwOche des allgemeinen deutschen Musikvereins gesichert hat. Man sieht erfreu-
licher\\ r eise beim A. D. M. V. ein, dass die iiblichen Tonkiinstlerfeste sich totgelaufen
haben — beweist Schwerin 1928 das Gegented? — , man sucht Auswege. Die kiinst-
lerischen Zentren verschieben sich. Miinchen, einst Mittelpunkt deutschen Musik-
lebens, sinkt immer schneller ab, wenn auch Knappertsbusch jetzt Strawinskys
„Sacre du printemps" in der Akademie riskiert, auch Dresden kiindigt nur eine
Mozart- Woche und die beinahe schon traditionelle Strausspremiere an. Aber Berlin
steigt auf, seit Klemperer erschien. Er bringt „Oedipus Bex" ala deutsche Urauf-
fiihrung in einer neuen, mehr auf die Szene zugeschnittenen Einrichtung.
Strawinsky scheint nun in der Benaissance der antiken Klassik das endgiiltige
Ziel seines Schaffen gefunden zu haben. Man erfahrt, dafi er fiir die Bibliothek des
Weifien Hauses in Washington ein neues Ballet ,,Apollon Musagete" geschrieben
hat. Hindemith weitet inzwischen den Kreis seiner Instrumentalkonzerte auf Viola
d'amore und Orgel. Audi reifen Plane zu einer komischen Oper. Weill arbeitet den
sensationellen JVIahagonny" mit Brecht zusammen zu einem abendfulleiiden "Werk
urn, Honegger stellt ncben „Antigone" — eine Ru gby-Symphonie, wemi man
Pariser Nachricbten glauben darf.
,,Jonny" herrscht immer nocb. Wien hatte damit an Sylvester einen donnernden
Premierenerfolg. Es gibt audi komiscbe Zwischenfalle. In Kassel soil man Sabotage-
akte am technischen Apparat veriibt haben, um den Verlauf der Vorstellung zu storen.
in Augsburg protestieren die Volkischen gegen das Stuck, weil sie keine anderen
Sorgen haben. Und in Wien zetert Franz S chalk, der Direktor der Staatsoper, fiber
die Seuche des Jazz, der ,,grauenvollen Rfickfall in die Barbarei und vollkommenes
Geschmacksdebakel bedeute", iiber die ,,heulenden Saxophone und die kannibalisch
klapperriden Schlaginstrumente" — uritnittelbar vor der „Jonny"-Premiere an seinem
eigenen Theater. So begegnen die offiziellen Hiiter des Wiener Musiklebens der
neuen Musik.
Mitten in die Aktualitat der Tagesereignisse dringt die Kunde vom 90. Geburtstag
Cosiina Wagners. Fiir einen Augenblick wird die Bayreuther Welt uns gegenwartig,
als deren grofiartige Reprasentantin diese Frau unter uns lebt. Wir neigen uns vor im>
wenn auch ihr Lebenswerk nicht mehr Inhalt unseres Daseins ist.
Heinrich Strobel (Berlin)
NACHRICHTEN
KLEINE BERICHTE
In der Berliner Staatsoper fand die deut-
sche Uraufluhrung von Verdis Oper ,, Louisa Miller"
statt.
In Bologna wurdc ein bisher unbekanntes
Jugendwerk W. A. Mozarts aufgefunden. Der Titel
des Werkes „Isaak" hatte sich nur in einigen alten
Katalogen erhalten. Die jetzt aufgefundene Abschrift
zeigt eine im tiblichen Stil gehaltene Komposition,
deren Echtheit inzwischen festgestellt wurde.
Ende Dezember fand in Briissel die Urauf-
fuhrung von Honeggers „Antigone" statt. Die
Kritilc bezeichnet die AufRdirung als das bedeutendste
Ereignis auf der franzosischen Opernbuhne seit mehr
als einem Vierteljahrhundert.
Wie Generalmusikdirektor Rudolf Schulz-Dorn-
burg kiirzlich in einem Vortrag mitteilte, beabsichtigt
die Stadt Essen Dichter, Komponisten und Schau-
spieler zur Schaffung von Buhnenwerken aufzufordern,
die alljahrlich als Festspiel des Ruhrgebietes vorge-
fuhrt werden konnen.
AUFFUHRUNGEN
Das Stadtthealer in Freiburg brachte Rudi
Stephans hinterlassene Oper „Die ersten Men-
s ch e n "
fiihrung
zu aufierordentlich gescblossener Erstauf-
Vor kurzem wurde in Frankfurt a. M. das
Orgelkonzert op. 46 Nr. 2 von Paul Hindemith,
welches dieser zur Einweihung der Frankfurter Rund-
funk-Orgel geschrieben hat, uraufgefiihrt.
Im Staatstheater zu Wiesba den wurde Frederick
Delius' ,, Borneo und Julia auf dem Dorfe"
erstaufgefiihrt.
Rezniceks „Satuala" hatte im „Neuen The-
ater" in Leipzig einen groften Erfolg.
Im Dezember wurde in C o b 1 e n z der „ 9 8 P s a 1 m "
von Wullncr-Lendvai uraufgefiihrt.
PERSONLICHE NACHBICHTEN
Dr. Hans Mersmann, bisher Privatdozent an
der Technischen Hochschule zu Berlin, wurde zum
a. o. Professor dortselbst ernannt. Er wurde auch
vor kurzem zum Mitglied des Staatlichen kunst-
historischen Instituts in Leningrad gewahlt.
Die theologische Fakultat der Universitat Leipzig
hat den Kantor zu St. Thoma, Prof. Dr. phil. h. c.
Karl Straube zum Doktor der Theologie ehrenhalber
gewahlt.
NACHRICHTEN
45
Prof. Dr. Arnold Schering, Halle, wurde der
durch das Ableben des Prof. Dr. Abert an der Ber-
liner UniversitSt freigewordene Lehrstuhl der Musik-
wissenschaft angeboten.
Als Nachfolger des infolge Erreichung der Dienst-
altersgrenze auscbeidenden Prof. Dr. Altmann wurde
der bisherige Bibliotheksrat, Prof. Dr. Johannes Wolf
zum Direktor der Musikabteilung der Preufiischen
Staatsbibliothek ernamit.
Einer letzten Mitteilung zufolge hat Furt-
vv angler, der bei der New York Philharmonic
Society ah 1928 fur 3 Jahre verpflichtet ist, die
Gesellschaft gebeten, den Verlrag fur die Saison
1928/29 nicht in Kraft treten zu lassen.
VEBSCHIEDENES
Tagesmeldungen zufolge hat die Direktion der
Wiener Staatsoper funf Miigliedern der Phil-
harinoniker die nebenberufliche Tatigkeit als Jazz-
Musiker untersagt, da eine solche mil der AViirdc dps
Hauses nicht in Einklang stehe.
Das „In tenia tionale Musik ami" in Wien
wild eine fur alle Fragen der Musikpflege iind Musik-
erziehung eingerichtete „ In tern a tionale Aus-
kunftsstelle fiir Musik" ins Lehen rufen. Diese
wird - zugleich als slatistische Zentrale — in alien
musikalischen Angelegenheiten den Auskunftssuchen-
den, inshesondere audi den musikalisch Berufstatigen
mid ihren VerbSnden, als Berater und Heifer zur
Seite stelien.
Der „Al|gonieine Deutsche Musikverein'
wird mil der Stadt Duisburg zusammen sein iiber-
nachstes Tonkiiiisterfest im Jahre 1929 zu ciner
„Dcu(schen Opern feslwoche" gestalten. Geplanl
ist die Auffiihrung von sechs Opern, vondenen dreizeil-
genossische vom A.D.M.V. allein bestimmt, die drei
iibrigen aus Diiisburger Spielplan ausgewahlt werden.
Auffi'ihrungcn nioderncr Kaninicrmusik sollen die
Festwoche abrunden. Der A. D. M. V. fordert die
Komponisten auf, vollendete oder der Vollendung
nahc Opern bis spatestens 1. August 1928 einzureichen.
In der Musiksaninilung der iS'ational-
Bibliolhek in Wien wild ein Archiv der eigen-
handigen Nicdeiscliiiften der \V r erke musikalischer
Meislcr in originalgroRen, photographischen Nach-
bildungen eingerichtel werden. Das Kuratoriuni
dieses Photograuini-Archivs ist dieser Tage mit einem
Anfruf vol' die UH'entlichkeit getreten, in dem alle
Freunde der Tonkunsl, inshesondere aber alle offent-
liclien und privaten Samnilungen, gebeten werden.
ihren Besitz an Handschriften oder ihre Kenntnisse
ii in solehen Besitz dem Archiv zur Verfiigung zu stelien.
Aus den von der „Genossenschaft deutscher
Tonsetzer" herausgegehenen Mitteilungen „Der
schaffende Musik er" ist zu entnehnien, dafi vor
kurzem der „In tenia tionale Bund der Autoren-
gesellschaf ten zur Yerwertung musikalisch-
mechanischer Be elite" (Abkurzung : IBA) ge-
griindet wurde. Die GDT ist Grundungsmitglied der
IBA und in ihrcm Vorstand vertreten. Zum Sitz des
Bundes ist Berlin bestimmt worden.
Diesem Heft liegen bei:
ein Prospekt iiber Frank-Reiner-Streichinstrumente und
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Bruckner-Biograpb noeli zu Lebzeiten vorbereitet und
dessen Mitarbciter, Professor Max Auer, der bekannte
Bruckner- Forscher, fertiggestellt hat. Ein zahlreiches,
erstmals veroffentliclitea Notenmaterial, das die
Gliederung in einen Text- und einen Notenband not-
wendig machte, macht den Band besonders wertvoll.
Vorratig in jeder gutcn Bucli- und Musikalienhandlung.
GustaA 7 Bosse Verlag / Regensburg
ALOIS KOLB
RICHARD STRAUSS
Einmalige Portraitradierung
Bildgrfifie 48X30 cm
I bis L numerierte vom Kiinstler
signierte Japandrucke
je Rm. 30.-
1 bis 100 numerierte vom Kiinstler
signierte Biittendrucke
je Rm. 15.-
HOREN-VERLAG
B E R L I -N - G R U N E W A L D
DIE LIEDER
VON BRAHMS
in neuer A u s w a h 1
nur 1.80 RM.
40 ausgewahlte Lieder :
Liebestreu - Der Sclimied - Standehen: „Gut*
Naclit" — An eine Aeolsharfe - INiclit mehr zu dir
zu gelien — Wie bist du meine Konigin — Von ewiger
Liebe - DieMainacht — An die Naelitigall — Sonn-
tag - Der Gang zum Liebchen'- Am Sonntag Mor-
gen — An ein Veilchcn — Wiegenlied - Wenndunur
zuweilen laclielst — Meine Liebe ist griin — O wiifit'
ich docli den Weg - Minnelied - Sapphische Ode —
Der Tod, das ist die kiihle Naclit — Naelitigall - Dort
in den Weiden - Wie Melodien zieht es mir — Wir
wandelten — Immer leiser wird mein. Schlummer —
Auf dem Kirchhofe - Standclien: „Der Mond steht
iiber dem Berge" - Madchenlied — Sandmannchen
- Volkslieder: Scliwesterlein; Mein Madel; Och
Moder;InatiIl.Naclit;Fein9liebclien;DauntenimTale
Ausgabef.hohereStimme Ed.ScliottNr.117
Ausgabef.tiefereStimme Ed.ScliottNr.118
B. Schott's Sohne, Mainz / Leipzig
48
Eines der erfolgreicksten
Chorwerke der Gegenwarl
Psalmus
ZOLTAN
kodAly
Hungaricus
(Der 55. Psalm)
fur Tenorsolo, gemischten Chor und Orchester
Drei neue grojie Erfolge: Dresden, Wren und Leipzig
DRESDNER NACHRICHTEN : In der Tat ist der „Psalmus Hungaricus" ein Kunstwerk von
Rang. Die tiefen lyrischen Stimmungen, die Gegensatze von Tragik und Versohnung hat Kodaly
mit starker Ausdruckskraft erfafit . . . Die eigentliche Klage ist einem Solotenor in den Mund
gelegt, der Chor hat dabei mehr die Rolle des Erziihlers oder des Gegenspielers, das Orchester
giht die zusammenfassende Grundierung mit reicher moderner Charakteristik.
DER TAG, Wien : Von erschiitternder, niederschmetternder Wirkung sind die Chore, in denen
den Frevlern' der Erde mit dem Zorne des Weltenrichteis gedroht wird, verkliirte Schoiiheit
atniet das grofic Tenorsolo von der Verheifiung Gottes, uberwaltigend aber der hymnische Auf-
schwung des Schlusses, an den dann der Epilog sich anfiigt. Dieses Werk ist wie geschaffen,
zn dev Seele der Massen zu sprcchen, denn auch der einfachste Mensch kann sich seinem
erschiitterndeii Erlebnis nicht entzielien.
WIENER ALLGEMEINE ZEITUNG: . . . ein tiefes, ei'nstes, grosses, feierliches und
stiniinungssattes Chorwerk . . . ein Meistcrstiick.
DRESDNER NEUESTE NACHRICHTEN : Die Musik Kodalys ergreift und erschiittcrl. Mit
einer einfachen, im Unisono psalinodierenden Volksmelodie beginnt der Chor, eine Tenorstimme
lost sich herans, klagt, beschwort in immer gesteigertem Pathos, im Orchester zuckt es in
synkopierten Rhythmen, Chorstimmen brausen auf und beschwi'chtigen, singen langgedchnte
Seufzer. . . . Ein ganz wundervolles Werk.
Das Werk wurde fer/ier vor Jcurzem a. a. in Amsterdam, Solingen, Hagen,
Zurich, Cambridge aufgejiihrl. Zahlreiche Auffilhrungen stehen bevor, u. a.
Koln (Giirzenich), Witten, London (Rundfunk), Rotterdam, New York etc. etc.
U. E. Nr. 7547 Orcbesterpartiuir Mk. 20. -
U. E. Nr. 7524 Sludienpartitur Mk. 4. -
U. E. Nr. 6695 Thematische Analyse mit Text Mk. -.50
U. E. Nr. 8463 Klaviernuszug mit deutschem und englischem Text Mk. 5. —
U. E. Nr. 7550 Klaviernuszug mit deutschem und ungarischem Text .... . . Mk. 5. -
Ansichtsmaterial bereitwilligsl vom Verlag
Universal-Edition A. G., Wien-Leipzig
49
Manuel de Falla
im Verlage von
B. Schoii's Sohne
(lllllllllllllllllllllll)llllllltllllllllllllHIIIIIIIIIIIIIIIIItllillllllMllllllHINIIIIIIIIUtllllllHlillll
Mainz / Leipzig
IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIHIIIIIIIIIIMIIIIIIIIIIIIIIIIIHIIIMIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIllllllllllllllllllllllimi
Klavier zu 1 Handen
Fantasia Baelica m. 5
Homenaje (Dem GedSchtnis von
Claude Debussy) M. 2
Nachte in spanischen Garten
siehe Orchester
Zwei spanische Tanze
aus „Ein kurzes Leben"
zu 2 Handen Nr. 1, 2
zu 4 Handen Nr. i, 2
Fandango (Tanz der Mullerin
aus „Der Dreispilz") . . . . M
Farmca (Tanz des Mailers
aus „Der Dreispilz") .... M. 2.
Feuertanz und Pantomime
aus „Liebeszauber" . . . je M. 2.
Die Beichle des Sunders
aus ,,Liebeszauber" . . . . M. 1.
Je M.
je M.
2.—
2.50
3.-
Violine und Klavier
Suite populaire espagnole m. 5.—
1 . Le drap mouresque / 2. Berceuse / 3. Chanson /
4. Polo / 5. Aslurienne / 6. Jota
Violoncello und Klavier
Suite populaire espagnole m. 5.—
(Inhalt siehe vorstehend)
Gesang und Klavier
Chansons Populaires Espagnoles
Sieben spanische Volkslieder
Texle spanisch-franzos. hoch u. miiiel
(Original) M. 5.—
Gitarre
Homenaje (Dem Gedachlnis von
Claude Debussy) (Llobet) . . M. 2.—
Orchester
Nachte in spanischen Garten
(Nuits nans les Jardins d'Espagne).
Symphonische Impressionen
fQr Klavier und Orchester
Sludien-Parfilur M. 5. —
Klavier-Auszug (Klaviersolo mil
einem 2. Klavier zu 4 Handen) M. 8. —
Drei Tanze aus „Der Dreispilz"
Die Nachbarn / Tanz des MDUers / Schlusstanz
Zwischenspiel und spanischer Tanz
aus „Ein kurzes Leben"
Suite aus „Liebeszauber''
Konzert fur Cembalo (Klavier)
und Kammerorchester in Vorbereiiung
Buhnenwerke
Ein kurzes Leben (La vida breve)
Oper in 2 Akten (2 Bildern), Text
von Carlos Fernandez Shaw
Klavier-Auszug (jeutsch) . . M. 12. —
Texfbuch M. — .60
Meister Pedros Puppenspiel
(EI retablo de maese Pelro). Oper
in einem Akt nach Cervantes
Klav.-Ausz. (span.-engl.-franz.) M. 15. —
Textbuch (deutsch) M. — .60
Der Dreispilz (El sombrero de tres picos)
Balleltv.G.MartinezSierraKl.-Ausz.M.lO.-
Liebeszauber (El amor brujo), Andalu-
sische Zigeunerszene. Balleit mit Gesang
(unsichfbar)von G. Martinez Sierra
Klav.-Ausz. M. 10.-, Studien-Part.M.6.-
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Deutsche Volkslieder
Klavierbegleitung von Karl Aeschbacher
Schweizerische Volkslieder
Klavierbegleitung von Hans Jelmoli
Russische Volkslieder
Klavierbegleitung vonP.Juon, F. Petyrek, W. deWitt
Jtidische Volkslieder
Klavierbegleitung von Paul Juon und Willi elm Croft
Slawische Volkslieder
Klavierbegleitung von P. Juon, F. Petyrek, W. Groli,
B, P a u m g a r t n e r , H. Kauder, E. Lustgarten und
R. Kugele
Diese Sammlungen haben durclrweg ein Ge-
meinsame,s: daJi der Klavierbegleitung, bei
all em Respekt vor der Unantastbarkeit der
Melodie, mehr Wert und Gewicht beigelegt
wird, man wagt etwas mehr Farbe, etwaa vom
Geiste der Zeit einzustreuen. Daher "wohl
die neuerwachende Freud e am Volkslied.
Verlag G.e b r ii d e r Hug &
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Op. 32 STREICHQUINTETT
U. E. Nr. 8455 Partitur 16° Mk. 2. - - U. E. Nr. 8456 Srimmen Mk. 10. -
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Eine energie- und kraftgeladene Musik treibt die drei SStze des Quintetts in pulsierendem Leben
vorwfti'ts. Einfalle, getragen von machtigen inneien Spannungen, Gedanken, erfullt von leidenschaft-
lichem Schwung, formen hier ein Werk, das audi durch den Reiz seiner vielfaltigen Harmonik zu
den wesentlichsten Anderungeu der „neuen Musik" gehort. Es ist ein Stiick voller Ausdruck
und Substanz, gestaltet und gebaut von einem phantasiereichen Konner.
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Das wertvollste Stiick des Abends war Heinz Tiessens Streichquintett op. 32, ausgezeichnet durch
charnkterstarke Eingebung und durch die technische Kultur eines groBen Konners.
Op. 35 DUO FUR VIOLINE UND KLAVIER
U. E. 8437 Mk. 4. -
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Sehr 9tarken Eindruck, vor allem in dem gewaltig sich steigernden Finale, hinterliefi Heinz
Tiessen, op. 35, ein Werk von lebeiisvoller Eigenart und Ausdruckskraft.
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UNIVERSAL-EDITION A. G., WIEN-LEIPZIG
51
Philip p Jarnach
i'm Verlage von
B. Schott's Sohne / Mainz u. Leipzig
Klavier
Drei Klavierstiicke, op. 17 . je M. 2. -
Ballabile / Sarabande / Burlesca'
Sonatina (Romanzero I) op. 18 . . M. 5. —
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Kleine Klavierstiicke M. 2. -
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Sinfonia brevis fur Orchester, op. 11
Morgenklangspiel (Romanzero II)
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fiir Orchester, op. 19
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Kammermusik
Sonate fiir Violine allein, op. 13 . M.
Quartettf. 2 Violinen, Violau. Violon-
cello, op. 16 . Taschenpartitur M. 2. —
Stimraen . . M. 10. -
Zwei Sonaten von Giov. Platti (1740)
fiir Flote (od. Violine) u. Klavier,
bearbeitet von Phihpp Jarnach
Nr. 1 emoll, Nr. 2 Gdur . . je M. 2.-
Drei Rhapsodien fiir Violine und
Klavier (Kammerduette) op. 20
in Vorbereitung.
Gesang unci Klavier
Fiinf Lieder fiir eine Singstimme und
Klavier, op. 15 je M. 1.50
Lied vom Meer (Raizier Maria Rilke) / Ich hort' ein
Sichlein rausclien (aus „Des Knaben Wunderhorn) /
Riickkchr (Stefan George) / Der wunde Ritter
(H. Heine) / Aus einer Stnrmnacbt (Ritter)
Soeben erschienen die ersten Bande der neuen
MONTEVERDI-GESAMTAUSGABE
HERAUSGEGEBEN VON
G. FRANCESCO MALIPIERO
BISHER LIEGEN VOR:
FUNFSTIMMIGE MADRIGALE
u.
E.
Nr.
8761
Erstes Buch
u.
E.
Nr.
9426
Zweites Buch
u.
E.
Nr.
9427
Drittes Buch
u.
E.
Nr.
9428
Viertes Buch
u.
E.
Nr.
9464
Fiinftes Buch
(22 Madrigale)
(21 Madrigale)
(20 Madrigale)
(20 Madrigale)
(20 Madrigale)
Mk. 5.
Mk. 7.
Mk. 7.
Mk. 7.
Mk. 8.
Mit diesen fiinf Biichern, den „Fiinfstimmigen Madrigalen", welclie mit dem friihesten bisher
bekannten vollstandigen Werk Montevcrdis beginnen, leitet Malipiero seine Monteverdi-Gesamt-
ausgabe ein — Die Ausgabe enthalt keinerlei Striche oder Retuschen, will vielmehr das Original
in seiner vollstandigen Gestalt getreu wiedergeben. Sie ist geeignet, bei Sangern, Chorvereinigungen
und Musikfreunden das starkste Interesse zu finden.
Durcb jede Musikalien- und Buchhandlung zu beziehen.
UNIVERSAL-EDITION A. G., WIEN-LEIPZIG
52
FRITZ JODE
DAS SCHAFFENDE KIND
IN DER MUSIK
Eine Anweisung fur Lehrer und Freunde der Jugend
Gcsamtanlagc des Werkes:
1. Teil
A. Zur Theorie des Sdiaffens
1. Voraussetzung und Notigung,
2. Umrifi und Abgrenzung,
3. Anlage und Durdiftihrung.
2. Teil
B. Zur Praxis des Schaffens
1. Improvisation im Ansatz
2. Zum Frag= und Antwortspiel weirer,
3. Nebep dem Kunstwerk.
C. Beispielc dcs Sdiaffens
1. Spiele der Kleinsten,
2. Auf dem Wege ins Lied,
3. Studien zum Vorgang der Musik
Das Werk erschcinl in lolgenden Ausgaben:
1. Teil: Zur Theorie des S c h a f fens. 128 Seiten. 1.-4 Tsd. Kart. RM. 3.50. Besiell-Nr. 247 I.
Soeben erschienen.
Zur Praxis des Schaffens und Beispiele desSchaffens. 160 Seiten. 1. — 4. Tsd.
Kart. etwa RM. 5.50. Bestell-Nr. 24711 erscheint nocn vor Ootern i928.
Teil :
Zugleich erscheint dann die
Gesamtansgabe in einem Bande. 288 Seiten. 1.— 4. Tsd. Kart. etwa RM. y.-
leinen geb. etwa RM. 10—, B,stell-Nr. 247 G.
Ausiuhrlieher ProspeUt gem kostenlos.
Bestell-Nr. 247. In Ganz
Aus dem Nachwort des Verfassers:
„. . . Dali aufiere Grunde, die vor allem in der . . . Ausbreitung der Jugendmusikarbeit . . . mil ihren standig
wachsenden Ftihreraufgaben be^tanden, mich an dec Ausarbeitung hinderten, danke ich ihnen, weil ich da-
dureh Zeit (and, in standiger Arbeit mit Kindern und Krwachsenen zu vertiefen und auszubauen, worauf es
mir ankam . . . Uafi es s ch um das Tummeln in einem Lieblingsthema meiner Arbeit handelt, Avird eder,
der sich mit ihr auseinandersetzt. sehr ha'd fuhlen. Aldchten alle. die es tun. dabei ein wenig sich von der
Freude zu eigen machen, die meinen Weg durch das schaffende Spiel und die schaffende Arbeit der Kinder
begleitete, damit sie nicht niichternes Wissen aus diesem Buch ziehen, sondern wissende Freude, und diese
an die ihnen anvertrauten Knder weitergehen. Mochte die Arbeit dabei so durchgefuhrt sein, dass sie . . .
alien Kinderfreunden . . . den Weg zum Mitschwingen weisf.
Georg Kaffmeyer Verfag, WoffenBiittef=Berfin
MELOS
ZEITSCHRIFT FUR MUSIK
SCHRIFTLEITUNG: PROF. DR. HANS MERSMANN
Alle Scndungen fiir die Schriftleitung und Besprcchungsstiicke nacli Berlin-Grunewald, Neufertollee 5 (Fcinspr. Uhland 3785) erbeten.
Die Schriftleitung bittet vor Zusendung von Manuskripten urn Anfi'Qge mit Riickporto. Alle Rechle fur sSmtliche Beitriige vorbehalten.
Fur Anzeigen und Verlagsmitteilungen verantwortl. : Dr. Johannes Petschull, Mainz / Verlag: MELOSVERLAG (B. Scliott's Sohne)
MAINZ, Weihcrgarten 5; Fernsprecher 529, 530; Telegr. : Scotson; Postsehcck nur Berlin 19425 / Auslieferung in Leipzig: Linden-
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Die Zeitsclirift ersclieint am 15. jeden Monnts. — Zu bcziehen dnrch alle Bucli- und Musikalienhandlungen oder direkt vom Verlag.
Das Einzelheft kostet 1. - Mk., das Abonnement jahrl. (12 H.) 8. - Mk., viertelj. (3 H.) 2.50 Mk. (zuzttgl. 15 Pf. Porto p.H., Ansland 20 Pf. p. H.)
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ZUM INHALT
Im Mittelpunkt dieses Hel'tes steht das Klavier. Es ist kein Zufall, dafi der Streit
der Meinungen um dieses Instrument gerade in unseren Tagen wieder mit besonderer
Heftigkeit entbrannt ist. Seine Lage verdichtete sicli zur „Krise". Ernes Teils das
natiirliche Ausdruckssymbol des 19. Jahvhunderts und sclieinbar am Ende seiner Ent-
wicldung angelangt, wird das Klavier andererseits gerade zum hervorragenden Ausdrucks-
mittel der Gegenwart. Seine mechanisclie Tonerzeugung, seine naturliche Objektivitat,
seine unbegrenzte Expansionsfahigkeit im Iflanglichen macben es zum Trager wichtigster
Krafte der zeitgenossischen Miisik.
Von hier aus ist der Themenkreis gebunden, der iiber neue Moglichkeiten der
Sprache und der Darstellung hinaus audi das Verhaltnis 'zum Instrument selbst neu
formuliert. Die Krise des Iflaviers wird auch, zu einer Krise der Klavierpadagogdc, die
audi zu den technischen Vervollkommnungen des Instruments Stellung nimmt.
In dem wissenschaftlichen Teil wird die Diskussion iiber Schrifttum und Kritik,
die durch den programmatischen Aufsatz des ersten Heftes eingeleitet war, weiter gefuhrt.
Einige andere, ahnlich gerichtete Aufsatze werden folgen. Sie versuchen in ihrer Gesamt-
heit das Problem der Kritik und Analyse zeitgenossischer Musik zu klaren, das sich an-
Igesicbts mancher neuen Publikationen auf diesem Gebiet wohl ebenfalls als Krise
tdefinieren lafit.
Die Schriftleitung
MUSIK
Hans David (Berlin)
KRISE UNSERER TASTENINSTRUMENTE
l.
Die Wandlung der kiinstlerisclien Gesinnnng, die in der Musik der letzten Jahre
(man wird bald sagen diirfen: Jahrzehnte) sich auswirkte, hat, wie bereits kiirzlich in
dieser Zeitsclirift betont worden ist '), audi unser Instrumentarium nicht unweseiitlich
verandert. Den grofiten Gewinn diirfen die Blasinstrumente buchen, denen endlich
wieder die Aufgabe zuteil wird, wie ini Gesamtorchester etwa Mozarts oder Haydns an
exponiertester Stelle solistisch hervorzutreten oder gar wie ini Blaserdivertimento, der
Blaserserenade des 18. Jahrhunderts ohne Mitwirkung eines Streichers ein Stuck unein-
geschrankt zu tragen. Da£ ferner das Schlagzeug, dessen Verwendung in der .,,Gebrauchs-
musik" aufierordentlich ausgedehnt und wesenrlich verfeinert worden ist, in der so-
genannten „hohen" oder „ernsten" Ktmst die errungene technische und kunstlerische
Erweiterung auswerten wird, konnen wir hoffen und wohl vorhersagen. Die Streicher
sodann haben sicli neue Gebiete der Gelaufigkeit, insbesondere auch der Intonation
(ein viel zu wenig beachtetes Moment) erschlieCen miissen; den Instrumenten audi
dieser Musiker lafit der neue Geist unbedenklich und ohne bedeutsamen Vorbehalt die
Anerkennung zukommen, die ihnen friihere Generationen gezollt haben.
Demgegeniiber erscheint seit einiger Zeit der Wert unserer Tasteninstrumente zu-
nehmend als problematisch. Die Beliebtheit der Orgel hat, wie etwa das fast vollige
Versiegen der Produktion seit Reger deutlich macht, weiterhin erschreckend abgenommen ;
gleichzeitig lafit sich bemerkenswertes Anwachsen einer Interesselosigkeit, ja Abneigung
dem Klavier gegeniiber aus mannigfachen Anzeichen erschliefien. Es wird Zeit, dafi
diese Erscheinung einmal im Zusammenhang Betraclitung finde.
Dafi |das Ansehen der Orgel unverhaltnismafiig gering genannt werden mufi, er-
klart sich, so scheint mir, nicht aus dem Wesen des Listruments, sondern aus der Art
der allgemein verbreiteten Dispositionen. Die Wdhelminische Ara hat, wie an den
Kirchen die Fiille der Details, so an dem vorzugsweise kirchlichen Instrument den Reich-
tum der Register und ihrer Zusammenstellungen immer wieder zu iiberbieten getrachtet.
Infolgedessen besitzen wir allzuviele Orgeln, bei denen ein „rauschendes" forte nicht
einmal das unentbehrhche Mindestmafi von Deutlichkeit erfiillt. Dieser Typus von
Werken macht ein gesundes Verhaltnis des Zuhorers zur Orgel nahezu unmoglich; der
Listrumentenbau mufi, so sclmell eine Umstellung sich durchfiihren lafit, von den un-
kunstlerischen Kolossen. deren Anscliaffung man doch den auf Klangmasse (unhoflicher
ausgedriickt: musikalischen Larm) eingestellten Besitzern von Kinopalasten iiberlassen
moge, zu der ruhigen Klarheit, die sich aus den Dispositionen eines Praetorius, eines
Bach ergibt, zuriickkehren. Ich bin iiberzeugt, dafi dann die Orgel miihelos wieder als
') Man vergleiche den Aufsatz von Ernst Schoen: Jazz- und Kunstmusik, Melos 1927 Heft 12.
KRISE UNSERER TASTENJNSTRUMENTE 55
„Konigin der Instrumente" Anerkennung finden wird: ihre Krise ist voriibergehend,
durch einfache Beschrankung innerhalb einer jeden der in der nachsten Zeit zu schaffenden
Anlagen zu beheben. 2 )
2.
Weit bedenklicher noch stellt sich mir die gegenwartige Lage des Klaviers dar;
denn hier wird hicht der einfache Verzicbt auf eine unnotige Kompliziertheit des In-
struments bequeme Abhilfe scbaffen konnen. —
Wenn Instrumentalisten oder Sanger, die eine wirklich vollkommene Intonation
durchfuhren, von einem Klavier begleitet werden, so erscheinen vielfach Klange des
Tasteninstruments als verstimmt, einzelne Tone wohl geradezu als falsch (obwohl an
anderen Stellen deutlich wird, dafi diese Tone nicbt etwa tatsachlich verstimmt sind).
In solchem Falle pragt sich die Unvohkommenheit selbst unserer Fhigel besonders
merklich aus ; wir schliefien, dafi die Einwande gegen das Klavier mit seiner Intonation
zusammenhangen miissen. Man wird nun zunachst denken, die gleichschwebende Tem-
per atur (die ja von Sangern und jenen Instrumentalisten, die nicht auf Instrumenten
mit feststehenden Tonhohen spielen, nicht angewendet wird) entfremde uns das Tasten-
instrument. Indessen, eine gleichschwebend temperierte Harfe, gut durchgestimmte ein-
fache Register einer temperierten Orgel werden niemals Bedenken erwecken. Die
gleichschwebende Temperatur an sich also kann nicht etwa den Klang des ihr ge-
horchenden Instruments in Mifigunst bringen. Weiterhin auch die wahrend der letzten
Monate mehrfach gehorten Cembali (oder Ibachords) wirkten klanglich und ihrer In-
tonation keineswegs unbefriedigend : noch die Verbindung der gleichschwebenden Tem-
peratur mit einem Klangkorper, dessen Tone durch von Tasten her angeschlagene Saiten
erzeugt werden, zeigt nichts von dem empfindlichen Mangel des doch so wenig unter-
schiedenen Klaviers.
Der charakteristische Eindruck jeder Intonation ist naturgemafi in erster Linie
abhangig von der tatsachlichen Tonhohe des erzeugten Klangs. Physikalisch gemessen kann
nun fredich jede einzelne Stufe unseres Tonsystems durch verhaltnismfifiig stark unter-
schiedene Tonhohen dargestellt werden. Denn der melodische und harmonische Zu-
sammenhang verlangt fast stets gewisse Abweichungen von dem errechenbaren Mittel-
wert der gemeinten Stufe; auch duldet unser Gehor (das glucklicherweise in dieser
■'■ Beziehung nicht abzu empfmdlich ist) Schwankungen des Tons nicht nur in dem Aus-
schnitt, der durch den Mittelwert einerseits, seine (durch die Umgebung bestimmte)
giinstigste Klanghohe anderseits begrenzt wird, sondern darixber hinaus gewisse, gelegent-
■"!' lich nicht unwesentliche Abweicliungen des intonierten Tons vom zu verlangenden.
| Nichtsdestoweniger empfindet man nicht selten Tone, bei denen der Abstand zwischen
dem gespielten und dem als richtig wirkenden Klang durchaus gering bleibt, als falsch.
So wird schon mancher Geiger bemerkt haben, dafi es sozusagen eine ,Jntonation der
2 ) Wirtschaftliche Gesichtspunkte werden sicherlich die kiinstlerische Entwicldung gunstig beeinflussen.
Sie werden vielleicht audi allmahlich dazu fiihren, dafi anstatt der fur jeden Ton jedes Registers eine eigene
Pfeife benotigenden Instrumente vereinfachte, auf elektrischem Wege die Tone erzeugende treten, wiesie
aus dem Tasteninstrument von Jorg Mager oder dem bisher noch tastaturlosen Apparat von Prof. Theremin
wohl entstehen konnten.
Das angedeutete Problem bildete ubrigens einen Brennpunkt der auf der Freiburger Orgelbauertagung
1926 abgehaltenen Diskussion; man findet Mitteilungen daruber im Bericht.
56 HANS DAVID
Bogenfiihrung" gibt. Eine entsprechende Erscheinung lafit sich beim Gesang beobachten,
indem mancher eigentlich ungeniigend intonierte Ton als noch angenehm hingenommen
wird, wahrend ein objektiv besserer den Gharakter des verstimmten tragt. Die Wirkung
der Intonation eines Tones ist in jedem Fall nicht von der Tonhohe allein abhangig,
sondern nahezu ebensosehr von der Art der Tongebung.
Von hier aus klart sich das eigenartige Problem unseres Klaviers. Gegen die
Methode seiner Einstimmung, die an anderen Instrumenten ausreichende Ergebnisse
erzielt, lafit sich ein Einwand nicht erheben. Da die Intonation dennoch nicht recht
zu befriedigen vermag, mufi die Klangerzeugung des Instruments verantwortlicli gemacht
werden. Der Klavierton wirkt nicht als rein, weil er nicht durchaus klar ist, weil er
nicht genugend voll und rund heraustritt. Man wird den physikalischen Grund dieser
Tatsache aus einer Schalluntersuchung unschwer erkennen konnen ; fur die Praxis ergibt
sich die Forderung nach einer Anderung der Mechanik unseres Instruments.
3.
Dafi die Intonation des Klaviers unsere Wiinsche nicht so weit wie viele andere
Instrumente zu erfullen vermag, ist nur ein grobstes Anzeichen eines zwar geringen,
aber doch ausschlaggebenden Ungeniigens des Klavierklangs als solchen, das auch im
Augenblick der groftten klavieristischen Leistungen stets unbewufit oder bewufit mit-
gefiihlt wird.
Wenn etwa Gieseking spielt, empfinden wir die Klange, die der Pianist dem
Miigel entlockt, als iiber die Moglichkeiten und Charakteristika des Klaviers weit hinaus-
gehend. Wir geniefien nicht eine Verfeinerung des Instruments, eine Steigerung der in
ihm beschlossenen Eigenschaften, sondern gleichsam die Ubertragung eines anderen Ton-
korpers (vielleiclit einer Harfe) auf diese Mechanik, die sich ihrer Natur nach der im
Spiel aufbluhenden Seele fremd gegeniiberzustelleii scheint. Was uns geschenla wird,
nehmen wir als Verbiegung des spezifischen Klaviergeistes, Auflosung des Klavierklangs
entgegen: wir fiihlen einen Sieg iiber das Instrument, nicht einen Sieg durcli die Idee
des Instruments selbst. So mischt sich in unserem Eindruck mit der hochsten Be-
wunderung fur den Kiinstler unwillkiirlich eine Absage an das Instrument. 8 )
Das Musizieren von Edwin Fischer ferner reifit uns mit fort, ohne dafi uns sein Werk-
zeug lockt. Wir erkennen, wie der Kiinstler den Fliigel vollig meistert. und doch bleibt
uns das Instrument gleichgiiltig. Wahrend der Geiger hochster Vollendung gerade die
unbeschreibliche Sclionheit der Violine lebendig macht, vergessen wir hier, welche Ver-
mittlung uns eigentlich die Tone, das musikalische Geschehen zuleite. Vom Klang
behalt allein Starkegrad und Ftille Geltung, niclit aber ein Eigenwert. So fiihlen wir
auch dabei ein: „trotz" dem Instrument.
3 ) Man wird einwenden wollen, dafi, falls mit einem Instrument bestimmte Wirkungen erzielt werden,
diese doch dem Klangkorper als wenigstens potenzieller Wert gutgeschrieben werden imifiten. Indessen
kann man nieiner Meinung nach, kaum leugnen, dafi die oft recht albernen Scherze, mit denen viele Saxo-
phonisten ilir Spiel zu wilrzen pflegen, dem eigentlichen Charakter dieses zwar unheimhch beweglichen,
aber ini Grunde seelenvolleii, weichen, zugleicli ernsten und kraftigen Instrument durchaus nicht entsprechen.
Auch konnen die (oft famosen) Witze eines Boulanger dodi niclit als dem Wesen der Geige entsprungen
bezeichnet werden. In alinlicher Weise, scheint mir, darf man bei ernster Musik von Leistungen sprechen.
die die Idee eines Instruments erfullen und anderen, die zwar die Mechanik des Klangkorpers auswerten,
jedoch eine diesem selbst, tiefer gesehen, nicht eigentlich gemafie Absicht verwirkbdien.
■1r.
KRISE UNSERER TASTEN1NSTRUMENTE 57
Auf ahnliche Weise wird immer wieder offenbar, wie sehr audi den besten Spieler
die Eigenart, ja der „Eigensinn" des Instruments eigentlich behindert. Indem der Klang
auch unserer schonsten Fliigel etwas unprazis, unruhig, ungesattigt wirkt, verliert das
solistische oder konzertierende Klavierspiel einen der tiefsten Reize der Instrumental-
musik, ja der Musik iiberhaupt.
4.
Wir stehen am Ende eines nahezu 150 Jahre langen Entwicklungszuges des Kla-
vierbaues. Es soil, es kann keinenfalls geleugnet werden, dafi seit den ersten Hammer-
klavieren bewundernswert grofiartige Fortscbritte verwirklicht worden sind. Das
Instrument scheint nunmehr auf einer schwerlich noch iiberbietbaren Hoke angelangt.
Nachdem aber eine weitere Steigerung seines Vermogens kaum mehr vorgestellt werden
kann, erkennen wir deutlicher, als dies fruher moglich war, die Grenzen der Gattung;
je starker die Erkenntnis durchdringt, dafi das stolzeste Ergebnis, das unter den fest-
gehaltenen Bedingungen erzielbar war, bereits vorliegt, umso mehr wird naturgemafi
die erwahnte Abwendung des musikalischen Interesses vom Klavier als Soloinstrument
anwacbsen.
Eines Tonkorpers, der die harmonische, melodische, figurative Beweglichkeit unseres
Klaviers besitzt, bedtirfen wir ohne Frage; nicht allein, weil wir die vorhandene kerr-
lijbe Literatur nicht verlieren wollen, sondern ebenso weil wir die von einem einzelnen
Spieler durchfuhrbare Reprodtdrtion von Partituren nicht entbehren konnen. Dafi das
Klavier noch einmal verschwinden mochte, erscheint demnach als nahezu ausgeschlossen.
Wenn aber derart ein Verzicht auf das „unschone, doch mitzliche" Instrument nicht
ernsthaft erwogen werden darf, wie sollen wir uns helfen?
Man konnte Rvickkehr zum Cembalo vorschlagen, das ja eine ganz eigene gerade
tonliche Schonheit besitzt. Tatsachlich macht sich eine zunehmende Liebe zu diesem
Klangkorper bemeikbar. Aber seine Wirksamkeit wird durch die Grenzen des Instruments
in doppeltem Sinn wesentlich beschrankt. Einerseits namlich ist die Tragfahigkeit des
Cembaloklangs gering, sodafi das bisti-ument nur in ganz kleinen Salen ohne Schaden
Verwendung finden kann. Andererseits aber fehlen dem Cembalo, indem es nur forte,
piano und Oktavkopplungen kennt, die kontinuierlichen dynamischen Ubergange, die
fur die Musik seit etwa 1770 erstes Lebensprinzip bedeuten. Die Entwicklung, die
vom Cembalo zum Pianoforte (Hammerldavier) fuhrte, war Ausdruclc einer tiefen
Wandlung des musikalischen Geistes ; unsere Praxis kann nicht mehr zu jenem Instrument
des 17. und 18. Jahrhunderts zuruckkehren, weil seit seiner Herrschaft das musdtahsche
Interesse grundlegende und nicht mehr aufhebbare Veranderungen erfahren hat, Ver-
anderungen, die tief verankert sind in der sozialen und teclrnischen Umgestaltung des
gesamten kulterellen Lebens.
Und doch ist der Kampf gegen die Mangel des gegenwartig iiblichen Typs von
Klavierinstrumenten nicht aussichtslos. Zunachst mtifite die klangverschleiernde Ki'euz-
saitigkeit aufgegeben werden, damit wir wenigstens jene bis in die tiefsten Lagen
reichende (wenngleich nicht vollig ausreichende) Klarheit des Klangs, mit der die Fruh-
romantiker rechnen durften, wiedergewinnen. Aufierdem miifite insbesondere die An-
schlagsmeclianik durclagepriift und verandert werden. Man hat fredich die Hammer-
mechanik bereits so sehr vervollkommnet, daft die Maschinerie eines Klaviers zu den
58 HANS DAVID
grofien Wunderwerken unserer Technik gehort. Dennoch aber blieb mindestens eine
wesendich veranderliche Stelle: die Aiischlagflache des Hammers. Man sollte also
Versuche machen, durch welches Material sich der Filz ersetzen lasse mid ob nicht
eine vollig spitze Form des Kopfes einen reineren und klareren Ton ergebe. Ich konnte
mir denken, daft die Verwendung etwa von Hartgummi oder vielleicht audi von Metall-
plattchen wesendiche Vortede bote; die Aufgabe miifite sein, durch UmsteUung der
Mechanik das zunachst entfaUende pianissimo wiederzugewinnen und zu starkes fortissimo
zu verhindern. hidessen, was iiber die einfaclie Anregung, die Aussprache des Wunsches
hinausgeht, bleibt Aufgabe des Technikers, dem nicht laienhaft vorgegriffen werden soil. 4 )
5.
Man sagt mit Recht, jede Phase des Instrumentenbaues korrespondiere mit einer
solchen des Stils, wie eben das erwahnte Heranwachsen des dynamischen Ilammer-
ldaviers dem Entstehen eines dynamisch orientierten Stils entsprach. So mag man
fragen, wie denn die geforderte Umgestaltung des Klavierklangs sich mit der modernen
Produktion vertrage. Die Antwort zu geben, fallt nicht schwer; denn wir besitzen
bereits die unzweideutigen Anzeichen eines Stils, der ein iiber unser Klavier hinaus-
gehendes Instrument oder wenigstens ein von unserem Klavier nicht unwesentlich
verschiedenes eigentlich voraussetzt. Ich denke an den Klavierstil Strawinskys, insbe-
sondere an Klavierkonzert und Klaviersonate des Meisters. Hier sind Werke, die,
abhold der Klangverschnielzung gebrochener Akkorde und der Verdichtung durch
Parallelen sowie rein harmonische Verstarkungen, vom Klavier strafFste Pihythmik und
klarste lineare (oder, an manchen Stellen, ornamentale) Fuhrung verlangen. Beides
bietet unser Tasteninstrument noch nicht wieder mit der kostlichen Exaktheit und
Klarheit des Cembalo, dessen Geist diese Kompositionen wohl beeinflufit haben mag.
Strawinsky selbst spielt seine Werke mit einem trockenen, spitzigen Anschlag, der
alles klangliche Interesse auszutilgen bestrebt scheint. So gewinnt das Klavier eine
Genauigkeit der Interpretation, die ihm bisher unzuganglich geblieben war; zugleich
aber vermissen wir infolge eben der scheuen Ziiriickhaltung von Pathos und Sentiment,
der wir jene Prazision der Darbietung verdanken, die tiefere Eindringlichkeit der
uns vorgelegten musikalischen Gebdde. Andererseits, wenn auf einem Klavier der
Versuch gemacht wird, die groften freien Bogen der Werke fiihlbar zu machen, stellt
sidi an manchen Stellen doch wieder unausweichlich jenes unlineare „Klaviermafiige"
der Romantiker ein, das fiir unser Instrument bedeutsamste Mittel zur Zusammenfassung
weiterer Strecken (in Edwin Fischers uberaus grofiartiger Interpretation der Klavier-
sonate insbesondere wahrend des ersten Satzes). Zugleich also mit der notwendigen
Scharfe der musikalischen Fiihrung auch die geradezu monumentale Grofie, welche in
4 ) Dem gemeinten Instrument am ehesten zu vergleichen ware der freilich klangarme, aber prazis
und klar ansprechende (am Ende des 18. Jahrhunderts in nur wenigen Exemplaren gebaute) Tangenten-
fliigel, bei welchem die Saite durch auf den hinteren Tastenenden stehende Docken aus Holz (audi solche
mit Metallkopfen kommen yor) angeschlagen werden. Vgl. C. Sachs, Reallexikon der Musikinstrumente,
S. 376. Aufier der Bekanntschaft mit diesem Instrument verdanke ich auch den Hinweis auf die verun-
klarende Auswirkung (und Absicht) der kreuzsaitigen Bespannung der personlichen Liebenswiirdigkeit von
Herrn Prof. Sachs, dem ich hiermit nochmals danken mochte. Man vergleiche ubrigens C. Sachs, Das
Klavier (Handbiicher des Instrumentenmuseums der Staatl. Hochschule fiir Musik, Bd, 1, Berlin 1923,) S. 48.
STILISTISCHE PROBLEME 59,
den "Werken, wenn wir sie unabhangig vom Instrument betrachten, sich zeigt, hervor-
treten zu lassen, verhindert unser Flugel. Allein das Instrument, dessen Idee mir
vorschwebt, vermag meiner Uberzeugung nach die durch den modernen Klavierstil
geforderte Vereinigung zu leisten. Und darum wiirde man, wenn es gelange, das Klavier
zu der erwiiiischten reineren Gestalt zu vervollkommnen, spaterhin gerade aus den
erwfihnten Werken und ihren Nachfolgern, deren einige sich bereits eingestellt haben,
entnehmen konnen, dafi zu unserer Zeit die Umformung des Klavierinstruments eine in
der allgemeinen musikgeschichtlichen, ja kulturhistorischen Lage begriindete Notwendigkeit
war, dafi aucli hier eine tiefe Beziehung bestand zwischen der Entwicklung des In-
strumentenbaus und derjenigen des musikaliscben Stilwillens.
Franz Osborn (Berlin)
DIE STILISTISCHEN PROBLEME DER MODERNEN
KLAVIERMUSIK
Es ist im Jahre 1910, Uberall herrscbt im Konzertsaal der Virtuose grofien Stils,
Liszts Meisterschuler erringen Triumphe mit ihrer virtuosisch-glanzenden, geistreichen
Auslegung eines reichen Erbes. Allerdings, eines fehlt ihnen von Liszts Universalitat :
keiner von ihnen alien, mit Ausnahme d'Alberts, fordert und spielt zeitgenossische
moderne Musik. Freilich, wo gibt es wirklich bedeutende Klaviermusik ? Seit Brahms'
Tod wenig; Beger wird von seinen Anhangern auf den Scliild gehoben, und Debussys
verastelte Klavierfisthetik wie auch (weniger) Skriabins leidenschaftliche Sonatendichtungen
spielt man hier und da, doch im grofien Ganzen ist die Ausbeute in dieser Zeit 1
gering. Es wird fur ubergrofies Orchester geschrieben, im Stil des prunkhaft-bar-
barischen Kaiser- Wilhelm-Zeitalters. Die Abgesonderten, Vorahnenden stehen abseits-
Unter ihnen Arnold Schonberg, der bereits den pomposen Mantel des "Wagner-Orchesters
abgeworfen hat und in Streichquartetten und Kammersymphonie den Weg zur Verinner-
lichung und damit zu seiner eigenen Musik- Vorstellung sucht.
Da erscheinen seine Klavierstiicke op. 1 1 ! Sie rufen, durch ihre beispiellose Ab-
sage an alles Virtuosische, ungeheure Uberraschung, bei den meisten Befremden hervor.
Selbst Busoni, gefesselt von dieser Sprache einer echten Musik, sucht dem pianistischen
Spieltrieb zu retten, was zu retten ist, indem er das zweite Stuck von op. 11 in eigener
Bearbeitung herausgibt. Er verlangert, wiederholt Phrasen in verschiedenen Begistern,
ornamentiert, kurz er verandert den Klaviersatz, um ein — scheinbar — klingenderes,
dem Instrument angemesseneres Stuck daraus zu machen. Diese Musik aber vertragt
keine Schnorkel, keinen aufieren Glanz. Und hier liegt das Problem dieser ganzen
Bichtung. Man kann als Instrumentajist an diese Tonsprache nicht mit den Voraus-
setzungen der bisher bekannten Techniken herangehen, so feindlich jeder Konzession an ;
das Klavier, so in sich vertieft ist diese Musik; und tatsachlich kann man sie nur durch
Hineinbohren, durch Erfassen bis zum letzten Nerv zum Klingen bringen. Da sind
verhaltene Akzentierungen, thematisclie Farbenj vibrierende Affekte, die sich schliefilich
ihre eigenen technischen und phraseologischen Gesetze bilden. Es geht nicht mehr um
blferidende Oktaven, vertraumte Salon-TriUer. Die , Unhandlichkeit des Klaviersatzes 1
60 FRANZ OSBOHN
kommt hier aus einer notwendigen Logik heraus. In Schonbergs Melos, aufs Klavier
projiziert, wo alles auf Ausdruck, auf absolute Idee gestellt ist, mufi sich eine Spieltech-
nik ohne Nebenzweck ergeben, eine Reproduktion, die sich einer Art Sprengung des
Manuell-Moglichen bewufit ist. Schliefilich ist eine tonliche Gebundenheit und letzter
Sinn Mr klangliche AbstuMngen dem notwendig, der sich in seine intensive, oft sprunghaft-
plastische Linienfuhrung naturlich einleben will. Audi Schonbergs letzte Klavierwerke,
in denen sich ein klarerer Formwille als in den expressionistischen friiheren ausspricht,
verlangen diese instrumentale Behandlung, die einen personlichen, bei hochster Exakt-
heit uberschwanglichen Spieler, fern allem Primadonnentum, erfordern. Dann freilich
entsteht eine Ausdrucks-Kunst, die, in alien ihren Voraussetzungen vom Spieler erfiillt,
tief iiberzeugend wirkt.
Es dauert lange, bis das Verstandnis fur Schonbergs Musik bei Kiinstlern und
Publikum an Boden gewinnt. Es fehlen noch geeignete Interpreten, Vermittler, um sie
der Offentlichkeit nahezubringen. Die Virtuosen alten Schlages konnen sich nicht zum
Umlernen zwingen, doch entwickelt sich allmahlich eine Jugend, die dem Stil Schon-
bergs und seines Kreises (u. a. Wellesz, Eisler, Webern) instinktiv verbunden ist. Eduard
Erdmann wird noch 1919 wegen seiner Fahigkeit bewundert, sich in diese Musik ver-
tiefen zu konnen, und schliefilich werden wir Reproduzierende alle bis heute jedes Mai
beim Spielen moderner Werke mehr oder weniger angestaunt. Es zeigt sich also, wie stets,
dafi eine neue Kunst sich auch ihre eigene Interpreten-Generation schafft. Freilich, iiber-
zeugende Vortrage Schonbergscher Werke sind auch jetzt noch nicht zahlreich. Nut
wenige Musiker konnen so ganz den Schmeicheleien ihres Instrumentes entsagen und
sich — des Undanks des grofien Publikums gewifi — einmal vollstandig dem Dienste
der Vermittlung widmen.
Unbeschwerter steht der Pianist anderen Richtungen moderner Klaviermusik gegen-
iiber. Sie haben alle einen Beruhrungspunkt gemeinsam: Sinn und Freude am Spiel-
trieb, Verstandnis Mr das Instrument an sich. Ich mochte hier zunachst an eine Kunst
denken, die in Hindemith und Toch ihre markantesten Vertreter findet. Da sie jiinger
als Schonberg sind, haben sie nicht erst einen so grofien Lauterungsprozess durch-
zumachen, der ja gerade in dessen Entwicklung eine wichtige RoUe spielt. Vor allem
die Erscheinung einer so gesund-musikantischen Natur wie die Hindemith's wird erst
moglich in einer Zeit, in der die menschliche und kiinstlerische Reaktion gegen die
Uberniiancierung, gegen unnaturliche Schwelgerei bereits angebrochen ist.
Vorbei sind die Jahre, in denen kommunistische Politiker romantisch in Kaffee-
hausern debattieren; die Bewegung marschiert bereits. Wir sind in einer Zeit, in der
— wichtiger Mr die Idee — proletarische Verbande stark solidarische Arbeit leisten;
wo es neben geistiger Beschaftigung (Vorlesungen, Clubs, Theater etc.) Spoj'tverbande,
Arbeitergymnastik-Kurse, Internationale Arbeiterhilfe usw. gibt; wo man sich auf die
naturlichen Funktionen und Bediirfnisse des arbeitenden Menschen besinnt. Und gerade
hier setzt die Parallelbewegung, wie in alien Kiinsten, so in der Musik ein. Wie so oft,
stellt Deutschland auch jetzt eine Reihe Mhrender revolutionarer Schaffender.
Bleiben wir bei Hindemith. Was ihn so schnell beriihmt gemacht hat, ist nicht
nur seine grolJe Begabung, sondern auch gerade die tiefe Verwurzelung dieses genialen
Musikers^n unserer Zeit. Der eigenbrodlerische Schonberg, dessen Anfange ja in eine
'
STILISTISCHE PROBLEME 61
ganz andere Epoch e fallen, stofit noch jetzt mit seiner Musik auf Widerspruch ; Hinde-
mith dagegen als wahrhaft heutiger Mensch ist bereits fast popular geworden. Wenn
ich also vorliin sagte, dafi die Vorbedingungen, diese Musik zu spielen, leichter sind
als bei Schonbergs Kunstethos, so meine ich damit, dafi alle diese Momente, die dort
so unerlfifilich fur eine authentische Wiedergabe sind — dieses Nachempfinden einer
fast unfafilichen Lyrik, dieses Aufspiiren von Dingen, die zwischen den Zeilen stehen —
hier fortfallen. Wir haben es bei Hindemith und den ihm verwandten Musikern mit
einer realen Kunst zu tun. Diese Musik, und folglich audi ihre Wiedergabe, entfernt
sicla vom Intellektuellen ; sie ist nicht mehr um jeden Preis personliche, absolute Aus-
drucksform, sondern bedeutet die Sprache eines schopferischen, gestaltenden Musdcanten,
ohne beabsichtigte Hmtergrtindigkeit. Es wird die Unnaturlichkeit des gewollt In-
dividualistischen verdrangt von einem ecbt kiinstlerischen Spieltrieb, der in der Kunst
den Wert des Handwerklich-Zweckmafiigen erkennt. Es ergibt sich daraus, dafi fur alle
Instrumente geschrieben, infolgedessen keine Gattung bis zur padagogischen Musik
benacbteiligt wird. So entsteht nicht allzuviel, aber Bezeichnendes fur das Klavier. Bei
diesen Werken ist die Forderung der absoluten Genauigkeit des Instrumentalisten von
hochster Wichtigkeit. Dynamiscbe Freiheiten, Ubertreibungen sind verpont. So wie es
dasteht, ist es gut. Bei einer Kunst, die der asthetischen Schonheit des technischen
Zeitalters ihren Tribut zollt, wird der Pianist ein Ersatzmittel fiir die Mascbine, ein
personlich bedeutungsloser, nur dem Grad der Vollendung nach interessierender Ver-
mittler. Die Virtuosengenerationen waren die Gotter, wir werden wieder, am Anfang der
freidenkenden Zeit, die Priester der Musik, wie es bis zum 18. Jahrhundert gewesen ist.
Hindemith ist ein viel zu vitaler, aus Mschem Erdboden kommender Mensch, um
schematiscb zu werden oder in irgend ein Dogma zu verfallen. Seine und ahnlich starke
Musik wird stets mit einer intuitiven Frische wirken. Wie bei alien talentierten Menschen,
die aus den einfachen Volksschichten kommen, wirkt auch bei ihm eine grofie, unver-
brauchte Kraft. Ich mochte nicht mifiverstanden werden, wenn ich vorhin von der
maschinellen Wiedergabe seiner Werke sprach. Maschinell heifit hier soviel wie hochst
genau sein, die Beschneidung der Freiheit des Interpreten nicht als Zwang, sondern als
Naturlichkeit empfinden. Man mufi seinen Horizont frei machen von Egozentrik, sich
in die fesselnde Formung dieser unindividualistischen Musik hineinleben. Dann wird
auch hier die Reproduktion ihr notwendiges Fluidum ausstralilen.
Ich habe so viele heutige Pianisten gehort, die, mit ausgezeichneter Technik, eine
kiihle Langweile mit dem beruhmten Argument der „neuen Sachlichkeit''' verteidigten.
Das gehort auch zu den zahlreichen Irrtumern, die dies Schlagwort angerichtet hat. Braucht
man denn nicht zum Nachempfinden, zum Intensivieren dieser neuen Kunst mindestens
ebensoviel Begeisterung wie bei einer Chopinschen Ballade ? Aber was sage ich : die
, von so vielen geforderte Notengenauigkeit steigert ja nicht immer die Konzentration
der Wiedergabe, sondern verwassert oft auch den Inhalt der klassischen Musik! Noch
selten ist in der Geschichte der reproduzierenden Musiker so sauber undzugleich so
oberflachlich gespielt worden wie heute. . Aber es ist schwer, die Synthese: Geist des
Werkes, — Geist der Technik zu finden; ..',;.,
. Interessant ist zu sehen, wie sich instinktive^, freier Konstruktionswille immer
lebendig gestaltet, ein bewufiter, zivilisierter dagegen auf ein totes Gleis fubreh ihufi.
62 FRANZ OSBORN
Strawinsky, der sich in Paris von der grandiosen Urspriinglichkeit seiner Balletmusiken
immer mehr entfernte, kommt, auf anderem Weg als die deutsche Sclnde, zum Klavier,
das ihn zunachst als rhythmisch-prazises Schlaginstrument reizt. BeeinfluGt von der
franzosischen Parole, die Form uber alles zu stellen, die nur in einem so kunstkonser-
vativen Lande wie Frankreich stets Nahrung finden kann, nahert er sich mehr und
mehr (in Klavierkonzert, Sonate, Serenade) einer krampfhaften, statischen Klaviermusik,
die schliefilich bei wiederholten Versuchen der Neubildung klassischer Formen in Starr-
heit endet. Ich habe wold noch niemals authentische Wiedergaben dieser Strawins-
kyschen Werke gehort, ohne dafi sich nicht jede Spannung in Eintonigkeit aufloste.
Anders Prokofieff. Auch er kommt, wie Strawinsky, von der Unerschopflichkeit
russischer Volksmusik. Zunachst scheint es zwar, als ob diese Verbundenheit niclit so
tief ist. Aber das Gegenteil zeigt sich. Wahrend Strawinsky immer westlicher, ktinst-
liclier wird, sehen wir in Prokofieffs Klavierwerken eine starke, fur ihn charakteristische
Anhanglichkeit an slawische Farben. Wie viele russische Komponisten ist er selbst
glanzender Pianist und erfahrener Kenner seines Instruments. Eine Fiille geistreicher
Klavierkompositionen, die durch eine virtuosische Beherrschung aller Formen hervor-
ragen, fordert vom Spieler feinste koloristische und rhythmische Nachzeichnung, ohne
ihn vor grofie geistige Probleme zu stellen.
Ich mochte nun nur noch einen Komponisten nennen, an dessen Werken ein
modern er Pianist nicht vorbeigehen kann: Bela Bart ok. Li seinen von Schonberg be-
einflufiten Klavierkompositionen, die mit ahem Traditionellen brechen wollen, mischt
sich nachdenkliche, spekulative Musik mit einer tiefen Sehnsucht zum Volkstiimlichen.
Der Interpret hat bier die Aufgabe, diese starke, herbe, von einem grofiartigen Bhythmus
befeuerte Musik aus dem Instrument herauszumeifiehi. Er mufi an den oft wider-
spenstigen Klaviersatz vor allem mit Bewufitheit der Dynamik und Plastik herangehen.
Die Namen, die hier aufgezahlt wurden, scheinen mir als Hauptvertreter der
wichtigsten Bichtungen der heutigen Klaviermusik in Betracht zu kommen. Allerdings
ist das Gebiet so grofi, sind die Formen so mannigfach und die Forderungen an den Pia-
nisten in alien Landern so verschieden, dafi man einen erschopfenden Uberblick
iiber alle stdistischen Probleme der modernen Klaviermusik in Kiirze nicht geben kann.
Jedenfalls erleben wir iiberall eine Umwertung der bisherigen Klavierstile. Nur die
beiden bedeutendsten Gegensatze konnen wir klar erkennen. Es ist auf der einen
, Seite der Kreis um Schonberg, der in schopferischer Eingesponnenheit lebt, auf letzten
Ausdruck bedacht. Er schafft eine ungeheuer differenzierte Kuhst, die bei einer noch
so wortgetreuen Wiedergabe Platz fur subjektive Interpretation lafit. Es ensteht eine
problematisclie, vergeistigte Bomantik, die jedes Zugestandnis an das Virtuosische ver-
weigert. Auf der Gegenseite sehen wir eine realistische, alles Symbolische verbannende
Musik. Wir erkennen klar einen formalistischen Spieltrieb, doch ohne bestimmbare Vir-
tuositilt, einen Spieltrieb, der bei Steawinsky bis zur Mechanisierung seiner selbst fuhrt
Hindemith dagegen, der oft — wie Strawinsky — das Klavier als Schlaginstrument mit
Martellato-Anschlag behandelt, setzt lebendig die Entwickelung einer konstruktiv-asthe-
' tischen Wirklichkeitskunst fort, die vielleicht einmal den Weg zur Befreiung von der
Dekadenz weist.
PIANISTISCHE PROBLEME 63
Eduard Beninger (Wien)
PIANISTISCHE PROBLEME, IM ANSCHLUSS
AN DIE KLAVIERWERKE VON ERNST TOCH
Obwohl heute viel uber den Stand und iiber die Aussichten der Pianistik geschrie-
ben wird, bietet dieses Thema doch die mannigfachsten Schwierigkeiten, da fast in
alien wichtigen Fragen die notigen Vorarbeiten fehlen. Vor kurzem habe ich in dem
von mir herausgegebenen „Klavierbuch", U. E. (in der Folge abgekurzt als Kl.-B.) versucht,
die verschiedensten Anschauungen zu Wort kommen zu lassen. Venn ich dies heute
selbst versuche und jene Meinungen wiedergebe, die ich bei diesem Anlafi vielen Fach-
leuten gegeniiber geaufiert habe, so ist es mir dennoch vollig klar, dafi ich tiber das
Anschneiden gewisser Probleme nicht hinauskomme. Urn dabei den Charakter einer
Improvisation liahWegs zu vermeiden, berufe ich mich auf einige Beispiele aus der zeit-
genossischen Klavierliteratur, zum grofiten Teil auf die Klavierwerke von Ernst Toch.
Dafi unser Hammerinstrument neutralen Klangcharakter besitzt, daruber diirfte
heute schwerlich mehr eine ernsthafte Diskussion moglich sein. Ein Widerspruch scheint
sich nur in soweit zu ergeben, als gerade das neutralste Instrument das Lieblingsinstrument
der Romantiker wurde. Gewifi ist, dafi das spatromantische Virtuosentum dem Klavier
„orchestrale" Klange zumutete. Dafi dies bis zu einem gewissen Grade ohne Zweifel
gelang, lag in den engen tonalen Verhaltnissen begriindet und darin, dafi die Pedali-
sation tatsatzlich eine Wirkung besitzt, wo sie im Wesen nur Stufenfortschreitungen des
Basses vermittelt (una mich eines Ausdruckes von Steuermann Kl.-B. zu bedienen). Dies
und etwa noch die Moglichkeit zur Entfaltung einer Spielfreudigkeit, ferner der Verzicht
auf schnellen Wechsel der Tonarten und auf Anhaufung von Dissonanzen bildet ja
heute noch die vermeindichen Bedingungen eines „klingenden" Klaviersatzes. Aus
diesem Grunde halten viele das Klavier fur gebunden an den tonalen Wohlklang (Emil
Frey Kl.-B.), da sein Klangwesen der Mifiachtung der tonalen Kadenz wiederspricht (E.
W. Korngold Kl.-B.). Mit klarem Blick erkannte das Virtuosentum der 19. Jh., dafi sich
der homophon-melodische Klaviersatz (die Basis bildet Christian Bach) orchestral aus-
nutzen lafit. Die Impressionisten unter den Romantikern kamen sogar auf die Idee,
auf dem Klavier zu instrumentieren. Bei dieser Gelegenheit sei auf einen Irrtum hin-
gewiesen, der sich oft bei dieser Gedankenfolge einstellt. Namlich zu glauben, die
orchestralen Klange kamen dittchaus sekundar zum Klavier. Schon Beethoven bildet
ein glanzendes Gegenbeispiel. In seinen Klaviersonaten sind namlich die orchestralen
Klange tatsachlich friiher vorhanden als in seiner Orchestermusik. Das darf natiirlich
nicht verleiten, die Dinge auf den Kopf zu stellen. Leider fehlen in dieser Beziehung
einschlagige Arbeiten. Jedenfalls hat aber die Spatromantik vergeblich versucht, dem
Klavier Klangwirkungen aufzuzwangen, die von anderen Instrumenten und Instrumental-
gruppen hergeholt wurden. Wohl hat der Impressionismus noch eine zeitlang die De-
kadenz verschleiern konnen. Debussy verwendete dunnfadige Strukturen, die durch
aufierformale Fantasieelemente, durch klangcharakteristische, akkordische Farbentupfen
pikant und delikat abgelost werden. Vor allem aber ist es Skrjabin gelungen, das
Mittel der Klangfarbe dem Klavier anzunahern, Aber daruber hinaus gibt es kein
64 ■'■ '■ EDUARD BENINGER
Weiter, die begonnene Entwicklung bricht ab, besitzt keine Berechtigung mehr. Heute
verzichtet das Klavier auf das Medinm der wirkenden Klangfarbe. Damit ergibt sich
fiir den Komponisten, der> furs Klavier schreibt, die Folgerung, sein Hauptgewicht auf
das Formale und auf den Rhythmus zu legea.
Besonders betont werden mufi, dafi der „Wohlklang" nur bei einfacher Harmonik
Farbenreizen zuganglich ist, dafi die Absage des Klaviers an die Klangfarbe Hand in
Hand mit der erweiterten Harmonik geht. Die primitive Harmonik der Wiener Klassiker,
deren Musik auf der einfacbsten Kadenz beruht, hat klanglich bei Beethoven die hochste
und reinste "Wirksamkeit gewonnen (K. Hasse im Beethoven-Jahrbuch IH.). Ein wichtiger
Faktor scheint mir nun die stdistische Einstellung des Pianisten zum jeweiligen Klang-
. charakter des zu interpretierenden Werkes zu sein. Gewohnlich erlebt man ja heute
in den Konzertsalen, dafi die gesamte Literatur von Bach bis Reger eineni einzigen
Klangideal angeglichen wird, das infolge unserer Erziehung das der Spatromantik ist.
Die klangliche Srilistik bei Chopin, Schumann, Liszt, Brahms, Beger und den Impressio-
nisten dtirfte keine Abanderung mehr erfahen. Aber schon bei Schubert ist nur einigen
Eingeweihten die Distanz zum Werke sichtbar. Vollig unklar, ich mochte sagen strittig,
ist aber die Einstellung zu den typischen Beethoven-Sonaten. Die Weltvirtuosen von
heute sind die koniglichen Beherscher des spatromantischen IQavierklangideals, die sich
bestenfaUs noch fiir die impressionistiche Klaviermusik einsetzen konnen; dem Problem
der Interpretationsmoglichkeiten von Beethovens Klavier sonaten sind sie aber nicht
gewachsen. Dafi nun diese Virtuosen dem neuen Satz erfolglos gegenuber stehen, dessen
Tendenzen in der erhohten Stimmdifierenzierung bei vollig erweiterter, riicksichtsloser
Harmonik beruht, das gibt andererseits die Gewifiheit, dafi kein anderes bistrument von
der zeitgenossischen Musikrichtung grofiere Entwicklungsmoglichkeiten zu erhoffen hat.
Eine wichtige Frage besteht darin, wie sich die neuen Musiktendenzen mit den
Nacbteilen, die ihnen unser Instrument von Natur aus entgegensetzt, abfinden konnen.
Denn der Klaviersatz mufi darauf Riicksicht nehmen, dafi das Klavier dem Anspruch
erhohter Stimmdifferenzierung nicht in dem Mafie geniigt wie das Ensemble der Kam-
mermusik, dafi sich die Kontrolle der schwierigen polyphonen Untersclieidungsmoglicli-
keit gerade wegen der Neutralitat des Klanges oft kaum einstellt. Aus diesem Grunde
mufi audi dem Klavier die Eignung als Projektionsapparat moderner Partituren ab-
gesprochen werden (Toch Kl.-B.); die reale Klangfarbe und reale Linienfiihrung wider-
sprechen dem neutralen Instrument.
TJber die Perkussionsgefahr, die dem Klavier heute von Strawinsky aus droht,
will ich tnich nicht langer auseinandersetzen, da ich in diesbezuglichen Arbeiten
Gzernyeffekte auf veranderter harmonischer Grundlage erblicke. Andere Komponisten
stellen die Mittel der Perkussion in den Dienst impressionistischer Klangwirkungen,
z. B. Bartok.
Vollig ahnungslos stehen die heutigen Komponisten dem Problem der Klaviersatz-
technik gegenuber. Diese geht auf zwei Prinzipien zuriick. 1.) Die Art der Verdoppel-
ung einer Stimme; die jeweilige Verteilung einer Struktur auf beide Hande ; die mannig-
fachen, vielfaltigen Akkordzerlegungen und ^umschreibungen. Diese Ausgestaltung einer
homophonen Struktur brachte Liszt zur hochsten Bliite, indem er die uberwuchernde
Viftuosenliteratur (Herz etc.) vereinfachte, gesetzmafiiger machte. Was innerhalb dieser
PIANISTISCHE PROBLEME 65
formelhaften Spielfreudigkeit noch zu leisten war, hat Busoni vohendet. 2.) Die Be-
reicherung der Stimmen, die nicht nur vom Standpunkt kontrapunktisciier Polyphonie
aus erfolgen kann. Zum ersten Mai finden wir dies bei Chopin bewufit erreicht. Nach
ihm hat eigentlich nur Godowsky die Moglichkeiten bereichert. Was den Liszttypus
betrifft, so hat es sich gezeigt, dafi er nur innerhalb einfacher tonaler Verhaltnisse an-
wendbar ist mid den grofien Nachteil besitzt, da£ er bei steigender Ausgestaltung eine
primitivere musikalische Struktur zur Folge hat. Es wird sich also darum handeln, die
technischen Griffe dieses zum Aussterben verurteilten Satzes richtig zu verwerten. Der
Chopinstil hatte den Nacliteil, dafi er von den Impressionisten aufgegriffen wurde und
so durch Uberlastung rein klanglicher Fullstimmen unsauber wurde. Der Begriff piani-
stischer Schreibweise ging so verloren, das Klavier wurde ein bequem-gedankenloses
Projektionsinstrument fur jede musikalische Vorlage, greifbar fur zehn Finger. Der
Grofiteil der heutigen IGavierkompositionen ist nach dieser Biicksichtslosigkeit abgefafit;
faUs sie einige ' Errungenschaften der Schule Liszt-Busoni anwenden, erheben sie bereits
den Anspruch auf einen „klingenden" Klaviersatz.
Es ergeben sich also vor allem folgende Forderungen an eine entwicklungsfahige
Klavierliteratur : Die erweiterte Harmonik bedingt eine Absage an die romantisierende
und uppig-impressionistische Klangfarbe; die richtige Ausniitzung des neutralen Klang-
charakters; die Zuwendung zu formalen und rhythmischen Neuerungen; die Aufrecht-
erhaltung einer akustisch kontroUierbaren Stimmfuhrung ; die Vermeidung der schwul-
stigen-einfadigen Struktur des Virtuosenstils, Ausbau der selbstandigen Stimmen bei
Vermeidung impressionistisclier Tendenz.
In gewisser Beziehung finden wir in der heutigen Klaviermusik fast immer Kom-
promisse. Der Grofited der Komponisten „erlaubt" sich blofi einige mehr oder minder
kiihne harmonische Freiheiten, verwendet aber andererseits die Satztechnik des Virtuosen-
stds oder wahlt ahnungslos das aufiere Geprage einer Klavierpartitur. Von denen, die
dabei formalen Neuerungen nachgehen, kann Petyrek hervorgehoben werden. Der
Pianist, der unter dieser aufieren ihm wohlverrrauten Aufmachung nicht den erwarteten
„Wohlklang" findet, wird die einseitige harmonische Abscbwenkung nicht mitmachen
wollen, die seine gewohnte „Virtuositat" nur behindert. Er wird das Gefiihl fur die
Neuerungen erst gewinnen, wenn ihm der Klaviersatz die Probleme aufdeckt. Schon
jene Stticke, die harmonisch durchaus nicht als revolutionar hingesteUt werden konnen,
werden aufklarend wirken, wenn sie nur in satztechnischer Formulierung Sinn furs
Neue zeigen. Das treffendste Beispiel hierfur sind viele SteUen in den Klavierwerken
von Joseph Haas (besonders die Sonaten op. 61), die sehr oft die abgegriffenen Akkord-
zerlegungen meiden, stimmenmafiig bedingt sind; umso bezeichnender, als Haas auch
innerlich von Beger kommt. Beinlicli und entscheidend sind natiirlich auch kontra-
punktische Arbeiten, wie sie z. B. Kattnig geliefert hat. Dagegen glaube ich, dafi eine
strikte Zweistimmigkeit dem Klavier etwas zumutet, was mit Recht seiner Forderung
nach Mehrstimmigkeit widerspriclit ; als Beispiel mag Hauer gelten. Aufierhalb dieser
Betrachtung mufi natiirlich die Zwolftontechnik (Schonberg, Eisler) stehen, die durch
ein neues Kompositionsprinzip alien Schwierigkeiten aus dem Wege geht. Sie ist die
einzig logisch verwirklichte Losung der harmonischen und satztechnischen Forderungen.
Die Frage ist nur, ob sie formale Ergebnisse fordert.
66 EDUAHD BENINGER
• Die Klavierwerke von Toch stehen formlich im gewissen Gegensatz zu Haas.
Harmonisch vollig unabhangig, spurt Toch sicherlich audi die Forderungen nach einer
antiromantischen Satztechnik. Uber eine gewisse polyphone Stimmberechtigung kommt
er aber selten hinaus, wenn er audi die Verirrungen meidet. Sein Klaviersatz scheint
seine Bedingungen nur aus dem Musikalischen zu holen. Umsomehr sind seine Werke
ein typisches Lelirbeispiel fiir die heutige Pianistik.
Von Toch stammen ubrigens Fruhwerke, die einen kleinen Einblick in die Ent-
wicklung des Komponisten gewahren : op. 9, Melodische Skizzen ; op. 1 0, Drei Praludien ;
op. 11, Scherzo h-moll; op. 13, Stammbuchverse ; op. 14, Reminiscenzen (alles bei P.
Pabst, Leipzig). Die Stiicke op. 9 sind nicht ohne Grund Alfred Grunfeld gewidmet,
sie biegen manchmal in vornehme, aparte Salonmusik um. Sie sind streng tonal, durch-
aus melodios-gefallig. Ernste Musikgesinnung zeigt schon op. 10. Erheblich wertvoller
ist op. 11. Der Hauptteil ist klaviersatzmaftig an Brahms angegliedert. Bezeichnend
ist jedoch, dafi das Trio das Brahmssche Melos nicht trifft. Das Scherzo ist hmerhalb
der Epigonenliteratur ein geschmackvolles Werk, das ohne Zweifel die Berechtigung zu
Entwicklungsmoglichkeiten des jungen Komponisten vermittelt. Unruhe und ruhrige
Umsicht nach Ausdruckswerten zeigt wieder op. 13; die geschickte Stimmfuhrung, die
neuklassizistische Kunsthaltung fallt auf. Die zwei schonen Stiicke von op. 14 zeigen
bereits die gefestigte Beherrschung aller romantischen Kunste. Die letzten Stiicke dieser
Periode stammen aus dem Jahre 1909.
Im scharfen Abstand, ohne jeden Ubergang aufzeigend, stehen die Klavierwerke
op. 31, Burlesken; op. 32, Drei Klavierstucke ; op. 36, Capricetti; op. 40, Tanz- und
Spielstiicke, seit 1924; ferner das Klavierkonzert op. 38 (alles bei Schott). Hier driickt
sich bereits iiberall eine gesunde Reaktion gegen den romantischen Uberschwang aus;
eine kleine Rtickkehr zur impressionistischen Manier mag nur der „Jongleur" op. 31, 3 sein,
der gerade defihalb als virtuose Konzertnummer seine Wirkung ausiibt. In den ersten
beiden Heften ist Toch eigentlich nur harmonisch zeitgeistig, sonst verwendet er noch
sehr Akkorde, Ftillstimmen. Das beste Werk ist op. 36. Die Ausniitzung klingender
Non legato-Passagen (2, 5) kommt dem Klavier entgegen, wie iiberhaupt das Bewegungs-
technische kaprizioser Motivgruppen satztechnisch am leichtesten zu verarbeiten ist.
Das kleine Anfangsstiick aus op. 36 steht in der heutigen Literatur vereinzelt da, gehort
zum wertvollsten Bestandteil neuer Ausblicke. Die zweistimmigen Stiicke aus op. 40
konnte man vielfach ebenfalls als Fundament ansehen. Allerdings liegt ja die ent-
scheidende Frage in der Bereicherung, also in der Kompliziertheit des Stimmengefiiges.
Das Tochsche Klavierkonzert setzt mit einem thematischen Iflaviersolo ein. Dies
ist in der Entwicklung des Klavierkonzertes bis zum Beginn des 20. Jh. ein einziges
Mai anzutreffen, niimlich bei dem Klavierkonzert in G-dur von Beethoven. In diesem
Konzert folgt dem Soloanfang ein Tutti, das das 1. Thema schon in einer Art
Durchfuhrung bringt, aber audi schon das 2. Thema harmonisch und instrumental ent-
wickelt. Die thematische Durchfuhrung des Satzes liegt im Orchester. Beethovens
Es-dur Konzert bringt zu Beginn, auf beide Klangkorper verteilt, eine kadenzartige Im-
provisation. Eine Einleitung mit dem Hauptstiitzpunkt im Orchester bringt audi das
g-moll Konzert op. 25 von Mendelssohn;' das Hauptthema erscheint im Tutti und wird
sofort verarbeitet. Mendelssohns d-moll Konzert op. 40 bringt in der Einleitung schon
PIANISTISCHE PROBLEME 67
im 3. Takt das „Kopfthema, aus welchem sich improvisierend das Hauptthema entwickelf
(Engel, Die Entwicklung des deutschen Klavierkonzertes von Mozart bis Liszt). Bei
Beethoven ist die Selbstandigkeit des 1. Tuttis trotz Voranstellung des Solos gewahrt,
Mendelssohn verzichtet schon vielfach auf sie. Bei Schumann bleibt von den grofien
Tuttis nur das zweite iibrig. Bei ihm liefert ein einziges Thema das Hauptmaterial.
die zwei Nebenthemen degradieren zu Motiven. Das Anfangsthema des Schumann-
Konzertes findet sich erst wieder in der Durchfuhrung. Aber Schumann verwendet bei
anderen Werken haufig das fur Beethoven so typische Verfahren, Einleitungssatze mo-
tivisch den folgenden Hauptthemen anzugleichen. wodurch der Eindruck erweckt wird,
als ob der Hauptsatz sich aus der Einleitung erst motivisch herauskristaUisiert. Schu-
mann gelingt dies besonders gut bei der Genoveva-Ouvertiire, wenn er auch nicht wie
Beethoven mit sicherem Griff in den Hauptsatz hineinfiihrt (A. Schmitz, Das romantische
Beethoven-Bild). Es ergeben sich iiberhaupt grofie Unterschiede beziiglich der langsamen
Einleitungen zu den Allegrohauptsatzen zwischen Beethoven und den Bomantikern.
Liedartige Gebilde, bescliauliches Verweilcn sind bei Beethoven undenkbar. Seine Kan-
tilene, auch bei grofiem melodischen Bogen, lenkt zwanglos in die tektonische Arbeit
ein. Der Vergleich mit Beethoven prazisiert die romantische Einstellung zu der Frage
der Einleitungssatze. Sie gibt ferner auch dem Urteil Gewicht, dafi der Beginn des
Klavierkonzertes von Toch ein typisch unromantischer ist. Wenn der erste analytische
Versuch iiber das Werk (MELOS VI, 6.) in dem Beginn eine der ublichen Einleitungen
sah, so lafit sich diese allerdings nicht gliickliche Bezeichnung von den romantischen
Formenprinzipien her verstehen, rait einer „kadenzartigen" Einleitung hat aber das
Tochsche AVerk nichts zu tun. Das Kopfthema ist mit dem gebauten Allegrothema nicht
nur motivisch verankert, es li e fert formlich die Bohform der Motivik. Entscheidend
wirkt, dafi der Hohepunkt des ersten Satzes auf den unbehauenen Einfall zuriickgreift.
Diese formale Grundtatsache fiiihrt zu der vorliegenden Verschmelzung der heterogenen
Begriffe Konzert und Sonate, wie sie seit dem Liszttypus iiberhaupt nocli nicht in An-
griff genommen wurde. Es ist interessant feststellen zu konnen, daft die Losung trotz
der Ausschaltung, ja Verneinung romantischer Tendenzen eine organische ist. Der Zeit-
geist wird eben auch hier, wie in vielen anderen Dingen, seiner Verpflichtung gerecht.
An der Spitze des Konzertes steht im Klaviersolo ein wuchtig aufwartsschreitendes
Thema, welches die „Uberschrift" des ersten Satzes bringt, das naclcte, ins Ungewisse
hingestellte Motiv, den reinen Einfall. Die hinzutretende Unterstutzung durch das
Orchester schafft eine Art Exposition, die aber keinenfalls wie eine einleitende, kaden-
zierende Inri-oduktion vom Allegro abzuschnuren ist. Aus dem „Urthema" wachst das
gebaute, fugierte Allegrothema (Takt 27) heraus. Der nun beginnende Teil schwankt
zwischen Fuge und Sonate. Das „Seitenthema" (T. 134) tragt iihnlichen Charakter wie
bei Schumann, es kommt nur an dieser Stelle vor, da der Satz keine Beprise aufweist.
Durch das Seitenthema ist aber die Neigung zum Sonatengefiige entschiedener, was noch
bestarkt wird durch das Abklingen tiber ein schlufisatzanliches Gebilde (T. 173), das zu
emem, den Vordersatz gewissermafien bescliliefienden, akkordischen Buhepunkt fuhrt
(T. 189). Nun folgt eine Verarbeitung des Themenmaterials (190-323), wenn man
will die „Durchfiihrung", die aber nicht zu einer Beprise fiihrt, sondern zu einem kon-
trapunktisch reich verastelten Hohepunkt des Satzes (T. 323), der in drei keuchenden,
68 LEONHARD DEUTSCH
zwischeh Tamtam und vollem Orcliester wechselnden Schlagen iiber einen Orgelpunkt
im Orgelpedal gipfelt (Partiturvorschrift : ,,Hier ist das Klavier lediglich als Orch ester-
instrument gedacht'M) und bezeichnenderweise nicht auf das gebaute Allegrothema' zu-
ruckgreift, sondern auf den unbehauenen Einfall des AVerkbeginnes. Der Hohepunkt
stiirzt jah zu dem bis zur letzten Note thematisch durchgefiihrten, scharf abreifienden
Schlufi ab.
Der zweite Satz, ein Adagio, bringt ohne Bindung an eine bestimmte Form,
„quasi una fantasia" eine Reihe von Themen, von denen die zwei zuerst vom Klavier
gebrachten (T. 1, T. 30) den Vorrang einnehmen. Dem Klavier ist Gelegenbeit zu ro-
mantisierender Klangentfaltung geboten. Mit Ausnahme von zwei hochgesteigerten
Orch ester tuttistellen ist der Satz kammermusikalisch gebalten.
Die Stimmung des verklungenen Adagios zerreifit jah das in ausgelassener Beweg-
ung dahinrollende 1. Thema des „Rondo disturbato". Das 2. Thema (T. 84) erklingt
nur im Orcliester. Das Klavier halt mit seinen unaufhorlichen Kapriolen die Bewegung
immer in Flufi. Gegen Ende (T. 279) tritt die „St6rung" dadurch ein, daft ein Thema
dem anderen den Platz streitig zu machen sucht, ohne dafi es zu einem kontrapunk-
tischen Zusammenspiel beider kommt. Es ist, als ob der Dirigent ein paar Mai „ab-
klopfend" und wieder beginnend, Ruhe und Ordnung herstellen wollte. Da es ihm
aber nicht gelingt, reifit der Pianist, in den Streit eingreifend, mit seiner Kadenz die
Ziigel an sich und fuhrt den Satz zum lustigen Ende.
Was ich bei den Klavierwerken von Toch als gesetzmaBige Entwicklung aufvveisen
wollte, besteht, abgesehen von der harmonischen Freiziigigkeit, in folgenden Beurteilungen :
gliickliche Losung innerhalb der grofien zyklischen Form; Verzicht auf die schwungvollen,
leuchtkraftigen und lyrischen Farbklange; Einschrankung der iippigen Akkordik ohne
polyphonen Flachenausbau; die Betonung des neutralen Klangcharakters diirdi motorisches
Tonspiel; Ansatze zu einer klaviermafiigen Stimmfiihrung.
Leon hard Deutsch (Wien)
KUNST DER FINGERFERTIGKEIT ODER LESETECHNIK?
Die Klavierkomposition der Gegenwart ist vom Bravourstil und seinen Auslaufern
radikal abgeriiclct. Sie verzichtet auf das aufierliche koloristische Prunkgewand, das
vordem oft genug dazu gedient hatte, den allzudiirftigen Inhalt zu umhiillen. Das
neue pianistische Gefiige ist im neuen musikalisclien Gefuge vollig verankert. Trotzdem
weist auch der heutige Klaviersatz, sofern er nicht gerade einer impressionistischen
Schule entstammt, aufierordentliche spieltechnische Schwierigkeiten auf, allerdings von
einer ganz anderen Art, als die typischen Schwierigkeiten der fruheren Periode. Dort
setzt der Kampf des Spielers gegen die Materie erst beim Ausarbeiten zur Vortragsreife
ein; die technischen Probleme sind also die der Gelaufigkeit und der Ausdrucksnuancen.
Das zeitgenossische Klavierstiick hingegen steUt schon dem blofien Ablesen einen kaum
uberwindlichen Widerstand entgegen, und dieser bleibt auch bestehen, wenn man sich
FINGERFERTIGKEIT ODER LESETECHNIK 69
der Miihe des Einstudierens unterzieht. Die gesairite. technische Vorschulung, die an
der iiberlieferten Vortrags- und Studienliteratur orientiert ist, und moge sie auch eine
noch so hohe Stufe erreiclit haben, erweist sich vor den Widerborstigkeiten der neuen
technischen Aufgaben als vollig unzureichend. Auch unter den sonst routinierten
Spielern kann man jene, denen der moderne Satz technisch zuganglich ist, beinahe ail
den Fingern abzahlen.
Wer das iibliche Klavierstudium mit sonst gutem Erfolg absolviert hat, vermag
nur einen mfifiig leichten Satz prima vista abzulesen. Li dem Mafi aber, als - wie
ehen in der gegenwartigen Komposition — die ungewohnte melodisch-harmonische
Linienfiihrung, die verwickelte Rhythmik und Stimmfiihrung auftritt, kann der Spieler
mit dem Notenbdd kerne deutliche Klangvorstellung mehr verbinden. Der Klang setzt
sich darum auch nicht mehr in zielsichere Spielbewegung um, die Finger geraten ins
Umhertappen. "Wer an einem vorgelegten Stuck in dieser Weise beim ersten Durch-
lesen versagt, der ist ihm auch beim Einstudieren nicht gewachsen. Wenn der Spieler
ein Stuck angeht, schatzt er dessen technische Schwierigkeiten gefiihlsmafiig immef
schon an den ersten Leseschwierigkeiten ab. Daher kommt es, daft bei weitem die
meisten Pianisten der alteren Schulen den neuzeitlichen Klaviersatz als „schlecht in der
Hand liegend", als „unklaviermafiig" kurzerhand abtun. Sehr mit Unrecht, denii klavier-
gemafi ist ein Satz, dessen Inhalt durch den Klavierklang angemessen zur Geltung
kommt, ganz gleich, welche Miihe das Ablesen verursacht.
Der iiberlieferte Unterricht legt auf Lesetechnik im allgemeinen wenig Wert; zahl^
reicheLehrer halten das Blattlesen sogar fiir schadlich, in der Befurchtung, dafi es zur gewohn--
heitsmafiigen Oberflachlichkeit verleite. Der Schwerpunkt des ganzen Unterrichts liegt
darum bisher in der Ausarbeitung der Stticke, in der Annaherung an das Ideal der
Konzertreife. Die Hauptprobleme der Klavierdidaktik — Gelaufigkeit und Ausdruck —
wurden auf mechanisch-physiologischem Weg zu losen versucht. Zuerst rein empirisch,
mit Hilfe der bekannten technischen Ubungen, die der Hand und den Fingern zu der
notigen Beweglichkeit verhelfen sollten. Spater erteilte man diesen Unternehmunger^
einen gewissen wissenschaftlichen Anstrich N namlich durch die Deduktion moglichst
flkonomischer Spielbewegungsformen. In den Einzelheiten der Bewegungs- und Ubung9-
vorschriften mogen die verschiedenen Schulen und Lehrmeinungen noch so sehr differieren^
das eine haben alle gemeinsam, dafi sie als das eigentliche Ziel des Klavierstudiuras
die voUendete Vortragstechnik ansti-eben, dafi sie demnach den grofiten Ted der auf-
zuwendenden Ubungszeit dem Ausarbeiten des Vortragsrepertoires widmen. Daraus
ergibt sich notwendig eine Verkummerung der Leseteclmik. :
AUerdings hatte die Unterrichtslehre bis jetzt nicht mit iibermafiigen Leseschwierig-
keiten zu rechnen. Selbst die Schulbeispiele der extremeii technischen Schwierigkeit,
die Kulminationspunkte der Bravourliteratur, stehen 1 an Leseschwierigkeit oft weit
hinter dem klassischen polyp honen Stil zuriick, etwa dem wohltemperierten Klavief ;'
eine Behauptung, die dem Laien ebenso paradox wie dem Kuridigen selbstverstaridlich
erscheint. Erst der lineare Std der Gegenwart bringt neue Le's'escLwierigkeiten in' die'
Pianistik, die alle friiheren, auch die des Bacjischen Ftigensatzes und der Spatwerke
Beethovens weit iiberragen. Nach all dem Vorhergesagten wird es nun begreiflich, 1
70 LEONHAHD DEUTSCH
dafi das herkommliche Unterrichtsschema aufierstande ist, den Anforderungen unserer
Zeit gerecht zu werden.
Es ware hochst unzweckmaGig, die Leseschulung dem tiblichen Studium hinterher
aufzupfropfen ; es mufi vielmehr der gesamte Lehrgang vom Beginn an bis zur hochsten
Stufe vollstandig umgestaltet werden. Speziell die Reform des Elemtarunterrichts^
der ja fur das weitere musikalische Schicksal des Studierenden bestimmend ist, wird
heute schon vielfach als dringliche Notwendigkeit empfunden. Die traditionellen
Methoden sind eher dazu angetan, die Musikerziehung zu drosseln als zu fordern. Sie
verlegen den Weg nicht nur zur Gegenwartskunst, sondern oft auch zur Musik iiberhaupt.
Die Statistik des Unterricbtserfolgs spricht dies deutlich genug aus. Niclit an den im
Schematismus verzeichneten „Stars" ist die mechanische Unterichtsmethodik zu werten,
sondern an den unubersehbaren Legionen der Klaviereleven, die friiher oder spater
auf dem begonnenen Weg stecken geblieben sind. Es ist hoch an der Zeit, die Unter-
richtslehre einer griindlichen Revision zu unterziehen, statt sich wie bisher mit dem
anscheinenden Mangel an begabtem Schiilermaterial skeptisch abzufinden. Tatsachlich
existieren schon verschiedene Reformprogramme, die die musikalische Kinderstube von
der unertraglichen Diirre erlosen wollen. Freilich haftet den bisherigen Vorschlagen
noch eine Reihe von Mangeln an. Manche Autoren versuchen, das musikalische Gehor
durch system atische Ubungen zu bilden; auf diese Weise wird der trockene Stoff unter
einer neuen Spitzmarke erst recht wieder in den Unterricht geschmuggelt. Recht be-
denklich ist — auch vom Standpunkt des sonst fortschrittlich gesinnten Musikers aus —
der Versuch, den Elementarunterricht mit neuzeidichen harmonischen Formen zu durch-
setzen. Derartige Jugendliteratur schiefit jetzt pilzartig hervor, sie wird aber ebenso
rasch . wieder verschwinden, denn der gesunde Instinkt des Anfangers wie des Lehrers
mufi einen Stoff ablehnen, der im Anfangsstadium des Musikunterrichts unfehlbar die
Verbildung des Gehors zur Folge hatte. Dabei ist aber nichts einfacher, als gerade fur
den Elementarunterricht den Stoff zu finden. Wozu ein Material erst neu komponieren,
wenn es im reichsten Uberflufi bereits fertig vorhanden ist! Gemeint ist hier der Ur-
quell aller Musik iiberhaupt, der unermefiliche Melodienschatz in den Volksliedern
aller Nationen. Sie erfiillen alles, was man von ein em e wig und allgemein gdtigen
musikalischen Erziehungs- und Bildungsmiittel verlangen kann. An die Stelle der
papiernen Trockenheit und Diirftigkeit systematischer Voriibungen riitt hier die leb'en-
digste Musik; die friihere todliche Langeweile und Monotonie wird nun durch alle
erdenklichen Varianten der Form und des unmittelbar ansprechenden Ausdrucks ab-
gelost. Volkslieder stehen gleich weit ab von verzapften Epigonenmachwerken wie von
fragwiirdiger Neutonerei, sie leisten dem kultiviertesten Geschmack Genuge und be-
wahren so auch vor dem EinfluG der kitschigen Schlagermusik, wie sie von Amerika
her droht. Bei entsprechender Setzweise der Volkslieder, von Einstimmigkeit bis zur
echten Polyphonie ansteigend, lassen sich auch alle klaviermafiigen Aufgaben erschopfend
darstellen. Dafi man dieses geradezu ideale musikalische und pianistische Lehrmaterial
bisher so vollig aufier acht gelassen hat, erklart sich vielleiclit gerade aus seiner
Selbstverstandlichkeit. ')
') Der Verfasser dieser Zeilen stellt eine Elementarschule nach diesen Prinzipien zusammen und
beabsichtigt in Kiirze deren Publikation.
FINGERFERTIGKEIT ODER LESETECHNIK 71
Mit dem Lehrstoff allein ist natiirlich die Unterrichtsreform noch nicht erschopft
man mufi auch verstehen, ihn in der richtigen Weise zu behandeln. Vor
allem ist der Weg zu finden, wie der Elementarschuler die anfangs frappierenden Lese-
schwierigkeiten bewaltigt. Es wtirde viel zu weit fuhren, hier die bezugliche Unterrichts-
technik in ihren Einzelheiten auseinanderzusetzen. Es geniige die Versicherung, dafi
dieses Problem durchaus losbar ist, nur mufi eben der Lehrer viel intensiver auf seinen
Zogling einwirken, als er es bisher gewohnt war. Er hat den Gedankengang des
Studierenden beim Blattlesen in eine so prazise Ordnung zu bringen, dafi dieser in
relativ kurzer Zeit auch den kompliziertesten Notentext im ungebrochenen Zusammen-
hang und fehlerfrei prima vista abzulesen vermag, wenn auch vorlaufig ohne Anspruch
auf Tempo und Ausdruck. Das Einstudieren des Ubungsmaterials bedeutet — so
befremdend dies heut noch klingen mag — im Elementarunterricht nur Zeitverlust,
namentlich, wenn man dabei den Text nach der tiblichen Weise in seine Elemente zer-
pfliickt, in die isolierten Handpartien, Taktgruppen oder dgl. Bei der angedeuteten
exakten Lesemethode gemigen wenige Wiederholungen, den musikalischen Inhalt zu
erfassen und in Spielbewegungen umzusetzen; damit ist aber zugleich der instruktive
Gehalt der betreffenden Ubungstucke sozusagen abgerahmt. Eine ungemein wichtige
Rolle spielt dabei ein erschopfend vorgeschriebener und technisch zweckmafiiger Fingersatz.
In der gleichen Weise ist die Leseschulung nach Absolvierung des Elementarstoffs
an der klassischen und nachklassischen Meisterliteratur fortzusetzen, wobei diese in
ihrem weitesten Umfang und in relativ kurzer Zeit durchzuarbeiten ist. So erwirbt
der Studierende schliefilich die notige Vorbereitung, fur den heute als sprode verrufenen
Stoff der Gegenwart, und wohl auch fur den der absehbaren Zukunft.
Bemerkenswert sind noch zwei andere Ergebnisse dieser Studierweise. Es zeigt
sich, dafi hier der Unterrichtserfolg nicht mehr an die spezinsche „angeborene Begabung"
des Individuums gebunden ist, dafi sich vielmehr die Schulung bei jedermann durch-
fuhren lafit und auch zuverlassig zum Ziel fuhrt. Ein Steckenbleiben mitten auf dem
Wege gibt es nicht mehr, denn es werden nun alle geistigen Ki-afte in Spannung ver-
setzt, die bei der mechanischen Methode ungenutzt verkiimmerten. Was nicht vom
naturlichen „Talent" aus stimuliert wird, bewirkt jetzt zwangslaufig der systematische
Unterricht.
Und als zweites: wahrend sich vorher aus dem mechanischen Drill eine sparliche
Lesetechnik als Nebenprodukt ergab, wachst gerade umgekehrt aus der gesteigerten Lese-
technik die pianistische Meisterschaft ganz von selbst hervor. Auch hier ist der Grund
leicht aufzudecken. Die Wirkungsweise des mechanischen Ubens besteht nicht, wie man
gemeinhin annimmt, in einem Gefiigigmachen der Spielorgane, in der vermeintlichen
erhohten physischen Beweglichkeit der Hande und Finger, sondern in einer durch
die Wiederholung hervorgerufenen Automatisierung des Gedankengangs, der die be-
treffenden Bewegungsreihen initiiert. Bei einer gesteigerten Lesetechnik, namlich der
Fertigkeit, auch einen komplizierteren Notentext blitzartig motorisch umzusetzten, wird
auch der Weg zur Automatisierung entsprechend abgekurzt. Der geschulte Blattleser
hat beim Studieren viel weniger Zeit und Muhe aufzuwenden als der ungeschulte; wenige
Wiederholungen im konkreten Fall genugen, urn den neuen Satz auch gelaufig wieder-
geben zu kflnnen. Die so durch Lesetechnik gewonnene Gelaufigkeit lafit sich an jedem
72 KURT WESTPHAL
beliebigen Satz anwenden, wahrend sich die meclianisch erworbene vorzugsweise auf
die ublichen Tonleiterskalen, Akkordzerlegungen und ahnliche primitive Bewegungs-
formen beschrankt. Lesetechnik ist auch zu jeder Art der niiancierenden Vortragstechnik
die wirksamste Vorschulung
Eili Elementarunterricht, der das Lesetraining dem brillanten Vortrag voranstellt,
mufi auf jeden aufierlichen Erfolg verzichten. Auch diese Forderung wird heute noch
Befremden erwecken, denu die iiberlieferte Klavierkultur ist fast durchweg auf das Vor-
spielen eingestellt, auf das Paradieren mit den erworbenen Fertigkeiten, auf Wettbewerb
und Spitzenleistungen. Einstmals gait es die stupende Bravour, spater die ,,Spieler-
individualitat". Erst die jungste Zeit besinnt sich auf die urspriingliche und ureigent-
liche Mission des Klaviers als des eminenten Erziehungsinstruments zur Musikalitat.
VoUendete Vortragskunst ist darum nicht minder hoch einzuschatzen als friiher; sie soil
nur nicht vorzeitig im Unterricht einsetzen, nicht ehe die Lesetechnht hinlanglich ge-
sichert ist. Diese Einsicht bewahrt davor, dafi der Anfangerunterricht einem Phantom
nachjagt und dabei sein eigentliches Ziel aus dem Blick verliert. Klavieriiben, auf
Leseschidung eingestellt, ist eben nicht mehr blofier Weg, sondern bereits das Ziel selbst,
ein wirklich ausiibendes Musizieren, wenngleich nicht fur fremde Zuhorer, sondern nur
fiir den Studierenden selbst.
So gibt die Klavierkomposition unserer Zeit den Anlafi, dafi der Klavierunterricht
von dem beruchtigten mechanischen DrUl befreit wird, und damit leitet sie den Virtuosen-
kult iiber in eine wahrhafte musikalische Volksbddung.
WISSE NSC HAFT
Kurt Westphal (Berlin)
DAS MUSIKSCHRIFTTUM IN DER GEGENWART
Das musikalische Schrifttum, das zu Beginn des vorigen Jahrhunderts noch in
den Anfangen steckte, hat sich in der Gegenwart zu einer Machthohe, zu einer Sicher-
heit seiner Erkenntnisse emporgearbeitet, welche die Gewichtslage zwischen Schaffen
und Schrifttum mehr und mehr zu Gunsten des Schrifttums verandert haben. Die
dienende Stellung, die es bisher dem Kunstwerk gegeniiber einnahm und die es zum
"Wegbereiter des Schaffenden machte, hat es verlassen und sich in seinen extremsten
Formen zu einer geistigen Ausdi'ucksform entwickelt, fiir die das kxinstlerische Schaffen
anderer kaum mehr als ein Vorwand zu eigener geistig schopferischer Tatigkeit ist.
Fast hat sich das Verhaltnis gegen friiher umgekehrt: zog friiher die Produktion das
Schrifttum — oft in recht betrachtlichem Abstand — nacli sich, war es dessen Aufgabe
gewesen, das Zeitschaffen zu analysieren, das Ungewohnliche und Neuartige zu erkennen
und zu erklaren, so folgt es ihm jetzt hart auf dem Fufie, ja es hat den Anschein, als
ob das Schrifttum oftmals die Produktion nach sich zoge. Ein fortschritdiches Schrift-
DAS MUSIKSCHRIFTTUM IN DER GEGENWART 73
— ■ - ■ i ' ■ j ■ 1 r ■ ■ - ■ - i
turn ist entstanden, das dem fortschrittlichen ScliafFen voranmarschiert. Es stellt, oft
unbewufit, Programme und Richtlinien auf, welche vom zeitgenossischen Schaffen eine
Weiterentwicklung in bestimmter Richtung fordern. Das Schrifttum halt die Faden fest
in der Hand. Der von der Idee der Zweckmafiigkeit erfullte Zeitgeist, der auch das
Musikschrifttum beherrscht, will auch in der Entwicldungsgeschichte einer Kunst das
Kausalitatsprinzip erfiillt sehen. Er leitet das Schaffen auf ein bestimmtes Ziel hin und
schreibt dem Schaffenden die Aufgabe vor, die er zu erfiillen hat. Damit ist dem
kimstlerischen Schaffen, das allmahlich in ein Abhangigkeitsverhaltnis zum Schrifttum
geraten ist, die Naivitat verloren gegangen. Der Schaffende sieht sich auf alien Seiten
von so vielen „Zeitproblemen" umdrangt, dafi er in eineni Zwang arbeitet, der die
elementare und voraussetzungslose Schaffensart verbieten, die unmittelbare schopferische
Entladung hemmen mufi, Der grofie Abseitige, einsam Schaffende ist in unserer Zeit
verschwunden. Demi sie hat nicht mehr die Mufie, sich einem Einzelnen anzupassen;
sie will Normen und Typen. Der Einzelne hat seine Macht verloren; seine Leistung
wird ihm gestellt, wird ihm zudiktiert. Unterwirft er sich den Forderungen, denen er
sich unentrinnbar gegeniiber sieht, nicht, so bleibt er unbeachtet.
Der heutige Schaffende musiziert nicht einfach, wie es ihm sein Musiziertrieb
gebietet, sondern er beginnt sich zunachst vorsichtig zu orientieren, an welchen Punkten
die musikalische Schaffensbewegung halt, um sich dann die fur ihn giinstigste Stelle
zur Ankniipfung zu suchen. Das Schaffen ist vcillig unter den Bann des Fortschritts-
gedankens geraten. Der Schaffende stellt sich nicht mehr abseitig, vielmehr nimmt er
die Enden der Entwicklung dort auf, wo die letzte Generation sie liegen liefi. Der
schopferische Musiker der Gegenwart schafft bewufit Musikgescliichte. Fast scheint es,
als ob das Schaffen nur der Vollendung eines historischen Entwicklungsbildes gilt.
Diese EinsteUung, in der Musik seit etwa dreifiig Jahren lebendig, ist zweifellos zu
gutem Ted die Folge jenes ungewohnlichen Aufstiegs, den das musikalische Schrifttum
erlebte; es ubt einen geistigen Zwang aus, der mit dem Begriff der ,,Zeitstromung"
identisch ist. Das moderne Schrifttum fangt das gesamte musikalische Geschehen in
einer bis ins kleinste durchgearbeiteten entwicldungsgeschichtlichen Darstellung auf, in
deren kunstvollen Netz jede Erscheinung festgelegt ist. Selbst wenn es einem Talent
gelingt, halbwegs eigenwillig durchzubrechen und Neues (Neues im Sinne von Unvor-
hergesehenes) zu scliaffen, so wird dieses Neue von dem Schriftum, das sich seiner
sofort bemachtigt. so genau seziert, so rasch verdaut, dafi seine Auswirkung geschwacht
und zumeist in eine bestimmte Richtung abgedriingt wird. Die kleineren, dem Tempo
und den Forderungen der Zeit nicht gewachsenen Talente, jene Zuspatgeborenen
werden vollig zerrieben; denn ihre inneren Schaffensvoraussetzungen stofien von
vornherein auf Widerstand. Die entwicldungsgeschichtliclie Betrachtungweise des modernen
Schrifttums, das weniger den musikalischen Wert eines Werkes als vielmehr seine
entwicldungsgeschichtliclie Bedeutung, d. h. seinen Grad an Fortschrittlichkeit verzeichnet,
unterdriickt naturgemafi Talente, deren Werke eine Epoche nur zahlenmafiig bereichern ?
ohne sie zugleich vorwarts zu treiben. Dadurch entstehen jene so haufigen Verbiegungen
einfacher und an sich liebenswerter Talente, welche nunmehr glauben, sich in Sch6n_
bergsche oder Strawinskysche Ausdrucks- und Formkreise hineinschrauben zu mussen_
Hier kann Fortschrittlichkeit des Musikschrifttums zur Gefahr- werden, denn die Fort-
74 KURT WESTPHAL
schrittlichkeit, urspriinglich auf Seiten des Schaffenden, geht auf das Schrifttum iiber und
vergewaltigt das Schaffen. Trotzdem ware es mufiig, im Anschlufi an solche Erkenntnisse
sogleich kritikeifrig von einer Gefahr zu reden, die dem Schaffen durch das Sclirifttum
droht. Die mehr und mehr wachsende Macht des Schrifttums ist zunachst einmal eine
Tatsache, ist ein Vorgang, dessen Verlauf wir interessiert und erwartungsvoll beobachten,
ohne ihm als einem vermeintlich unnormalen und beklagenswerten Zustand entgegen-
zuwirken. Audi die Umkehrung eines bisher gegebenen Verhaltnisses weckt neue
Spannungen und damit neue Krafte und Moglicbeiten. Kann der Einflufi des Schrift-
tums gefahrlich werden, indeni er zu Verbiegungen kleinerer Talente in der erwahnten
Art fuhrt, so geht andererseits viel Anregung auf das Schaffen von ihm aus.
Es ist fur das moderne Schrifttum bezeichnend, dafi es immer und immer wieder
die kunstlerische „Lage" der gegenwartigen Musik feststellt. Hierin liegt zweifellos ein
gewisser Machtwdle, der die Beherrschung der Ereignisse nicht aufgeben, die Zugel zu
ihrer Leitung nicht loslassen will. Das Schrifttum iiberwacht auf diese Weise das
Schaffen, verzeichnet sorgsam jede kunstlerische Richtungsanderung, auf dafi nichts sich
seiner KontroUe entzieht. Das gesamte Geschehen wird in ein System gebracht, in
dem alle Punkte sich aufeinander beziehen, ein System, in dessen Spiegelung sich das
musikalische Schaffen der letzten dreifiig Jahre wie eine aufierst zweckmafiige und im
fortgesetzten Verhaltnis von Ursache und Wirkung stehende Entwicklung ausnimmt,
deren vorbestimmte logische Einheitlichkeit unbezweifelbar ist. Bei solch kunstvoller
Gliederung eines historischen Stoffes konnte es nicht ausbleiben, dafi das Schrifttum
oft willkurlich korrigierend in das wirkliche Entwicklungsbild eingriff, dafi es retuschierte
um die Einheit in der Darstellung der Ereignisse zu wahren. Die schwerste Gefahr,
der es dabei begegnen mufite — eine Gefahr, der es vielleicht nicht entgehen konnte —
war vor allem die: Werke und Personlichkeiten, deren entwicklungsgeschichtliche und
vermittelnde Bedeutung ihren Wert in erster Linie bestimmten, iiberstark zu belichten
und vor alien positiv Schaffenden in den Mittelpunkt der Betrachtung zu riicken.
Hier diirfte der Schliissel zu Schonbergs Einschatzung liegen; denn dafi Schonberg
als Schaffender iiber schatzt worden ist drirften heute selbst diejenigen zugeben, welche
die entwicklungsgeschichtliche Notwendigkeit von Schonbergs Leistung nach wie vor
anerkennen. Verfolgt man die Geschichte der Tonalitat und der funktionehen Harmonik,
so ist Schonberg in ihrem Verlauf die aufschlufireichste und fesselndste Erscheinung.
Aber ebenso mufi man gestehen, dafi sein Schaffen auch nur im Hinblick auf dieses
Problem fur den Betrachter (der hier richtiger fur den Horer steht) interessant wird.
Lost man die Beziehungen zwischen Schonbergs Werken und jenem Problem der tonalen
Emeuerung, zu dem sie wie ein Kommentar wirken, so verlischt ihre Lebenskraft
augenblicklichst. Seiten wird darum Schonberg eine positive Bejahung seiner Werke
erfahren. Ja, es ist uns kaum noch moglich, Schonbergs Werke vorurtedslos zu horen.
Sie sind fur uns in solche Fiille von geistigen und geschichtlichen Beziehungen ge-
bettet (Beziehungen, die zu schaffen wir dauernd selbst bemuht waren), es kreisen um
sie herum so viele Probleme, dafi, wir sie nicht mehr isolieren und fur sich betrachten
konnen. Jedes Urteil iiber Schonberg lauft darum auf jene hochst merkwurdige Zwie-
spaltigkeit der Urtedsfassung hinaus: Schonberg wird zu einem prinzipiellen Fall ge-
stempelt, der unmittelbaren Einwirkung seiner Musik aber geht man moglichst
r
DAS MUSIKSCHRIFTTUM IN DER GEGENWART 75
aus dem Wege. Wie schwach das Bedurfnis nach seinen Werken selbst unter modernen
Komponisten ist, beweist zur Geniige die geringe Zahl direr Auffidirungen. Gibt es
einen zweiten Musiker, der mehf diskutiert und relativ weniger aufgefiihrt wird ?
Dieser Fall eines Mifiverhaltnisses zwischen lebendiger Wirkung und entwicklungs-
geschichtlicher Bedeutung diirfte wohl einmalig sein. Schonbergs Schaffen wird nur
bedeutsam im Blickfeld einer entwicldungsgeschichtlichen Betrachtungsweise, fur die
das moderne Schrifttum zweifellos viel Spiirsinn hat; es wird symptomatisch bleiben
fur eine Zeit, die sich im Zustand geiahrlichster kiinstlerischer Krise befand. Eine
Personlichkeit wie Schonberg aber mufite kommen; mufite alle bisherigen Gesetze und
Bindungen, deren allmaldiger Auflosung die Musik des ausgehenden 19. Jahrhunderts
deutlich sichtbar zustrebte, zertriimmern, wenn auch mir um zu beweisen, wie not-
wendig einschrankende Gesetze fur jedes kunstlerische Schaffen sind. Als Anreger, als
Antriebkraft einer neuen Bewegung kann man Schonberg garnicht hoch genug werten. 1 )
Sicher hat er durch die Unerbittlichkeit, mit der er Konsequenzen zog, die Entwicklung
der modernen Musik rasch vorwartsgetrieben ; dafi er das alte, scho'n iiberall geflickte
und nur noch notdiirftig haltende System der Tonalitat aufrifi, und dadurcli eine durch-
gi'eifende Erneuerung herbeizwang, konnte der Musik nur heilsam sein. Da aber
anderseits Schonberg den Entwicklungsweg der modernen Musik so beschleunigt hat,
da er alle in ausfiihrte, was sonst viedeicht nur von mehreren Generationen erreicht
worden ware, steht die neue Musik zu der alten in so jahem Kontrast. Schonberg ist
der einzige, der diese Kluft uberbriickt. Will nun das Schrifttum die Verbindung her-
stellen, will sie die neue Musik aus der alten ableiten und die Geschichte der Musik
in ihrem Ubergang vom 1 9. zum 20. Jahrhundert als organische Einheit darstellen, so
kann sie dies nur mit Hdfe Schonbergs, so muft sie Schonberg uber den positiven
Wert seines Schaffens hinaus verbreitern. Denn zu ihm streben die wesentlichen Linien
des 19. Jahrzehnts, von ihm mhren die wichtigsten in die Moderne. Er wird der
Schnittpunkt der Jahrhunderte, das Durchgangstor vom alten zum neuen, er wird die
Achse, um die sich die moderne Musik dreht. Eine gewaltige Erneuerungsbewegung,
wiirdig, von mehreren Generationen vollendet zu werden, ist durch Schonberg auf den
knappen Raum eines Jahrzehnts zusammengedrangt. Nur durch seine Verbreiterung
kann die ruckhafte Umdrehung der Musik in der liter arischen Darstellung zeitlich und
kunstlerisch ausgegeglichen scheinen.
Dieses Bestreben, das urspriinglich Revolutionare in Evolution zu wandeln, seine
Notwendigkeit und organische Bedingtheit in alien Punkten nachzuweisen, ist allein
der Grund, der das Schrifttum notigt, das Kapitel Schonberg breit auszufiihren; denn
das Bindeglied zwischen alter und neuer Musdt, das sein Schaffen darstellt, kann nicht
entfernt, sondern mufi zum Verstandnis fur das Anbrechen einer neuen Epoche be-
festigt werden. Das Kapitel Schonberg zeigt in der Geschichte der neueren Musik am
eindringlichsten, wie sich das Schrifttum bewufit gegen das vom lebendigen Eindruck
bestimmte Urteil wendet, wenn es seine Zwecke erfordern, d. h. wenn eine von ihm
aufgerollte Stilgeschichte dadurch liiclcenloser und einheitlicher gestaltet werden kann.
Es unterstreicht em langst iiberwundenes Ubergangsstadium, dem die Schaffenden nur
') Vgl. die eingehende Behandlung Schonbergs in meinem bci Teubner-Leipzig demnadist ercheinenden
Buche iiber die moderne Musik.
76 MELOSKRITIK
noch eine Art dankbarer Hochachtung entgegenbringen, obwohl es seine durchaus rela-
tive Bedeutung erkennt. Greift das lebendige Musikleben heute nur noch selten genug
zu Schonberg, so verankert ihn das Schrifttum in seinen Darstellungen umso sicherer.
Klar geht daraus hervor, in wie verschiedenen Richtungen sicb beider Interessen be-
wegen. Im Musikleben bleiben nur Gipfelleistungen bestehen, das Musikschrifttum aber
spiirt verborgene psychologische Zusammenhange auf und ruckt diese in den Vordergrund.
MELOSKRITIK
Die neue. liier angestrebte Form der Kritik beruht darauf, dafi sie von
mehreren ausgeiibt wird. Dadurch soil ilire Wertung von alien Zu-
falligkeiten und Hemmungen abgelost werden, denen der Einzelne
ausgesetzt ist. Langsam gewonnene gemeinsame Formulierung, aus
gleicher Gesinnung entstanden, erstrebt einen hoheren Grad von Ver-
bindlichkeit. Die Werkbesprechung will alle Bezirke gegenwartigen
Schaffens umspannen. Die Aulfulirungsbesprechung mufi sicb auf
Berlin als Knotenpunkt des deutschen Musiklebens beschranken.
Werkbesprechung
Hans Mersmann — Hans Schultze-Ritter — Heinrich Strobel — Lothar Windsperger
HANNS EISLER
Die Berliner Urauffuhrung der „Zeitungsausclmitte" fur Gesang und Klavier, Opus 1 1
von Hanns Eisler gibt Veranlassung, sicb mit der Personlicbkeit und den bisher vor-
liegenden Werken dieses Komponisten eingebender zu befassen. Denn in den „Zeitungs-
ausschnitten" liegen Ausdruckswerte, welche die Aufmerksamkeit fesselten und die audi
manches in seinen fruhereii Arbeiten in neueni Lichte erscheinen liefien.
Hanns Eisler ist 1898 in Leipzig geboren. Er \s r ar in den Jahren nach dem Kriege
Schiiler von Arnold Schonberg, dann von Anton von Webern. Er lebt seit 1925 in
Berlin.
Bei dem Uberblick iiber Eislers Arbeiten ergibt sich eine ziemlich deutliche und
wesentliche Scheidung zwischen seiner Instiaimental- und seiner Vokalmusik '). Wie
fur alle Schiiler Schonbergs wird es auch fur ihn zum Problem, gegen die starke und
suggestive Personlichkeit des Lehrers sich selbst zu behaupten. So zeigt die Klavier-
s on ate Opus 1, die „Arnold Schonberg in grofiter Verehrung" gewidmet ist, dafi Eisler
Schonbergs Handschrift in einem erstaunlich hohem Grade beherrscht. Doch bleibt ihm
der wesentlichste Zug Schonbergs fremd: der sich aus dieser Sprache zwanglaufig er-
gebende Wille zur Konzentration. Eisler erkennt den Widerspruch dieser stilistischen
Haltung mit dem traditionellen Formschema der Sonate noch nicht, das er ohne Be-
x ) Im Druck liegen vor: Klaviersonate Opus 1, Sechs Lieder Opus 2, Klavierstiicke Opus 3, „Palm-
strom" (Sprechsrimme und Instrumente) Opus 5, Duo fiir Violine und Cello Opus 7, „Tagebuch", (Kantate
fur Fraucnterzett, Tenor, Geige und Klavier) Opus 9, samtlich in der Universal-Edition, Wien, dazu
die „Zeitungsausschnitte", handschriftlich als Grundlage dieser Besprechung.
WERKBESPRECHUNG
77
denken ubernimmt. Schon in dieser Arbeit ist eine fliissige Schreibweise zu erkennen,
die, trotz dauernder Hemmungen, Schonberg jedenfalls fremd ist. Individuelle Ziige
zeigt am starksten das Finale. Das Thema ist charakteristisch :
. Allegro
^f f
1( ,b f
■ *f ¥¥
^3\r ^tf
^
V
tffc t i t
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/ d
L J J ■ ~p^^^^ ■-
Die ganze Anlage dieses ohne Abstraktion geschriebenen Satzes ist leichter, ffiissiger und
musikfreudiger als die (schwacheren) vorangegangenen Satze. Die Klavierstlicke Opus 3
zeigen bei einer gedanklich starkeren Nahe zu Schonberg eine deudiche Lockerung des
Satzbdds.
Das Duo fur Violine und Cello Opus 7 kennzeichnet die spatere Instru-
mentalmusik. Schon die Bezeichnung „Duo" macht die Uberwindung der Sonatenform
sichtbar. Der erste Satz des zweisatzigen Werkes tragt die Angabe „Tempo di minuetto",
der zweite ist ein „Allegretto vivace". Eine zum Tanzerischen hinstrebende Melodik
fliefit noch nicht ungehemmt. Das Zusammenspiel der beiden Melodieinstrumente ergibt
keine lineare Polyphonie. Die oft zackige, arabeskenhaft gebrochene Linie hat dennoch
eine Tendenz zur Rundung. Die Einfachheit der Form beruht auf aufierlicher Flachen-
gliederung; sie ist noch nicht organisches Wachstum. Der zweite Satz lafit die anfangs
verschleierte Geste Schonbergs starker hervortreten.
Erst seine Vokalmusik zwingt Eisler zu einer bedingungslosen Auseinander-
setzung mit Schonberg und deckt seine Individualitat mit wachsender Klarheit auf. Die
sechs Lieder Opus 2 vertonen Texte von Claudius und Klabund. Aus dem Erlebnis
der Lyrik erwachst eine noch positive Einstellung zum Text. Ihr Ausdruck ist eine im
allgemeinen trotz geweiteter Intervalle (Schonberg) gesangvoll fliefiende Linie, von der
der folgende Anfang des zweiten Liedes ein Bdd geben kann:
Ruhig (nicht verschleppen)
(Sehr Icise)
(breit)
Ach es ist so dun - kei in des To - des Rammer, tb'nt so trau - rig-, wenn er sich be - weg-t.
Die „P almstrom"-Gesange Opus 5, welche die Entwicklung der Vokalmusik
Eislers fortsetzen, sind fur seinen Weg wohl am meisten cliarakteristisch. Sie sind in
ihrer Verbindung von Sprechstimme mit einzelnen histrumenten eine Nachahmung von
Schonbergs „Pierrot Lunaire", die sich an einzelnen Stellen bis zur Kopie steigert und
die eigenen Entwicklungswerte des Komponisten voriibergehend verschwinden lafit.
Unter den fiinf Stucken stellt sich das letzte alien andern selbstandig gegenuber.
Wahrend jene im „Pierrot Lunaire" beinahe restlos untergehen, schlagt dieses „ Couplet
von der Tapetenblume" Tone von starkerer Eigenart an. Dieser Ton, den der Komponist
selbst durch die Anweisung „wie im Kabaret vorzutragen ; halb singend" erlautert, ist
78
MELOSKRITIK
vergessen Sie nicht: es ist Friihling! Streiken Sie wegen dem furchtbaren Lichthof?").
zum ersten Male von Schonberg aus xiberhaupt nicht mehr denkbar. Auch hier konnen
die ersten Takte der Singstimme zeigen, worum es sich handelt :
pe - ten-blu - me bin ich
So wird die Kant ate, die im letzten Sommer in Baden-Baden aufgefuhrt wurde>
das erste Stuck, das Eislers Gesicht ganz klar zeigt. Freilich werden hier iiberwiegend
seine Schwachen sichtbar; nur vereinzelte Ansatze lassen das Ziel erkennen.
Die „Texte'" dieser Kantate sind eine letzte Absage an die Lyrik. Es sind banale,
improvisierend gereimte Alltaglichkeiten, letzten Endes eine snobistische Selbstpersiflage.
(Beispiele: „Es ist unmoglich, ganz allein in einer fremden Stadt zu sein; oder: Wenn
man ein dummer, schlechter Biirgerknabe ist, o wie alles hafilich ist! Wenn ich einst
geh zur ewigen Ruh, deckt mich mit Notenpapieren zu".)
Flucht in diese Atmosphare ist vielleicht ebenfalls als Notwehr gegen Schonberg
zu verstehen. Sie wird aber zugleich zur befruchtenden Kraft. Denn an den besten
Stellen der Kantate gewinnt eine gewissermafien banalisierte Singstimme unmittelbaren
Impuls aus den Worten. Hier zugleich wird die Haltung wieder gewonnen, welche sich
im Couplet des „Palmstr6m" vorbereitet hatte. Der Anfang des Stiickes „Depression"
dient als Beispiel:
h'iB - lioh ist,
o wie al - les h'aD - lich
ist I
Vereinfachte Intervallspannung wirkt sinnfalliger und bewirkt grofiere Plastik des
Rhythmischen. Solche Entwicklungs ansatze treten immer wieder an einzelnen Stellen der
Kantate auf. Wenn sie freilich erst aus der ruckschauenden Perspektive der „Zeitungs-
ausschnitte" ganz klar erkennbar werden, so liegt das daran, dafi der Stil der Kantate
durch den iiberheblich gesteigerten Terzettsatz und vor allem durch die meist sehr
schwachen instrumentalen Zwischenspiele, die ohne Notwendigkeit in eine fruhere
Entwicklungslage zuriickfallen, gefahrdet wird.
Auf diesem Unterbau erscheinen Hanns Eislers „Zeitungsausschnitte - ' (fiir
Singstimme und Klavier) als Hohe, als ein zum ersten Male in seiner Gesamtheit ge-
gliiclctes Kunstwerk. Der Bruch mit dem Gedankenkreis Schonbergs hat sich nun radikal
vollzogen. Was sich in der Kantate durch nihdistische Verspottung des Textes vorbe-
reitet hatte, wird hier zum Ausdruck eines Weltbildes.
Zeitungsausschnitte : das ist nicht ganz wortlich zu verstehen. Eisler vertont
Kinderreime („Mariechen, du dummes Viehchen" oder: „Wird schon wern, mit der
Mutter Barn!") oder die Heiratsannonce eines Burgermadchens und eines Grundbesitzers,
die Enquete eines Landesschulrats in einer Volksschule uber die Siinde oder die Fruh-
lingsrede an einen Baum im Hinterhaushof („Ich bitte Sie sehr, zu bliihen, Herr Baum ;
WERKBESPRECHUNG
79
Das Gemeinsame ist die Zone aller dieser Texte; sie ist proletarisch, eine bisweilen zum
blutigen Hohn gesteigerte Absage an biirgerliche Gesinnung und dariiber hinaus auch an
biirgerliche Kunst, an individuellen Ausdruck, an Lyrik iiberhaupt. Schon der Mut und
die Gesinnung, welch e dieseTexte zusammenstellten und vertonten, sind ein positiver Faktor.
Der Blick auf die Musik verstarkt diesen Eindruck. Es lag die Gefahr nahe, die
Schnoddrigkeit dieser Worte auch auf die Musik zu ubertragen. Das hat Eisler nicht
getan. Es ist seine starkste Leistung: dafi er aus dem gemeinen Gassenhauer ein
Kunstwerk von gespanntem Formwillen und klarer Gliederung aufbaut. Nicht nur das
nun ganz eigene Gesicht des musikalischen Ausdrucks sondern die in den besten Stucken
der Reihe durchstromende motivische Kraft und organische Geschlossenheit kennzeichnen
dieses Werk. Es hat sich von der noch in der Kantate spurbaren nervosen Atmosphare
befreit Von der melodischen und rhythmischen Durchgestaltung der Singstimme gibt
der Anfang des „Kriegslied eines Kindes" ein Bild:
Mei-ne Hut-ter wird Sol - dat;
r*- />• r - 0*
da zieht Bio Ho -
mil- ro-ten Quft-Bten dran.
Tra - ra -
- ra tflchin - dra.
Auch die instrumentalen Linien schwingen nun zum ersten Male wirklich aus.
Dazu tritt eine starke Verstraffung des Rhythmischen und vor allem eine VoUendung
der am klarsten im Duo fiir Violine und Cello sich vorbereitenden Lockerung des
Satzes. Diese Lockerung ist ausgewogen gegen eine starke gedankliche Konzentration
und gegen einen durchweg geordneten Formverlauf. Unter diesem Gesichtspunkt halten
wir die „Fruhlingsrede an einen Baum im Hinterhaushof fiir das starkste Stuck der
Reihe. Ein Ausschnitt kann einen Einblick in Satztechnik, melodischen Ausdruck und
rhythmischen Gestaltungswillen des Komponisten geben:
Strei - ken Sie we g*en dem furoht - ba - ren Licht - hor? Strei - ken Sie we - g*en der
Bchreok - li - . oben
Zins - ka - eer • ne?
So ist der letzte Eindruck diesem Werk gegenuber der eines gegliiclcten uud wirk-
lichen Zeitbildes. Es bleibt abzuwarten, ob Eisler iiber diesen einmaligen Wurf hinaus
zu einer umspannenden Leistung gelangt, abzuwarten auch, ob sich das hier angefafite
Stoffgebiet einer Weitung fahig erweist.
80 MELOSKRITIK
Auffuhrungsbesprechung
Hermann Springer — Heinrich Strobel — Werner Wolffheim
Klemperer brachte in der Krolloper den „Don Giovanni". Er lost ihn sowohl
von rokokohafter Weichheit wie von betonter Damonie ab und gestaltet ihn als reines
Buffospiel. Umso bedeutungsvoller hebt sich der Schlufi; es werden Energien frei, die
sich im Spielgeschehen sammelten. Klemperer strebt nach auGerster Konzentration und
Klarheit, nach planvoller Vereinfachung der Szene, die durch weitestgehende Ausniitzung
ernes festen Biihnenvorbaus pausenlosen Ablauf ermoglicht. Exakte Ubereinstimmung
zwischen Biihne und Orchester wird nicht im gleichen Mafie erreicht wie im „Fidelio".
In den Ensembles fallt allzu grosse Gebundenheit der musikalischen Linien auf. Der
Kontrast der Gegenspielfiguren zu der Aktivitat Don Giovannis und Leporellos ist in
maskenhafter Starrheit herausgearbeitet. Die Rezitative laufen in hochster dramatischer
Spannung ab. (Leider vernachlassigt auch Klemperer in der Behandlung der Melodie-
linie die Stilgesetze der Zeit; die Bezitative bringt er ohne die notwendigen Appogiaturen).
Ewald Diilbergs Biihnengestaltung geht von einer dem Barock genaherten Architektonik
aus, die in der Schlufiszene des ersten Aktes zu einer der Spielentfaltung hinderlichen
Enge fuhrt. Die in der Bichtung zum Puppenspiel stilisierten Kostiime bringen Eeben
in die auf schwarz, rot und gold gestellten Bilder. Die gesanglichen Leistungen stehen
auf ansehnlicher Hohe. Gesanglich iiberragend der Ottavio Fidessers. Krenn in
der Titelpartie : straff, draufgangerisch, doch ohne Verfuhrerliebenswurdigkeit. Sehr klar
und fesselnd angelegt die Elvira der Tilly Blatter mann. Tuchtig die Donna Anna
der aus Leipzig herbeigeholten Fanny C 1 e v e. Dagegen grob, humorlos und laut der
Leporello K aim amis, grotesk iibersteigert der Masetto Go Hands.
Fur die Stadtische Oper ist das Fehlen einer straffen Fiihrung nachteilig.
Walter beschrankt sich auf die Leitung der von ihm einstudierten Werke. Die Re-
pertoireopern bleiben oft Kapellmeistern uberlassen, die ihren Aufgaben nur bedingt
gewachsen sind. Diese Auffuhrungen leiden auch unter dem Mangel an Kontrolle und
Auffrischung, da kein leitender Begisseur eingreift. Seit Beginn der Spielzeit behilft man
sich mit Gastregisseuren : Martin, Niedecken-Gebhard, Dobrowen, Horth.
Em Strawinskijabend, der eingeschoben wurde, urn auch an dieser Stelle ein-
mal an das neue Schaffen zu erinnern, machte wenig Eindruck. „ Die Nachtigall",
im Konzertsaal bereits mehrfach gespielt, ist nur eine lose Folge von drei Bddern nach
Andersens Marchen: ein artistisches Werk, zum franzosischen Impressionismus neigend,
reich an zarten Farbmischungen, in seiner Einheit durch die verschiedene Entstehungs-
zeit der einzelnen Akte bedroht. Wahrend der erste Teil noch im Bereich Debussys
hegt, wirkt in der zweiten Halfte bereits der Stil der „Sacre"-Periode nach. Dobrowen
ftihrte die Inszenierung aus seiner Kenntnis des russischen Theaters.
Das Jugendwerk „Der Feuervogel" ist vielfach koiiA r entionelle Theatermusik
unter Verwendung volksmafiiger Elemente. Es wurzelt in der alten russischen Ballett-
tradition und mufi dementsprechend wiedergegeben werden. Dazu reichten jedoch
die tanzerischen Krafte nicht aus. In dieser dilettantischen Form war die Auffuhrung
nicht zu rechtfertigen.
ARTHUR HONEGGER: ANTIGONE 81
Fraglich bleibt es auch, ob die Neueinstudierung der „Manon" von Massenet
notwendig und wiinschenswert war. Gewiss ist es verstandlich, wenn man neue Auf-
gaben fur ein zugkraftiges Mitglied des Ensembles wie Frau Ivogiin sucht. Aber das
darf nicht dazu fiihreii, dafi das Repertoire in eine bestimmte Richtung gedrangt wird.
Die glanzende Auffiihrung beherrscht Frau Ivogiin, neben ihr ragt Carl Martin
Oehmann hervor.
*
Von Klemperer hatte man erwartet, dafi er in jedem Konzert ein Werk aus
dem Bereich neuer Musik ansetzen wiirde. Ein Brahmsabend war an dieser Stelle nicht
notig. Klemperer iiberzeugt durch seine energische, strenge nnd sachliche Interpretation
der c-moll Symphonie. Er beschonigt nicht den herben brahmsischen Klang, er ge-
staltet den dritten Satz unvergleichlich schwebend und fliefiend. Durch den iiberlegenen
und beherrschten Vortrag des Violinkonzerts stellt sich Joseph Wolfstal an diesem
Abend in die erste Reihe der Geiger. Bei Furtwangler hort man vor Bruckners
7. Symphonie, die er aus innerer Verbundenheit mit dem Werk vollendet aufbaut,
Wanda Landowska auf dem Cembalo mit einem kaum fiir dieses Instrument ge-
dachten, spielerisch-zarten Konzert von Haydn. Die Kunstlerin, die einen giiltigen
Vortragsstil fiir alte Musik geschaffen hat, steigert die Komposition durch die Geistigkeit
und Subtilitat ihrer Wiedergabe, obwohl der Riesenraum der Philharmonie die Wirkung
beeintrachtigte. Konzenrrierter und vielseitiger kam das Wesentliche ihrer grofien Kunst
in einem Vormittagskonzert der Volksbiihne zur Geltung. Bruno Walter stellte eine
von Richard Straufi fiir den einarmigen Pianisten Wittgenstein gelieferte Gelegen-
heitsarbeit heraus, die den pomphaften Titel „Panathenaenzug" tragt.
Zum ersten Mai erschien der Russische S taatschor mit Volksliedbearbeitungen
und einer Messe von Rachmaninoff, die sich auf kirchliche Weisen stiitzt. Man bewunderte
die auf jahrhundertelanger Tradition beruhende Disziplin, die Ausgeglichenheit des er-
lesenen Stimmaterials, vermifite aber die Vitalitat, die man gerade bei russischen Choren
gewohnt ist. Zwei Abende des Lenerquar t etts bewiesen erneut, dafi diese bedeutende
Kammermusikvereinigung immer noch nicht die Resonanz bei den Horern hat, die sie
aufgrund ihrer iiberragenden Leistungen verdient. Das englische Brosaquartett
fiihrte sich aufs gliicldichste mit einem temperamentvollen und sensitiven Stiick von
Arnold Bax ein.
UMSCHAU
ARTHUR HONEGGER: ANTIGONE
Musikalische Tragodie in 3 Aufziigen. — Urauffiihrung in deutscher Sprache am
11. Januar 1928 im Stadttheater Essen.
Machtig ragen die gewaltigen Dramen der An tike in ihrer iiberwaltigenden, zeit-
losen Monumentalitat in unserere Zeit hinein, die sich miiht, fiir ihre ewige, iiber-
menschliche Grofie nachschaffend neuen Ausdruck zu fiiTden. Fast gleichzeitig sind
82 UMSCHAU
zwei der allermodernsten unter den Musikern unserer Tage in den Bann der beiden
grofiten Tragodien des Sophokles, ja des Altertums iiberhaupt, gezogen : Strawinsky
schrieb einen Oedipus. Honegger seine Antigone. Man versteht, was den Schopfer des
„K6nig David", der „Judith" an dieser gewaltigen Dichtung anziehen mufite: die Wucht
ihrer Linienfuhrung, die Einfacbheit und Tiefe ihrer Psychologie, die Polaritat ihrer
seelischen Gegensatze, die ungeheure Grofie ihrer cborischen Spraclie. Der Komponist
fand einen Textdichter in dein Franzosen Jean Cocteau, der die alte Tragodie
„frei nach Sophokles" (so wortlich auf dem Titelblatt!) nachdichtete. Es habe ihn ge-
reizt, heifit es im Vorwort des Dichters, ,,Griecheidand vom Flugzeug aus zu photo-
graphieren", also die Dichtung „aus der Vogelperspektive" zu iibersetzen, wobei dann
„oft grofie Schonheiten verschwinden, andere aber auftauchen", jedenfalls aber die
Moglichkeit gegeben sei, „das alte Meisterwerk zu neuem Leben zu erwecken". Wir
sind nun der Meinung, dafi dem Dichter dieser gewifi lobliche Vorsatz nicht im vollen
Mafie gelungen ist. Was wir feststellen, ist eine rticksichtslose Kurzung des Originals,
bei der z. B. die Strophen eines Chorlieds auf ebensoviele Zeilen zusammengedrangt
werden und die ganze Handlung wirklich „wie im Fluge" voriiberzieht. Die Vorgange
bekommen etwas atemloses, gehetztes, und es fragt sich, ob durch eine solche Zu-
sammenballung nicht dem tragischen Ablauf des Geschehens seine Folgerichtigkeit
und Grofie genommen wird. Starker als dieser Einwand wiegt das Bedenken gegen
die Stilform der Sprache, die diese sogenannte Neudichtuiig spricht. Sie wirkt auf
weite Strecken in ihrer iibergenauen Anlehnung an den sophokleischen Ausdruck wie
eine schlecbte Primanerubersetzung aus dem Griechischen, um sich dann wieder, vor
allem in der Partie des Kreon, einer sehr ungriechisch-derben Ausdrucksweise zu be-
dienen. So redet Thebens Herrscher seinen Sohn an: „Mein Herr von Haberecht" und
meint angesichts der ihr Schicksal beklagenden Antigone: „Nicht braucht es . . . soviel
Kantaten. Hopp, schnell hinweg mit ihr". Oder er ruft: „Was soil der Blodsinn",
driickt sich also recht korpsstudentisch-schneidig aus. Dafi der Chor singen muj! :
„Bacchus, Thebens erster Burger" sei als weitere Seltsamkeit angemerkt. Man weifi nun
allerdings nicht, wieviel von diesen Entgleisungen auf die Bechnung des franzosischen
Textdichters kommt und was auf die des Ubersetzers Leo Melitz. Betont dieser
doch ausdriicklich, da6 die deutsche Fassung „keine Ubersetzung im alltaglichen Sinne,
sondern eine Bearbeitung" sei. Nur diese Tatsache iibrigens, da£ sich mit der bei der
Ubersetzung notwendig werdenden Anpassung der Singsstimmen an den deutschen Text
starke Unterschiede zwischen dem franzosischen Original und der deutschen Fassung
herausgebildet haben, rechfertigt die Bezeichnung der nach der Briisseler Urauffuhrung
stattfindenden Essener Wiedei'gabe als einer neuen „UraufTuhrung".
Auch der Komponist hat wie der Dichter und der Ubersetzer eine Vorrede voran-
geschickt. Folgende Gedanken hatten ihn geleitet: erstens „das Drama in ein eng-
maschiges symphonisches Gewebe zu hullen, ohne seine Beweglichkeit zu belasten";
zweitens „das Bezitativ durch eine melodische Fiihrung der Singstimme zu ersetzen . . .
und eine melodische Zeichnung zu suchen, die durch das Wort selbst hervorgerufen
wird, vor allem durch die ihm innewohnende Plastik, welche ihre Umrisse klarer werden
laGt und die Linien deutlicher hervorhebt", endlich „als ehrlicher Arbeiter eine
ehrliche Arbeit zu liefern".
ARTHUR HONEGGER: ANTIGONE 83
Um mit dem letzten anzufangen : man wird dem Komponisten zugeben miissen,
dafi er ein respektables Stiick Arbeit geleistet hat. Audi die werden es zugeben
miissen, die die Resultate dieser jahrelangen Arbeit (Januar 1924 bis Februar 1927
steht unter der Partitur) bewufit oder gefiihlsmafiig ablehnen. Man spiirt diese Arbeit
weniger beim erstmaligen Horen, obwohl einem audi da schon die klare Gliederung
und straffe Zudit dieses vermeintlidien Wirrwarrs von Tonen zu Bewufitsein kommt.
Aber zu wirklichem Respekt gedrangt fiildt man sicb erst bei genauem Studium der
Partitur oder des Auszugs. Wie eiiideutig und einpragsam, wie lapidar sind diese
Themen, vom ersten, spater immer wiederkebrenden Thema des Trotzes im kurzen
Ordiestervorspiel, bis zum letzten wucbtigen „zu spat" des Chores, das, vom Orchester
unisono wiederholt, die Tragodie abschliefit. Wie vielfaltig die motivischen Beziehungen
von einem Teil des Werkes auf den anderen, die iiberall die tieferen seelischen Ver-
bindungen herstellen. Das ist gewifi, in dieser atonalen und linearen Schreibweise
offeiibart sidi ein gewaltiges Konnen. Doch ist diese Musik nicht nur gekonnt, nicht
kalt und empfindungsleer. Wie ein Feuerstrom ergiefit sie sicb und reii&t unwider-
stehlidi mit. Die Zusammengedrangtheit der szenischen Handlung, die Beschrankung
des Dialogs auf das unbedingt Notwendige, die Sachlichkeit der Gefiihlssprache : rein
dicbterisch genommen anfechtbare Qualitaten des Textes, der Musik sind sie jedenfalls
zugute gekommen. Das ist ein kurzer vulkanhafter Ausbrudi von unerhorter, fast
brutaler Leidenschafdichkeit, er erschiittert und befreit den Horer, er iiberwaltigt mit
einem Wort.
Bei ofTenem Vorhang rollt die Handlung ab, gegliedert durch die beiden gewal-
tigen Gesiinge des unsichtbar aufgestellten Chores bei verdunkelter Biihne. Diese beiden
Chore sind es vor ahem, die audi den widerstrebenden und kiihlen Horer sofort in den
Bann ziehen. Dieser erste, einstimmige Gesang der Chortenore unter Begleitung der
grellen Trompeten „Seltsame Menschheit, Meer bezwingend" (das sopholdeische „Vieles
Gewaltige lebt") mit dem standig wiederholten Tonsdiritt c — e ist von erschutternder
Pragnanz, der Bacchuschor gegen Schlufi der Tragodie von aufwiihlender Harmonik und
Melodik. Hier erweist sich Honegger nicht nur als der bekannte Meister eines genialen
Chorsatzes, sondern audi als Kiinder eines Griedientums, das sidi heute fur unseren
Blidc als das eigentliche vor das ubliche Klischee der Gipsabgiisse, der edlen Einfalt
und stillen Grofie gedrangt hat, eines berauschend leidenschaftlicheii, eines orgiastischen,
eines dionysischen Griedientums, von dem schon Nietzsche, ja bereits der spate
Holderlin wufiten.
Die Sprache seiner Musik ist ohne Zweifel riicksichtslos, hart und unerbittlich
gegenuber alien Anspriichen des sogenannten Wohlklangs. Sie hrddigt der monumentalen
Linie, sie duldet nicht nur, sie sucht, sie liebt die Dissonanz. Doch gibt es audi
tonale Momente von sehr einpragsamer und klangvoller Harmonik, so bei der Chorstelle:
„jetzt ersti-ahlet ganz Theben im herrlichsten Siege" oder bei der anderen „ghicklich
ist, wer sclnddlos". Jedenfalls aber lebt dies Werk nicht von der Harmonie, sondern
von der Linie und mit ihr voni Rhythmus. Dieser ist denkbar einfach und klar, ja
bildet den eigendichen tragenden Grundpfeder dieser Musik, und audi bei den einzelnen
Themen ist das Urelement. nicht ihr Melos, sondern ihr Bhythmus. So erfullt sich
audi des Komponisten Anspruch, im Sprechgesang seiner Singstimmen die innewohnende
84 U M S C H A U
Plastik des Worts sich auswirken zu lassen. Ein Wort wie etwa „Jupiter" oder „Anti-
gone" wird in seiner ihm eigentumlichen rhythmisclien Pragnanz erlebt mid wieder-
gegeben. Die Melodiefiihrung der ungemein schwierigen Singstimmen ist uberreich an
rhythmischer Abwechshmg, an minutiosem Detail kleinster Zeitwerte, es bedarf rhyth-
misch ganz sicherer, ja besonders veranlagter Sanger, um dieser die peinlichste Akribie
verlangenden Gesangsweise gerecht zu werden. Diese Honeggersclie Art des Sprech-.
gesangs halt den Sanger in einer ununterbrochenen, jeden Nerv und Muskel bean-
spruchenden Spaiinung, die jede Bewegung, jedes besondere Mafi von Gestikulation
ganz von selbst verbietet; moglichst wenig sicb bewegen, aber sehr klar und deutlich
aussprechen, so lautet die Forderung, die zu Beginn der Partitur vom Komponisten an
den Sanger gerichtet wird. An ganz seltenen Stellen nur erfolgt so etwas wie eine
Entspannung und Losung, so bei dem herrlicben Altsolo eines Chorfiibrers : „0 Liebe,
die alle Menschen beherrschet". Sonst bebalt man den Eindruck einer unaufhorlichen,
zugleich magischen und nervosen Spannung, einer unheimlichen Erregung und
Hast bei aufierlich statuenhafter Ruhe der Singenden. Die Instrumentation endlich ist
mit alleji Wassern moderner Technik gewaschen, aber enthalt sich des artistischen Raf-
fmements und der kapriziosen Uberraschungen. Sehr beliebt ist auch bei Honegger
der solistische oder konzertierende. Gebrauch einzelner oder mehrerer Instrumente.
Besondere Neuigkeiten in der Klangmischung fallen nicht auf, wohl aber einzelne
Momente von pointierter und suggestiver Farbung. In der Dynamik finden sich
starke Kontraste, zum Gliick, da die angestrengten Nerven jedes Pianissimo dankbar
begriifien.
Die Essener Spielleitung (Erich Hezel) hatte sich benriiht, dem wuchtigen Cha-
rakter, dem Tempo und der Atmosphare des seltsamen Werkes Rechnung zu tragen.
Sie hatte in der Ausstattung (Kaspar Neher), der Kostiimierung und dem sonstigen
szenischen Drum und Dran den StU jenes vorklassischen Griechenlands, das wir aus
erhaltenen Masken tragischer Schauspieler, Vasenbildern und Wandgemalden kennen
und das dem Dichter und dem Komponisten vor Augen schwebte, treffen wollen. Der
Chor stand verdeckt, die handelnden Personen sangen auf einer die ganze Biihne
schneidenden Treppe, die vier Chorfiihrer hatte man durch tiberlebensgrofie, gemalte
Figurinen dargestellt, diesen aber seltsamerweise grofie metallene Schalltrichter in den
Mund gesteckt, durch die der Gesang der Chorfuhrer so klang wie eben der mensch-
liche Gesang durch metallene Trichter klingt, also nicht gerade sclion. Sicherlich ein
Fehlgriff der sonst stilbewufiten und einheitlichen Regie, aber etwas Nebensachliches,
das zu Unrecht von einem Ted des Publikums als Hauptsache, besser Vorwand fur die
Ablehnung des ganzen genommen wurde. Hier setzte denn auch bei der dritten Auf-
fiihrung der Krawall ein, wahrend bei der eigentlichen Urauffuhrung bis auf den iib-
lichen Achtungserfolg ziemliche Lauheit geherrscht hatte. Jetzt, als der Chorfiihrer
durch seinen Trichter in metallisch dumpfen Lauten das Nahen Kreons, des neuen
Herrn, anktindigte, begann man zu larmen, bis der Vorhang fallen mufite, trotz allem
eher eine gefiihlsmafiige, vielleicht sogar von Drahtziehern absichtlich inszenierte Kund-
gebung gegen Fremdartiges und Fremdlandisches als bewufite Ablehnung des musika-
lischen Werks, das man auch an jenem Abend nach Hinausbeforderung der Ruhestorer
ruhig zu Ende spielte und seither noch mehrfach vor einem Haullein unentwegter Ent-
SPIEL AUF MEHREREN KLAVIEREN 85
mente. Aber selten spingt ein Funke iiber: man sitzt wahrend des grofiten Teils des
husiasten und einer grofien Mehrheit ratloser und erschreckter Abonnenten wiederholt hat.
Die musikalisch-gesangliche Leistung der Uraufmhruiig war uberzeugender ala die
szenische : das Orchester spielte zugleich mit Absclieu und Hingebung, unter dem sug-
gestiven EinfluS seines Dirigenten Rudolf Scbulz -Dombur g, der diese an sicb scbon
leidenschaftlicb vorwartsstiirmende Musik noch mehr mit nervoser Unrast fiillte und
die grofiten Hindernisse der Partitur mit einem Temperament und einer Hingabe nahm,
als ob sie nichts waren. Die Sanger zeigten sich den schwierigen Anforderungen ihrer
Rollen aufs beste gewachsen, hervorzuheben waren vor allem Dodie van Rhyn-Stell-
wagen in der Titelrolle und Hemrich Bias el als Kreon, letzteres auch darstellerisch
eine glanzende Leistung. Dem Musikdrama voraus ging eine Auffuhrung des Honeggerschen
Balletts „Der siegreicbe Ho r a tier", dem die Tanzgruppe der Biihue unter Jens
Keith, verstarkt durch einen eigens dazu gebddeten Bewegungschor, zu einer sehr ein-
drucksvollen AViedergabe verhalf. Auch bei diesem Werk des tanzerischen Stils erkannte
man wieder, wie sehr die eigentliche Kraft Honeggers im Rhythmus liegt.
Alles in allem ein grofier Tag fiir die Essener Oper, in die mit der Leitung
Schulz-Dornburgs ein starkerer Wille zur Bejaliung des Modernen eingezogen ist. Ob
die Antigone ihren Weg nehmen wird? Ob spatere Geschlechter sich zu dieser Musik
bekennen werden ? Wir lassen diese Frage offen, erinnern aber an die Ablehnung der
Straufichen „Elekti - a" vor 20 Jahren, die heute ein so selbstverstandlicher Besitz der
neuesten Operngeschichte ist. Ob aber zukunftsreich oder nicht, jedenfalls ist die
Honeggersche Musik in starkster Weise Zeitausdruck und als solcher von einer Bedeutung,
die ihr kein Unvoreingenommener abstreiten wird.
A. Rohlfing (Essen)
SPIEL AUF MEHREREN KLAVIEREN
1.
Jean Wiener und Clement Doucet. Der eine : mager, ungeheuer beweglich, ein
wenig spitz-fanatisch. Der andere: gemutlich, mit einem Anflug gemefierischer und
zugleich seelenvoller Behabigkeit, ein gewinnend, dabei echt franzosischer Typ. Die
Herren komm en aus Paris und spielen auf zwei Klavieren. Wiener: lebhaft, eindringlich,
sichtbarstes Temperament; fallt ihm das Thema zu, so hammert er es ganz eckig heraus.
Indessen Doucet immer Miene macht, als betatigten sich seine Hande nur fiir sich allein ;
und die wieder laufen wie zufallig tiber die Tasten, bequem und scheinbar ohne Anstrengung,
sodafi man, weniges sehend und erstaunlich viel horend, kaum den eigenen Ohren
traut. Beide haben eine phanomenale Technik, ihr Zusammenspiel beweist dazu viel
Feuer, viel Geist, eine seltene Exaktheit, ja, ein rhythmisches Gefiihl, wie man es
nicht leicht ein zweites Mai findet. So fiihlt man sich bezaubert, hingerissen ; geniefit.
Was aber? — die Verschiedenheit der Temperamente, so scheints.
Walter Gieseking und Eduard Erdmann. Auch sie spielen einmal auf zwei Klavieren.
Der eine: sehr behutsam, mehr die Musik streichelnd als sie dem Horer aufzwingend,
iiberlegte Gestaltung bietend. Der andere: jugendlich-draufgangerisch, einer naiven, un-
gebandigten Kraft vertrauend. Also gewifi auch hier zwei sehr verschiedene Tempera-
86 UMSCHAU
Abends unbewegt im Saal und empfindet den Gegensatz der Charaktere als uniiber-
windliches Hindernis des Genusses. Und so sind wir geneigt anzunehmen, ein Irrtum
nur habe uns zu der Meinung verleitet, dafi bei den Franzosen zunachst und als wesent-
lichstes Moment die Ungleicbheit der kiinstlerischen Individualtaten uns erfreut habe.
Wir denken zuriick. Die Franzosen waren wunderbar aufeinander eingespielt;
man spiirte, dafi sie seit Monaten, seit Jahren miteinander musizieren. Die Deutschen —
es war einer Konzert-Direktion gelungen, die beiden Kiinstler zu einem gemeinsamen
Konzert zu veranlassen ; die wenigen Verstandigungsproben, die sie gehabt haben mogen,
hatten nicht ausgereicht, eine musikalische und technisclie Gemeinsamkeit zu erringen.
So stellten hier immer wieder (wobei eigentlich stets Erdmann verantwortlich gemaclit
werden mufite) kleine Differenzen sicli ein, wahrend dort, bei den Franzosen, eine
vollkommene, undurcbbrocbene Ubereihstimmung der Spieler fesselte. Da nun aber der
eine der Eindriicke als bedeutungslos sich nur muhsam in unserer Erinnerung noch
erhalt, der andere aber so sehr als unverlierbarer Gewinn lebendig bleibt, sollte es
schwer fallen, sicli vorzustellen, wir hatten vielleicht geradezu das Gegenteil dessen, was
wir zuerst gemeint, genossen: statt der Eigenart der Spieler eben die Aufhebung der
Eigenart, die Verschmelzung zweier (nur anfanglich, nur in den Voraussetzungen un-
gleicher) menschlich-musikalischer Haltungen?
Eine Erinnerung taucht auf : Konzert von Paul Whiteman. Da spielten vier Leute
auf vier Klavieren. Mit der absoluten Prazision von Maschinen. Die Reaktion darauf
war, dafi man sich angeekelt fuhlte. Dies nahmen wir nicht mehr als Kunst auf,
sondern als Erniedrigung des Musikers, des Menschen, der ja, trotz Bindung, Schicksal,
„Maschinenzeitalter", sich als frei fiihlen will und fiihlen soil. Es kann kein Zweifel
hieruber bestehen: die vollige Ausschaltung des individuell-kunstlerischeu Moments
wirkt als Abtotung jeden Reizes, ja, unertriiglich, als Perversitat. Dabei verursacht nicht
etwa, wie man zunachst meinen konnte, die Vierzahl der Klaviere und Spieler den
Eindruck. Sondern wenn Jack Hylton Piano-Duets bietet, gleichermafien bestrebt, solche
Metronom-Musik uns vorzusetzen, wachst in uns die gleiche Empfindung wie damals
bei dem selbstgekronten Jazzkonig: Emporung.
Beruhigt kehren wir zur ersten Meinung zuriick : es waren doch die Temperamente,
die wir genossen haben. Nicht die aus der Verschiedenheit destillierte Gleichheit (in
die von alien personlichen und asthetischen Werken nur ein armseliger Bruchteil sich
retten konnte), sondern die auf der Basis der Ubereinstimmung von Technik und Ge-
samtauffassung sich erhebende individuelle Freiheit bietet den hochsten Gehalt des Zu-
sammenspiels mehrerer Musiker, in der Kammermusik wie beim Klavierensemble.
Trotzdem ist solches Spiel nicht vollig irrational. Deiin mag uns scheinen, jene Eigen-
art des Temperaments, die ja aus rhythmischen Feinheiten, aus der reichen Variabditat
der Dynamik erlebbar wird, wirke vollig fessellqs sich aus — der musikalisch durch-
blutete Mensch wird unwillkurlich die Ungebundenheit allein der Herausarbeitung der
musikalischen Gestalt, der lebendigen Erfiillung der melodischen, dej; rhythmischen, der
klanglich-harmonischen Phrase dienstbar machen. Sodafi da doch wieder ein fafibar
rationaler Wert sich verwirklicht. Aber fredich, nicht die brutale und 6de Ratioiialitat
der (immer primitiven) Maschine herrscht dann, sondern eine edlere,: die feine und stets
wechselnde, sich anpassende des musikalischen, des asthetischen Geistes.
SPIEL AUF MEHREREN KLAVIEREN 87
Die Klarung dieser Einsicht war ein erster gedanklicher Gewinn dieser Abende,
an denen die beiden Franzosen uns in so seltenem Mafie begltickten.
2,
Gieseking und Erdmann, bemiiht, allgemein bekannte Werke zu meiden und
durch die Wahl der Kompositionen das Konzert moglichst anziehend zu gestalten (so
boten sie eine schone Choralfantasie von Busoni und eine sehr feine kleine Suite von
Debussy) fiihrten audi einige vierhandige Sachen auf, nunmehr eines einzigen Klaviers
sich bedienend. Ein tiberraschender Eindruck ergab sich : das Spiel der beiden Solisten,
das in den auf zwei Klavieren erklingenden Stucken des Programms, wenngleich ein
einheitliches Bild nicht entstand, doch des Interesses nicht entbehrte, wirkte stumpf und
vollig gleichgiiltig.
Ein rechtes Alternieren von hoch und tief liifit sich auf dem Klavier, da die
Divergenz zwischen dem Klangcharakter der die Aufienstimmen tragenden Lagen zu
grofi bleibt, nur mit Miihe durchfiihren. Indem aber, aus diesem Grande, die Schaffen-
den auf eine eigentliche Gegeniiberstellung des Primo und Secondo meist verzichteten,
erfahrt beim Zuhorer die Freude am Duettieren (die den wesentlichen Wert des Spielens
zweier Musizierenden bildet) unliebsame Einschrankung. So schenkt uns vierhandiges
Spiel, reizvoll nur fur die Spielenden selbst (oder bestenfalls einmal fiir einen ini
kleinsten Raum Miterlebenden), nicht prinzipiell mehr, als bereits der einzelne Klavier-
spieler aus seinem Instrument zu gewinnen vermag. Ja, da noch dazu die dem Einzel-
klavier gegeniiber vermehrte Fiille der Tone, andererseits die durch die Zweizahl der
Spieler erschwerte Verschmelzung des oberen und unteren Parts die Gefahr der Unklar-
heit erheblich steigert, bedeutet (wenigstens fiir den im Konzertsaal Zuhorenden) vier-
handiges Spiel ein heftige Zweifel verursachendes und kaum zur Sinnerftilltheit zu er-
hebendes Unternehmen.
Demgegeniiber erweist sich das Spiel auf mehreren Klavieren, selbst wenn wir
von dem hier eintretenden Genufi einer gemeinsamen Produktion vollig absehen, als
eigenartig wertvoll. Insbesondere als die Franzosen spielten, wurde dies ganz deutlich:
zwei Klaviere geben eine viel tiefere, scharfere Plastizitat als das Einzelklavier. Tanz-
platten, die ein mit zwei Klavieren ausgestattetes Orchester reproduzieren, Darbietungen
alter Musik, in denen die Ausfiihrung des Generalbasses einem Paar von Tasteninstru-
inenten iibertragen wurde, bestatigen die Behauptung. Die Ursache eindeutig festzu-
stellen, fallt nicht leicht. Die Abweichungen der Spielenden von einander, die wegen ihrer
gewissermafien mikroskopischen Kleinheit als solche schon niclit mehr empfunden
werden, der unvermeidliche feinste Unterscliied der Klangfarben, der Stimmungen mogen
mitti'agen an den Erscheinungen ; aber mir scheint, das bedeutsamste Moment fiir die
Entstehung der beobachteten Erscheinung sei ein anderes: die einfache Tatsache, da£
da zwei Instrumente raumlich nahe und doch geti-ennt zusammenwirken. Wie das
Stereoskop durch eine raumliche Verschiedenheit der Bilder Plastik des Sehens gewinnt,
so gibt offenbar die raumliche Trennung der gleichartigen Tonquellen Plastik des
Horens. So ist das Paar von Fliigeln, wenn sich ein reiner Gesamteindruck einstellt,
geradezu ein hoheres Instrument als der Einzelfliigel : das Spiel auf zwei Klavieren zeigt
einen — freilich wohl nicht allzu oft begehbaren — Ausweg aus der (oben besprochenen)
Krise des Klaviers.
88 ' UMSCHAU
Das; war die<zweke Einsicht, die aus dem Spiel der Franzosen erwuchs.
i ■
3.
Wenn zwei Klaviere einen hoheren asthetischen Wert darstellen als eines — gut,
k.onnte man denken, gelien wir weiter : spielen wir auf drei und vier Klavieren und
die Begeisterung wird grenzeillos sein. Gemack! Es gibt nur einen Raum, ei.ne
Plastizitat; darum vermag die Dreiheit der Klaviere nichts zu bieten, was niclit die
Zweilieit bereits besessen. Hingegen eiithalt die unvermeidliche oder gar erstrebte
Vergrofierung der Klangstarke bedeutsame Gefahr; denn wir wollen Einfacbheit, Spar-
samkeit und, als letztes Ziel: Klarheit. Prinzipiell also erweckt die Absicht, mit mehr
als zwei Klavieren zu konzertieren, scharfste Bedenken ; das letzte Konzert des „Ersten
Klavierquartetts" (gegriindet von Erno Rappee) bewies, dafi gleichzeitiges Spiel auf vier
Klavieren kaum mehr zu leisten vermag, als dies : Freude an Akrobatik zu erwecken
und die Komik von hohl pathetischen Stiicken wirksam hervortreten zu lassen.
Indessen, vor 200 Jahren schrieb ein (sehr fortschrittlich gesinnter) Musiker Kon-
zerte fur drei und aucb eines fur vier Tasteninstrumente. Er dacbte sich die Werke
fiir Cembali (bei denen die Vergrofierung der Klangfulle gewifi willkommen sein durfte);
aber spielt man die Stiieke auf modernen Fhigehi, dann gibt es, geiriigende Starke des
Orchesters vorausgesetzt, (die fiir Jascha Horensteua, der eine Auffuhrung des Bachschen
Konzerts fiir vier Klaviere — nach Vivaldi — vortrefflich leitete, bedauerlicberweise
niclit zur Verfiigung stand) einen herrlich grofien und reinen Zusammenklang. Hier
das Geheimnis : die Klaviere sturmen niclit gemeinsani, sonder sie wechseln ab, werfen
sich gegenseitig die Motive zu, sie konzertieren (in alteni Sinn) miteinander. Wer heute
fiir drei und vier Klaviere schreibt (dies manchem freuiidschaftlicli ins Stammbuch)
sollte es ebenso zu machen wenigstens versuchen. Das Konzert der Rappeeschen Kla-
viervereinigung zeigte erfreulicherweise, dafi die Herren, die alle gute Musiker sind,
offenbar bereits das Bediirfnis hatten, neben dem Massenklavier zugleich und vorzugs-
weise audi konzertierendes Zusaninieiispiel zu pflegen; wahrend in einem etwas mehr
zuriickliegenden Konzert mit Kompositionen insbesondere fiir vier Klaviere nur einer
der Aufgefiihrten das verstanden hatte, was das zum Ungliick der anderen gerade in
diesem Konzert erklungene Quadrupelstiick der Vivaldi-Bach nieinte: Wladimir Vogel,
dieser iiberaus begabte und zukunftsreiche Deutschrusse (der iibrigens bezeichnender-
weise mit eineiri einzigen Paar von Klavieren sich begniigt hatte).
Audi Wiener und Doucet spielten alte Musik, ein Konzert von Vivaldi, das Bach
fiir Orgel bearbeitete, und jene herrlicbe c-moll-Fuge, die Mozart fiir zwei Klaviere ent-
worfen hat. Sie machten das hervorragend. Etwa wie sie im langsamen Satz den
ostinaten Bafi spielen, piano, damit die Oberstimme nicht verdeckt werde, und zugleich
verliert man keinen Augenblick das Gefiihl, da6 dieser kaum sich aufdriingende, aber freilich
unerschxitterliche Bafi eigendich den ganzen Satz trage — solches habe ich nie zuvof
erlebt (und die Bedeutung des von Bach fiir manchen Mittelsatz verlangten „piano" ging
mir dabei auf). Insbesondere aber, hier verband sich abwechselndes, konzertierendes
und gleichzeitiges, zusammenwirkendes Spiel zweier Musiker zu einheitlichster Wirkung;
so gab es vollkoiiimenste Plastizitat, Klarheit und Durchsichtigkeit zugleich, eine nicht
mehr iiberbietbare musikalische Leistung.
SPIEL AUF MEHREREN KLAVIEREN 89
Den Beweis, da6 solche Verbmdung der beiden scheinbar einander ausschliefienden
asthetischen Prinzipien moglicli ist, buchen wir als dritten gedankliclien Gewinn jener
unvergefilichen Konzerte.
4.
Schliefilich noch eineii letzten Zusammenhang : Jazz. Denn diese auf Improvisation
oder den Anscbein einer soldi en eingestellte, in der Freude am Zusammenstofieri gegen-
• satzlicher (und doch wieder vereinbarer) Elemente gegriindete Kunstiibung findet natur-
gemafi ihre eigentlidiste Erftilluiig beim Spiel einer (kleinen) Mehrzahl von Musikem;
und darum absorbierte sie mit vollem Recht gerade an den zweiklavierigen Abenden der
(so iibernationalen) Franzosen den innerlich und aufierlich grofiten Teil des Interesses.
„Apres-midi d'un Faune ", bearbeitet fiir zwei Klaviere, zeigte, von nun bereits als
eigentlich zeitlos wirkender Kunst her, wie die gebotenen Umgestaltungen von Tanz-
stiicken angesehen werden sollten. Ein aus zarten Farben sidi ergebendes Gemalde
wird von eineni begabten Stecher auf die Radierplatte gebracht; es verliert einen seiner
Reize, aber in der einfarbigen Tedmik, die die Unterschiede der Lichtwerte viel exakter
herauszuarbeiten gestattet, kommt es straffer zur Geltung; man empfmdet deutlicher
die Anlage, die Proportionen, die Gewichte der Teile; das Bdd wird lichter, lockerer,
feiner. So erblickten wir Debussys pastellfarbenes Gebilde. Und ahnlich fuhlten die
Jazzbearbeitungen sidi an.
Am Ende von „IIallelujah" von Youmans erklingt ein Teil des Themas mit disso-
nanten Akkorden ganz weiter Lage, denen mit Notwendigkeit ein piano zugehort; und
dann die Fortsetzung mit gailz stumpfer Harmonisierung einer noch weiteren Lage, so-
dafi ein hauchdiinnes pianissimo entsteht. Darin liegt eine Ausgeglidienheit von Mittel
und Absidit, die meisterhaft genannt werden mufi. Und wenn der „Tea for two" (kom-
poniert von dem gleichen famosen Youmans) im 6 /s-Takt erscheint, die einfachste Form,
die er iiberhaupt annehmen kann, gewinnend, so erkennt man das geradezu als klassisch
an. In soldier Richtung nun liegt iiberhaupt der Wert dieser Fassungen fremden (und
audi eigenen) Guts: sie sind sparsam, eigentlich zuriickhaltend, ohne Schwulst, mannig-
faltig und doch ubersehbar, sauberste Arbeit. Und die Haupts ache : das alles ist in der
Art des Auftretens, der Durchfiihrung, im Anspruch (nicht aber im Gehalt) bezaubernd
leicht.
So ist hier plotzlich wieder alles da, was uns je am Jazz gefesselt hat. Dichte
nicht durch Masse, sondern den Reichtum der Stimmen (die ganz selbstandig neben-
einander sich ausleben, sich verbindend, sidi losend, sich bekampfend und wieder emander
bestimmend); Intensitat nicht durch Larm, sondern durch Vielfaltigkeit und Rafmiiert-
heit des Rhythmus. Nicbts Maschine, sondern iiberall freieste gelockertste Lebendig-
keit, zusammengefafit in einer strengen und bezwingenden Gleichmafiigkeit. Und dies
ist, wenigstens mir, die Idee des Jazz. Geahnt zuerst bei Eric Borchard und Sam Woodings
Orchester, erlebt bei Douglas mid der Baker („ich bin keine Maschine, und der Zuf'all
ist viel schoner als jede Maschine" sagt sie ihrem Biographen), vor ahem bei Hopkins
uniibertroffener Jazzband, bestatigt von den Revelers und schlieGlich hier bei Wiener
und Doucet.
Bei uns freilich leben von dieser schonen und wunderbar zarten, bis in meta-
physische Tiefe reichenden Kunst fast nur Zerrbilder. Die deutsche Jazzkapelle, nie
90 UMSCHAU
recht zur Ausformung gekommen, entwickelt sich immer mehr dem Militarorchester zu.
Eine voile Harmoniemusik, im Freien (in einem Kurgarten, einem Wald; einmal vorm
Hafen in Lindau, dann, unvergleichlich, am italienischen Nationalfeiertag auf dem Platz
des Kolosseums in Verona) — prachtig; man sollte das nicht geringschatzen. Aber
Tanzmusik mit klobigen Rhythmen, ein Charleston mit Harmoniumsdrohnen, ein Tango
mit zwei Riesenziehharmonikas — das ist Barbarei. Und ebenso ist Barbarei das Jazz-
Symphonie-Orchester. Whiteman hat als erster den unseligen Versuch gemacht, aus
der lebendigen Musik, die die Neger sich zusammenphantasiert hatten, ein Kunstprodukt,
einen Wirtschaftswert zu machen. Das Ergebnis: stilloser, gehaldoser und zugleich an-
spruchsvoller Monstrekitsch. So viel Whitemans Musiker konnen, so gute Variete-Einzel-
heiten er gebracht haben mag, das Unhed, das dieser Mann gestiftet hat, kann wohl nicht
leicht iiberschatzt werden. Denn er hat den eindrucksvoUen Apparat zusammengestellt und
so beherrscht seit seinen Taten die Mehrzahl der Jazzkapellen-Leiter, von Erno Bappee
zu Bernhard Ette und Jack Hylton (der freilich glucklicherweise eine gewisse eigene
Note sich bewahrte) der Ehrgeiz, den Jazzkonig zu imitieren oder gar zu iiberbieten.
Darum hat Bernhard Sekles, der den Versuch machen will, durch geregelten Unterricht
die deutsche Gebrauchsmusik zu veredeln '), gewifi Recht. Wenngleich die Ablehnung,
die dieser Plan von etlichen Seiten erfahren hat, auch ihrerseits (eben wegen der ange-
deuteten Situation des Jazz in Deutschland) einer gewissen Verstandlichkeit nicht
entbehrt.
Jedenfalls aber: wir gonnen Whiteman und sein gesamtes Gefolge den Ameri-
kanern und warten, bis die Bevelers zu uns kommen, oder wieder ein paar „echte"
Neger oder — das nachste Mai Wiener und Doucet.
Hans David (Berlin)
DIE MOORSCHE DOPPELKLAVIATUR
Mein Aufsatz in dieseni Heft unter „Musik" war kaum gesetzt, als er auf ungeahnte
Weise neue Aktualitat erhielt, namlich durch die Klavierkonstruktion Emanuel Moors,
die von P ley el in Paris ausgefiihrt und von der Pianistin Winifried Christie dem
Wiener Konzertpublikum demonstriert wurde. Das Instrument zeichnet sich durch eine
zweite Klaviatur aus, die terrassenformig xiber die gewohnliche gelagert ist; ihre Tasten
betatigen den jeweils um eine Oktave hoheren Anschlagsmechanismus, und sie kann
durch einen Pedalzug an die untere Klaviatur gekoppelt werden. Die Vorrichtung lafit
sich etwa mit den Vierfufiregistern und dem Oktavenkoppler der Orgel oder des Har-
moniums vergleichen.
Diese epochale Erfindung hat vor ihren Vorgangern den Vorzug, dafi sie auch die
frixheren Errungenschaften nicht ausschliefit. Wenn beispielsweise das Hammerklavier
die dynamische Eintonigkeit des Cembalos uberwand, so mufite es auf die Vielfarbig-
keit verzichten; und ebenso brachte die Kraftsteigerung des Stahlsaitenklaviers den
Verzicht auf die Atemlange und die farbenden Obertone der Eisen- und Messingsaiten
mit sich. Selbst der alhnahlich verdoppelte Oktavenumfang des Klaviers hat seine
') Vgl. Karl Holl, Jazz im Konservatorium, im Jamiarheft dieser Zeitschrift,
DIE MOORSCHE DOPPELKLAVIATUR 91
Schattenseiten : die beiden Spielerhande beherrschen den grofien Bereich nur unvoll-
konnnen und nur mit einem unverhaltnismafiigen Bewegungsaufwand. Dieser Aufwand,
die Bravourtechnik, urspriinglich notwendiges Ubel im Dienst der Klangfiille, wurde
spater zum Selbstzweck, ebenso wie ja auch die Klangfiille niclit mehr blofies Ausdrucks-
mittel blieb, sondern zum Endzweck wurde und schliefilich ihr musikaliscbes Substrat
abstiefi. So hat sicb aus den sicherlich wohlgemeinten Fortschritten des Instrumenten-
baues der Virtuosenstil entwickelt, die Korrumpierung des vornehmsten Musikinstruments
zu einem artistischen Geriit; eine Zweckverschiebung, die die Pianistik Jahrzehnte hin-
durch vulgarisiert und in den Kreisen der rein kiinstlerisch orientierten Musiker vollig
diskreditiert hat.
Die Moorsche Klaviatur stellt nur die konstruktive Erganzung des erweiterten
Tonumfangs dar; sie ermoglicht das Spiel in der weiten Lage ohne jene beriichtigte
Akrobatik. Diese Erfindung ware eigentlich schon' vor hundert Jahren auf dem Platz
gewesen, und der damalige Stand der Konstruktionstechnik hatte sie durchaus gestattet.
Durch die eini'ache Klaviatur ist die Pianistik seit Chopiu so verflacht, dafi auf sie nur
die Brosamen der Musikproduktion abfielen. Mit der Doppelklaviatur hatte das Klavier
seine Stellung als das Instrument behauptet, von dem die allgemeine Musikentwicklung
ihren Ausgang nimmt. Es bleibt nur zu wunschen, dafi sich nun zu dem neuen In-
strument, das die kiihnsten Traume des Pianisten verwirklicht, auch der Chopin unserer
Zeit fande, der alle Versaumnis nachholte. Das Moor-Klavier ist wie geschaffen fiir
den linearen Gegenwartsstil, der mit seiner extrem selbstandigen Stimmfiihrung, seinen
gewaltigen Melodieschritten dem alten Klavier unzuganglich ist. Nunmehr ist das Klavier,
richtige satztechnische Behandlung vorausgesetzt, dem Streicherensemble durchaus eben-
biirtig an die Seite zu stellen.
Mit der Entmechanisierung des Klaviersatzes und der Spieltechnik geht die der
Didaktik Hand in Hand. Was in meinem zitierten Aufsatz uber das Klavierstudium
schlechthin auseinandergesetzt ist, gilt fiir das Moor-Klavier in hoherer Potenz. Bravour-
schwierigkeiten werden hier vollig umgangen : die stupenden Oktavenfronten bringt
auch der Dillettant zuwege, namlich durch Pedaldruck; Intervallsprunge, Aveite Zerlegungen
u. dgl. lassen sich beinahe mit stillstehender Hand ausfuhren, einfach durch Ubergreifen
auf die zweite Klaviatur. Wer einigermafien iiber Fingertechnik verfiigt, bewaltigt die
iiberlieferte Klavierliteratur mit verbliiffender Leichtigkeit. Allerdings bezieht sich diese
Erleichterung nur auf das rein Mechanische; ihr gegeniiber stellt sich die Komplikation
der Spielbewegungen, die erliohte motorische Leseschwierigkeit. Schon die Orientierung
auf der doppelten Klaviatur ist ungleich schwerer zu gewinnen als auf der einfachen.
Auch die Umsetzung des Notentextes in adaquate Spielbewegungen la6t sich nicht
mehr einfach improvisieren wie bisher, sie ist vielmehr an eine sorgfaltige Befiiagerung
gebunden. Die Fingersatzlehre, bisher als handwerksmafiige Empirie betrieben, mufi
nun mit Biicksicht auf die aufierst vielfaltig gewordenen Bewegungsformen zu einer
eigenen deduktiven Wissenschaft werden. Diese ungeahnte Vergeistigung des Klavier-
studiums ist aber beileibe nicht als Nachteil anzusprechen ; ganz im Gegenteil, denn
gerade durch die Bationalisierung der Schwierigkeiten wird die Spieltechnik allgemein
zuganglich. Das Dm und Auf des Unterrichts wird die Leseschulung sein. Zur hoheren
Technik auf der Moor-KlaA r iatur ist von der wohl ausgebildeten Lesetechnik nur ein
T
92 MUSIKLEBEN
Schritt, namlich die Plastik der differenzierenden Dynamik und Phrasierung. Mecha-
riischer Drill, der schon auf der einfachen Klaviatur das Studium drosselt, wiirde auf
der Doppelklaviatur vollends versagen.
Der Musiker, der nur auf das „Ultramoderne" eingestellt ist, wird dem neuen
Klavier gegeniiber eine gewisse Skepsis bewahren, da ihn die Pianistik schlechtweg als
„iiberliolt" dunkt. Unsere Zeit uberstih'zt sicli in Ideen. Die Halbtoninstrumente werden
von vierteltonigen abgelost, diese gehen alsbald in solcbe mit Tonkontinuum iiber, urn
erst recht wieder von abgestimmten Gerauschinstrumenten ubertrumpft zu werden. Und
sell on fuhlt man sicb durch die Grenzen der Schallenipfindung iiberhaupt beengt und
will binaus in die „Farblichtmusik". Solcbe Grundideen sind woblfeil wie die Brom-
beeren, Ewigkeitswerte sind aber immer nur in der Durchfuhrung zu suchen. Das
Moor-Klavier zeigt, welche Moglichkeiten in unserem zahmen Hausiiistmment noch
sclilummern. Es ist zu hoffen, dafi unserer Zeit aucb ihre Verwirklicliung gelange.
Sie beweise, dafi sie nicht nur Luftschlosser bauen. sondern audi wahrhaft produktive
Leistungen vollbringen kann.
Leonhard Deutscb (Wien)
MUSIKLEBEN
ZEITSCHAU
„ . . . Nun erst sollte das konimen, was er fur seine eigentliche Aufgabe hielt;
die Regeneration von Beethoven und Mozart, das wiirdige Gewand, das unsere grofien
Meister dem heutigen Empfinden wieder ganz nahe bringen sollte. Ein ganzer Stab
von jungen und meist intelligenten Kiinstlern war urn ihn versammelt . . . das wahr-
haft Grofie durfte nun kommen. Aber merkwiirdigerweise kam es nicht. Und dodi
war kein Ton, den er nicht belebt, kein Wort, das er nicht . . . verbessert hatte. Kein
Detad im Textbuch, in der Partitur war ihm entgangen, alles war ins echte dramatische
Leben iibersetzt worden. Und doch blieb man kuhl bis ins Herz hinein.
Die Reihe der bitteren Enttauschungen begann mit „Fidelio". . . . Auch den en-
ragiertesten Neuerern fehlte etwas — man wufite nur noch nicht gleich was. Und noch
melrr mangelte ihnen in dem unbeschreiblich raffmiert und bizarr ausgestatteten „Don
Giovanni", in dem es sogar ein neues Prinzip der Seitenkulissen zu bewundern gab.
Erst spater, als die L. . . . gelegentlich eines Gastspiels die Hauptrollen in diesen beiden
Opern sang, kamen die meisten auf das, was sic vorher vermifit hatten. Es war nur
eine Kleinigkeit gewesen: die Musik. Die glanzvolle Tatigkeit des Orchesters konnte
es nicht ausgleichen, dafi diese Bxihne mit ganz wenigen Ausnahmen keine Sanger be-
safi, die der klassischen Musik ohne Schwierigkeit zu geben mochte, was ihr gehorte.
Die blendenden Kostiime konnten fur die HiMosigkeit der Kiinstler nicht aufkommen,
sobald es eine kolorierte Stelle gab.
ZEITSCHAU 93
... Wie die Wipfel eines Rokokoparks waren die Individualitaten der Darsteller
beschnitten, eingeprefit, unter die Gesamtwirkung gestellt: ein Wunder der Dressur.
Man wird den Eindruck eines bewunderungswiirdigen Ensembles mitnehmen, aber nicht
einer Personlichkeit .... Und eben mit dieser Auffuhrung scbeint er an der Grenze
angelangt zu sein. Noch ein Schritt weiter und was wir haben, ist das Marionetten-
theater ! "
Eine gliickliclie Zusammenfassung alles dessen, was man zur Zeit in den verschie-
densten Lagern, mehr oder weniger zugespitzt, gegen Otto Klemperers Opernauffuhrungen
vorbringt. So denkt man. In Wahrheit fliegt ein Blatt der Stuttgarter ,,Neuen Musik-
zeitung" beran : Jalirgang 1 907, Schauplatz Wien. Nicht Klemperer ist gemeint, sondern
Gustav Mahler. Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Was man jetzt gegen Klem-
perer schleudert, wurde gi - ad vor zwanzig Jahren gegen Mahler gesagt. Alles stimmt
aufs Haar. Mahler wird heute als Bahnbrecher des Operntheaters verehrt. Seine Wiener
Zeit ist eine der glanzendsten in der jiingsten Geschichte der deutschen Oper. Das
konnte den Ewig-Gestrigen zu denken geben. Aber wir wissen: sie lassen sich nicht
belehren. Sie werden erst fur das Heutige sein, wenn sich einmal wieder neue Krafte
und neue Erscheinungen regen. Dann werden sie es mit der Demagogie reaktionarer
Ordnungshiiterei in Schutz nehmen, so wie sie es jetzt bekampfen.
Die Berliner haben vor den Wienern nichts voraus ? Doch. In ihren Mauern
waren weder Kundgebungen musikalischen Kleinburgertums denkbar wie die 10. Deut-
sche Sangerwoche, die in diesem Sommer in Wien stattfindet, noch jene volkischen
Demonstrationen, die dort zur Zeit gegen „Ionny" losgelassen werden. Das Manner-
gesangsvereinswesen ist eine typische Errungenschaft des 19. Jahrhunderts. Es hatte
zur Zeit seiner Entstehung unbedingt kulturelle Bedeutung. Wir kennen auch heute
noch eine Reihe kimstlerisch wertvoller deutscher Chore. Meist versandet der Manner-
chor jedoch in reaktionarer Spieftbiirgerlichkeit. Er kann gefahrlich werden, wenn er
sich wie in den letzten Jahren als Huter deutscher Kunsttradition, als Huter des deut-
schen Liedes aufspielt. Wenn der einzelne Mannerchorist sich als Musiksachverstandiger
benimmt wie die klavierspielende Tochter. Man muG es sagen: an der Geschmacks-
verbildung des Burgertums hat der Mannerchor wenig ruhmlichen Anteil. Typische
Aufierung der vereinsmeiernden deutschen Mentalitat, wurde er allmahlich zu einem
kunst- und fortschrittsfeindlichen Prinzip — unbeschadet einiger gesanglicher Qualitats-
leistungen. (Auch der Meisterschufi beim Schiitzenfest ist eine Qualitatsleistung). Aus
diesem Grund sind wir gegen den Mannerchor. Ein Sangerfest konnte, sofern es mehr
sein will als eine (vom deutschen Reichswehrministerium mit 60 000 Betten unterstutzte)
Kundgebung „nationaler" Kreise, nur Berechtigung haben, wenn es sich mit aller Scharfe
gegen dieses Prinzip wendet und die wenigen lebens- und aktivierungsfahigen Elemente
der Mannergesangvereinsbewegung auf eine wirklich kiinstlerische und zeitbewufite
Arbeit hinweist.
Die Wiener Jonnyfeinde erhalten aus Munch en Unterstutzung. Natiirlich aus
Miinchen. Der bayerische Kultusminister steUt in einer Antwort auf eine volkische
Anfrage fest, vom „Standpunkt der Verwahrung der Jugend vor Schund und Schmutz
sei 1 eider ein Verbot des Werkes nicht moglich". Das ,Jeider" spricht Bande fur die
Kulturpolitik in Bayern. Leider. Die Miinchener haben auch sonst ihre musikalische
94 MUSIKLEBEN
Fastnacht. Es wurde Strafantrag gegen den Hauptschriftleiter der fiihrenden „Mun-
chener Neuesten" gestellt. Er hatte die Behauptung eines Ministerialrats, die kritische
Haltung der Zeitung gegeniiber den Staatstheatern sei darauf zuriickzufuhren, daG es
Prof. Cossmann — der den M. N. N. nahesteht — nicht gelungen sei, Hans
Pfitzner zum Generalintendanten zu machen, als „dreiste Luge" bezeichnet. Das
hangt vermutlich damit zusammen, dafi vor kurzem der Vertrag des bisherigen In-
tendanten von Franckenstein anf Lebensdauer verlangert wurde. Miinchen legt
damit seine Theater auf Jahre hinaus fest
Auch Frankfurt hat Opernsorgen. Man sagt, dafi es den Operndirektor
Clemens Kraufi mit aller Gewalt nach Wien zieht, wo es an der Staatsoper wieder
einmal kriseln soil. Er soil die leitende Stellung zwischen dem Ehrendirigenten Straufi
uud dem Direktor Schalk bekommen. In Frankfurt hat Kraufi in Gemeinschaft mit
dem Regisseur Waller stein und dem Buhnenbildner Siever t eine fiufierst ver-
dienstliche Regeneration der Repertoireauffuhrungen verwirldicht'.
Die latente Krise der Dresdener Staatstheater, insbesondere der Staatsoper,
wird augenblicldich infolge eines geringfiigigen Vorfalls wieder besprochen. Die
Leistungen des Herrenchors gingen vor einiger Zeit auffallend stark zuruck. Der Chor
behauptet, er sei uberanstrengt. Der Intendant Reucker behauptet, man habe
passive Ressistenz leisten wollen, weil ein Antrag auf Gehaltserhohung abgelehnt
worden sei. Tatsache ist, dafi die Gehalter der Chormitglieder in Anbetracht ihrer
starken Beschaftigung ausserordentlich gering sind. Es wird von unterrichteten Dres-
dener Stellen versichert, dafi der Generalintendant zwar bei den kleinen Beziigen des
Chors spart, aber einwilligt, dafi eine Sangerin mehrere hundert Mark fur jede Probe
erhalt. Es wird wieder an den fur die Entwicldung der Dresdener Oper verhangnis-
vollen Konflikt zwischen Busch und dem fruheren Oberregisseur Mora erinnert, der
eigentlich ein Konflikt Beucker-Mora war und mit dem Abgang des ausgezeichneten
Spielleiters endete. Es wird auf die Verwahrlosung des Repertoires durch die vielen
Gastspielvortrage hingewiesen. Symptomatisch fur die Situation der Dresdener Oper —
und nicht nur der Dresdener, sondern iiberhaupt der grofien deutschen Opernbuhneii —
dafi sich ein verantwortlicher Leiter wie der Generalmusikdirektor Busch wahrend der
Saison Monate lang auf Urlaub in Amerika befindet. Erst unter diesem Blickpunkt
wird die reformatorische Arbeit Klemperers in ihrer ganzen Bedeutung verstandlich.
Man kommt auf Umwegen nach Berlin zuriick, urn festzusteUen, dafi die neu ein-
setzende musikalische Aktivitat zunachst einen Verzicht Furtwanglers und Kleibers
auf ihre nachstjahrigen amerikanischen Verpflichtungen zur Folge hat. Beide Diri-
genten werden kommende Saison in Berlin bleiben. In diesem Zusammenhang darf
erwahnt werden, dafi Schillings wegen der Ubernahme der Intendanz der Konigs-
berger Oper verhandeln soil.
Ein paar Personalnotizen. Die Sangerwelt hat einen schweren Verlust erlitten:
ganz unerwartet verschied in Wien an einer Grippe der bedeutende fmnische Konzert-
bassist Helge Lindberg. Er war der uniiberti-offene Interpret altklassischer Musik.
Die Musikwissenschaft verlor Heinrich Bietsch, den Prager Ordinarius, dem wir wert-
volle ' Studien zur Geschichte des alten Liedes und zur musikalischen Bomantik
verdanken. Heinrich Strob el (Berlin).
NACHRICHTEN
95'
NACHRICHTEN
KLEINK BERICHTE
Joseph Haydns neuentdecktes Requiem in
c-moll fiir gemischten Chor, Soli und Orchester ge-
Iangte Anfang Februar in Diisseldorf unter General-
musikdirektor Weifibach zur Urauffiihrung.
Ende Januar wurden im Weimarer National-
Theater die Kammer-Oper „Don Juans Sohn" von
Hermann Wunsch und Alexander Tscherepnins
Oper ,,01-01" uraufgefiihrt.
Michael Taube brachte in der Sing-Akademie in
Berlin u. a. die „Damon-Suite" von Hindemith
zu Gehor.
Karl Heinrich David erzielte mit seiner neuen
Oper ,,Der Traumwandel" bei der Uraufluhrung
im Ziiricher Stadttheater starken Erfolg.
Das Wiesbadener Staats-Theater brachte als Pre-
miere Schonbergs „Erwartung" und Busonis
,,Turandot".
Im Stadt-Theater zu Crefeld gelangte „Die
Loclce", komische Oper von R. von Mojsisovics
zur Urauffiihrung.
Die „Komodie fiir Orchester" von Ernst
Toch erzielte in Ra den-Baden unter Generalmusik-
direktor Mehlich einen starken Erfolg.
Stravinskys „Feuervogel-Suite" erlebte
kiirzlich mehrere Erstauffiihrungen : Karlsbad, Baden-
Baden, Dresden, Oberhausen, Rremen.
Tochs Oper „Die Prinzessin auf der
Erbse" wurde in Danzig erstaufgefiihrt.
Am 29. Januar erfolgte die Rerliner Erstauf-
fiihrung von Stravinskys „Les Noces".
Nachdem das deutsche Volkslied-Archiv in Frei-
burg i. Br. die Grenzmark Posen — Westpreufien als
selbststandigen Liederbezirk erklart hat, ist von der
grenzmarkischen Gesellschaft zur Erforschung und
Pflege des Heimatgesanges ein selbststandiges Volks-
lied-Archiv fur die Provinz gegriindet worden.
Die Genossenschaft deutscher Tonsetzer feierte
am 14. Januar ihr 25jahriges Jubilaum. Eine grofie
offentliche Feier ist im April vorgesehen.
AUFFUHRUNGEN
Die Stadtischen Biihnen Hannover haben die
Oper „Beatrys" von Ignaz Lilien zur deutschen
Urauffiihrung angenommen.
Am 24. Februar wird in Aachen „Das Mar-
chen vom Zar Saltan", Oper von Rimsky-
Korssakoff, uraufgefiihrt.
„Der ; Zar lafit , sich photographieren|\"
! Opera, buffa yon Kurt Weill ; kommt Samstag, den
18. ds. Mts. am Leipziger Stadttheater zur Urauffiihrung.
„Z\vei Sonette" op. 2 von Piechler erlebten
in Augsburg ihre Urauffiihrung.
PERSONLICHE NACHRICHTEN
Der Musikhistoriker Ernst Kurth ist zum or-
dentlichen Professor an der Universitat Bern ernannt
worden.
Prof. Dr. Arnold Schering in Halle hat die
Berufung als Nachfolger Hermann Aberts zum Or-
dinarius der Musikwissenschaft an der Berliner Uni-
versitat angenommen.
Prof. Dr. H. J. M o s e r ist an Stelle Aberts in
die Kommission zur Herausgabe der DenkmSler
deutscher Tonkunst berufen worden.
AUSLAND
Diese Rubrlk befindet sich im Ausbau und soil syslema-
tisch auf alle Lander ausgedehnt werden.
Die danische Sektion der „Internationalen Ge-
sellschaft fiir neueMusik" brachte auf einem dfinischen
Abend samtlich Urauffiihrungen danischer Autoren :
Knudaage-Riisager, Poul Schierbech, Finn
Hoffding und Jorgen Bentzon.
Alfredo Casellas „Partita fiir Klavier und
Ordi ester" wurde in der Philharmonischen Gesell-
schaft Kopenhagen mit Erfolg aufgefiihrt.
Die Budapester Motette- und Madrigal- Vereinig-
ung bringt in ihrem ersten diesjahrigen Konzert
„Neue Frauenchore" von Alexander Jemnitz zur
Urauffiihrung.
Funf Mitglieder der jungen ungarischen Kom-
ponisten-Generation haben sich zu einer freien Ver-
einigung „Moderne ungarische Musiker" zusammen-
geschlossen. Die Vereinigung, die mit ihrem ersten
Konzertabend unerwartet grofien Erfolg hatte, will
durch Aufnahme moderner Komponisten zum re-
prasentativen Institut der jungen ungarischen Musik
werden, da sich bisher keine ungarische Sektion der
I. G. N. M. bilden konnte.
Fiir den alle 4 Jahre von der Stadt Paris unter
den franzosischen Musikern mit einem Preis von
Frcs. 10 000. — veranstalteten Wettbewerb fiir das
beste Chorwerk mit Soli, Chor und Orchester haben
sich in diesem Jahre 22 Bewerber gemeldet.
Der tschechoslowakische Staat hat den von ilim
ausgesetzten deutschen Staatspreis fiir Musik
zum ersten Mai dem Prager Komponisten und Rektor
der dortigen deutschen Musikakademie Fidelio Finke
verlielien.
Zeitungsnachrichten zufolge bereitet die russisclie
Regierung, welche bisher zu der grofien Organisation
96
MUSIKLEBEN
der Berner Konvention keinerlei Beziehungen auf-
recht erhielt, ein neues Urheberrecht vor, dessen
Grundlinien demnachst veroffentlicht werden sollen.
Der Begriff des Urheberrechts wird sehr weit gefafit
und bezieht sich nicht nur auf literarische, kfinst-
lerische und musikalische Schopfungen, sondern audi
auf VortrSge, Vorlesungen und auf tanzerische Vor-
fiihrungen, sowie auf Pantomimen und photographische
Werke. Interessant ist, dafi die Regierung sich das
Recht vorbehalt, das Urheberrecht bei jedem Werke
auszuschalten, dessen Verwertung fiir das allgemeine
Wohl ihr ntitzlich erscheint.
Anfangs Juni 1928 wird ein vom Internationalen
Musikamt in Wien und der flsterreichischen Musik-
lehrerschaft angeregtes I. Oesterreichisches Ton-
kfinstlerfest in Verbindung nlit eineni internarionalen
musikpadagogischen Kongress und internationalen
Schulmusik-Kongrefi in Wien stattfinden.
Die Stadt Wien beschlofi, das Sterbehaus von
Franz Schubert in der Kettenbriickengasse in Wien
zu erwerben, um es in ein grofies Schubert-Museum
umzuwandeln.
VERSCHIEDENES
In das Jahr 1928 fallt das Jubilaum des hundert-
jahrigen Bestehens der von G. F. Whistling begriindeten
Musik-Bibliographie, die von dem Verlag Hof-
meister herausgegeben wird.
Pressenieldungen zufolge hat die Hamburger
philharmonische Gesellschaft trotz wesentlicher Br-
it ohung ihrer Eintrittspreise fiir das Jahr 1927 ein
Defizit von Mk. 130000—140000.- aufzuweisen.
Die „Mitteilungen des Verbandes deut-
scher Musikkritiker e. V." bringen interessante
Berichte fiber den internationalen Kritiker-Kongrefi
in Salzburg.
Din durch die „Gtirzenich-Konzerte" riihmlichst
bekannte „Colner Concert-Gesellschaft" kann
in diesem Jahre auf ihr hundertjahriges Bestehen
zurfickblicken.
Das sechste Reger-Fest findet vom 7. bis
10. Juni in Duisburg statt.
Der fiir den internationalen Schubert-Preis
vorgesehene Einreichungstermin fiir die der jury
vorzulegenden Arbeiten ist bis zum 30. April des
Jahres verlangert worden. Die Genossenschaft deut-
scher Tonsetzer Berlin W 8, Wilhelmstrafie 57/58
erteilt Auskunft.
Der Beichsverband deutscher Tonkiinstler
und Musiklehrer e. V. wird seine diesjahrige
Tagung vom 1. bis 6. Oktober in Darmstadt ab-
halten und dabei gleichzeitig sein 25jahriges Bestehen
feiern.
Die staatliche Pruning der Privatmusiklehrer fiir
Berlin ist auf die Tage vom 20. bis 24. Marz ds.
Js. festgesetzt worden.
Die Gesangspadagogen in Deutschland, Dster-
reich und der Schweiz haben sich, veranlafit durch
die Einfuhrung der Staatskontrolle des privaten Musik-
unterrichts, zusammengeschlossen. Das i PrSsidium
der neuen Organisation hat Otto Iro. Wien. Nahere
Auskiinfte erteilt die Geschiiftsstelle der Gesangs-
padagogischen Tagung, Freiburg i. Br., Wallstrafie 11.
Die Idee des Architekten Prof. Ernst Haiger,
in Deutschland ein Symphonie-Festspiel-Haus zur
kultischen Pflege symphonischer Meisterwerke zu er-
richten, hat dadurch greifbare Gestalt angenommen,
dafi Baden-Baden ein sehr gut gelegenes Gelande-
stiick zur Verfiigung gestellt hat.
Das 58. Deutsche Tonkunstlerfest findet
im Mai ds. Js. in Schwerin statt.
Das Zentral-Institut fiir Erziehung und Unter-
richt wird gemeinschaftlich mit dem bayerischen
Kultus-Ministerium und der Stadt Miinchen die VII.
Reichs-Schulmusik-AVoche vom 15. bis 20. Ok-
tober in Miinchen veranstalten.
Die zweite Musikwoche der deutschen
Musikstudentenschaft findet vom 23. bis 25.
Februar in Koln statt. Nahere Mitteilungen durch
die deutsche Musikstudentenschaft, Berlin-Charlotten-
biug, Fasanenstrafie 1.
Anregungen der evangehschen Kirchenbehorden
folgend, welche auf eine Umgestaltung des verflachten
kirchlichen Orgelvorspiels abzielen, lassen K. W. Franke
und K. Sandmann bei B. Schott's Sohne, Mainz,
unter dem Titel „Cantus-Firmus-Praludien"
eine umfassende Sammlung von Choral-Vorspielen
in 3 Banden erscheinen. Diese wird jedoch fiber
den Rahmen eines blofien Gebrauchswerkes weit
hinausgehen und erne monumentale Sammlung deut-
scher Orgelmusik darstellen. Die Subskription, welche
am 1. Marz 1928 endet, war bereits dank tiberaus
zahlreicher Bestellungen kurz nach ihrer Ankundigung
zustande gekommen.
Der Verlag Adolph Ffirstner, Berlin, feiert in
diesem Jahre sein 60jahriges Bestehen.
Unter der Redaktion des Musikhistorikers
Dr. E. H. M filler in Dresden erscheint ein „Deu^-
sches Musik-Lexikon". Anfragen wegen kosten-
loser Aufnahme sind an den Hei'ausgeber (Dresden A 19,
Schliefifach 30) zu richten.
Der Verwaltungs-Ausschufi der im Jahre 1838
vom „Frankfurter Eiederkranz" ins Leben gerufenen
„Mozart-Stiftiing zu Frankfurt a. M." beabsichtigt pro
1. Oktober 1928 ein neues Stiperidium zu vergebeh.
Antrage werden bis zum 31 . Marz 1928 an den Ver-
waltungs-Ausschuss (Frankfurt a. M., Sternstrafie 28)
.erbeten..- .,.,'. -.', '■ ■■■.: t
97
INTERESSANTE WERKE
VON
HANNS
EISLER
U.E.Nr. Mark
7475 op. 1 SONATE fur Klavier zu
2 Hiinden 2. —
„Au9 den drei vorbildlich knappen und
doch formal innerlich reiclien Stitzen
dicser Erstlings-Sonate stromt frohe,
heitere, liuniorspukende MuBikkrnft
aus — der zweite weist alle kontrapunk-
tische Meisterschaft der Schonbergschule
auf. Die Motive sind rhythmisch von
iiberzengendster Priigiianz, ihre Ab-
wandlung durch harmonische und modu-
lalorische Kunste plaatiach und triebhaft
entwickelnd zu Hohepunkten aufwarts.
Wir miissen una diesen Eisler merken.
Berliner Morgenpost (R. Kaatner)
7778 op. 2 SECHS LIEDER fur hohe
Stinime 1 und Klavier 2. —
8436 op. 3 DREI KLAVIERSTUCKE
zweihandig 2.50
8322 op. 5 PALMSTROM, Studien fiber
Zwolftonreihen, fur eine Sprech-
srimme, Flote (auch Pice), Klari-
nette, Violine (auch Bratsche) und
Cello. Gedichte von Chr. Mor-
genstern 3. —
8130 op. 7 DUO fiir Violine und Cello 2. -
Mit grossem Erfolg beim Musikfest in
Venedig 1925 aufgenihrt. Ferner in Wien
Berlin, Prag, Leipzig, London, Stuttgart,
Koln, Mannheim, Mainz, Paris, Barcelona,
Chicago etc. etc.
8882 op. 9 TAGEBUCH fiir Frauen-
terzett, Tenor, Geige und Klavier
Partitur 3.50
Urauftuhrung Kammermu9ikfe9t in Baden-
Baden 1927.
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Universal-Edition A.-G.
Wien Leipzig
Deutsche Musikbucherei
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Zum 22. Februar 1928. Hugo Wolf s 25. Todesiag:
Band 34
Gus/av Sdiur: Erinnerungen an Hugo Wolf
In Pappband Mk. 2.—, in Balionleinen Mk. 3.50
Band 35
Heinrich Werner: Der Hugo Wolf-Vereln in Wien
In Pappband Mk. 2,50, in Balionleinen Mk. 4. —
Band 48
Hugo Wolf: Briefe an Henrieiie Lang
In Pappband Mk. 2.—, in Balionleinen Mk. 3.50
Band 53
Heinrich Werner: Hugo Wolf in Perchtoldsdorf
In Pappband Mk. 2. — , in Balionleinen Mk. 4. —
Band 60
Heinrich Werner: Hugo Wolf und der Wiener
akademisdie Wagner-Verein
In Pappband Mk. 2.50, in Balionleinen Mk. 4. —
SrSmtliche Bandchen mit Briefen des Meisters, mit zahl-
reichen Bild- und Facsimilebeilagen, von treuen Freunden
und Kampfgenossen geschrieben, sind besonders ge-
eignete Geschenke zum Hugo Wolf-Gedenktagl
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Kiirzlich i s t erschienen:
ZUR PSYCHOLOGIE DER
KLAVIERTECHNIK
aua dem Nachlafi von
Willy Bar das
Mit einem Geleitwort von
PROF. ARTUR SCHNABEL
3.- Mark
„Wer dem Klavierspiel nahesleht, der darf niclit veraaumen,
sich mit dieser weitreichenden Schriftgrundlich zu befaaaen.
Sie ist in ihrer Art viel wertvoller als manchea nodi so
gutgemeinte dickleibige Werk, weil aie auf praktischer Er-
fahrung beruht und eben deahalb auch wieder fiir den
denkenden Praktiker von grofiem Nutzen sein wird".
Carl Heinzen in der „Dusseldorfer Volkszeitung"
Vergl. audi die Besprecliung im ndchsten Heft MELOS.
UBER DIE ART, MUSIK
ZU HOREN
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Elegant kart. 1.60 Mark
„ . . . Auch fiir den Fachmann lehrreich genug. |Ceiner
wird das Buchlein ohneFreude undohne Bereicherung
aus der Sand legen**. '
Kurt Singer in der „Muaik"
98
TANZBARE MUSIK
FUR
KLAVIER
/. Albeniz
Espana, Suite
- Tango — Malagucna — Sere-
Capriclio Catalan — Zortzico
jspana,
Prelude -
M 2.50
B. Fairchild
Indianische Gesange und Tanze M
M. de Falla
Fandango (a. „Der Dreispitz")
Farrucca (a. „Der Dreispitz")
Feuertanz (a. „Liebeszauber")
Zwei spanische Tanze (a. „Ein
kuizes Leben") . je
M
M
M
Percy
Grainger
Piano-Album . .
Schiifertanz
Morris-Tanz
Irische Wcise — Mock-
■ Lied des Koloniaten
Fritz Kreisler
Alt-Wiener-Tanzweisen :
Schon Rosmarin . .
2.50
M 2.-
M 3.-
Paul Hindemith
1922, Suite M 3.-
Marsch — Shimmy — Nachtstiick —
Boston — Ragtime
Tanz. der Holzpuppen aus
„Tuttifantchen" (Foxtrott) M 1.50
Erich Wolfg. Korngold
„Ball beim Marchenkomg" aus
„Sieben Marcbenbilder" . M 2. —
. M 1.50
Konzert-Transkiiptionen von
S. Rachmaninoff :
Liebesfreud' . . . . . . M 2.50
Liebesleid M 2.50
Darius Milhaud
Saudades do Brazd, Suite bra-
silianischer Tanze, 2 Hefte je M 4. —
I. Sorocabo — Botofago — Lcme —
Copacabana — Ipanema — Gavea
II. Corcovado — Tijuca — Sumare —
Paineras — Larenjeiras — Paysandu
Joaquin JYiji
Danza Iherica M 2.50
M. Ravel
Pavane zum Gedachtnis einer
Infantin M 2. -
H. K. Schmid
Bayrische Landler, op. 36
Cyril Scott
op. 58 Nr. 5 Danse negre
op. 74, 3 Danses tristes :
1. Danse elegiaque . .
2. Danse orientale . .
3. Danse langoureuse
Drei altengliche Tanze .
M 2. -
M 2. -
M
M
M
M
1.50
1.50
1.50
2.50
Josip Slavenski
Aus dem Balkan, Gesange u.Tanze M 2.50
Gcaang — Tanz a. d. Balkan — Impro-
visationen iiber ein sudalawisches
Volkslied — Siidslawisdier Tanz
Aus Siidslawien, Gesange und
Tanze M 2. -
Serbisclier Gesang und Tanz — Gebet
der Urslawen — Kroatischer Tanz
Ernst Toch
Fiinf Capriccetti, op. 36 . . M 2.50
Tanz- und Spielstiicke, op. 40 M 2. —
Jean Wiener
Sonatine syncopee ,
Lourd ~ Blues — Brillant
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Ausgabe in 3 Heften Ed. Nr. 1301/3 .... Brosch. je M 2. - , in Halbleinen je M 4. -
Heft I 8 Sonaten: K.-Nr. 545, 283, 330, 547 u. 545, 309, 282, 279, 280; flondo K.-Nr. 485
Heft II 8 Sonaten: K.-Nr. 284, 570, 332, 311, 281, 331, 333, 533; Adagio K.-Nr. 540
Heft III 3 Sonaten: K.-Nr. 450 u. 456 u. 595,K.-Nr. 310,K.-Nr. 576 ; 2Fantasien K.-Nr. 397, 396 ;
Fantasie u. Sonate K.-Nr. 475; Fantasie u. Fuge K.-Nr. 394; Bondo K.-Nr. 511,
Gigue K.-Nr. 574; Fuge K.-Nr. 401
Unter den Ausgaben der Mozart'schen Klaviersonaten nimmt die vorliegende insofcrn eine besondere Stellung ein,
als sie auf den Urtext zuriickgeht und vor alleni von den vielen unmozartischen Vortragszeielien, die sich im
Laufe des 19. Jahrh under ts immer mehr in die Ausgaben seiner Werkc gedrangt haben, Abstand nimmt, und
infolgedcssen dem Spieler, dem es una eine stilvolle Wiedergabe der Werke zu tun ist, den no tigen Untergrund gibt.
Ausgewahlte Sonaten, Fantasien und andere Stiicke
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WALTER SIMON HUBER
BA 242 Partitur Mk. 6. - . Aufffihrungsmaterial (Chor- und Instrumentalstimmen)
steht ab Mitte Februar zur Verffigung. Audi kleineren Choren ist die Aufffihrung
dieses Werkes moglich. Die Preise sind vom Verlag zu erfragen.
In der wiedererwachenden Pflege Schfitzscher Musik wird die Auferstehungshistorie
mit ihrer eindringlichen Sprache und ihrer Kraft der Anschauung eine besondere
Stellung einnehmen. Dr. Alfred Einstein schildert in einer Abhandlung fiber Schiitz
Einzelbeiten der Auferstehungshistorie und schliefit dann : Schiitz ist voll von solchen
Zfigen, die eine solche Kraft des Musikers, eine solche machtige Phantasie, eine
solche tiefe Menschlichkeit offenbaren. Auch seine Auferstehung ist ihm sicher.
VIER PSALMEN DAVIDS
nach der Beckerschen Ubersetzung fur vierstiramigen Chor gesetzt von Heinrich Schiitz
sind in der Ausgabe der Auferstehungshistorie zur Verstarkung ihrer Gliederung im
Anhang enthalten, aber auch gesondert als Chorpartitur zum Preise von etwa
Mk. -.80 erhaltlich.
Ferner erscheint:
GEISTLICHE CHORMUSIK
Herausgegeben vom Leiter des Heinrich Schiitz-Kreises
WILHELM KAMLAH
Gesamtausgabe der 26 fiinf — siebenstimmigen Motetten fiber deutsche Texte in Einzel-
heften zum Preise von je etwa Mk. — .80
Ein ausfuhrlicher Sonderprospekt fiber diese Werke wird gerne kostenlos an jede
angegebene Adresse versandt.
DER BARENREITER VERLAG ZU KASSEL
102
2000 MARK
PREISAUSSCHREIBEN
DER MUSKBLXTTER DES ANBRUCH
FDR OPERNTEXTE
mini
IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIMHIUIIIIMIMIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIilllllllllllHIIIIIIIIHIIIINIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII
Der Mangel an brauclibaren, wirkungsvollen Opern-
texten ist wohl die gewichtigste Tatsache, die zu
der vielerorterten „Krise der Oper" gefuhrt hat.
In Fach- und Tagesblattern ist mit wachsender In-
tensity der Rut nach guten Opernbiichern laut-
geworden, ohne dafi bisher etwas gescbehen konnte,
um diesem Mangel abzuhelfen.
Dieses Preisausschreiben will die Offentlichkeit mit
Nachdruck auf einen absoluten Notstand verweisen,
einen Notstand der Musiker, der zum Notstand des
Theaters sich erweitert.
Das Preisausschreiben wendet sich an alle Dichter
und Schriftsteller, die eine lebendige Beziehung zum
lebendigen musikalischen Theater der Gegenwart
haben und die mit uns der Ansicht sind, dafi die
Oper alien Schwierigkeiten zum Trotz und gerade
aus ihnen heraus kraf'tvoller und zukunftsreicher
denn je gestaltet werden kann.
Alles Nahere iiber die Bedingungen usw. enthalt das
Heft 1 (10. Jahrg.) der „Musikblatter des Anbruch",
das zum Preise von M. 0.60 in alien Buch- und
Musikalien-Handlungen oder direkt durch den
Verlag erhaltlich ist.
IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIHIHIIIIIIIIIHIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIHIIIIIIIIHIIIIIMIIIIIIIIIIIUIIIIIMIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII
lllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllll
UNIVERSAL-EDITION A.-G., WIEN / LEIPZIG
103
Z u r Jahrhundertfeier
Karl Ko b aid
Franz Schubert
496 Seiten und 72 teils farbige Bilder
Geheftet M. 7.-, Leinen M. 10.-
Schubert, und nls Hintcrgrund das Wien der Bieder-
meicr-Zeit, die lieblichate, entziickendste Knltuxepoche
der olten Kaiserstadt, konnte keinen gemiitvolleren und
saclikundigercn Biographen finden wie Kobald, dessen
reicli illustrierter „Beethoven" - vier Wochen nach
Ersclieinen sch on ini 5.-9. Tauaend — sich andauernd
im In- und Ausland der groflten Nachfrage erfreut.
In alien Buchhandlungen erhaltlich
A m a 1 1 h e a - V e r 1 a g
Zurich- Lei
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Wien
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Kauft die guten
Narma-Saitcn
Darmsaiten
Stahlsaiten
MARMA-Sailen sind
unubertrefflich und
it be rail erhaltlich.
Unsere „Silverin"-Saite
hat die Welt erobert!
Mamia - Musikindustrie
m. b. H.
Mainz
GUSTAV MAHLER
ZWEI SATZE AUS DER
X. SYMPHONIE
Fiir kleines Orchester
Die beiden Satze aus Mahlers unvollendeter X. Symphonie gehoren zu dem Grofiartigsten, das
der Meister geschrieben hat. Sie fanden sich als zu Ende komponierte Stticke neben zahl-
reichen Skizzen zu den anderen Satzen in Mahlers Nachlafi. Die beiden Satze vurden fiir
den praktischen Gebrauch von ERNST KRENEK eingerichtet und in Partitur ausgeschrieben,
um diese herrliche Musik der Dflfentlichkeit zuganglich zu machen.
Ris jelzt wurde das Werk aui'gefiihrt in Zurich, Winterthur, Wien, Graz, Hamburg, Koln, Mainz,
Leipzig. Demnachst in Magdeburg.
U. E. Nr. 8877 Partitur (Faksimile) mit Programmheft von R. Specht Mk. 17.-
UNIVERSAL-EDITION A.-G., WIEN-LEIPZIG
104
Neue sinfonische Musik
fur Orchester
Ernst Toch
Vorsp
iel zu einem Marchen
(Die^Prinzessin auf der Erbse)
Besetzung: 2 Flo ten, Oboe, Klarinette, Fagott,
Horn, Trompete, Tuba, Posaunen, Schlagzeug,
S trei chquinte 1 1
Spieldauer: ca. 7 Minuten
Komodie fur Orchester
in einem Satz> op. 42
Beaetzung: Grofles Orchester mit reichlichem
Schlagzeug
Spieldauer: ca. 18 Minuten
Erich Wolfg. Korngold
Sinfonisches Zwischenspiel
aus ..Das Wunder der Heliane"
Besetzung; Groses Orchester
Spieldauer: cu. 8 Minuten
Suite aus der Musik zu
Shakespeare's
„Viel Larmen um Nichts"
op. 11
Ouvertiire — Madchen im Braulgcuiach — Holz-
apfel und Schlchwein (Marsch der Wache) — Inter-
mezzo (Garlenszene) — Mummensehanz (Hornpipe)
Besetzung: 19stimmiges Orchester
Spieldauer: ca. 25 Minuten
Gabriel Pierne
Impressions de Music-Hail
Chormadehen {French Blues) — Der Exzentrik
(Little Ticlj) — Die spanisdie Nummer —
Musikalisehc Clpwns (Les Fratellini)
Besetzung: GroBed Orchester
Spielda u e i*: ca. 25 Minuten
Ebbe Hamerik
Dionysia
Eine choreographische Musik
Besetzung: Grofies Orchester
Spieldauer: ca. 35 Minuten
Werke
fur Blasorchester
Paul Hindemith
Konzert fur Blasorchester
op. 41
Konzertantc Ouvertiire — A'ariationcn iiber das
Lied „Prinz Eugen" — Marsch
Besetzung: 1 Flcite, 1 Oboe, 1 Klarinette in Es,
3 Klarinetten in B, 2 Flugelhbrner, 2 Wald-
horner in F, 2 Tenorhtirner, 1 Bariton, 3 Trom-
peten in B, 3 Posaunen, Biisse, Kleine
Trommel, Grofie Trommel mit Becken.
Spieldauer: ca. 15 Minuten
Ernst Toch
Spiel fixr Blasniusik op. 39
Besetzung: 1 Piccolo-Flcite, 1 groBe Flole,
1 Oboe, 1 Klarinette in Es, 4 Klarinetten
in B, 1 Fagott, 4 Horner in F, 1 Tenorhorn,
1 Bariton, 2 Flugelhorner in B, 4 Trompeten
in C, 3 Posaunen, 1 BaBtuba, 2 Pauken,
GroBe Trommel, Kleine Trommel, Becken,
Lyra (Glockenspiel) und Triangel
Spieldauer: ca. 10 Minuten
Sdmtliche angezeigten Werke werden
Interessenten auf Wunsch zur Ansicht
iiberlassen.
B. Schott's Sonne — Mainz und Leipzig
MLLOS
ZEITSCHRIFT FUR MUSIK
SCHRLFTLEITUNG: PROF. DR. HANS MERSMANN
Allc Scndungen fur die Schriftleilung und Besprecliungsstueke nacl) Bcrlin-Gmiiewnld, Neufertullee 5 (Fernapr. Uhland 3785) eilicten.
Die Schriftleitung bittet vor Zusendung von Monuskriptcti ivm Anfrnge mit Riickporto. Allc Rechte fiir sflmtliche Bcitrage vorbehalien.
Ffir Anzeigen uha Verlogsmittcilungen vcrantwortl.: Dr. Johannes Petscluill, Mainz / Vcrlog : MELOSVERLAG (B. bchott's Sohnc)
MAINZ, Weihergarten 5; Fernaprccher 529, 530; Telegr. : ScoUon; Postschcck nur Berlin 19425 / Auslicfenuig in Leipzig: Linden-
Btrafio 16/18 (B. Sdiotl's SOhne) / Druck: B. Scliott's Sfihne, Mninz
Die Zeitschrift cracheint am 15. jeden Mounts. - Zu beziehen durcli idle Bucli- mid Miisikalienliandlungen oder dirckt vom Vcrlug.
Do8 Einzelhcft kostet 1. - Mk., daa Abonnement jfthrl. (12 H.) 8. - Mk., viertelj. (3 H.) 2.50 Mk. (zuziigl. 15 Pf. Porto p.H., Anslond 20 Pf. p. H.)
Anzeigenprcise: l /i Seite ICO.— Mk. 1 j B Scite 60.- Mk. '/« Seile 35.- Mk. Be! Wiederholungen Rabattc. Auftrilge an den Verlug.
ZUM INHALT
Das Problem der Oper zieht immer weitere Kreise. Gipfelte es noch bis vol-
kurzem ill der Frage, welche neuen Operntypen aus dera Geiste unserer Zeit heraus
entstehen, so iibergreift es mebr und mehr auf die Gebiete des Repertoires, des Auf-
f'uhrungsstils, der Besetzung. Ein sich neu formendes Verhaltnis zwischen dem Werk
mid denen, die es aufnehmen, stellt neue Forderungen auf. Die Oper wird ein sozi-
ologisches Problem. Diesen Fragen ist der Hauptteil des vorliegenden Heftes gewidmet.
Er versucht, den Begriff der Zeitoper herauszulosen, den Blick iiber die Opernkrisen der
Grofistadte hinaus auf die Lage in der Provinz auszudehnen, die Zusammensetzung und
Haltung des Opernpublikums zu revidieren.
Unter den LEBENDEN erscheint noch einmal die Gestalt des f'ruhgeschiedenen
Rudi Stephan, dessen Musik unter dem Aspekt der Gegenwart neue Einzelziige in Er-
scheinung treten lafit. Die Beziehungen zum AUSLAND sind in systematischem Ausbau.
Es sind mit Mitarbeitern aus alien Kulturlandern Abmachungen getroffen worden, uin
im Rahmen der neuen, von jetzt an stiindig durchgefiihrten Rubrik eine dauernde und
immer vollstiindigere Spiegelung des internationalen Musiklebens zu geben.
Die Sclmftleitung
MIT'S IK-
K ; ur't Weill (Berlin) .'■'■ ■''/ I
ZEITOPER ').
Sehr geehrter Herr Professor!
Sie bitten mich, vom Standpunkt des Opernkomponisten zu dem Begriff der
,,Zeitoper" Stellung zu nehmen, und ich kann dieser A afford erung nachkomiiien, well
Sie hinzufugen, daft Sie in meinen jiingsten "Werken diesen Begriff „am intensivsten"
verwirklicht finden. Demi nur so entschuldigt 'sich die deutliche „Einseitigkeit" meines
Standpunktes.
Auch dieses Wort „Zeitoper" hat die ungliickselige Wandhmg vom Begriff zum
Schlagwort durchmachen miissen. Es war ebenso rasch geprfigt wie falsch jingewandt.
Diese rasch vorgreifende falsche Verwertung eines Begriffs ist nicht unbedingt schadlich,
sie ist vielleicht notig, weil sie eine womoglich nachfolgende richtige Anwendung mit
jener Selbstverstandlichkeit erscheinen la (At, die ihrer Aufnahme in der Offentlichkeit
die richtigen Voraussetzungen schafft. Das Zeitstiick, wie wir es in'deri letzten Jahreii
kennengelernt haben, riickte die aulSeren Lebenserscheinungen unserer Zeit in den
Mittelpunkt. Man nahm das ,,Tempo des 20. Jahrhunderts", 1'iigte den vielgeruhmten
,,Rhythmus unserer Zeit" hinzu und hielt sich ira iibrigen an die Darstellung von
Gefiihlen vergangener Generationen. Die starken Reize, die die Verpflanzung von
Begleiterscheinungen des tiiglichen Lebens auf die Biihne in sich birgt, sollen nicht
nnterschatzt werden. Aber es sind Beize, weiter nichts. Der Mensch unserer Zeit
sieht anders aus, und das was ihn aufien treibt und innen bewegt, ist so nicht darzu-
stellen, nicht so, dafi man zeitgemafi um jeden Preis sein will, niclit so, dafi man
Aktualitaten gestaltet, die nur fiir den engsten Umkreis der Entstehungszeit Geltung
besitzen. Die Aufgabe des Zeittheaters der letzten Jahre, an dem die meisten von
uns in irgend einer Form beteiligt waren, bestand darin, die Biihne endgiiltig zu
technifizieren, das Theater in der Form, im Geschehen und im Gefiihl aufzulockern.
Diese Aufgabe ist erfiillt, und schnell ist das Mittel zum Selbstzweck gemacht worden.
Jetzt erst, nachdem das bisherige Zeittheater das Material freigelegt hat, haben wir die
Unabsichtlichkeit, die Selbstverstandlichkeit erlangt, um das Weltbild, das wir — viel-
leicht jeder auf seine Weise — seheu, nicht mehr in einer Photographie, sondern in
einem Spiegelbild zu gestalten. Dabei wird es sich in den meisten Fallen um einen
konkaven oder konvexen Spiegel handeln, der das Leben in der gleichen Vergrofterung
oder Verkleinerung wiedergibt, wie es in Wirklichkeit erscheint.
Sie werden mich f'ragen, ob diese Abgrenzung der „Zeitoper" auf den Begriff
eines „Zeitspiegels" nicht eine Einengung der Stoffwahl mit sich bringt. Aber sehen
Sie: die geistigen und seelischeu Komplexe, die die Musik darstellen kann, sind ohne-
') Der Verfasser, gebeten, den Begriff der „Zeitoper" mit Beziehung auf sein episches Opernepiel
..Mahagonny" (Baden-Baden 1927) zu formulieren, auKert sieli in einem offenen Brief an die Schriftleitung.
ZETTOPEB 107
hin ziemlich eng umgrenzt und sind im Grunde seit Jahrhunderteu immer die gleichen
geblieben. Nur die Objekte und die Anwendungsformen haben sich geandert. Das
Menschliche, das die Musik aussprecheu kann, ist gleich geblieben. Aber der Mensch
ist anders geworden, er reagiert anders aui' die Einflusse von aufien, auf Ereignisse und
Geh'ihle. Der neue Typus Mensch, tier heute von alien Seiten im Anmarsch ist, er-
kennt vieles von dem, was den voraiigegangetieii Generationen wiclitig erschien, nicht
einmal als Voraussetzung an. Daher miissen audi in einer Kunst, die auf eine
Darstellung dieses Typus gerichtet ist, die Proportioneu zwiscben dem Menschen Und
den Dingen in ihm und um ihu verschoben evscbeinen. Doch ergibt dieser neue Typus
Mensch, den wir sehen, die Moglichkeit, der Oper wieder grofie, umfassende, allgemein-
giiltige Stoffe zugrundezulegen, die nicht mehr private Ideen und Gefuhle, sondern
grofiere Zusammenbange behandeln. Dabei lassen sich die geistigen und menschlicheii
Grundlagen des neuen Mensch entyp lis aul' jeden wirklicb grol&en Stoff anwenden.
Strawinskij's Oedipus ist nicht weniger Spiegel unserer Zeit als etwa Chaplin's Gold-
rausch. Aber ich bin iiberzeugt, dafi auch unsere Zeit selbst grofie Stoffe hergebeu
kann, wenn man sie vora Standpunkt einer gewissen Gesinnung aus betrachtet. Doch
kann das reine Geshinungstheater seine Anwendung fur die Oper (wie auch 1'iir das
Drama) nur danu finden, wenn es nicht als Proklamierung einer Tendenz auftritt,
sondern wenn es die Spiegelung eines Weltbildes unter dem Gesichtspunkt einer
grofieu, tragenden Idee gibt. Es steht aul&er Zweifel, daft diese Verarbeitung grofier
Stoffe unserer Zeit in der Oper zunachst ehimal nur aus der Zusammenarbeit eines
Musikers mit einem zumindest im Niveau gleichwertigen Vertreter der Literatur hei'-
vorgehen kann. Die mehrfach geaufierten Befurchtungen, dafi eine solche Verbindung
mit wertvollen literarischen Erscheinungen die Musik in ein abhangiges, dienendes oder
auch nur gleichberechtigtes Verhaltnis zum Text bringen konnte, sind ganzlich unbe-
grundet. Je starker der Diditer, umso mehr vermag er sich der Musik anzupassen,
umso mehr reizt es ihn audi, eine wirkliche Dichtung fur Musik zu schaffen. (Ich
darf ihnen vielleidit berichten, dafi ich in meiner gegenwartigen engen Zusammenarbeit
mit Brecht die Moglichkeit gefunden babe, ein Libretto, dessen Gesamtplan und
Scenarium gemeinsam ausgearbeitet worden ist, in alien Einzelheiten, Wort fur Wort,
nach musikalischen Gesichtspunkten zu ibrmen). Im iibrigen glaube ich, dafi der
Kollektivbegriff, der heute ins Theater einzieht, gerade in der Oper, in der er ja immer
eine Rolle spielte, wieder starker hervortreten wird.
Die groGen Stoffe erfordern fur ihre Darstellung in der Oper die grofie Form.
Je breiter und gewichtiger die Anlasse zum Musizieren werden, umso grfifier wird die
Bedeutung, werden die Eiitfaltungsmoglichkeiten der Musik in der Oper. Das neue
Operntheater, das heute entsteht, hat epischen Charakter. Es will nicht schildern,
sondern berichten. Es will seine Handlung nicht mehr nach Spannungsmomenten
formen, sondern es will vom Menschen erzahlen, von seinen Taten und dem, was ihn
dazu treibt. Die Musik im neuen Operntheater verzichtet darauf, die Handlung von
innen her aufzupumpen, die Ubergange zu verkitten, die Vorgange zu [untermalen, die
Leidenschaften hochzutreiben. Sie geht ihren eigenen, grofien, ruhigen Weg, sie setzt
erst an den statischen Momenten der Handlung ein, und sie kann daher (wenn sie an den
richtigen Stoff gerfit) ihren absoluten, konzertanteii Charakter wahren, Denn da die
108 ERNST SCHO'EN
berichtende Form den Zuschauer uiemals in Ungewif&heit oder in Zweil'el iiber die
Biihnenvorgange lafit, so kann sich die Musik ihre eigene, selbstandige, rein musikalische
Wirkung vorbehalten. Die einzige Voraussetzung fiir ein solches imgehenuntes Aus-
inusizieren iu der Oper besteht darin, daft eine Musik in ibrem iunersten Wesen
uatiirlich „Thealermusik" (ini Mozart'schen Sinn) sein muft, uni zu ciner volligeu Befreiuiig
von den Akzenten der Biihne vorstofien zu kouueii.
Diese veranderte Grundeinstellung kann — vie wir geseben haben — zu eineui
Ankniipl'en an die Form des Oratoriums fuhreu. Sic kann audi die Gattung Oper
von Grund aus neu schaffen. Sie muft sich dann aber iu jene aid" alien Kunstgebieten
lestzustellende Entwicklung einreihen, die bereits lieute das Ende der gesellschaftlichen,
der „aristokratischen ,: Kiinste ankiiiidigt. Und wenn wir uns durch miser Werk hin-
durch das Bild unseres Publikums projizieren, so seheu wir den eint'achen, naiven.
voraussetzungs- und traditionslosen Horer, der seinen gesuuden, an Arbeit, Sport und
Teclinik geschidten Sinn fiir SpaU und Ernst, lur gut und schlecht, liir alt und neu
mitbringt.
Ibr ergebener
Kurt Weill
Ernst S ch o e n (Frankfurt/M.)
ZUR SOZIOLOGIE DER OPER
,iMensch, quatscli kcinc. Opcr!'
(UprliiiRi* Krnft^-ort)
Die Kvinstler wollen wieder mal Naturburschen sein. ,,Bilde, Kunstler, rede nicht! ",
dieser alte mifiverstandene Imperativ scbeint die Bicbtscbnur ihrer abweisenden Haltung
jeder Diskussion gegetmber. Selbstein Mann wie Cocteau, eigentlicli doch ein hochbegabter
Literat, wehrt sicb gegen den guten alten Pariser Braucb des Metier- und Ateliertratsches
und zieht es vor, sobald er nicht dichtet, gut zu essen, Jazzband zu spielen oder zu
malen, letzteres wie weiland miser Goethe. Die herbe, mit Grobheit verbramte Schani-
haftigkeit unseres Mottos, als private Haltung des deutschen Beichshauptstadters so sym-
pathisch, bekommt leicht den Charakter mimosenhafter Lebensangst, wenn der Kunstler
heute, gerade lieute sich ihrer bedient, urn sich dahinter iu die ..Werktatigkeit" der
„ueuen Sachlichkeit" zuriickzuzieheii.
Ich versuche, mit einem jungen Musiker iiber Fragen der Asthetik und Soziologie
der Oper ins Gesprach zu kommen. Er nimmt Beifiaus, mit Zeicheu panischen Ent-
setzens. Sein Argument? Uber alle musikalischen Formeu koime er sprechen, nur das
Wesen der Oper wolle er sich nicht zum Bewufitseiii bringen. Wenn er uainlich ein-
mal dariiber naclizudeiiken begonne, welchen Sinn es hatte, auf der Biiline z. B. die
Worte: „Noch niemals studierte ich Ornithologie ", zu singeu anstatt zu sprechen, so
wiirde er sein Lebtag nicht imstande sein, eine Oper zu schreiben. Demi das tue man
doch trotz der iisthetischen Anriichigkeit dieser musikalischen Gattung.
Wie steht es denn mit dem Problem der Oper ? Ein Verlag behauptet, die Oper
kranke am Libretto mid veranstaltet flugs ein Preisaussclireiben fiir Textbiicber, All-
ZUR SOZIOLOGIE DER OPER 109
gemein sagt man, dafi die Libretti der Mozartopern schandlich schlecht seien. Andere
•.wieder meinen, die Wagnerschen hatten als Dichtung mindestens den Kunstwert seiner
Musik. Einer der beliebtesten „modernen" Opernregisseure lafit seine Bheintochter an
lebensgefahrlichen Vorricbtungen hinter einem gigantischen Aquarium anketten, ein Arzt
behauptet, zu „ Jonnys " Hauptwerten gehore die psychoanalytiscbe Erkenntnis der Ge-
spaltenheit, ach unsrer Seele.
Venn bei diesem Stand der Dinge die Komponisten eisig schweigen oder besten-
falls ihre Kritilcer wissen lassen, dafi sie genug von ihnen hatten, ist das wohl verstandlich.
Ich zweifle nicbt, dafi jeden Tag und frei von alien Ressentiments heute wie je ein
guter Komponist scbreiben kann, was er will, naturlich auch eine gute Oper. Dafiir
gibts weder Krise nocb Problem. Aber es scheint mir freiwilliger Stumpfsinn, sicb nicht
uber eine Sache unterhalten zu wollen, nur, weil dadurch noch nichts geschafft wird.
Und es erscbeint mir freilich auch zweifelhaft, ob heute eine Oper horbar, im guten
Sinn volkstumlich werden kani:» es sei denn unter Voraussetzungen, die sehr wohl
begrifflich angedeutet werden konnen. Die Geschichte der musikaliscben Arbeit m. a. W.
hangt nur sehr miitelbar mit der Politik zusammen. Die aber des Theaters unbedingt
in hohem Mafie.
Hierzu einige historische Andeutungen. In Wahrheit ist doch diese dem Stdsnob
so „ problematische " Form des musikalisch bewegten Szenenwerks schliefilich nicht jiinger
als die europaische Kunstmusik xiberhaupt, ja ihre Urform steht am Anfang aller kunst-
mafiig gefafiten kultischen Feier in der bekannten ehrwiirdigen Dreieinigkeit von Vers,
Melodie und rhythmischer Bewegung. Walter Benjamin, der uns in seiner Arbeit
„ Ur sprung des deutschen Trauerspiels " (E. Rowohlt 1928) die alle Ismen iibergreifende
Aktualitat des Barock fur die heutigen Kunstresultate nahebringt, deutet uns, Nietzsche
zitierend, den historischen Moment der Enstehung der Oper als nattirlicher Konsequenz
der Stilform des Barockdramas etwa folgendermafien : „Die phonetisrhe Spannung in
der Sprache des XVH. Jahrhunderts fuhrt geradezu auf die Musik als Widerpart der
sinnbeschwerten Rede". Und sparer: „. . . jede Antwort hatte . . . Laut- und Schrift-
sprache, wie auch immer einander zu nahern, so doch nicht anders als dialektisch, als
Thesis und Synthesis, zu identifizieren, jenem antithetischen Mittelgliede der Musik, der
letzten Sprache aller Menschen nach dem Turmbau, die ihr gebiihrende zentrale Stelle
der Antithesis zu sichern ..." (usw.).
Sind Mozarts Libretti wirklich schlecht ? Dr. Bobert Haas (in Adlers „ Handbuch ")
scheint uns nur eine Selbstverstandlichkeit zu bestatigen, wenn er vermutet, dafi Mozart
an seinen Texten . mitgewirkt hat. Wir begriifien Kurt Weills Bemerkung, dafi Mozarts
Opern ihre Unvergleichlichkeit dem Umstand verdanken, dafi all seine Musik einen
6prechend dramatisclien Gehalt in sich tragt, wie wir meinen, dafi dieser dramatische
Gehalt zu den ursprunglichsten Kriterien alien grofiten niusikalischen SchafFens zahle.
Was Mozarts Opernstil uns als Organum aller moglichen Vorstellung von Oper er-
scheinen lafit, das sagt uns die geistreiche Charakteristik eines Hermann Cohen. Nicht
etwa namlich, dafi seine Libretti schon an und fur sich Kunstwerke gewesen waxen,
keineswegs, aber dafi ihre Handlung jedesmal Formung eines naiven, elementaren und
, gesinnungsstarken dramatischen Geschehens bedeutet, dessen symbolische Entzeitlichung
idurch die Dramatik der Musik — dort, wo der Mensch gleichsam nicht mehr sprechen,
110 ERNST SCHOEN
sondern nur noch singen kann — unseren Erlosungsdrang im Kunstwerk wunschlos be-
friedigt entlafit. Ipso facto natiirHch, ohne literarische Assoziation. Denn das scheint
uns die Zeitbefangenheit des Wagnerschen „ Gesamtkunstwerks ", dessen so revolutionar
intendierte und dennoch so, man ware fast versucht zu sagen : „ sachsische " Tragikomik
heute beinahe zum Wert parteipolitischer Parole des „Bayreuther Bundes" herabge-
wiirdigt ist, dafi seine Erlosungssymbolik eben im grofien und ganzen literarisch asso-
ziiert war.
Was ist die „platonische Idee" dieser musikalischen Dramatik? Der Drang nach
Erlflsung, ein metaphysisches Geschehen, das eine seiner allgemeinsten Ausdrucksformen
im Liebeskampf der Geschlechter findet, insofern dieser zum individuellen Erlosungs-
drang in Beziehung steht. Weil ihre Musik in reiner Schopferkraft die unzulangliche
Begrifflicbkeit der literarisch-szenischen Formung dieser Idee zu verewigen vermochte,
darum sind z. B. auch ,, Carmen " und ,, Pelleas " die bedeutendsten Opern seit Wagner,
audi bei Verdi spielt die autonome Dramatik der Musik ihre Wert oder Unwert be-
stimmende Bolle und vermag selbst noch Puccinis Werk naiven Leichtsinns zu retten.
Auch heute und morgen werden musikschflpferisches und musikdramatisches Genie
so sehr das Werden eines Opernwerks bestimmen wie je. Seinen sozialen Platz aber,
seine Aufnahme, seine Volkstumlichkeit wird gleichfalls wieder wie immer vom Bestehen
einer Gesinnung abhangen, die nun einmal und immer den Zauberschliissel zur
Eroffhung der Macht der Szene abgibt. Gerade in diesem Kardinalpunkt aber schwankt
unsre Zeit ja noch vollig und lafit uns alle Aufgaben zu losen ofFen. Die neue „ Sach-
lichkeit", der „ Neoklassizismus ", werden wohl vorlaufig das letzte Glied in der Kette
der Fiktionen gewesen sein, die eine unsachliche Kunstbetrachtung zwischen dem
Schaffenden und der Wirklichkeit aufspannte. Aber auch daruber werden wir hinaus
miissen, dafi diese dilettantische Kunstbetrachtung den Synkretismus zu ihrer Methode
machen, heute an Hand eines Tonmalereiprogramms ein musikalisches Werk banalisieren,
morgen ihre naive Auffassung der Phanomenologie daran versuchen durfte. Dariiber
schliefilich vor allem, dafi ihr solche Extratouren von einer Gesellschaft ermoglicht
wurden, die alle Begriffe von Allgemeinheit und Privatheit in tyrannischer Willkur ver-
tauschte, Steuerzettel und Eheleben zu einer offentlichen, Meinung und Gesinnung zu
einer privaten Angelegenheit gestempelt haben wollte.
Bergs „Wozzek" ist ein Werk, dessen musikalische Werte iiber jedes Urteil hoch
erhaben sind. Aber die akademische Willkur seiner Formgebung, die Unverantwort-
lichkeit der Gesinnung seiner Zeit gegenuber driickt ihm, wie uns scheint, ein Stigma
der Zeitbefangenheit auf. Gut, wir wissen nicht, wohin wir gehen. Aber wohin wir
nicht zu gehen haben, das wenigstens miissen wir wissen, um verantwortlich arbeiten,
ja leben zu konnen. Was sollen wir von der Geste der Privatheit eines „Intermezzo",
eines „Jonny" sagen. Unter dem Gesichtspunkt der Gesinnung scheint Weills
,. Mahagonny " ein Fingerzeig. Sobald sie klar, sobald sie offentlich und allgemeingiiltig,
sobald sie der Zeit verantwortlich sein wird, wird zumindest das soziologische Problem
der Oper zu bestehen aufgehort haben. Denn an der Oper wird es zuerst ofFenbar,
dafi wie jede schopferische Aufgabe so auch die musikalische nicht nur eine artistische
und handwerkliche, sondern auch eine deutliche moralische Verantwortung in sich tragt.
OPERNPUBLIKUM \\\
Heinrich Strobel (Berlin)
OPERNPUBLIKUM
Unser Operntheater ist eine Schopfung des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Was
in friiheren Zeiten, was noch zu Beginn des romantisclien Jahrhunderts undenkbar ge-
wesen ware, ist heute Selbstverstandhchkeit : das Bepertoire besteht nicht aus zeit-
genossischen, sondern zum grofiten Teil aus alteren "Werken. Der Spielplan ist nach
ruckwarts statt in die Gegenwart gericbtet. Die dramatischen Meisterwerke der Ver-
gangenheit erscbeinen mit unfehlbarer Begelmafiigkeit immer wieder im Turnus, werden
durch allzu haufige, meist unkontrollierte AufTiihrungen abgeniitzt. Bepertoire und
Darstellungsstil entsprechen den burgerlichen Idealen des 19. Jahrhunderts. Die Oper
will zugleicb der gesellschafdichen Beprasentation und der bequemen Erbauung dienen.
Der Festspielgedanke Bichard Wagners wirkt sich im Bepertoiretheater aus. Das Werk
Wagners war das Erlebnis des burgerlichen Horers nach dem Krieg von 1870. Es ver-
wirrte und berauschte auf die feierlichste Art. Es hatte die heroisch-pathetische Geste,
die man nach dem siegreicben Krieg verlangte, es hatte die aufregende Sinnlichkeit,
die ein in steigendem aufierem Woldstand lebendes Biirgertum iiberwaltigen mufite.
Wagners Werk, das asthetischen und sinnlichen Genufi zugleich bot, wurde alleingiiltiger
MaGstab fur die kiinstleriscben Anspriiche. Das Schaffen der folgenden Generation stand
vollig unter dem Einflufi Wagners. Die Vergangenheit wurde von Wagner aus beurteilt,
von Wagner aus interpretiert. Der Abonnentenkreis der deutschen Hof- und Stadt-
theater rekrutierte sich nur aus burgerlichen Schichten. Der Opernspielplan pafite sich
den Forderungen der Horer an. Der Abonnent duldet kein modernes Werk von ent-
scheidend anderer Haltung. Er liebt im Grunde auch die alten Meister nicht. Er hat
aber durch die historische Erziehung genug Respekt vor der Vergangenheit bekommen,
um ihre Kunstwerke nicht langweilig zu linden. Im stillen lacbelt er iiber Mozart.
(Er freut sich hochstens iiber die vollendete Auffuhrung.) Er lachelt auch iiber die
Naivitat des „Freischutz". Er will die Berauschung oder zum mindesten die gesell-
schaftliche Sensation. Je mehr sich das Bepertoire festlauft, desto haufiger werden die
Opernfestspiele. Heute hat beinahe jedes Provinztheater seine festlichen Fruhjahi'sauf-
fiihrungen mit prominenten Gasten. Man kennt das Gesamtniveau dieser schlecht vor-
bereiteten Darbietungen. Aber der Horer ist befriedigt.
Die Situation verscharfte sich nach dem Kriege. Vor 1914 war die Stagnation
des Operntheaters, eine notwendige Folge der Stagnation seiner Horerschaft, noch latent.
Seit neue Krafte hervorbrachen, geistige und soziale, ist die Krise des Operntheaters
akut. Der biirgerliche Horer, jetzt auch, aus einem natiirlichen Selbsterhaltungsinstinkt,
Triiger der politischen Beaktion, klammert sich mit aller Gewalt an seine kiinstlerische
Tradition, die kaum mehr ist als Konvention. Im Erwerbsleben kann er sich nicht
gegen die Zeit stellen — er kame ins Hintertreffen, die Konkurrenz schliige ihn. Die
Kunst wird umso mehr Betatigungsfeld seiner reaktioniiren Gesinnung. Hier geht es
nicht urn Geld, sondern um „Ideale". Es tritt das Kuriose ein: wahrend sich in der ge-
samten geistigen Welt eine grundsatzliche Umscbichtung vollzieht, halt das Operntheater
an Spielplan und Auffuhrungspraxis der Vorkriegszeit fest. Es hat sich in der deko-
rativen Aufmachung manches modernisiert, aber von Aktivierung der musikalischen
112 HBINRICH STROBEL
Interpretation klassiscker Meisterwerke kann bis jetzt nur in den seltensten Fallen die
Rede sein. Wir sehen diese Werke mit neuen Augen, sie zeigen uns ein neues Gesicht
Man kann einen von Wagnerscher Pathetik bestrahlten „Fidelio" niclit mehr ertragen.
Der Glanz der romantischen Oper verblafit zusehends. Wenn sie iiberhaupt noch
lebensfahig sein soil, so mufi ihre Darstellung gereinigt werden. Man mufi die inter-
pretatorischen Freiheiten des Dirigenten und der Sanger, an denen man sich zur Zeit
des romantischen Hyperindividualismus berauschte, endlich unterbinden. Je mehr
typische ktinstlerische Werte die Gegenwart hervorbringt, umso grofier wird der Abstand
zwischen der Haltung des Operntheaters und dem wirldichen Leben. Unsere Opern-
praxis hat kauni noch Beziehungen zur geistigen Struktur der Zeit.
Man hat das Krisenhafte dieser Situation langst eingesehen. Es wurden Versuche
gemacht, den Spielplan zu erneuern. Man gab nioderne Werke, die sich grundsatzlich
gegen die musncdramatisch-romantische Tradition wandten. Die Ausdruck eines neuen
Kunstwillens sind. Es waren Versuche am untauglichen Objekt. Der keiner Regeneration
mehr fahige Horerkreis opponierte, er drohte mit Kundigung des Abonnements. Er
spiirte instinktiv in der ,,Geschichte vom Soldaten" ein seinem Ideal feindliches Prinzip.
Hier konnte er sich nicht erbauen. Hier sollte er als heutiger Mensch aktiv miterleben.
Das war ihm nicht mehr moglich. Man weifi von den Kampfen, die zur Zeit rheinische
Biihnen, von zeitverantwortlichen Mensch en geleitet, mit ihren biirgerlich reaktionaren
Horern ausfechten. Man erlebte in Berlin, dafi ein aus dem kollektivistischen Zeitwillen
geschafTenes Werk wie Strawinskijs „ Oedipus Rex" von dem aus Geschaftsleuten
bestehenden Publikum der Erstauffixhrung vollig gleichgiiltig aufgenommen wurde. Die
monumentale Geste, die sinnlich aufpeitschende Klanglichkeit Wagners und der nach-
wagnerschen Musikdramatik hat den Sinn fur reine und strenge Monumentalitat erdrosselt.
Es zeigt sich, dafi eine Erneuerung und Aktivierung des Operntheaters vor dem burger-
lichen Abonnentenpublikum nicht moglich ist. Es mufi ein neuer, der Gegenwart
innerlich naherstehender Horerkreis gefunden werden.
Einmal bot sich dazu schon die Gelegenheit: als nach der Revolution uberall im
Reich Volksbuhnen auf sozialistischer Basis gegriindet wurden. Damals hatte man
durch planmafiige und kluge Fiihrung ein von der Hortradition biirgerlicher Abon-
nenten niclit belastetes Publikum zu einer neuen Musikgesmnung erziehen, hiitte man
es fur die Musik der Zeit gewinnen konnen. Statt dessen betrieb man kunstlerische
„Volksbddung" nach burgerlichen Prinzipien. Das erstarrte biirgerliche Operntheater
wurde ohne weiteres ubernommen. Die Volksbuhnenleute gingen im burgerlichen
Horerkreis zwar nicht nominell, aber bestimmt ideell auf. Die Opernaufluhrungen der
Volksbuhnen unterscheiden sich in nichts von den iiblichen Abonnementsvorstellungen.
Hochstens, dafi noch gleichgidtiger musiziert und gesungen wird und die bevorzugten
Spharen des Kleinburgertums, Lortzing und die Operette, mit besonderem Eifer gepflegt werden.
Inzwischen schreitet die Krise immer weiter fort. Das Operntheater schliefit sich
als gesellschaft-reprasentative Angelegenheit immer mehr vom Leben ab. Die neuen
Werke stehen immer isolierter im Spielplan. Fdm und Sport interessieren die noch
unverbddeten Massen, interessieren vor allem die Jugend. Wenn das Operntheater als
lebendiger Faktor wieder erstehen soil, dann mufi es eine Form finden, in der es jene
DIE LAGE DER PROVINZOPER 113
unverbrauchten Kreise zu sich heranzieht, die ihm bisher, weil es eben ungegenwartig
ist, fern geblieben sind. Die representative Oper wird weiter bestehen, solange der
Staat (und die Steuerzahler) ihm die enormen und letzten Endes nicht zu rechtfertigenden
Zuschiisse gewahren. Aber ein wirklich heutiges, aktives, nicht auf bequeme Er-
bauung ausgehendes Operntheater ist nur vor einem neuen Horerkreis mit neuen, aus
der Zeit geschaffenen, die Krafte der Zeit in klarste und verstandlichste Gestalt
bannenden Werken moglich. Organisation und Produktion miissen zusammenwirken
So vielleicht erreichen wir das Ziel.
Ernst Latzko (Leipzig)
DIE LAGE DER PROVINZOPER
Dafi die Oper eine aristokratische Kunstform ist, die sich selbst nicht zu erhalten
vermag, deren Existenz vom Reichtum und Macenatentum abhangig ist, hat der Deutsche
seit 1918 viel zu oft gehort, um es nicht auch zu glauben. Woher soil also heute,
in einer Zeit immer zunehmender Verelendung, immer abnehmender Gebefreudigkeit
diese Luxuspflanze ihre Lebenskrafte ziehen, vor allem in der Provinz, wo geringere
Besucherzahl, geringere Wiederholungsmoglichkeiten, geringere Zuschiisse ihre ohnehin
schwer bedrohte Existenz in noch erhohtem Grade gefahrden ? Der Ruf nach Reformen
wird laut. Die Luft schwirrt von allerlei Schlagworten : Arbeitsgemeinschaft, Plan-
wirtschaft, Fusion. Es sind immer neue Variationen uber das eine Thema „Abbau",
dem man von den verschiedensten Seiten beizukommen versucht. Aus alien diesen
mannigfaltigen Experimenten kristallisieren sich schliefilich zwei Hauptformen heraus,
die [bald offen, bald verschleiert, bald gesondert, bald gemeinsam angewendet werden
und durch deren Kreuzung sicli eine ganze Reihe von Abbau-Spielarten ergibt. Die
erste dieser Grundformen ist die Verkleinerung des Etats durch Herabsetzung der Gagen
und Einschrankung des Mitgliederbestandes, die zweite die Vergrofierung des Aktions-
gebiets durch Ausdehnung der Tatigkeit auf mehr oder minder benachbarte Orte, die
entweder keine Oper haben, oder sie aus Griinden der Sparsamkeit haben eingehen
lassen. Die Mafinahmen der ersten Gruppe haben Anfanger- und Volontarwirtschaft,
Proletarisierung, unaufhaltsam fortschreitende Qualitatsminderung zur Folge, die Mafi-
nahmen der zweiten Gruppe beginnen mit dem sogenannten „Abstecher" und endigen
bei der Fusion, die soeben in Gera-Altenburg den Beweis ihrer niateriellen und kiinst-
lerischen Unfruchtbarkeit erbringt.
Alle diese Abbaumafinahmen sind Versuche am untauglichen Objekt, weil sie
den eigenartigen Existenzbedingungen eines Kunstinstituts nicht Rechnung tragen, sondern
Erfahrungen, die auf dem Gebiet des Handels, der Industrie, der Landwirtschaft gemacht
sind auf kunstlerischem Gebiet verwerten mochten. Dafi der Opernbeti-ieb rationeller
gestaltet, dafi er vor allem zeitgemafi umgewandelt werden mufi, das ist eine Forderung
des heutigen Tages, der sich kein Theater entziehen diirfte, am wenigsten das der
Provinz. Aber man versuche doch einmal statt dieser rein aufierliien, mechanischen
Mafiregeln eine Reform von innen heraus, eine Reform, die beim Wesentlichsten be^
114 ERNST LATZKO
ginnt: beim Werk. Man beginne einmal nicht mit dem Abbau des Personals, sondern
mit einem zeitgemafien Aufbau des Spielplans. Diese Zeit der Armut und Not, die
nur dem Wesentlichen Daseinsberechtigung verleiht, fordert auch in der Kunst eine
Abkehr von allem Uberschwang, von einer verschwenderischen Einsetzung der Mittel
so gut, wie von jeder Hypertrophic des Ausdrucks. Auf unser Gebiet angewendet;
Nicht die Auslaufer der Romantik, die allmahlich nach beiden Richtungen hin zu immer
holier gettirmten Ubersteigerungen gelangten, diirfen die Grundlagen eines Opern-
spielplanes sein, der die Zeichen der Zeit zum Ausdruck bringen will, wohl aber
Werke, die Dkonomie der Mittel mit Einfachheit der Kontur und Schlichtheit des Aus-
drucks verbinden. In diesem Sinn sind Wagner und Straufi nicht zeitgemafi, nicht etwa
weil die in ihnen enthaltenen Werte geringer geworden wfiren, nachgelassen hatten,
sondern einzig und allein, weil ihre Werke aus einer anderen Zeit heraus, fur eine
andere Zeit enstanden sind. Darum waren sie lebendigster Ausdruck der jiingsten
Vergangenheit, darum werden sie in einer materiell gefestigten Zukunft, die in
der Ekstase Befriedigung findet, ihre friihere Bedeutung bestimmt wiedererlangen,
eben darum sind sie aber heute nicht Abbild der Gegenwart. Denn die wendet
ihren Blick weiter riickwarts und sucht zur Erganzung und als Spiegelbild der wahr-
haft modernen Produktion im 18. Jahrhundert das, was ihr das 19. nicht bieten kann:
Zuriicktreten des Subjektivistischen, dafiir bewufites Indenvordergrundstellen der Form.
Darum mehr Mozart, mehr Handel und mehr Gluck, denn sie sind zeitgemafier als
Wagner und darum mehr von jenem Gegenwartschaffen, das in der Ausgewogenheit
aller Elemente, in der Bandigung des Allzupersonlichen durch Form und Technik eine
neue Klassik anstrebt.
Wie sieht die Wirklichkeit aus? Einige Zahlen mogen sprechen, die aus dem
„Deutschen Biihiien-Spielplan" gewonnen sind. Gezahlt wurden die Auffuhrungen an
alien reichsdeutschen Theatern, die Opern auffuhren, mit Ausnabme von Berlin im
Dezember 1927. 'Noch immer steht Wagner mit 133 Auffuhrungen weit an der Spitze,
ihm folgen Verdi mit 110, Puccini mit 90 Auffuhrungen, wahrend Mozart sich mit 63
Vorstellungen bescheiden mufi. Dabei fallen allerdings Essen mit dem „Idomeneo" und
Breslau mit „La finta semplice" angenehm auf. Die Handelrenaissance scheint sich
nach vielverprechenden Anfangen totgelaufen zu haben, zu einer bewufiten, konsequenten
Gluckrenaissance ist es noch garnicbt gekommen. Alle diese Zahlen sagen nicht viel
Neues, erfreulich ist nur die verhaltnismafiig intensive Verdi-Pflege, die sich in Breslau
sogar an den „Don Carlos" wagt. Deutlicher reden die Zahlen, die sich auf die Werke
der reprasentativen Lebenden beziehen: Einige wenige Auffuhrungen des „Cardillac",
Hagen und Essen erwerben sich Verdienste, jenes mit Hindemith „Hin und zuriick"
und Tochs ,,Prinzessin auf der Erbse", dieses mit Honeggers „Antigone". Im Falle
Straufi scheint die Gegenwart schon ihr Recht geltend zu machen, denn er ist
mit nur 22 Auffuhrunge-n vertreten. Und zum Schlufi die beredteste Ziffer „Jonny
spielt auf" wird im Dezember 64 mal aufgefiihrt, ofter als acht Werke von Mozart,
halb so oft als zehn Werke von Wagner, dreimal so oft als sechs Straufi-Opern.
Konigsberg und Nordhausen (!) erreichen die Rekordziffer von je neun Auffuhrungen
in einem Monat. Damit scheint also der Bann, der das Publikum von der modernen
Oper fernhalt, gebrochen, die Ehre der Provinztheater gerettet, alle Reaktion iiberwunden
DIE LAGE DER PROVINZOPER 115
izu sein. Aber dieser Sieg des Fortschritts ist nur ein scheinbarer. Denn in Wirklich-
keit ist .,Jonny" garnichtdas Werk, das es so gerne sein mochte: ein "Werk des neuen
Stdes; dazu fehlt ihm vor allem die Konsequenz, vielmehr ist es ein Werk, das mit
fabelhaftem Instinkt aus der Gegenwart das herausholt, was sich schon anderwarts —
in anderem Zusammenhang, anderem Milieu — den Beifall der Masse erworben hat
(Blues, Saxophon, Rundfunk), urn es mit durchaus unzeitgemaGen, wesensfremden aber
ebenso erfolgsicheren Elementen (Romantik, Sentimentalitat) zu einem organischen Gan-
zen zu verquicken. Aber der Erfolg dieser Oper beweist nur wieder, wie sehr das
Kompromifi im Vorted ist gegen das Werk der Folgerichtigkeit, gegen das Werk, das
frei ist von Zugestandnissen. Siehe „Cardillac" und siehe noch mehr Kurt Weills
„ Royal Palace".
In zweierlei Hinsiclit ist der „ Jonny "-Erfolg trotzdem sehr lehrreich. Er beweist,
dafi auch die ldeinere und kleinste Biihne den aufieren Anforderungen einer modernen
Oper gewachsen ist; er zeigt, dafi das Publikum nicht aus Prinzip jedem neuen Werk
abgeneigt ist. Und aus diesen zwei Momenten sollte die Provinzoper die Konsequenzen
ziehen. Ebenso wie „ Jonny" verlangen auch die anderen Opern des neuen StUes wohl
Arbeit aber keinen grofien Auffuhrungsapparat. Das Riesenorchester Wagners und
seiner Nachfolger wird immer mehr eingeschrankt, die Vorliebe fiir solistisches, kammer-
musikalisches Musizieren ist gerade ein Hauptmerkmal dieses Stiles, die Inszenierung
verlangt mehr Phantasie und Erfindungskraft als hohe Kosten, der von der Reaktion
und Bequemliclikeit diktierte Einwand der Insufficienz der Mittel ist hier also durchaus
hinfallig. Bliebe die passive Resistenz des Publikums zu iiberwinden, die uberall dort
spurbar wird, wo Sensationen, wie sie „ Jonny" in Fiille bietet, fehlen. Und hier er-
wachst der Provinzoper, namentlich in kleineren, von bedeutenden Musikzentren ent-
fernten Orten, in denen das Publikum meist von der allgemeinen musikalischen Ent-
wicklung vollig isoliert ist. eine besondere Aufgabe. Denn hier gilt es nicht nur, das
Personal des Theaters sondern auch das Publikum vorzubereiten und der Probenarbeit
auf der einen Seite mufite auf der anderen eine intensive und zielbewufite Aufklarungs-
und Propagandatatigkeit entsprechen. Jedensfalls ist das der Weg, der die Provinzoper
aus alien Krisen- materiellen wie kunsderischen herausftihren konnte, der ihr selbst bei
Einschrankung der aufieren Mittel ein wiirdiges Niveau sicherte : die zeitbewufite
Umstellung des Spielplanes durch eine konsequente Pflege des 18.
und 20. Jahrhunderts und Beschrankung der tibrigen Produktion auf
das ihrer heutigen Bedeutung entspr echende Mai
Ein Blick in den Biihnen-Spielplan zeigt, dafi es an vereinzehien Versuchen, die
Zeichen der Zeit in diesem Sinn zu deuten, nicht fehlt. Die grofie Masse der Provinz-
opern bewegt sich freilich in den gut ausgefahrenen Gleisen der letzten Jahrzehnte und
glaubt ihre zeitgemafie Einstellung durch die alljahrliche „ Urauffiihrung " geniigend zu
bewahren. Dieser Urauffuhrungsehrgeiz, von dem auch die kleinste Biihne nicht ver-
6chont bleibt, stellt eines der unerfreulichsten Charakteristika der Provinzoper dar. Denn
fast immer werden dabei - angeblich aus Griinden des Prestige, auf deutsch zur Be-
friedigung der lieben Eitelkeit - Zeit, Arbeitskraft, Kosten fiir ein Werk verschwendet,
das diesen Aufwand nicht verdient und damit anderen, wertvolleren Zweclcen entzogen.
Einen Teil der Schuld trifft dabei jene grofistadtische Tagespresse, fiir die das Provinz-
116 ERICH DOFLEIN
theater an 364 Tagen des Jahres Luft ist und nur Bedeutung gewinnt, wenn es am
365. irgend ein Werk urauffiihrt, um dann sofort wieder in das fruhere Dunkel zu
versinken. Die vorbildlichste Aufbautatigkeit wird keiner Zeile gewiirdigt aber der Ur-
aunuhrung des unbedeutendsten Werkes, am entlegensten Ort mit den unzulanglichsten
Kraften gegeben, wird unfehlbar Erwahnung getan. Hier tate also eine Umstellung der
Tagespresse zugunsten der Provinzoper dringend not.
Die Gefahren, die der Provinzoper aus der materiellen Not der Zeit drohen, sind
sicberlich nicht zu unterschatzen. Aber sie tedt diese nicht nur mit alien anderen
Tbeatern des Reiches, sondern sie darf hier auch auf eine bessere Zukunft hoffen. Viel
schlimmer aber wird sie von Indolenz, Reaktion und Eitelkeit, den Erbfeinden jeglichen
kultureUen Fortschritts, bedroht. Denn die werden nicht nur niemals verschwinden,
sie machen sich auch an der Provinzbuhne in unvergleichlich starkerem Mafi geltend.
Nicht als ob dort die fur das Theater Verantwortlichen indolenter, reaktionarer, eitler
waren als in der Grofistadt. Aber die Provinz, die so oft weit ab von aller Konkurrenz
liegt, verleiht dem Theater jene gefahrliche Monopolstellung, welche alle iiblen Instinkte
reif werden lfifit, die anderswo durch einen gesunden Konkurrenzkampf im Keim erstickt
werden. Warum geben die Theater des Rheinlands unausgesetzt Beispiele riihrigen Ar-
beitens im Sinne des Fortschritts ? Weil hier ein Ort, ein Theater neben dem anderen
liegt und jedes den Vorrang behaupten mochte, in der Angst, jedes Nachlassen mit der
kunstlerischen und wirtschaftlichen Existenz bezahlen zu miissen. Darum sind jene
Theater am schlimmsten daran, denen dieser unbequeme aber heilsame Zwang von
aufien fehlt. Und wird hier dieser aufiere Mangel nicht durch innere Werte der
leitenden Personlichkeiten ausgeglichen, durch hochstes Verantwortungsbewufitsein, Aus-
schaltung aller unsachlichen Motive, Emanzipierung von jener offentlichen Meinung, die
in der Aufrechterhaltung der Tradition und in der Nivellierung aller Gegensatze ihr
hochstes Ideal erblickt, dann droht hier die schwerste Gefahr der Provinz: dafi namlich
aus der Provinzoper im ortlichen Sinn nun auch dem Rang, der Bedeutung nach eine
Provinzoper wird.
WISSENSCHAFT
Erich Doflein (Freiburg i. B.)
ORGA.NISCHE UND MECHANISCHE MUSIK
(Zur gleichnamigen Schrift Paul Bekkers)
1.
Paul Bekker hat ein kleines Buch erscheinen lassen, in dem er Aufsatze aus den
Jahren 1923/25 vereinigte. Es sind dies die Aufsatze, die sich als Erganzung seiner
kleinen, gleichsam als Katechismus einer neuen Idee gedachten Schrift „Von den Natur-
reichen des Klanges" ergaben. Die Aufsatzfolge entwickelt sich klar aus der Einheit
eines Grundgedankens und baut sich folglich auf wie die Kapitelfolge eines im Ganzen
konzipierten Buches.
ORGANISCHE UND MECHANISCHE MUSIK 117
Zum Ausgang dient eine allgemeine Betrachtung iiber ,.Neue Musik". Diese wird
trotz ihrer grofien Untei'schiedlichkeiten als Einheit gesehen, als Kunstform, in der
einheitlich die Idee der Form zum hochsten Gesetz wird und den Wert und die Be-
deutung des reinen Gefiihls auflost und verdrangt. Es wird sogar ein Geftihl denkbar,
das als Gefiihl durch die Form, durch die Kraft der Form bestimmt wird. Die Er-
klarung dieses Neuen wird in der Abgrenzung gegen ein Friiheres, gegen die innere
Gesetzlichkeit der romantischen und klassiscben Musik versucht. Hierzu ist es not-
wendig, einen Dualismus, eine Gegensatzlichkeit von Gefiihls- und Formkunst zu
formulieren. Gefiihlskunst wird charakterisiert durch das Ausnutzen der Moglichkeiten
des Harmonischen, die als Moglichkeiten gleichsam zu einer gegebenen „Masse" werden,
die als Material fur das Modellieren des Gefiihls dient; alles Klangliche offenbart sich
hier als naiv bedeutungsbelastet; die Dissonanz z. B. hat als solche fiir sich schon einen
Ausdruckssinn ; der thematische Dualismus der Sonate ergibt sich aus der Notwendigkeit
von Kontrasten in der Welt des Gefiihls; nicht Musik, sondern Gefiihle werden kom-
poniert, deren Spannungskurven in der Dynamik, in dem dynamischen Entwicklungs-
gedanken einen naturwahren Spiegel finden. „Neue" Musik nun ergibt sich — hierzu
im Gegensatz — zunachst aus einer Auflosuug jener Belastung des Klanglichen, jener
Belastung mit nur scheinbar urspriinglichen Sinnbedeutungen ; der Materialwert des
Klanges und des Tons als solcher wird wieder fiihlbar; der Trieb zum Spiel der an
der Erkenntnis des bedeutungsbefreiten Materialwerts lebendig wird, wird ein Trieb zum
Bauen, schafft den Wert der Form, macht die Form zum Wert, hebt die unbestrittene
Gewichtigkeit des Ausdrucks auf. Schonberg lost und zersetzt den Klang, ermoglicht
die Entdeckung des bedeutungsfreien Klangs; Busoni ersehnt das grofie Spiel des Geis-
tigen, erlebt die Idee der Struktur; Strawinskij nutzt den Ausdruck, solange er ihn noch
braucht, zur Parodie, die einstige Selbstverstandlichkeit der „Bedeutung" im Klang vor-
aussetzend und zugleich mifiachtend, das Neue andeutend. —
Nur aus einem Wandel des Subjekts, nicht der Musik selbst, ist eine solche Wand-
lung in den Grundlagen der Erscheinungsformen der Musik zu erklaren. Wir stehen
heute im Bewufitsein zwischen den Stilen und ihren Selbstverstandlichkeiten, sehen die
verschiedensten Gestaltungsmoglichkeiten und sind vorerst einmal genotigt, das Eigene
der jeweiligen Gesetzlichkeiten ohne einseitige Wertung des Stils zu erkennen und
darzusellen. Solche Betrachtungsform kann man „Phanomenologie der Musik" nennen.
Diese sieht, da sie nicht wertet und folglich keinen identischen Begriff von der Musik
als Voraussetzung annimmt, den „Wandel" in der Geschichte, die Metamorphose, nicht
den Fortschritt. Es ergibt sich, dafi wir keine Musik, sondern „Musiken" haben, die
einander ablosen. Jeder grofiere Stil offenbart sich als eine andere, neue Musik; und
jeder grofiere Stil wiederum hat seine zu ihm gehorigen Lehren und Selbstrechtfertigungen,
seine eigene Asthetik also, jeweils eine der moglichen „Asthetiken" somit, unter denen
als heutige Form sich jenes relativ unverbindliche Uber-allem-Stehen der Phanomenologie
ergibt. Unsere Asthetik also wird eine Lehre von der Vielheit der Erscheinungsformen
der Musik zu sein. Sie stellt die Frage nach der Ordnung dieser Vielheit, sie mufi also
nach den „Wesensformen der Musik" suchen, die sich als Grundlage der Mannigfaltig-
keit der Erscheinungsformen erfassen lassen. Denn diese. Mannigfaltigkeit kann nur eine
Individualisierung, eine Vereinzelung jener Wesensformen sein. Diese Frage nach den
118 ERICH DOFLEIN
Wesensformen steht im Kern des Bekker'sclien Buches. Es ist dies die Frage nach der
Einheit der Musik, im Grunde die ganz einfache und ehrwiirdige Frage nach einem
Begriff der Musik, der die logische Grundlage dieser Vielfaltigkeit darstellen kann und
so gefafit sein muiS, dafi er besonders die Notwendigkeit dieser Vielfalt zu erklaren und
verstandlich zu machen vermag. Die Abgrenzung gegen die anderen Kiinste mu6 die
Grundlagen dieser Begriffserfassung schaffen. Besteht nun die These der „Einfaltstheorie"
zu Becht, die die Musik als die Erfindung aus dem „Nichts" gegen die anderen Kunste
stellt, die in ihrer Materialgebundenheit relativ „Nachahmung" bleiben? Die Antwort
auf diese Frage ist nun fur Bekker zugleich auch die Beantwortung der angeschnittenen
grundsatzlichen und philosophischen Frage, die er als eine philosophische stellte, nun
aber leider ganz primitiv materialistisch beantwortet. Musik ist fur ihn Gestaltung des
Materials der Luft; Luft ist Material wie Stein und Farbe. Aus dem Aggregatzustand
der Luft wird die Kontinuitat der Musik abgeleitet. Luft ist fliefiend und beweglich;
Zeit und Baum werden durch sie in bestimmter Form der Empfindung zuganglich ge-
macht, fur die Empfindung vermittelt; Musik wird zum Symbol zeitlicher und raumlicher
Empfindung uberhaupt, wird „Nachahmung" der Zeit- und Baumempfindung in einer
Form, deren Kontinuitat einzig dem Ohre zuganglich ist. Die Wesensform des Motivs
z. B. schafft als Zeitsymbol durch die Wiederholung Zeitempfindung, die raumliche
Wesensbeziehung des Intervalls schafft in der Grunderscheinung des Zusammenklangs
die klangliche Baumempfindung. Der zeitlichen Kontinuitat enspricht als Form der Er-
fassung notwendig das Vokale, die Stimme; der raumlichen Ordnung des „Zusammen"
entspricht als Form der Erfassung notwendig das Instrument. Organische und mecha-
nische Musik stehen also als zwei Wesensmoglichkeiten der Musik einander gegeniiber;
die Wesensformen zeigen sich als Materialformen. Aus der Doppelmoglichkeit der Ma-
terialerfassung, der instrumentalen und vokalen Tongestaltung, ergibt sich fiir Bekker
die Notwendigkeit zweier polarer Wesensformen. Klang in der wesensvokalen Musik
ergibt sich als Produkt einer Summierung von unteilbaren Ganzheiten; Klang in der
wesensinstrumentalen Musik ergibt sich als Produkt der Zerlegung einer Klangganzheit
und Klangeinheit; sie ist einklangliche Musik, die der prinzipiell mehrklanglichen Musik,
der summierten, untedbaren, organischen Stimmenklanglichkeit der Polyphonie gegen-
iibersteht; Polyphonie und Harmonie werden als Wesensbegriffe zu Klangbegriffen und
zu einem theoretischen Gegensatz. Die stilistischen Vermischungen der Wesensformen
ergeben die Erscheinungsformen, die nunmehr mit den neuen Wesensbegriffen stilkritisch
unterscheidbar sind. Das jewedige Primat einer Wesensform — der organ isch-vokalen
oder der mechanisch-rinstrumentalen — entscheidet iiber die stilistische Zuordnung. Die
Polyphonie kann zum Diener der Zerlegung, also der Harmonik werden, wie das Har-
monische zum Diener der Mehrklanglichkeit in einer sinnmafiig vokalen Polyphonie
werden kann. Die autonome Gesetzlichkeit des jeweds stilbestimmend im Vordergrund
stehenden Wesensmaterials bestimmt den Charakter der einzelnen Stilepochen. In jeder
dieser Epochen ist der Dualismus der beiden entgegengesetzten Wesensformen auf eine
jeweils verschiedene Weise wirksam. Jede Epoche hat ihre Asthetik, in deren Dar-
stellungsweise die beiden Pole auf irgendeine Weise in der Art der Antithetik zur Aus-
wirkung kommen, wenn auch die Arten der begrifflichen und sprachlichen Erfassung in
der jewedigen Antithetik jeweils verschiedene sind. Wir heute fassen diesen Dualismus
ORGANISCHE UND MECHANISCHE M US-IK 119
der Prinzipien an der Erkenntnis der Doppelnatur des Klangmaterials. Unsere Zeit ist
durch das Wachsen der Materialbewufitheit charakterisiert. Dies bestimmt nicht nur
die heutige Musik, die sich auf die Wesensquellen der polyphonen Formung besinnt,
sondern audi diese, unsere heutige Form der Astketik, die sich auf die Materialbedeutung
besinnt und im BewuGtsein der Dualitat des Materials die Mittel zur Definition unserer
Lage gewinnt.
2.
Bekker gibt im letzten Kapitel selbst an, wie man ihn kritisieren soil; entweder
wird seine ganz individuell erlebte Anschauung unserer Zeitlage anerkannt, wobei die
Folgerungen zu kritisieren waren, oder man lehnt seinen Ausgangspunkt uberhaupt ab.
Dieser Ausgangspunkt, namlich das Gefiihl fur das Grundsatzliche im Stilwandel unserer
Zeit, ist nun keineswegs abzulehnen, auch seine instinktstarken, musikalischen Folgerungen
nicht, aber ganz grundsatzlich mufi die Art seines Folgerns, die Art, in der zu-
fallige Ansatzpunkte der Betrachtung zu philosophischen Begriffen und Ausgangspunkten
werden, abgelehnt werden.
Alles, was aus einem Gefiihl fiir heutige Musik heraus formuliert wird, ist gut,
wenn auch die Gegeniiberstellung von Gefiihlskunst und Formkunst wie jeder nicht ab-
geleitete Dualismus voreilig erscheint, wenn auch der Begriff der Formkunst sehr un-
verbindlich gefafit wird. Form als bestimmender Faktor in Werk und Stil kann, wenn
sie in den Vordergrund tritt, nicht dieselbe Bedeutung haben, wie das Gefiihl als wich-
tigster bestimmender Faktor in Werk und Std. Wird die Form in neuer Musik gegen-
uber dem Gefiihl bedeutsam. so wird sie dies, weil das Wirkungsziel der Gefiihlskunst
nicht mehr Wirkungsziel ist. Formkunst kann nicht demselben asthetischen Effekt dienen
wie Gefiihlskunst. Folgt Formkunst auf Gefiihlskunst, so kann keine einfache Abwechs-
lung der Mittel vorliegen, die sich vollzieht, wahrend der Sinn der Musik derselbe
bleibt; die ideelle Einheit des Sinns der Musik lost sich mit der Erkenntnis soldier Wand-
lungen notwendig auf. Die "Wandlung liegt tiefer, im Sinn, im Menschlichen. Das For-
male kann wohl als nur asthetische Neuerung lebendig werden; aber es strebt iiber
soldie unverbindlidie Neuerung hinaus, es fordert eine neue Form der Zuordnung des
Menschen zur Musik, und es kann sinnvoll nur mit einer Anderung dieser Form der
Zuordnung zur Selbstverstandlichkeit werden. Dies beachtet Bekker zu wenig. Er setzt
folglich auch mit seiner Phanomenologie zu friih ein. Die Vielheit der Musik ergibt
sidi ihm doch wieder aus einem zu einfach, zu eng gefafiten Begriff von der Musik.
Er mufite notwendig auf den engen, materialistischen Begriff der Wesensform kommen,
da er den Wandel, den er wohl als den des Subjekts (des Menschen) sah, doch nicht
so sehr im Menschen suchte, dafi er ihn an den verschiedenen Formen der Wahl des
Materials und des Widens zu einem bestimmten Material, also an den geistigeh Aus-
gangspunkten, hatte erfassen konnen. In dem er das Material zum Ausgangspunkt der
begrifflichen Bestimmung macht, setzt er schon eioen stilbedingten Begriff von der
Musik an. Denn ist ein Material der Musik denkbar, das nicht schon selbst Musik ist,
sowie man es nur als Material von Musik auffafit, ist ein Material also denkbar, das
nicht schon gestaltet ware, das also auch nicht schon irgendwie stdisiert ware ? Hier liegt
der GrundiiTtum der materialistisdien Denkungsart: Die begriffiiche Erfassung eines von
der Verbindung mit der Gestaltung losgelosten Materials ist sinnlos und kann niemals
120 ERICH DOFLEIN
zur Grundlage einer Theorie von Gestalten werden. Kausale Ursachen werden hier mit
lcgischen Griinden und geistigen Voraussetzungen verwechiselt. Man mufi auf die Prinzipien
der' W a hi des Materials zuriickgehen, um die Materialformen der Musik als Wesens-
formen begrifflich voneinander trennen zu konnen.
Die Art, in der Bekker die Materialbewufitheit betont, stilistisch ordnet und in
den Vordergrund heutiger Problematik stellt, ist aber wiederum sehr fruchtbar. Er
setzt gefuhlsmiifiig das Zeitliche und Raumliche der Musik in einen sehr bedeutungs-
vollen Zusammenhaag mit dem Vokalen und Instrumentalen, dem Polyphonen und
Harmonischen, wemi auch die Art, in der er Zeitliches und Raumliches aus dem
^Material" der Luft und den Moglichkeiten der Gestaltung dieses Materials ableitet, auf
ein phdosophisches Gewissen nahezu peinlich wirken mufi. Raum und Zeit bleiberi
vollig unbestimmte Grofien, die in dieser Unbestimmtheit als Grundlagen der musi-
kalischen Erscheinungsform die Musik von keinem anderen sinnlich wahrnehmbaren
Gegenstand unterscbeiden. Wird scbon aus der Zeitlichkeit und der Raumlichkeit der
Musik Spezialeres abgeleitet, so mussen beide Faktoren erst selbst in ihrer musikalischen
Funktion und in ihrer notwendigen Wechselbeziehung bestimmt werden. Es fehlt bei
Bekker vollig der Begriff der „Gestalt", der klanglichen Zeitgestalt, an welchem erst der
Regriff der Musik zu definieren ist, aus -welchem die Art des musikalischen „Materials"
abzuleiten ware. Raum und Zeit sind erst als Prinzipien der musikalischen Gestalt
die Prinzipien, vermoge deren der Klang zu einem der Ordnung zuganglichen Material
wird; die moglichen Verschiedenheiten der Funktion von Raum und Zeit bestimmen
die Verschiedenheiten der Musik, bedingen vielleicht auch den Unterschied von Vokalem
und Instrumental em, den Unterschied in der Wahl des Klangprinzips also. Rekker
aber geht in entgegengesetzter Gedankenfolge vor. — Die Bedingurigen der Verschieden-
heit von Raum- und Zeitfunktionen also sind zu suchen. Die Einheit dieser Bedin-
gungen wird jenen Begriff der Musik ausmachen, der weit genug ist, Gesetzlichkeit und
Notwendigkeit immer neuer Wandlungen zu begriinden. Diese Bedingungen liegen in
der Verschiedenheit der Zueinanderordnung von Musik und Mensch, denn hier erst
bestimmt sich die Verschiedenheit des Gestalt-Sinnes, aus welchem sich erst alle weiteren,
grundsatzlichen Unterschiede der Stilformen ergeben konnen. Die Erkenntnis der Ver-
schiedenheiten des Gestalt-Sinnes ist nur in einer weit gefafiten Geschichtswissenschaft
moglich; von dieser aus erst ist das philosophische Eindringen in die Struktur der Ge-
stalt uberhaupt moglich, da ja die Gestalt allein sich mit dem Wandel ihres Sinnes
nicht als eindeutige Form musikalischer Bestimmheit fassen lafit. Hier liegt der
Hauptfehler Bekkers und seiner voreilig begriffenen Phanomenologie : dafi er von
einem Begriff ausgeht (dem Materialbegriff), der sich in der Geschichte selbst wandelt,
um mit diesem Begriff den Wandel in der Geschichte zu erklaren. — Die Verschieden-
heit des Gestalt-Sinnes (die Verschiedenheit der Zuordnung zum Menschen also) als
scheinbar letzter Punkt in der philosophischen Beduktion aber mufi selbst begriindbar
sein; diese Begriindung liegt wiederum im Begriff der Gestalt, d. h. in der Notwen-
digkeit jener Zuordnung der Musik zum Menschen, im Gestaltet-Sein der Musik, in
ihrer notwendigen Produziertheit. Aus dieser ergibt sich die besondere Einmaligkeit
der Gestalt: ihre Abgeschlossenheit, ihre Fertigkeit, ihre geheimnis voile iLsthetische Ein-
zigkeit. Aus einem in diesem Sinne griindhch gefafiten Begriff der Gestalt also ergibt
RUDI STEPHAN 121
sich die Notwendigkeit des Immer-Neuen, die Gesetzlichkeit des Wandels der Musik.
Bekker sucht diesen Wandel zu begriinden, indem er die Notwendigkeit zweier
polarer Wesensformen erklart, ohne aber die Notwendigkeit dieser Polaritat erklaren zu
konnen. Der Versuch, diese Notwendigkeit aus der Gegebenheit des Materials, das
seiner Natur nach auf zwei verschiedene Weisen gestaltbar ist (vokal und instrumental),
abzuleiten, mufi philosophisch unfruchtbar bleiben, weil er nicht von der Gestalt aus-
geht, weil das produktionsbestimmte, gewahlte, stil- und traditionsbedingte Material
unabhangig von der Gestalt erfafit wird. Wohl geht er von der Entstebung der Musik
aus und bezieht auf diese Weise die notwendige Produktionsbestimmtheit bis zu ge-
wissem Grade ein ; aber er faftt sie nicht als Prinzip, sondern nur als Tatsacbe, wo-
durcli sich die ganze Ableitung seines materialen Dualismus nicht als eine phdosophische,
sondern nur als eine materialistisclie bezw. psychologistische und genetische ergibt.
Genetische Erklarung der Entstehung der Musik und philosophische Begrundung
musikalischen Seins gehen mit ihren Begriffen fur Bekker immer wieder ineinander iiber.
Zum Teil ergibt sich dies aus der Art, in der er uberhaupt den Begriff der Phano-
menologie fafit, woriiber auch eingehende Kritik moglich und notwendig ware, was
jedoch nicht in diesen Zusammenhang gehort. Nur einiges vom Grundsatzlichen sollte
hier kritisiert werden — jedes nahere Eingehen auf philosophische Besonderheiten wurde
noch weiter in asthetische und philosophische Spezialprobleme fiihren, als dies hier
schon notwendig war.
DIE LEBENDEN
Karl Ho 11 (Frankfurt/Main)
RUDI STEPHAN*)
Geboren 1887; gefallen 1915. Diese Daten umgrenzen das menschliche und
kunstlerische Schicksal Stephans. Zwischen ihnen enthullt sich, was dieses vorzeitig
abgebrochene Leben fur die Musik bedeutet, warum es noch immer existent ist.
Der kunstlerische Nachlafi Stephans ist an Umfang gering. Desto schwerer wiegt
sein Gehalt, als absoluter Ausdruck wie als Ferment im einschneidenden Wandlungs-
prozefi zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Einstein nennt Stephan einen „Pfadfinder der
neuen Musik". Icli selbst habe ihn friiher schon — ohne jede Taktik der TJbertreibung —
als einen „Propheten" bezeichnet, in dem zwiefachen Sinne des Wahr-Sagers und des
Vorher-Sagers. Mit welchem Becht?
Die Eosung des „neuen" Stils aus und von der Bomantik vollzog sich in der Idee
und in der Substanz. Stephan ist, nach Umwelt und Erziehung, zunachst dem roman-
*) Von den Werken Rudi Stephans sind er3chienen : „Musik Mr 7 Saiten-Instrumente" (auch mehr-
fach zu besetzen) ; „Musik fiir Orchester" ; ,.Mu^ik fiir Geige und Orchester". „Liebeszauber" (Hebbel) fiir
Bariton und Orchester. „Sieben Lieder", „Up de eensamc Hallig", „Ich will dir singen ein Hohelied" fiir
Singstimme und Klavier (teilweise auch mit Orchester erschienen). Zwei ernste Gesange fiir Bariton und
Klavier. „Die ersten Menschen", Oper in zwei Aufztigen. (Saratlich im Verlage B. S'chott's Sohne, Mainz).
122 KARL HOLL
tischen Ideal: „Musik als Ausdruck" unterworfen gewesen. Er hat mit seiner Generation
das Erne Wagners und Straufiens angetreten, schwelgend im Bausch eines meist auf
,,Bedeutung" gestellten, diese sinnlich (und leicht iiberschwenglich) spiegelnden , sie
malerisch, mimisch und gestisch umsetzenden Klingens. Er hat aber bei seinem Lehrer
Rudolf Louis mit der^feingliedrigen Form eines Brahms und der umschichtigen Tektonik
eines Bruckner bald auch die Wichtigkeit des von der Klassik und Vorklassik ausge-
bauten konstruktiven Elements erfahren. Und er ist schon friih zu der dreifachen
Einsicht gelangt: dafi Musik, um sich nicht selbst aufzugeben, wieder autonom,
wieder ein Wille werden miisse; dafi dieser Wille der neuen Wirklichkeit entsprechen,
und dafi er demgemafi eine neue Form finden miisse. Zugleich hat Stephan diesen
Willen in sich selbst erkannt und sich angeschickt, ihm Bahn zu brechen.
In der Zeit, da Schonberg seine Kammersinfonie geschrieben hat und sein ns-moll-
Quartett abschliefit, notiert Stephan, ebenso einsam schaffend, bei der Konzeption eines
spater unterdruckten Opus 1 fur Orchester: „Keinen poetischen Titel, nicht die Be-
zeichnung Tondichtung — und garnichts!" ... Der neue Wille erweist sich zunachst
an der Verneinuhg des Programms. Dann stofit er sich mit dem Entwurf einer
„Grotesken Orchestermusik" vom Pathos der Romantik ab. Er wirft die „Bedeutung"
iiber Bord und versucht rein materieU zu musizieren. Motto : „Nu wiillt wi uns ook
mal fix ameseern" (Ldiencron). Skizze : „Xylophontrillersolo . . . Bafi, Cello, Bratsche,
tiefe Akkorde . . . Flotenlaufe, Triangeltriller . . . Streicher pizzicato Kadenz . . . Fagott
mit Pizzicatobegleitung, Oboe geschickt dazu unterbrechend, einzelne Paukenschlage da-
zwischen . . . Flote: Flatterzunge auf col legno der Streicher. — Mittelsatzchen : Okarina
mit Ziehharmonika, Indianerlied . . . spater (nach einer Stelle mit vollem Orchester) :
Bafiklar inetten trill er als Orgelpunkt . . . Oboen : herabtanzende Rhythmen . . . Glocken-
spiel: Orgelpunkt in oberer Oktave . . Castagnetten: Tanzrhythmus . . . Solocello:
Orgelpunkt pizzicato; darauf in der 1. und 2. Violine derb robuster Molltanz, der
fugenartig durchgefiihrt wird". . . . Man bemerkt die Evolution zu einer herberen,
gelosteren Sinnlichkeit mittels individueller Auftedung des Orchesterklanges ; ja sogar
eine gewisse Reaktion in Form der Denaturierung des Streicherklanges, der betonten
Anwendung der Scblaginstrumente sowie der Einfiihrung „profaner" Klangmittel in das
hochromantisch-neudeutsche Orchester. Zugleich aber wird unter dem Klang-„Stoff" der
schon in der Namengebung angedeutete neue Klang-„Wille" am Gewicht des Rhythmus
und an der Heranziehung exotischer Meloddc spiirbar. Der Durchbruch oder besser
(angesichts der Unvollendung) : Aufbruch dieses Widens geschieht auf dem Wege durch
die Impression und durch die Exotik.
Debussy hat dem Westdeutschen Stephan Moglichkeiten einer Sublimierung des
iiberhitzten romantischen Klanges in harmonischer wie orchestraler Hinsicht eroffnet.
Die Exotik, Stephan aufierlich wohl schon durch seinen ersten Lehrer Bernhard Sekles
nahegebracht, hat sein Tonalitatsbewufitsein geweitet; mit alien Konsequenzen fur Harr
monik, Melos, Stimmffihrung. Aufierdem hat sie ihm rhythmische und rhythmisch-
motivische Anregungen gegeben. So wenig die Neufranzosen Stephan zum Astheten
gemacht haben, so wenig haben ihn Capellens Hinweise auf die aufiereuropaischen
Musiksysteme dem Snobismus ausgeliefert. Stephan ruhte in sich; war in der aufieren
Haltung Zivdisationsmensch und doch dem Instinkt nach Primitiver. Das hat ihn
RUDI STEPHAN 123
vor der ubertriebenen Abstraktion, die damals als Abwehr wie als Gegenexperiment
in der Luft lag, bewahrt.
Ab 1911 treten die vollgultig gedachten "Werke ans Licht. Stephan nennt sie —
ein stilgeschichtliches Symptom ersten Ranges! — samtlich nur „Musik" und unter-
scheidet sie rein nach der Besetzung. Eine Kammermusik, symphonische Werke und
Lieder versetzen die deutsche Musikwelt in Spannung. Eine Oper tritt in Sicht,
wird vollendet und angenommen, aber erst als Werk des Gefallenen 1920 urauf-
gefuhrt. Und nun fragen wir nach der Substanz dieser so fruh „Stil" gewordenen
Tonsprache.
Ihr altestes Dokument: die Ballade „Liebeszauber" fur Bariton und Orchester;
mit geschickter Ktirzung des Gedicbtes von Hebbel auf plastische Form gebracht. Die
Partitur zeigt noch wesentlich impressionable Haltung, in jener individualisierten, ge-
lockerten, teils audi sublimierten Orchesterfarbe, von der schon die Rede war. Linie
und Harmonik werden stark durch die Ganztonleiter bestimmt. Die dissonanzgeladene
Akkordik bewirkt, in engstufiger Fiihrung der Stimmen von der Mitte nach aufien
drangend, eine gewaltige expansive Spannung, die ohne eigentlich tonale Konsequenz
schliefilich doch in den Durdreiklang mundet. Ein beziehungsreicher, verstarkender
Ausdruck des inneren und des aufieren Gewitters in der Dichtung selbst. Elemente der
Exotik machen sich als ausgedehnte Orgelpunkte mit harmonisch freier Melodik und als
heterophone melismatische Bildungen geltend.
Erste Instrumentalkomposition: die „Musik fiir sieben Saiteninstrumente",
in einem Satz und einem Nachspiel. Damals (1911) von einem konservativen Kritiker
als „Irrsinn und Unmusik" bezeichnet; von heute aus gesehen: Kundgabe einer neuen
Klangrealitat, erste starke Ausformung des Willens zur absoluten Form, Zeichen all-
mahlichen, bewufiten Ausbaues der Horizontale. Zwar bleibt auch hier der Klang noch
grundlegender Stdfaktor. Je mehr sich aber die Stimmfuhrung durch Einbezug freier
rnelodischer und heterophoner Bildungen sowie unter dem Gesetz strengerer Satztechnik
yerselbstandigt, desto mehr wird die Hinneigung zu linearer Auffassung und Formbildung
spiirbar. Dazu: Starkung des Rhythmus fast bis zu barbarischer Kraft, und, bei grofiter
Fiille, ein differenzierter Klang, der von feinster sinnlicher Kultur bis zu hartester Sach-
lichkeit reicht. . Man beachte die Besetzung: fiinf Streicher, Iflavier und Harfe. Sie
entspricht der ideellen Verdichtung, der engen inneren Bezogenheit der Stimmen.
Die noch etwas ungeziigelte (spater nach Stephans Angaben von mir uberarbeitete
Form der „Saiten-Musik" wird durch die kompaktere der einsatzigen „Musik fiir
Orchester" abgelost, die eine Ai - t klassisclie Klarung und Zusammenfassung des bis
dahin Erreichten darstellt. Die Klarheit des Eindrucks wird durch die ungemein spar-
same, auf Materialechtheit bedachte Aufteilung des „grofien" Apparats gewahrleistet.
Der innere Zusammenhalt beruht auf der Eigenart und Keimkraft der Themen sowie
auf der Intensitat ihrer Verarbeitung. Eine breite Moll-JQage der Streicher mit Nach-
satz der Holzblaser; ein lyrisch beschwingtes Seitenthema der drei Trompeten; ein
skurriles Fugenthema der Bafiklarinette. Aus diesen Quellen wird mit alien Kunsten
der Umkehrung, Verkleinerung, Vergrofierung, Engfuhrung und rhythmischen Variation
.ein Spiel der Krafte entfesselt, das mit fast dramatisch heifiem Atem bis zur triumphalen
Dur-Apotheose des Hauptthemas ansteigt. Neu ist aufier der Reinheit des Kolorits, der
124 KARL HOLL
voni Vertikalldang schon ziemlicli emanzipierten Kontur der Linie, ihr starker Eigen-
wille, der sich nicht nur im vehementen Drang nach vorwarts, sondern auch in trau-
merischer Kantilene und in rein ornamentaler Bewegung kundgibt, durch stark syn-
kopierte urtiimliche Rliythmik gegliedert. Dem wesenhaften Aufbau und der wesen-
haften Instrumentation entspricht noch kein restlos klarer, leicht iiberschaubarer Form-
Organismus, doch ist die Gesamtanlage als Ansatz zu soldi neuer Gestalt zu werten,
Im ganzen: eine Musik, die mit starkem Gefiihl, mit bauender Kraft und nicht ohne
Humor die romantischen Klangnebel zerstreut; die, so kuhn sie in das luftige Reich des
Geistes vor stofit, nie den Boden einer gesunden, allgemeinsamen Sinnlichkeit verliert.
Ahnlich die „Musik fur Geige und Orchester". Sie greift konstruktiv in
mancher Hinsicht noch uber den Std der Orchestermusik hinaus, kann allerdings, im
Kern fruher entstanden. deren klangsinnliche Okonomie nicht erreichen.
Als Kompendium seines Suchens hat Stephan schliefilich (nach Borngrabers Mysterium)
die Oper „Die ersten Menschen" gescliaffen. Die Grundidee der Handlung: der
Mensch zwischen Tier und Got*, ihr Ziel: Einheit des Geistes und der Sinne — er-
hellen auch die innere Haltung des Musikers. So exemplarisch seine Partitur auch ist,
man sollte den „Zukunftsmusiker" Stephan nicht nur nach ihr beurteilen. Denn der
noch immer wesentlich „musikdramatische" Zuschnitt, die starke Bezugnahme auf ethische
und psychologische Gehalte, auf mimische und illustrative Zwecke kann ohne Zusammen-
hang mit den „absoluten'" "Werken leicht den Eindruck des individuell gefarbten Wagner-
und Straufi-Epigonentums erwecken. Im Zusammenhang betrachtet, gibt sich diese
Oper jedoch dem eindringlichen Blick als eminent zukunftstrachtig zu erkennen. Nicht
nur werden die Prinzipien und Klangwerte der Impression mit exotischen Momenten
und der Motivtechnik Wagners zu sehr vielseitigem und plastischem Ausdruck ver-
schmolzen, sondern auch in Stimmfuhrung, Rhythmus, Form und Farbe neue Perspektiven
eroffnet. Die akkordisch bedingte „Stimme" erreicht bei der Weite des Tonalitatsbegriffsl
da und dort schon bemerkenswerte Selbstandigkeit. Bhythmus und rhythmisches Motiv
kommen zu lapidarer Wirkung, wie sie sich die neue Musik (mit ihrer Renaissance deS
Schlagzeuges) zu eigen gemacht hat. Die „dramatisch" oft geradezu hemmende musi-
kalische Geschlossenheit einzelner Szenen darf als Vorzeichen fur die Wiederaufrichtung
des musikalischen Formprinzips in der Oper gelten. Das Orchester ist trotz uberreichef
Besetzung (mit charakteristischer Verwendung des Saxophons, der col legno- und pizzi-
cato-Technik der Srreicher) ein Muster von Ordnung, Reinheit, Sparsamkeit.
Absichtlich sei hier von den Klangschonheiten dieser Musik, von ihrer Sammlung
und Wucht, ihrer expressionablen Deutkraft geschwiegen: ebenso absichtlich die Ab-
hangigkeit der Singstimme vom Instrumentalsatz betont. Stephan hat in den „Ersten
Menschen" noch eine regelrechte Orchester-Oper geschrieben. Auch in seinen Liedern
ist das Problem des neuen, von der Singstimme herkommenden Melos, nur bei einzelneti
Stiicken — wie „Heimat" v „In Nachbars Garten" und „Das hohe Lied der Nacht" —
tastend angedeutet.
Grenze der Begabung oder Grenze des unerbittlichen Geschicks? Es ist das Los
Stephans gewesen, an der Pforte des neuen Klangreiches zu verloschen. Aber er hat^
ohne sich den Gesetzen des friiheren ganz entziehen zu konnen, das neue im Geist und
im Stoff mit vorbereitet. Es gibt in jener Zeit kaum einen anderen Musiker, der so
RUDI STEPHANS BILD
125
wie er erkannt und verwirklicht hat, was einzig fur die Verjiingung seiner Kunst taugen
konnte: die Losung vom aufiermusikalischen Zweck; die Klarung und Verdichtung der
Mittel ; deren Unterordnung unter den gestaltenden Willen ; und die Zufuhr unverbrauch-
ten, unverbildeten Instinkts. In der bauenden Umsetzung der Ergebnisse des reinen
Impressionismus steht er unter den deutschen Musikern der Zeit neben Reger einzig da.
Das Ziel der „Expressionisten" nahm er, mit alten Mitteln, zum Teil schon vorweg.
Vielleicht hatte er das Zeug, eine neue Klassizitat heraufzufuhren. Jedenfalls haben
Wahrheit und Einfachheit als oberste Kennzeicben seines fragmentarischen Schaffens ihn
zum hervorragenden Evolution ar bestimmt, gleich weit von Klangnaaterialismus
und Abstraktion. Wir kennen fast nur seine symphonische und dramatische Schwere.
Sein Humor harrte noch der Erlosung im „Spiel", als er seiner Kunst entrissen wurde.
Sie bewahrt sein Erbe als eine Stimme der Gewifiheit in unsicherer, garende Zeit.
Paul Appel (Homberg)
RUDI STEPHANS BILD 1 )
Aufgedunkelt zur Ewigkeit,
Berufen, eh' du gerufen wardst und eingingst,
Blickst du mich an,
Du Warmer, Lieber,
O, Mundiger!
Ich kannte dich nicht.
Weifi nicht, wie die Stimme dir flofi,
Hinaus zu den Blumen,
Zum Immergrun
Und in die Herzen der
Wandernden Seelen.
Weifi nicht, wie dein Weg sich bog,
Bis sie dich nahm,
Die freie Stille,
Dich, den Stillen, Ungestillten.
Aber ich weifi, mein Freund bist du.
Und griifie dich so,
Hiniibertrauernd,
Hinuberwinkend aus windiger Nacht
Und griifie dein Bildnis.
Schon stand deine Seele der Welt
Und einsam.
Wie tiber zarte Terassen ein Kind geht,
Einsam,
Und zum Kies sich biickt
Und Blumen trankt in volliger Schone ;
So tranktest auch du,
Schenktest auch du,
Schenktest Lieder, dort und dahin.
Sangst du des Sommers hangende SQfie nicht
Und des Herbstes zerstreute Treue?
Wie Laub der Akazie war dein Lied,
Ich hor es.
Du dacbtest der Traume,
Dachtest der Tranen,
Vergafiest auch ihn nicht, den Schmetterling,
Der lind und gestreichelt zum Sterben geht
Auf dem Stein in dem Waldtal.
Doch deiner Tone ewigstes Gliick,
Du gabst es ihnen,
Den Gartnerinnen unserer Garten,
Ilinen, den Frauen.
Und sie ruhrten sich dir,
Heilten dich hell mit den beiden Handen,
Sie neigten sich,
Neigten die Herzen,
Neigten die Briiste ernst und bunt,
Beide wie Trauben.
O, selig das Madchen, Freund,
Seliger die Frau,
Die mit dir ging im gebundenen Licht,
Die dich grufite am Morgen,
Die das Haar dir streichelte,
Die sich schauernd dir gab in der singenden Nacht,
Dem Unsterblichen
Die Sterbliche,
Ach, die Unsterbliche I
J ) Erste Veroffentlichung.
126
MELOSKRITIK
MELOSKRITIK
Die neue, Her angestrebte Form der Kritik beruht darauf , da6 sie von
mehreren ausgeiibt wird. Dadurch soil ihre Wertung von alien Zu-
falligkeiten und Hemmungen abgelost werden, denen der Einzelne
ausgesetzt ist. Langsam gewonnene gemeinsame Formulierung, aus
gleicher Gesinnung entstanden, erstrebt einen hoheren Grad von Ver-
bindlichkeit. Die Werkbesprechung will alle Bezirke gegenwartigen
SchafFens umspannen.
Werkbesprechung
Hans Mersmann, Hans Schultze-Ritter, Heinrich Strobel und Lothar Windsperger
KURT THOMAS
Der aufiergewohnlich grofie aufiere Erfolg der Messe und der Markuspassion von
Kurt Thomas legt die Beschaftigung mit den bisher vorliegenden Werken dieses jungen
Leipziger Komponisten nahe. Thomas ist aus der Schule Karl Straubes hervorgegangen ;
sein Opus 1, die Messe in a-moll fur Soli und zwei Chore, war der unmittelbare grofie
Erfolg des Kieler Tonkunsterfestes 1925. Dieser Erfolg war insofern verstandlich, als
das "Werk einen durchgehend starken und sicheren Instinkt fiir Chorklang und iiber-
raschende Ziige plastischer Bildhaftigkeit enthiillt. Wir geben als Beispiel die schwung-
voll aufsteigende Linie des Osanna-Themas:
CKor I
Animato e con fuoco
eel-sis
-
san
Die Thematik der Messe sucht den geistigen Gehalt des Textes ausdruclcsmafiig
zu durchdringen. So gelingen Stellen, wie das durcli motivische Verteilung auf Chor
und Soli eindringlich gesteigerte Miserere im Agnus Dei. Eine archaisierende Harmonik
gibt dem Chorklang eigenartige und wechselvolle Farbigkeit:
WERKBESPRE CHUNG
127
Soli
Chor
Alt
Tenor
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Die Gestaltung bemuht sich um klare und geschlossene Form, die jede Weitschweifig-
keit vermeidet.
Dem gegemiber steht ein Mangel an eigener melodischer Erfindung, der durch
den geschickten Chorsatz oft verdeckt wird. Schon hier zeigt sich, dafi dem Kompo-
nisten eine im letzten Sinne schopferische Kraft doch fehlt. Ein Beleg: der matte An-
fang des „Kyrie"
Solo
Tranquillo
dessen ungespanntes Herabsinken sich zwangslaufig in dem unentschiedenen Schwanken
des darauf folgenden Choreinsatzes auswirkt. An vielen Stellen treibt der Mangel
an melodischer Substanz den Ausdruck in effektvolle Aufierlichkeit. So ersetzt im Sanc-
tus die blofie Farbe, was der Melodik und Harmonik an innerer Spannung fehlt:
auf einem tiefliegenden Quintenorgelpunkt gleiten das ganze Stuck hindurch Sextakkorde,
iiber den en Sopran- und Tenorsolo in bedenklicher "Weichheit dahinfliefien. An manchen
Stellen beruhen die starken Wirkungen ausschliefilich auf einer solchen Farbigkeit. Auch
die Polyphonie wird von ihr diktiert und gelangt daher nicht zu wirklicher Entfaltung.
128
MELOSKRITIK
In den spateren Chorwerken verstarken sicli die negativen Merkmale. Die Klang-
wirkungen des Chorsatzes werden im 147. Psalm zur Virtuositat gesteigert. In der
Markuspassion fiihrt die Ankniipfung an den Stil der alteren deutschen Motettenpassion
notwendigerweise zu einer starkeren Betonung des Polyphonen ; aber wie die archai-
sierende Tendenz Thomas in der Messe zu einer an Palestrina gemahnenden Klanglich-
keit fiihrte, so drangt ihn die hartere Linienfiihrung der deutschen Vorbilder noch mehr
zur Stilkopie. Hier, wo er freiwillig auf Farbe und Effekt verzichtet, treten die Schwachen
seiner Erfindung und Gestaltung noch deutlicher hervor.
Die Kammermusik steht auf einem bedeutend tieferen Gesamtniveau. Was in
den groften Chorwerken durch positive Momente verdeckt war, tritt im reinen Kam-
mermusiksatz eindeutig hervor: die gesamte Instrumentalmusik von Thomas, die bis
jetzt ein Quartett, em Trio und zwei Sonaten umfafit, ist epigonal. Hinter ihr steht
die EinfluGsphare von Brahms und Beger. Doch gelangt Thomas nicht uber verwasserte
Nachahmung hinaus. Sie verbindet sich mit einer auffallenden, in der Konservatoriums-
praxis erworbenen Satzfertigkeit und Boutine. Die Folge davon ist eine immer wieder-
kehrende unverantwortliche Leichtfertigkeit, mit der er einen Satz, wie das Allegretto
seiner Violinsonate uber diirftiger, mit karglicher Imitation unterbrochener Achtelbe-
gleitung thematisch aufbaut:
Violine
Leicht bewegtuuchtschnell)
i*T|j i t n J iTyt^rTiT^ iT ' i r i Tn r i-f-r
f wicder breiter
Von hier aus ergibt sich die Moglichkeit, die Musik von Kurt Thomas zusammen-
fassend zu iiberblicken. Die grofien Erfolge seiner Chormusik erldaren sich auch aus der
aufierordendich giinstigen Situation ihrer Entstehungszeit. Bei dem Fehlen von neuen
unbegleiteten Chorwerken grofieren Formats war es leicht, ein gewisses eigenes Gesicht
zu geben und durch ein Zuriickgreifen auf vorbachische Stilhaltung den Eindruck der
Gegenwartigkeit zu erwecken.
Wenn die Chormusik hieriiber noch hatte Zweifel aufkommen lassen, so gibt die
durchaus epigonale Kammermusik den eindeutigen Beweis. Sie ist bezeichnend fur die
Musik eines Kreises, der sich allmahlich als reaktionarer Gegenpol zu den wirklichen
Stromungen unserer Zeit immer mehr bemerkbar zu machen beginnt. Hier steht
Thomas als starkster Kopf in einer Gruppe, deren gesamte Haltung unserem Musikleben
darum gefahrlich werden kann, weil sie hinter einer gewissen Fortschrittlichkeit eine
rein akademische Gesinnung verbirgt.
AUFFUHRUNGSBESPRECHUNG 129
Auffuhr ungsb e spr e chung
Hermann Springer, Heinrich Strobel und Werner Wolffheim
„ Oedipus Rex" unter Klemperer war das musikalische Ereignis der ver-
gangenen Wochen. In Strawinskijs neuestem Werk gipfeln die klassizistischen
Tendenzen, die er seit mehreren Jahren verfolgt. Er gelangt von der Neuformung
eines Pergolesi in ,,Pulcinella" iiber das bachische Klavierkonzert zur gescklossenen
und monumentalen Schopfung einer Oratorienoper. Sie ist progi - amniatischer Gegen-
satz zu der oft phrasenhaften Bewegtheit des Musikdramas. Bei entschiedenem Archaismus
ist die Objektivierung bis zum Letzten getrieben. Schon in der dramaturgiscben Anlage :
ein Sprecber erscheint vor alien Abschnitten der Handlung, erzahlt und erklart die
Vorgange. Das Stoffliche des hihalts wird in lateinischem Text zusammengedrangt,
Gefiihlspathos ist ausgeschaltet. Die Zeitlosigkeit des Gescbehens wird fuhlbar. Die
Aneinanderreihung monumentaler Bilder erhalt durch die Musik ungeheure Gespamit-
heit. Sie ist streng, konzentriert, lapidar, von grofiartig starrer Monotonie. Trotz
wechselnder Stilelemente ist Einheitlicbkeit erreicht. Es herrscht eine neue, gereinigte
Tonalitat. Scharfe Rhythmen sind aus dem Spracbmetrum gewonnen. Unheimliche
Acbtel bohren sich ein. Als Kontrast zu Liturgiscbem und Psalmodierendem sind die
solistisclien Partien auf breite Kantabilitat, auf unsinnliche Bewegung gestellt. Herb,
neuartig, durchsichtig der Orcbesterklang. Formale Komplexe, nebeneinander gesetzt,
stiitzen sicli gegenseitig. Die wuchtigen Blocke des Chors, der nur aus Mannerstimmen
bestebt, binden das Ganze zur zwingenden Einheit.
Klemperers Erfulltheit vom "Werk schafft eine vollkommene Auffuhrung in
Musik und Szene. Snobistiscber Einschlag ist taktvoll gemildert. Der Sprecber erscheint
nicht im Frack, sondern im neutralen Kostum. Diilbergs Biihnenbild steht pracht-
voll im Raum: ein kubistiscber Aufbau, hell beleuchtet gegen den tiefblauen, dann
schwarzen Hintergrund; der Ghor in grauen Gewandern als fast unbewegte Masse
seitlich unten im Dunkel, dariiber die starren Figuren des Dramas. Die Verkorperung
des Oedipus und der Jokaste durch Kaspar Koch und Sabine Kalter: grofi und sicher.
Die Wirkung war stark und tief. Auf „Oedipus" folgte die aufierst exakt musizierte
kleine Buffooper ,,Mavra" und der von Terpis hubsch einstudierte ,,Petruschka".
Klemperer braucht auch leichtere Stvicke fur seine Vobisoper. In Gounods
,,Arzt wider AVillen" besteht ein Widersprucb zwisclien dem possenhaften Text
Molieres und der Musik, die den Stil der opera comique artistisch weiterfiihrt und der
klassischen franzosischen Operette nahert. Vom Stoff ausgehend, iibersteigert der
Regisseur Schulz-Dornburg das liebenswurdige Werk ins Burleske. Billigt man
diesen Ausgangspunkt, so darf die Berliner Auffuhrung als iiberaus gelungen gelten.
Das lebhafte, bunt wirbelnde Zusammenspiel des Ensembles und die prazise Inter-
pretation der feinen Partitur durch Zweig sicherten den Publikumserfolg. Hammes
bot als Sganarelle viel naturliche Komik, Tilly Blatter mann war eine derbe, hochst
lustige Amme.
Das Horthsche Ensemble beschrankte sich auf die Neueinstudierung der „Pilger
von Mekka" von Gluck im Schauspielhaus. Die Handlung, die den Stoff von
130 MELOSKRITIK
Mozarts „Entfuhrung" vorausnimmt, lauft in munterem oder gefuhlvollem Ariettenstil ab.
Derbe Buffoziige fehlen nicht. Im reichen Biihnenrahmen von Aravantinos eine
aufs feinste abgestimnite Auffiihrung unter Horth und Kleiber, mit der sensitiven,
gesanglich hervorragenden Delia Bernhardt als Bezia.
Die Handelrenaissance, die das Wesen der opera seria als reine Musikoper in
einer Zeit des Suchens wieder aufgedeckt hat und als Gegengewicht gegen das roman-
tische Musikdrama wertvoll und fruchtbar wirkte, hat sich allmahlich erschSpft. Diese
Erkennlnis ware gekommen, auch wenn die Wiedergabe des „Ezio" in der Stadt-
tischen Oper die wesentlichen Stdforderungen Handels erfiillt hatte. Die Unsicher-
heit dieser AufTuhrung kam in erster Linie von der Begie Niedecken-Gebhards,
der sein von Gottingen her bekanntes szenisches Gestaltungsprinzip bedrohlich iibertrieb.
Anstelle des Barockrahmens, der grundsatzlich nicht aufgegeben werden darf, setzt er
eine vollig ermichterte Szene: neutrale Hintergrunde mit kahlen Podesten. Die pathe-
tische Geste Handels wird krampfhaft ins Statische und Tanzerische entstellt. Not holts
Bearbeitung des „Ezio K , schon in Gottingen erprobt, drangt den Handlungsablauf mehr
als wiinschenswert zusammen und verbiegt die Bezitativlinie hochst bedenklich. Maria
Pos-Carloforti und Wilhelm Guttmann bewahren ihre Vertrautheit mit dem
Handelschen Gesangsstil aufs Neue. Eine Uberraschung ist die scharfe Charakterkunst
Burgwinkels in der Bolle des Verraters Massimo. Denzler findet als Dirigent
nicht die innere Kraft und Strenge, welch e die Musik Handels erfordert. *V. E. Wolffs
Generalbassbegleitung ist vorbildlich in ihrer Verbindung von stilistischer Genauigkeit
und kunstlerischer Einsicht.
Hugo Wolfs „Corr egidor", der sich trotz ^vieler Versuche nirgends lebens-
fahig durchsetzen konnte, wurde von Bruno Walter in der Stadtischen Oper mit
besonderer Liebe herausgebracht. (Er trat fur das Werk schon in Munchen ein). Der
Iflang des Orchesters ist prachtvoll gesattigt. Martins Begie arbeitet das Burleske
deutlich heraus. Maria Bajdl ist eine Frasquita von verfuhrerischer Weiblichkeit,
Erb ein wundervoll durchgebildeter Gorregidor, Guttmann, ein kraftfroher Muller,
verstarkt das Pathos des zum Aktschlufi ausgeniitzten Monologs.
Hermann Scherchen, mit Leidenschaft fiir alle Bezirke neuer Musik sich ein-
setzend, brachte in einem Bundfunkkonzert drei Urauffuhrungen. Die Sinfonia fugata
des hochbegabten Busoniscliiilers Wladimir Vogel, dem Andenken des Meisters ge-
widmet, neigt in Form und Klang zur Mafilosigkeit. Im fugierten Anfang liegen
mfichtige Spannungen. Ein Blaserscherzo ist ausgezeichnet gelungen. Der starke, inner-
lich begriindete Ausdruckswille ist unverkennbar. Walter Hub schm amis KLavier-
konzert, unpersonlicher, fesselt bei linearer Tendenz durch diski - ete Klanglichkeit und
feine Konti-apunktik, Die riicht ausgereifte, musizierfreudige Sinfonie von Beinhold
Wolff will durch aufgesetzte Modernitat tiber ihre Traditionsgebundenheit hinweg-
tauschen. In Scherchens zweitem Konzert interessierte am meisten die Berliner Erst-
auffiihrung der siebenten Suite von Mathias Hauer. Aus der chorischen Verwendung
der verschiedenen Gruppen des Orchesters ergibt sich ein Klangeindruck von visionarer
Kraft, besonders stark im Mittelstiick. Diese rein konstruktive Musik wirkt inspiriert
DIE JUNGE KOMPONISTENGENEBATION IN LENINGRAD 131
und fliefiend. Auch Horer, die kein Verhaltnis zu neuer Musik haben, wurden von
ihr gebannt. Aufierdem enthielt Scherchens Programm das dickfhissige Concerto grosso
und das Magnificat von Kaminski, die ersten Orchesterstiicke von Webern und
zwei Psalmen von Ernest Bloch.
Jascha Horenstein kann seine Begabung nun in im grofieren Rahmen entfalten.
Mit ekstatischer Hingabe und Inbrunst musiziert er die Fiinfte von Mahler und die
Neunte von Bruckner. An jedem seiner Abende bringt er auch neuere Werke.
Buttings Trauermusik ist eine Jugendarbeit von eigenem Gesicbt bei durchaus
traditionellen Stilmitteln. Das Concertino fur Klavier und Orchester von Karol Bat-
haus erweist sich nach rhythmisch starkem Beginn als aphoristische Musik von wenig
personlicher Haltung.
Bruno Walter fuhrte eine Sinfonie in f-moll des jungen Bussen Dimitri Schosta-
kowitsch auf, der, unberiihrt vom neuen Kunstgefiihl, in den Bahnen Bimski-Korssakoffs
wandelt. Er hat einen kultivierten Klangsinn und eine beinahe akademische Gemessenheit,
Walter dient dieser ihm nahestehenden Musik mit Liebe.
Die Pianistin Else C. Kraus, die moderne Musik intensiv pflegt, bewahrte er-
neut ihre Konzentration und ihre vielseitige Gestaltungskraft in einem Konzert, dessen
Programm von Weber und Liszt bis zu Schonberg und Hindemith reichte. Als Liszt-
und Busonispieler grofiten Formats erschien Egon Petri.
AUSLAND
Igor Gljeboff (Leningrad)
DIE JUNGE KOMPONISTENGENERATION IN LENINGRAD
Mein vorliegender Bericht kann aus zweierlei Griinden nicht erschopfend sein:
Einmal haben diejenigen, iiber die ich sprechen will — die jungen Komponisten —
noch nicht ihre letzten Worte gesprochen, sondern sind erst kurzlich mit ihr en Werken
hervorgetreten. Zum anderen kann ich mich nicht lange bei einzelnen Personen und
einer genauen Kennzeichnung der Ereignisse und Erscheinungen aulhalten, die die
Grundlage fur die augenblickliche Lage des musikalischen Schaffens in Leningrad bilden.
Eine solche Charakteristik erfordert eine umfassende Einfiihrung. Ich ziehe es daher
vor, nur in ganz gedrangter Form einige historische Bemerkungen vorauszuschicken,
um sofort darauf von dem lebendigen Streben des jungen Geschlechts der Lenin-
grader Komponisten zu sprechen. — Das Wort „jung" fordert hier eine nahere Er-
klarung: Ich verstehe darunter nicht die an Jahren Jungen (denn einige der eben erst
in die Beihe der Komponisten eingetretenen Kiinstler gehoren ihren Jahren nach nicht
zur fruhen Jugend), sondern die Jugend in Bezug auf ihre Anschauungen, Prinzipien
und Schaffenskraft.
Der grofie europaische Krieg und die ersten Jahre der Bevolution — das ist die
Scheide, die zwischen der jetzt schon der Geschichte angehorenden „Petersburger" Zeit
132 IGOR GLJEBOFF
der Musikentwicklung Leningrads und der unsrigen Zeit liegt. Nach dem Tode von
Rimski-Korssakow (1908) und bis zu dem Kriege herrschte in Wirklichkeit nur eine
Kompositionsrichtung — einzelne bedeutende Vertreter des sogenannten „Bjelajewschen
Kreises" (Aldow, Glasunow) und Epigonen der Schule von Rimski-Korssakow, die jenem
Kreise eng verbunden waren. (Darunter Maximilian Steinberg, der eine bedeutende
Stellung als Huter der Tradition dieser Schule einnahm.) Der Begabteste und Frischeste
unter ihnen war Nikolai Tscherepnin, ein Mensch mit lebendigem Streben. Er neigte
sogar zum Impressionismus, was den streng konservativen Tendenzen der Epigonie
nicht gerade sehr entsprach. In dieser Zeit entwickelte sicb die Begabung Strawinskijs.
Er erstarkte schon vor dem Kriege in Paris und war wahrend desselben von der
Petersburger musikalisclien Kultur vollstandig abgeschnitten. Im Laufe des Krieges
kam die frische und jugendliche Begabung Prokofjeffs zu Bliite und intensiver Lebens-
entfaltung. Parallel dazu, aber in einem anderem Tempo, bahnte sich allmahlich und
hartnackig die Schaffenskraft Mjaskowskis einen Weg ins Freie. Die Namen Strawinskij
und Prokofjeff waren seine Losung im Kampfe gegen das Epigonentum mit seinem
ersticlcenden Formalismus. SchlieGlich rife sich Prokofjeff selbst unfreiwillig von der
Stadt los, die seine ersten Schritte verhatschelt hatte. Ihm folgte Mjaskowski, der in
den Jahren der Bevolution nach Moskau ubersiedelte und dort als Komponist, Padagoge
und Organisator eine einflufireiche Fiihrerrolle im Sinne des Fortschritts einzunehmen
begann. Im Laufe der ersten Jahre der grofien Revolution machte sich in der musika-
lisclien Kultur Leningrads eine Unbestimmtheit und Wankehmitigkeit fiihlbar, wenn
auch die ideologische Kampfeslinie gegen Epigonentum und Tradition nicht abrifi. Ich
nenne hier nicht einzelne Namen, die von Zeit zu Zeit in dieser Periode auftauchten,
ich weise nur darauf hin, dafi auch damals Paschtschenko ununterbrochen und
hartnackig an sich arbeitete und seine eigenartigen, kiihnen Chorwerke schuf. Ferner
erschien damals Wladimir Schtscherbatschew, ein Schider Steinbergs auf der Bdd-
flache und befreite sich schrittweise von den Fesseln seiner Schule. Seine im Jahre
1923 erfolgte Berufung bezeichnet den Anfang der Erneuerung und Auffrischung der
padagogischen Arbeit in Theorie und Praxis der musikalischen Komposition. Durch
seine Beorganisationstatigkeit sammelte er einen Kreis von ideenmafiig einander nahe-
stehenden Komponisten, Theoretikern, Padagogen und Schulern um sich. Die besten
und starksten Begabungen der Jugend gehoren zu dieser Gruppe, die man als den Kern
der revolutionaren Erneuerungsbewegung der Leningrader jungen Musik bezeichnen
kann. Zu den Schulern Schtscherbatschews gehort Gabriel Popoff (geb. 1904 in
Nowo Tscherkassk) dessen hervortretende temperamentvolle und starke Begabung in
sehr ausgepragtem Streben zu strenger Gestaltung des Materials, zu Konstruktivitat und
melodischer Dynamik die Aufmerksamkeit aller fortschrittlich gesinnten Musiker auf
sich lenkt. Im Grunde genommen spiegeln sich in den besten Werken Popoffs alle
grundlegenden Strebungen der jungen Leningrader Komponistengeneration wieder. Es
ist das ein dreiteiliges Septett (op. 2) fur Flote, Glarinette, Fagott, Horn, Geige, Cello
und Kontrabafi und eine grofie Klaviersuite. In dem Septett wurden eine Beihe von
Gefuhlszustanden aufgerollt mit einer unaufhorlichen Tendenz zur Uberwindung der
Willenslosigkeit, der Hoffnungslosigkeit und des Schmerzes mit dem Ziele der Behaup-
tung der Energie, des Willens und der Freude im Leben. Die Entwicklung des
MODERNE TSCHECHISCHE MUSIK 133
musikalischen Gedankens wird in der Form einer Dialektik gegeben, und durch diese
Form steht diese Musik jenseits alien „Literatentums". Die einzelnen Teile werden
miteinander nach dem Prinzip des Kontrastes und der Antithesen zusammengehalten.
Der dynamische Gleichgewichtsmangel bedingt ein unterbrochenes, fortwahrendes Vor-
wartsdrangen. Einen abstrakt formalen, auSerhalb der Eigenart und Beschaffenheit
des Materiales stehenden Aufbau — das kennt diese Musik nicht. Ein scharfes Gefiihl
fiir die Klanglinien und ihre Richtungen, ein greifbares Empfinden der musikalischen
Bewegung — alles fiir das Ohr immer an das Lebende appellierend, die Fahigkeit, die
in der Bewegung auftretenden Energien zu meistern, sie Schritt fiir Schritt von der
einen zur anderen nie Materiale potentiell enthaltenen Strebung bis zu einer Reihe
von Umgestaltungen zu entwickeln — alle diese Eigentumlichkeiten machen den
wichtigsten und wertvollsten Gehalt in der Musilc PopofFs und der anderen Vertreter
der Gruppe aus. Fiir sie ist die Musik durch und durch dynamisch und kinetisch.
Dire bewegende Kraft ist — das Melos; ihre iiberhaupt nicht ausdrvickbare Sprache —
eine Polyphonie im zeitgenossischen Sinne dieses BegrifFs.
Teilweise gehort audi Dimitri Schostakowitsch (geb. 1906) zu der genannten
Gruppe. Ex ist ein Schuler M. Steinbergs, aber scharf ins Moderne abgewandelt. Seine
Begabung ist von grofiem Schwunge und lebhaftem Temperament getragen und durch
stark personliche Ziige gekennzeichnet, die sich besonders in seinen letzten Werken
auspragten. (Eine symphonische Widmung ,,Oktober" und Entwiirfe zu einer Oper
„Die Nase" nach der gleichnamigen Novelle von Gogol). Leider sind die Unmittelbar-
keit, Spontanitat und Leichtigkeit, die seinem Schaffen eigen sind, die gleichzeitigen
Quellen fiir seine Starke und seine Schwache. Starke — deswegen, weil sie die
Zuhorer bedingungslos zwingen dem Ansturm seiner Musik folgen, und Schwache —
weil sie Uberhebung und Selbstvertrauen hervorbringen und so die geistige Fort-
entwicklung der Begabung aufhalten. Die schopferische Kraft eines Popoff ist weit
mehr diszipliniert und tief durchgearbeitet. Sie scheint mir zeitgemafier zu sein in jeder
Beziehung. Diejenige von Schostakowitsch dagegen ist anziehend durch ihre Frei-
gebigkeit und stiirmischen Drang, aber hinterlafit weniger Folgen. Beide Komponisten
sind Jung, vor beiden liegt noch ein weiter Weg voll Tatigkeit und Wachsen. Man
mnIS ihnen nur helfen, dafi sie sich entwickeln und aufbluhen.
(Schluft folgt)
J. Hutter (Prag)
STILPRINZIPIEN
DER MODERNEN TSCHEGHISCHEN MUSIK
DalS meine und meines seligen Vaters Giundsatze anti-
rameauisch sind, konnen Sie laut sagen. (Ph. E. Bach).
Das vorausgestellte Motto lafit erkennen, wie ich die Frage stelle und von welcher
Seite ich sie beantwortet sehen will. Mir liegt daran aus der neuen tschechischen Mu-
sik das Entwicklungs-Grundprinzip zu erforschen, ohne von den Begleitfragen aufge-
134 J- HUTTER
halten zu sein. Darum wende ich die morphologische Methode an; aus denselben
Grunden vermeide ich jede Wurdigung der einzelnen Kiinstler und verzichte auf die
Aufzfihhmg jener Namen, die unter die betreffende Std-Kategorie substrahiert werden
konnen, also keinen neuen Stilwert in die Entwickelungsstufen beitragen.
Die moderne tschechische Musik ruht auf zwei Stilprinzipien, die durcli das Ver-
haltnis Harmonie und Melodie-Polyphonie gegeben sind. Die harmonische Linie legt
das Gewicht auf die harmonische Struktur, aus ihr entwickelt und baut sie die Melodie,
und die Entwickelung fiihrt zui 1 ganzlichen Vernichtung der bisherigen Melodik. Die
homophon-polyphone Linie geht von der Melodie, welche harmonisiert ist, aus, und
fiihrt einerseits zu einer neuen AufFassung der Melodik, anderseits zur Polyphonie, als
Vereinigung mehrerer selbstandigen Melodien. Dementsprechend richte ich meine
Terminologie em. Der Zusammenldang als Koexistenz mehrerer Tone ist zweifacher
Natur, und zwar: der Zusammenklang relativ statischer Natur, also der Akkord, und
der Zusammenklang als Bildung dynamischer Natur, als Ergebnis der kinetischen Stim-
men, also der Zusammenklang im engeren Sinne (ev. nach der Fiihrung der einzelnen
Stimmen — der Zusammenstofi).
Als charakteristisches Merkmal der Musik auf tschechoslowakischem Gebiete finde
ich erstens die Auffassung und Verwendung der Melodie als Haupt-Kompositions-
prinzip und zweitens den Drang von der Homophonie zur Polyphonie. Es ist klar, dafi
auf dem Boden der tschechoslowakischen Republik sich verschiedene Impulse und Ein-
iliisse treffen. Jedoch jener eben erwahnte Gedanke ist nie aufgehoben worden, in der
nachsmetanischen Musik ist er der fuhrende, tritt spater ein wenig zuriick (es waren
nicht ausschliefilich musikalische Griinde dazu), nun behauptet er sich wieder auf das
entschiedenste. Er ist nicht von Heute und wurde nicht kunstlich aufgestellt. Wir
wissen, dafi bei der Geburt der neuen homophonen Melodie die aus Bohmen und
Malrren stammenden Kiinstler wie Stamitz, Richter und Benda das Hire beigetragen
haben, wie es friiher in der polyphonen Struktur z. B. Zelenka, Czernohorsky und seine
Schule taten. Das liegt also im Kerne des Objektes und kann wohl verstanden werden
gerade in Deutschland, das vorwiegend mit dem Melos und zur neuen Polyphonie hin-
arbeitet.
' Dm das besser verstandlich zu machen, greife ich bis zu Smetana zuriick. Seine
erste Periode, die neuromantische, ist grofitenteds harmonischer Natur, obzwar er in der
Art des musikalischen Denkens und der Technik Homophoniker geblieben ist. Die neue
Periode tritt ein, wo bei ihm eine gewisse Abstinenz im Harmonischen festzustellen ist
und ein steigendes Interesse an der Polyphonie. Die kiihnen akkordischen Bildungen
sind in dieser Zeit das Resultat der Stimmfiihrung. Ich mache auf seine Verwendung
des vergrofierten Quintakkords aufmerksam. In der ersten Periode (Macbeth) ist er
rein akkordisch, gleichlautend wie spater bei Debussy und in der russischen Musik, aber
in den letzten Werken (Die Teufelswand, Prager Karneval, II. Streichquartett) kommt
schon das Ergebnis des Fortschreitens der realen Stimmen vor. Ist er dort eine har-
monische, obzwar organische Zutat, ohne den Std zu charakterisieren, hier hat er den
Wert des typischen Zeichens fur die musikalische Logik wie fiir die Technik. Zdenko
Fibich und Anton Dvorak sind Melodiker mehr oder minder homophoner Pragung.
Mit ihnen endet auch der ausschliefiliche EinfluS der deutschen Musik und es
MODERNE TSCHECHISCHE MUSIK 135
meldet sich die franzosische "Welle (Debussy), obzwar die deutsche, namentlich in Mahler
fortschreitet.
Als erster Meister dieser Ubergangsperiode ist J. B. Foerster (1859) anzuzeigen. In
der Harmonie ist er fortschrittlich gesinnt, jedocli gleichzeitig als Polyphoniker entwickelt
und an der geistigen Verwandschaft mit Mahler gestarkt. Seine Polyphonie, besonders
in den Mittelstimmen (zum Unterschiede von Dvorak, seinem Vorbilde, der an Stelle
polyphoner Stimmen mehr kontrapunktische Linien schreibt), greift zuriick bis weit
vor den Smetana-Stil und bindet sich an die polyphone Kunst der romisch-katholischen
Kirche. In dieser Hinsicht fiihrt Foerster die Kantoren-Kunst Czernohorskys weiter.
Der jungere Vftezslav Novak (1870) stellt schon den durchgreifenden EinfluG des
franzosischen Stiles dar. Er fiihrt neue Tonkomplexe ein (die Kantate Der Sturm), Ganz-
tonleiter, (das symphonische Gedicht Toman und die Waldfee), Elemente slowakischer
Herkunft, (das symphonische Gedicht „In der Tatra"), weil er aus diese.m Material ganz
neue harmonische Bildungen schopfen kann. Er ist ein Typus so zu sagen rein harmo-
nischer Richtung und auch seine Technik verwendet aus der polyphonen Kunst nur so
viel und nur das, was im Stande ist, die harmonischen Werte hervorzuheben. Am
klarsten sieht man das aus seiner starken Vorliebe fur die slowakische Melodik, in der
fuhlt er an erster Stelle den Ausklang der alten Kirchentonarten. Diese harmonische
Einstellung fiillt vollkommen mit der zeitlichen Tendenz zusammen, die Harmonik aus
der Struktur der Kirchentonarten zu bereichern.
Auch Josef Suk (1874) ist ein Harmoniker, aber nicht der franzosischen Richtung.
Man kann ihn in harmonischen Belangen eher mit Richard Straufi vergleichen, mit dem
verbindet ihn der hervorragende Sinn fur Orchester-, d. i. Instrumentationwerte, so dafi
auch bei ihm von der instrumentalen (orchestralen) Polyphonie zu reden ist. Die po-
lyphonisch steigende Linie der symphonischen Werke vom Asrael angefangen bis zum
Reifen ist der beste Beweis fur unsere Beobachtung. Damit meine ich eine solche
musikalische Faktur, bei der im harmonisch konzipierten Satze die einzelnen Stimmen
eine instrumentale Kundgebung sind, ohne auch reale Kompositionsstimmen sein zu
mussen.
Leos Janacek (1854) ist eine ausgesprochene Individualitat fiir sich. Im Grunde
genommen gehort er dem melodischen Typus an. Negativ im Sinne der Zersetzung
der alten Melodie und der Bildung neuer melodischer Elemente, positiv im Willen zur
Schaffung eines neuen kompositorischen Typus der Melodik. Man kann ihn in dieser
Hinsicht, bei Beibehaltung aller Unterschiede, mit Schonberg vergleichen, namlich im
Schaffen eines melodischen Typus rein konstruktiver Natur.
Somit haben wir die Bausteine der weiteren Entwickelung festgestellt. Wir sahen
die Tendenz von der relativen Homophonie zur relativen Polyphonie sich in den beiden
Stil-Gattungen zu behaupten. Das geschieht in den Werken eines einzelnen Kiinstlers, wie
bei Suk, aber auch in den Schulen. Selbst die harmonischeste Kunst der Novak-Rich-
tung geht in den Werken Ladislaus Vycpalek's (1882) zur Polyphonie iiber und zwar so,
dafi er, der vom Hauptgrundsatz seines Lehrers ausgeht, die polyphone Struktur
steigert (Kantate Von den letzten Dingen des Menschen).
Am starksten zeigt sich das bei der Gruppe Foerster, bei Ostrcil u. Zich, die die
Aufgabe ubernommen haben die Polyphonie als fiihrendes Stilprinzip der modernen
136 J. HUTTER
tschechischen Musik zu begriinden und durchzusetzen, ausgehend von der Linie Smetana-
Foerster. Beiden ist gemeinsam, dafi ihre Polyphonie niclit abstrakter Natur ist, sondern
dafi sie aus der Individualitat der Instrumente (Vokalstimme) entspringt. Dafi also ihre
Polyphonie zugleidi auch instrumentale Polyphonie ist. Otakar Ostrcil's (1879) erste
Werke arbeiten nur kontrapunktisch, im Kurth'schen Sinne punctus contra punctum,
so wie er diese Technik bei Fibich erlernte. Bei der Ballade fangt die selbstandige
Polyphonie an und gipfelt im ersten Stadium in der Oper „Die Knospe" und im Or-
chester-Impromptu, in denen die Stimmfuhrung klangliche Besultate wie beim letzten
Smetana oder mittleren Mahler (IV. Symphonie) zeitigt. Das zweite Stadium bei Ostrcil
reprasentieren die Oper „Legende aus Erin" und die Sinfonietta, in welchen die Stimm-
fuhrung in scharfen Zusammenklangen wie beim letzten Mahler und ersten Schonberg
(bis Kammersinfonie) endet.
Otakar Zich (1879) entwickelt bis zur Oper „Die Scliuld" aus der Homophonie
die Polyphonie im Sinne Smetana-Foerster. Im weiteren Verlauf steigert er die Poly-
phonie bis zu den krassesten Bildungen der Zusammenklange, wobei die textliche Vor-
lage der tragischen Oper „Die Schtdd" eine dissonatere Faktur verursacht als in dem
jiingeren Lustspiele ,,Die Zierpuppen". Die Besultate steigert er noch im tragischen
Liederzyklus fur Orchester „Die Scherben der Tage".
Am harmonischen Boden ergiinzt Janacek Alois Haba (1893). Er ist ein harmo-
nischer Typus. Haba zersetzt die bisherige Harmonie und will mit Hilfe seines Viertel-
tonsystemes eine konstruktive Gattung der Harmonik schaffen. Trotzdem ist audi er
bemiiht, aus dem neuen harmonischen System eine neue Melodie zu fhiden. Emil
Axman (1887) und Boleslav Vomacka (1887) sind Melodiker gezahmter Polyphonie
und arbeiten an einer neuen harmonischen Grundlage, untereinander durch personliche
Neigungen verschieden : (Axmann : Janacek, Ostrcil, Vomacka : Novak). Vaclav Kalik,
von Janacek ausgehend, bevorzugt in seinen Chorwerken die polyphone Arbeit Budolf
Karel (1880) der letzte Schuler Dvoraks, fiihrt den Dvorak-Stil durch Heranziehung der
Kirchentonarten fort und pafit diesen harmonischen Interessen seine Technik und Form an.
Es ist klar, dafi neben den heimischen Ergebnissen auch fremde Techniken, die
mit grofier Gewandheit verwendet werden, zu finden sind. Diese Gruppe vertritt
K. B. Jirak (1891) der westeuropaisch gerichtet ist, Jaroslav Rricka (1882) der den rus-
sisclien Einflufi mit dem franzosischen verbindet, und Bohuslav Martinu (1890) der
Stravinskij's Bichtung huldigt. Dafi unter den Jtingsten einige (E. F. Burian, Jar. Jezek)
einen neuen Stil in Jazz-Elementen suchen, ist begreiflich.
Die Hauptfrage der Stilwandlungen der modernen tschechischen Musik liegt also
im Kontraste zwischen harmonischer und polyphoner Richtung. Dieses kiinstlerische
Agon brachte aufierordentliche Resultate. Bewiesen sind sie in der Vielfaltigkeit der
Technik, die wir zwar gruppieren, nicht aber nivellieren konnen. Blicke ich zuriick in
der Musikgeschichte und sehe, welche Werke die nie alternde Polyphonie geschaffen
hat und vergleiche dann die Ergebnisse in der modernen Musik, so kann ich die Uber-
zeugung nicht unterdriicken, dafi sich die Polyphonie in der tschechischen Musik, wie
iiberhaupt in der Musik, nie uberleben wird. In ihr liegt namlich das Moderne, im-
manent und technisch jeder kunstlerischen Aufgabe fahig.
„DER ZAR LASST SIGH PHOTOGRAPHIEREN- 137
UMSGHAU
KURT WEILL
„DER ZAR LASST SICH PHOTOGRAPHIEREN"
UraufTuhrung in Leipzig.
Weill schreibt ein heiteres Gegenstiick zu seinem „Protagonist", ein Satyrspiel zur
Tragodie. Wieder nimnit er einen Text von Georg Kaiser. Wieder greifen Wirklick-
keit und Schein ineinander. Der Protagonist kann zwischen realem und gespieltem
Leben nicht mehr unterscheiden. Aus dieser Verwirrung entsteht die Katastroplie.
Im „Zaren" sprengen revolutionare Verschworer die reale Handlung. Sie iibernehmen
die Rollen im photographischen Atelier der Madame Angele. Wollen den Zaren mittels
einer in die Kamera eingesetzten Pistole wahrend der Aufnahme erschiefien. Der Zar
flirtet mit der falschen Angele. Die Frau interessiert ihn mehr als die Photographic
Angele drangt zur Aufnahme. Der Zar weicht immer wieder aus. Angele wird nervos.
Gerade so reizt sie den lebemannischen Monarehen. Er will sie in ihrer Verwirrung
photographieren. Aufregendes Spiel um den todbringenden Stuhl. Da meldet man
die Aufdeckung der Verschworung. Nochmal versucht es die falsche Angele. Sie sieht,
dafi der Plan mifilingt. Verspricht Liebesgewahrung ohne Photographie — und macht
sich mit ihren Kumpanen aus dem Staube. Schnell ist das richtige Personal wieder
auf dem Plan. Die Aufnahme wird gemacht. Militarische Apotheose. Realitat behalt
die Oberhand im Buffospiel.
Eine Spannungshandlung wie der „Protagonist". Aber Weill schreibt keine
Spannungsmusik mehr wie in seinem ersten Einakter. „Royal Palace" hat ihn
weiter gefuhrt. Er strebt nach einer absoluten musikalischen Gestaltung des Spiel-
geschehens, ohne daB das dramatische Tempo darunter litte. Die Technik, die in
fruheren Arbeiten erkennbar, mancbmal auch schon bewufit durchgebildet ist, wird
nun planmafiig angewendet: Weill baut die Musik in kleinen Formkomplexen auf, die
im rhythmischen Motiv den jeweiligen Spannungsgrad stilisieren. Immer besteht engste
Beziehung zum dramatischen Ablauf. Wie Weill das im Text ziemlicb lang ausgesponnene
Spiel zwischen Zar und Angele durch die Musik steigert und, bei aller Vielgestaltigkeit
im einzehien, auf eine klare Linie anlegt, wie ein musikalischer Organismus das Stoff-
liche aufsaugt : das zeigt am schlagendsten der Fortschritt gegeniiber dem „Protagonist".
Vom Jazz als einem der typischen und allgemein verstandlichen musikalischen Zeichen
unserer Zeit ausgehend, findet Weill im „Zaren" eine Buffosprache von hochster Be-
weglichkeit. Sie schmilzt das Deklamatorische in den melodischen Flufi ein. Wo sie
sich dem Rezitativischen nahert, gibt die rhythmische Zeichnung im durchsichtig be-
handelten Orchester inneren Halt. Kleine ariose Komplexe losen sich heraus, streifen
ein neues lyrisches Ausdrucksbereich. Auch in diesem heiteren Werk klingt jenes
Unheimliche auf, das man aus dem „Protagonist" und aus dem spateren ,J\lahagonny"
kennt. Etwa, wenn der Begleiter des Zaren die Entdeckung des Komplotts meldet
und iiber den dumpfen Marschrhythmen die Brummstimmen des im Orchester postierten
Mannerchors liegen. Und wenn spater, am Hohepunkt der dramatischen Spannung,
138
UMSCHAU
das Grammophon-Solo mit dem Tango Angele einsetzt. Ein genialer Einfall: das
mechanische Instrument als dramatisches Mittel. Das Liebesduett. dann das Ensemble
der abziehenden Verschworer, alles im pianissimo gesungen, uber dem Klang des
Gramophons. Wahrend der Aufnahme ein ubermiitig-frecher Marsch. Das Strawinskijsche,
das noch im „Protagonisten" scharf heraustrat, ist personlich geformt. Dieser Schlufi-
marsch hat die Plastik und Unmittelbarkeit der „Mahagonny' - -Musik. Er zeigt den
Weg, den Weill jetzt einschlagt: die Oper von allem Asthetischen abzulosen und ein
Zeitstiick zu scbreiben, das die Kraf'te des heutigen Daseins in einfacbste und leicht
fafiliche Gestalt bannt. Es wendet sich nicht mehr (wie der „Zar") an ein gebildetes
Theaterpublikum, sondern an die durch keinerlei burgerliche Hortradition belastete
Masse.
Unverstandlicherweise wurde in Leipzig zum „Zaren" ein knallig veristisches
Stuck wie Spinellis „A basso porto" gegeben. Man hatte gerade bei der Ur-
auffuhrung die beiden Einakter von Weill nicht trennen diirfen. Sie gehoren, schon
durch die Parallelitat ihres stofflichen Ablaufs, unbedingt zueinander. Es war eine aus-
gezeicbnet ^durchgearbeitete Auffuhrung. Die Disziplin des Ensembles ist vorbildlich.
B r e c h e r dirigiert sehr gewissenhaft, doch scheint ihm die Spinellische Naturalistik
innerlich naherzustehen. Briigmann inszeniert das Stuck ganz aufs Parodistische
und Groteske hin. Es gibt witzige Einfalle. Manches hatte mehr auf die Musik ab-
gestimmt sein konnen. Die Hauptrollen sind mit Horand als weltschmerzlich lassigem
Zaren und Fraulein Janowska als der handfesten falschen Angele sehr gut besetzt.
Heinrich Strobel (Berlin)
WEGE ZUR SPIELTECHNIK
Drei Schriften, die dem gleichen Ziel zustreben, wenn auch von verschiedenen
Ausgangspunkten her, dtirfen mit innerer Berechtigung gemeinsam besprochen werden.
Umso mehr, als sie in den Postulaten wie in der Grundanschauung ubereinstimmen.
Lockerung ist ihr Losungswort.
Von den bedeutsamen Wandlungen, die in den letzten Jahren auf kiinstlerischem
Gebiet wie im geistigen Bezirk liberhaupt sich vollzogen haben, konnte naturgemafi
auch die Padagogik des technischen Instrumentalspieles, der Tonerzeugung im weitesten
Shine, nicht unberiihrt bleiben. Die Dogmatik einer Zeit, da man, vom grobsten
Materialismus ausgehend, den physiologischen Tatbestand fur den einzig beachtlichen
ansah, mufite fallen. Man glaubte mit Anweisungen fur die Fingerhaltung, Armstellung.
Atemfiihrung auszukommen; die Anweisungen selbst waren freilich variabel. Jeder
Gesanglehrer ritt sein Steckenpferd und war iiberzeugt, nur auf diesem konne man das
gesetzte Ziel erreichen. Das bose Wort (angeblich aus Biilows Munde): jeder Gesang-
lehrer halt alle seine Kollegen fur Esel und jeder hat Recht — kennzeichnet schlagend
die Situation.
Es hiefie einem gefahrlichen Optimismus huldigen, wollte man annehmen, dafi
eine so geartete einseitige Padagogik vollig ausgestorben sei. Mogen uns heute die Be-
WEGE ZUR SPIELTECHNIK 139
riclite von Geigenlehrern, die zur Erzielung einer ihnen richtig diinkenden Armhaltung
den Schuler zwangen, beim Spiel ein Bucli unter die rechte Achsel zu pressen, absurd
und legendar erscheinen, es steht zu befiirchten, dafi solche Lehrer noch immer und in
nicht geringer Anzahl ihr Unwesen treiben. Was sie beabsiclitigen, ist klar. Eine ein-
mal als zweckmafiig erkannte Korperhaltung soil urn jeden Preis und von jedem
Schtiler wiederholt werden. Was sich bei dieser Forderung zwangslaufig ergibt, ist Krampf.
Der Pendelschlag, der ja die graphische Figur aller Entwicldung auf geistigem
Gebiet ist. hat gegenwartig den aufiersten Pol der entgegengesetzen Richtung erreicht.
Die Einsicht in die Unmoglichkeit, fur so komplexe und individuell differenzierte Dinge
wie die musikalische Technik eine Einheitsformel zu finden, ist gewonnen. Der leitende
Gesichtspunkt aber, den jede produktive Padagogik erkennen lassen mufi, heifit in der
neuen Lehre : Lockerung, Losung von Hemmungen. Das ist, wie sofort auffallt, ein Ge-
danke aus dem Umkreis der Psycho-Analyse. Und in der Tat weisen die drei in
Frage stehenden Schriften eine Beeinflussung (sei sie unmittelbar oder auf Umwegen
entstanden) durch die analytische Psychologie auf. Am deutlichsten wohl die Broschure
von Willy Bar das '). einmal weil sie ausdrucklich das Problem von der Psychologie her
angreift, aber auch deshalb, wed dieser so friih verstorbene Pianist sich von den Ideen
Sigmund Freuds eingestandenermafien starkstens beriihrt fiihlte. Dafi er ausubender
Kunstler, Padagoge und ein scharfer, ewig zur Beflexion getriebener Intellekt zugleich
war, gibt seinen Ausfiihrungen ihren eigentlichen Wert. Denn nie wird der reine
Praktiker oder der absolute Theoretiker Entscheidendes iiber die Technik des Spielens
oder Singens aussagen kflnnen. Die Vereinigung von Handwerk und Geist darf also
ideal genannt werden. Bardas besass sie.
Selbstverstandlich geht auch Bardas von den physiologischen Voraussetzungen aus.
Er ist viel zu erfahren, urn nicht zu wissen, dafi (wie er selbst sagt) die Ausbddung
zum Pianisten nicht durch psychologische Betrachtungen ersetzt werden kann. Das „TJben
der Technik" wird immer unerlafilich bleiben; aber was Bardas seinen Lesern, wie
fruher seinen Schiilern darlegen will, ist die „Technik des Ubens". Nichts ware ver-
kehrter, als nach Uberwindung des materialistisch-physiologischen Extrems nun einer
iiberspannten psycliologisclien Spekulation zu verfallen. „Das Wesen der Klaviertechnik
ist ein kompliziertes Ineinandergreifen psychologischer und physiologischer Funktionen".
Der erste psychologische Abschnitt enthalt, neben anderen grundlegenden Auf'schliissen,
eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Methode. Jede Methode kann ricliig,
jede aber auch falsch sein. Lrgend einer technischen Methode Allgemeingultigkeit zu
vindizieren ist unmoglich, wed so ein gleiches Schema auf ungleiche Objekte angewendet
wiirde. Wohl aber gibt es notwendige Voraussetzungen aller Spieltechnik, sowohl phy-
siologische als psychologische. Von diesen handelt das Buch.
Je weiter der Mensch in der Zivdisation fortschreitet, umso mehr unterwirl't er
sich Konventionen, die als Hemmungen wirksam werden. Wir Heutigen halten an
einem Punkte der Zivdisation, wo die Summe der Hemmungen das Mafi eines gesell-
schaftserhaltenden Begulatives weit xiberschritten hat. Solclie uberfhissigen, daher schad-
lichen Hemmungen beziehen, wie man aus der Psycho-Analyse weifi, ihre storende
Gewiclitigkeit aus dem Umstande, dafi sie zumeist unbewufit, das heifit, dem Gehemmten
*) Zur Psychologie der Klaviertechnik. Im Werk-Verlag, Berlin.
140 UMSCHAU
uiibekannt bleiben. Gelingt es, sie bewufit zu machen, so lafit sich ihre Beseitigung
oder doch eine betrachtliche Herabminderuiig erzwingen. In diesem Sinne hat es
Bardas als seine Aufgabe betrachtet, die zahlreichen Spielhemmungen, die er an seinen
Schiilern wie bei eigenem Studium beobachten konnte, psychologisch zu ergriinden.
Der Schiiler sieht in einer mifilungenen Passage etwa zunachst immer nur den Befund
des MiUlingens, nicht aber dessen Griinde. Versucht er nun, den Fehler auf rein
mechanischem Wege zu korrigieren, durch „Uben", so kann er wohl mit einer gelegent-
lichen Besserung rechnen, nicht aber mit jener Sicherstellung, die ihm vorschwebt. So
weit die Spielhemmungen auf allgemeine psychologische Gesetze zuruckzufiihren, also
nicht zufallige Sonderheiten des einzelnen Individuums sind, werden sie von Bardas in
genauester Analyse geschddert und so bewufit gemacht : verfriihte und verspatete Willens-
einstellung (IU), storende Sympathiebewegungen (VB:) und jener Komplex von Fehl-
leistungen, die aus der Diskrepanz zwischen technischer und phraseologischer Gliederung
entstehen (VI). Weit iiber das psychologische Interesse hinaus geht der Abschnitt, in
dem der Autor von der „imaginaren grofien Hand" spricht. Dort wird in einer
historischen Skizze des Klavierstiles dargestellt, wie die immer wachsende Extensitat
der orchestralen Schreibweise im 19. Jahrhundert auch auf das Klavier ubergriff, das
aber seinerseits gar nicht fahig war, derartige Klangvorstellungen zu realisieren. Aus
dieser Schwierigkeit ergab sich eine neue Faktur, deren Bewaltigung durch das Phanomen
der „imaginaren grofien Hand" moglich wurde. Man weifi, dafi die angedeutete Ent-
wicklung schon in Beethoven ihren Anfang nimmt; gar fur die technische Beherrschung
der spateren romantischen Musik wie dessen, was der Verfasser „Klavierauszugstil"
genannt hat, erscheint die stilistische Erkenntnis durchaus als notwendig. Dieses Kapitel
ist wie auch andere mit itberzeugenden Beispielen belegt, wie Bardas uberhaupt es erfreu-
licherweise vorgezogen hat, durch Anschaulichkeit klar statt durch Abstraktion tiefsinnig zu
wirken. Artur Schnabel hat der Schrift anerkennende und bestatigende Worte vorausgeschickt.
Die Personlichkeit Artur Schnabels, den Bardas seinen Lehrer nannte, stellt, neben
vielen anderen Beziehungspunkten, die Verbindung her zu einer weiteren Schrift ')
aus demselben Themenki-eis, weil auch deren Autor August Pes talozzi sich zu ihm als
seinem Meister bekennt. Wie schon der Titel bekundet, will Pestalozzi das spieltechnische
Problem von der physiologischen Seite her beleuchten, aber Losung von Hemmungen
ist auch sein Ziel. Wie er in dem Kapitel „Fast allgemeine Hemmungserscheinungen"
mannigfache spielstorende Fehler aus falschen Muskeleinstellungen erklart, das bietet
eine ausgezeichnete Erganzung zu der Studie von Bardas. Voran gehen breiter ange-
legte „Bewegungsphysiologische Betrachtungen" ; hier werden die viel angewendeten
Begriffe der Innervation und des Beflexes, der (nach Du-Bois-Reymond) aus einer Verkettung
von Erregungen sensibler Bahnen mit Erregungen motorischer Bahnen entsteht, erlautert.
Pestalozzi ist der Ansicht, dafi die hauptsachlichen Storungen der musikalischen Repro-
duktionstechnik in der mangelnden Kenntnis des Spielers von der Anlage seines Korpera
ihren Grund haben. „Jeder Chauffeur kennt den Gang seines Motors, jeder Lokomotiv-
fiihrer den seiner Maschine, aber Musikausubende haben oft gar keine Ahnung von
1 ) Bewegungsphysiologische Voraussetzungen zur technischen Beherrschung der Musikinstrumente und
des Gesangs und der Weg, sie zu erreichen. Mit besonderer Berflcksichtigung der Klaviertechnik. Verlag
Trowitzsch und Sohn, Berlin.
WBGE ZUR SPIELTECHNIK 141
Muskel- und Nerventatigkeit". Diese Kenntnis auszubreiten, ist der Endzweck des Buches,
vermittels einer Methode, die man als physio-analytische bezeichnen konnte. Es wird er-
sichtlich, in welchem Mafie sich die Gedanken dieser Schrift mit den von Bardas aus-
gesprocbenen erganzen, sie sind deren physiologisclies Komplement. Auch dafi beide,
void Klavier ausgehend zu Formulierungen gelangen. die keineswegs auf das Gebiet des
Klavieres beschrankt bleiben, zeigt die Gemeinsamkeit ihrer Ziele.
Die Multiplizitat der Ereignisse hat den beiden genannten Biichern ein drittes
zugesellt. Heinrich K o s n i ck : Lebenssteigerung. 3 ) Es mufi, bei aller Anerkennung der
hochst personlichen, daher fesselnden Leistung, gesagt werden, dafi dieses Werk in
hohem Grad bedenklich erscheint. Wenn ein Autor eine Studie, die mit der Losung
teclmischer Probleme des Instrumentalspiels und des Gesanges sich befasseri soil, mit
dem Titel ,,Lebensteigerung" uberschreibt, so ist klar, wohin er tendiert: das Musizieren
als ein Teil zwar nur der menschlichen Lebensinhalte, aber immerhin doch ein dem
Leben sehr nah verbundener, soil regeneriert werden durch eine Begeneration des
Lebens iiberhaupt. Wir kennen die Forderung und wissen, dafi auch der Jugendbe-
wegung etwa ein ahnliches Ideal vorschwebt. Aber hier soil die Losung eines technischen
Problems, in dem es auf seine physiologischen und psychologischen Gegebenheiten
untersucht wird, gewissermafien aus dem Kosmischen gewonnen werden. Thesen, wie
die folgende: „Es erwachst uns die Aufgabe, die Materie in ihrer ansichreifienden Art
umzuwerten und sie in eine strahlende elektro-magnetische Energie umzuwandeln" ent-
hullen deutlich, auf welchen Bahnen Kosnick wandelt. Nun sind gewifi Weltanschau-
ung, Lebensgestaltung und Philosophic der Menschheit grofie Gegenstande — aber ob
es angangig oder gar von produktivem Nutzen ist, auf solcher Basis eine Spezialfrage
wie die des Instrumentalspieles aufzurollen, mochte ich bezweifeln. Doch wird eben
dies der Verfasser nicht zugeben wollen, dafi es sich um eine spezialistische Unter-
suchung handele, denn es ist ja der Zweck seines Buches, die musikalische Technik in
den kosmischen Zusammenhang alien Lebens einzugliedern. Heilung des Lebens ist
das ideelle Motto (wie aus der „Einfuhrung in die Prinzipien der Lebensgestaltung" zu
entnehmen ist) und die Assoziation von Heil und Heiligkeit wird als so zwingend ange-
nommen, dafi Feststellungen sich ergeben konnen wie diese: „Es war ein tragischer
Vorfall, dafi Medizin und Theologie, die nur in der Vereinigung wirkend und helfend
gedacht werden konnen, sich trennten".
Den breitesten Baum, vielleicht die bedeutendste Stellung in Kosnicks Buch nehmen
medizinisch-anatomische Darlegungen ein. Uber sie zu urteilen bin ich nicht befugt,
das mufi billig den zustandigen Fachleuten uberlassen werden. Doch auch die Hemmungs-
erscheinungen, von denen Kosniclc wie Bardas und Pestalozzi ausgeht, werden ins
Medizinische umgedeutet. So heifit es: „Der Geist der Technik und der der Kranken-
behandlung mufi ein anderer werden". Losung der Hemmungen ist hier wie dort das
letzte Ziel, Losung durch Einbeziehung in das Bewufitsein. Aber es zeigen sich mit
beangstigender Deutlichkeit die Gefahren, die das BeWufitwerden mit sich bringt. Sie
drohen dem Instinkt. Denn es scheint, dafi Kosnick im Willen zur Lockerung einem
weltanschaulichen Krampf verfallen ist. Hanns Gutman (Berlin)
3 ) Lebenssteigerung. Ein neuer Weg zur Heilung und zur Losung teclmischer Probleme des Instru-
mentalspieles und des Gesanges. Zugleich die Begriindung des Gesetzes der synthetischen Anatomic
Delpliin-Verlag, Miinchen.
142 UMSCHAU
ZEITSCHRIFTENSCHAU
In zwangloser Folge und ohne jeden Anspruch auf Vollstandig-
keit werden den Lesern unsrer Zeitschrift regelmaftig einige Aus-
schnitte aus den Musikzeitschriften, besonders des Auslands dar-
geboten. Es wird vor allem versucht, symptomatische Erscheinungen
herauszulosen ; das bedingt eine gewisse Einseitigkeit der Auswahl.
1. ^/WjU.^a.-v.
Auch Zeitschriften, welche in ihrer Haltung mehr kollektivistisch eingestellt sind,
geben der Erkenntnis des Gegenwartigen immer mehr Raum. Dabei fallt auf, wie das
Erlebnis des Jazz immer mehr durchdacht, stilkritisch gefafit und in seinen Voraus-
setzungen und Folgen untersucht wird. So begegnet im Februarheft der „Musik" eine
historische Studie iiber Walzer und Jazz von Alois Melichar. Neben ihr steht ein Au£-
satz von Erik Reger iiber die musikalische Welt im Maschinenzeitalter. In beiden
Fallen ist die anregende Wirkung zu spiiren, welche von Rernhards Jazzbuch (ausfiihrlich
besprochen im Dezemberheft unserer Zeitschrift) ausgeht. Im folgen den Heft bietet
Hermann Scherchen eine eingehende Analyse der grofien Streichquartettfuge Beethovens
Opus 133, welche sich innerlich mit den von ihm und anderen gebotenen orchestralen Auf-
fiihrungen dieses "Werkes verbindet.
Mit viel Lebendigkeit und Initiative tritt die „Neue Musikzeitung" unter
neuer Leitung und in neuem Gewande auf. Es sei aus den letzten Heften ein Brief
Franz Werfels erwahnt, der sich gegen die niedrige Ausbeutung eines gegen Beethoven
gerichteten Zitats aus seinem Verdibuche verteidigt. In dem vorangegangenen Hefte
findet sich eine weitere programmatische Aufierung eines Schaffenden: Alban Berg
spricht iiber das Opernproblem und iiber seine kiinstlerischen Absichten im „"W~ozzeck",
Von einer neuen Zeitschrift soil hier noch kurz die Rede sein, deren erstes Heft
im Anfang dieses Jahres erschien: die „Zeitschrift fiir Schulmusik", welche von
Jode. Martens, Miinnich und Susanne Trautwein gemeinsam herausgegehen wird. Die
Verbindung dieser Herausgeber bezeichnet eine programmatische Richtung: in der Ein-
heit der Staatlichen Akademie fiir Kirchen- und Schulmusik begegnen sich die musi-
kalische Jugendbewegung mit den Vertretern der Schulpraxis. Die Zeitschrift, deren
erstes Heft vor allem aUgemeine begriindende Aufsatze der Herausgeber bringt, ist im
Verlage von G. Kallmeyer, Wolfenbiittel, erschienen. Ein Seitenblick fiihrt auf den in
Essen erscheinenden, allgemeinen kulturellen Fragen dienenden „Scheinwerf er"
unter der Schriftleitung von Hannes Kiipper. Die Auffiihrung von Honeggers „Antigone"
drangt in musikalische Fragen hintiber und veranlafit eine programmatische Verkiindir
gung von Rudolf Schulz-Dornburg und einen Aufsatz von Leo Melitz tiber Honegger.
Aus den andern Heften sei vor allem das eine der Jugend gewidmete erwahnt, welches
auf Grund sorgfaltiger Beobachtung das schaffende, nachschaffende und aufnehmende
Kind in Bildern, Gedichten und Auffuhrungsbeschreibungen in den Mittelpunkt stellt.
Hier scheint Vorziigliches gelungen. Auch eins der letzten Hefte des „ Sturm" stellte
sich unter das gleiche Problem, wenn auch einseitiger und nicht ganz ohne Tendenz.
2.
Unter den englischen Musikzeitschriften fallt vor allem die neugegriindete „The
Dominant" auf, die monatlich unter der Schriftleitung von Edwin Evans erscheint.
ZEITSCHRIFTENSCHAU 143
Sie findet eine gliickliche Form der Spiegelung und drangt Wesentlichstes in kleinstem
Raume zusammen. Im „Chesterian", der Zeitschrift des Chesterverlages, finden
wir eine Umfrage iiber die Inspiration, aus der wir ersehen, dafi diese unsinnige Methode,
ein hochst zweifelhaftes und gefahrliches Problem auf dem Wege zusammengestellter
Meinungsaufierungen zu klaren, nicht nur bei uns geiibt wird. Es ist charakteristisch,
dafi sich unter den deutschen Musikern, deren Aufierungen vorliegen, nur und gerade
Franz Schrecker und Hans Pfitzner (dieser freilich lediglich durch einen Verweis auf
seine demnachst erscheinenden gesammelten Schriften) in der Beantwortung dieser Frage
gefallen. Die von der „League of Composers" herausgegebene „Modern Music"
bringt Alban Bergs vorher erwahnten Essay iiber die Oper, geht ausfiihrlich auf das
Schaffen Ernst Blochs ein und gibt ausfuhrliche Berichte iiber die deutscben Musikfeste
des vergangenen Jahres.
Aucb unter den franzosischen Zeitschriften ist von einer Neugriindung zu berichten.
Es ist die „ Musi que", die, von Marc Pincherle geleitet, in ausgezeicbneter Ausstattung
monatlich vorliegt. Der Besuch Arnold Schonbergs in Paris findet in alien franzosischen
Zeitschriften weitgehende Spiegelung. Die „Musique" iibersetzt aus diesem Anlafi
Schonbergs Aufsatz „Gesinnung oder Erkenntnis ? ", den dieser fiir das Jubilaumsbuch
der Universal Edition geschrieben hat. Im allgemeinen fallt bei den franzosischen Zeit-
schriften (wie iibrigens auch bei den italienischen) auf, wie miihelos und ungezwungen
die Verbindung von Gegenwartigkeit und Vergangenheil gelingt. Es finden sich in
ihnen fast immer Aufsatze von ausgesprochen historischer Haltung, die sich aber schon
durch die Sprache, in der sie geschrieben sind, der Gesamttendenz einpassen. So be-
schaftigt sich das Februarheft der „Bevue Music ale" mit Hoffmanns „Undine".
Die „Musique" widmet Berlioz eine ausfuhrliche stilkritische Studie, beschaftigt sich
in ahnlicher Ausfiihrlichkeit mit Gossec und wiirdigt unter den Lebenden Ducas und
Ravel.
Unter den deutschen Komponisten ist es besonders Krenek, dessen auSere Erfolge
iiber Deutschlands Grenzen hinausdringen. Im „Courrier Musical" (vom 1. Marz)
findet sich ein sensationell aufgemachter Artikel mit der Uberschrift „Jonny ou le
Triomphe du Jazz". Es ist sehr charakteristisch, die Spiegelung dieser Oper aid den
franzosischen Berichterstatter zu beobachten. Er beschreibt seine Fahrt nach Wien, die
ihn iiber schneebedeckte Flachen fiihrt, gibt eine lustige ldeine Phantasie iiber Bahn-
hof, Lokomotive, Polizisten, Mdieu und scheint freudig erstaunt, alles das, was er eben
verliefi, nun auf der Buhne wiederzufinden. Die sich in dem Bericht aussprechende
ungeheure Uberschatzung des Stofflichen lafit die ganze Gefahr dieser „Zeitoper" deutlich
werden. Ein anderes Heft dieser Zeitschrift (15. Januar) ist den Fragen der Orgel, der
Kirchenmusik und der Gregorianik gewidmet und stellt hier Vieles und Wesentliches
zusammen.
„Le Menestrel" dient hauptsachlich der Berichterstattung und gibt unter den
franzosischen Zeitschriften den ausfiihrlichsten Uberblick iiber das internationale Musik-
leben. Gerade darum scheint es notig, einige grunsatzliche Anmerkungen zu dieser
Berichterstattung zu machen. Was den franzosischen Lesern iiber das deutsche und
osterreichische Musikleben vermittelt wird, gibt nicht nur ein absolut liickenhaftes und mit
einer gefahrlichen Einseitigkeit ausgewahltes Bild, sondern ist auch in der Redaktion
144 UMSCHAU
der Mitteilungen bedenklich. Wir finden etwa in dem Heft vom 17. Februar neben
mehreren vollig belanglosen Notizen die folgende: „Texte d'une melodie empruntee" a
un „cycle de melodies" chantee a une seance de la Societe Internationale de Musique,
de Berlin". Was dann folgt, ist eine franzosische Uebersetzung des Textes „Mariechen,
du susses Viehchen" aus Hanns Eislers „Zeitungsausschnitten". Aber weder der Name
des Komponisten noch des Werkes wird iiberhaupt nur erwahnt. Statt dessen kom-
mentiert der Berichterstatter Jean Chantavoine diese Textwiedergabe mit dem Zusatz,
dafi dieses Mariechen leider wohl audi in Paris seine Bewunderer finden wiirde.
Es ist nicht ohne Interesse, den Quellen dieser Berichterstattung nachzugehen. An-
haltspunkt bietet eine wenige Zeilen spater aufti - etende Notiz uber eine Brahmspublikation
Max Friedlaenders, die als ganz neu angezeigt wird, in der Tat aber schon geraume
Zeit zuriiddiegt. Beide Notizen finden sich in dem gleichen Heft der ,,Zeitschrift fur
Musik" (Februar). Der Berichterstatter Eislers war der Kritiker der „Allgemeinen
Musikzeitung", Adolf Diesterweg. Audi er begniigt sich damit, zwei Texte abzu-
drucken und, darauf gestiitzt, den Komponisten, das Konzert selbst und das Publikum in
gehassigster Weise zu beschimpfen. Die Friichte seiner Berichterstattung im „Menestrel"
werden ihm eine Genugtuung sein. Mit diesem Bilde stimmt es uberein, wenn wir
in einem der folgenden Hefte dieser franzosischen Zeitschrift Deutschland zwar iiber-
haupt nicht erwahnt, dagegen die Musik in dem uns Deutschen unbekannten Lande
„Sarre" in einem Bericht von nidit weniger als 75 Zeilen behandelt finden. Wer das
Musikleben Saarbriickens kennt, durfte sidi audi hier iiber die Ziele dieser musikalischen
Berichterstattung im Klaren sein.
Abschliefiend sei noch eine Neugriindung erwahnt: die„Cahiers de Belgique - ',
welche sich auf das gesamte belgische Kunsdeben in fortschrittlichster Haltung einstellen
und audi die Musik in hohem Grade einbeziehen. Zu den musikalischen Mitarbeiterri
dieser Zeitschrift gehort Paul Collaer. Hans Mersmann (Berlin)
MUSIKLEBEN
ZEITSCHAU
Das „Wiener Volksblatt" hat Preise von 3000. — Schilling fur das „beste deutsche
Volkslied" ausgesetzt. Eberhard Sagburg bekam den ersten Preis von 1000 Sdiilling
fiir folgenden lyrisch-nationalen Ergufi, fiir dessen Vertonung zum 1 0. Deutschen Siinger-
fest abermals 1500 Schilling bereitgestellt wurden:
DAS ALTE LIED
Aus dem Raunen deutscher Walder, Yon der Statte deutschen Fleifies,
Aus der deutsclien Strome Rauschen Aus dem Klange deutscher Arbeit,
Mahnt die uralt ew'ge Weise, T<mt w i e Hammersclilag vom Werke
Klingt und singt, bald laut, bald leise, Stolz und froh das Lied der Starke,
Ewigjunge Melodei: Klingt die alte Melodei:
Heimat, Heimat, einzigschone, Heiniat, Heimat, wunderreiche,
Deiner Grofie Hymnus tone Steh' so fest wie deine Eiche.
Hell zum Himmel, klar und frei I Werde einig, bleibe frei !
zeitSchau 145
Ganz zutiefst im deutschen Herzen
Hallt in guten, bosen Zeiten
Heimatlandes Treugrufi wider,
Und aus jedem seiner Lieder
Klingt die liebe Melodei:
Vaterland, in deiner Schone
Lieben wir Dich. Deine Sohne
Woll'n wir bleiben stolz und frei.
Das alte Lied: Die alten Phrasen von der wundersamen Melodei und der starken
deutschen Eiche, vom markigen Hammerschlag und vom Treugrufi der freien Sohne.
Die Schuberlfeier als Tummelplatz des nationalen Spiefiertums und des kraftmeiernden
Dilettantismus. Die Schuberlfeier als Kundgebung reaktionarer Liedertafelei. Schubert
als Hort amusischen Klembiirgertums. Tausend sangesfreudige Kehlen werden mit ge-
schwellter Brust dieses Lied in einer hoffentlich ebenburtigen Vertonung hinaus-
schmettern und sie werden sich mit dem erhebenden Bewufitsein an den Biertisch
setzen, das Banner der echten und bodenstandigen Kunst in der Zeit der Uber-
fremdung und Entgotterung erfolgreich hochgehalten zu haben.
Es liegt ein von Gerhart Hauptmann unterzeichneter Aufruf vor, der die Er-
richtung eines „Festspielhauses zur Pflege der deutschen Symphonie" in Baden-Baden
fordern will. Protest gegen die deutschen Kammermusikfeste in Baden-Baden, die dem
lebendigen Schaffen dienen? Das Festspiel wurde in dieser Zeit zur gesellschaftlichen
Phrase. Bayreuth ist der Treffpunkt intern ationaler Ungegenwartigkeit, internationaler
Sentimentalitat. Nun soil auch noch ein Bayreuth fur die Symphonie „fern vom Larm
des Alltags in seiner einfach-edlen, der Tagesmode es entriickenden Gestalt" verwirk-
licht werden. Ein Zentrum unlebendiger Musikpllege. Man proklamiert die „vom
Alltagslarm loslosende" Kunst in dem Augenblick, wo die Musik aus ihrer asthetischen
Isoliertheit herausstrebt und die Krafte unseres Seins zu gestalten sucht. Die Symphonie
tragt zum grofien Teil eine Stilentwicklung, gegen die unser Schaffen sich auflehnt
Sie ist die Basis fur eine konzerthafte Musikausiibung, die allmahlich in Stagnation
geriet. Kein Zweifel, dafi ein wesentlicher Teil der symphonischen Produktion des
19. Jahrhunderts fur ein aktives Musikleben nur schwer zu retten sein wird. In dieser
Situation, die man nur leugnen kann, wenn man die positiven Krafte der Zeit negiert,
erscheint der Baden-Badener Plan, der im Jahre 1913 gefafit wurde. Man tut so, als
ob seitdem nichts vorgefallen ware. Und derselbe Gerhart Hauptmann, der vor mehr
als einem Vierteljahrhundert revolutionare Ideen in seinen Werken vertrat, wird heute
Wortfuhrer gegenwartsferner, reaktionarer Bestrebungen
Das Leipziger Gewandhaus ist wieder in einer Dirigentenkrise : Furtwangler
tritt mit Ende dieser Saison von seiner Leipziger Stellung zuriick. Er will seine Arbeits-
kraft auf Berlin und Wien konzentrieren. Man hort auch, dafi er kompositorische Plane
hat. Die Wiener Staatsoper schlofi mit Furtwangler einen Gastspielvertrag zur Leitung
von Opernauffuhrungen ab. Vielleicht hangt es damit zusammen, dafi sich die Ver-
handlungen mit dem Frankfurter Operndirektor Clemens Krauss wegen Ubernahme
einer leitenden Stellung in Wien nun endgiiltig zerschlagen haben. Bruno Walter,
der in Berlin nur beschrankt als Konzertdirigent wirken kann, soil den grofiten Teil der
Gewandhauskonzerte in der kommehden Saison leiten. Im iibrigen nimmt man an, dafi
146 MUSIKLEBEN
Abendroth aus Koln nun auf den Posten berufen wird, auf dem ihn schon seiner-
zeit, bei der Wahl Furtwanglers, viele Leipziger Kreise gern gesehen hatten. Auch im
Rheinland gibt es zu Beginn der neuen Spielzeit Dirigentenwechsel. Paul Schein-
pflug, der Duisburger Generalmusikdirektor, ausgezeichneter Interpret moderner Musik,
hat seinen Vertrag mit der Stadt gekiindigt.
Die Dresdener Oper kiindigt fiir diesen Sommer im AnschluS an die Premiere
der „Aegyptischen Helena" eine Festwoche zur Fiinfzigjahrfeier ihres von Semper er-
bauten Hauses an. Vielleicht will Intendant Reucker die Krisenstimmung, von der
neulich erzahlt wurde, durch eine groGangelegte representative Veranstaltung bannen.
Mehr als reprasentative Bedeutung kann man diesen Festspielen, die kein einziges fiir
die Gegenwart bezeichnendes Werk bringen, nicht beimessen. Die Dresdener Oper hat
ihre Absichten, das Gegenwartsschaffen nachdriicklichst zu pflegen, anscheinend aufge-
geben und ruht sich auf ihren Hoftheatertraditionen aus.
Von den beiden wichtigen Opernpremieren des Februar (Strawinskys „Oedipus"
und We ills „Zar") ist an anderer Stelle die Rede. Darmstadt machte den interessanten
Versuch, Aubers „Stu.mme von Portici" in einer Bearbeitung von Arthur Maria
Rabenalt und Karl Bamberger als Revolutionsstuck in modernem Rahmen aufzu-
fiihren. Auch die Berliner Staatsoper Unter den Linden, die nun definitiv in den letzten
Tagen des April in ihrer neuen Gestalt eroffnet werden soil, wird die „Stumme" heraus-
bringen, wahrscheinlich mit Elisabeth Bergner in der Titelrolle.
Die musikaiische Sektion der Preuftischen Akademie der Kiinste berief in-
zwischen zwei neue Mitglieder : Igor Strawinsky und Richard Wetz. Den bahn-
brechenden Fiihrer der neuen Musik und den in seinen Grenzen gewifi schatzenswerten
Spatling der Neuromantik. Die Wahl beweist die Unmoglichkeit der gegenwartigen
Zusammensetzung der Akademie. Entweder ist die Berufung in die Akademie lediglich
die staatliche Bestatigung fiir die Erreichung einer gewissen Altersgrenze, unbeschadet
der Originalitat und allgemeinen Bedeutung des kompositorischen Schaffens, oder sie ist
die hochste staatliche Auszeichnung fiir die wirklich schopferischen Musiker der Zeit,
die sich zu positiver Arbeit zusammenfinden. Ein Kompromifi zwischen beiden Prin-
zipien fiihrt zur Verwaschenheit, zu einem Zerrbild. Eine Akademie, in die zugleich
eine grofie und originale Personlichkeit wie Strawinsky und eine fiir das kiinstlerische
Gesicht der Gegenwart vflllig belanglose Epigonenerscheinung wie Richard Wetz gewahlt
werden kann, ist eine nicht lebensfahige, unproduktive Institution.
Heinrich Strobel (Berlin)
NACHRICHTEN
KLEINE BERICHTE Die Staats-Akademie der Kunstwissenschaften in
In Aachen ist eine „Gesellschaft zur Moskau verlieh der Fachabteilung „Tanz" derFolk-
Pflege neuer Musik" gegriindet worden. Den wangschulen Essen anlafilicn der IV. Internatio-
Vorsitz hat Generalmusikdirektor Dr. Peter Raabe nalen Ausstellung fur Bewegungskunst in Moskau
iibernommen. ein besonderes Ehrendiplom.
Am 9. Oktober 1927 wurde in Leipzig die Einer Mitteilung des Gewandhauses Leipzig zu-
Bruckner-Gesellschaft ins. Leben gerufen. Eine folge stellt ein soeben ergangenes Urteil des Reichs-
in dem vorliegenden Heft enthaltene Anzeige ladt finanzhofes fest, dafi — entgegen der bisher herr-
die Freunde Anton Bruckners zum Beitritt ein. schenden amtlichen AufFassung - konzertierende
NACHRICHTEN
147
Kfinstler nicht als „Angestellte" des Konzertunter-
nehmers zu gelten haben und infolgedessen der
Steuerabzug vom Honorar unberechtigt ist.
Unter dem Vorsitz von Heinrich Mann ist vor
kurzem ein „ Volksverb and ffir Filmkunst"
gegriindet worden, der ein iiberaus starkes Echo in
der Offentlichkeit gefunden hat. Am 22. Februar
stellte sich der Volksverband im „Capitol" in Berlin
einem geladenen Publikum in einer Kundgebung vor.
Die programmatischen Erklarungen wurden von
Heinrich Mann, Franz Kollerring und Bela Ballacs
gegeben. Der Verband wdl „ohne parteipolitische
Bindung, aber mit deutlicher Einstellung gegen alles
kiinstlerisch und politisch Reaktionare die Forderung
der wenigen unverlogenen, echten, dem Volke hel-
fenden, das Volk erschiitternden, das Volk erheitern-
den Filme."
AUFFDHRUNGEN
Im Mai findet im Landestheater in Braunschweig
die Urauffiilirung der Oper „Die Rache des ver-
hohnten Liebhabers" (Text von Ernst Toller)
von Friedrich Wilckens statt.
Die deutsche Erstauffiihrung von Janaceks
„Sach e Makropul os" findet an der Berliner
Staatsoper statt.
Das Stadttheater Aachen brachte Anfang Marz
Rimsky -Korssakof f s „Zar Saltan" zur
deutsclien Urauifiihrung.
Lothar Windspergers Violin-Konzert hatte
bei seiner Erstauffiihrung in Mainz bedeutenden
Erfolg.
Die Kroll-Oper wird unter Klemperer Hinde-
mith's Oper „Cardillac" noch in dieser Spielzeit
zur Berliner Erstauffiihrung bringen.
Am 15. Marz fand in Wiesbaden die Urauffiilirung
des „Trio fiir Bratsche, Heckelphon und Klavier" von
Hindemith und der „Sonate fiir Bratsche allein"
von Windsperger statt.
Ernst Toch schrieb zur Feier des 100-jahrigen
Bestehens des frankfurter Liederkranz" ein Orches-
terwerk „Fanal", welches im Fest-Konzert zur Ur-
aufffihrt gelangte.
Paul Hindemith hat fur die Eroffnungsfeier-
lichkeiten des neuen Landerziebungsheimes auf der
Nordsee-Insel Spiekeroog eine neue Spielmusik fiir
Liebhaber-Orchester geschrieben, die am 24. Februar
anlafilich eines musikalischen Abends im deutsclien
Landerziehungsheim Schlofi Bieberstein (Bhon) unter
Leitung und Mitwirkung des Komponisten urauf-
gefiihrt wurde.
In Hamburg brachte Eugen Pabst Honeggers
„Skatink-Bink", Symphonie choreographique,
zur Urauffiilirung.
PERSDNLICHE NACHRICHTEN
Dr. Heinrich Besseler, Freiburg i. B. ist als
etatmafiiger a. o. Professor und Direktor des musik-
wissenschaftlichen Instituts als Nachfolger von Pro-
fessor H. J . Moser an die UniversitSt Heidelberg
berufen worden und hat die Berufung angenommen.
Dr. Friedrich G e n n r i ch hat sich mit einer An-
trittsvorlesung fiber „Moderne und mittelalterliche
Musik" an der UniversitSt Frankfurt habilitiert.
AUSLAND
Diese Rubrik befindet sich im Ausbau und soil systema-
tise auf alle Lander ausgedehnt werden.
Das Zentral-Exekutiv-Komitee der russischen
Sowjet-Union bestatigte den Entwurf eines fiir das
ganze Reich geltenden Gesetzes, der grundlegende
Anderungen im Autorenrecht und Urheber-
schutz einftihrt. Die wesentlichste Abweichung
von der bisherigen Begelung ist die Verliingerung
der Schutzfrist des Urheberrechtes von 25 auf
40 Jahre, wobei die Frist vom Erscheinen des
Werkes an rechnet.
Die Musik-Sektion des Staatl. Instituts fiir Kunst-
geschichte in Petersburg hat eine Bibliographic samt-
licher von 1917 bis 1927 in Rufiland erschienenen
Biicher und Aufsatze fiber Musik zusammengestellt.
Es ist eine Aufzahlung von fiber 3000 Arbeiten, die
in der Fach- und allgemeinen Presse veroffentliclit
wurden.
Vor ungefiihr 2 Jahren wurde von deutscher
Seite der Sowjet-Regierung ein Gesetzentwurf zur
Pruning tiberreicht, um der Vogelfreiheit der Geistes-
erzeugnisse in Ruftland ein Ende zu machen. Da
trotzdem in diesem Punkte bisher nichts geschehen
ist, wird aus Anlafi der deutsch-russischen Wirtschafts-
besprechung in Berlin vermutet, dafi hierbei auch
die Grundlagen einer Urheberschutz-Konvention fest-
gelegt werden. Ob diese Vermutung zu Recht be-
steht bleibt dahingestellt.
Kiirzlich fand in Warschau ein polnischer musik-
wissenschaftlicher Kongrefi statt, auf welchem die
„Polnische Musikwissenschaftliche Gesell-
schaft" gegrtindet wurde.
In Ktirze wird in Warschau die Erstauf-
fiihrung von Debussy's „Peleas und Melisande"
stattfinden.
In Wilna wurde eine neue Rundfunk-Sende-
station — die fiinfte in Polen — eroffnet.
An der UniversitSt in Budapest soil demniichst
eine Professur fiir Musikwissenschaft errichtet werden.
Das diesjahrige „Schweizerische Ton-
ic unstlerfest" findet am 21. und 22. April in
Luzern statt. Es wird u. a. Uraufffihrungen von
Beck, Schulthess, Schoeck, Honegger, David, Laquai,
Maurice und Burkhard bringen.
K. H. Davids Oper „Traum wandel" kam
Ende Januar in Ztirich zur Urauffiilirung.
Die sdiweizerieclie Erstauffiihrung von O.
Schoecks „Penthesilea" ist fiir den April
geplant.
148
MUSIKLEBEN
In Winterthur kam unter Scherchens Leitung J. S.
Bach's „Kunstder Fuge" — unter zum Teil
von W. Grasers Vorschlfigen abweichender Instru-
mentierung — zur Erstauffiihrung.
Das italienische Unterrichtsministerium wird von
Juli bis Oktober 1928 auf Capri eine Sommer-Musik-
hochschule errichten, in welcher auch Unterricht in
italienischer Sprache vorgesehen ist.
Das Amsterdamer Concert-Gebouw feiert im
April sein 40 jahriges Bestehen mit Auffuhrungen
einer Reihe von bedeutenden Werken.
Pressemeldung : „Der Amsterdamer Olympiade
ist eine Kunstschau sportlichen Einsclilags angegliedert,
die nicht nur Maler, Plastiker und Schriftsteller, son-
dern auch Musiker zur Einreichung geeigneter Ar-
beiten auffordert. Zugelassen sind Werke fiir Gesang
mit oder ohne Instrumentalbegleitung, Kompositionen
fiir ein Instrument mit oder ohne Begleitung, fiir
Kammer-Orchester, fur Symphonie- Harmonie- oder
Fanfaren-Orchester. Die Werke miissen von einem
sportlichen Gedanken inspiriert und nicht fiber eine
Stunde lang sein."
VERSCHIEDENES
Der grofie Internationale Au tor en-Kongr ess,
iiber den bereits in einigen Blattern ungenaue Nach-
richten erschienen sind, findet, wie uns der deutsche
Arbeitsausschuft mitteilt, in der Zeit vom 15. bis
25. April d. J. in Berlin in den Raumen des Herren-
hauses statt. Veranstalterin ist die „Confederation
Internationale des Societes des Auteurs et Com positeurs" ,
die sich im Jahre 1926 zum ersten mal in Paris, im
Vorjahre in Rom versammelt hat. Der deutsche
Arbeitsausschufi setzt sich zusammen aus der Ge-
nossenschaft deutsclier Tonsetzer (GDT), Genossen-
schaft zur Verwertung musikalischer Auffiihrungs-
rechte (GEMA) und dem Verband deutscher Biihnen-
schriftsteller und Biihnenkomponisten.
Das Zentralinstitut fur Erziehung und Unter-
richt in Verbindung mit der Arbeitsgemeinschaft fiir
das deutsche Chorgesangwesen (Deutscher Sangerr
bund, Deutscher Arbeitersangerbund, Reichsverband
gemischter Chore) und der Stadt Essen hat im Hin-
blick auf die bevorstehenden Reichstags- und Land-
tagswahlen beschlossen, die fiir den 14. und
15. April 1928 in Essen geplante erste Tagung
fur das Chorgesangwesen in den Herbst d. J.
zu verlegen.
Das bekannteste und reichste amerikanische
Musikinstitut, die New-Yorker Juilliard-Hoch-
schule fiir Musik, plant eine Zweiganstalt in
Dresden zu errichten, die den Schiilern eine besondere
Kenntnis des Opernrepertoirs vermitteln soil.
Das diesjfihrige Schlesische Musikfest
wird vom 1. bis 3. Juni in Gorlitz stattfinden. Als
Orchester sind die Berliner Philharmoniker ver-
pflichtet worden.
Das Hoch'sche Konservatoriuni in
Frankfurt a. M. begeht in Kiirze sein 50 jahriges
Jubilaum.
Ein bedeutsamer Han del -Fund wurde in der
gegenwartig im Britischen Museum befindlichen Musik-
bibliothek des Earl of Aylesford gemacht : Es handelt
sich um vier Manuscriptbande, deren Inbalt bislier
noch nicht veroffentlicht wurde und auch in der
groKen Ausgabe der Deutschen Handel-Gesellschaft
fehlt. Der Verlag B. Schott's Sohne brachte soeben
aus diesen Manuskripten 76 Stiicke fiir Clavicembalo
(Klavier) — ungefahr ein Driltel samtlicher bekannten
Klavierkompositionen Handels — in zwei Banden
heraus.
Das Preufiische Ministerium fiir Wissenschaft,
Kunst und Volksbildung hat fiir dieses Jahr 4 staat-
liche Chormeisterkurse in den einzelnen Provinzen
bewilligt. Sie finden zu gleicher Zeit und zwar in
der Woche vom 16. bis 21. April in den Stadten
Erfurt, Frankfurt a. M., Kiel und Konigsberg statt.
Die Eroffnung der Staatsoper unter den Linden
in Berlin ist nun definitiv auf den 28. April festge-
legt. Nach Mitteilungen aus dem Finanzministerium
stellen sich die Kosten des Umbaues auf 11 Millionen
Mark, gegeniiber der im Voranschlag vorgesehenen
Summe von 4,5 Millionen. Nach Ansicht der Sach-
verstandigen wird die Staatsoper die technisch weitaus
beste Btihne Deutschlands sein. Das Eroffnungs-
programm umfafit: Mozarts „Zauberfl6te", Wagners
„Meistersinger", Richard Straufi' „Rosenkavalier".
Namhafte Mitglieder der Vereinigung kiinst-
lerischer Biihnenvorstande planen einen Bund deut-
scher Buhnenbildner. Begriindet wird der Plan
mit dem Hinweis auf die immer grofiere Bedeutung
der Regieleistung im Theaterbetrieb, auf die Not-
wendigkeit, ein einwandfreies Niveau zu schaffen
und auf bedeutende kiinstlerische und wirtschaftliche
Vorteile.
Der Vorschlag einer Griindung eines Verb an des
Deutscher Stimmbildner und Gesangspada-
gogen hat aus alien beteiligten Kreisen weitgehende
Zustimmung erfahren. Die endgiiltigen Verbands-
Satzungen sollen auf der Tagung in Freiburg i. B.
festgelegt werden. Geschfiftsstelle des Verbandes ist
einstweilen: Arbeitsgemeinschaft Freiburger Gesangs-
padagogen, Freiburg i. B., Friedrich Ebert-Platz 1.
Die Folkwangschulen, Essen, Fachschule fiir
Musik, Tanz und Spraclie, die unter starker Anteil-
nahme des offentlichen Kunstlebens im Oktober v.
Js. eroffnet wurden, konnen mit Ende des ersten
Semesters ihre Arbeit durch iiberzeugenden Erfolg
belohnt und gerechtfertigt sehen. Zahlreich ein-
laufende Meldungen zu dem im April beginnenden
Sommer-Semester lassen ein starkes Anwachsen der
Zahl der Studierenden erwarten.
Das dritte Heidelberger Musikfest findet
unter Furtwanglers Leitung vom 23. bis 25. Mai statt.
149
JorgenBentzon
IHIHIIIillllllllllllllllllllllllliriimilluiHIIIIIIIItlltlllllllNIIIIHIIIIIIIllllllltllllHll'ilfi
Kammermusikwerke :
Sonatine fiir Flote, Clarin. u. Fagott, Op. 7
(Frankfurt. Intern. Musikfest 1927)
Partitur Mk. 2.-, Stimmen Mk. 5.50
Sfreichquartett Op. 3
Partitur Mk. 2. - , Stimmen Mk. 6.75
„Praeludio patetico"
Op. 11 fiir Streichquartett
[Partitur Mk. 1.80, Stimmen Mk. 5. -
„Etude rhapsodique"
Op. 10 fiir Englisch-rlorn Solo
Mk. 1.50
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Alleinvertrieb fiir Deutschland, Oeslerreicli, Ungarn,
Tschechoslowakei, Schweiz und Holland:
Fr. Kislner & C. F. W. Siegel, Leipzig
DEUTCHE MUSIKBUGHEREI
Ein volkstumliches Beethoven-Bucli I
Soeben erscheint :
BAND 63
Fi s die r - G r a z
Beethoven a I s M ens ch
Mit einer Bildnisbeilage
In Pappe Mk. 5. - , in Ballonleinen Mk. 7. -
Dies neue Beethoven-Buch fullt eine fiihlbare Lucke im
gesamten Bee tliovenschrift turn und wild jetzt, wo die
Woge der Beethoven-Begeisterung aus dem Feat-Jahre
1927 verrauscht, von alien stillen und steten Verehrern
de9 Meistera dankbar und freudig begriiftt werden.
Verlangte doch gerade das Thema „ Beethoven als
M e n s cli " ltingst nach der Darstellung durch einen
Dichter, der abseits von rein wissenachaftlicher Be-
trachtung aua seinem seehsclicn Unterbewufttsein
heraua sich in das menschliche Erleben einea Beethoven
zu versetzen vermag. Und dies Werk achenkt una
hier Wilhelm Fischer-Graz I
Vorratig in jeder guten Buch-
und Musikalien-Handlung 1
GUSTAV BOSSE, REGENSBURG
Wichtige Neuerscheinung!
ROBERT TEICHMULLER
und KURT HERRMANN
Internationale
Moderne Klaviermusik
Ein Wegweiser und Berater
Dieser Fiihrer gibt erstmalig einen urn-
fassenden Bericht iibcr das grosse Gebiet
der modernen Klavierli tera tur aller
Lander. Die Verfasser haben ein Werk von
grosser Bedeutung geschaffen. Mit Ver-
s t a n d n i a und Sorgfalt ist die Aus-
wahl getroffcn. Geistreiche treffende
Urteile iiber Komponiaten und ihre Werke
gestalten daa Buch zu einem unentbehr-
lichen Berater und zuverla ssigen
Fiihrer
Broachiert M. 4.- t in Ganzleinen gebunden M. 5.20
Gebriider Hug & Co.
Leipzig und Zurich
150
BRUCKNER - GESELLSCHAFT E. V.
Freunde Anton Bruckners!
Am 9. Oktober 1927 ist in Leipzig die Bruckner-Gesellschaft ins Leben gerufen worden.
Wohl hat das Werk Bruckners langst seinen festen Platz in der musikalischen Welt
erobert; aber ein grofier Kreis von Pflichten bleibt noch zu erfiillen. Die neugegriindete
Bruckner-Gesellschaft will, was bisher getrennte Verbande in hingebender Werbearbeit sich zum
Ziel gesetzt hatten, zusammenfassen und fur die Deutung der Person und der Interpretation des
Meisters in ihren Jahrbiichern ein zentrales Organ errichten. Ohne Biicksicht auf politische oder
sprachliche Grenzen will sie in der ganzen Welt der Propagierung Brucknerschen Wesens dienen.
Als wicbtigste Aufgabe hat sie sich die Herausgabe des Gesamtwerkes von Bruckner
gestellt ; eine peinlich genaue, traditionsgeleitete Textkritik wird das Werk Bruckners von alien
fehlerhaften Uberbleibseln reinigen und den Urtext liefern, der als Grundlage fur kiinftige
praktische Ausgaben zu dienen hat.
Das auf Bruckner beziigliche Schrifttum ist zu erganzen und fortzufiibren, um audi das
geistige Biistzeug fiir eine wirksame Brucknerpflege zu schaffen.
Die Pflege und Unterhaltung der Statten, die rait dem Leben des Meisters engstens
verkniipft sind, ist von ebenso grofier Bedeutung wie die Samndung oder Nachweisung aller
auf Bruckner beziiglichen Denkwiirdigkeiten und Archivalien.
Brucknerfeste, Gedenkfeiern und Vortrage sollen einen machtvollen Kreis von Bruckner-
freunden zu gemeinsamem Dienst an der grofien Sache einen.
Wir erwarten und benotigen dazu audi Hire Hilfe. Nur wenn unser Buf bei alien, die
es angeht, tatigen Widerhall findet, kann die weitgesteckte, so ungemein bedeiitungsvolle Auf-
gabe der Bruckner-Gesellschaft auf Erfullung rechnen. Wir erbitten daher iliren Beitritt, den
Sie ohne Zogern unserer Geschaftsstelle (Leipzig, Nurnberger-Str. 36) erkliiren wollen. Alles
Nfihere wollen Sie aus den Satzungen ersehen, die Ihnen die Geschaftsstelle auf Wunsch iiber-
sendet. Der Jahresbeitrag betrfigt bei Bezug der jahrlichen Verbffentlichungen (Jahrbuch und
ein bis zwei weitere Ausgaben) Mk. 12. — , ohne Veroffentlichungen Mk. 2. — . Mit Ihrer An-
meldung wollen Sie bitte gleichzeitig den Jahresbeitrag fiir 1928 (Mk. 12. - bzw. Mk. 2. — ,
fiir Dsterreich S 20. — bzw. S 3.40) auf das Postscheckkonto Breitkopf & Hartel Leipzig 2228
mit der Angabe ,.fiir die Bruckner-Gesellschaft" einzahlen.
Wir hoffen keine Fehlbitte zu tun und auf der im Friihjahr e.rscheinenden ersten Mit-
gliederliste eine stattliche Anzahl von Freunden Bruckners namentlich verzeichnen zu konnen-
Der Vorstand der Bruckner-Gesellschaft e. V.
Professor Max Auei
Vocklabruck
Dr. Carl Krieser
Leipzig
Dr. Hellmuth von Hase
Leipzig
151
Neue wertvolle
Ghormusik
(Mannerchor a cappella)
von
Erwin Lendvai
^...
.*■$
*
*.■■■'
rf
. >
Frohgesang
24 LIEDER UND GESANGE
ALLER VOLKER
1. Heimweh (Ungarisch)
2. Entschuldigt (Bohmisch)
3. Das AViedersehen (Italienisch)
. 4. Heimkehr von der Aim ( Schwedisch)
5. Trotz ura Trotz (Bohmisch)
6. Gesang der Hafenarbeiter (Russiscli)
7. Der Brautigam (Ungarisch)
8. Suomis Sang (Finnisch)
9. Hochlandssohn (Schottisch)
10. Das grofie Klagelied (Finnisch)
11. Die Latern ( Schwabisch)
12. Ach, wozu die Plage (Russisch)
13. Tanzliedchen (Vldmisch)
14. Es weht der Wind (Litauisch)
15. Der Tod von Basel (Deutsch)
16. Tremiung (Danisch)
17. Der Treulose (Bohmisch)
18. An der Mutter Wolga (Russisch)
19. Die Verlassene (Kroatisch)
20. Soldatentrinklied (Altfranzosiscli)
21. Der vertriebene Gaele (Schottisch)
22. Layeta (Katalanisch)
23. Das Muhlrad (Deutsch)
24. Kirchweih (Bohmisch)
Jeder Chor einzeln.
Partituren je M. - .80 bis M. 2. - .
Stimmen je M. -.20 bis M. -.40
Weltgesang
DEUTSCHE VOLKSLffiDER AUS
SECHS JAHRHUNDERTEN IN
FORM VON VARIATIONEN
1. Bankelsangerlied
(Forsters „Fnsche Liedlciii*, 1540)
2. Der Schlemmer
(„Lochheimer Liederbuch", XIV. Jalirhundert)
3. Das Bauerlein
(Volkstanz, XVII. Jahrhuiidert)
4. Trinklied
(Forsters „Frische Liedlein", 1540)
5. Unmogliche Dinge
(nach Rhaw, Bicinia 1545)
6. Das Lieben bringt grofi Freud
(Volkslied ans Schwaben)
7. Deutscher Tanz
(aus Phil. Heinhoferi Lautenbiich cm, 1603)
8. Alter Volkstanz
(aus Phil. Heinhoferi Lautenbiichern, 1603)
9. Die Bauern von St. Polten
(Werlins Liederwerk 1646, Text XVI. Jahrhuiidert)
10. Der Abschied im Korb
(aus dem Hessen-Darmstadtischcn)
11. Der verteidigte Htisar
(aus dem Lahn- und Diilkreis, um 1880)
12. Di e Katze auf dem Dach
(Tanzlied aus dem XVII. Jahrhundert)
Partituren zu Nr. 1, 2, 5 je Mk. 2.-,
zu Nr. 9 Mk. 2.50, die ubrigen je Mk. 1.50
Stimmen zu Nr. 7 je Mk. -.20; zu Nr. 1 u. 5
je Mk. -.40; zu Nr. 9 je Mk. -.50;
zu den ubrigen je Mk. — .25.
Verlangen Sie die Partituren zur Ansicht.
Ausfuhrlichcs Verzeiclinis Lendvaischer Chore kostenlos
B. SCHOTT'S SOHNE / MAINZ UND LEIPZIG
152
ZWEI WICHTIGE NEUERSCHEINUNGEN
R. VAUGHAN WILLIAMS
CONCERTO ACCADEMICO
fur Solo-Violine und Streichorchester
Partitur 15 s. — Ausgabe fur Violine und Klavier 7 s. 6 d.
Dieses Werk erregte bei der Erstaufmhrung durch Jelly d'Aranyi — der es gewidmet ist —
grofies Aufsehen und nocli mehr Bewunderung. In der zeitgenossischen Musik gibt es zu
wenig Werke Mr diese Besetzung und erst recht selten sind Kompositionen von solchem Werte.
Wirkungsvoll und doch ernsthaft; herb, aber mit Stellen von grofiter Schonheit; geschlossen
in Form und Ausdruck, doch voll rhythmischen Lebens.
JOHN IRELAND
FUNF GEDICHTE
von Thomas Hardy — In einem Band 5 s.
Diese Lieder (fur eine Singstimme und Klavier) wurden bereits vor einem Jahr von John
Goss und dem Komponisten uraufgefiihrt. Die Veroffentlichung wurde mit Spannung erwartet.
Ein neues Werk von Ireland ist an sich ein Ereignis, besonders nach einer so langen Pause.
Der Komponist hat in diesem Zyklus die Gehalte der letzten Gedichte Hardys musikalisch
belebt. Hire Stimmung ist ernst. Die Komposition zeigt alle Vorzuge eines Werkes, dessen
Erfolg von Dauer sein wird.
O X F
LONDON
Alleinige
ORD UNIVERS
Auslieferung fur D e u t s ch 1 a n d :
I T Y PRESS
95 WIMPOLE STREET W 1
HOFMEISTER, LEIPZIG
NEUERSCHEINUNGEN
. Ed.-Nr. 2490 M. 2. -
Fritz von Bose
op. 20 Suite Nr. 2 fur Klavier zweihandig
(Praludium, Scherzo, Rdmanze, Finale) . .
Franz Schubert
Samiliche Klaviersonaten in Neubearbeitung mit Fingersaiz und
Erganzungen von Walter Rehberg
Einzelausgabe Bisher erscliienen :
Sonate Nr. 3 Asdur Ed.-Nr. 2578 M. 2.-
Sonate Nr. 9 fmoll (erganzt von Walter Rehberg) . Ed.-Nr. 2584 M. 2. -
W. v. Bausznern
Duo fur 2 Klaviere zu 4 Handen ' Ed.-Nr. 2594 M. 4. -
Joh. Seb. Bach
Fantasie und Fuge in gmoll fur Orgel
Fiir 2 Klaviere zu 4 Handen ubertragen von Otto Singer
Ed.-Nr. 2496 M. 2.50
Durch alle Musikalienhandlungen (auch zur Ansicht) erhaltlich.
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Steingraber-Verlag, Leipzig
153
Neue Biihnenwerke
Komponist
Werk
Auffiilirungeii
Friedrick Wilckens
Die Rache des ver-
hohnten Liebhabers
(Ernst Toller)
Uraufflilirung im Mai 1928 am Landestheater in Braunschweig
Manuel de Falla
Ein kurzes Leben
New-York, Gera, Magdeburg, Osnabrfick, Moskau
Meister Pedros
Puppenspiel
In zahlreichen Stiidtcn des Auslandes u. a, New-York, Paris,
Ziirich, London, Antwerpen. In Deutsdiland: Kbln, Berlin,
Oldenburg, Dortmund
Paul Hindemith
Gardillac
Dresden, Mfindien, Berlin, Koln, Wien, Wiesbaden, Mannheim,
Halle, Darmstadt, Stuttgart, Diisseldorf, Augsburg, Oldenburg,
Essen, Elberfeld, Barmen, Hannover, Aachen, Prag, Gollia,
Worms, Weimar, Frankfurt a. M., Magdeburg, Erfurt .
Morder,
Hoffnung der Frauen
Stuttgart, Frankfurt u. M., Prag, Dresden, Liibeck, Essen
Das Nusch-Nuschi
Stuttgart, Frankfurt a. M., Prag, Diisseldorf, Essen
Sancta Susanna
Frankfurt a. M., Prag, Hamburg
Hin und zuriick
Baden-Baden, Darmstadt, Hagen, Heidelberg, Freiburg i. B.,
Dresden, Karlsruhe, Mainz, Dessau, Erfurt, Gotlia
E. W. Korngold
Violanta
An fiber 60 Bfihnen des In- und Auslandes
D er Ring des Polykrates
An fiber 60 Biillnen des In- und Auslandes
Die tote Stadt
An fiber 60 Bfihnen des In- und Auslandes
Das "W under der
Heliane
Hamburg, Wien, Berlin, Miinchen u. ca. 20 weiterc Bfihnen
Rudi Stephan
Die ersten Mensclien
Frankfurt a. M., Bocllum, Hannover, Minister i. W., Koln, Magde-
burg, Darmstadt, Mannheim, Gotha, Liibeck, Freiburg i. B.,
Krefeld, Nordhausen, Essen, Worms, Basel, Braunschweig
Igor Sirawinsky
Geschicbte
voni Soldaten
Berlin, Frankfurt a. M., Karlsruhe, Aachen, Osnabruclc, Baden-
Baden, Kassel, Darmstadt, Diisseldorf, Plauen, Charlottenhurg,
Heidelberg, Minister i. W., K61n, Dessau, Hagen, Barmen. Elber-
feld, u. a. Ferner.in alien bedeutenden Stadlen des Auslandes
Reinecke (Renard)
In zahlreichen Stadten des Auslandes; in Deutsdiland bisher:
Berlin (Staatsoper), Darmstadt
Russische
Bauernhochzeit
(Les Noces)
In Deutsdiland bisher nur Konzertauifuhrung in Frankfurt a. M.
Ernst Toch
Die Prinzessin
auf der Erbse '
Baden-Baden, Darmstadt, Hagen, Danzig, Heidelberg, Mainz,
Dessau, Stettin, Gotha
B. Schott's Sonne, Mainz
154
In die Universal-Edition iibergegangen
HEILIGE TONKUNST
Musikalische Veroffentlichungen des Verbandes der Vereine katholischer
Akademiker zur PJlege katholischer Weltanschauung
Herausgegeben von Professor WALTER BRAUNFELS, Direktor der Hochschule fur Musik in K61n.
Die Sammlung „Heilige Tonkunst" hat es sich zur Aufgabe gesetzt, Meislerwerkc religioser Tonkunst, die nach
den letztcn sachlichen und kiinstlerischen Kriterien ausgewahlt sind, fiir den Gebrauch in Kirche, Konzert nnd Haus
in mustergulligen Ausgaben bereitzustellen. Die Veroffentlichungen untersclieiden sicli somit grundlegend von
Zwecksammlungen, die ohne hohere kiinstlerisciie Zielsetzung entstanden Bind.
Bis jetzt sind erschienen:
Band I:
Altniederldndische Motetten fiir
A-capella- Chor
U. E. Nr. 9301 Partitur (mit unterlegtem
Klavierauszug) Mk. 4. —
U. E. Nr. 9302 a/d Chorstimmen a Mk. - .80
Hier finden sidi erlesene Proben aua der Blutezeit der
religiosen Musik seit PalesLrina zum erslenmal vereinigt.
Band II:
Geistliche Arien fiir hohe Stimme
von W. A. Mozart
Mit 2 Kadenzen von Walter Braunfels
U. E. Nr. 9203 Mk. 4. -
Dieae Sammlung aller wichtigen, in den teilweise nur
schwer zuganglichen Biinden der Gcsamtausgabe ver-
steckten geiathchen Arien Mozarts wird in den weitesten
Kreisen lebhaft begriifit werden.
Band III:
16 Alte geistliche Gesdnge fur
Mannerchor
U. E. Nr. 9304 Partitur (mit unterlegtem
Klavierauszug) Mk. 4. —
U.E. Nr. 9305 a/d Chorstimmen a Mk. -.80
Dieaer Band enthiiU, teilweise zum erstenmal veroflentlicht,
Perlen religioser Chorliteratur fiir 3 und 4 Manners timm en
sowie doppelchorige Kompoaitionen aus der Zeit der
klassischen Polyphonic
Band IV:
Geistliche Gesdnge fiir Mannerchor
von Jacob Handl
U. E. Nr. 9306 Partitur (mit unterlegtem
Klavierauszug) Mk. 3. —
U. E. Nr. 9307 a/d Chorstimmen a Mk. - .60
Die vorliegenden Proben von Kompo9Uionen fiir gleiclie
Stimmen wollen dem Mannerchor neue Anregungen geben.
Demnachst erscheint:
Band V:
Altdeutsche geistliche Chorlieder aus dem XVI. Jahrhundert
Fiir gemischten Chor.
Durch jede Musikalienhandlung zu beziehen.
Prospekte mit genauer Inhaltsangabe der einzelnen Bande gratis.
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ein genauea Verzcichnis seiner Lieder mit Angabe
des S timmumfanges jedes einzelnen Liedes, Preis-
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stimmen fiber Kodalys Liederkomposidonen.
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geschichte der Musik am
Anfang des 20. Jahrhunderts
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rer Zeit. Das entscheidende Buch ist
soeben in 6. bis 10. Auflage erschie-
nen, nachdem die ersten Auflagen
in kiirzester Zeit vergriffen waren :
HERWARTH WALDEN
EINBLICK IN KUNST
Halbleinen gebunden nur Mk. 2.50
75 ganzseitige Abbildungen der
Hauptwerke der Expressionisten,
Kubistenund Futuristen aller Lander.
Unentbehrlich fur jeden, der die
Kunst der Gegenwart kennenler-
nen will. Umi'angreichstes Bilder-
mateiial der f'uhrenden Meister.
Das Manifest der internationalen
EXPRESSIONISTEN
156
„Eine der kostlichsten Buffo-Opern der neuen Zeit"
(Alfred Baresel)
,Der Zar
vr
(.(.
la&t sich photo graphier en
Opera buffa in einem Akt.
Text von G e o r g Kaiser.
Musik von
KURT WEILL
Urauffiihrung unter Leitung von Gustav Brecher und Walter Briigmann
am Neuen Theater in Leipzig am 18. Februar 1928.
AUS DER PRESSE:
„Weill wird mit dem Zaren sein Gliick machen .... nach Kreneks „Jonny" ein neues
Erfolgstiick der modernen Oper" (Berliner Tageblatt, Karl Westermeyer)
„Ein geschlossener musikalischer Organismus" (Berliner Borsen-Courier, Heinrich Strobel)
„AUerbester Komodienstil in dieser Partitur" (Deutsche Allg. Zeitung, Walter Schrenk)
„Ein kostlicher Groteskstoff' (Berliner Morgenpost, Rudolf Kastner)
„Ein iiberaus wirkungsvolles, witziges und unterhaltendes Stuck"
(Leipziger Neueste Nachriditen, Adolf Aber)
„Von innen her musikalisch durchleuchtet" (Berliner Borsenzeitung, R. A. Sievers)
„Tango Angele : Kiinstlerisch geformter Zeitgeist. Die populare Wirkung des Stiickes ist
nicht abzusehen. Jeder wird sich diese Platte kaufen." (Thiiringer Allgemeine Zeitung)
10 Tage nach der Urauffiihrung angenommen in: Altenburg, Dessau,
Dortmund, Diisseldorf, Frankfurt, Gei'a, Stettin, Mainz.
ERSCHIENENE A US GAB EN:
U.-E.-Nr. 8964 Klavier-Auszug mit Text Mk. 10. -
U.-E.-Nr. 8965 Texthuch Mk. - .50
IN VORBEREITUNG: Tango Angele, fiir Klavier.
Die Grammophonplatte „Tango Angele" ist von der Firma „Parlophon-Beka"
hergestellt und ini Handel erschienen.
Illustrierter Prospekt mit weiteren Pressestimmen gratis von der j
UNIVERSAL-EDITION A. G., WIEN-LEIPZIG
157
MARTIN
SCHLENSOG
Unsere grofie Siincle
und schwere Missetat
Passionsmusik I'iir Chor und Solostimnien
a cappella.
BA Nr. 85 Partitur Mk. 1.20. - Sfinger-
nartitur Mk. 0.50 (bbi Mindestabnahme von
50 Stiick.
Martin Schlensog ist tief in den Geisl poly-
phoner Musik eingedrungen. Das beweist
dieses scheinbar ^ohue jeden Zwang ,,ei-
horte Werk", von dessen tieferlebter Ver-
bundenlieit mit dem Geisle der Passion jeder
erfafit werdcn wild, der eriisthaft dem Vi'erke
nabetritt. Eine der wertvollsten Erschcinungen
fiir Kircheninusik der letzten Jahre.
(Zeilschrift fiir ev. Kirebenniusik)
Von Martin Schlensog ist ferner erschienen :
Zions Stille soil sich breiten
Motette fiir Chor und Solostinmien a capella
BA Nr. 86, Partitur Mk. 1.20. Sanger-
partitur Mk. — .50 bei Mindestabnahme von
10 Stiick.
Sechs kleine Stiicke
cine Passacaglia und eine Partita fiir zwei
Violinen zuni Spiel fiir Anfiinger und als
Vorschule zur klassischen Duettmusik.
BA Nr. 131, 28 Seiten, Preis Mk. 2.40.
Hoclizeitskantate
fiir Einzelstimmc, Chov und Instruniente.
BA Nr. 143, 40 Seiten, Partitur Mk. 3. -
Serenata im Walde zu singen
Worte von Matthias Claudius. Fiir eine
Solostimme, vierstiramigen Chor und Streich-
orchester (3 Geigen und Cello). Partitur
BA 83, Mk. - .80. Ins trumcn talstimmen
neuerschienen : Preis fiir jc I Stimnie
Mk. -.25.
IM
BARENREITER-VERLAG
ZU KASSEL
Hermann Reutter
TANZ-SUITE
op. 29
Kir Klavier zu 2 Handen Mk. 2. —
Landler
Walzer aus der Ferae
Tarantella
Spanischer Tanz
Valse Boston
Shimmy
In dieser sechsaatzigeu Suit**
sind nntionalc und inodische
Tfinze vereinigt. Bei jedeni
gibt Reutter den Extrakt der
melodischen u. rhythmischen
Besonderheiten. Von seiner
Eigenes formenden Hand gc-
stnltet, entsteht so ein Wcvk
von ho ch stem Reiz, don -
technisch nur niittelscliwei -
— jeden Spicier vor dank-
bare Aufgnbcn slellt.
B. Schott's Sohne, Mainz u. Leipzig
KURT HERBST
JAZZ
ETtfDE
FOR
KLAVIER
Ein mit leichter Hand geschrie-
benesamiisantes Stiick, das die
rhythmischen u. melodischen
Besonderheiten des Jazz sich
geistvollzunutzemacht -
fiir den fortschrittlich
orientierten Unter-
richt eine iiber-
aus wertvolle
Erganzung
M.
1.50
B. Schott's Sohne, Mainz u. Leipzig
158
DAS NEUE WERK
HIRAUSOBGeBEN VON
PAUL HINDEMITH
FRITZ DODE///
HANS NIERSMANN
GEMEINSCHAFTSMUSIK
FUR JUGEND UND HAUS
1. Paul Hindemith, Lieder Fur Singkreise, Opus 43 u
Vier Lieder zu drei Stimmen nadi Gediditen von Platen, Rainer Maria Rilke
und Matthias Claudius Singpartitur M. —.00
2. Ludwig Weber, Hymnen zu gemeinschaftlidiem Singen und Spielen
In versdiiedener Besetzung fur Kinder=, Frauen=, Manner^ und gemisditen
Chor, teilweise audi mit Instrumenien Singpartitur M. 1.20
3. Paul Hindemith, Spielmusik fur Streidiorchester, Floten und
OboCn OdUS 43^ Studienpartitur mit Spielanweisung (Hockner) M. 2.50
Stimmen zus. M. 3.50 / Jede Stimme einzeln M. — .40
4. Paul Hindemith, Schulwerk des InstrumentaUZusammenspiels,
Opus 44
fur Sdiuler^OrdSester, Spielkreise und Liebhabervereinigungen, sowie fiir den
Instrumentalunterricht an < Musiksdiulen und Konservatorien
I Neun Stiicke in der ersten Lage fur den Anfang
fur zwei Geigen oder zweistimm, Geigendior Spielpartitur M. —.80
II Adit Kanons in der ersten Lage fur wenig Fortgesdirittene
fiir zwei Geigen oder zweistimmigen Geigendior mit begleitender
3. Geige oder Bratsdie .Spielpartitur M. 1.20
III Adit Stiicke in der ersten Lage fiir Fortgeschrittenere
fiir zwei Geigen, Bratsdie und Violoncello <einze(n und chorisch besetzt)
Studienpartitnr M. 2.- — / Stimmen zus. M. 2.50 / Jede Stimme einzeln M. — .75
IV Fiinf. Stiicke in der ersten Lage fiir Fortgesdirittene
fiir Streidiorchester
Studienpartilur M. 2. — / Stimmen zus. M. 3. — / Jede Stimme einzeln M. — .75
B. SCHOTT'S SOHNE MAINZ • GEORG KALLMEYER VERLAG WOLFENB0TTEL
159
FOIKWANGSC
IEN EtIE
Leiiung: MAX FIEDLER RUDOLF S C H U LZ - D O R N B U R G.
FACHABTEILUNGEN
MUSI*
Oreliesterscliiile 9 OpemscLiule 9 Kir-
ohenmusik 9 Seminnre 9 Theovio 9 Solo-
u;0horgesa.ng9 Alie Insiriimentnlfiteher9
TANS
Voi'DereiiangBkurao 9 A-iishlld. f. Billine
u. LehrberuE 9 TanzcHoi schule 9
SPRACHE
Sprachscuule 9 Solmuspielschule ©Laien-
sprechlmrse 9 Spvtoliclxorsclmle 9
LEHRK0RPER
Dr. H. Erpl (Leuer) • W. Berten # H. Bmch 9
H. Drews 9 B. Fiedler 9 0. Gerster 9 K. R. Glater
8 A. Hardbrter9 Prof. F. Jods (a. 0.| ( F. Lehmann
A. Nowa ows*i 9 E. Poti 9 A. La Roche 9 A.
ichvtiendorf • L. Webei • W. Woefil 9 u. a. m.
Kurt Joos (Leilui' 9 E. BrUnauer
9 S, Leeder 9 I- Urjan u. a. m.
E. Hamacher
K. Tidlen 9 E. Hamacher
Thalholf u. a. m
9 V. MSnckeberg 9 A.
Werl>escliriftoii aureli das Secretariat : lissf n.I'i'icdriclistralli) 9
FACHSCHUIE FUR MUSIK / TANZ / S PR AC HE
In Ktirze erscheiril :
Ausgabe Kallmeyer Nr. 6
Ludwig Weber
Musik nach Volksliedern
Heft I
Stiicke fur gemischteu Chor.mit unci ohne Iustrumente
12 Seilen Quail
1. Tad.
Pai'titur etwa RM. 2.50
I n h a 1 1 :
Tagelied: AVacb auf, wach auf / Sterben ist eine harle Pcin
una mache / Alles neu macht der Mai.
Bestell-Nr. 258
rComm, lieber Mai
Arniin Knub iiber Ludwig Webeis M CliristgelMirl" :
Hiei' isl die Wie der geb u r t des Volksliedes a us dem GeisLe eines von- der
neuen Tonkunst herk o mm en den Musikers. Die bewundernswerte Einfachheit und
Originalitfit seiner . Losungen beweisen ein von jedem Schulgeschmack befreites Konnen. Die
garnicht zu iiberschS tzende Bedeutung liegt in der seit B a cb s Tod erst-
inaligcn Verscbm el z un g von Kunstmusik nnd Volksiu usik, die den Weg zu
einer aus den Quellen des Volkstuma gespeisten aber die letzten Mittel einer vergeistigten
Tonspraebe einschliefienden Musik weist, die nicht mehr nur Gebildeten oder Fachleuten
zugiiuglicb ist, sondern alien Volksgliedern.
Georg Kallmeyer Verlag Wolfenbiittel - Berlin
IdC
LOTHAR
WINDSPERGER
Ans seincm Schnffen :
KLAVIER
Lumen am oris. Ein Zyklus vouFanthaien
und Fantasietten, op. 4
Symphoniache Fnntnsic M. 3.- / Cupriccio
pnssionato M. 2.- / Rommize M. 2.- /
Ballode M. 2.- / Albumblntt HI. 1.50 / Fnn-
lasic M. 2.- / Elcgic M. 1.50 / Scherzo M. 2.- /
DrnmDtisclieSzeneM.2.- / Intermezzo M. 1.50 /
Humoreske M. 2.- / Apotheose 3.-
Sonalc cis- mo 11, op. 6 . . . M. 4. —
15 B a g a 1 e 1 1 e n , op. 7, 3 Hefte je M. 2. -
Polonaise f i s - m o 1 1 , op. 8 Nr. I M. 2.25
1 . H h a p s o d i e b - m o 1 1 , op. 9 Nr. 1 M. 2. —
Dcr m y t h i s ch e Bninncn. Ein
Zyklusv.7Klavierstuckcn,op.27 M. 4. —
Son a te C-dur, op. 28 . . . . M. 5. -
Fa ntasietten -Suite, op. 35 . M. 5.^-
Klein e Klaviers tiicke, op. 37
Heft I M. 2.5(i
iN e ii e Quinten-Uhr f ii r die
Jugend, 24Praludietten, op. 40
(in Yorbcreitung)
KLAVIER UND ORCHESTER
Klavier-Konzert, f-moll, op. 30
VIQLINE UND ORCHESTER
V i o 1 i n - K o n z e r t . op. 39
ORCHESTER
Konzert-Ou vert iire G-dur , op. 17
Symphonie a- moll, op. 22
Vorspiel zu ein em Drama, op. 29
AiilRUiriingsiiiatei-inle, sowck keine Preisc angegobcn
sind, leihweiae. Parti turen zu Studicnzerken noch
besonderer Vcrcinbnrung.
B. Schott's Sohne
M ainz und Leipzig
A. GLAS
IIIIIIIIIIIIIIUIIIIHIIIIIIItllllfllllllllllNIIIIIMIIIIlllllllilllllHIIIIIIHiniHIHIIIIIMIIIIIIIIIIIIIU
DAS SPEZIALHAUS
FUR GUTE MUSIK
i itMin iiiii nt i I11MH1II iiiiMiiin iLiiiiiiiiiiniMii iinii mil III1IIIIMIHIMIII1I ti iiiinn
B.
weist erneut daratif hiu, daft es
samtliche "Wevke des Vedages
Schott's Sohne, Mainz
vorratig halt.
*
Besonderer Beach tung bediirfen die
Werke der zeitgenossischenKomponisten
Butting, de Falla, Grainger, Grel-
chnninoff, Hans, Hindeinith, Jnrnnch,
Korngold, Kreisler, Milhaud, Ravel,
Scott, Strnwinsky, Toch,Weigl, Winds-
perger iisw., die jederzeit nnverbindlich
eingesehen werden konnen und auf
Wunsch ansichtpweise zur Verfiigung
gestellt werden.
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MELOS
ZEITSCHRIFT FUR MUSIK
SCHRIFTLEITUNG: PROF. DR. HANS MERSMANN
Alle Sendungen fur die Schriftleitung und Besprechungsstiicke nach Berlin-Grunewald, Neufertallee 5 (Fernspr. Uhland 3785) erbeten,
Die Schriftleitung bittet vor Znsendung von Manuskripten urn Anfrage mit Riickporto. Alle Reclite fur samtliche Beitra'ge vorbehalten,
Fiir Anzeigen und Verlagsmitteilungen verantwortl. : Dr. Johannes Petschull, Mainz / Verlag : MELOSVERLAG {B. Schott's Sohne)
MAINZ, Weihergarten 5; Fernsprecher 529, 530; Telegr. : Scotson; Postscheck nur Berlin 19425 / Ausliefenmg in Leipzig: Linden-
strafie 16/18 (B. Schott's Sohne) / Druck: B. Schott's Sonne, Mainz
Die Zeitschrift erscheirit am 15. jeden Monats. - Zu beziehen durch alle Buch- und Musikalienhandlungen oder direkt vom "Verlag.
Das Einzelheft kostet 1. - Mk., das Abonnement jahrl. (12 H.) 8. - Mk., viertelj. (3 H.) 2.50 Mk. (zuzugl. 15 Pf. Porto p.H., Ausland 20 Pf. p. H.)
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ZUM INHALT
Die Frage einer Filmniusik steht noch im Stadium erster Klaruug. Die Un-
zulangliclikeit der meisten bisher vorliegenden Losungen ist erkannt. Neue Wege werden
von verschiedenen Se.iten aus gegangen. Um die Begriindung der technischen, geistigen
und musikalischen Basis der Filmniusik bemiihen sich die Aufsatze des Hauptteils.
Neben der weiter im Ausbau befindlichen Rubrik AUSLAND wird jetzt von an der
BUNDFUNK und alle mit ihm zusammenhangenden Probleme in einer besonderen
Rubrik auftreten. Die verschiedenen, vorlaufig noch auseinanderstrebenden Tendenzen
der Sendegesellschaiten, die immer wachsende Bedeutung der Musik und der Musik-
erziehung im Badio A'erleihen alien damit zusammenhangenden Fragen grofite Gegen-
wartigkeit. Der mit der laufenden Berichterstattung beauftragte Mitarbeiter unserer
Zeitschrift wird spater regelmafiig einen Uberblick liber die musikalischen Programme
aller Gesellschaften geben.
In den anderen Teilen des Heftes steht das Problem der Kritik noch immer im
Vordergrunde. Wir A r eroffentlichen mit besonderer Genugtuung eine Zuschrift aus dem
Kreise unserer Leser, die zu der Frage der Gemeinschaftskritik Stellung nimmt, als
Ausdruck gesteigerten Interesses an diesem Teil unserer Arbeit.
Die Schiiftleitung
162
Tonkunstlerfest 1929
des Allgemeinen Deutschen Musik -Vereins
(Opernfestwoche und Kammermnsikfest in Duisburg)
Oper von jeher
ein Sorgenkind des
A. D. M. V.
Einladung der Stadt
Duisburg
Gesnmlplan der Opern-
festwoche.
Gewahr fur eine wiir-
dige Darstellimg der
angenoimnenen Opern.
AutTulirungsiiiatcrial.
Anfruf an alle Opern-
koniponistcn,
Einse n dungs -
hediiigungcn.
Pruning und Riickgobe.
Weitere Ausgestaltung
des Tonkunstlerfestes
1929.
Kamm e rinus i k fe s t.
Zukuuftszicle.
Von jeher ist die Ftirderung des drama tisch en Sdiadens unsever Zeit vom A. D. M. Y. nls
cine besonders voidringlichc Aufgobe angcselien worden. Iraracr wieder wurde — dankbar
sei hier besonders unscrer verstorbenen Milglicdcr Karl Storck und Paul Marsop gcdacht —
in den Hauptversammlungen erwogen, wie man dieser Aufgabe gerecht werden korine. Trotz
eifriger Bemiihungen und trotz der Ansammlung cines eigens diesem Zweck gewidmeten
„Richard Wagiicr-Fonds", der in der Inflation leider wegsehmolz, mufite die Oper bei den
Tonkunstlcrfcsten i miner inchr oder weniger im Schattcn stehen.
Nidit genug dankbar kann duher der Verein der Stadt Duisburg sein, die ihm fiir das
Jahr 1929 die kunsllcrischcn und niianziellen Mitlel zur Yerfiiguiig stcllen will, urn in ganz
grofiziigigcr Weisc der Musik im Rahnien des Theaters ein cigenes Fest zu widmen.
Die Opernwodie soil zuniichst tlrei Werke umfassen, deren Auswahl dem A. D. M. V. allein
zusleht. Dicsc drei Opernwerke sollen dem zeitgcnossisdien SchaiTen angehoron und miiglidist
nodi nicht aufgefiihrt sein. Zur Abrundimg der Opernfestwoche wird die Duisburger Oper dem
A. D. M. X. aus ihrem Spiclplan weitere Werke vorschlagcn, von denen der Yorstand drei gc-
eignete aussucht. Hierbci werden einestcils solche AYerke beriicksiditigt werden. die der breiten
Olfeiitliehkcit unbekannt sind, AYerke, die der Musiker gern eiumal aid" der Biiline sehen mtidite:
andernteils solche, die fiir die Arbeit der Duisburger Bulinc besonders charakler'Stisch sind.
Durch eingehende Prul'ung des ki'mstlerischen Niveaua der Duisburger Oper hat sich
der Yorstand des A. D.M.Y. davon uberzcugt, dafi die A'orbedingiingen fiir eine wiirdige Wicdcr-
gabe audi ansprudisvollstei- AYerke im Rahnien der Opernfestwoche gegehen sind; er wird audi
im Einzeliien daruuf lialten. daK die drei endgiiltig ausgewahllen Opern eine besonders snrg-
laltige, in Musik, Ausstattung uud Regie uiukcll'reic Aiiu'iihruiig erlidiren.
Damit von der Heteiligiing an der Opcrnieslwodie niemand ausge.sddossen ist, hat sich die
Stadt Duisburg bereit erklart, auf Wunsch die Kosten fiir die Ilerstellung des Notcnnialcrials
der angenonimeneii Wei'ke zu iiberiiehmen.
Das schoiie Ziel, welches sich der A. D. M. X. und die Stadt Duisburg gesteckt haben,
namlich einen Uberblick fiber die heute wirkeuden Kriifte zu geben, die fiir cine A\ eiler-
entwieklung der Oper in Frage koimnen. kann nur erreichl werden, wenn der Plan durdi eine
wirklich allgemeine Beteiligung aller in Frage kommenden Faktorc
M. V.
ell en.
rich Let daber an alle Operiikomponisten
l unterstiitzt wird. Der
das Ersueheu, ilne AYerke
Interesse der Behorden
an dem Plan.
A'orstand des A. D
zur A r erfiigung zu
Werke, welelic bei der Opernfestwoche beriicksichtigt werden sollen, konnen vom 1. April
ah beim Schriflfuhrer des A. D. M. X., Herrn Hermann Bischoif, Miinchen, Haydnstralae 6/1
cingereidit werden. Der Einreiebungstermin endet am 1. Juni. Auf vorherige Anfrage konnen
in der Zeit vom 1. Juni bis 1. September noch AYerke eingereicht werden; die Annahme biingl
in diesem Falle davon ah, oh es noch moglich ist, das UraulTiihrungsmaterial fertig zu slellen.
Der Sendung ist das ncitige Riiekporto beizulegen. Im Ausland lebende deutsdie Komponisten
wollen hierfiir die Form des interuationalen Portosclicines (Coupon-Reponse International) wiihlcn.
Autoren, die dem A. D. j\|. V. noch unbekannt sind, wollen einen kurzen Lebenslauf mil
Angabe des Studienganges beilegcn.
Zur Einsendung geniigen vorliiufig Klavierauszug und Textbucb. Bei unvollendet ehigc-
reiditen Wcrkcn muli zum niindcsten eine rechtzeitige Fertigstcllung durcb die Pevsonlichkeit
des Autors gewahrleistet sein. In Betraelit kommen nur deutsche AVerke. Die Einsendung
mchrercr Werke desselben Komponisten ist zuliissig. Die Einsendung erfolgt unter Namens-
nennung, also nidit anonym. Ohne daft bereits aufgcfuhrle Werke grundsiitzhcb ausgeschlossen
sein sollen, bebauptcn docb AVerke, die nodi nidit aufgefiihrt sind, den A'orrang.
Die Priifung erfolgt durdi den A. D. M. X. Ehigcreichte AVerke konnen vor Entschcidung
der Priifungskommission wedcr zuriickgezogen noch ganz oder in Bruchstiicken anderweitig zur
Auffiihrung gehradit werden. Der A. D. AI. A r . verspricht sdinclle Erledigung tier Priifuiigs-
arbeit und ungesaumte Riickgobe der nicht angenommenen AYerke.
DaR bei der starken Inaiispruchnahme des Duisburger Ordiestcrs durdi die Opernfcstwodie
nidit daran zu denken ist, audi noch Ordiestcrkonzerte zu veranstalten, ist ohne weiteres ein-
lcuchtend. Man mag das bedaucrn; aber das von Duisburg dem A. D. M. A r . Angebotene ist so
aulJergewohnlich, daiA der Vorstand glaubte, es verantworten zu konnen, wenn das sinfonische
Schaffen einmal ein Jahr iibergangen wurde.
Dagegen werden die Kammermusikveranstaltungen wic jedes Jahr stattiinden. Der Termin
zur Einreicbung der hierfiir bestimmlen AVerke — audi Kompositionen fiir Orgel und fiir Chor
a capella kommen in Betraelit — wird, wie iiblich, nadi Ablauf des Tonkunstlerfestes 1928
bekannt gegeben werden.
Der Allgemeine Deutsdie Musikverein sieht in der Neugestultung des Tonkiinstlerfcstcs 1929
die Moglidikeit einer zukiinftigen Erweiterung seiner Ziele. Sollte der geplante Charaktcr der
A^eranstaltung sich bewahren, so wird der A. D.M. X. in regelmaliig wiederkehrenden Abstiinden
weitere Feste anberaumen, die der Oper in besonderer Weise gewidmet sind. Allcrdings bedarf es
zum Gelingen des Werkes nicht nur der Unterstiitzung der musikalisch Sdiaffenden, sondern
audi des ollgemeinen Antcils der gesamten Musikwell. Der A. D. M. A r . riditet daruni an alle
Komponisten, alle musikalisch Interessierten und an alle Musikfreunde die Bitte, das „Ton-
kiinstlerfcst 1929" (Duisburger Opernfestwodie und Kammcrmusikfest) durch Bekanntmachung
und Propagierung der hier gekennzeichneten Ziele cifrigst zu fordern.
Das Preufiische Ministerium fiir Wissensdiaft, Kunst und A r olksbildung bat sein Interesse
an dem Plan zum Ausdruck gehradit.
MUSIK
Guido Bagier (Berlin)
DER AKUSTISCHE FILM
Sein Wesen und seine Bedeutung
1.
Das Problem, den stummen Film zum lebendigen Klang zu erwecken, ist so alt
wie die Kinematographie selbst. Die ersten Kritiken des Liclitbilds setzen an ihm
seine Stummheit aus und weisen daraufhin, dass die Bewegungen von Mensclien ohne
Laut, von Gegenstanden ohne Klang stets unnaturlich wirken miifiten. Hetite herrscht
allgemein die Ansicht, dafi gerade die Lautlosigkeit des bewegten Bildes die Phantasie
des Beschauers besonders anrege.
Bereits in den Jahren 1897 bis 1901 arbeitet Edison heftig daran, den Ton dem be-
wegten Bild hinzuzufiigen. Er benutzt seine Erfindung der Schallplatte, die er durcli einen
sinnreichen Mechanismus mit dem Vorfiihrungsapparat des Kinos kuppelt. Das Haupt-
problem hierbei war stets die Gleichzeitigkeit oder die Synchronitat von Bild und Ton.
Sie konnte mit dieser ersten primitiven Methode nur annahernd erreicht werden,
aufierdem genugte die mangelnde Qualitat des Trichtergrammophons nicht, um einen
befriedigenden, auch nur annahernd naturgetreuen Klang zu gewahrleisten. Andere
Lander und Erfinder, wie Messter in Deutschland und Pathe in Frankreich, bemiihten
sich gleichfalls um die Losung die9er Frage, aber auch sie vermochten nicht ihre
Apparate in einer fiir die Praxis befriedigenden "Weise zu vervollstandigen.
Die Entwicklung ruhte vollig bis mit dem Aufkommen gewisser Erkenntnisse auf
dem Gebiete der Elektrotechnik ganzlich neue Ausblicke der Aufzeichnung und Wiedergabe
akustischer Eindriicke sich offneten. Es lag nahe, diese Dinge und Konstruktionen, die
unter dem Begriff Badio rasch die Welt eroberten, auch dem Film dienstbar zu machen.
Wie heute einwandfrei feststeht, geht diese Bewegung von den drei deutschen Erfindern
Massolle, Vogt und Dr. Engl aus, die unter dem Nam en „Triergon" ihr aufierst
geistreiches Verfahren des sogenannteh „sprechenden Films" konstruierten. In
kurzen Worten beruht diese Methode auf folgenden Gedankengangen : Die akustischen
Schwankungen der Atmosphare werden durch ein besonders konstruiertes statisches Mikro-
phon, wie der Erregungsapparat dieser Erfinder sich nennt, in elektrische Schwankungen um-
gewandelt. Diese werden sodann durch eine geistreich konstruierte „Aufzeichnungslampe"
in Lichtschwankungen transformiert, welche wiederum als sogenannte Schwarzungen in
Form eines Phonogramms auf dem Celluloidstreifen selbst neben dem Bild fixiert werden.
Um fur dieses Phonogramm Platz zu schaffen, wurde der gewohnliche Filmstreifen von
35 mm auf 42 mm erbreitert, so dafi neben der Perforation Baum genug fiir diese
Klangaufzeichnung iibrig blieb. Von der Kompliziertheit und Empfindlichkeit dieser
Methode kann man sich einen Begriff machen, wenn man beriicksichtigt, dafi in einer
Sekunde 20000 und mehr Eindriiclce festgehalten werden! Diese Empfindlichkeit ge-
wahrleistet allein die proportionale, gleichmafiige Erfassung samtlicher niederer und
hochster Schwingungen oder Frequenzen. Die Wiedergabe bedient sich des umge-
kehrten Weges: In dem Vorfuhrungsapparat lauft der Fdmstreifen unter einer Photo-
164
GUIDO BAGIER
zelle vorbei, welche die Lichtschwankungen in elektrische Energien zuriickverwandelt.
Diese werden sodann durch besonders konstruierte Lautsprecher in den Raum ge-
worfen. Audi die Wiedergabe mufi sich entsprechend der Aufnahme hochempfindlicher
Apparate bedienen, um einen moglichst natiirgetreuen Ton zu erzielen. Das Triergon-
Verfahren konstruierte hierfur sogenannte : „ S t a t o p h o n e ", d. h. Flachenlautsprecher
in Serien von mindestens 4, die jeweds nach den Frequenzen abgestimmt sind. Hier-
durcb wird ein verbliiffend naturgetreuer und zugleich lautstarker Ton erzielt, der in
der Lage ist, mxihelos den grofiten Raum zu fiillen und zugleich durch eine sinnreiche
Steuerung sich den jeweiligen Verbaltnissen anzupassen.
Neben der Arbeit dieser deutschen Erfinder sind eine Reihe auslandischer Ver-
fahren zu nennen, die auf ahnlichem Wege sich bemiihten das Problem des akustiscben
Films zu losen. In Europa ist vor alien Dingen das Verfahren der danischen Erfinder
Petersen und Poulsen zu erwalmen. Im Gegensatz zum Triergon-Verfahren bedient sich
die Aufzeichnung des Tons eines besonderen Filmstreifens, der bei der Aufnahme und
Wiedergabe synchron mit dem Rildstreifen gekuppelt wird. Die Wiedergabe selbst ver-
wendet eine Selenzelle. hi ahnlicher Form konstruierte der Amerikaner Lee de Forest
ein Verfahren, das den gewohnlichen Filmstreifen benutzt und den notwendigen Raum
zur Aufzeichnung des Phonogramms durch die Verkleinerung des Rildes gewinnt. Die
amerikanische Fox-Film-Corporation konstruierte in allerletzter Zeit unter dem Namen
Movietone ein System, das sich, ausgehend vom Triergon-Verfahren, in geschickter Weise
der verschiedenen Erkenntnisse bedient und gemeinsam mit diesem fiir die praktische
Arbeit ungeahnte Ausbliclce erofmet.
Aber audi die Verbindung des Bildstreifens mit der Schallplatte wurde nach dem
alten Vorbild von Edison erheblich gefordert. Das System ,,Vitaphone", das in New
York von Warner Brothers gemeinsam im Western Electric entwickelt wurde, kombiniert
den Bildstreifen mit der elektrisch aufgenommenen und elekrisch wiedergegebenen
Platte, deren Laufzeit bis auf 40 Minuten erhoht wurde. Ahnliche Wege beschreitet
das sogenannte Breusing Verfahren, das in Deutschland vom Lignose-Film bearbeitet wird.
Es ist ldar, dafi fiir die Praxis die Tonaufzeichnung auf dem Film den Vorzug
verdient. Hier wird der Ton gleichzeitig mit dem Film geschnitten, beim Reifien des
Films kann geldebt werden, ohne dafi die Synchronitat verloren geht. Fernerhin wird
die Qualitat des Tons durch die Verwendung blofier Liclitschwankungen erheblich ge-
starkt. Selbstverstandlich konnen von dem Negativ beliebig viele Kopien hergestellt
werden, so dafi die Vertriebsmoglichkeiten des Tonfilms denen des stummen Films
voUig gleichkommen.
Die Verwendungsmoglichkeiten des akustischen Fdms sind noch nicht abzusehen.
Eingangs wurde darauf hingewiesen, dafi die Gegner des sprechenden Films gerade die
Stummheit des bewegten Bildes als besondere Qualitat rvihinen und die kunstlerische
Verwendungsmoglichkeit in ihr begriinden. Man mulS sich dariiber ldar sein, dafi prin-
zipiell mit dem akustischen Fdm eine neue Gattung entstehen wird, dafi somit
die Produktion auf voUig neue Voraussetzungen und Wirkungen aufzubauen ist. Es
ist selbstverstandlich, dafi von dem Darsteller, der neben dem mimischen Element audi
den sprachlichen oder musikalischen Ausdruck beherrschen mufi, ganz anderes zu ver-
DER AKUSTISCWE FILM 165
langen ist, als vom ublichen Filmschauspieler. Versuche, die ich wahrend der letzten
Jahre als Leiter der Tonfilmabteilung der Ufa mit dem Triergon-Verfahren anstellte
zeigen klar den Weg, der hier zu beschreiten ist.
Wir begannen zunachst mit Aufnahmen rein musikalischer Natur: Mit beriihmten
Sangern, Pianisten, Geigern und anderen Instrumentalisten. Die Regiearbeit, die hier
zu leisten war, erforderte vor alien Dingen ein Hochstmafi an Disziplin sowohl vom
technischen, wie kiinstlerischen Personal. Der betreffende Sanger kann nicht, wie auf
der Buhne, sich frei im Raum bewegen, sondern mnfi genau auf die Distanzen, die das
Mikrophon ihm vorschreibt, Rvicksicht nehmen. Er mufi fernerhin dasselbe Stuck in
genau der gleichen Weise ofters wiederholen, damit neben dem akustischen Eindruck
gewisse filmische Wirkungen in Schnitt und Bildeinstellung erzielt werden konnen. Die
ihm ungewohnte Schminke, die Hitze der Lampen und andere, den an die Buhne Ge-
wohnten storende Umstande tragen nicht dazu bei seine Leistungsfahigkeit zu erhohen.
Es ist ' selbstverstandlich, dafi wahrend der Aufnahme selbst im Atelier vollige Stille
herrschen mufi, da jeder storende Laut mitaufgezeichnet wird. Die Anweisungen des
Regisseurs konnen nur durch Lichtzeichen gegeben werden, deren Pragnanz und Viel-
seitigkeit im Vergleich mit dem gesprochenen Wort sehr begrenzt ist. Noch schwieriger
wird die Technik dieser Aufnahmen, wenn es sich um ein Ensemble oder eine Szene
von zwei und mebr Personen handelt. Je grofier der Raum ist, desto genauer miissen
seine akustischen Verhaltnisse ausprobiert werden, um eine gleichmafiige Tonqualitat
zu erzielen. Wenn man sich vergegenwartigt, wie lange Zeit der Rundfunk darauf ver-
wendete die Senderaume auszugestalten und auszuprobieren, so ermifit man die Schwierig-
keiten, die hier angesichts fast stiindlich wecbselnder raumlicher Verhaltnisse vorhanden sind.
Trotzdem werden diese Hemmungen tiberwunden werden mussen, da die Praxis
und das offentliche Interesse immer gebieterischer nach einer lebhaften Produktion von
Tonfilmen verlangt. In erster Linie ist hier natiirlich die Teilnahme der Offenthchkeit
an aktuellen Personen und Vorgangen zu nennen, die durch den akustischen Film ab-
solut und naturgetreu aufbew r ahi't w^erden konnen. Verfugte man jetzt iiber Tonbilder,
die uns eine Phantasie von Beethoven, eine Rede Bismarcks in Wort oder Ton und
Bild gleichzeitig zeigen, so wiirde dieser Besitz einen unnennbaren historischen Wert
darstellen. Und seltsam: Gerade diese Art Aufnahmen sind relativ am leichtesten
herzustellen, da sie muhelos im Freien nur wenige Minuten Konzentration von der auf-
zunehmenden Person benotigen. Ich erinnere mich einer Aufnahme des Ministers
Stresemann, die gelegentlich der kinematogi-aphischen Ausstellung in Berlin gemacht
wurde. Der Apparat war im Garten des Auswartigen Amts aufgesteUt worden. Der
Minister ging zur Mittagszeit hiniiber zu seiner Wohnung in der Villa jenes Gartens.
Er trat vor den Apparat, hielt seine Ansprache und schon waren Bild und Ton fur
immer mustergtiltig fixiert. Als ihm zwei Tage spater diese Aufnahmen vorgefiihrt
wurden, bemerkte er lachend, er brauche nunmehr keine politischen Reisen
mehr zu machen, da er ja eine Filmrolle statt seiner entsenden konne, aufierdem hatte
diese Methode den Vorteil, dafi er durch niemanden in seinen Ausfiihrungen unter-
brochen werden wiirde. In ahnlicher nicht minder einfacher Weise wurden u. a. noch
Tonbildaufnahmen von Ludwig Fulda, Wilhelm v. Scholz, dem bekannten Berliner
Kritjker Alfred Kerr, den Komponisten Franz Schreker und Arnold Schonberg herge-
166
GUIDO BAGIBR
stellt. An grofieren Ensembles sind Aufnahmen der Berliner Staatsoper mit Tino
Pattiera als Bajazzo, Heinrich Schlusnus als Figaro zu nennen. Audi grofie Chore bis
zu 400 Personnen wurden niiihelos in Bild und Ton festgehalten. Aus dem Ausland
wird berichtet, dafi Movietone Sprachaufnahmen des Prasidenten Coolidge, des Duce
Mussolini, des Prinzen von Wales, Gesangsaufnahmen v6n Frieda Hempel und eine
Beihe besonders origineller musikalischer Spielszenen herstellte. Nachdem nun die
technische Basis vorhanden ist, wird es sich jetzt darum handeln, grofiere Projekte
durchzufiihren, die das eigentliche filmische Element mit den akustischen Moglichkeiten
in geschickter Weise verbindet. Hier eroffhet sich fiir unsere prominenten Schauspieler
und Sanger ein reiches Feld neuer kunstlerischer Ausdrucksmoglichkeiten.
Neben der Entwicklung dieses neuen Stils wird der Tonfilm noch ein anderes
Problem zu losen berufen sein, das jedem um die Entwickelung der Kinematographie
ernstlich Besorgten mancherlei Muhe und Zweifel verursachte. Die Verwendung von Musik
als Begleitung ist jedem Einsichtigen unumganglich, aber die Art der Verwendung der Ton-
kunst in den Kinotheatern erweckt immer neue Bedenken. Das, was als „musikalische
Dlustration" zu Spielfilmen geliefert wird, besteht in der Mehrzabl der Falle aus der be-
kannten losen Aneinanderreihung vonKompositionsteilen, die willkurlich dem Zusammenhang
der verschiedensten Werke entnommen wurden. Wenn auch in grofieren Lichtspielhausern
die Art dieser musikalischen Untermalung oft einen hohen Grad der Vollkommenheit
erreiclit, so ist sie in kleineren Kinos umso primitiver und anspruchsloser. Hier setzt
die Erfindung des Tonfilins entscheidend ein : Durch die Fixierung und beliebige Ver-
vielfaltigung des Tons ist es moglich, in absehbarer Zeit zu jedem Film eine originale
musikalische Begleitung mitzuliefern. Das Ideal dieser Begleitung, die selbstandige
Komposition zu jedem grofieren Film, wird mit dieser Verwendungsmoglichkeit erheb-
lich nahergeriickt werden. Die Mechanisierung des Klangs wird dann nicht mehr-storen,
wenn diese Komposition sich der spezifischen Klangqualitat des Tonfilms anpafit. Es
lafit sich denken, dafi im Gegensatz zur sogenannten Kunstmusik hier eine Gebrauchs-
musik entsteht, die das erste Gebot jeder guten Fdmbegleitung berucksichtigt: Den
Film nicht durch irgendwelche anspruchsvolle Untermalung zu behindern, sondern nur
eine kaum merkliche Klangausfullung seiner Stummheit zu geben. Die im Anfang auf-
zuwendenden Mittel fiir diese mechanische "Wiedergabe werden sich rasch durch die
erheblichen Ersparnisse amortisieren lassen. In Amerika hat man gleichfalls mit dieser
Art von musikalischer Filmbegleitung den Anfang gemacht. Nach dem ersten Versuch
des Don Juan-Films von Warner Brothers kommt soeben die Fox-Film-Corporation
mit einer Filmbegleitung fiir den Film von Murnau „Sonnenaufgang" heraus, die von
dem Philharmonischen Orchester in New- York in Starke von 140 Musikern gespielt
wurde. Diese Aufnahme stellt das Vollendetste dar, was bisher auf diesem Gebiete ge-
leistet wurde. Es ist anzunehmen, dafi diese epochemachende Tatsache bald ihre all-
gemeine Wh'kung ausiiben wird.
Man sieht, da6 der Traum Edisons seiner Verwirklichung nahekommt. Es wird
die Aufgabe Europas und besonders Deutschlands als Ursprung der musikalischen
Produktion sein, hier fuhrend zu arbeiten und gemeinsam mit den internationalen Er-
findern das kiinstlerisch und aesthetisch auszuwerfen, was jene technisch in jahrelanger
Arbeit vorzubereiten wufiten!
FILMUSIK UND KUNST 167
Hans Luedtke (Berlin)
FILMMUSIK UND KUNST
Musik zum Film nimmt im Leben der Gegenwart einen derart breiten Raum ein,
da£ sicli ihren Problem en kein ernster Musiker entziehen dtirfte. Das mag nicht an-
genehm sein. Aber eine Welt- und Massenindustrie fragt nicht darnach. Darum sollten
die Hiiter der Tonkunst nicht beiseite stehen und die Nase riimpfen, sondern retten,
was kunstpolitisch wesentlich erscheint.
Wir stehen doch erst am Anfang. Die Fdmwelt ist vor rund 30 Jahren ent-
standen, und heute wachsen allerorts Kinopalaste aus der Erde. Ist das etwas andres
wie die Zeit, als zwischen 1600 und etwa 1630 in Italien ein Opernhaus nach dem
andern erbaut wurde ? Damals zog die Oper die begabtesten Kopfe ihrer Zeit an sich.
Doch wir lacheln iiber ihre Partituren. Erst hundert Jahre spater erschien der Oper
ein Handel.
Einen ahnlichen Tongestalter elementarer Massenerlebnisse hatte der heutige Film
notig. Denn er ist industrielle, mechanisierte Darbietung fur Massen. Konnen wir er-
warten oder hoffen, dafi heute schon Voraussetzungen fur dieses Genie existieren ?
Kaum. Aber Klarheit mufi herrschen, ob uberhaupt reine Kunstleistung innerhalb der
Filmmusik denkbar und praktisch zu ermoglichen ist.
Wenn ja, so ist Filmmusik als Gesamterscheinung wie eine Pyramide, die vom
Handwerk als breitem Unterbau, iiber Kunstgewerbe hinweg, ansteigt zu einem Gipfel
von Kunst. Dann lohnt es sich immerhin, zu arbeiten und einer Idee zu dienen.
Auch unendlich viele mindere Gebrauchsmusik der Kirche war Mitbedingung fur
das Entstehen von einigen Bachsclaen Kantaten und Orgelwerken hochsten absoluten
Kunstwertes. AUerdings laftt sich schopferisches Genie weder erzwingen noch voraus-
berechnen.
Aber die Moglichkeit einer Fdmtonkunst steht und i'allt mit der Moglichkeit, ihre
architektonische und rhythmische Gestaltung mit dem Kaleidoskop eines Bddfilm-
ablaufes zu vereinen, die seelische Schwingungsdauer musikalischen Ausdrucks auf gleiche
Phase oder Welle abzustimmen, wie sie der entsprechende Bildstreifen besitzt.
Von vornherein wird damit zu rechnen sein, dafi im Ernstfalle der gestaltende
Musiker bisweilen in den Bildschnitt hineinzureden gezwungen ist. Wenn er dies bis-
lang noch nicht darf, so ist das dem Fachniann aus entwicklungsgeschichtlichen Griindeii
der Filmindustrie nicht verwunderlich. Aber ebenso zwangslaufig wird sich auch eines
Tages eine Anderung dieses Zustandes ergeben.
Wenn es sich um den Aufbau im Grofien handelt, so lafit sicli heute schon maU-
gebenden Personen begreiflich machen, welche Hindernisse eine Filmszene der Anlage
eines Musilcfinales u. dergl. in den Weg legt. Oft genvigte dem Musiker schon ein
Mehr oder Weniger von einigen Metern oder eine bestimmte Veranderung des Bild-
tempos. Meist ist Zeitmangel an solchen Versaumnissen Sclruld.
Uberhaupt kommt der Musiker zu spat an den Film heran, wenn dieser schon
fertig gestellt ist. Das zu andern, ist eine Organisationsfrage, die durchaus losbar
ist, sobald leitende Stellen die Zeit gefunden haben, sich auf sie aufmerksam machen
zu lassen.
-,#-
168 HANS LUEDTKE
Da Organisation erst recht bei Musikern zu wiinschen iibrig lafit, so ist verstand-
lich, dafi diese fiir ihre eigne Arbeitstechnik hochst mangelhafte Unterlagen besitzen.
Unmoglich kann man stets gute Einfalle haben, wenn man den Film meterweise nach-
recbnen mufi, wenn man keine graphische Ubersicht besitzt, wie etwa die Tanzschrift fiir
die Pantomime. Hat doch jeder Opern- und Liederkomponist seinen bestimmten Text vor
sich. Solche Hilfsmittel anzufordern, hat noch keine der heutigen Grofien bedacht
Man brauchte jedoch nur einen rollenden Papierstreifen zu haben, auf welchem
wahrend des Anblicks vom Film blofies impulsives Fingerklopfen oder -Zucken ent-
sprecliende Akzentstiitzen oder ein Kurven-Auf und -Ab notiert. In einem solchen
Rhythmogramm besafie der Musiker die geringsten Einzelheiten und zugleich die Ge-
samtubersicht iiber den Film.
Warum sollte er dann nicht dazu eine Musik komponieren konnen, so wie Richard
Straufi eine Salome „mit Haut und Haaren" vertont hat? In jedem Liede von Hugo
Wolf sind, unbeschadet der Gesamtanlage, harmonische und melodische Wendungen
feinster Art zu finden, die gleichsam im Vorbeigehen einzelne Textwendungen ton-
malerisch beleuchten. Ebenso wenig leidet die Monumentalitat in Handels Oratorien,
in Rachs Kantaten unter solchen Tonmalereien und rhythmisch-metrischen Finessen.
Nur wird Reethovens Wort oberstes Gesetz bleiben miissen : „Mehr Empfindung als
Malerei".
Genau so konnte ein Filmkomponist die grofie Linie wahren, sobald er seinen
Weg weifi, und dennoch „im Vorbeigehen", also ohne Unterbrechung des Gesamtmelos,
durch eine Chopinsche Koloratur oder einen Zweiunddreifiigstellauf innerhalb eines
Adagios, durch einen einzigen leeren Ton oder einen kurzen Taktartwechsel und hundert
andere Mittel Wunder wirken.
Allerdings herrschen voiiaufig bei filmischen „Sensationen", Kampfen, Elementar-
ereignissen u. a. gewisse „Furioso"-Larmstiicke, deren „iiberwaltigende" Tonfluten jedes
Geftihl fiir Vortrag, Dynamik und Phrasierung vernichten. Nicht wenige Musiker
wiirden gerne zeigen, dafi es anders auch geht. Aber ehe hier nicht Rresche geschlagen
und dem Mutigen offentliche Hilfe geleistet wird, ist nicht zu hoffen, dafi Aus-
iibende und Publikum sich iiberhaupt wirklicher Musik nahern. Zwar empfindet es
jeder Reteiligte als Erlosung, wenn der Larm unterbleibt oder wenigstens gedampft
wird. Aber mangelnde Selbstdisziplin, die Abstumpfung des Tages und vor allem Angst
vor dem eignen Mute reifien immer wieder hinein in furchtbare Toniiberschwemmungen.
Wie wichtig ware es da, wenn Aufienstehende helfen und ermuntern wiirden, statt zu
verachten !
Dafi die wenigen Erkennenden noch weniger in die Tat umzusetzen vermfigen,
wird aufierdem bei jeder Kategorie heutiger Filmmusik durch anders geartete Ursachen
mitbedingt.
Die durchschnittlich geiibte, zusammengewiirfelte Illustration, d. h. die Kinotheken-
praxis iibt ein Kunstgewerbe aus, welches nie auch nur den Ehrgeiz schopferischer
Kunstleistung in sich tragt. Obgleich den Meistern des Faches bisweilen Momente gliicken,
die an „prastabilisierte Harmonie'.'" zwischen Fdm und Musik glauben lassen. Aber Der-
artiges ist Gliickssache von Sekundendauer. Wichtiger ist, aus den Fehlern der Methode
zu lernen.
FILMMUSK UND KUNST 169
Denn mag sie auch fiir den GroGteil aller Filme stets beibehalten werden miissen,
wed diese nur als Geschaftsprodukt in Frage komnien, jedenfalls fangt sie beim ver-
kehrten Ende an :
Sie will fertige, teste Musikschablonen mit individuellen Filmerzeugnissen ver-
binden. Fdmtonkunst kann das nie sein. Aber die Virtuositat, mit der solche musika-
lischen Mosaiksteincben dirrch verschiedene Verschachtelung zur Wirkung gebracht werden.
der Instinkt, mit welchem ihre Verwandschaft und ihr Grofienmafi abgeschatzt wird,
wachst von Tag zu Tag. Und stiinde das ungeheure Arbeitsmaterial fur experimental-
psycliologische Untersuchung zur Verfiigung, so wiirden wohl schon einige typische, viel-
leicht gesetzmafiige Beziehungen zwischen Bddschnitt und musikalischem Formenaufbau
zu Tage liegen.
Die eigens komponierte Originalmusik krankt an dem Gmiidiibel, daS sie zu spat
bestellt wird. Glaubt trotzdem der Musiker rechtzeitig fertig zu sein, so wird im letzten
Augenblick bestimmt der Fdm geandert, weil die Zensur ein Machtwort spriclit u. a. m.
So werden stets die Orcbesterproben statt zu Vortrags- zu blofien Korrekturproben
grobster Stimmenfehler.
Aufierdem werden solclie Urauffiihrungen mit grofiem Aufwande herausgebracht,
aber in den nachsten Kinos mit stark verkleinerter Besetzung weitergefiihrt, deren
Notenmaterial wiederum erst im letzten Augenblick fertig wird. Auch hier ware es
Aufgabe ofTentlicher Facbkritik darauf hinzuweisen, dafi es nicht auf die Grofie des
Orchesters ankommt, sondern auf die gleichbleibende Qualitat der musikalischen Aus-
fiihrung. Sonst bleibt der Begriff Kammermusik im Kino unbekannt. Vorlaufig gelten
weniger Mann stets nur als „Ersatz" fiir ein „volles" Orchester.
Besser wird es der solistische Improvisator auf Klavier und Orgel haben. Zwar
dem Klavier fehlt die Farbe und Tonfiille fur grofiere Biiume. Aber die moderne Orgel
vermag die feinsten rhythmischen Akzente und Schwellungen zu geben sowie blitzschnell
in Tonfarbe und -Starke zu wechseln. Sie ist einem einzigen WiHen untertan. Der
Vortrag kann gut vorbereitet sein, aber aucb improvisatorisch geandert werden. So
konnte sie leicbter als Orchester tonmalerische Originalmusik mit fliefiendsten Uber-
gangen und formgebundenem Aufbau bringen.
Sie befindet sich eben erst in aufsteigender Entwicklung und ist noch mannigfachen
materiellen Hemmungen und Feindseligkeiten sowie geistigen Vorurteilen ausgesetzt.
Noch ist keine Entscheidung abzusehen, was notwendiger ist: Die Uberlegenheit der
Orchestermusik an vertikaler Farbschichtu'ng und Akzentversti'euung oder die Uberlegen-
heit der Orgel an tonmalerischer Anpassungsfahigkeit.
Der tonende Fdm endlich hat natiirlich phantastische Moglichkeiten. Sein Haupt-
vorted ist die Selbstverstandliclikeit, mit der er von Natur aus synchron mechanisierbar
ist. Jedoch selbst wenn er technisch auf idealer Hohe ware, so behielte das Parallelitats-
problem von Musik- und Filmform auch fiir ihn voile Geltung: Schwingungsdauer und
Phasenverlauf musikalischer und optischer Seeleneindriicke miifiten auch bei ihm in
Ubereinstimmung gebracht werden.
Alle Versuche, um ganze Opern usw. mittels „sprechenden Films" darzustellen,
werden an dem hierdurch bedingten inneren Widerspruche scheitern und eher in die
Nahe des Panoptikums als der Kunst fiihren.
170 GIUSEPPE BECCE
Wiirden jedoch Bild und Ton mit Hilfe rhythmographischer Akzentstiitzen in
volliger Kongruenz kiinstlerisch mit einander entworfen, wiirde der Synchronismus und
die Naturtreue der Tonfilmtechnik nur technisch zugunsten verschiedener Gerausche,
Tonmalereien usw. ausgenutzt, wfihrend man im iibrigen fur tonenden Film gleich einer
spezifischen Orchesterklangwelt original komponierte — — so konnte Filmmusik mehr
werden als blofie atmospharische Stimmungskomponente, so mufite sie gleichberechtig-
ten Eigenwert mit dem Reize optiscber Parallelitat paaren.
Alle Arbeit, Mtihe und Kosten konnten auf das einmalige Gelingen des tonenden
Filmbandes verwandt werden. Die Wiedergabe ware durch gleiche mecbaniscbe Struktur
wie beim Bildfibn sichergestellt. Das ware das Ideal einer Filmtonkuns.t. Vielleicht ist
seine erste Morgenrote naher, als wir ahnen.
Giuseppe Becce (Berlin)
DER FILM UND DIE MUSIK .
Illustration oder Komposition ?
„Wir steben zweifellos am Beginn einer Entwickluug, bei der der Musik nicht wie
bisher die unwurdige, ihr Wesen und ihren Wert gefahrdende Aufgabe zufallt, eine be-
langlose Zutat zum Film zu bilden, sondern einen organischen Bestandteil des Fibnwerkes."
So scbrieb Max von Schillings im vorigen Jahre, nachdem er vorher Gelegenheit
gehabt hatte, sicb praktisch mit einem kiinstlerisch wertvollen Film (Hanneles Himmel-
fahrt) auseinanderzusetzen.
Und Bichard Straufi, der' zum Film „Boseiikavalier' : bekauntlicb die Musik scbrieb,
sagte gelegentlich der Londoner Rosenkavalier -Premiere : „"Wenn icb nur jung genug
ware, wiirde ich glucklich sein, spezielle Musik fur den Film schreiben zu konneu; aber
ich bin alt; dazu braucht man viele Jahre."
Ich zitiere absichtlich die Urteile dieser zwei bedeutenden Komponisten, wed sie
uns zeigen, dafi die Ansicbt, die Filmmusik sei eigentlich ein notwendiges Uljel, ja so-
gar ein uberfhissiges Anhangsel, mehr und mehr zu schwindeil beginnt.
Ja, die Filmmusik ist glucklich erweise nach vielen unfruchtbaren Versuchen dahin
gelangt, dafi Filmregisseur und Fdmproduzent ihre Bedeutung vollig anerkennen. Aus
den mir bekannten Fallen mochte ich zwei herausgreifen, in denen der Begisseur beim
Schaffen des Filnis stets auf das Wesen der Musik Riicksicht nahm, die die betreffende
Szene zu begleiten hatte. Murnau, dessen neuestes Fdmwerk „Sonnenaufgang" im
vorigen Herbst im Capitol, Berlin, die UraufFuhrung erlebte, erzahlte mir, dafi er viele
Szenen bewufit langer gestaltet hatte, weil er aus langer Erfahrung wufite, dafi sonst
die musikalische Linie bei diesen Szenen nicht zu volliger Entfaltung gekommen ware.
So schuf er diese Szenen unter einer Art visueller Musik, die zu der absoluten Musik
in einer gliicklichen Kongruenz stand.
Ebenso gestaltete Lamprecht die gi-ofie Liebesszene in seinem Film „Der Katzen-
steg" ganzlich unter Beriicksichtigung der begleitenden nielodischen Linie und ermoglichte
DEH FILM UND DI]E MU.SIK 171
dadurch die grofite Wirkung, die sonst sicherlich ansgeblieben ware. Die nachtliche
gespensterhafte Flucht durch den Wald und spiiter die Klage am Grabe der geliebten
Frau schuf er ebenso unter der einzig zulassigen Art, die dem Wesen der begleitenden
Musik Redlining tragt; unter einer Art visueller Musik, die ihre eigene Melodie, ihren
eigenen Rhythmus hat mid dem illustrierenden Musiker die Freiheit der Linie, die Mog-
lichkeit der Hohepunkte gewahrt.
Hiermit stehen wir bei der Frage: Illustration oder Komposition ?
Praktischerweise kommt fiir die meisten Filme nur die iibliche Illustration in Frage.
Es liegt im Wesen der ganzen Filmproduktion, dafi dem Illustrator nur sehr kurze
Zeit fiir die musikalische Begleitung des Films zur Vertugung steht. Was ist aber eine
Illustration ?
Man versteht heutzutage darunter die Zusammenstellung von vorhandenen Musik-
stiicken, die den betreffenden Fdmvorgangen den musikalischen Hintevgrund geben.
Friiher war die Illustration sehr primitiv. Der Illustrator nahm Stiicke aus Opern,
Operetten, aus Sinfonien etc. und flickte das Ganze zu einer „Begleitmusik" zusammen,
die an Geschmacklosigkeit und Stdwidrigkeit nichts zu wiinschen iibrig liefi. Ganz aus-
gemerzt ist diese musikalische Barbarei noch nicht. Jedoch mindestens in den grofieren
Fdmtheatern ist heute die Illustration einen Schritt weiter gekommen. Man hat Vor-
rate von Fdmmusik komponiert, und in den sogenannten Kinotheken katalogisiert.
Diese Kinotheken helfen zur Illustration typischer und immer wiederkehrender filmischer
Vorgange und Situationen. Sie bedeuten tatsachlich einen Fortschritt, weil sie erstens
aus filmischen Situationen entstanden sind und es zweitens. ermoglichen, ihre Lange der
jewedigen dynamischen Kurve eines Filmstreifens anzupassen. Der Illustrator kann sie
entstellen, dehnen, verkiirzen, instrumental verandern, urn sie zu einem Ganzen zu
Schmieden. Dieses ganze Ganze kann sehr wohl einen organischen Charakter erhalten
durch die erfahrene Hand des Illustrators, der die notwendigerweise entstehenden Nahte
geschickt zu kaschieren weifi.
Selbstverstandlich wiirde eine solche Hlustration erst dann ein einheitliches Gesicht
erhalten, wenn sie aus dem Material eines einzigen Ulustrations-Komponisten stamnien
wiirde. Dabei konnte der Fall eintreten, dafi eine solche Illustration manchmal viel-
leicht eine gliicklichere Losung ware, als eine Original-Komposition.
Fiir den wirklich wertvollen Kunstfilm aber kommt nur die Original-Komposition
in Frage. Dabei mochte ich von zwei Arten kiinstlerischer Filme sprecheu. Diejenigen
die in absoluter enger Beziehung zur Musik stehen und diejenigen, die trotz ihres kiinst-
lerischen "Wertes Szenen aufweisen, die keine Beziehung zur Musik haben. Die ersteren
sind begreiflicherweise aufierst selten. Bei den zweiten werden die betreffenden Stellen
immer zu einem Problem fiir den Komponisten. Streng kiinstlerisch genommen, miifite
die Musik bei solchen ,,musikalisch toten Stellen" schweigen. Komponist und Illustrator
sind bei solchen Stellen nur durch das „akustische Mufi" gezwungen, begleitende Musik
zu schaffen.
Einige Produzenten des kiinstlerischen Films haben dann und wann die Not-
wendigkeit einer Originalkomposition erkannt und so entstand in den letzten 14 Jahren
manche Filmmusik, die das Niveau der Filmillustration verbesserte. Leider mu6 man
feststellen, dafi diese Originalkompositionen (das gilt audi fiir manche gliicklich gehmgene
172
ERICH DOFLEIN
Illustration) nur in wenigen grofien Filmtheatern zu horen sind, manchmal sogar nut,
in einem einzigen Theater, wahrend der Film bei seiner Abwanderung in die kleineren
Theater seinem iibhchen bosen Schicksal iiberlassen wird.
Hier liegt ein Organisationsfehler vor. Es nfitzt keine Originalkomposition und
keine gute Illustration, wenn der Filmproduzent sich nicht entschliefien kann, zu seinem
Film (es kommen nur kiinstlerisch wertvolle Fihne in Betracht) em vollstandiges
Orchestermaterial zu liefern, wie es bei Opern, Operetten etc. geschieht. Dies aber
wird der nachste Schritt zur Hebung und Entwicklung der Filmmusik sein.
WISSENSCHAFT
Erich Do fie in (Freiburg i. Br.)
ENDE ODER UMFORMUNC DER KRITIK?
Im AnschluU an Eindriicke des Baden-Badener Musikfestes hatte ich einen ganz
grundsatzlich gedacbten Aufsatz fiber methodische Fragen der Musikkritik und Fragen
der Einstellung der Kritik auf die Musik unserer Zeit geschrieben. Dieser Aufsatz war
langst abgeschlossen, als inir eine bedeutsame Anregung zu Gesicht kam.
Die schon hier eimnal zitierte Wochenschriit ,,Die literarische Welt" brachte Ende
Dezember eine Polemik gegen Formen und Einstellungen der Kritik (der Kritik der
Kritikerstars) ; Anlafi war der 60. Geburtstag des beruhmten Theaterkritikers Alfred Kerr,
ein Fest, das zeitlich mit dem Selbstmord einer Wiener Schauspielerin, die von der ab-
lehnenden Kritik irgend eines Skribenten zu dieser Tat getrieben worden sein soil,
zusammenfiel.
Das Grundsatzliche dieser Polemik verdient an dieser Stelle Beachtung, ehe jener
allgemeinere Aufsatz zum Abdruck gelangt, *) da dort von einer theoretischen Stellung
aus betrachtet wird, was nunmehr jetzt schon aus Aktualitat heraus behandelt werden
kann, besonders auch in einem Augenblick, als in dieser Zeitschrift eine neue Form der
Kritik zur Tat wird. Man vergleiche auch den Aufsatz von H. Strobel im letzten Heft
dieses Jahrgangs.
Was mein erwahnter Aufsatz mit theoretischer, prinzipieller Einstellung zu formu-
lieren versucht, spricht Willy Haas in der „Literarischen Welt" mit aktueller Scharfe
und aus aktueller Bereitschaft heraus aus.
Er sieht die Opfer der Kritik, die Opfer, die um eines brillanten Witzes, einer
schriftstellerischen Pointe willen mit ihrer Sache zu Fall gebracht wurden. Er konsta-
tiert weiter die Tatsache einer nunmehr 30 Jahre wahrenden und in ihrem Niveau
*) Der Aufsatz „Uber die Grundlagen der Beurteilung gegenwarriger Musik (Kritik der Kritik ; Kritik und
Gemeinschaft)" wird im iibernachsten Heft erscheinen.
ENDE ODER UMFORMUNG DER KRITIK 173
stets wachsenden, genialen Kritik und stellt dagegen den offensichtlichen Verfall der
intellektuellen Theaterkultur. Tatsachliches Theaterleben (Bedeutung des Theaters fur
die Mehrzahl, der Menschen) und AusmaGe, Bedeutung und Geistigkeit der Kritik wider-
sprechen sich. Haas konstatiert die lacherliche Kluft zwischen Geistigkeit, Kultur, Vehe-
raenz der Kritik und der geringen Lebendigkeit des Theaters, jenes bestimmten Theaters,
das auf Kritik und Diskussion bezogen ist und sich vom amerikanisierten Theater der
Massenunterhaltung unterscheidet. Je „geistvoller" ein Kritiker, desto unno tiger ist im
Grunde heute sein Werk. Eine eindeutige, wenn auch sicherlich immer zu geschwinde
Uberlegenheit haben dem grofien Kritiker unserer Zeit eine einzigartige Position ge-
schaffen, einen einzigartigen Thronsessel aufgerichtet, der mit einzigartigen absolutis-
tischen Bechten ausgestattet ist; er darf regieren, kommandieren, hohere Weihen
spenden, er darf noch Orden verleihen und fiir vogelfrei erklaren . . . Mafilose Bechte,
die von der Zeit selbst heute immer mehr bezweifelt werden. Es tritt gerade an den
Geistigsten die Forderung heran: auf den iiberall bereitstehenden Thronsessel zu ver-
zichten, Heifer zu werden, Glied der Verbindlichkeit zwischen Kunst und Menschen; er
mufi aufhoren, den lacherlichen Glauben der Lesermasse an die Unfehlbarkeit des ge-
druckten Wortes weiterhin eitel auszunutzen; er darf nicht mehr weiterhin mithelfen
an der Unterbindung der selbstandigen Urteilskraft aller derjenigen, die zur Kunst ge-
horen, obwohl sie nicht Fachleute sind; er darf also weiterhin nicht mehr die Faden
jener Verbindlichkeit zerreifien, die sich notwendig nur in einer gewissen Aktivitat des
Urteils, des selbstandigen Erlebens iiberhaupt anspinnen konnen.
Diese Einstellung darf nicht als eine literarische Laune, als neue Nuance aufge-
fafit werden, sondern als Aufierung einer Selbstbesinnung der Kritik, die kommen
mufite. Die Gedanken von Willy Haas sind hier schon ein wenig zu dem hingebogen,
was uns davon angeht. Irgend eine „Entscheidung" oder „L6sung" ist jetzt naturlich
nicht moglich; nur einige Tatsachen sollen noch aufgezahlt werden. Es geniigt, wenn
die Gelegenheit ergriffen wurde, die Selbstkritik der Kritisierenden einmal bis an einen
aufiersten Band, bis an die Erkenntnis des fruchtlosen Wegs und eine gewisse Ein-
sicht in die Sinnlosigkeit des tiiglichen Tuns zu drangen.
Man darf zuerst nicht vergessen, dafi wir eine disk u tier bare Kunst hatten.
Die romantische Musik selbst hat mit ihrer eigentlichen Kunstabsiclit die Kritik, dieses
Wachsen der Kritik aus sich heraus geboren. Es war prinzipiell moglich : unsachlich,
d. h. mit weltanschaulichen und poetischen Begriffen iiber diese Kunst zu reden und
an ihr zu deuten, wobei audi der Sinn eines solchen Bedens gut mit immer starkerem
Gewicht sich auf den Wortsinn, in die Wortabsicht verlegen konnte und von der
Musik fortfiihrte, ein Eigengebiet der Musikdeutung schaffend, das seine Werte, unab-
hangig fast von der Musik, in sich selbst hatte. Das Wort wurde zum Wert in sich,
verlor den Mitteilungs-Sinn und den Kontakt mit der Sache und iibergeistigte mit
seinen eigenen Werten die Musik, die sich selbst verlor. Dieses durch den Selbstwert
der Sprache geschaffene hohe Niveau der Kritik schuf einen speziellen geistigen Beruf,
in den in letzter Zeit gerade immer mehr die lebendigsten Kflpfe gedrangt wurden.
Eine starke Selbst-, Zeit- und Wert-Kritik liefi diese Menschen den Mangel an einer
organischen Verwurzelung des Produktiven und des Lehrens im Leben unserer Zeit allzu
lebendig fuhlen und drangte sie mit dieser Einsicht ab von dem „direkten" Beruf des
174 ERICH DOFLEIN
Musikers, Lehrers oder Komponisten in den „indirekten" des Kritikers oder Musik -
schriftstellers. Das Gebiet der Diskussionen grenzte sich immer mehr als solches
spezialisiert in sich ab, verlor den Kontakt mit der Produktion, audi wenn sie diese
selbst bejahte, verlor den Kontakt mit dem Wollen der Menschen, fiihrte die Menschen
fort von ihrer Verbindlichkeit zur Kunst, indem es den Zwischenwert einer sprachlichen
Existenz zwischen Musik und Mensch zwangte.
Die meisten Kritiker wissen nicht, wie sehr ilire Wirkung im Bereiche der Sprache
bleibt, dafi sie auf den Bereich des Bedens iiber Musik, des Geredes iiber einenKiinst-
ler, des „Genanntwerdens" einer Personlichkeit besclirankt bleibt. An die Musik selbst
tritt das garnicht heran. Diese aber hat — in ihrer unromatischen Form - ganz
andere Moglichkeiten der Verbindung mit dem Menschen. Die Existenz im „Genannt-
werden" auf Grund einiger Auffiihrungen ist, an soldi en Moglichkeiten gemessen, wirk-
lich auch nur mehr eine Scheinexistenz, die wirklich audi nur mehr einem ganz
mechanisch fur sich produzierenden Menschen als „Existenz" von Musik geniigen kann.
Auf den Gebieten der Gebrauchsmusik (Tanz, Kino usw.) oder der Jugend- oder Ge-
meinschaftsmusik zeigt sich heute aber schon ein „Existieren" von Musik, das von der
Diskussion in jener Sphare ganzlich unabhangig und grundsatzlich frei ist. Aber auch
bei vielen andern Gelegenheiten kann man eine schroffe Unabhangigkeit von der Kritik
beobachten, die zu der Massenwirkung und Augenblickswirkung der Kritik, die auf den
Bereich des Wortes besclirankt bleibt, in einem erstaunlichen Gegensatz steht. Be-
obachtungen zeigen, dafi fast in jedem Falle einer Auffiihrung oder eines Konzertes
immer irgendeine Kritik „gut" ist; diese wird dann in der Beldame vor einer breiteren
Dffentlichkeit, als die der zufalligen Leser dieser einer Zeitung, ausgenutzt. So
eventuell wird Kritik iiber den Bereich des Wortes hinaus noch wesentlidi beachtet.
Meist aber faUen sonst die eigentlichen Entscheidungen iiber Werte auch fur Theater
und Verlage aufierhalb der Diskussionen, in einer lebendigeren, ungeistigeren, nicht
formulierenden Sphare, die fur unsere Zeit immer bestimmender wird. Die iiber-
blickende Organisation dieser Sphare von ganz anderen Gesichtspunkten aus, dies kann
die neue Aufgabe der Kritik sein, frei vom Selbstwert des Wortes, einerseits im Leben
stehend, andererseits von der Sadie selbst handelnd, in der Musik und in ihrem Ge-
brauch verwurzelt. Die hier bezweifelte Form der im Wortwert sich erschopfenden Kritik
der gefiihlsmafiigen Deutung darf nicht mit diesen anderen Moglichkeiten : sachver-
bundener Darstellung, Werbung und Bekampfung verwechselt werden.
Wenn in dieser Zeitschrift nun eine Gemeinschaftskritik versucht wird, so stellt
sich damit neben die Forderungen der „Literarischen Welt" auf demselben Weg schon
eine erste Tat. Diese Form schliefit zunadist einmal jene Farbung des Urteils aus, das
aus dem Eigenleben der Sprache heraus die Definition einer Sache findet. Zugleich
wird diese Form des Kritisierens jener EinsteUung gerecht, die erkannt hat, dafi ein
Einzelner den eigentlichen Entscheidungen in der Kunsterneuerung heute nicht ge-
wachsen sein und sein Urteil als einzelnes jenen „Verbindlichkeiten" grundsatzlich
nicht geniigen kann. Allerdings ist bedenklich, dafi es wiederum die Kritik ist, die
zuerst daran ist, die zuerst die Gemeinschaftlichkeit fiir ein Werk und an einem Werk
verwirklicht. Wann wird die Zeit da sein, in der sich wieder einmal Komponisten
zusammengehorig fiihlen? Nicht, dafi sie zusammen komponieren sollten! Wenn sie
ENDE ODER UMFORMUNG DER KRITIK 175
nur in eiiiem weiteren Sinne „zusaminen" an einem¥erk, einer Werkgruppe arbeiten
wiirden, urn den — von einer immer zufalligen ,,Farbung" befreiten — Stil fur irgend
ein Gebrauchsgebiet, z. B. besonders fiir eine neue Hausmusik zu fiiiden. Oder soil
die Fahigkkeit zu solcher Gemeinschaftlichkeit nur auf die geschaftstiichtigen Bereicbe
der simpleren Unterhaltungsmusik beschrankt bleiben?
Dafi wir eine Spaltung der Musikwerte und Stilformen in der Musik als Grund-
lage jeiier Verbindlichkeit im Urted, in der Kritik entscheidend zu beachten
haben, versucbt der andere, theorethischere Aufsatz „TJber die Grundlagen der Be-
urteilung gegenwartiger Musik" zu beweisen. Die Beacbtung dieser Spaltung als einer
Folge der „Sachlichkeit", einer Folge der Einstellung auf den Gebrauch erschien dort
als wichtigster Faktor der unromantiscben Verbindlichkeit zwischen Kunst und Men-
scben, als wichtigster Faktor jener jeweils verscbiedenen Formen einer Gemeinschaft-
lichkeit im Erleben der Kunst.
Willy Haas spricht in seiner erwahnten Polemik schlechtweg vom nahen Ende
der Theaterkritik. Was wiirde uns ein Ende der feuilletonistischen Musikkritik
bringen? Wiirde sie uns Musiker bringen die nicht komponieren, um „genannt" zu
werden, die audi nicht sicli nur scliopferisch ausleben und scbreiben ,,miissen", sondern
die keinen andern Wunscb haben, als nur moglichst viel gespielt und hierin gekannt
zu werden, gespielt von vielen, und nicht nur dann und wann in einem Konzert ?
Wiirde sie uns den Solisten bringen, der aus wirklicher Berufung aufs Podium tritt
und der Unzahl jener irgendwie von einem Stachel Gejagten, die den Leerlauf unserer
Konzertkultur verursachen, leichter fiihlbar machen, dafi sie in einen anderen Beruf, in
dem die Musik zur schonsten Abendfreude werden kann, gehort, oder in das schlichte
musikalische Handwerk? Wiirde das Ende der Musikkritik dem Menschen wieder zur
Hausmusik verhelfen ? Wiirde dieses Ende nicht die notwendige und erwartete Selbst-
verstandlichkeit einer reichen, vielfach gespaltenen und in mannigfachen Formen
bliibenden Musiklebendigkeit erleichtern und unterstiitzen ?
Und so ergibt sich zuletzt doch nach allem eine Forderung an die Musik selbst,
die so sein mufi, dafi „Kenner und Liebhaber" moglich sind, auch wenn die Kunst aus
dieser Zeit heraus gestaltet ist. Der Theaterbesucher mufi vorher wissen (ohne tiei-
sinnige ,,Einfiihrung in das Werk"), vim was es geht; derjenige, der zu Hause musiziert,
mufi wissen : dies ist fiir mich gemacht, dies ist meine Musik. Der Konzertbesucher
miifi einen Kontrast mit eigenem Musizieren spiiren konnen, im besten Wissen um
eine sachlich und stilistisch dm - ch die Musilc selbst bestimmte Differenz von Kiinstler
und Laie, ohne die alte dialektische Sehnsucht: diese Grenze zwischen Kiinstler und
Laie romantisch verwischen zu wollen.
An der Erarbeitung und Bewufitmacliung solcher Grenzen, als einer Grundlage
schopferischer Sicherheit, kann der neue Kritiker, der nicht Fachmann der Sprache,
sondern der Musik ist, seine neue Aufgabe finden.
176 HANS MERSMANN
Hans Mersmann (Berlin)
ZUR ERKENNTNIS DER MUSIK
l.
Audi das Schrifttum zur Theorie und Erkenntnis der Musik lafit allmahlich immer
deutlicher die grofie Wasserscheide erkennen, welche sich im Schaffen unserer Zeit klar
herausgelost hat. In der Theorie verschwammen diese Grenzen bisher. Sie folgt der
schopferischen Musik in einigem zeitlichen Abstaud. Die Krise des Erkennens liegt
spater als die Krise des Schaffens. So kommt es, dafi Reger und Schonberg Beitrage
vmd Ausbauten der Harmonielehre gab en, welche in ihrer Haltung abseits ihrer Ton-
schopfungen stehen.
Freilich mufi der Begriff: Erkenntnis der Musik weit genug gefafit werden. Er
umspannt nicht die zahlreichen Ansatze, gegenwartige Musik in ihren neuen Voraus-
setzungen zu klaren und zu begriinden. Venn selbst die Komponisten zum Wort greifen,
um die GesetzmJLfiigkeit einer Zwolftonmusik aufzudecken (Schonberg, Hauer), so sind
diese Klarungsversuche doch hier nicht gemeint. Die Krise der Erkenntnis und der
Musiktheorie beschrankt sich nicht, ja bezieht sich nicht einmal in erster Lime auf die
gegenwartige Musik, sondern auf die Musik uberhaupt. Hire Wurzeln liegen tiefer.
Erkenntnis setzt nicht in der Erscheinung an, sondern in dem Weltbdd, das hinter
ihi' steht. Sie ist Spiegelung des Menschen, des Menschentypus, der Generation, in
welcher sie entsteht. Der romantischen Musik entsprach eine wesentlich rationali-
stische Erkenntnis. Das scheint nur auf den ersten Blick ein Widerspruch. Wie der
Formwille der Bomantiker trotz aller rhapsodischen Geste, aller schweifenden Phantastik
und dem so oft betonten Willen zur Grenzenlosigkeit und Unendlichkeit doch im
Grunde in flachenhafter, klar gegliederter Periodik stagnierte, so ist ihre Erkenntnis
darauf gerichtet, die Musik nicht zu verstehen, sondern zu erklaren. Jene Musiktheorie
definiert Melodie als eine Addition von Tonen, Harmonie als eine Addition von Klangen,
Form als eine Addition von Motiven. Biemann bringt die gesamte Instrumentalmusik
auf den Nenner der achttaktigen Periode und fiigt, wo es nicht zu stimmen scheint, hinzu
oder zieht ab. Auch die gesamte Hermeneutik, die poetisierende, auf Assoziationen
beruhende Ausdeutung des Kunstwerks, gehort in diesen Zusammenhang. Denn auch
sie will erklaren, f afilich ■• machen. Aus dieser Lage ergib't sich eine Methodik der Er-
kenntnis, welche unsere ganze Musiktheorie beherrscht. Sie arbeitet mit festen Mafien.
Darin scheint mir ihre verhangnisvollste Fehlerquele zu liegen. Einmal gewonnene
Mafistabe werden mit unerbittlicher Starrheit durchgefiihrt. Sie werden dem Kunstwerk
angelegt und dieses wird so lange gedehnt, bis es pafit. An welcher Stelle das Prinzip
ansetzt, ist dabei fast gleichgultig. Ob es das Auftaktigkeitsprinzip, die achttaktige
Periode, die Logik der Quintverwandtschaft oder das Motiv ist, immer steht das gleiche
Bild rationalistischer Ableitung des Grofieren aus dem Kleineren durch Addition oder
Multiplikation vor uns. Die Starrheit des Prinzips wird verstarkt durch die Isolierung
der Gesichtspunkte. Theorie und Erkenntnis sind in Facher eingeteilt, von denen keins
mit dem anderen etwas zu tun hat. Noch immer haben wir eine Harmonielehre,
welche den bedauernswerten Schider ein Jahr lang in ganzen Noten denken laftt und
ZUR ERKENNTNIS DER MUSIK 177
nicht weift, dafi rhythmische Verlagevung schon zweier Klfinge ihre funktionelle Bedeu-
"tung verschieben kann.
Diese Bemerkungeu mufiten vorausgeschickt werden, uin die Stellung zu einigen
vorliegenden Erscheinungen der erkenntnistheoretischen Musikliteratur grundsatzlich zu
klaren. Es ist sinnlos, ein solches Werk im einzelnen abzulehnen, ohne die Lage aufzu-
decken, der es entspringt. Theodor Wiehmayer baut eine ,, Formenlehre in
Analysen" auf, deren erster Band „Grundformen" vorliegt (Heinrichshofens Verlag,
Magdeburg). Wiehmayers MaG ist der Klangfufi, den er bisher zur Grundlage
rhythmischer Untersuchungen gemacht hat und den er nun zum Baustein einer Formen-
lehre verwendet. „Unter Motiv" definiert er, „ist also der rhy th mis ch- char ak-
teristische In halt einer metrischen Einheit zu verstehen, wie er sich uns
in obigen griechischen Versfufiformen darbietet". Von dieser Einstellung aus wird nun
an zahlreichen Beispielen eine Motivgliederung unternommen. ,,Die Motive werden ein-
geteilt in normale, grofie und kleine Fufimotive, sowie in Taktmotive. In der Begel ist die
rhythmische Bewegung so beschaffen, dafi, abgesehen von langeren weiblichen Endungen
und Pausen, auf jeden Klangfufi ein Motiv entfallt; ein solches Motiv wird „normales
Fufimotiv" oder kurz „Fu6motiv" genannt."
Diese Zitate geniigen. Die Bahn ist vorgezeichnet. Aus der Addition von „Fufi-
motiven" entstehen „Satzgruppen" ; aus ihrer Addition wieder die zweiteilige, drei-
tedige und ,,unechte zweitedige" Liedform. Unter dieses Mafi fallt die gesamte Musik;
Volkslieder, Schumanns „Papillons", zwei Sonaten Beethovens, Etiiden von Stephen
Heller und Alois Schmitt stehen auf zwei Seiten als Beispiele nebeneinander. Es
handelt sich hier nicht um eine Auseinandersetzung mit dem Verfasser, wenn auch der
vorliegende Fall vielleicht besonders kraB ist. Aber wir miissen nun endlich einmal
fertig werden mit dem von ihm vertretenen Erkenntnisprinzip, das in dem Augenblick
zur Gefahr wird, wo es einer heranwachsenden Generation als „Lehre" geboten wird.
2.
Was fur Wiehmayer der Klangfufi war, ist fiir Hemrich Schenker die ,,Urlinie".
Schenkers Asthetik ist in zahlreichen Werken niedergelegt. Sie findet eine Zusammen-
fassung in zwei zur Besprechnng vorliegenden Jahrbiichern, die unter dem Titel „Das
Meisterwerk in der Musik" (im Drei-Masken-Verlag) erschienen und deren Inhalt
von Schenker ausschliefilich bestritten wird. Er besteht aus einigen allgemeinen Ab-
handlungen, Analysen einiger Kunstwerke und aphoristischen Gedankeu iiber die Kunst.
Es gibt Volkslieder, welche eine Gliederung in Motive zulassen ; dieselbe Gliederung
an einem Symphoniethema durchzufiihren ist ein folgenschwerer Irrtum. Fiir den
Klavierstd Bachs kann die Herauslosung der „Urlinie" zum Verstehen wesentlich bei-
tragen, an Mozarts g-moll Symphonie mufi das Prinzip rettungslos zersplittern. Auch
hier ist es das starre, feste Mafi, das jeden Ausblick hemmt. Es ist kein Zufall, dafi
der Aufsatz „Die Kunst der Improvisation" sich in seinem ersten Teil ausschiefilicli auf
Anweisungen Philipp Emanuel Bachs stiitzt. Wir wisseri heute, wie wenig die damals
wirklich geiibte Kunst der Improvisation mit den Begeln der Theoretiker gemein hatte.
Es ist unmoglich, Vorschriften, welche sich aus der Lage des Generalbafizeitalters ergeben,
zu anderen als historisch rekonstiuierenden Zwecken auf die Gegenwart zu ubertragen.
178
HANS MERSMANN
Schenker ist Analytiker. Auch seine allgemeinen Betrachtungen ttber die Urlinie
kommen iiber einzelne Analysen nicht hinweg. Das ware nicht zu bedauern, wenn die
Analyse selbst produktiv ware. Aber sie vermag das Individuelle des Kunstwerks nicht
herauszulosen. Das gelingt nicht einmal bei Bach, aus dessen Tonsprache das Prinzip
abgeleitet werden konnte. Wie starr Schenkers Einstellung ist, zeigt die Analyse von
Regers Bachvariationen op. 81, die er als „Gegenbeispiel" bringt mid deven Ergebnisse
er in folgenden Satzen zusammenfafit : ,,Begev verwechselt die Variation eines Themas
mit einer Fantasie iiber einzelne Motive desselben . . . Nur in den letzteren Variationen
ist deshalb anch der Satz gut, der ja Bach gehort; in alien iibrigen Variationen ist der
Satz schlecht, er steht auf einer hochst uberspannten Geschaftigkeit in der Verbindnng
niichster Kliinge, die grofiere Znsammenhange unterbindet, also einen AuSeusatz, Aus-
komponierungszug unmoglich macht". Etwas spater heifit es: ..Auskomponierimgsztige
fuhren so einfach nicht von G-dur nach Fis-dur oder Cis-dur, wenn ihiien das iiber-
haupt zugemutet werden darf. Reger hat das alles in der Musik ubersehen, nberhort -
Auge und Ohr hatte er nur Mr allernachste Beziehungen; nur solche horte er aus den
Kompositionen anderer heraus, nur solche komponierte er auch selbst". Ilier stehen
wir vor den letzten Folgen einer musiktheoretischen Erziehung, die ihre Gesetze aus
Haydn und dem frrihen Beethoven schopft und schon ihrer eigenen Klangwelt gegeimber
ohnmachtig versagt.
Was in dieser absichtsvollen Herabsetzung Regers sichtbar wurde, zwingt, noch
ein wenig bei Schenker zu verweden. Sein Buch hat namlich musikpolitische
Tendenzen. Und zwar in einem Umfang, welche die Grenzen eines auf sachliche
Erkenntnis gerichteten Schrifttums auf Schritt und Tritt durchbrechen. Schenker gehort
zu denen, welche alles, was die Musik unserer Zeit geschaffen hat, fiir schadlich halten
und bekampfen. Das ware sein gutes Recht und seine private Angelegenheit, wenn
sich dieses Gefiihl in einer Tendenzschrift, etwa nach der Art Pfitzners, Luft machte.
Es ist aber dagegen zu protestieren, dafi ein Buch, welches sich „Das Meisterwerk in
der Musik" nennt und auf sachliche Erkenntnis gerichtet zu sein scheint, dazu benutzt
wird, die gesamte neue Musik, in der Haltung der Sachlichkeit, herabzusetzen und zu
verdachtigen. Schon im Vorwort begegnen wir den „Dolchstofien von hinten wider das
Genie" und der Beobachtung, dafi die Bevolutionen in der Kunst „als blofi scheinbare,
eingebddete Bewegungen Unberufener, zudem von aufienstehenden Zeitungs- und
Biicherschreibern bestellt und geschiirt, ganzlich ohne Wirkung und aufierhalb der eigent-
lichen Geschichte des Geistes bleiben miissen".
Von dieser Einstellung aus begegnen wir unter den „Urliniebetrachtungen" des
zweiten Bandes hinter einigen Bachanalysen einem Beispiel aus Strawinskys Klavier-
konzert, das durch die Bemerkung eingefuhrt wird: „Dafi es in Wirklichkeit aber auch
ein schlechtes Notenschreiben gibt, das den Namen Musik noch garnicht verdient, will
ich hier zu mindest an einem Beispiel zeigen". Dann folgt eine sogenannte Analyse
der zitierten sechzehn Takte, die zu dem Resultat fiihrt: Strawinskys Satz sei „durchaus
schlecht, unkiinstlerisch und unmusikalisch . . . man wird erkennen, dafi die Hampel-
manner des Fortschritts einfachste Dinge verdreht haben, nur um sie fiir neu aus-
zugeben."
ZUR ERKENNTN1S DER MUSIK 179
Schenker f'iigt seinen Jahrbiichern einen Anhang an, den er „Gedanken iiber die
Kunst lind ihre Zusammeuhange im AUgemeinen" neimt. Es finden sich in diesem
Anhang Aphorismeii, Zitate, Kommentare. Eiues soldier Zitate sei hier noch mitgeteilt :
Ein Lehrer der Theorie schreibt: „Wiirde Beethoven heutc lcomponieren, so wiirdc sich seine
Tonsprache eher der eiues Hindemith als eines Clemen ti nahern". Hart stofien hier (konimentiert
Schenker) Beethoven. Hindemith nnd Clementi zusanimen ! Es sei — doch ist die Losnng der
Frage weit einfaeher. Gesetzt, Beethoven schriebe „heute" wie Hindemith, mm - schlccht ware
er wic dicser. ')
Ich verzichte atif einen Kommentar zu diesem Sclienkersclien Satz. Er sollte nur
zeigen, mit welchen Mitteln audi von Menschen gearbeitet wird, deren geistiges Arbeits-
feld eine relative H6he verbiirgen sollte. Aber vielleicht bieten diese Erkenntiiisse,
trotzdem sie weiter ab zu liegen sdieinen, dodi irgendwie audi einen Mafistab fiir die
rein sacbliclie Arbeit Schenkers, erklaren die Starrheit und Unproduktivitat seines
analytischen Denkens. Denn : ,,so wenig der Lebende deh Tod begreift, so wenig kann
ein geistig Toter das geistige Leben eines Genies verstehen" (Heinrich Schenker: „Das
Meisterwerk in der Musik", Band I, S. 12).
3.
Unter den Gesichtspunkt des Obertitels fallt ein eben ersdiienenes kleines Budi
,,1'heorie der Ton art" von Gustav Gtildenstein (Verlag Ernst Klett, Stuttgart).
Dieses Buch gehort zu den ersten ganz produktiven Versuchen, Gesiditspunkte und
Arbeitsmethoden einer exakten Phanomenologie auf die Musik anzuwenden. Uber da«
Prinzip soil in diesem Zusamriienhang nur weniges gesagt werden. Wenn es einmal
gelungen ist, von deni Standpunkt einer neuen Erkenntnis aus die Grenzen alizusdireiten,
so liegt der Weg eines systematisdien Aufbaus ganz in diseer Bichtung. Hier
bddet sidi eine neue Methode des Denkens, welche sich in ihrer disziplinierten Klarheit
wesentlich und produktiv von den Begriindungen unterscheidet, welche Paid Bekker fur
die Urtatsacheii einer musikalischen Phanomenologie gegeben hat. Guldensteins Theorie
der Tonart ist in sicherer Abgrenzung und selbstandiger Begriindung gegen die Akustik
durchgebaut. Schon auf den ersten Seiten begegnet die Feststellung : „Die Akustik kann
fiir die Musik nichts beweisen und nichts widerlegen". Die Anwendung des Gravitions-
prinzips auf die Endlichkeit des Tonniaterials fiihrt zur Statuierung der Tonart. Von
hier aus wircl exakte Einzelarbeit geleistet, welche nacheinander zu den Problemen des
Funktionsbegriffs, der Dimension, der Molltoiiart und der Chromatik Stellnng nimmt.
Ein-zweiter kritiscber Teil des Buches stellt sich zur einschlagigen Literatur, besonders
zu Riemann und Kurth. In einer Zusaiiimenfassung gibt der Verl'asser in einigen Kern-
satzen die Ergebnisse seiner Betrachtungsweise, aus den en die folgenden Satze an-
gefidirt sein sollen :
Ich leite die Touarl ab aus dem Willen des Tones, Dominante zu sein. Dadurch stebt die
Tonart liicht vor uns da. sondern sie wird vor uns. Die Tonika als Ruhepunkt ist zunachst
nicht bewirkende Ursacbe, sondern Resultat. Diese Ableilnng macbt zugleich die eigenartige
Bedeulung gewisser Tone verstandlich.
') von mir gesperrt
180
MELOSKHITIK
Znm ersten Mai ist hier dargestcllt, dafi der Versuch ,,Unendliches im Endlichen zu gestalten,
cbenso wie die Tonart audi das temperierte System schaffl und dafi dieses eine vollkommene
Analogiebildung zur Tonart ist.
Mir scheint, dafi hier znm ersten Male die beiden in der Molltonart wirkenden Kraf'le
Symmetric und Analogie deutlich gesehen sind . . .
Der Begriff der „Funktion im Akkord" ' ist gleichfalls hier neu aufgestellt. Dieser BegrirT
gibt Einblick in das Wesen des ,,Akkordes als Organism us". Er gab ferner die Mnglichkeit einer
klaren Aiiseuianderselzung mit der ..dualen Theorie".
MELOSKRITIK
Die neue, bier angestrebte Form der Kritik beruht darauf, daft
sie von mehreren ausgeiibt wild. Dadurch soil ihre Wertung von
alien Zufalligkeiten und Hemmungeii abgelost werden, denen der
Einzelne ausgesetzt ist. Langsam gewonnene, gemeinsame Formu-
lierung, aus gleicher Gesinnung entstanden, erstrebt einen hohereii
Grad von Verbindlichkeit. So ist jede der vorgelegten Besprech-
ungen ein Produkt gemeinsanier Arbeit der vier Unterzeichiieten.
STRAWINSKY: ..OEDIPUS REX-
Zur Frage der Antikenoper.
1.
Die Haiidelrenaissance stellte zum ersten Male wieder antike StoiTe auf unsere
Opernbiihne. Sie komite zu so grofier Bedeutung gelaiigen, weil sie uns den Sinn i'iir
das reine Opernspiel in einem Augenblick zuriickgab, in dem das romantische Musik-
drama sich tot gelauf'en hatte,. Sie stellt dem brunstigen Subjektivismus, den aui'ge-
peitschten dramatisclien Spannungen des nachwagnerschen Musikdramas ein objektiviertes,
von aller stofflichen Realistik gereinigtes Spiel gegeniiber. Es konzentriert das Drama
auf harmonisch genial charakterisierende Rezitative und gibt den Arien die Moglichkeit
zur Entfaltung absoluter musikalischer Krafte.
Die in baroclcem Gewand.e erscheinende Antike Handels lost den Menscben aus
aller psycbologiscben Difi'erenzierung und erreicht dadurcli eine Entpersonlichung, eiiie
Typisierung, die wir gegeniiber dem romantischen Musikdrama als Lauterung empfinden.
Die antike Stoffwelt vermittelt mis einen Typus des epischen Dramas, den die
Entwicklung unserer zeitgenossischen Oper eben jetzt zum ersten Male mit einiger
Deutlichkeit formuliert (Strawinsky, Hindemith, Weill). Im Gegensatz zu der dynamischen
Bewegtheit des Musikdramas herscht hier ein statisches Prinzip, das die Handlung in
geschlossene Formldomplexe von monumentaler Starrheit zersclmeidet. Die innere Lage
des antiken Dramas: schon das allgemeine Wissen um seine Handlung, die Aufteilung
des Gescbehens an Chor und Sprecher, schaltet beim Spieler die Individualitat, beim
Horer das stoffgebundene, am Fortscbritt der Handlung haftende biteresse aus. Es ent-
steht eine unpersonliche Gestaltungsform, welche Geste und Pathos bandigt, alien Sub-
jektivismus der Darstellung beschneidet und dadurcli zum Ausdruck eines Gesamtwillens,
STRAVINSKY: „OEDIPUS REX- 181
eines Kollektivismus wird, wie er die materielle und geistige Arbeit unserer Zeit auf
Schritt und Tritt bestimmt.
Dem gegeniiber steht freilich die Tatsacbe, dafi die antike Welt uns im Grunde
sehr fern liegt. Unser Verhaltnis zu ihr berulit auf einem Bildungserlebnis. Ihre Aus-
wirkung bleibt notwendigerweise an einen kleinen Menschenkreis gebunden. Diesen,
wie es die Antikenoper versucht, zu vergrofiern, ist nicht ohne Gefahr und kann leicht
zu einer Angelegenbeit des Asthetizismus werden.
Allerdings bietet die Antike gerade unserer Oper in direr vorher gekennzeicbneten
Entwicklungslage unraittelbarste Ausdrucksmoglichkeiten : Befreiung des musikalischen
Ausdrucks von subjektivem Phatos, eine in sich ruhende absolute Formgebung, Verein-
fachung und Versachlichung des Kolorits. Das sind nicht nur Tendenzen der Oper
sondern des gegenwartigen Schaffens iiberhaupt. Darait gleichzeitig stehen wir bereits
vor den Kernfragen der Oedipusoper Strawinskys.
Die Werke, niit denen Strawinsky in den Jahren vor dem Kriege an die Orfent-
lichkeit trat, gehoren dem Bereich der Ballettmusik an. Aber wahrend solche Musik
etwa in der Josefslegende von Bichard Straufi rein illustrierenden, pantomimischen
Gharakter hat, setzt der russische Komponist unmittelbar in der tanzerischen Bewegung
an. Es geht ihm nicht um die Ausmalung szenischer Vorgange. Die motivischen
Kraf'te, die seine Musik von Anfang an durchdringen, Ausdruck seines Volkstums, geben
seinen Balletten ein vollig neues Gesicht.
In dieser Friihzeit ist Strawinskys Musik von elementaren Kraften erfuUt, welche
die melodische Logik, die Ordnung der Klangfolgen und des Formprinzips in Frage stellt
und ihr den Anschein einer Primitivitat gibt. Diese Vitalitat wird durch wachsenden
Formwillen gebandigt, der beinahe in jedem Werk einen neuen Typus schafft. Das
i'iihrt ihn zu einer Auseinandersetzung mit alterer Musik. Er gelangt uber Pergolesi
(Pulcinella) zu der klassizistischen Strenge des Klavierkonzertes und der Sonate.
Von dieser Basis aus wendet sich Strawinsky erneut dem Theater zu, fur das er
in seiner ,.Geschichte vom Soldaten" eine viber das Ballet hinausstofiende, vollig eigen-
artige und untraditionelle Form geschaffen hatte. Der in der Instrumentalmusik deutlich
gewordene Wille zur Objektivierung fiihrt ihn in die Nahe der Antike. Die oratorische
Oper „Oedipus Bex" bezeichnet das vorlaufige Ende dieses Entwicldungsweges.
2.
Es ist fur den hier erreichten Grad A'on Objektivierung bezeiclinend, dafi Strawinsky
einen lateinischen Text komponiert. Das Interesse am dramatischen Vorgang wird da-
durch kvinstlich erstickt, dafi in Anlehnung an die Idee des Oratoriums ein Sprecher
die Handlung erzahlt. Die Art, in der hier die Distanz zum Stoff vergrofiert wird,
ist nicht frei von artistischer Uberheblichkeit. Die Gestalten sind Figuren (nach Stra-
winskys Vorschrift: „statues vivantes"). Aus ihren wechselnden Gruppierungen entsteht
die Architektonik des Dramas.
Der auf absolute musikalische Form gerichtete Wille Strawinskys fand in dieser
Gliederung der Szene die notwendigen Voraussetzungen. Mannerchore und Arien sind
auf das feinste gegeneinander ausgewogen. Die die einzehien Szenen wie PfeUer um-
schliefienden Chorsatze sind homophon und lapidar-skandierend. Sie verzichten auf die
sichtbaren Wirkungen einer architektonischen Polyphonie. Die Satze fiir Einzelstimmen
182
MELOSKRITIK
haben ein geschlossenes, teilweise dreiteiliges (Kreon, Jokaste) Formbild. Im zweiten
Teil der Oper werden die Formen gespamiter und komplizierter ; Einzelstinimeii und
Chor wachsen zu einer Gesamtform zusammen, die in dem Schlufimonolog gipfelt.
Nachdem die Entwicklungsimpulse Strawinskys bisher wesentlich vom Instrumentalen
hergekommen waren, liegt im Oedipus ein Werk vor, das primar vokal bedingt ist.
Strawinsky lost seine Singstimnien aus alleni deklamatorischen Zwang; er ftihrt sie aber
auch nicht instrumental, sondern gelangt zu einer in grofien Bogen schwingenden, rein
vokalen Linie. Sie dominiert in den Arien so sehr, dafi das Orchester zu reiner Be-
gleitung wird. Aus dieser absoluten vokalen Melodik wachst bereits eine erschopfende'
Cbarakteristik der Figuren, die mit einer ahnlich stilisierenden Orchestersprache
verschmilzt. So stehen die hellen, gelassen fliefienden Figurationen des Oedipus
gegen die harte C-dur-Akkordik Kreons und gegen die dunkele, l'eierlicbe Melodik
Jokastes.
Oedipus
A
f^m 1 ■ ~~P>
^-^
"^s ^
i & • ?= ~^*^ c
1 i - — <•
Kre
Li -
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■- be -ra - bo_ Li -
- be
ra -bo vos.
Re - spon-dit De-us:
Jokaste
Lai
UOI
ul - ki - ski, ul - ki-ski,
ske -
lus ul - ki -ski;
w
N
0)1
n 1
e
• ru
- t
e - ski
te in
ae-gra «r -
be cla - ma - re, cla -
-
ma
re cla- ma-re,
ve - stros do -mes- ti -kos cla - mo - res.
Im Gegensatz zu der kautabilen Sprache der Singstimmen ist der Chorsatz iiber-
wiegend von psalmodierender Monotonie. Er ist der Trager der rliytlimiscben Krafte.
Die Beschrankung auf die Mannerstimmen gibt ihm einen stumpl'en, unsinnlichen Klang.
Kurze rhythmische Zwischenrufe stellen sicb gegen die Einzelgesange und begrenzen die
Formklomplexe.
Der Orchesterklang gehort zu den iiberraschendsten Ziigen des Werkes. Das Par-
titurbild ist klar und durchsichtig, fast nuchtern. Wie das Orchester auf jede klang-
malerische Wirkung verzichtet, so halt es sich in der Melodik frei von aller thematischen
Entwicklung. Die Motive tragen in stilisierter Unbeweglichkeit die einzelnen Teile des
Formablaufs. Zu den Merkmalen des Orchesterstils gehort vor allem das Ubergevicht
samtlicher Blasinstrumente iiber die Streicher.
Trotz der absoluten Geschlossenheit des ganzen Werkes kanu man nicht von einer
stilistischen Einheit reden. Der schopferische Wille Strawinskys bindet Stdwerte aus
den entgegengesetztesten Zonen (Gregorianik, russische Volksmusik, auch italienische
Oper). Klassizistische Einfachheit bewirkt das Vorherrschen einer neuen, gereinigten
Tonalitat. Sie iiberwinden die Spannung der harmonischen Funktionen und gelangt
zu absoluten Kondenzierungen:
ZUR MELOSKRITIK
183
Oedipus
E -
-
-
- go
ex- sul
ex
[_!/
P
„-
^^-^
staccato
Chromatik wild als Spannung ausgeschaltet und tritt nur ornamental oder als reine
bewegende Kraft in Erscheinung :
Chor
y A , (Tenore)
Das Zusammenwirken der hier gekennzeichneten stdistischen Merkmale ergibt ein Kunst-
werk, das iiber alles Experiment hinaus von der Antike aus zu der denkbar gegenwartigsten
Losung des Opernproblems gelangt und Endgiiltigkeit in sich tragt.
Hans Mersmann, Hans Scliultze-Ritter, Heinrich Strobel
und Lothar Windsperger
Siegfried Wo hilar th (Frankfurt a. M.)
ZUR MELOSKRITIK')
Sehr geehrte Herren !
Die Besprechung von Kreneks Oper „Jonny spielt auf" im Januarheft Hirer Zeit-
sclirift veranlafit micb zu diesem Brief. Er ist lediglich als Anregung gedacht fur Auf-
satze von berufener Seite, die sicb mit den hier zur Spraclie gebrachten Problemen
auseinandersetzen und mit deren Veroffentlichung Sie sicb zweifellos ein Verdienst er-
werben wiirden.
Hat der Kritiker ein Kunstwerk bzw. das, was auf diese Bezeichnung Anspruch
erhebt, nur an sich nach seinem Wert oder Unwert zu beurteilen oder ist es nicht viel-
J ) Wir veroffentlichen diese Zuschrift aus dem Kreise unserer Leser, ohne uns mit ihr in alien Punkten
zu identifizieren, urn das Problem der Kollektivkritik von alien Seiten zur Diskussion zu stellen.
Die Schriftleitung.
184 SIEGFRIED WOHLFARTH
mehr seine Pflicht, in seineni Urteil audi die Wirkung auf das Publikum (fur das jedes
Werk letzten Endes doch geschaffen ist) insofern zu beriicksichtigen, als er den wahren
Ursachen dieser Wirkung nachsptirt, t'erner, und dies ist das wesentlichste, das Werk
aus der Zeit seiner Entstehung und aus den Bedingungen seines Werdens heraus zu
begreifen ? Heinrich Strobel hat diese Frage im Januarheft dahin beantwortet, dafi der
Kritiker „in lebendiger Ftihlung mit den schopferischen Ereignissen der Zeit zu bleiben
und von ihn en die Mafistabe der Beurteilung a b zuleiten" hat, was ihn leider
nicht hinderte, als Mitglied der Kommission fiir den erwahnten Urtedsspruch verant-
wordich zu zeichnen.
Es ergeben sich also drei Forderuiigen, die jeder Kritiker bei seiner Kritik beriick-
sichtigen sollte (iiber eine vierte Forderung wird spater zu sprechen sein) :
1) Das Werk an sich nach seiriem Wert oder Unwert zu beurteden,
2) Den Ursachen der (positiven oder negativen) Wirkung auf das Publikum nach-
zuspiiren,
3) Das Werk aus der Zeit seiner Entstehung und aus den Bedingungen seines
Werdens heraus zu betrachten.
Bezuglich der hier zur Diskussion gestellten Jonny-Kritik ist nur Punkt 1 beriick-
sichtigt worden.
Die Erorterung des zweiten Punktes, die vielleicht nicht iminer notwendig erscheint,
ist in diesem Falle schon deshalb unumganglich, weil weder die (im Grunde langweilige)
Handlung noch die Musik dazu angetan sind, einen so aufierordentlichen Publikums-
erfolg zu erklaren. Im Gegenteil ; die Musik als solche — unabhangig von der Szene
gebracht — wiirde allgemein auf Widerspruch stolen, aber nicht wegen ihrer Schwachen
sondern aus demselben Grunde wie so oft auch gute moderne Musik. Dafi dieser Wider-
spruch nicht zutage tritt, liegt nur daran, dafi die Musik in dieser Oper eigentlich eine
recht unbedeutende Bolle spielt, um ein bedeutendes hinter die Szene zurucktritt, oft
nicht mehr ist als Untermalung des Biihnengeschehens. (Ein Vergleich mit der Film-
musik liegt nahe, erscheint mir aber doch etwas zu krass). Da weder die Handlung
(Fabel) noch die Musik den Erfolg erklaren konnen. bleibt hierzu nur das Mdieu iibrig.
Nicht aber allein, weil dieses Milieu das unserer heutigen Zeit ist, sondern auch, weil
es in der Form eines beliebten Ausdrucksmittels unserer Zeit, der Bevue, gezeigt wird,
ist der Erfolg ein so grofier. Dies allein ist schon Grund genug fiir die Ewig-Gestrigen,
die Oper abzulehnen, von dem „kunst- und ktdturschanderischen Wesen, das Jonny
treibf, zu sprechen. Dies allein aber ist auch Grund genug fiir die mit der heutigen
Zeit Verbuiidenen, fiir die ihre Notwendigkeit Bejahenden, nicht sich mit „Jonny" ali-
zufinden, aber den positiven Wert dieser Oper fur die Entwicklung dieses Kunstgenres
zu beleuchten und durch seine Diskussion fruchtbar zu machen.
Ich bin hiermit bereits bei Punkt 3 angelangt. Unsere Zeit ist eine Zeit der
Krise auf alien Gebieten. Unter Krise versteht der allgemeine Sprachgebrauch meist
nur Zerfall oder drohenden Zerfall. Die eigenthche Bedeutung des Wortes aber ist
„Wende". Zu einem Wendepunkt gelangt man immer dann, wenn es auf dem alteii
Wege nicht mehr weitergeht, wenn das Weiterschreiten Zerfall bedeutet. Wie auf vielen
anderen Gebieten (nicht nur der Kunst) geht es auch in der Musik auf dem alten
Wege nicht mehr weiter. Es ist hier nicht der Platz, das Warum zu erortern. Wir
ZUR MELOSKRITIK 185
9 erkennen die Tatsache des Zerfalls, des Untergehetis einer einmal grofi gewesenen
: Kultur und wir spiireii, dafi etwas Neues im Entstehen begriffen ist, von dem wir nicht
,j_" wissen, wie es in seiner endgiiltigen Gestalt aussehen wird, und das nur im Widerstreit
": mit dem Alten wachsen kann. (Es ist dies nichts anderes als der Kampf der Gene-
rationen im taglichen Leben). Der Schauplatz eines solchen Kampfes ist Kreneks Oper
„Jonny spielt auf". Es hat wold nocb niemand behauptet, dafi ein Kampfplatz (um
das Wort Scblachtfeld zu vermeiden) einen erfreulichen Anblick bietet. Es wird aber
jeder einsehen, dafi die Kampfe, und damit das Sichtbarwerden von Kampfplatzen, not-
wendig sind.
Es kann nun nicht behauptet werden, dafi Krenek sehr grtindlich gekampft hat.
Rein musikalisch ist „Jonny" der Kampfplatz einer unentschiedenen Schlacht. Die
„beiden Spharen" stehen nebeneinander, die eine vielleicht starker als die andere, aber
sie stehen nebeneinander. Daher das Kompromiss zwischen romantisierender Oper und
Jazz. — Die formale Anlage ist oft ebenso fliichtig wie der Musik vielfach die Tiefe
mangelt. Dies ist eine fur Kreneks Oper als Kunstwerk vernichtende, aber wahre
Tatsache, die nicht entschuldigt aber erklart werden kann mit dem Tempo unserer
hastenden Zeit, in der die meisten ihre Plane nicht reifen lassen, sondern sie so scrmell
als moglich in die Tat umsetzen wollen. Insofern ist „Jonny" ein echtes Dokument
unserer Zeit, eine echte Gegenwartsoper. Denn ihr Negativ spiegelt das Negativ unserer
Zeit. Da dieses Negativ unserer Zeit, eine Zeit des Verfalls einer Kultur, notwendig
in der Entwicklungsgeschichte der Kulturen der Menschheit begriindet ist, ist auch die
Oper Kreneks in der Entwicklungsgeschichte der Musik (bezw. enger gefafit: der Oper).
begriindet. Und wie allenthalben das Werden einer neuen Kultur in unserer Zeit er-
kennbar wird (ohne dafi wir ihre Gestalt bereits zu erkennen vermogen), so wird auch
in Kreneks Oper das Werden einer neuen Opernform erkennbar, deren endgiiltige Ge-
stalt wir tins noch nicht vorzustellen vermogen,. die aber zweifellos von der Revue
befruchtet sein wird. (Diejenigen, die hieriiber die Nase riimpfen, seien daran erinnert,
da6 der einstmals so verponte Walzer Eingang in heute allseitig anerkannte Kunstwerke
gefunden hat. Nicht nur die Form, auch ihr hihalt gibt den Ausschlag fur den wahren
Wert eines Kunstwerkes). Kreneks Oper weist auf eine neue Form. Doch weder sie
noch ihre Inhalte vermochte er zu gestalten. Aber dafi die Redeutung von „Jonny" als
Anregung fur das Opernschaffen unserer Zeit (das immer noch ein Tasten und Suchen
ist) ein bedeutendes Positivum bedeutet, selbst wenn man zu einer Ablehnung des
Werkes an sich kommt, miifite in jeder Kritik betont werden.
Das Problem „Jonny" ist hiermit erschopfend behandelt, nicht aber das Problem
„Kritik". Ich frage: Ist der Kritiker ein Richter, der ein Werturteil zu fallen hat (das
dann unantastbar sein mtifite) oder ist er nicht in gewisseni Sinne Kunstler, indem er
gemafi seinem inneren Fiihlen, gemafi dem Eindruck. den das Werk auf ihn gemacht
hat, die Wirkung des Werkes auf ihn wiedergibt, das Werk also nach der Seite seiner
Wirkung hin erganzt? Denn dieser Erganzung, ob sie nun niedergeschrieben wird oder
nicht, bedarf jedes Kunstwerk, um ein solches zu sein, weil nicht durch sich selbst
sondern durch seine Wahrnehmung durch den Menschen jedes Werk, uberhaupt jedes
Ding erst Daseinsbestatigung erhalt. Hieraus ergibt sich als vierte Forderung an den
Kritiker: Jede Kritik mu6 subjektiv sein! Wilhelm v. Scholz schreibt in seinem Apho-
186 IGOR GLJEBOFF
rismenbucli „Lebensdeutung" sehr richtig, dafi def schwerste Vorwurf, den man gegen
einen Kritiker erheben konne, Objektivitat sei. Demi Objektivitat verlangt Beurteilung
nach feststehenden Normen, miifite also, logiscb bis ins Extrem befolgt, ziir Ablehnung
eines jeden Fortschritts fuhren.
Die hier dargelegten Ansicbten werden heute noch vielfacb starkem Widerstand
begegnen, weil der Bildungshochmut nicbt nur in der Kritik, sondern in der gesamten
Wissenschaft noch zu grofi ist, weil jeder auf seine Fachwissenschaft pocht mid schwort,
sicb meist um nicbts anderes kiimnierl, vor lauter Wissen und Bildung den Menschen
vergifit. Es ware hieruber viel zu sagen, scblagende Beispiele, wie sehr unsere Zeit da-
runter leidet, liefien sich in Massen aufFiihren, wurde aber hier zu weit fiihren. lch
begniige mich mit dem Hinweis darauf. Dafi aber audi hier ein "Wan del sich durch-
zusetzen beginnt, beweisen u. a. die von dem Rektor der Frankfurter Universitat, Prof.
Drevermann vertretenen Ansichten.
Mit diesen Ausfuhrungen ist nicbts gegen die Einrichtung einer Kommission fur
Werkbesprechung gesagt. Im Gegenteil — ich halte diese Einrichtung fur tiberaus
gliicklich, wenn die Kommission alle 4 Punkte berucksichtigt. Denn die haufigste Fehler-
quelle der Kritik eines einzelnen hat darin ihren Ursprung, dafi dieser einzelne — je
nach Veranlagung, manchmal audi augenblicklicher Stimmung — mehr Auge und Ohr
fur das positiv zu wertende oder mehr Auge und Ohr fur das negativ zu wertende hat.
Um bei dem Beispiel „Jonny" zu bleiben: iiber die — fur viele freudige — Erkenntnis,
dafi Krenek den Weg zu einer neuen Opernform angedeutet hat, haben diese alles
andere kaum beachtet. Erst der Hinweis derjenigen, die sich nicht von der Freude
iiber das wirkliche Positivum der Oper (die doch berechtigt ist) haben berauschen
lassen, zwang auch die anfangs bedingungslos Zustimmenden zu einer Rektifizierung
ihres Urteils, indem sie den Wert der Oper einschrankten (nicht verneinten). Diese
Fehlerquelle wird durch die Kommissionsbesprechuhg wohl weitgehendst ausgeschaltet
werden.
Naturlich bedeutet das hier Gesagte keinen Einwand gegen die Kritik eines Ein-
zelnen. Diese ist immer — wie sie auch aussehen mag — von Wert, wenn man den
Kritiker in der oben dargelegten Begrenzung als Kimstler ansieht und seine Kritik nicht
als ein Werturteil auffafit, auch wenn ein solches der Form nach ausgesprochen erscheint.
Mit vorzuglicher Flochachtung
Siegfried Wohlfarth
AUSLAND
Igor Gljeboff (Leningrad)
DIE JUNGE KOMPONISTENGENERATION IN LENINGRAD*)
Eine interessante und ernste Erscheinung unter den Leningrader Musikern der
neuen Formation ist Christophorus Kuschnareff (geb. 1890, armenischer Ab-
*) Schlufi ; erster Teil erschien im Marzheft.
DIE JUNGE KOMPONISTENGENERATION IN LENINGRAD 187
stammung, studierte in Tiflis und aul dem Konservatorium in Leningrad). Kuschnareff
geht einen eigenen Weg. Indem er sich in seinen theoretischen Anschauungen an
Tanejeff anschlofi, scliuf er seinen neopolyphonen Stil, der die Dynamik der Bachschen
Polyphonie mit der Dynamik der Beethovenschen Harmonie zu vereinigen bestrebt ist.
Die besten und interessantesten "Werke sind eine, ..Passacaglia mit Fuge" und eine
„Sonate" fur Orgel. Der Sinn fur die formulierende Bedeutung der Melodie und be-
sonders der Dynamik der Volksliedweise zieht Kuscbnareff in das Gebiet der Erforscliung
und Ausnutzung des orientalisclien Folldorismus.
Im Sinne eines ebenso feinsinnigen Verstandnisses und Hingezogenwerdens zur Kultur
des Volksliedes — des grofirussischen wie des ukrainischen — muS hier Peter
Rj ass an, off (ein Schuler Schtscberbatsclieffs) genannt werden. Sein Scbaffen bewegt
sich niclit auf der engen, formell-asthetischen Linie der ,,Bearbeitung" von Volksliedern,
sondern in der Bichtung der Aufdeckung der Prinzipien der melodischen Komposition,
ihrer [Dynamik und Kinetik, mit dem Ziel, sie bei ganz verscbiedenen Arbeiten zu
benutzen. Die AVerke Bjasanofl's tragen den Stempel eines anziehenden Intellektualismus
(Ein Zyklus Bomanzen auf Texte von Block und eine Suite fiir Klavierj. Durch seine
interessanten Experimente iiber Melodie-Komposition aid' der Grundlage des alten
russischen Kirch en- und Volksmelos zeichnet sich Michael Judin aus. Die lyrisch-besimi-
liche Bichtung lebt in dem sympathischen Schaffen eines Karnowitsch undTjulin ruhig
weiter fort, der unmittelbar temperamentvoUe Emotionalismus in den Sonaten und
Bomanzen von S chap or in. Er hat eine ganze Beihe neuer und witziger Einfalle auf
dem Gebiet der konstruktiven Ulustrationsmusik zu verscbiedenen Theaterstiicken auf-
zuweisen. Dieses Schaffensgebiet Schaporins enthalt viele in bezug auf Klangwirkung
und Form interessante Versuche. Parallel mit ihm arbeitet auf demselben Gebiet
Wladimir Deschewoff (1889 in Petersburg geboren). Bei seiner eigentumlichen,
individuell stark gepragten, wenn auch nicht weitumfassenden Begabung miissen wir
etwas langer verweilen.
Das Talent Deschewoffs wirkt durch seine Selbstandigkeit und Frische so anziehend.
Leider haben ungiinstige Lebensbedingungen seine Entwicklung stark behindert. De-
schewoff ist der feinsinnige Komponist der russischen Gegenwart. Wie kein anderer
versteht er Melodie und Bhythmus des heutigen Lebenskampfes und wandelt sie im-
pressionistisch in wahrhaftige Musik von heute um. Das revolutioniire Sti-aBenmelos
fand in seiner Musik seine helle und feine Brechung, die Rhythmen der Maschinen
haben bei ihm einen lebendigen Widerhall gefunden. Mit seiner Fahigkeit, Bewegungen
unmittelbar in Musik umzusetzen, hat es Deschewoff fertig gebracht, die Kinetik des
heutigen Lebens eindrucksvoll abzubilden. Die Musik Deschewoffs ist in ihrem Stil
ganz auf lebendigen Eindriicken aufgebaut und kennt keine Kabinett-Abstraktionen ;
sie fiihrt vom Leben zum Leben und dringt — wenn man sich so ausdriicken darf —
m die Stadtluft ein; denn diese Musik ist ausgesprochen stadtisch. Einen grofien symphon-
ischen Schwung kennt Deschewoff nicht; seine Formen sind flach, launenhaft und impressio-
nistiscli, aber ein eiserner Bhythmus schweiBt sie zusammen. Seine Musik verhalt sich zu den
akademischen Symphonien wie gemutliche Malerei zur klassischen Leinwand und ihrer
Grofie. (Ich meine das Verhaltnis, nicht die Ahnlichkeit). Als Theaterkomponist
188 IGOR GLJEBOFF
zeichnet sich Deschewoff durch Erfindungsgabe, Reich turn der Einfalle und eine andere
wertvolle Eigenschaft aus: er versteht lakonisch zu sein.
Nicht wegen der Gemeinsamkeit der Musik selbst, aber wegen der Gemeinsamkeit
der Tendenzen und Prinzipien der musikalischen Formulierung (des kinetischen Im-
pressionismus) und auch wegen der Verbundenheit rait dem Revolutionsleben kann
man neben Deschewoff das SchafFen Schillingers stellen; umsomehr als beiden
Komponisten die Neigung zur scharfen und launeiihafteii Groteske eigen ist, die nach
Sergei Prokofjeff iiberhaupt zur Petersburger kunstlerischen Kidtur gehort (Gogol,
Dostojewski, Dargoraischski, Tschaikowski).
Die Musik Josef Schillingers (geb. 1895 in Charkow) zeichnet sich durch
eine interessante harmonische Sprache aus, die rait Dynamik gesattigt ist. In -ilir ver-
einigen sich grelle Impressionismen, schone Rhythmen und eine Foriiiulierungsnianier
von konstruktivem Charakter. Als anregendes Moment fur die Formulierung dient
dem Komponisten nach seinen eigenen Angaben die Technik des Kino. Ich konnte
in Kiirze nieine Meinung iiber Schillinger etwa folgendermafien ausdriicken: der Im-
pressionismus hat sein Gefiihl fiir die Wirklichkeit und das Lebenswichtige geschiirft,
das Revolutionsmelos gab seiner Musik den Atem und der Konstruktivismus des Kinos
gibt ihr den geschaftigen Drang und den bunten Schwann der Eindriicke. Die besten
Werke SchiUingers sind die, die mit dem Ausdruck des Revolutions-Pathos ver-
bunden sind; so z. R. das Heldengedicht (aus den Stricken fur Klavier op. 12),
die Sonate-Rhapsodie (op. 17) und die symphonische Rhapsodie ,.Oktober" (op. 19).
Der charakteristische Zug der Entwicklung von Schillingers Begabung ist das Streben
aus der Sphare der subjektiven Lyrik in das weite Gebiet des durch sein spannendes
Tempo und seine Dynamik packenden sozialen Lebens zu gelangen.
Uber das Schaffen von Paschtschenko, der etwas als Sonderhng dasteht,
handelte seiner Zeit ein Aufsatz in ,,MELOS". Er arbeitet unermudlich weiter und
ist gegenwartig mit interessanten Opernplanen beschaftigt. Seine Chorwerke — eine
selbstandige, lebensvolle Musik — sind mit grofiem Schwung geschrielien. Seine
Symphonien (zweite und dritte) leiden etwas miter stilistischer Ungleichmafiigkeit und
emotionaler Grobheit, dafur sind sie aber dank ihrer ,,rohen" Unmittelbarkeit als
„musikalische Dokumente" recht wertvoll. Demi sie sind ja ein Ausdruck des strengen
und rucksichtslosen Lebenskampl'es inmitten des elementaren Tobens primitiver Instinkte
und heldenhaften intensiven Dranges zu einem neuen Leben. Die Dynamik der
russischen Revolution klingt in den Vokal- und Instrumentalwerken von Paschtschenko
deutlich wieder. Ein breiter Schwung ist seiner Musik eigen, die sehr dekorativ ist.
Die ungenugende Klarheit in der Auswahl der Mittel, die Naivitat des musikalischen
Gedankens und das Auseinanderfliefien der Formen stort jedoch stark den Eindruck.
Ich habe langst nicht ahe Erscheinuiigen des augenblicklichen musikalischen Schaff'ens
in Leningrad darstellen konnen. Nur in Kiirze stellte ich die lebeiidigen Richtungen
und die wichtigsten Komponistenindividualitaten dar. Trotz der Verschiedenheit der
einzelnen Talente sind doch gewisse allgemeine Wesensziige ihrem Sti'eben
iiberaU eigen: ein scharfes Gefiihl fiir die Wirklichkeit, das sich bei einigen mit
einer Neigung zur Groteske verbindet; der kinetische Impressionismus (d. h. vom Ira-
pressionismus wird der ihn wertvoll machende Real ism us des Eindrucks iibernomnien,
„BORIS GODUNOW" IN DER AUTORFASSUNG 189|
seine Passivitat und Zustandsfreude jedoch abgelehnt); der Verzicht auf traditionelle
formelle Schemen, die Tendenz zum Konstruktivismus , die neuzeitliche dynamische
Empfanglichkeit fur die Form und fur die Formbildung und Stoffgestaltung (Empfanglich-
keit des Gehors, nicht der Augen!); die Neigung zum polyphonen Denken und das hart-
nackige Hinstreben zu den Problem en des Melos und der melodiscben Spannung. — Wenn
es auch nicbt bescheiden ist, pro domo sua zu sprechen, so kann icb doch nicht umhm,
darauf stolz zu sein, dafi die von mir vor Jahren geaufierten Anschauungen sich als
lebendig wirksam erwiesen haben. Sie entsprecben vollstandig der gegenwartigen Ent-
wicklung in der Musikkultur von Leningrad.
Roman Gruber (Leningrad)
..BORIS GODUNOW" IN DER AUTORFASSUNG
Unsere musik-theatralischen Annalen haben sich vor kurzem durch ein Ereignis
aufierordentlicher Wichtigkeit bereichert, welches bereits eine ganze Literatur um sich
gezeitigt hat. — Am 16. Februar gelangte das bekannte Volksmusikdrama Moussorgskis
,,Boris Godunow" zur Wiederauffuhrung auf der Buhne der Staatlichen akademischen
Oper, und zwar in urspriinglichen Fassung. Dieses Werk, das vor etwa 60 Jahren
geschaffen worden ist, wurde in den letzten Jahrzehnten mit Kurzungen und Anderungen
aufgefiihrt, die von der redaktionellen Bearbeitung durch Rimski-Korssakow herruhreii;
Der im Jahre 1870 vollendete „Boris Godunow" stand seiner Epoche soweit
voran, dafi er von dem Repertoirerat der damaligen Kaiserlichen Oper als minderwertig
(sic!) abgelehnt wurde und sich einer Reihe von Anderungen unterziehen mufite, die
der l Verfasser im Hinblick auf den herrschenden Geschmack und die Zensurforderungen
A r orgenommen hat, bevor er, erst 1874, zur Auffuhrung gelangte, um ziemlich bald
aus dem Repertoire auszuscheiden. Nach Moussorgskis Tode hatte sein Freund
Rimski-Korssakow, von dem aufrichtigen Wunsche geleitet, die Oper von dem vermeint-
lichen „technischen Analphabetentum" zu befreien und ihr einen effektA r olleren Charakter
zu verleihen, eine Umarbeitung vorgenommen, die sich in der Hauptsache auf die
Orchestrierung bezog (worin Rimski-Korssakow bekanntlich ein grofier Meister war).
Tatsachlich aber hatte er umfangreiche Anderungen auch in der Stimmfuhrung, sowie
in der Rhythmik und der Form uberhaupt Raum gegeben. Dadurch hat die Oper
zweifellos an aufierer Pracht gewonnen, zugleich aber vieles an Eigenart der musikalischen
Schreibweise, an Ftille von sehr gewagten musikalischen Wendungen und an Nahe zum
echten und unverblumten russischen Volksmelos eingebvifit. Aus dem dusteren volkischen
dynamischen Musikdrama von rauh-asketischer Farbung, wo machtige Chormassen und die
durch dramatische Ausdruckskraft und Plastizitat ganz aufiergewohnliche „Sprachmelodie"
der Monologe und Dialoge als die hauptsachlichsten „Triebkrafte" wirken, — entstand
unter Rimski-Korssakows Handen ein pomposes, in statischem Plane gehaltenes grandioses
Schauspiel (im buchstablichen Sinne des Wortes), wo das Orchester mit seiner
dekorativen Pracht als gleichberechtigte, pravalierende „Person" in die Handlung einriickt.
Gerade in dieser Form, d. h. als Werk zweier Autoren — Moussorgski und Rimski-
Korssakow, ist die Oper uberall bekannt.
190 ROMAN GRUBER
Seither hat es nicht einmal Versuche einer Wiederauffiihrung des „Boris" in seiner
urspriinglichen Fassung gegeben und zwar infolge einer festgefiigten „Legende" von der
Undurchfiihrbarkeit der Urfassung wegen ihres „orchestertechnisclien Analphabetentums".
Erst in den allerletzten Jahren, nachdem das russische und westeuropaische Musik-
schafFen an einer Reihe von Beispielen die Richtigkeit des von Moussorgski genial an-
gewiesenen Weges bestatigt hat, nachdem es sich im Lichte der musikalischen Gegenwart
erwiesen hat, dafi dasjenige, was als Analphabetentum gait, in den meisten Fallen auf
Moussorgskis Unlust zuriickging, aiisgetretene Schemata des festgeronnenen musikalischen
Kanons einzuhalten — ist eine Reihe russischer Musikforscher (in erster Linie P. A.Lamm
aus Moskau, sowie auch Igor Gljebow) nach sorgfaltigem Studium der ursprung-
lichen Fassung Moussorgskis in Klavier- und Orchesterpartitur zur Uberzeugung gelangt,
dafi diese Fassung sowohl im Ganzen, wie auch in Einzelheiten absichtlich in einem
ganz bestimmten Plane gehalten ist, erne Reihe wertvollster Einzelmomente und sogar
eine ganze Szene (vor der Kirche Wassilij Blashenni) enthalt, die auf die Buhne gar-
nicht gebracht wurden (offenbar, teilweise aus zensui'ellen, teilweise aus redaktionellen
Riicksichten), dafi schliefilich diese Fassung auf der Buhne zweifellos durchfuhrbar ist.
Noch mehr, trotz ihrer „asketischen" Orchestrierung oder vielmehr dank ihr, entspricht
diese Fassung den wahren Absichten Moussorgskis und seinem Ideal eines Volksmusik-
dramas zweifellos in hoherem Mafie als die spateren Fassungen.
Nach Uberwindung mehrerer Schwierigkeiten, die mit der Auffuhrung und Um-
lernen der Partien zusammenhangen, fand am 16. Februar die erste Auffuhrung des
„Boris" in der Urfassung statt.*) (Dirigent W. A. Dranischnikow, Regie S. Radlow,
Dekoration Dmitriew).
Diese Auffuhrung, welche die Aufmerksamkeit unserer gesamten musikalischen
Offejitlichkeit auf sich gelenkt hat, hat offenbar dem Standpunkte derjenigen recht
gegeben, die eine Auffuhrung der Urfassung befiirworteten. (Unter ihnen ist in erster
Linie Igor Gljebow zu nennen, der eine spezielle Artikelsammlung, als Verteidigungs-
schrift fur den „echten" Boris veroffentlichte). Zugleich aber konnte ein lebhafter
Meinungsaustausch fiir und wider nicht ausbleiben, denn es gibt noch eine nicht geringe
Anzahl solcher, die immer noch die dekorative Aufienseite, sogar durch Preisgabe der
Integritat der aUgemeinen Konzeption erkaufen woUen. Die Frage ist hiermit schon
auf prinzipiellen Boden geriickt: ist es zulassig aus Streben nach maximalem „Farben-
reichtum" dem Kiinstler ein ihm durchaus nicht eigenes Kolorit aufzudriingeii (man
denke etwa an eine „Verbesserung" finsteren Kolorits bei Bembrandt durch Auftragen
von Farben eines Delacroix usw.)?
Der gegenwartige Standpunkt der „organischen Kritik" wird sich, wie wir meinen,
dagegen wehren. Wie das Leben selbst die Frage losen wird, wird nur die Zukunft
zeigen. Einstweilen miissen wir aber sowohl das bezeichnende Datum der Wiederauffuhrung
eines der Meisterwerke des russischen musik-theatralischen Schaffens, als auch das Ver-
dienst der Staatlichen Leningrader Oper konstatieren.
*) Es ist zu bemerken, dafi, obwohl bei dieser Auffiibrung eben die erste Fassung Moussorgskis
als Grundkonzeption angenommen wurde, sie noch] durch einige von Moussorgski selbst bei der Um-
arbeitung neugeschriebene Szenen erganzt ist; dafi also, streng genommen, es sich hier um eine ,,synthetische"
Zusarnmenfassung des von Moussorgski Geschaffenen handelt.
RUNDFUNK
Ernst Latzko (Leipzig)
RUNDFUNK UND NEUE MUSIK
1.
Als im vergangenen Herbst die Wiener Musikzeitschxift „Pult und Taktstock" ein
Rundfunkheft herausgab, habe ich in einem Artikel „Rundfunk-Probleme" auch dieses
Thema gestreift. Schon damals wurde darauf hingewiesen, daft der Rundfunk ein Propa-
gandamittel wirksamster Art fur die neue Musik sein konnte, weil hier auf selten gliickliche
Weise materielle und ideelle Widerstande aus dem Weg geschafft werden konnen. Hier
fallt nicht nur das finanzielle Risiko weg, weil die Sendegesellschaft sozusagen allabend-
lich ein ausverkauftes Haus hat, hier konnen durch Zuhilfenahme des erklarenden
Wortes dem Verstandnis entgegenstehende Schwierigkeiten ganz oder teilweise behoben
werden. Eine verantwortungs- mid zielbewuftte Sendeleitung konnte also hier Auf-
klarungsarbeit im besten Sinn des Wortes leisten. Leider scheint dafiir wenig Geneigt-
heit zu bestehen, denn eine im gleichen Heft gesellte Rundfrage : „Gibt es Stilgattungen,
die sich fur den Rundfunk schlecht eignen ?" ergab von seiten einer Reihe von Sende-
gesellschaften Antworten, die mit geringfiigigen Abweichungen immer darauf hinaus
liefen, daft Neue Musik sich ihrer Polyphonie und ihres Reichtumes an Dissonanzen
wegen fiir die Rundfunkiibertragung nicht eigne.
Im Auffinden von Grvinden, warum das Neue mit alien Mitteln unterdriickt werden
miisse, war die Welt von jeher nicht verlegen.
Wie sieht es aber in Wirklichkeit mit diesen angeblich aus der Ubertragung sich
ergebenden Schwierigkeiten oder Unmoglichkeiten aus? Richtig, das herfit technisch
genau wiedergegeben und unter giinstigen akustischen Verhiiltnissen aufgenommen und
gesendet, klingt mit Ausnahme der durch die Obertone bedingten Farbung jede Musilc
in der Ubertragung ebenso wie bei der Aufnahme, also genau so verstandlich oder
genau so unverstandlich. Weder wird die Dissonanz dissonanter, noch wird die Poly-
phonie polyphoner. Verandert wird lediglich die Klangfarbe. Daher mtiiSte beispiels-
weise viel eher der Einwand, dafi impressionstische Musik, die ihre Wirkung zum
grofiten Teil koloristischen Momenten verdankt, die im wesentlichen Klangf'arbenmusik
ist, durch die Ubertragung ihren Hauptreiz A^erliert, gemacht werden. Aber gerade der
Impressionismus wird durch das Interdikt der Sendegesellschaften nicht getroffen, denn
seine Dissonanzen regen heute niemanden mehr auf und Polyphonie gehort nicht zu
seinen eigentlichen Ausdruclcsmitteln.
Und ebensowenig wie impressionistische Musik konnen im Rundfunk jene letzten
Auslaufer der Romantik klingen, die von einer Uberhitzung der Harmonik, dem Reich-
tum an Fiillstimmen und Ornamenten, dem Raffinement der Instrumentation das Heil
erwarten. Hier hat der Kompositionsslil auch zu einem neuen Stil der Wiedergabe ge-
fiihrt, einem Stil, dem es weniger auf Technik als auf Ausdruck und Wirkung ankam.
Bezeichnenderweise spricht der Hauptvertreter dieser Richtung, Richard Straufi. von
einem „al fresco"-Stil und stellt ihn dem durch ..absolute Klarheit" und durch „Aus-
192 ERNST LATZKO
fuhrbarkeit jeder Figur durch jedes Instrument's diarakterjsierten „klassisclien" Stil gegen-
iiber. (Berlioz: Instrumeiitationslehre, erganzt und revidiert von Richard Straufi).
Dieses ,,al fresco", das im Orchester darauf hinaus lauft, dafi bei den cliorisch besetzten
Streicbern jeder einzelne schwierige Stellen sich auf seine Art erleichtert, wodurch —
fiir Werke dieses Stils — tatsachlich ein effektvollerer Gesamteindruck entsteht, als
wain die S telle leichter gescbrieben und von alien korrekt gespielt worden ware, wirkt
sich im Rundfunk katastrophal a us. Kein noch so grofier Ausdruck, kein noch so
schmifiiger Elan kann bei der Rundfunkubertragung uber die akustische Unklarheit
hinweghelfen, die durch technische Mangel entsteht. Werke dieses Stils werden deshalb
hier immer verzerrt wirken und wenn sie trotzdem verhaltnisniafiig oft gespielt werden,
so beweist das nur, dafi akustisiie Riicksichten bei der Programmbildung weniger den
Ausschlag geben als konservative Einstellung der Sendeleitungen und Riicksichtnahme
auf die reaktionfire Majoritat des Publikums.
Betrachten wir nun den Stil der heutigen Zeit, mag man ihn nun mit dem
Schlagwort „Neue Sachlichkeit" oder mit dem sein Wesen weit treffender charakterisierenden
Namen „Neuer Klassizismus" bezeichnen, auf seine Eignung fiir die Rundfunkubertragung
hin. Zwei Momente kommen hier zu allererst in Betracht: Die erhohte Bedeutung
des formalen Elementes und die Objektivierung der Musik, ihre moglichst vollstandige
Emanzipierung voii der Personlichkeit. Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, dafi auch
im Konzertsaal der musikalische Eindruck des Laien durch Eindriicke des Auges, Bewegungen
und Gesichtsausdruck des Sangers, des Instrumentalisten, des Dirigenten, gefordert
werden kann. Fiir das Horen nun, das wie das Rundfunkhoren auf jede optische
Uilterstutzung verzichten mufi, bietet die Gesetzmafiigkeit, die in der Beobachtung der
Form liegt, eine wesentliche Hilfe und besonders das ungeschulte und ungebildete Laien-
ohr konnte, entsprechend vorbereitet, aus den im Formalen enthaltenen Erinnerungs-
momenteu die grofiten Vorteile ziehen.
Noch viel bedeutsamer miifite sich der zw r eite Faktor, die Objektivierung der
Musik, im Rundfunk auswirken. Demi gerade die Trennung von der Personlichkeit,
die die Neue Musik ideell anstrebt, ist im Rundfunk materiell insofern erreicht, als die
Personlichkeit des Ausfuhrenden vom Horer ortlich getrennt ist und dieser dadurch
tatsachlich die Musik bis zu einem gewissen Grade ,,entsubjektiviert", ohne jenes Fluidum,
das raumliche Nahe, ohne jene Beeinflussung, die Gesichtsausdruck und Korperbewegung
erzeugen, gesendet erhalt. Also gerade, was die Neue Musik anstrebt, die Beseitigung
aller Auswiichse „personlicher Auffassung" (die durch das Gesehenwerden zweifellos
quantitativ und qualitativ gesteigert werden), die Eindammung des Ausdrucks auf ein
naturliches Mafi, wird durch' die eigentumlicben Bedingungen des Rundfunkhorens bis
zu einem hohen Grad erfiiUt.
Des weiteren verzichtet die Neue Musik auf alle koloristischen und ornamentalen
Wirkungen und wird dadurch erst recht zur Ubertragung geeignet. Die Klangfarbe, das
Resultat der Obertone, wird wohl immer das Stiefkind des Rundfunks bleiben, der
aus akustischen Griinden gerade auf moglichste Unterdriickung der Obertone durch
Dampfung aller Art bedacht sein mufi und dessen Leistungen desto klarer sind, je
mehr es ihm gelingt, nur die wirldich erzeugten Tone zu senden. Aber eben diesen
neutralen, geraden, wirklichen Klang strebt die Neue Musik an und es wird kaum
RUNDFUNK UND NEUE MUSIK 193
eine Stilgattung geben, deren Klang-„Bild" durch die Buudfuiikiibei'traguiig so weuig
getriibt wird. In der gleichen Bichtung wirkt der Verzicht auf das Ornament, die
Abkehr von alien nur auf schwelgerische "Wirkung berechneten FiUlstimmen, die Brick -
kehr zu stranger, realer Stimmfuhrung. Demi das durch diesen Stil bedingte Musizieren
ist eben jenes, das audi der Rundfunk fiir seine besonderen Zwecke braucht, ein
Musizieren, das die Freude an der Technik wiedergewonneii hat, das iiufierste Pra-
zision nach alien Richtungen als hochstes Ziel anzustreben hat, aus clem Ausdruck mid
Wirkung sich von selbst ergeben mufi. Also gerade das Gegented von deni frtther
erwahnten ,,al fresco".
Hand in Hand mit diesem Verzicht auf alle nur auf „Wohlldang" berechneten
Fullstimmen vollzieht dieser neue Stil in der Orchestermusik die Abkehr von dem
Riesenapparat der „Sinfonischen Dichtungen" und ,,Programmsinfonien" und bevorzugt
audi hier ein kammermusikalisches, auf intime, solistische "Wirkungen gestiitztes Musizieren.
Jedev, der erfahren hat, wie schadlich sich im Rundfunk jedes klangliche Extrem,
jeder Masseneffekt auswirkt, mufi in dieser Einschrankung der orchestralen Mittel
eine weitere Beziehung erblicken, die den neuen Stil fur die Ubertragung hervorrageud
geeignet macht.
Man sieht also, wie viele und wie dichte Faden den Rundfunk mit der Neuen
Musik verknupfeii. Ja, diese Beziehungen sind so enge, dafi in dem gleichzeitigen Eut-
stehen der ,,Neuen Sachlichkeit", der Ausbreitung unci Vervollkommnung des Bund-
funks und schliefilich audi in den immer intensiver auftretenden Mechanisierungsbe-
strebungen in der Musik keine zufallige Erscheinung, sondern eine Art Gesetzmafiigkeit
erblickt werden mufi.
Die sich aus all dem ergebenden Folgerungen sind nicht schwer zu ziehen. Dem
Rundfunk erwachst die Pflicht, einer Musik, zu deren Wiedergabe er unbedingt geeignet,
in mancher Beziehung sogar entschieden pradestiniert ist, seine Pflege angedeihen zu
lassen und so zu ihrer Verbreitung beizutragen. Ohne Biicksicht auf Sympathien oder
Antipathien der fiir die Programmbildung verantwortlichen Personeu, ohne Biicksicht
auf die vielleicht anfangs ablehnende Haltung eines Teiles des Publikums. Natiirlich
will diese Aufgabe mit Verstand gelost sein und nichts ware falscher als hier mit der
Tiire ins Haus zu fallen und den unvorbereiteten Horer durch AVerke, die er unmdglich
verstehen kann, kopfscheu zu machen. Die Auswahl geeigneter Werke, ihre Zusamnien-
stelluug mit komplementaren Werken anderer Stilperiodeu. der Blick fiir das richtige
Mafi des einem naiven Publikum mit Aussicht auf Erfolg zu Bietenden verlangen Sach-
kenntnis und Begeisterung. Jedes „zu viel" und jedes „zu oft" ware naturlich ein
ebenso schwerer Fehler wie ein „zu schwer". Durch die Moglichkeit einfuhrender Vor-
trage hat es der Bundfunk in der Hand, Entwiddungen deutlich zu machen, Zusammen-
hange klarzulegen und so den Horer vorzubereiten. Und wird diesem klargemacht, wie
dichte Faden sich von der Musik des 18. Jahrhunderts zu der heutigen spinnen, mit
welchem Becht man darum von dieser als von einer Neuen Klassik sprich, dafi unsere
neu erwadite Liebe fiir jene alte Klassik aus den gleichen Quellen entspringt wie
unsere Begeisterung fiir die „Neue Sachlichkeit", aus der Erkenntnis, dafi unsere Zeit
eine von Uberschwang und Sentimentalitat ebenso wie von allem nur auf Wohlklang
berechneten Ornament befreite Musilc braucht, in der Form und Inhalt, Technik und
194 ALICE JACOB LOEWENSON
Ausdruck sich gegenseitig die Wagschale halten, warum deshalb die Bomantik des
19. Jahrhunderts in unserer Wertung so lange zuriickstehen rnuK, bis eine Renaissance
wieder sie in den Vordergnmd riickt, wenn dies alles deni Horer klar gemacht wird,
wenn er daraiif hingewiesen wird, wie dieser musikgeschichtliche Prozefi nur im Zusammen-
hang der ganzen Kulturgeschichte, als Folgeerscheinung des gesamten historischen Ent-
stehens und Vergehens zu begreifen ist, dann wird auch seine Einstellung der Neuen
Musik gegeniiber eine verstandnisvollere werden, die weder an Polyphonie noch an
imgewohnten Harten der Stimmfiihrung Anstofi nehmen wird.
Wenn der Rundfnnk sich seiner volkserzieherischen Aufgabe bewuftt ware, miifite
er erkennen, dafi diese von alien aufiermusikalischen Einfliifien befreite Musik, die in
Inhalt nnd Form nur ihren eigenen Gesetzen, nicht denen der Literatur oder der bil-
denden Kunst, gehorcht, mithelfen konnte, das Volk zu einem naiven, gedanken-
unbeschwerten Musikhoren zuriickzufuhren.
Der Rundfunk, der seine Sendung richtig erfafit, kami sich nicht als Konkurrenz
der Konzerte und Theater betrachten sondern als eine Erganzung, der die Pflege der
von jenen vernachliifiigteii Gebiete zu allererst obliegt. Mit Wiedergaben der „Eroica K
und des „Tristan" erfiillt er jedenfalls nicht seine Kulturaufgabe, denn hier behauptet
die Konzert- oder Theaterauffiihrung doch eine Uberlegenheit, ftir die BUligkeit und
Bequemlichkeit noch kein angemessenes Aquivalent bedeuten. Ganz anders, wenn der
Rundfunk bewufit sich jener Literatur zuwendet, an der der Theater- und Konzertbetrieb
aclitlos vorubergeht. Hier faUt die Vergleichsmoglichkeit weg und hier fullt der Rund-
funk tatsachlich eine Liicke aus. Wenn er diese Aufgabe zugleich mit dem richtigen
Tnstinkt fur die Forderungen der Zeit erfiillt, dann wird der Rundfunk in der Kidturwelt
die Stellung einnehmen, die ihm durch seine technische Redeutung zukommt.
Von dem durch die vorhergehenden Ausfiihrungen fixierten Standpunkt soil nun
in Zukunft das Geschehen im Rundfunk begleitet und besprochen werden.
U M SCHA U
Alice J a c o b - L o e w e n s o n (Berlin)
BUSONI: DIE SONATINA SECONDA
Busonis Vorstudie zum ,,Doktor Faust' --
Busonis ..Sonatina seconda", das gespenstische Kind aus der Zeit der Faust-Konzeption,
ist schon 1910 entstanden. Die iramer orchestrale Diktion — oft einem Klavierauszug
gleichend — die Schattenhaftigkeit der nieist nur angedeuteten Thenien, die sich kaum
mehr an die pianistische Gestaltung wendet, langatmige Parlando-Stellen und herber
Klaviersatz machen sie zu einem Stiel'kind der Pianisten. ' Zudem ist sie in ihrer
radikalen, wenn audi ausgeglichenen, Atonalitat und Konzessionslosigkeit der Form
DIE SONATINA SECONDA )95
erst etwa zehn Jahre nach ihrer Eutstehung zeitgemass und , i'iir die Interpretation
zuganglich geworden. Der reifste Stiel des letzten Bnsoni ist darin vorweggenommen.
Ihr Aufbau ist sehr klar. Diese ,,Sonatina" ist keine „kleine Sonate", sondern
mehr eine Fantasie in zwei Satzen. Jeder der beiden Satze baut sich aus einer Reihe
variation-ahnlicher Perioden auf, die rnn ein Hauptthema gruppiert sind. (Man kann
hier freilich nur zSgernd von einem „Thema" sprechen ; der Terminus passt nicht mehr
recht anf solche Grundgebilde.) — Der ganze erste Satz wirkt trotz der Selbstandigkeit
seines Baues als Auftakt des zweiten, zumal seine Dynamik steigend, die des zweiten
falleud ist. Der zweite Satz verarbeitet am Schlufi Reminiszeuzen aus clem ersten.
Nun ist durcli Parallelstellen im ,,Doktor Faust" die Moglichkeit gegeben, den
Inlialt der entsprechenden Stellen in der „Seconda" — soweit die Darstellung eines
solchen iiberhaupt im "Wesen der Musik-Beschreibung liegt — wenigstens vage anzudeuteu.
Zwei Stimmungscharaktere beherrscben die „Sonatina seconda" als Haupt-Kontraste.
Ihre imiere Art und Affekt-Ricbtung sind durch die Vorspiele des „Doktor Faust" diktiert.
Eine Gruppe von Perioden betont das Traumhafte, Halbclunkle, Geheimnisvolle:
Themen und Figuration sind wie fliehende Schatten. Alles ist irreal, doch wie die
Realitaten bereitend. Als wollten klagende Geister zux Wbldichkeit erlost werden.
Als Gegensatz bierzu fungiert ein sehr aggressives, ruckhaft stecbendes Motiv, welches
das „Damonische" auszudrucken scheint. Im „Doktor Faust" tritt es an Stellen auf, wo
das Hexenhafte in Mensch, Geist, Ding in Aufruhr gerat. So beim Ziscben der
alchymistischen Substanz im Tiegel und beim Auftritt und Weggang der ,,drei Studenten".
In der „Sonatina seconda" tritt dieses Motiv zuerst in monumentalster Form als
Hauptthema auf. Es ist hier wie der Ansprung des Menschen Faust gegen die Wande
der Geisterwelt. — Dynamischer Hohepunkt wird dies Motiv am Schlufi des ersten
Satzes, wo es zu unerhort konzentriertem „Con fuoco, energicissimo" ansteigt.
Man konnte bei diesem Werk von einem ..stilisierten" Naturalismus sprechen. —
Man hort ordentlich das Gold im Tiegel zischen — weifi aber zugleich jeden Moment,
dafi dies nicht natur-nachahmender Klangeffekt, sondern geistige, geformteste Musik ist. —
Dieses geistige Moment soldier Partieen wird in der Seconda besonders deutlich, weil
sie hier unabhangig und losgelost von ihren illusti'ativen Urspriingen in der Oper
erscheinen. (Ahnliches empfindet man bei Mozart'schen Motiven in Sonaten und
Konzerten und ihi-er Beziehung zu Parallelem in seinen Opern.)
Ein genauer Vergleich der beiden "Werke ergibt, dafi in der „Sonatma seconda"
iiberhaupt nur wenige Takte stehen, die nicht engste thematische Beziehung zum „Faust"
haben. Vor allem sind es die dramatiscben Situationen des ersten Vorspiels: Faust
am Herde, mit der Beobachtung eines werdenden chemiscben Vorgangs beschaftigt und
vollig hierm vertieft-, Wagner, die drei Studenten anmeldend; den lateinischen Titel
des magischen Werkes nennend; das Motiv des Auftretens der Studenten; ihre Vor-
stellung ; ihre Verehrung des Meisters ; die Andeutung ihrer Anspriiche im Jenseits und
Fausts allmahlicbes Begi-eifen, dafi es die Sendboten des Teufels sind; im zweiten
Vorspiel verscbiedene Stimmen (die 1, 6, 7.) der erscheinenden Geister; auch in der
einleitenden Symphonia „Ostervesper und Fruhlingskeimen" : - alles dies und noch
einiges andere findet sich thematisch, wenn auch keineswegs in der Reihenfolge der
196 HANS MEHSMANN
Oper, meist wortlich, mitunter nur angedeutet oder etwas modifiziert, in der ,,Sonatina
seconda".
Durch die mit deni „Doktor Faust" zusanimeiihaiigeiideii stofflichen Elemente ist
der Stil der ,,Seconda" eigentlich noch impressionistich zu nennen, wean audi Melos,
Polyplionie und Klanggestaltung, Harmonik und Rhythmik ein so freies, reiches und
souveranes Geprage zeigen, wie es erst die spiitere Musik ermoglicht hat. Als ob eine
Epoche schon nach der nachsten ihre Fangarme ausstreckt.
II a n s M e r s m a n n (Berlin)
MUSIKWISSENSCHAFTLIGHE LITER ATUR
,,Carmen ist nocli immer die beliebteste Oper aid' dem Erdenrund und docb weils
die bunte Menge, die in den Theatern ergriffen das Scliicksal der braunen Zigeunerin
miterlebt, fast garnichts von dem noch ergreifenderen Scliicksal jenes einzigartigen
Musikers Bizet . . ." So beginnt Edgar Ist el das Vorwort seines Buches ,,Bizet und
Carmen", das jiingst unter den „Miisikalischen Volksbuchern" des Verlags Engelhorn,
Stuttgart, erschien. Eine deutsche volkstumlich geschriebene Monographic des Carmen-
komponisten tritt in eine Liicke ; die bisher vorliegende deutsche Literatur ist gering.
Istel findet einen guten Ausgleich zwischen Wissenschaftlichkeit und Volkstiimlichkeit.
Eine kleine monographische Studie zeigt den Aufstieg bis zu Bizets Hauptop'er. Weitere
Kapitel decken die Zusammenhaiige zwischen dem Textbuch und der Novelle von
Merimee auf. Die Geschichte der Oper, ihre Auswirkung, des jungen Bizet bald darauf
folgender Tod vollenden das Buch. Der in Spanien lebende Verfasser beschaftigt sich
ausfiihrlich mit den Einfliissen spanischer Volksmusik auf die Carmenpartitur und gibt
durch Notenbeispiele anschauliche Gegeniiberstellungen. Das Buch ist leicht und fliissig
geschrieben und kommt als „Volksbuch" den Absichten der Herausgeber in weitem
Mafie entgegen.
Bobert Haas gibt (im Verlag Gustav Bosse, Regensburg) ein Verzeichnis der
Es te n si sch en Musik alien. Sie stammen aus ein em Schlofi der italienischen Adels-
familie Obizzi bei Padua aus der Zeit um 1700. Derartige Inventare sind fur die
niusikgeschichtliche Forschung von grofiter Bedeutung. Sie geben einen Querschnitt
durch die Produktion einer Zeit, einen Einblick in die Musikpflege, zeigen, was von
dem Werke vergangener Generationen erhalten geblieben ist. In diesem FaU ist das
Bild von grofier Gesclilossenheit; die Sammlung enthalt viele unbekannte Namen, um
deren Indentifizierung und Einordnung sich der Herausgeber bemiiht. Die Entstehungs-
zeit der hier gesammelten Musik liegt zwischen 1650 und 1725 und umschliefit da-
durch eines der interessantesten Kapitel aus der Frub geschichte der Kamniermusik : die
Entstehung und Festigung der viersatzigen Kirchensonate vom Typus Corellis und die
Stellung dieses Sonatentypus zu der benachbarten Sonata da camera, zur reinen
Viblinsonate und zum Konzert. Der Katalog ist als thematisches Verzeichnis gegeben,
um dessen Veroffentlichung sich der Verlag ein gi'ofies Verdienst erworben hat.
..ARNOLD SCHDNBERG: DIE GLUCKLICHE HAND" 197
Als eine wissenschaftliche Leistung hohen Ranges enveist sich die elfte Auf-
lage von Hugo Hiemaims Musiklexikon, dessen vier erste Lieferungen bisher
vorliegen. Diese 240 Seiten gehen noch nicht tibei- die beiden ersten Buchstaben des
Alphabets hinaus. Doch soil auch diese Auflage, die zweibandig gedacht ist, noch
immer so weit als moglich handlicb bleiben (Max Hesses Verlag, Berlin). Der Vergleich
dieser Auflage mit der vorangegahgenen lafit die enorme Arbeitsleistung des Heraus-
gebers, Alfred Einstein, von fern erkennen. Kaum ein Artikel ist unverandert ge-
blieben. Uberall hat sorgfaltigste Nachprufung, Berichtigung, Erganzung eingesetzt.
Die Ergebnisse des von dem gleichen Herausgeber bearbeiteten Neuen Musiklexikons
sind eingearbeitet worden.
Die Bedeutung dieser neuen Auflage liegt darin, dafi sie auf dem natiirlichen mid
begriil&enswerten Weg von Riemanns zu Einsteins Musildexikon einen entscheidenden
Schritt bezeichnet. Schon die bis jetzt vorliegenden Anfange lassen erkennen, dafi diese
Wandlung im Begriff ist, sich zu vollziehen. Wenn das Lexikon wirklich lebendig
bleiben will, so ist dies der einzige Weg. Gerade auf dem Gebiete der Terminologie
und Musiktheorie mufiten die teilweise unfruchtbar einseitigen oder sogar tendenziosen
Artikel Riemanns ersetzt werden, weil sie unserer Zeit nicht mehr entsprechen. Dariiber
hinaus ist das Lexikon eine Angelegenheit zielsicherer raumlicher Ukonomie. Die
Forderung der Gegenwartigkeit, die Einbeziehung zeitgenossischen Schaffens macht
Raumvertedung zum Problem. Hier ware vielleicht an manchen Stellen noch starkere
Konzentration moglich und empfehlenswert. Es ist wohl nicht unbedingt notig, dafi
ein Koinponist von notorischer MittelmaiSigkeit einen Artikel von mehr als fiinfzig
Zeilen mit vollstandig auf gefidir tern Werkeverzeichnis, einschliefilich der Jugendwerke,
erhalt. Hier konnten ldeine Beschneidungen die Wesentlichkeit des grofiziigig ange-
legten Werkes erhohen.
Zwei kleinere Schriften verdienen noch eine Erwahnung. Die erste ist das
Januarheft der „Pad agogischen ¥arte". welches den Fragen des evangelischen
Kirchenliedes gewidmet ist. Das Heft wird mit einer gut orientierenden Studie Friedrich
Blumes iiber den evangelischen Gemeindegesang in Geschichte und Gegenwart eingeleitet.
Die andere ist das dritte Beiheft zu der Zeitschrift „Bucherei und B il dungs -
pflege" (Stettin), in welchem Wolfgang Engelhardt ,,Beetho venliteratur in
der Volksbucher ei" zusammenstellt. Die kleine Schrift aber ist viel mehr als eine
Literaturzusammenstellung. Engelhardt • macht zu den Biichertiteln ausgezeichnete An-
merkungen und gibt einen einleitenden Aufsatz, der sich dem Besten, was das
Beethovenjahr gebracht hat, an die Seite stellt.
Peter Epstein (Breslau)
ARNOLD SCHONBERG: „DIE GLUCKLICHE HAND-
Reichsdeutsche Urauffxihrung in Breslau
Frans Masereel hat in einem Holzschnittwerk das Schicksal des Kiinstlers geschil-
dert. Der Scbopfer entlaftt tranenden Auges die eben gefundene idee in eine Welt,
198 PETER EPSTEIN
wo ihr tausend Gefahren drohen. Sie lebt mid iiberwiudet Holm und Verfolguug,
wahrend ihr Schopfer das Argste fur sie eileidet. Doch als sie nach bewegten Ge-
schicken endlich in die Zelle ihres Erzeugers zuriickkehrt, da hat er, ihrer vergessend,
eine neue Idee geboren, die nun sein ganzes Denken erfullt. Auch sie mufi er der
feindlichen Welt iiberliefern ; das abermalige Opfer schliefit den Kreislauf.
hi Arnold Schonbergs Drama mit Musik „Die ghicldiclie Hand" ist ein ahnlicher
Gedanke gestaltet. „Ein von Ungliick geschlagener Mann rafft sich auf. Das Gliick
lachelt ihm wieder. Er vermag Leistungen zu vollbringen wie in friiheren Zeiten.
Doch abermals erweist sich alles als triigerisch, und von neuen Schicksalsschlagen ge-
troffen, bricht er zusanimen." (So Erwin Stein nach Worten Schonbergs.) Was der
Mann in dieser bewegten Handlung auch schuf und ersehnte, am Ende begrfibt wiederum
die Last des Schicksals seinen Leib. Und wieder wird der Kreislauf begiiiiien, wie das
Martyrium des Kiinstlers in jener Bddfolge aufs Neue anhebt.
Was aber der Graphiker in mehr denn 80 Szenen erzahlt, der Musiker driingt es
in den Ablauf von 23 Minuten zusanimen. Aufstieg aus tiefster Erniedrigung, Gliick
und Sturz in die Tiefe des Anfangs ziehen in dieser kurzen Spanne voruber. Eine
unerhorte Intensitat des Aul'nehmenden wird bei dieser Partitur von 255 Takten
vorausgesetzt. Zum ersten Mai seit der wenig benierkten Urauffiihruiig Turnaus in
Wien hat sich ein Publikum zu dieser Aufgabe bereit gefunden. Oder vielmehr : Josef
Turnau, ' der heutige Intendant der Breslauer Oper, glaubte die erste deutsche Auf-
iihrung wagen zu diirfen, ja mehr: er gab ihr durch Schonbergs erklarende Worte und
die zweimalige Darbietung des Werkes den Charakter einer Lehrstunde im neuen Horen.
Somit war es moglich, unter den gunstigsten Voraussetzungen das Werk Schonbergs
auf seine klingende Wirkung zu priifen.
Fehl ginge, wer das Klanghche dieser Sckopfung in den Vordergrund riickte.
Schonberg hat ja nicht allein die Musik dieses Dramas geschrieben, er hat auch die
Handlung und die Worte geschaffen, hat den Schauplatz, die Farben und die Beleuch-
tung mitkomponiert. Damit ist er weit iiber sein Monodrama „Die Erwartung" hinaus-
gegangen, dem noch ein fremder, freilich Schonbergs seelischer Haltung sehr ver-
wandter Text zugrunde lag und in dessen Biihiiengestaltung dem Nachschaffenden viel
mehr Freiheit verblieb. Ein Monodrama ist auch „Die gluckliche Hand" insofern, als
der Mann allein handelt und die Figuren des Weibes, des Verfuhrers, der schmiedenden
Manner nur als seine Uniwelt Bedeutung haben, stumm bleiben. Sie sind gewisser-
mafien der lebendige Gipfel der „Szenerie". Sie sind ein Ted jener AuSenwelt, aus
der dem Mamie, um dessen Leiden und Handeln es in diesem Stiicke geht, sein Schick-
sal entspringt. Und entscheidend ist, dafi Alles in diesem Drama durch das Medium
des Mannes gesehen, empfunden, gespiirt und zum kiinstlerischen Ausdruck geformt ist
— mit Ausnahme der beiden Bahmenszenen, in denen der Chor mit Anklage, Urteil
und Frage dem Geschehen aus seiner objektiven Schau einen Sinn geben mochte: ge-
wissermafien die hohere, jenseitige Ordnung aufrichtet, in der (wie im antiken Drama)
das Diesseitige aus seiner Zufalligkeit erlost und der ewigen Gesetzlichkeit eingeordnet
wird. „Du armer Buheloser" besagt Anfang und Ende des in seiner Grundeinstellung
pessimistischen Werkes; dazwischen liegt alles Erleben eines Daseins, alle Traume des
Gliicks, aUe Sehnsucht, mit der „glucklichen Hand" den herrlichsten Besitz zu fassen.
ARNOLD SCHONBERG: „DIE GLDCKLICHE HAND" 199
Vernichtung ist das Ende, und des Chores ernste Frage : „Mufitest du's wieder erlehen,
was du so oft schon erlebt ? Kannst du niclit verzichten ? nicht dich endlich bescheiden ?
Ist kein Friede in dir! noch inimer nicht? Suchst zu lass en, was dir nur ent-
schliipfen kann, wenn du's haltst . . . . Fassest nur, was du greifst, fuhlst du
nur, was du bemhrst ?" Diese Worte kntipfen an die Begiebeme.rkung gegen Ende des
zweiten Bildes an : „Der Mann achtet nicht, dafi sie fort ist. Er hat sie" — vermeint-
lich — „an seiner Hand, auf die er ununterbrochen hinsieht." Sein Schlufiwort in
dieser Szene „Nun besitze ich dich ganz!" ist tragischer lrrtum, die gliickliche Hand,
mit der er die Frau zu beruhren glaubte, hat ihn getauscht.
Die Stelle mufite so ausfuhrlich besprochen werden, weil sie nach des Kompo-
nisten Aussage den Titel „Die gliickliche Hand" erklart, jenen Titel, der von den
Dunkelheiten des Dramas am dunkelsten ist und durch Schonbergs an jene Regie-
bemerkung ankniipfende Deutung noch symbolbeladener, dunkler wird. Es gibt Be-
schreibungeii der „Glucklichen Hand", wie die von Egon Wellesz („Arnold Schonberg".
1921) und Erwin Stein (Sonderheft 1927/28 - 14 der Blatter des Breslauer Stadt-
theaters), die an jenem Zusammenhang voriibergehen, der in Schonbergs Sinue der
Angelpunkt des Geschehens in der „Ghicklicheii Hand" ist und ihr den Namen gab.
Wahrscheinlich hat Schonberg in seiner Breslauer Bede zum ersten Male so den Schluftel
des Dramas gegeben.
Die nachpriifende Betrachtung hat Grund, sich audi weiterhiii an Schonbergs
"Worte zu halten. Als Aufgabe des Musikers auf dem Theater schwebt ihm vor, „mit
den Mitteln der Bidine zu musizieren". AVie Tone, im Grunde nur Luftschwingungen,
durch die Art Hirer Verbindung kiinstlerische, seelische Eindriicke hervorrufen konnen,
so mufien audi andere Materien zum Mittel des Ausdrucks werden, bringt man sie
nach tieferen Gesetzen in Verbindung. Das musikalische Kunstw r erk der Buhne wird
der erzielen, der idler die Skala des Mienenspiels, den Rhythmus des Lichts ebenso
souveran gebietet, wie iiber das Beicli der Klange. Das Kunstwerk, das so entsteht,
wird dem „Expressionismus" angehoren oder — mit Schonberg zu reden — sich die
Darstellung der inneren Vorgange zum Ziel setzen. Die ..Gliickliche Hand" ist expres-
sionistisch, besser: sie war es schon, ehe noch die Sturmflut der ungehemmten Geiuhls-
ausbriiche einsetzte. Denn dieses Drama ist 1913 vollendet!
Schonbergs op. 18 steht im Mittelpuukt jener Schafl'ensperiode von op. 15 — 22, in
der sich der Meister von aller musikalischen Tradition in Form, Harmonik und Melos
in stiirmischem Fortschreiten entfernte. Llnidiertroffen ist bis zur Stunde die Kiilinheit
dieser Partitur — und doch scheint sie heute, nach lunfzehn Jahren und ihreni Ge-
schehen, einer versunkenen Zeit anzugehoren. Schonberg selbst spricht von den
,,romantischen" Ziigen seiner Konzeption, empfiehlt ironisch dem Kritiker, dies Werk
der Vorkriegszeit als „schon sehr veraltet" abzustempeln. Doch ist es so uberheblich,
wenn wir heute in der Tat wo anders zu stehen glauben ? Steht nicht SchOn berg selbst
als ein Anderer da? Nichts Einzelnes ist es, was heute stort: im Gegenteil: neuere
Musik ist seither nicht geschrieben worden, freier (und gleichwohl belierrscht) ist
Orchestersprache nicht denkbar. Der Widerspruch aber liegt zwischen Gegenstand und
Mitteln des Kunstwerkes. Wenige Horer - der stumpfen oder boswilligen gar nicht zu
gedenken — sind der Aufgabe gewachsen, das Geschehen der kurzen Handlung in so
200 PETER EPSTEIN
unerhorter Konzentration zu begreifen. Es ginge, wenn alle Einzelheiten vor dem
grofien- Gedanken verschwanden. Die Szene aber haftet noch an Einzeldingen : da be-
hangt sicli der Mann niit Turkenkopfen, vollbringt in der Schmiede eine sehr reale Tat,
die symbolisch seine Kraft bezeugen soil; da sind in einem Biihnenbild, das „nicht die
Nachahmung eines Naturbildes, sondern eine freie Kombination von Farben und
Formen" seiu soil, dennoch Nadelbaume mit silbergrauen Asten vorgeschrieben.
Das sind aufiere Widerspriiche ; der innere liegt darin, dafi ein solch ungeheurer
Apparat fiir eine so nach innen gerichtete Angelegenheit in Bewegung gesetzt wird.
Schonberg dringt an die Grenzen des seelischen Geschehens vor; seiner differenzierteu
Psychologie vermag nur ein ebenso differenziertes (neunzigkopfiges) Orchester gerecht zn
werden, das gewissermaGcn in jede Verastelung des Denkens und Fiihlens folgen kann.
Und dieses Riesenorchester musiziert nach innen! Wie bezeiclmend die dreifache
Relation dynamischer Abstufung : Hauptstimme — Nebenstimme — Begleitung. Ein
piano der Hauptstimme setzt leiseren, doch deutlich abgehobenen Vortrag der Neben-
stimmen, noch leiseren Untergrund der Regleitung voraus. Dies Verhaltnis der drei
dynamischen Stufen ist konstant und ermoglicht, aus dem riesigen Klangkorper, die
feinsten Schattierungen herauszuholen. Doch heute herrschen Realitaten; der Luxus
eines ungeheuren Aufgebots fiir ein "Werk mehr des Herzens, denn der Lungenkraft, ist
heute iiberwunden, ja er steht der wahren Erkenntnis des Kunstwerks im Wege, fiihrt
die unentrinnbare Komplikation mit sich. Schonbergs Apparat ist unerschopflich in
seinen Moglichkeiten, reich wie das Leben der Seele selbst, um das es hier geht. Doch
kein Kunstwerk war je so vermessen, diesen Reichtum ausschopfen zu wollen!
Ein Beispiel, das wiedemm Schonberg in seiner Rede gab, otfenbarte den Abstand
zwischen der Vorstellungswelt des Komponisten und der Fassungskraft selbst des
willigsten Horers. Der Sprechchor des ersten Bildes ist untermalt von einem durch
die ganze Szene festgehaltenen Akkord der Streicher : Gis — fis — cis' — g 1 — h 1 . Er soil das
musikalische „Ostinato" darstellen, das dem szenischen Ostinato der starr auf das Opfer
gerichteten Blicke entspricht. Das aufmerksamste Ohr wird in manchen Takten dieses
pianissimo-Klangs nicht einmal als Farbe gewahr werden; er lebt stellenweise nur in
der Phantasie des Schopfers, ist — ideell ein unentbehrlicher Teil der Partitur — im
realen Shine iiberfliissig.
Die Darstellung der „Glucklicheu Hand" im Breslauer Stadttheater wai" eine Tat
des jungen Spielleiters Herl^ert Graf. Fritz Cortolezis leitete iiberlegen das ausgezeich-
net studierte Orchester. G. H. Andra gab, der Einheit von Gesang und Spiel wold
bewutet, den Mann, Inge Swedlund tanzerisch die Frau. Hans Wddermanns Bidmen-
Jdlder wurden ohne sklavische Auslegung der anspruchsvollen Forderung des Textes
gerecht; wundervoU wandlungsfahig in der exakt befolgten Dynamik des Lichts der
phantastische Schauplatz der dritten Szene. Die Wiederholung war geeignet, die Ge-
schlossenheit dieser Auffiihrung nachdrucklich zu ervveisen; sie offenbarte zugleich die
unerbittliche Eigengesetzlichkeit des Schonberg'schen Werkes. Doch da6 der Kreislauf
audi dieses Berichtes geschlossen sei : in Masereels „Idee" zeigt das Schlufibdd den
Wiederbeginn des Spieles an. In Schonbergs Schlufitakten pocht leise, doch unaufhorlich die
Bratsche; ihr Rhythmus scheint weiterzugehen, wenn das Stiick langst geendet. Ein Quar-
tenakkord lebt iiber den Schlufi hinaus, ^ r erhei6t neuen Beginn, neues Werden und Vergehen.
ARTHUR HONECGER: „JUDITH" 20,1
Ernst Latzko (Leipzig)
ARTHUR HONEGGER: „JUDITH •
Die deutsche Urauffuhrung in Leipzig
Fiir den, der Honeggers „Konig David" keiint, bietet die ..Judith'' in keiner Be-
ziehung eine Uberraschnng. Die beiden Werke teilen nicht nur das biblische Milieu,
noch viel auffallender ist die beiden gemeinsame Metamorphose, die dort aus einer
Schauspiehnusik, hier aus einer Oper ein dem Oratoriuni ahnliches Werk entstehen
lafit. Am bewunderungswiirdigsten der Instinkt fiir die Bediirfnisse der heutigen Zeit,
den Honegger dabei beweist. Das Gefiihl, da£ die heutige Baschlebigkeit und INervo-
sitat selbst dem biblischen Stoff nicht die Dimensionen und den langen Atem der Passion
oder des Oratoriums friiherer Zeiten zubilligt, fiihrt auch bei der ..Judith" zu einem
Werk von nur etwa einstundiger Auffiihrungsdauer, das in 13, auf&erlich und innerlich
stark contrastierende Nimmeni eingeteilt ist. Das hat Schattenseiten und Lichtpunkte.
Zunachst konnte die Umwandlung aus einer Oper in ein Werk des Konzertsaales
nicht ohne Gewaltsamkeit vor sich gehen: die Ersetzung der hier fchlendeu Haudlung
durch einen ,,Erzahler", der aber nicht wie seiu Vorganger — der Evangelist der
Passion — seinen Part siugt sondern sprichl. Der dadurch bedingte fortwahrende
Wechsel von Musik, Bezitation und Melodram ist zuerst nicht ohne Beiz, wirkt auf
die Dauer aber nicht als logischc Notwendigkeit sondern uneinheitlich. Die kurze
Dauer der einzelnen Nummern gibt dem Werk ausgesprochen aphoristischen Charakter.
wirkt dem Aufkommen jeder I^angweile entgegen, unterbindet aber fbrmale Gestaltung
und Aufbau.
Verbliiffend die Geschicklichkeit Honeggers, die miisikalischen Ausdrucksmittel
zweier Jahrhunderte so zu amalgamieren, dafi ein ausgesprochen modern wirkendes
organisches Etwas dabei herauskommt. Dieses Werk vereinigt die Dreiklange der
Klassik und Bomantik ebensogut mit den schwelgerischen Harmonien der neudeutschen
Musik und den zarten Pastellfarben des Impressionismus wie mit den Quartenharmonien
Schonbergs und den geraden, strengen Ijinien alter und neuer Sachlichkeit. Trotz aller .
dieser prinzipiellen Einwande ein Werk, das die biblische Stimmung ausgezeichnet trill't,
das, ohne zu erwarmen und zu begeistern, von der ersten bis zur letzten Note inte-
ressiert. Gewissermafeeu ein Versuch, auch das Oratorium, das sich lfinger als andere
musikalische Formen in einer Sphare der Zeitlosigkeit. absoluten Schonheit und Lang-
weile behauptet hat, dem Tempo und Bhythmus der heutigen Zeit zuzufiihren.
In Harmonik, Bhythmik und Melodik zeigt dieses Werk die Eigentiiinlichkeiten
friiherer Ilonegger'scher Arbeiten. Man findet wieder seine Vorliehe fiir Gegenbew r eg-
ungen, die sich in harmonischer wie melodischer Beziehung charakteristisch auswirken,
man begegnet seinen eigentiimlichen Umkehrimgen des punktierten Rhythmus, die den
kurzen vor den langen Notenwert setzen und man bemerkt fast auf jeder Seite sein
Sympathisieren mit ostinater Wiederholung kurzer melodischer und rhythmischer Floskel.
Aber alle diese Eigenheiten sind noch nicht zur Manier erstarrt unci vorderhand wohl
geeignet, der musikalischen Dilction Honeggers ein charakteristisches und sympathisches
Profil zu verleihen
202 OSKAR GUTTMANN
Ausgezeiclmet ist die Iustrumeutation, die nicht nur klingt sondern alien Stim-
mungen nachkommt und der geschickte Chorsatz fuhrt, ohne den Ausfuhrenden in
musikalischer wie stimmlicher Beziehung allzuviel zuzumuten, zu prachtvollen Wirkuiigen.
Angenehni fallt audi die Behandlung der Singstimme auf, nur die Titelpartie durfte
ihres grofien Uml'anges nacli Tiefe und Hohe wegen wenige ideale Vertreterhinen findeu.
Im einzelnen sei auf die Trostlosigkeit des „Trauergesanges" hingewiesen (Nr. 4 des
im Verlag Otto Junne in Leipzig erschieneiien Klavierauszuges, dessen deutsche Uber-
setzung — leider rein mechanisch hergestellt — unerfreuliche Deklamationsfehler ent-
halt), auf die beabsichtigte Monotonie der „Anrufung" (Nr. 5), die in ihrer rhythndsch
einformigen Wiederholung des gleichen Tones an die Besponsorien der katholischen
Kirche erinnert, an die ,,Szene an der QueUe" (Nr. 8), die mit ihrer aus der Feme
heruberklingenden Tenorstimme ein Stiick von unverfalscht irapressionistisclier Wirkung
darstellt, schliefilich an den „Siegesgesang" (Nr. 13), in dem die Lobpreisung der Judith
sich mit dem „Hosianiiah" des Chores zu einem gewaltigen Hohepunkt vereinigt.
Alles in allem ein ungemein sympathisches und audi erfolgsicheres Werk, dem zu
letzter, tiefer, echter Wirkung leider zwei Momente fehlen : Einheit des Stiles und Logik
der Form.
Leider vermochte die Aufluhrung (Biedel-Verein und Sinl'onieorchester unter Leitung
von Max Ludwig im Bahmen der Philharmonischen Konzerte) nur ein sehr Masses Bild
dieser Musik zu geben. Am besten sdinitt nodi der gut studierte Chor ab, bei dem
allerdings die mannlicheii Stimmen den weiblichen auffallend unterlegen waren. Dirigent,
Solisten und zu allererst der unmusikalisdie Erzahler standen dem eigenartigen Stil
dieses Werkes ziemlich ratios gegeniiber und ersetzten Klarheit und Schlichtheit durdi
hohles Pathos und Sentimentalitat. Statt scharfer Konturierung, plastisdier Heraus-
arbeitung der Gegensatze, die diese Musik so dringend braucht, romantisch-impressio-
nistisdie Versdiwommenheit, die sich vor allem in der Nivellierung der dynamischen
Gegensatze und Verschleppung der Zeitmafie aufierte. Der schlimmste Fehler war es
aber, diesem Werke Liszts ,,Preludes" und drei Chore von Hugo Wolf vorauszuschicken.
Trotz aller dieser negativen Momente : Die Auffiihrung des wertvollen, fur das Gegen-
wartsdiaffen markanten Werkes mufi den Verantwortlichen als holies Verdienst ange-
rechnet werden, fiir das die dicht besetzte Albert-Halle audi durch iiberaus herzlichen
Beifall dankte.
O s k a r Guttmann (Breslau)
FRITZ CORTOLEZIS: ,,DER VERLORENE GOLDEN"
Eine Woche nach Schciiibergs ..Gliickhcher Hand' - und dem szenischen „Josua" von
Handel folgte diese Spieloper; inchts zeigt besser die Verwirrung im Opernschaffen
unserer Tage und die Sinnlosigkeit, mit der heute ein Opernbetrieb zusammengehalten
werden mufi, weil es das Publikum (nicht die Opernleitung! die darf ja nicht anders!)
so will, das seinerseits von einer der neuzeitlichen Musik verdutzt gegenidierstehenden
Presse in seinem hergebrachten Trott nur bestarkt wird.
Die Absicht, die Cortolezis und seine Textdichterin Beatrice Dovsky bei Abfassung die-
ser Spieloper hatten, ist gewili zu begriiften. Das Singspiel in edelster Form soil wieder be-
ZEITSCHAU 20,' :
lent, die Volksoper soil gefordert werden. Warum nicht? Es komiiit nur darauf an, was da-
bei herausgekommen ist. Bei einer solchen Oper ist das Libretto sehr wichtig, es mul5 not-
wendig packend und gut mid vor allem nicht albern sein, od'er es ist nicbts mit der
ganzen Gattung. In dieser Spieloper gibt es aber zunachst drei Wiener Madel, die haufi'g
Terzett singen. Dami gibt es eine Schusterstochter — der Vater ist das, was man in
der Wiener Stadt eineii' Rauhzer nennt — die den Gesellen liebt. Sie trifl't aber ihrer-
seits auf den nach Wien waiiderndeii jungen Hans Sachs und kiifit ihn und liebt ihn
so lange, bis dieser zu Gunsten des anderen Gesellen verzichtet, die Hochzeit mit Hili'e
eines verlorenen Geldstiickes zu stande bringt und miter Absingen eines Liedes aid'
Wien davon zieht: „Dafi dies Wien gedeih und wachs, wiinscht heut und allezeit Hans
Sachs".
Eine Iuhaltsangabe ist noch keine Kritik, hier aber ist es schon diese ganz kurze.
Man will ja schliefilich ernst bleiben, obwohl das nicht immer leicht ist. So wird man
die deutsche Spieloper nicht beleben.
Auch mit dieser Musik nicht. Sie hat nicht einmal hervorragende Mangel, sie
klingt, oft freilich klingt sie zu gut, aber sie hat kein Gesicht, kein Profil und pendelt
urn die Gefuhlssphare lieruni, die man mit dem Naraen Kienzl nicht gern bezeichnet.
Dabei ist die Beschraiikung aid' sieben Holzblaser, zwei Horner, zwei Trompeten nur zu
loben. Die Volksoper wird man dabei nicht fordern, daran wird auch der aufiere
Puhlikuniserfolg, den das Werk ohne Zweifel hatte, nichts andern. Von dem Geschmack,
der eine solche Musik und eine solche Oper iiberhaupt schatzt, zu dem, der Schonberg
als einen wichtigen Exponenten lieuzeitlicher Musik ernsthaft und respektvoll wertet,
gibt es gar keine Briicke. Die heutige Jugend hat vor den „Alten" immer noch Respekt
genug, nm selbst ein solches Werk, wenn auch leicht lachelnd, zu tolerieren. Dies
wiirdige Alter aber kann es nicht vertragen, da6 ihm neues geboten und von ihm ver-
langt wird, sich in ihm Ungewohntes einzuiuhlen. Daher sind die Alten immer grober
und hohnischer gegen das Kommende, als dieses gegen das Gewesene. Es gilt Schillers
Worte ernsthaft, wenigstens in der neuzeitlichen Kunst, zu revidieren: „Schnell fertig
ist das Alter mit dem Wort".
M U S I K L E B E N
H e i n r i c h S t r o b e 1 (Berlin)
ZEITSCHAU
Der Preufiische Beethovenpreis wurde in diesem Jahre dem greisen Arnold
Mendelssohn in Darmstadt und dem jiingeren Heinrich Kaminski in Ried bei
Miinchen zuerteilt. Die Kommission behielt das Vertedungsprinzip des Vorjahres bei.
Sie erkennt den Preis einem Musiker der alteren und einem der gegenwartigen Generation
zu. Arnold Mendelssohn kommt zu einer spaten und verdienten Ehrung. Hervorragender
Padagoge, ist er der Lehrer von Paul Hindemith. Man hatte freilich gern eineii jungen
Komponisten unter den Preistragern gesehen, der noch mitten im Kampf um seine
204 HEINRICH STROBEL
kiinstlerische Position steht, der gerade in diesem Augenblick der immerhin nicht un-
betrachtlichen finanziellen Unterstiitzung besonders bediirftig gewesen ware. Kaminski
ist liingst anerkannt. Er hat Beziehungen zum neuen Stilw.ollen. Aber er ist eigentlich
kein Reprasentant der jungen Generation. Wir grufien in ihm einen Musiker, der un-
beirrt semen Weg ging. Das Resultat der Preisverteilung ist auf alle Falle weit gliick-
licher als im vorigen Jahre. Seinen wirklichen Zweck wiirde der Beethovenpreis abet-
erst erfiillen, wenn er unbekannten, strebenden Kraften den Aufstieg erleichterte. Man
niufi diese Talente snchen. Dazu bedurfte es allerdings einer etwas aktiver besetzten
Komraission. Es gilt zu fordern, was nicht in traditionellen Bahnen schreitet, in denen
die Akademie immer noch das Ileil erblickt.
Das deutsche Theater ist auf der Suche nach zugkraftigen Stricken. Man kann
nicht ewig „.Jonny" geben, obwohl volkische Radaulustigkeit unentwegt fur ihn Reklame
macht. Immer wieder : es fehlt an Stricken, die aus der Zeit wachsen und allgemein
verstandlich sind. Man greift zuriick zum viel geschmahten 19. Jahrhundert, das wir,
trotz der Gegenlage, da bewundern, wo es wirklich grol&e Werte geschaffen hat. In
der Musik sind es, gemessen am unbegreiflich reichen 18., freilich nicht allzuviele:
Schubert, Bruckner, Verdi. Die Kurve Verdis steigt immer noch. Vor einigen Tagen
gab man in Barmen-Elberfeld Verdis „Rauber", die vor den drei mittleren Meister-
opern entstanden sind, mit starkem Erfolg. Nach dem shakespearischen Verdi wird
der schillersche entdeckt. („Luisa Miller" in Berlin). In der Berliner Stadtischen Oper
soil noch in dieser Spielzeit der „Simone Boccanegra" in der Bearbeitung von
Franz Werfel kommen. Dresden macht ..Macbeth".
Zwei beachtliche Premieren stehen in Wiesbaden bevor. Zwei Versuche, zeit-
genossische Oper zu schaffen. Beide Male Einakter, und das gewifi nicht zufallig.
Wir haben die fiinfaktige Breitfliissigkeit Wagners satt. Zuerst bringt Intendant Bekker
die drei Operas-minutes aus antiken Stoffkreisen von Darius Milhaud. Eine. die
„Entluhrung der Europa" wurde schon beim letzten Baden-Badeuer Fest gegeben. Spater
im Mai, die drei Einakter von Ernst Krenek.
Der bisherige Wiesbadener Opernspielleiter Dr. Hans Schiiler, wird iibrigens
als Opernintendant nach Konigsberg gehen. Er ist ein sehr begabter Opern-
regisseur. Er wird hoffentlich in das konservative Musikleben der deutschen Oststadt
etwas lebendigen Zug bringen. Die Dirigentenverschiebungen haben sich konsolidiert.
Bruno Walter, lebhaft nach Wien tendierend, hat fur ein weiteres Jahr mit Berlin
abgeschlossen. Er stellte recht ansehnliche Forderungen. Schliefilich wurden sie Jie-
willigt — und er wird trotzdem nur 180 Tage in Berlin sein. Furtwangler soil an
der Wiener Staatsoper mehrere Neuheiten dirigieren. Der Mannheimer Generalmusik-
direktor Ernst Lert geht nach Breslau an die Stelle von Fritz Cortolezis.
s-
In einer Reihe von Tageszeitungen war zu lesen, dafi Otto Klemperer die durch
Scheinpflugs Weggang frei gewordene Generalmusikdirektorstelle in Duisburg iiber-
nehmen werde. Diese Meldung ist selbstverstandlich falsch. Sie ist, ebenso wie die
Glossen, die viele Tageszeitungen bei dieser Gelegenheit machen. symptomatisch fiir
NACHBICHTEN 205
die planmafiige Hetze, die seit einiger Zeit in Berlin und in der Provinz gegen die
aufbauende Arbeit Klemjierers betrieben wird. Als Klemperer vor etwa vier Wochen
einen ihm vertragsmaBig zustehenden Erholungsurlaiib antrat, setzte sie ein. Man
sprach von „Mifierfolgen", von „Berlinmudigkeit". Man versicherte, das Kultusministerium
werde Klemperer unter diesen Umstanden sicher aus seinem noch 9 Jahre laufenden
Vertrag entlassen. In einer Bheinischen Zeitung wurde pathetisch geschrieen : „Hande
weg" von diesem Mann, der den „Kulturb anker ott der Reichshauptstadt" ins Rheinland
tragt, wenn ihn Dnisburg engagierte. Was sie aber nicht hinderte, ein paar sparer Tage die
lautesten Hymnen anf Klemperer zu singen, Strawinsky konne sich bei ihm bedanken,
daft er den „Oedipus" mit ,,deiitschem Ernst, mit eiserner Energie und kongenialem
Kiinstlertum hocb fiber jede Sensation gestellt habe". Weder das Kultusministerium
noch Klemperer wird sich durch die Quertreibereien reaktionarer Kvdturpolitik irre
machen lassen. Klemperer kehrt, alien stillen und offeiien Wfinschen zum Trotz, nach
Ostern zuriick und bereitet die Berliner Premiere von Hindemiths „Cardillac" vor.
*
Siegfried Ochs kann in diesem Monat seinen 70. Geburtstag in v oiler Frische
feiern. Grander und Leiter des (inzwischen liquidierten) Berliner Philharmonischen
Chores, ist er einer der fiihrenden deutschen Chorpadagogen. An der Wiedererweckung
Bachs und Handels hat er hervorragenden Anted. Er war einer der ersten, die alte
Musik konsequent pflegten. Er ist aus der Geschichte des deutschen Konzertwesens um
die Jahrhundertwende nicht hinwegzudenken.
Eine lustige Episode, typisch fur die Unentwegtheit gewisser konservativer Lager,
wenn es Gegenwiirtigkeit zu bekampfen gilt. Das goldne Wiener Herz prozessiert wegen
Profanierung der guten alten Zeit. Der Leipziger Operndirektor Briigmann liefi in
seiner „Fledermaus"-Inszenierung im zweiten Akt einen amerikanischen Schlager singen.
Fix waren der Verleger Josef Weinberger und die Witwe Johann S t r a u 6 mit einer
Klage auf dem Plan: „wegen materieller und ideeller Schadigung 3000.— M. Schaden-
ersatzanspruch". Feierliche Verhandlung in Berlin. Die Textdichter der „Fledermaus"
Carl Haf fner vind Bichard Genee sind schon iiber dreiftig Jahre tot. Also ist ihre
geistvolle Dichtung fur Neubearbeitungen frei. Kostenpflichtige Abweisung der Klager.
Ob diese grofien Idealisten die Tantiemen der Leipziger Aufluhrung, die einen aufier-
ordentlichen Erfolg hatte, am Ende gar zuriickwiesen, weil sie eine Schandung des
Werkes bedeutete ? — icli habe nichts davon gelesen.
NACHRICHTEN
KLEINE BERICHTE Komponisten Mysliweczek (Venatorini), der 1781 in
Zu der kurzlich durch die Presse gegangenen Rom gestorben ist.
Meldung iiber die Auffindung des Mozart zugeschrie- Die Berliner Tanzkritiker haben sich nach dem
benen Oratoriums „Isaac", Text von Metastasio ist Vorbild der Musikkririker und Theaterkritiker zu
inzwischen ein Widerruf ergangen. Es handelt sich einem Verband zusammengeschlossen. Zum Vorstand
bei dem betreffenden Werk ausweislich einer in der des Verbandes wurden gewahlt : Fritz Bohme, Dr
Miinchner Staatsbibliothek befindlichen Abschrift um Artur Michel, Michael Charol, Elise Miinzer, Dr. P. .1.
eine Komposition des bohmischen Opern- und Messe- Bloch. Den Ehrenvorsitz iibernahm Prof. Oskar Bie.
206
MUS1KLEBEN
Die dicsjahrige Hauptversammlung der Genossen-
scliaft Deutscher Tonsetzer fand am 15. April statt.
Vor Beginn wurde die Biiste Roeschs feierlich enthiillt.
Pressemeldungen zufolge wird auf Grund eines
Stadtverordneten-Beschlufies in Breslau das Theater-
orchester und das Schlesische Landesorchester zu.
sammengelegt und auf diese Weise ein einheitliches
Orchester von 120 Musikerh unter einem General-
interidanten geschaffen.
AUFFUHRUNGEN
Am 29. Marz wurde H i n d e m i t h s Konzerl
fiir Viola d'amore und Kammerorchester op. 46 Nr. 1
in Koln uraufgefiihrt.
In Meiningen kam Honeggers ,,Konig David"
zur Erstautl'iihrung.
Das "Wiirtt. Landesthealer in Stullgart brachte
am 1. Marz ,,Scherz, List und Rache" (nach Goethe)
von Eg on AVellesz zur Urauffiihrimg und kiindigt
fiir den 28. April „Nero" von Arrigo Boito an.
Am 13. April wurde in Hannover Willi elm
Grosz ,, Das Baby in der Bar", Egon Wellesz
4 Tanzstiicke, Paul Hindemith „Das seltsame
Hans" (komponiert fiir eine mechanische Orgel) und
am 14. April Ignaz Liliens Oper „Beatrys" mauf-
gefiihrt.
Freiburg i. Br. veranstaltete an drei Abenden
eine Bachfeier. Johannis- und Matthaus-Passion,
beide ungekiirzt, sowie Stiicke aus der vermutlich
nicht von Bach stammenden Lukas-Passion, weiter
5 Stiicke der „Trauer-Ode" auf die sachsische Konigin
Christiane Eberhardine mit den sparer von Bach
selbsl dafiir bestimmten, jetzt ncu unterlegten
Picander'schen Texten der Marcus-Passion.
Am 1. April brachte das Braunschweiger
Landestheater Rudi Stephana Oper ..Die ersten
Menschen" zur Erstauffiihrung.
Das Stadttheater Koblenz bringt am 22. April
die Uiauffuhrung Her m a n n U n g e r s Oper
„Ri ch m o dis".
■Korn golds Oper „ D a s fundcr d e r
H e 1 i a n e " wurde am 31 . Marz in M ii n ch e n
und am 5. April in Berlin erstaufgefiihrt. Wien
brachte am 27. Marz die erste Rundfunk-Ubertragung.
L o t h a r W i n d s p e r g e r a grofie „Missa sym-
phonica" haben die Musikvcreine in Bottrop und
in Go th a zur Auffiihrung erworben.
PERSONLICHE NACHRICHTEN
Hermann Scherchen hatte als Gastdirigent mit
Strawinsky, Reger und Haydn in Konigsberg einen
aufierordentlichen Erfolg. Man versucht, ihn mit
alien Mitteln zu halten und bot ihm audi die Mit-
arbeit an der Oper an.
Dr. Erich Steinhard wurde zum Professor fiir
Musikgeschichte und Asthetik an der deutschen
Akademie fiir Musik und darstellende Kunst in Prag
ernannt. '
Dr. Hermann Unger, der an der Kolner Hocli-
schule fiir Musik wirkende Komponist, wurde voni
Preufi. Kultuaministerium zum Professor ernannt.
Paul Hindemith arbeitet augenblicklich an einer
komischen Oper. Das Buch stammt von Marcellus
Schiffer, der audi den Text zu ,,Hin und zuriick"
geschrieben hat. Es ist damit zu rechnen, dafi das
neue Werk Hindemiths zu Beginn der kommenden
Spielzeit fertig vorliegen wird.
Strawinsky vollendele soeben ein Requiem.
Arthur Honegger arbeitet an einer Sporl-
symphonie, die er ..Rugby" nennen will.
Zwischen Furtw angler und der Direktion der
Wiener Staatsopcr ist ein versuchsweiaer Vertrag
zustande gekommen, nach welchem Furtwangler voni
Beginn der Spielzeit 1828/29 an ein neues Werk und
einige neue Einstudierungen an der Wiener Staats-
oper vorbereiten und an insgesamt 10 Abenden
lei ten wird,
AUSLAND
Diese Itubrik bejindet sich im Ausbau und soil syslcma-
tisch auf alte Lander ousgedehnt werden.
Die Musical Found Society in Philadelphia (407
Sanson Street) hat ein Karamermusik-Preisausschreiben
erlassen. Als Endtermin der Einsendungen ist der
31. Dezember 1928 festgesetzt. Die Preise betragen
5000, 3000 mid 2000 Dollar.
Die Jahresversammlung der britischen Society
of Musicians beschaftigte sich in einer langen Dis-
kussion mit der Auswirkung der mechanischen Musik-
wiedergabe auf die Lebensbedingungen im Musiker-
beruf. Der Prasident der Gesellschaft, Dr. Markham
Lee, erklarte in seinem Referat, durch den wach-
senden Einflufi von Grammophon und Rundfunk sei
im letzten Jahr im englischen Musikleben eine schwere
Depression eingetreten. Die Konzertsale konnten
sogar mil Freikarten kaum noch gefiillt werden.
Oper und grofie Symplioniekonzerte seien nur durch
erhebliche Zuschiisse zu halten. Er verlangte die
Einfiihrung einer Diplompriifung fiir ausiibende Mu-
siker als Voraussetzung fiir offentlichc Betatigung und
fiir die Arbeit als Musiklebrer.
Nach Pressemeldungen verhandelt der franzosische
Autorenvcrband gegenwartig mit den verschiedenen
kirchlichen Behorden iiber die Abgeltung der An-
spriiche lebender Komponisten fiir kirchliche Auf-
fuhrungen ilirer Werke. Der Verband der protestan-
tischen Kirchen Frankreichs hat sich bereits einver-
standen erklart,die gewunschteiiTantienienzubezahlen.
Ein Gastspiel der Freibtirger Oper im Basler
Stadttheater vermittelte der Schweiz die
Bekanntschaft mit Rudi Stephana Oper „Die
ersten Menschen".
Das Zurich er Stadttheater brachte als zweite
deutschsprachige Opernbiihne A. B o r o d i n s „Fiirst
Igor" zur Auffuhi'Ling.
NACHHICHTEN
207
Die Berner Ortsgruppe der I. G. N. M. brachte
unter personlicher Mitwirkung von Alfredo C a s e 1 1 a
neuitalienische Musik zu Gehor.
H. Scherchen brachte J. S. Bachs „Kunst der Fuge"
(Graser) in Zurich zur Auffiihrung.
Der Hausermannsche Privatchor (Leitung K. Dubs)
brachte in Zurich Kurt Thomas „Markus-Passion" zur
Auffiihrung.
In Moskau steht die Veroffentlichung eines The-
aters mit dem Namen „Der Zeitgenosse" bevor. Es
wird sich zunSchst der Oper zuwenden und als erste
Auffiihrungen Tschaikowskys „Pique Dame" u. ,,Eugen
Onegin" bringen.
Das Moskauer Volksbildungs-Kommissariat regte
beim Preuss. Kultus-Ministerium die Einrichtung von
Austausch-Professuren fiir Musikpadagogik und Kom-
positionslehre an.
Einer Neger Schauspielertruppe wurde vom Zen-
tral-Komitee der ,,Arbeiter der Kunst" das Gesuch
um Einreise-Erlaubnis mit der Begriindung der Un-
zweckmafiigkeit soldier Veranstaltungen abgelehnt.
VERSCHIEDENES
In W ii r z b u r g findet vein 23. bis 30. Juni das
7. Mozartfest statt.
Das Zentralinstitut fiir Erziehung und Unterricht
veranstaltet vom 7.-9. Mai in Gottingen die erste
,,Tagung fiir Bund funk musik". Auf dieser
Tagung sollen die technischen, kiinstlerischen, sozio-
logischen und padagogischen Fragen der Rundfunk-
musik von Fachautoritaten behandelt werden. Die
immer griifier werdende Bedeutung des Rundfunks
Mr die Musikpadagogik hat das Zentralinstitut ver-
anlafit, den vielen Fragen nachzugehen, die mit der
kiinstlerisch und akustisch einwandfreien Ubertragung
musikalischer Werke im Zusammenhang stehen. In
enger Fiihlung mit den mafigebenden Stellen ist der
Plan fiir eine erste Tagung fiir Rundfunkmusik ent-
standen, die den Anlafi zu einer Erorterung der
verschiedenen akustischen, phonetischen, technischen
und musikalischen Fragen bieten soil.
Pfingsten 1928 wird mit Unterstiitzung des vor-
maligen Herzogs von Anhalt ein Internationales
Musikfest in B a 1 1 e n s t e d I stattfinden. Es ist
beabsichtet, dieses Fest absolut in den Dienst der
modernen Musik zu stellen und es als dauernde Ein-
richtung im deutschen Musiklebcn in Parallele zum
Baden Badener Musikfest zu enrwiekeln.
Die diesjfihrige Bayrische To nk ii n s tie i -
woche, veranstaltet vom Miinchner Tonkiinstler-
verein, findet vom 4. - 12. Mai statt.
Vom 15. bis 20. Oktober wird in M (inch en
die 7. R e i ch s s ch u 1 m u s i k w o ch e tagen .
Der P.-V. Bheinland des R. D. T. M. errichtete
anlafilich des 100. Todestages Beethovens eine
Beethoven-Stiftung, aus der alle zwei Jahre
ein Geldbetrag fiir eine vom Prufungsausschufi fiir
wiirdig befundene Komposition verliehen wird. Die
Komponisten der einzureichenden Werke miissen ge-
borene Rheinlander rsein, oder beim Zeitpunkt der
Einreichnng seit zwei Jahren ihren stiindigen Wohn-
sitz im Bheinland haben. Der Preis wird erstmalig
in H6he von M. 600. - ausgeschrieben. Die Werke
sind bis spatestens 1. Oktober 1928 im Biiro des
P.-V., Barmen, Neuerweg 53 (Sievert-Konservatorium)
einzureichen, von wo auch nahere Einzelheiten zu
erfahren sind.
In dieser Nummer der Zeitschrift erscheint eine
Anzeige iiber das Tonkiinstlerfest 1928 des
A. D. M. V. in Schwerin und das Tonkiinst-
lerfest 1929 des A. D. M. V. in Duisburg.
Wir empfehlen die Ankiindigungen der besonderen
Beachtung unserer Leser.
Eine interessante Pressenotiz : Der Zuschufibedarf
der sogenannten gemeinriiitzigen Theater in Deutsch-
land stellt sich fiir das laufende Jahr 1928 auf rund
40 Millionen Mark. Weitaus an der Spitze stehen
die Preufi. Staatstheater in Berlin, Wiesbaden und
Kassel mit rund 7 Millionen Mark. Dann folgen die
Bayr. Staatstheater mit rund 3,2 Millionen, Frank-
furt a. M. mit 2,3 Millionen, Koln mit 2,24 Millionen,
Hannover mit 1,9 Millionen, Stuttgart mit 1,6 Mill.,
Mannheim mit 0,58 Millionen, Dresden mit 1,58 Mil-
lionen, Dortmund mit 1,25 Millionen Mark. 16 deut-
sche Theater haben einen jahrlichen Zuschufibedarf
von je 1— 7 Millionen Mark. Das Theater mit dem
kleinsten Bedarf ist die Coburger Landesbiihne mit
450000 Mark.
Im Anschlufi an die in unserem Marzheft ge-
brachte Notiz gibt die Juillard-Stiftung bekannt,
dafi sie 15 Stipendien eingerichtet habe, die es
amerikanischen Musikstudierenden ermoglichen sollen,
ihr Opernstudium an der Staatsoper in Dresden
durchzufuhren.
Notiz: Seit dem Tode Carusos 1921 haben die
Schallplatten mit den Aufnahmen des beriihmten
Tenors 750.000 Dollar an Tantiemen abgeworfen.
Vom 13. bis 17. Mai findet in Bonn ein Musik-
fest statt. Es werden in der Beethoven-Halle Werke
von Bach, Mozart, Reger, Hindemith, Busoni und
Jarnach aufgefiihrt.
Der Miirznummer der Mitteillungen der Ge-
n o s s e n s ch a f t d e u t s ch e r Tonsetzer ,,Der
schaffende Musiker" entnehmen wir die Mitteilung,
dafi der Einsendungstermin fiir den angekiindigten
Schubertpreis bis zum 30. April 1928 verlangert
wurde.
Die Wiirtt. Hochschule fiir Musik in
Stuttgart bereitet in Verbindung mit mafigebenden
Stellen und Verbanden eine „Siiddeutsche Tagung
fiir Musikerziehung" vor, in der durdi Vortrage und
Vorfiihrungen das Problem der heutigen Musiker-
ziehung theoretisch und praktisch behandelt werden
wird. Das ausfiihrliche Programm der Tagung, die
in der Woche nach Pfingsten voraussichtlich in den
Tagen vom 30. Mai bis 2: Juni stattfinden soil, wird
in Balde bekannt gegeben werden.
208
Nachrichten des Verlages B. Schott's Sohne
NEUERSCHEINUNGEN
KLASSISCHE MUSIK
G. F. Handel
Stiicke f. Clavicembalo (oderKlav.). Herausgegeben
von W. Barclay Squire und J. A. Fuller-Maitland.
Erstveroffentlichung. Zwei Bande . je M. 3. —
s. a. Anzeige Seite 215.
Tivadar Nachez
Klassische Violmiibertragungen. A. Vivaldi,
Konzert A-dur fur Violine und Klavier M. 3. —
G. Tartini, Arioso fiir Violine u. Klavier M. 1.50
Erwin Schulhoff
Divertissement fiir Oboe, Klarinette und Fagott
(Ouvertiire — Burlesca — Romanzero — Char-
leston — Tenia con variazioni e fugato — Flo-
rida — Rondino-Finale) Taschenpartitur M. 2. —
Stimmen M. 6. -
Andres Segovia
Konzert-Programme fiir Guitarre solo.
Moderne spanische Musik :
G.-A.Nr. 102JoaqninTurina,Fandanguillo M. 1.80
„ 103 F. Moreno Torroba, Nocturno M. 1.80
„ 104 F. Moreno Torroba, Suite castellana (Fan-
danguillo — Arada — Danza) . M. 1.80
„ 109 Manuel M. Ponce, Theme varie et
Finale M. 1.80
„ 110 Manuel M. Ponce, Sonata III (Allegro
moderato - Cancion - Finale) . M. 2.50
,, 111 Manuel M. Ponce, Ties canciones popu-
laires mexicanas M. 1.80
,,112 Manuel M. Ponce, Preludio . M. 1.50
,. 113 F. Moreno Torroba, Burgalesa M. 1.50
,; 114 F. Moreno Torroba, Preludio . M. 1.50
„ 115 F. Moreno Torroba, Serenata burlesca
M. 1.50
Klassische Transkriptionen.
J. S. Bach:
G.-A.Nr. 106 Vol. I, Prelude - Allemande -
Minuetto I - Minuetto II . . . M. 1.80
., 107 Vol. II, Courante - Gavotte. M. 1.80
,. 108 Vol. Ill, Andante - Bourree - Double
M. 1.80
ZEITGENOSSISCHE MUSIK
A. Copland
Zwei Stiicke fiir Violine und Klavier
1. Nocturne M. 1.50 - 2. Ukulele Serenade M. 2.50
Sam. Dushkin
Transkriptionen fiir Violine und Klavier.
G. Pierne, Impressions de Music Hall: Girls
(French blues) — Little Tich (l'Exentrique) — Ber-
ceuse — Clowns musicaux (les Fra tellini) kplt. M. 5. -
Berceuse, einzeln M. 1.50
Joseph Haas
Christuslieder, op. 74. Siebeu Gedichte von Rein-
hard Johannes Sorge fiir hohe Singstimme und
Klavier (Eingang - Wie fafit du an - Er blickt
mich an im Hang - Sehnen Abends — Er-
gebung - Ich gleite hin - Christus) . M. 2.50
Kurt Herbst
Jazz-Etiide fiir Klavier M. 1.50
Erich Wolfg. Korngold
aus „Das Wunder der Heliane"
Gesang der Heliane (Szene des Gerichts) fiir Ge-
sang und Klavier, Originalausgabe Fis dur (hoch)
I. und II. Teil. „Ich ging zu ihm -" M. 2.50
Ausgabe in Fdur II. Teil: „Nicht hab ich ihn
geliebt" M. 2. -
Zwischenspiel (vor Akt III) fiir Klavier M. 2. —
Gesang der Heliane fiir Violine u. Klav. M. 2. —
Hermann Reutter
Tanz-Suite op. 29 fiir Klavier M. 2. —
Heinrich Kasp. Schmid
Sonate fiir Violine und Orgel, op. 60 . M. 3. —
Cyril Scott
Konzert fiir Violine u. Orch. Klav.-Ausz. M, 6. —
(Aulmhrungsmaterial nach Vereinbarung)
Die Hummeln (Bumble-Bees) fiir Viol, solo M. 1.50
Lothar Windsperger
Konzert fiir Violine und Orchester, op. 39
Klavierauszug M. 8.—
(Auffiihrungsmaterial nach Vereinbarung)
Sonaten fiir Viola da gamba und Klavie r
Neuausgaben von Christian Dobereiner
K. F. Abel, Sonate e moll - A. Kiihnel, Sonate
Nr. 7 Gdur; Sonate Nr. 9 Ddur . je M. 4. -
Dieselben Sonaten erschienen fiir Cello und Kla-
vier in der Sanimlung Cello^Biblio thek als
Nr. 68, 69 und 70 je M. 1.80
IN VORBEREITUNG
Conrad Reck
Sinfonie Nr. 3 fiir Streichorchester
Arthur Benjamin
Concertino fiir Piano und Orchester
Ernesto Halffter
Sinfonietta fiir grofies Orchester
Paul Hindemith
Sonate fiir Viola d'amore und Klavier
Sing u. Spielmusiken f. Liebhaber u. Musikfreunde,
op. 45. Nr. 1 Frau Musica. Nr. 2 Kanons (fiir
2 Singstimmen mil Instrumenten), Nr. 3 Der Jager
aus Kurpfalz (fiir Streicher una Holzblaser)
Konzert f. Viola d'amore u, Orchester op. 46 Nr. 1
Konzert fiir Orgel und Orchester op. 46 Nr. 2
209
Fritz Kreisler
Kadenzen zum Violinkonzert v. Beethoven; Ka-
denz zum Violinkonzert von Brahms; .T.S.Bach,
Sonate E-dur.
Franz Scliuberl
Neue Lieder-Auswahl von Johannes Messchaert.
2 Bande. Ausgabe fur hohe Stimme.
Ernst Toch
Fanal ftir grofies Orchester und Orgel, Op. 4.5
Egon und Emilie. Kein Famdiendrama von
Chr. Morgenstern in einem Akt, Op. 46
Alexander Tansman
Konzert fur Klavier und Orchester
Friedrjch Wilckens
Die Rache des verhohnten Liebhabers. Ein galantes
Puppenspiel in zwei Aktcn, Text von Ernst Toller, j
Lothar Windsperger
Neue Quinten-Uhr fiir die Juge.nd.
24 Praludietten. op. 40
Das Lied der Yolker (Heinrich Moller)
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gewinnen will, findet in diesem Werkc
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ARTIBUS ET UTERIS, Gesellschafl fur Kunst- und Literaturwissenschaft in. b. H., POTSDAM
210
Neuere Orchesterwerke
Is
gS
Komponist, AVerk
Si
I 6
Komponist, Werk
"3.5
© -t-t
CQ W
'&*
p3 m
'S.S
to
I. Albeniz
G. F. Malipiero
Iberia-Suile (Arbos). In Yorbereit.
—
14
20
21
A. Casella
Pupazzetti (5 Sliicke) ....
22
15
35
35
Groteske
Impressioni dal \evo. Suite II
7
20
30
Conrad Beck
15
La Ciraarosiana. Suite ....
12
5
Sinfonie Nr. 3 fur Streichorchester
20
D. Milliaud
M. de Fnlla
21
Saudades do Brazil, Suitev. Tfinzen
40
28
28
Niichte in spanischen Garten.
(Klavier nnd Orehester) . .
Zwischenspiel nnd span. Tanz
35
35
G. Pierne
Impressions de Music Hall
20
aus .,Ein kurzcs Lebcn" .
15
M. Ravel
33
Drei Tanze aus ,,Der Dreispitz"
25
37
Alborada del Gracioso ....
10
14/19
P. A. Grainger
Mock-Morris, Irischer Tanz . .
3
34
15
Une barque stir l'ocean
8
5
7
— fur 7 st. Streichorchester .
3
W. Schulthcss
21/28
Molly on the Shore
6
19
op. 9, Serenade f. kl. Orehester .
30
7
— fur 7 st. Streichorchester .
6
Cyril Scott
Zwei Passacaglien
Egyptische Suite
28/34
8
Shepherds Hey (Morris-Tanz)
Irish Tune fiir Streichorchester
5
5
40
23
25
25
15
Jos. Haas
op. 64 Variationen iiber ein alles
38
B. Sekles
,,Sommergedicht". 3 Satze .
12
Rokoko-Thema
40
Itudi Stephan
18
Ernesto Halffter
Paul Hindemith
35
36
7
29
Musik f. sieben Saiteninstrumente
Musik fiir Geige und Orehester .
I. Strawinsky
Feuerwerk. Fantasie . . . .
Suite Nr. 1 fiir kleines Orehester
20
25
20
12
10
op. 24 Nr. 1 Kammermusik Nr. 1
op. 28 Konzertsuite aus ,,Der
Damon"
op. 38 Konzert fur Orehester .
op. 41 Konzertmusik furfilasorch.
Tanze aus Nusch-Nuschi
30
25
17
15
36
17
8
15
26
22
33
19
11
31
Suite Nr. 2 fiir kleines Orehester
Feuervogel-Suile
15
12
30
B. Stunner
Ph. Jarnach
14
10
35
op. 11 Sinlonia brevis ....
22
14
op. 25 Zeitgesichtc, 3 Tanze .
E. Toch
10
31
op. 19 Morgenklangspiel
15
E. W. Korngold
6
op. 30 Tanz-Siute
25
32
op. 4 Schauspielouvcrtiire. .
up. 5 Sinfonietta
op. 11 Suite aus ,,Viel Larmcn
16
10
20
31
45
22/27
op. 39 Spiel fiir Blas-Orchester .
10
19
28
op. 42 Komodie fiir Orehester
18
25
28
10
44
op. 13 Symph. Ouverture ,,Sur-
15
Vorspiel zu eineiu Miirchcu
22
L. Windsperger
40/41
Vorspiel u. Karneval a. ,,Violanla"
18
32
op. 22 Sinfonie in a moll .
55
33
Zwischenspiel aus ,,Das Wunder
31
18
der Heliane"
12
30
Vorspiel zu einem Drama .
12
Ansichtsmaterial bereitwilligst
B. S C H O T T ' S S O H N E , M A I i\ Z
21
HENRY PURGELL
Dido und Aeneas
Herausgegeben von E. J. Dent
Prasident der Intern. Ges. f. Nene Musik
Mit englischem u. deutschem Text
(Ubers. von Dr. Anton Mayer)
In Anbelracht des augenblicklich in Deutsch-
land gesteigerten Interesses an dem Werk
Pnrcells, wild diese neue Ausgabe seiner bc-
deutendsten Oper fiir Institute und Chor-
vereinigungen besonders willkommen sein. Sic
ist eine Bestarigung der hohen Meisterschaft
und erfahrenen Hand eines Professor Dent.
Dieses entziickende Werk ist fiir die durch-
schnittlichen Chorvereinigungen leieht ausfiihi-
bar. Trotzdem beweisen seine Erfolge an der
Wiener Staatsoper, in Minister nnd in Basel,
dafi audi grotee Institute mit der Aufnahme
dieser neiien Bearbeitnng eine gliickliche Wahl
getroffen haben.
Komplett 3s. 6d. / Chore Is. 6d.
Text (Englisch u. Deutsch) Is. 6d.
Auffuhrungsmateriale (Partitur u. Streich-
orchesterstimmen) leihweise.
Henry Pure ell
von
Dennis Arundell
Dieses ist das bedeutendste Werk iiber Pureed.
Es behandelt den Menschen und sein Schaffen
in einer verstiindnisvollen, riickhaltlosen Art.
Das Buch Arundells wird viel dazu beitragen
die falschen Ansichten fiber Purcell zu be-
seitigen und ein besseres Verstandnis des
grolSten Komponisten Englands zu ermoglichen.
Mit 8 Illustrationen und vielen
Notenbeispielen 3 s. 6d. net,
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nen, nachdem die ersten Auflagen
in kiirzester Zeit vergriffen waren :
H E RWARTH W A L D E N
EINBLICK IN KUNST
Llalbleinen gebimden nur Mk. 2.50
75 ganzseitige Abbildungen der
Hauptwerke der Expressionisten,
Kubisten und Fu turisten aller Lander.
Unentbehrlich fiir jeden, der die
Kunst der Gegenwart kennenler-
nen will. Umfangreichstes Bilder-
material der fuhrenden Meister.
Das Manifest der internationalen
EXPRESSIONISTEN
212
Neue Buhnerrwerke
Komponist
Werk
Auffiihrungeii
Gay und Pepusch
Die Bettler-Oper
Bcarbeitung von Dr. O. Ehrhard
und Dr. Kurt Ehvenspoek
In Vorbereilung
Friedrich Wilckens
Die Rache des ver-
hohnten Liebhabers
(Ernst Toller)
Urauffuhriiiig am 19. Mai 1928 am Landestheater in Braun-
schweig
Julius Bittner
Der Musikant
An zahlreidien Buhnen dcs In- und Auslandes; in den letzten
Spielzeiten ncn in: Wien, Niirnberg, Breslau, Salzburg, Bern,
Liibeek, Danzig, Aufiig, Briinn, Troppau, Keichenberg
Jan Brandts-Buys
Die Schneider von
Schonau
An 2ahlreichen Bulinen des Inn- und Anslandes; in den letzten
Spielzeiten neu in: Dessau, Augsburg, Danzig. Sondershausen,
Bielefeld, Weimar. Bcuthen, Breslau, Uhn
Der Mann im Mond
Dresden, Rostock, Mainz. Berlin, Liibeek, Plauen
Manuel de Falla
Ein kurzes Leben
New-York, Cera, Magdeburg, Osnabriick, Moskau
Meister Pedros
Puppenspiel
In zahlreidien Stadten des Auslandcs n. a. New-York, Paris,
Zurich, London, Antwerpen. In Deutschland: Koln, Berlin,
Oldenburg, Dortmund
Paid Hindemith
Cardillac
Dresden, Miinclien, Berlin, Koln, Wien, Wiesbaden, Mannheim,
Halle, Darmstadt, Stuttgart, Diisseldorf, Augsburg, Oldenburg,
Essen, Elberfeld, Barmen, Hannover, Aachen, Prag, Gotha,
Worms, Weimar, Frankfurt a. M., Magdeburg, Cassel, Erfurt
M order,
Hoffnung der Frauen
Stuttgart, Frankfurt a. M., Prag, Dresden, Liibeek, Essen
Das Nuscb-Nuschi
Stuttgart, Frankfurt a. M., Prag, Diisseldorf, Essen
Sancta Susanna
Frankfurt a. M., Prag, Hamburg
Hin und zuriick
Baden-Baden, Darmstadt, Hagen, Heidelberg, Freiburg i. B.,
Dresden, Karlsruhe, Mainz, Dessau, Erfurt, Gotha, Magdeburg,
Chemnitz, Basel
E. W. Komgold
Violanta
An iiber 60 Buhnen des In- und Auslandes
Der Ring desPolykrates
An iiber 60 Buhnen des In- und Auslandes
Die tote Stadt
An iiber 60 Buhnen dcs In- und Auslandes
Das "W under der
Heliane
Hamburg, Wien, Berlin, Munchen u. ca. 20 weitere Buhnen
Musik zu Shakespeares
„Viel Larmen um
Nichts"
Wien. Miinclien, Prag, Koln, Gera, Dresden. Oldenburg, AuiJig,
Meifien, St. Gallen, Osnabriick
B. Schott's Sohne, Mainz
213
Neue Biihnenwerke
Komponist
Werk
Auffiihrungen
N. Rimsky-
Korssakoff
Der goldene Hahn
Berlin, Frankfurt a. M., Turin, San Francisco, Antwerpen, Bor-
deaux, Paris, London, Warsehau, Buenos-Aires
Rudi Stephan
Die ersten Menschen
Frankfurt a. M., Bochum, Hannover, Miinster i. W., Koln, Magde-
burg, Darmstadt, Mannheim, Gotha, Liibeck, Freiburg i. B.,
Krefeld, Nordhausen, Essen, Worms, Basel, Braunschweig
Igor Strawinsky
Geschichte
vom Soldaten
Berlin, Frankfurt a. M., Karlsruhe, Aachen, Osnabriick, Baden-
Bnden, Kassel, Darmstadt, Diisseldorf, Plauen, Charlottenburg,
Heidelberg, Miinster i. AV., Koln, Dessau, Hagen, Barmen. Elber-
feld, Mainz, M.-Gladbach, Gera, u. a. Ferner in alien bedeu-
tenden Su'idten des Auslandes
Reinecke (Renard)
In zahlreichen Stiidten des Auslandes; in Deutschland bisher:
Berlin (Staatsoper), Darmstadt
Russische
Bauernhochzeit
(Les Noces)
In Deutschland bisher nur KonzertuufTuhrung in Frankfurt a. M.
Der Feuervogel
Ballett
Paris, Berlin, Oldenburg, Kiel, Stockholm, Antwerpen, Briissel
Ludwig Thuille
Lobetanz
An zahlreichen Biihnen des In- und Axislandes; in den letzten
Spielzeiten ncu in: Liibeck, Brcmcrhaven, Altenburg, Bochum,
Duishurg, Darmstadt, Mainz, Saarbriicken, Niirnberg, Osna-
briick, Kiinigsberg, Diisseldorf, Kaiscrslautern
Ernst Toch
Die Prinzessin
aid' der Erbse
Baden-Baden, Darmstadt, Hagen, Danzig, Heidelberg, Mainz,
Dessau, Stettin, Gotha, Chemnitz, Bern, Basel
Egon und Emilie
Kein Familien-Dramn Ton
Chr. Morgenstem
In Vorbereitung
Julius Weismann
Schwanemveiss
Darmstadt, Halle, Kassel, Freiburg i. Br., Bielefeld, Plauen
Franz Schubert
Der treue Soldat
Die
Weib erverschworung
Bearbeitung von R. Lauckner
und Fritz Busch
Stuttgart, Bremen, Dessau, Basel, Altenburg, Plauen, Chem-
nitz, Bremerhaven. Briinn, London, Darmstadt, Braunschweig,
Duishurg
B. Schott's Sonne, Mainz
214
In Vorbereitimg befindet sich :
JACOBUS CLEMENS NON PAPA (1556)
SOUTERLIEDEKENS
15 Volkslieder im dreistimmigen Satz
Fur zwei Manner- unci eine Frauenstimme oder zwei Frauen- und eine Maiinerstimme zu singeii.
Neu herausgegeben von Wilhelm Blanke. / Preis kart. etwa 1.50 RM.
P r e i s e r in a fi i g u n g
B e s t e 1 1 - N r . 2 6 8
Nach beinalie 400 Jahren treten diese alten deutschen Volkslieder, die, mit flamischen
Psalmtexten versehen, 1556 von Clemens non Papa dreisrimmig gesetzt wurden, in ilireni
urspriinglichen Gewande nun als weltliche Volkslieder wieder unter uns.
Die bekannte Weise darin „Es gingen drei Gespielen gut" laftl von der Schonheit der
Souterliedekens ahnen, die in ibrem leichten und doch wertvollan Satz eine willkommene
Gabe sein werden.
Verlagsverzeichnis kostenlos.
GEORG KALLMEYER * VERLAG 4 WOLFENBUTTEL -BERLIN
Eine Aufsehen erregende VeroEentlichung zum Schubert -Jalir
FRANZ SCHUBERT
SAMTLICHE MANNERCHORE
ERSTE VOLLST1NDIGE GESAMTAUSGAB1C
Herausgegeben von VIKTOR KELDORFER
Ehrencliornicister ties Wiener Schubert-Bundes und Altchormeisler des Wiener jYIamiergesaiigvereines
I. Band
Chore a cappella
u. E. Nr. 9439 Partitur . . . .
U. E. Nr. 9440 a/d Cliorstimmen a
Mk. 6.-
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II. Band
Chore mit Ins trumen tal-Begleitung
U. E. Nr. 9441 Partitur .... Mk. 6. —
U. E. Nr. 9442 a/d Cliorstimmen a . Mk. 1.50
Als Grundlage fur die Revisionsarbeit. die endlich alle zum Teil seit des Meisters Tode mit-
geschleppten musikalischen und textlichen Febler und Willkiirlicbkeiten spaterer Herausgeber
ausmerzt, dienten in erster Linie die Handschriften Schuberts, sowie Erstdrucke und die Gesamt-
ausgabe von Breitkopf und Hartel. Der Herausgeber war bemfiht, die Chore originalgetreu
zu uberliefern und die Ausgabe fur die Praxis brauchbar zu machen.
Durch jede Musikalienhandlung zu beziehen. Genaue Prospekte gratis
UNIVERSAL-EDITION A. G., WIEN-LEIPZIG
215
G. F. HANDEL
Stiicke fur Klavier
(Clavicembalo)
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W. B ar clay - Squire - J. A. fuller- M ait land
76 bisher verschollene Klavier stiicke von Handel
werden hier zum ersten Mai veroffentlicht
Die Stiicke (eine Reihe erstrangiger Werke) stannnen aus einer jiuig.sl
in England aufgefundenen Manuskript-Sanmilung. Sie maclien iingn-
fiihr ein Drittel sdmtlidier bekannter Klavierkomposilionen Handels
uits. Bei der heutigen Handel-Renaissance ein doppelt bedeutsames
Ereignis fiir die gesamte niusiktreibende Welt und zugleicb eine uu-
geahnte Bereicherung der altklassisclienKlavierliteratiir. — Keines der
Stiicke ist in der grofien Ausgabe der Handelgesellscbaft enthalten.
Zwci Bonde (Ed. Schott, Nr. 149/150) je n. M. 3-
B. SCHOTT'S SOHNE. MAINZ UND LEIPZIG
Soebenerschienen zwei neue Bande der
Denkmaler der Tonkunsi in Osterreich
Herausgegeben unier
XXXV.
I. Teil, Band 67
EMANUEL A. FOSTER
KAMMERMUSIK
Bearbeitet von Karl \V e i g 1
Quartett op. 16 Nr. 4 C-dur
Quartett op. 16 Nr. 5 F-moll
Quartett op. 19 C-moll
Quartett op. 20 A-moll
Quartett op. 26 Es-dur
Preis des Bandes Mk. 25. —
Leitung von Guido Adler
JAHRGANG
II. Teil, Band 68
JOHANN STRAUSS VATER
WALZER
Bearbeitet von Hans G a 1
Tauberln-Walzer op. 1 / A\ 7 iener Karneval
op. 3 / Elisabethen-Walzer op. 71 / Philo-
melen-Walzer op. 82 / Myrthen-Walzer
op. 118 / Masken-Lieder op. 170 / Die Adep-
ten op. 216 / Die Sorgenbrecber op. 230
Preis des Bandes Mk. 25. -
F e r n e r e r s c h i e n Band XV d e r
Studien zur Musikwissenschaft
(Beihefte der Denkmaler der Tonkunst in Osterreich)
Karl Koletschka. Esaias Reusner der Jiingere und seine Bedeutung fiir die deutsclie Lautenmusik des 17. Jahr-
hunderts; Karl August Rosenthal, Stenano Bernardis Kirchenwerke; Alfred Schien erl. Die kirchlichen
Kompositionen des Giuseppe Bonno; Felix Salzer, Die Sonatenforni bci Scliubert.
Preis des Bandes Mk. 10. -
Vollstandige Verzeichnisse der bisher erchienenen Bdnde der „Denkmaler der Tonkunst in Osterreich" und der „Studien
zur Musikwissenschaft" an Interessenten kostenlos
UNIVERSAL-EDITON A. G. / WIEN-LEIPZIG
216
LUDWIG KUBA
Slaventum in seinen Liedern
aiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii[iiiiaiiiiiiiiiiiiitii>iiiiiiiiiiiiiijiiiiiiiii>iiiiiiii)iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiifiEiiiiiiiiiii)iiiifitiiiiiiiiiiiiiiiii<iii>iiiiiiiiifiiaiiiiiiiiiriiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiEiii[iiiiini!iiiiiii
Eine Sammlung nationalcr unci nation alve rwaii cite r Liecler
aller slavischen Volker mit Origin altexten unci
tschechischen Ubersetzungen
Vergriffene Werke, Band 1 - V
(Neue Ausgabe steht in Aussicht)
I. Tschechischc —
III. Slovakische - IV.
II. Mahrische und schlesische —
Polnische unci V. Wendiscbe Liecler
Restauflage der Bcinde aus der Originalcaisgabe :
VII. Slowenische Lieder . (123 auf 254 Seiten) . Gftl. 2.25
VIII. Montenegrinische Lieder (70 aid' 124 Seiten) . „ J 20
IX. Kroatische Lieder . . (62 auf 124 Seiten) . „ 1.50
X. Dalmatische Lieder . (88 auf 128 Seiten) . „ 1.50
Neue Ausgabe n :
VI. I. Teil: Kleinrussischc Lieder GM. 4.50
II. Teil: Grofi- und Weifirussiscbe Lieder . . „ 4.50
XI. Serbische Lieder (aus dem Konigreich) ... ,, 3.60
XII. Bosnisch-herzegowiniscbe Lieder „ 7.50
In Vorbereitung:
XIII. Lieder aus Alt-Serbien und Makedonien
XIV. Bulgarische Lieder
Kubus JVerk ist die Zusammenfassung des unermefilirhen Sclialzes von Folksliedern, die gerade
bei den slavischen Volkeni den starksten Ausdriick der Volkspoesie darstellen. Kuba isl. lieule
der groJStc Kenner des slavischen Liedes. In seinen lilernrischcn JVerken fiber das slavische Lied,
die gteichzeitig ersclieinen, bringt er ganz neue Entdeckungen, Ansichlen und Unterlagen.
HUDEBNI MATIGE UMELECKE BESEDY
PR AHA III.-487. Dum Umelecke Besedy.
Bescdni ul. 3
i
217
Zeiigenossische
Musik
Giinlcr Raphael
op. 3
Sechs Improvisaiionen fur Klavier 2hdg.
(PraUidium, Romnnze, Intermezzo,
Scherzino, Fughctte, Burleske)
Ed. Nr. 2468 M. 2.-
Ein gcnialer Wurf des erfolgreichen jungen Kompo-
nistcnl Die tcilwcise ganz virtuos klingenden und im
Charakler schr gegensatzlich.cn Improvisation en sind
auch im Konzertsanl von aufierordentlicher Wirkung.
Hermann Scherchen
op. 1
Sireidiquariett Nr. 1
Parritur (16") Ed. Nr. 2266 M. 1.50
Stimmen Ed. Nr. 2267 M. 6.-
„Berausehende Musik von grofier Linie, kraftvollem,
poetischem Schwung, sicherem Bon und lebendigen
Gcdankcn. Eine gli'mzcnde Instiiimcntation holt aus
den vier Instrunienteii eiiien Klangrciclituni, wie er
selten zu finden ist. Sehweiz. musikpad. Blotter.
Ewald Sirasser
op. 52
Sireichquariett Nr. 5 g moll
Parritur (16°) Ed. Nr. 2433 M. 1.50
Stimmen Ed. Nr. 2434 M. 6.-
„Kamniermusik im hestcn Sinne des Wortcsl"
Die Musik
op. 54
Kleine Sonate fiir Klavier 2hdg.
Ed. Nr. 2467 M. 2.-
Die Sonate zeigt die Hand eines liebenswurdigen
Meistcrs und weist eine Kultur dev Empfindung anf,
wie mnn sie hetite selten mehr antrifft.
Fritz von Bose
op. 9
Suite Nr. I fiir Klavier 2hdg.
(Praludium, Scherzo, Intermezzo,
Menuetto, Gavotte, Finale)
Ed. Nr. 2055 M. 1.50
op. 20
Suite Nr. II fur Klavier 2hdg.
(Praludium, Scherzo,
Romanze, Finale)
Ed. Nr. 2490 M. 2.-
v. Bose ist Meister eines echtcn gekonnten Klavicr-
stils, in dem er die Gedanken seiner frischen, liehens-
wiirdigen Roman tik mitteik.
Durch jede Musikalienhandlung (auch zur
Ansicht) erhaltlich. Verlangen Sie den neuen
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S teingraber - Vcrlag
Leipzig
Dietrich Buxtehude
SOLO-
KANTATEN
fur den praktisclien Gebraucli heraus-
gegeben von
Karl Matthae
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Nr. 1 :
,Singet dem Herrh ein neues
Lied"
Solokantate fiir Sopran mit Begleitung von einer
Violine und Basso continuo (Orgel)
BA Nr. 121. Orgel- und Singstimme out Violin-
stimme M. 1.80
Nr. 2: ,,Heir, anf dicli traue ich"
Solokantate fiir Sopran niit Begleitung von zwei
Alolinen und Basso continuo (Orgel)
BA Nr. 126. Orgel- und Singstimme mit Violin-
stimme M. 1.80
Nr. 3:
Nr. 3: „SlCUt Moses"
Solokantate mit Begleitung von zwei Violinen,
Violoncello und Basso continuo (Orgel)
Orgel- fund Singstimmen
BA
Nr. 127. Orgel- fund
Instrumentalstimmen M.
mit
2.-
Nr. 4: „0 Gottes Stadt"
Solokantate fiir Sopran mit Begleitung von zwei
Violinen, Violoncello und Basso continuo (Orgel)
BA Nr. 128. Orgel- und Singstimmen mit
Streicherstimmen M. 2.40
Der Ugrinogesellschaft komnit das grofie Ver-
dienst zu, daft gegenwartig unter Mitwirkung
von Professor Dr. Gurlitt die Kantaten von
Buxtehude in vorbildlicher Weise veroffentlicht
werden. Die vorliegende Ausgabe will keine Be-
arbeitung sein, sie beschriinkt sich darauf, den
Notentext in getreuer Weise nach der Original-
parti tur unter Hinzufiigung einer ausgeschriebenen
Continuostimme wiederzugeben. Die Ausgabe ist
mit feinem inneren VerstSndnis besorgt. Auch
das Aeussere derselben ist beachtenswert.
(Die Kirchenmusik Jahrg. VIII/89)
Der Barenreiter-Verlag zu Kassel
218
ERNST KRENEK
IIIIIIIIIIIIIMIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIHIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIMIIIIIIIIIIIIUIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIMIIIIIIIIIIIIIIIIIIIHIIII
DREI EINAKTER
ininiiininiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiniiiiiiiiiiMiiiiiiiiMiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiniiiiiiiiiiiiiiiMiiiMiiiiiiniiiiiiiniiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiMiiMiiiiti
DER DIKTATOR
SCHWERGEWICHT ODER DIE EHRE DER NATION
DAS GEHE1ME KONIGREICH
Urauffuhrung am Staa tstheater in Wiesbaden am 6. Mai 1928.
Klavierausziige und Textbucher in Vorbereitung
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8§ v
RNST \^H
RENEK \K]j
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VII
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O N 1 V E B J A L -
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Zu obiger Ausstattung sind
s&mtliche Hefte erschienen
DIE ERSTEN HEFTE DER NEUEN SERIE
DER MODERNE TANZ
IN DER KUNSTMUSIK
U.-E. Nr.
Fiir Klavier zu 2 Handen
iMk.
9507 Wilhelm Grosz, Tango aus „Baby in der Bar" 1.50
8791/94 Alois Hdba, Vier Tanze a 1.-
(1. Shimmy-Blues - 2. Blues - 3. Boston - 4. Tango
8871 Ernst Krenek, Blues, „Leb' wohl mein Schatz"
aus „Jonny spielt auf" 1.50
8954/58 Eiwin Schulhoff, Cinq Etudes de Jazz . . a 1.20
(1. Charleston - 2. Blues - 3. Chanson - 4. Tango
5. Toccata u. d. Shimmy „Kitten on the Keys")
8900 Kurt Weill, Alabama-Song. Blues aus „Maha-
gonny" (mit Gesangsstimme) . . . . . 1.50
Durch j e d e Musikalienha n'd lung zu beziehen
UNIVERSAL-EDITION A.-G., WIEN-LEIPZIG
219
58. TONKUNSTLERFEST
des Allgemeinen Deutschen Musikvereins
vom 20. bis 24. Mai 1928 in SCHWERIN i. Mecklb.
Fest-Programm
20. Mai
18.30 Uhr: 1. Orchester unci Chorkonzert:
v. Keufiler, Symphonie — v. Wolfurt, Tripelfuge fur Orchester —
Lechthaler, Stabat mater
21. Mai
11 Uhr: 1. Kammerkonzert :
Gebliard, Sonatine — Weber, Streichtrio — Hans Ebert, Riblische
Balladen fur Sopran — Geiser, Suite fur Violine unci Klavier —
Sternberg, Streichquartett Nr. 2
20 Uhr: Im Staatstheater :
Petyrek, Die arme Mutter unci der Tod — A. Reufi, Glasblaser
mid Dogaressa. — Dir. : 1. Kapellmeister W. Lutze
22. Mai
20 Uhr: 2. Orchester-Konzert :
Geierhaas, Thema mit Variat. fiir Orch. — Maler, Suite f. Cemb.
und Orch. — Pisk, Hymnus an die Liebe — Hoffer, Symphonie
23. Mai
19 Uhr: 2. Kammerkonzert:
Weismann, Madrigal — Butting, Klavierstucke — Hermann,
Chorsuite — Raphael, Streichquintett — Marx, Motette
24. Mai
19.30 Uhr: 3. Orchester-Konzert:
Goldschmidt, Partita fiir Orchester — Hindemith, Bratschen-
konzert — Reutter, Tripelkonzert — Prohaska, Passacaglia
Mitwirkende :
Amar-Quartett - Frieda Dierolf - Irene Eden - Professor Havemann und Quartett -
Frau Hoffmann-Behrendt — Paul Hindemith — Ludwig Kentner — Lotte Leonard —
Johannes Straufi - Aug. Rapold - Herm. Reutter - Herm. Schey
Dir. eig. Kompositioneil : G. v. Keufiler, B. Goldschmidt
Chdf6 ' "-* 1, Holies Madrigalchor - Gesangverein, Lehrerges.-Ver., Liedertafel, Staatstheater-
chor, Schwerin — Volkschor-Parcnim, Musikverein Wismar
Orchester : Die verstarkte Staatskapelle .
FeStdiligent: Prof. Willihald Kaehler, Meckl. Generalmusikdirektor
Anderungen vorbelialten
Kartenbestellungen zu richten an: Althen & Claussen, Konigstr. 71, Schwerin i. Mecklb.
220
L. WINDSPERGER
Aus seinem Schaffen :
VIOLINE
Sonate Adur fur Violine allein,
op. 13 Nr. 2 . M. 4. -
15 Improvisationen fiir Violine allein
op. 14 3 Hefte je M. 2. -
Konzertstiick D tl u r fiir Violine u. Klavier
op. 12 Nr. 1 M. 4. -
Scherzo h m o 1 1 fiir Violine mid Klavier
op. 16 Nr. 2 M. 2.-
Scherzo f is moll fiir Violine und Klavier
op. 16 Nr. 2 M. 1.50
Intime Melodien fiir Violine und Klavier
op. 19 2 Hefte je M. 3. -
Sonate d m o 1 1 fiir Violine und Klavier
op. 26 ■ . . . M. 6. -
Kleine Stiicke fur Violine u. Klav., op. 38
(in Vorbereitung)
Sonata brevis (quasi una Fantasia)
op. 41 Nr. 1 (in Vorboreitung)
Sonate fismoll fiir Violine und Orgel,
op. 11 Nr. 1 M. 6.-
VIOLA
O d e c m o 1 1 f. Viola allein, op. 1 3 Nr. 2 M. 2. -
Sonate fiir Viola allein, op. 42
(in Vorbereitung)
VIOLONCELLO
Sonate dmoll fiir Violoncello allein,
op. 3 Nr. 1 . . . M. 3. -
Sonate Ddur fiir Violoncello allein,
op. 3 Nr. 2 M. 3. -
Sonate Ddur fiir Violoncello und Klavier,
op. 15 Nr. 1 ...... M. 5. -
Kleine Konzert-Suite dmoll fur Violon-
cello und Klavier, op. 15 Nr. 2 M. 3. -
Rhapsodie-Sonate Cdur fiir Violoncello
und Klavier, op. 20 M. 8. -
Sonate Edur fiir Violoncello und Orgel
op. 11 Nr. 2 M. 8.-
KAMMERMUSIK
Trio hmoll fiir Klavier, Violine u. Violon-
cello, op. 18 ... Stimmen M. 8. —
Quartett gmoll fiir 2 Violinen, Viola und
Violoncello, op. 21
Stud.-Part. M. 2. - , Stimmen M. 8. -
Drci Suiten fiir 4 Ventilhiirner, op. 31
Turmmusik - Waldmusik - Abenclmusik
(Stininien leihweise)
B. S chott's Sohne
Mainz und Leipzig
A. GLAS
lllllllllllllll IIIIIIIIIIIUIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIMIIIIIUIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII
DAS SPEZIALHAUS
FUR GUTE MUSIK
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weist enieut darauf hin, dafi es
samtliche "Werke des Verlages
B. Schotfs Sohne, Mainz
vorriitig liiilt.
*
Besonderer Beachtung hediirfen die
AVerke der zeitgenossischenKomponisten
Butting, de Fnlln, Grainger, Gret-
chaninoff, Haas, Hindemith, Jarnach,
Komgold, Kreislcr, Milhaud, Ravel,
Scott,Slrawinsky,Toch,WcigI,Winds-
perger usw., die jcderzeit unverbindlich
eingeselien werden konnen und auf
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gestellt werden.
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Die Schriftleitung bittet vor Zusendung von Manuskripten um Anfrage mit Rfickporto. Alle Redite fiir samtliche Beitrtige vorbchalten.
?6r Anzeigen und Verlagsmitteilungen verantwortl. : Dr. Johannes Petschull, Mainz / Verlag: MELQSVERLAG (B. Schott's Sohne)
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ZUMINHALT
Die schon in friiheren Heften begonnenen und systematisch ausgebauten Beziehungen
zur russischen Musikkultur werden hier wieder aufgenommen. Dei - Fragenkreis
umspannt diesmal ein raumlich und sachlicli geweitetes Stoffgebiet. Unter den ersten
Gesichtspunkt fallt die zusammenfassende Darstellung der ukrainischen Entwicklung,
welclae deren geistiger Fiihrer Philipp Kositzki, der Leiter der Musikabteilung des ukrainischen
Volkskommissariats fur Bildungswesen, vorlegt. Der Aufsatz fiihrt in einen uns Deutschen
bisher vollig unbekannten Bereich. Zu den sachlichen Erweiterungen gehoren die Unter-
suchungen liber die Entwicklung der Musikkritik in Rufiland. Der den Lesern des MELOS
bereits bekannte Verfasser leitet, was nicht ohne Interesse sein durfte, da es Xhnliches
bei uns noch nicht gibt, ein Seminar fur Musikkritik am Staatlichen Kunsthistorischen
Institut in Leningrad.
Die neue Form unserer Notenbedage erlaubt uns, auch geschlossene Stiicke in
kleinerem Umfang vorzulegen, wie in diesem Falle ausgewahlte Proben kirgisischer
Volksmusik, von der bisher kaum irgend eine Kunde zu uns geiangte.
Die Rubrik RUNDFUNK bringt in diesem Hefte zum ersten Male einen Uber-
blick iiber die musikalischen Programme der letzten Monate. Die MELOSKRITIK stellt in
der Werkbesprechung Honeggers neue Musik in den Mittelpunkt. Die letzten dramatischen
Werke dieses Komponisten lassen deutlicher, als es bisher moglich war, die Impulse
seiner kunstlerischen Entwicklung erkennen. Seine ,,Antigone" bezeichnet einen charak-
teristischen Typus gegenwartigen Opernschaffens.
Die Schriftleitung
M U S I K
Wolfgang Greiser (Elbiiig)
BETRACHTUNGEN ZUR FRAGE DER ENTSTEHUNG DER
RUSSISCH-KUNSTLERISCHEN MUSIK
Es ist ein augenscheinlich auffallendes Moment, dafi man in ganz Europa ebenso
wie in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, in den Kulturteilen Asiens ebenso
wie in denen Afrikas unter den gewifi A r ielseitigen Ktinsten des Rufilands der Gegen-
-wart der jiingsten Kunstrichtung dieses Landes, seiner Musik, ein ganz besonderes Interesse
entgegentragt. Auffallend ist dieses Moment umsomehr, als russische Kunst sonst eigentlich
im allgemeinen einen recht schweren Kampf urn ihre Anerkennung auszufechten hat.
Auf dem Gebiet der Musik aber hat das an sich als kultiireh zuriickstehend behan-
delte Land anscheinlich alle Errungenschaften der musikalischen Fortschrittlichkeit
anderer Lander leicht aufzunehmen und zu assimilieren und die Ergebnisse dieser Acht-
samkeit raschest in das Betiitigungsfeld eines Volkes einznsteUen gewufit, dessen musika-
liches Rediirfhis ungemein grofi, dessen tonsprachliches Leben individuellst und zugleich
audi harrend in dem Drange nach Mitteilsamkeit stand. So kommt es, dafi alle russische
Musik bis in die neueste Zeit hinein den geradezu als uppig zu bezeichnenden Schatz
der Volksliedpflege zur Grundlage und zum Fundament seines Aufbaues tragen mufite;
denn erst aus dieser Erscheinung heraus enstand Rufilands rein kiinstlerische Musik.
Als erste Stufe dieser kiinstlerischen Entwicklung russischer Musikpflege ist gleich-
sam die von Westeuropa importierte leichtere und schwerere Theatermusik aufzufassen.
Aus ihrer Vielgestaltigkeit heraus war es vor alien Dingen zunachst einmal die Oper,
die im zaristischen Rufiland des 17. Jahrhunderts den Interessen der damals russischen
Aristokratie am eindringlichsten nahe kam. Doch waren es in erster Linie nicht
russische Komponisten, die diese Musikrichtung im Zarenreiche zu entwickeln vermocht
hatten, sondern mit der italienischen Oper audi deren Komponisten, die sich gern in
den Dienst des Zarenhofes zu stellen bereit waren, und nach Araia, Galuppi und Paesiello
nur ungern den spater herbeigerufenen franzosischen Nachfolgern Platz machten.
Russische Meister begannen sich erst Ausgangs des 1 8. Jahrhunderts als selb-
standige Kiinstler in der Musik bemerkbar zu machen. Sie entstammten zumeist dem
russischen Adelsstande, traten aber doch allgemein, selbst in den damals fuhrenden Ge-
sellschaftsschichten, noch so schwach in Erscheinung, dafi man getrost behaupten darf, dafi
Rufiland zu Zeiten unseres Karl Maria v. Weber und unseres Schubert so gut wie gar
keine eigene Opernmusdc besafi. Es bedurfte erst der Arbeiten eines Michael Glinka
(1804 — 1857), um Werke von Klang und Achtung schaffen zu konnen, die in ihrer gehalt-
vollen musikalischen Tonkunst eine Gegentiberstellung zu den gleichgerichteten Kom-
positionen Westeuropas ertragen konnten. Die Bourgeoisie schenkte ihnen demzufolge
audi gern eine recht anerkennende Beachtung, und war in Glinkas „Russlan und Ludmilla"
audi oft eine ganz enge Anlehnung des Komponisten an Webers und Mozarts Satz- und
Thementechnik vorhanden und feststellbar, so traten hinter Glinka doch alle seine Zeitge-
nossen russischer Mitarbeiterschaft so stark in den Schatten, dafi er sehr bald der ge-
ENTSTEHUNG RUSSISCHER KUNSTMUSIK 223
feierte russische Fiihrer der Oper im Zarenstaate war. Glinkasche Rhythmen sind ja auch
uns Deutschen nicht fremd geblieben.
Trotz alledem fanden weder Glinka n,och seine Zeitgenossen und Mitarbeiter
russischer Opernkompositionen, so sehr diese aucb dem Bediirfnisse des heimatlichen Landes
entnommen worden waren und entsprachen, nicht die Resonanz und den Aufhahme-
kreis im Volke, den man den ebenso fleifiigen wie reizvollen Arbeiten eigentlich hatte
wiinschen mogen. Aber es waren an sich eben zu begrenzte und zu beengte Volks-
kreise, die das durchaus intelligente Schaffen dieser ersten musikaliscben russischen Schule
guten Konnens stiitzten, und so blieb der begonnene Anlauf zur Entwicklung einer
russiscb typischen Kunstmusikpflege eigentlich nach kurzem Aufleben auch schon wieder
auf halbem Wege stehen; denn es gelang weder der Aristokratie noch der damaligen
sehr einflufireichen Adelsgruppe der Rasnotschinzy die Atmosphare der Auswirkung dieser
ersten Kompositionsschule auf einen ganz starken Untergrund zu stellen.
Dieses Fehlen einer grofien Basis konnte sodann natiirlich auch nicht sofort
durcli Neuanlehnungen Rubinsteins und selbst Tschaikowskis an neuartige West-
molive europaischer Kompositionen ersetzt werden, und so bedurfte es erst des Drei-
gestirnes Rorodin, Mussorgski und Rimsky-Korssakow, um die Psych ologie
der tragenden Volksmasse durch die Verkniipfung des Volksliedes mit der Technik
der kunstlerischen Komposition kollektiv gewinnen zu konnen. Drei Gliederungsgruppen
sind hierfiir charakteristisch und bedeutsam ge worden, der Skrjabinsche Ton-
symbolismus, die Strawinskische Koloratur und der Neoklassizismus Pokrofjews.
Niin brauchte nur noch Glasunow zu den soeben genannten Komponistengruppen
hinzuzutreten, um den Ruf russischer Musik unmittelbar vor Kriegsausbruch in alle
Welttede treten zu lassen. Zu ihm gesellte sich dann noch der ruhmreiche Rachmaninoff
mit seiner schopferischen Kraft, und treten selbst jetzt noch trotz alien eigenen Schaffens
der Einflufi Wagners und Debussys immer und immer wieder unableugbar in Er-
scheinung, so nahm die russische Musik nunmehr doch zugleich auch eine so feine
Stilkultur an sich selbst vor, dafi sie neben die Opernpflege nur noch die Kammer
zu treten lassen brauchte, um bei aller Sympathie zum Westen das charakteristisch
nationale Merkmal in ihr als ein Vermachtnis festhalten zu konnen, das bis in unsere
Tage hinein immer wieder tiberrascht.
Als Rufiland im Weltkriege von der Revolution und ihren Auswirkungen erfafit
wurde, rief diese naturgemafi auch auf dem Gebiete der Musik zunachst einmal eine
starke Verwirrung hervor. Diese machte sich bei einem Teile aller russischen Kunstler
darin bemerkbar, dafi sie sich in das Ausland begaben, wahrend ein anderer Teil im
Inlande verblieb. Der zuriiclcgebliebene Teil erwies sich aber als ungemein geschwacht,
da eben die Resten auch hier die „Front" verlassen hatten. Raclimaninoff, Pokrofjew,
Metner, der Dirigent Kussewitzki, die Pianisten Borowski und Orlow und viele andere
waren fluchtartig ins Ausland gewandert. Zugleich hatte aber auch das Publikum als
Musildiebhaber eine vollige Abwandlung und Auswechselung erfahren. Uber die Ideinen
Kreise der Aristokratie des Einst war nun die Millionenmasse der arbeitenden Bevolkerung
emporgewachsen imd zeigte im Einvernehmen mit ihrer Jugend ein geradezu ungeheuerlich
reiches Mafi neuen Musikbediirfnisses. Die Konzertsale wm - den jetzt von der neuen
Zuhorerschaft forndich gestiirmt, Konzertgruppen und Orchester allerorts organisiert und
224
PHILIPP KOSITZKI
vom Volkskommissariat fur Bddungswesen in jeder Weise weitest protegiert. Selbst auf
die Zusammensetzung der Programme gewannen die neuen Musikgemeinden Einflufi. Das
Problem des Spielplanes wurde sogar zur aktuellen Frage der Menge, die Hebung ihres
kunstlerischen Niveaus darin erstrebt und doch mit den Allgemeinerlebnissen der
Revolution derart eng verkniipft und verbunden, dafi zum Inhalte jetzt nur noch die
neue Gestaltung zu treten brauchte, um neben den Sinn der Musikpflege nun auch die
Methode der Neuwahl treten zu lassen. Die unter freiem Himmel abgehaltenen Revolutions-
massenfeiern forderten auch eine hierfiir geeignete Musik. Der „Proletkult" gab ihr
neue Ausdrucksweisen, und gegenwartig ist der „Musiksektor des Staatsverlages in Rut-
land" der Hauptverbreiter dieser Sonderart revolutionarer Musikliteratur. Damit stiitzt
er insonderheit die Qualitaten Gnesin, Krein, Glier und andere aktive Krafte.
Zu alledem brachte auch die allgemein eingetretene wirtschaftliche Festigung des
Landes nach und nach wieder eine Dezentralisierung vom Kriegsepoche-Kommunismus,
und so bestehen in einzelnen GroCzentren Rufilands, z. R. in Moskau, Leningrad und
Odessa, zur Zeit besondere Abonnementssysteme zwecks materieller Fundierung der tat-
sachlich in vorderster Reihe marschierenden Arbeiterintelligenz. Von Moskau bis hin in
die entlegensten Provinzwinkel reichen heut somit die Organisationen der an Zahl
immer grofier werdenden Symphonie-Orcliester, und die Riesenerfolge der Beethoven-
feiern in Leningrad, Odessa und Tiflis reden ungezwungen in lauten Tonen vom Einflusse
dieser Art Musikkronung auf Rufilands Arbeiterklubs. Die Konzerte hochqualifizierter
Virtuosen konnten wiederholt vor einem reinen Arbeiterauditoritlm stattfinden, und der
Umstand, dafi die Moskauer, Leningrader und Odessaer Philharmonie sowie die Moskauer
Assoziation fur moderne Musik enge Verbindungen mit Westeuropa geschaffen und auf-
recht erhalten haben, cbarakterisiert zur Geniige die gegenwartige kiinstlerische Musik-
lage RuClands als machtvoll, stark und als den Ausdruck eines Willens, in dem sich des
Volkes Herz und Seele auf boher Musikbasis finden.
Philipp Kositzki (Charkow)
MUSIK IN DER SOWJET-UKRAINE
Zur Beurteilung der seit der Revolution erzielten Fortschritte auf dem Gebiet der
Musik mufi man die Tatsache in Beti-acht ziehen, dafi bis 1917, d. h. in der Periode
des zaristischen Regimes die ukrainische Kultur, ganz gleich in welcher Form sie sich
aufierte, unterdriickt worden war. Wir woUen nicht die Repressalien in Schule, Presse,
Literatur, Theater usw. auffiihren, bemerkeia nur einige Tatsachen, die die Musik direkt
angehen: es dixrfte wold bekannt sein, dafi in den 80 er Jahren des vorigen Jahr-
hunderts der Komponist Lissenko wegen des Verbots, offentlich uki'ainische Musilc zur
Auffuhrung zu bringen, in einem Konzert ukrainische Volkslieder in franzosischer
Sprache singen lassen mufite. Rei Schulfeiern waren ula-ainische Volkslieder und Komatki
(ukrainische Weihnachtslieder) verboten. Die Geistlichkeit forderte von den Lokal-
behorden, vorwiegend in den Dorfern, das Verbot, ukrainische Vollcslieder zu singen.
MUSIK IN DER SO WJET-UKRAINE 225
Auf diese Weise erstrebte man, die Entwicklung der Liedkomposition zu unterbinden
und das ukrainische Lied aus dem Leben des Volkes zu enti'erneii.
Konservatorien nnd Musikschulen in der Ukraine haben bewufit das ukrainische
Volkslied ignoriert; die an der ukrainischen Musik Interessierten mufiten sich privatim
Lehrer suchen oder halb illegale Musikschulen griinden. Daher ware es vergeblich,
unter solchen Bedingungen irgend eine nennenswerte Entwicklung der idcrainischen
Kultur, nationaler Form en zu erwarten.
Einzelne Kiinstler, die auf diesem Gebiete arbeiteten, mufiten bereit sein, iiber
sich allerhand administrative Gegenmafinahmen ergehen zu lassen, die auch nicht selten
vorgekommen sind. So fanden bei bedeutenden Komponisten ihrer Zeit, wie Lissenko,
Stezenko u. a. Haussuchungen, Verhaftungen und auch Verschickung statt. Trotz alle-
dem gingen aus der Ukraine eine Reihe Komponisten hervor, die eine ansehnliche
Musikliteratur (Chore, Lieder, Kammermusik, Opern) geschaffen haben. Es waren die
Komponisten Lissenko, Nischtschinski, Stezenko, Stepowij, Seniza, Leontowitsch u. a.
sowie Chordirigenten, von denen einige, z. B. Koschitz, weithin bekannt geworden sind.
Was die Volkskomposition anbetrifft, so gibt sie ein in kultureller Beziehung sehr wert-
volles Material ab, das bisher noch nicht vollstandig gesammelt und erforscht ist. So
war, in kurzen Ziigen gezeichnet, die Lage der Musik in der Ukraine, die auf dem
Territorium des zaristischen Rufilands eine Bevolkerung von iiber 28 Millionen zahlte.
Die Oktoberrevolution 1917 brachte fiir die ukrainische Musik die nationale Be-
freiung. Der ukrainische Sowjetstaat proklamierte als Losung die „Liquidierung des
musikalischen Analphabetentums der Massen". Der Sowjetstaat (bewuSt der Bedeutung,
die Musik als Hilfsmittel fiir politische Erziehung der Massen hat) bemiiht . sich, die
bestmoglichen Bedingungen zur Entwicklung des selbsttatigen MusikschafFens der Arbeiter-
und Bauernmassen, als der musikalisch am riickstandigsten Schichten, zu erzeugen und
dadurch die Bedingungen fiir eine dem Inhalt nach proletarische, der Form nach
nationalen Musik zu schaffen.
Unser System der musikalischen Bddung entspricht unserem allgemeinen Bildungs-
system und hat drei Arten von Musikschulen: Institut, Technikum und Berufsschule.
Institut und Technikum sind HochschuUn, die sich in der Art der Qualifikation, die
der Student dort erhalt, unterscheiden. — Institute bilden aus : Padagogen, Dirigenten,
Komponisten, Musiktheoretiker und Instruktoren fiir musikalische Massenarbeit. Die
Techniken : Insti'umentalisten und Sanger fiir Konzert, Oper etc. Die Musikberufs-
schiden sind jMittelscbulen, die Schiller fiir Institute und Techniken vorbereiten. In
einzelnen Fachern (Blaser, Klavierstimmer usw.) geben sie den Schiilern eine voile
Qualifikation.
1926 — 27 haben wir in der Sowjetukraine 3 Musikinstitute (Charkow, Kiew, Odessa),
6 Techniken und 26 Musikberufsschtden. Aufierdem gibt es fiir Erwachsene, die ihres
Alters wegen nicht in Berufsschulen, resp. Techniken oder Institute aufgenommen werden,
sogenannte „Musikkurse", in denen sowohl elementare Kenntnisse in Verstehen und
Ausiiben der Musik beigebracht als auch die Schiiler bis zur Konzerti'eife herangehildet
werden. Gegenwartig haben wir zehn solcher Musildcurse. '
Eine elementare Musikbddung erhalten die Kinder teils in den Arbeitsschulen,
teils in den Kinderabteilungen, die an den Musikberufsschulen bestehen, teils in den
226 PHILIPP KOSITZKI
Musikzirkeln der Klubs *), In letzter Zeit geht man dazu tiber, einzelne Arbeitsschulen
mit einem bestimmten musikalisclien Einschlag im Scliulprogramm einzuricbten.
Neben der Reorganisation des Systems der Musikbddung wurde eine grofie Arbeit
durchgemacht in Bezug auf die Proletarisierung und Ukrainisierung der Musikschulen.
Die Schwierigkeit in dieser Hinsicht kann man erst wiirdigen, wenn man in Betracht zieht,
dafi einerseits bis 1917 die Schiller an den Musikschulen vorwiegend aus Kreisen des
Biirgertums und der biirgerlichen InteUigenz stammten, andererseits die national-
ukrainischen Formen absolut ignoriert wurden.
In den letzten Jahren konnte man in dieser Hinsicht Fortschritte feststellen, die
durch folgende Tabelle **) veranschaulicht werden:
Arbeit er
Bauern
Angestellte
Andere
Insgesamt
Musikinstitute
11,5%
11,6%
62,7 %
14,2%
100%
Musik-Techniken
8,7%
2,3%
78,4 %
10,6%
100%
Berufsschulen
14,2%
3,7 %
54,6%
27,5%
100%
Auf dem Gebiete der Ukrainisierung: der Unterricht wird zum grofiten Ted in
ukrainisclier Sprache gefuhrt. Neue Facher sind eingefuhrt: Geschichte der ukrainischen
Musik, Studium ukrainisclier Volkslieder, ihr Bau, ihr Std, musikalische Bearbeitung
ukrainischer Volkslieder (als Pflichtfach in Kompositions- und Theorieklassen).
Einen weiteren Fortschritt bilden die vielen Musikvereinigungen offentlich-gesell-
schaftlicher Art (Chore, Vokal-Ensembles, Quartette u. a.). Die Chore der Klubs nicht
mitgerechnet, gibt es gegenwartig in der Ukraine etwa 1500 Chore. Diese sind in drei
Typen eingeteilt : Orts-, Bezirks- und Staatschore. Die . ersten treten nur in ihrem
Wohnort auf, die Bezirkschore konzertieren innerhalb Hires Bezirks, (Okrug = Provinz),
die letzten bereisen die ganze Ukraine. — Der beste Staatschor „Dumki" ***) bereiste
seit seiner Griindung vor ca. 8 Jahren schon einige Male die ganze Ukraine, konzertierte
audi in Weifirufiland, in Moskau, Leningrad, Kaukasus usw. — Audi die Quartette ***),
Vokal-Ensembles ***), usw. bereisen die Ukraine. Die Kiewer Kobsarenkapelle ***)
(Spieler ukrainisclier Nationalinstruniente) hat in den letzten zwei Jahren auf ihren Konzert-
reisen in der Ukraine fast in jedem Stiidtchen gespielt und tiber 200 Konzerte gegeben.
Um breiteste Schichten der Bevolkerung zur Musikpflege heranzuziehen, hat das
Volkskommissariat fur Bddungswesen, unter engster Mitarbeit der offentlich-gesellschaft-
lichen Musik organisationen und der Musikschulen, im Dezember 1926 den „Tag der Musik"
als eineu staatlichen Feiertag bestimmt. Als erste Aufgabe die dieser Tag erfullen
sollte, war gestellt: Heranziehen der Massen zur Musik, Popularisation der national-
ukrainischen und der auslandischen Musik unter den Massen, Propaganda fur Musik
und Hire soziologische Bedeutung. — Der Eintritt zu den anlafilich des „Tages der
Musik" veranstalteten Konzerten, denen Vorlesungen vorausgingen, war frei. Es wurden
Konzerte niclit nur in den Stadten und Arbeitervierteln, sondern vielfach audi auf
*) Der Klub ist die Kulturpflegestelle fur die Gesamtbelegschaft eines jeden Unternehmens. Solche
Klubs sind jeder Fabrik, jedem Unteinehmen staatlichcr und genossenschaftlicher Art, jeder Gewerkschaft,
jeder Behorde usw. angeschlossen. — Auf dem Dorf ist es das Dorfhaus (Selbudynok).
**) Nacli Angaben der offiziellen Statistik des Volkskommissariat fur Bildungswesen fiir das
Lehrjahr 1925-26.
***) der allukrainisclien Musikgesellschaft ,,Leonlowitsch" angeschlossen.
MUSIK IN DER SOWJET-UKRAINE 227
dem Lande veranstaltet. — Das Interesse breiter Massen war aufierordendich grofi.
Eine Menge Fragebogenmaterial, das in diesen Konzerten verteilt worden war, um
Geschmack, Wimsche, Eindruck usw. der Besucher zu erfahren, wird jetzt durchgesehen
und durchgearbeitet.
Einen ahnlichen Massencharakter trug die Feier anlafilich Beethovens lOOjahrigem
Todestag, wenngleich diese Feiern vorwiegend in den Stadten stattgefunden haben,
wo Musikschulen mid Orchester besteben. In Charkow wurde die Beethovenfeier mit
einem grofien Meeting in der Oper eroffnet, dem Orchester-, Kammermusik- und Solisten-
konzerte folgten (vom 26. Marz bis 15. Mai 1927). Die Kammermusik und Solisten-
konzerte wurden vielfach in den Arbeitervierteln wiederholt.
Der politisch-aufklarende Erfolg dieser Beethovenfeiern bestand darin, dafi breitere
Massen Beethovens Werke kemien lernen konnten, und daft man dabei seine Werke und
Bedeutung von der sozialen Seite aus hat beleuchten konnen.
Solche Musikkampagnen sind fur uns von grower Bedeutung; iiberaU beleben sie
die musikalische Tatigkeit, ziehen alle aktiven Elemente (Chore, Orchester, Musikschulen)
in die Arbeit hinein, lenken die Aufmerksamkeit breiter Schichten auf musikalische Er-
eignisse, erwecken Interesse an Musik und bringen die Massen in ein naheres Verhaltnis
zur Musik.
2.
Ein besonderes Ereignis war 1925 die Eroffmmg der ukraiiiischen Staatsoper in
Charkow. 1926 begannen auch die Staatsopern in Kiew und Odessa Opern in
ukrainischer Sprache zu bringen. Diese drei Opernbiiluien sind im Operntrust ver-
einigt, werden einheitlich verwaltet und unterstehen unmittelbar dem Volkskommissariat
fur Bildungswesen. Durch diese Vereinigung war es dem Operntrust moglich, die
besten Kiinstler und Krafte heranzuziehen. — Von Aufluhrungen, die in kiinstlerischer
Hinsicht besonders wertvoll waren, kann man „Furst Igor" (in ukrainischem Stil), „Jahr-
markt von Sorotschin", „Schmuck der Madonna", „Meistersinger", „Barbier von Sevilla",
„Cai'men" und einige andere russische Opern hervorheben.
Der Operntrust veranstaltet durch sein Konzertbiiro eine Beihe symphonischer
Konzerte, zum Teil unter Mitwirkung oder Leitung von Gastkiinstlern (Oskar Fried,
Malko, ProkoffiefF, Medtner, Kubelik u. a. m.).
An ukrainischen konzertierenden Vereinigungen haben wir das Streichquartett
„Leontowitsch", das vorwiegend neue Quartettliteratur bringt, das Streichquartett ,,Villome",
Symphonieorchester, Kobsarenkapellen in Charkow, Kiew und Poltawa; von Choren:
„Dumki", „Duch" u. a. — Auch die Musikschulen entfalten eine intensive Tatigkeit
durch verschiedenste Konzertverstanstaltungen.
Eine besondere Erwahnung verdient die bereits genannte MusikgeseUschaft „Leon-
towitsch", der weit iiber 1000 Musikorganisationen und zehntausende Mitglieder angehoren.
Diese 1921 gegriindete Gesellschaft begann auf offentlich-gesellscliafdicher Basis Musik
unter der Losung „Oktober in der Musik, Musik fur die Massen" zu propagieren. Von
Jahr zu Jahr wuchs die Popularitat dieser GeseUschaft, die sich sowohl in organisatorischer
Hinsicht weit verzweigte, als auch einen grofieren Einflufi auf das Musikleben in der
Ukraine gevvann. Gegenwartig hat diese Gesellschaft in alien grofieren Stadten der
Ukraine ihre Ortsgruppen, die durch Unterteilung bis in die Dorfer hinein organisatorisch
228
ALOIS MELICHAR
verbunden sind. Die Zentralleitung hat ihren Sitz in Charkow. Die Arbeit der Ge-
sellschaft wird von Sektionen fiir Konzertieren, Komposition (an der fast der gesamte
Kompoiiisteimachwuchs tednimmt), Musikwissenschaft, Methodologie, Musikverlag usw.
durchgefiihrt. Ihr Organ besitzt die Gesellschaft in der Zweimonatssckrift „Musyka"
der einzigen Musutzeitschrift der Ukraine, die sowohl musiktheoretische Beitrage bringt,
als auch das jeweilige Musikleben in der Ukraine wiederspiegelt. /Vuf mtisikwissen-
schaftlichem Gebiet wird aufier der entsprechenden Sektion der Gesellschaft iin Musik-
ethnographischen Kabiuett der ukrainischeii Akademie der Wissenschaft in Kiew (miter
Leitung des Ethnographer! K. Kwitko) und in den Musikforschungszellen der Musik-
institute (besonders in Kiew unter Leitung des Musikhistorikers Prof. Grintschenko)
gearbeitet.
In der neueren ukrainischeii Musik kann man von zwei Richtungen sprechen, ein-
mal diejenige, die neue Formen und neue Klangfarben sucht, die andere, die auf der
Basis des national-ukrainischen Volksliedes in seinen verschiedensten Formen zur kiinst-
lerischen Hohe strebt. — Von jetzt in der Sowjetukraine lebenden Komponisten sind
folgende zu verzeichnen : Seniza, Werikowski, Rewuzki, Janowski, Lisowski, Kositzki,
Zolotarew, Kostenko, Liatominiski, Boguslawski, Meitus, Dremzow, Tolstiakow, Werho-
winez, Batiuk, Popaditsch, Jazinewitsch ; von den jiingsten Steblianko, Koliadu, Pogarski,
Borisow.
1st es im Rahmen ernes Artikels nicht moglich, ein erschopfendes Bild von der
Musik in der Sowjetukraine zu geben — wir haben das weite Gebiet der musik-
aufklarenden Arbeit, wie sie in den Klubs, in den Dorfern, unter Arbeiter- und Bauern-
massen durchgefiihrt wird, kaum erwahnt — so hoffe ich doch, einen kleinen Uber-
blick gegeben zu haben.
Als standige Erscheinung auf aUen Gebieten der Musik sehen wir einen dauernden
Zuzug neuer, frischer, junger Krafte, der uns die Uberzeugung gibt, dafi die Entwick-
lung der ukrainischeii Musik, die Jahrhunderte hindurch in kmistlichen Grenzen ge-
halten wurde, fortschreiten wird.
Alois Melichar (Berlin)
DAS KIRGISISCHE LIED
■ In einer erlebnisreichen Periode meines Lebens fuhr ich einmal (es war imjanuar 1925)
mit einem Oeldampfer von Baku uber das Kaspische Meer nacli Krasnowodsk; nach
einer anschliefienden sechzigsttindigen Schnellzugsfahrt durch die Turkestanische Wiiste
sah ich mich in die Jugendgenlde eines Tausendundeinenacht-Marchens versetzt: Ich
befand mich in Samarkand. Wer vermochte diese Wunderstadt, dieses „6stliche Juwel"
zu schildern ? Wessen Feder besafie die Fahigkeit, von dieser zur Wirklichkeit gewordenen
Traum- uud Fantasiestadt mit ihren orgiastischen Formen- und Farbenexzessen ein auch
nur annahernd der Wahrlieit entsprechendes Bdd zu vermitteln? Ich stand auf dem
„Registan", jenem in ganz Mittelasien beruhmten Platz, der von drei rechtwinkelig
zueinanderstehenden riesig dimensionierten Moscheen-Medresen *) gebildet wird. Diese
*) Medresa - orientalische Hochschule, in der hauptsachlich der Koran und seine Exegese gelehrt wird.
DAS KIRGISISCHE LIED 229
im reinsten persischen Stil aufgefiihrten Gebaude gewahren durch ihre liohen Minaretts
und Torbogen (den sogenannten Pischtak's), besonders aber durch die Wandbekleidung
mit buntfarbigen, die wmiderbarsten Arabesken aufweisenden Fayenceziegeln einen feen-
haften Eindruck. Die vierte Seite des Platzes lafit den Blick frei nach dem Bazar mit
seinem den Europaer so anziehenden lebhaften Getriebe: feilscbende Sarten, Perser,
Usbeken in glanzenden Seidenchalaten und bunten Turbans, Turkmen en und Kirgisen
mit riesigen Lammfellmutzen, Tataren, Armenier, Russen im Leinenkittel, tief vermummte
muselmanische Frauen mit dem schwarzen Rofihaargitter vor dem Gesicbt, gestickte
Seidentucher anbietend, Manner, die sich von schmierigen Strafienbarbieren den Schadel
glattrasieren lassen, schwer bepackte Kamelkarawanen usw. Es ist ganz naturlich, dafi
dieses mir fremde Leben und Treiben meine Aufmerksamkeit im hochsten Grade
absorbierte ; nichtsdestoweniger sollte sie alsbald durch ein weit anziehenderes Objekt
gefesselt werden.
Aus der Portalnische einer Moschee ertonte eine getragene, schwermutige Melodie,
von einer Mannerstimme mit grofiem Pathos und leidenschaftlichem Schwung vorgetragen.
Ich nahernde mich dem Orte von wo der Gesang herkam und konnte bald erkennen, dafi
sich die Melodie in der mixolydischen Tonart bewegte. Als charakteristisch drangte
sich mir noch ihre freie rhapsodische Form auf, die weniger periodische als deklama-
torische Gestaltungsprinzipien verriet. Bald war ich so nahe gekommen, dafi ich den
Sanger ins Auge fassen konnte. Vor mir stand, in einen zerlumpten Seidenchalat
gehiillt, ein Mann, dessen stark geschlitzte Augenlider und breite Backenknochen ohne
weiters die mongoliscbe Abstammung erkennen liefien. Als er sein Lied beendet hatte,
fragte ich ihn, wer er sei und woher er komme. Er antwortete mir in gebrochenem
Bussisch, er sei ein Kirgise aus der Umgebung Taschkents und bringe sich durch Singen'
und Spielen auf dem „Kobyz" fort. Er wies dabei auf ein merkwiirdig geformtes
Saiteninstrument mit einem birnenformigen, durch einen Einschnitt in zwei Halften
zerfallenden Resonanzkorper, dessen obere den Saiten zugekehrte Halfte mit
einem Fell iiberzogen war, walrrend der untere, breitere Ted unbedeckt blieb. Von
merkwiirdiger Beschaffenheit waren die beiden Saiten, die sehr hoch, ungefahr 2 cm
vom Griffbrette abstanden. Es waren zwei Biindel schwarzer, lose zusammengedrehter
Rofihaare. Ein drittes Biindel bildete den Bezug eines plumpen holzernen Bogens. Ein
grauweifier Strich, an der SteUe wo die Bogenhaare die „Saiten" beriihren, verriet die
Anwendung von Kolophonium. Ich gab dem Musikanten ein 50-Kopekenstiiclc (fur ihn
eine unerwartet hohe Einnahme) und bat ihn, auf dem Instrument ein Stuck zu spielen.
Er fing wieder zu singen an und begleitete sich auf dem nach der Art eines Violoncellos
zwischen die Beine geklemmten Kobys, in der Weise, dafi er auf der hoheren Saite
die gesungene Melodie heterophon umspielte, wahre'nd er auf der tieferen Saite lang-
gezogene Grundtone aushielt oder manchmal mit der Melodie in seltsam klingenden
parallelen Quinten oder Quarten mitging. Der Klang des Saiteninstrumentes selbst war
ganz eigenartig. Mit den Bezeichnungen diinn, flach, naselnd, winselnd konnte man
am besten sein Charakteristikum geben.
Einige weitere Lieder, die der Mann noch sang und die mich in ihrer fremdartigen
Schonheit und Urspriinglichkeit aufierst anzogen, erweckten in mir den lebhaften
Wunsch, naheres tiber die kirgisische Volksmusik zu erfahren. Leider war mein Aufenthalt
230 ALOIS MELICHAR
in Transkaspien von zu kurzer Dauer, als dafi ich eine mehr als oberflachliche Kenntnis
von ihr hiitte erwerben konnen. Als ich aber im Sommer 1926 ini Russischen Staats-
verlag in Moskau nach interessanten Neuerscheinungen herumstoberte, was mir mit
einer nur dem Russen eigenen Freundlichkeit und Bereitwilligkeit gestattet wurde, fiel
mir ein Ruch in die Hande, das mir geeignet schien, meinen Wissenshunger in opulenter
Weise zu befriedigen. Sein Titel war: Alexander Satajewitsch, ,,1000 Lieder des
Kirgisischen Volkes", Staatsveiiag Orenburg, 1925. Staunt man iiber die aus diesem
Titel hervorgehende, bisher unbekannt gebliebene musikalische Potenz eines Volkes, so
erhoht sich noch dieses Staunen, wenn man in der fesselnd geschriebenen Einleitung
des Verfassers best, dafi er in drei Jahren tiber 1500 kirgisische Lieder aufschreiben
konnte. Satajewitsch, der in den letzten Jahren vor Beginn des Weltkrieges Musik-
kritdter russisclier Zeitungen in Warschau war, kam 1920 nach mehreren Jahren ruhelosen
Herumwanderns nach Orenburg, das eben zur Hauptstadt der neuerrichteten Kirgisischen
Raterepublik erhoben worden war. Der heftig einsetzende Zustrom kirgisischer Steppen-
sohne aus alien Teilen des ungeheuren Landes (50.000 geographische Quadrat-Meilen)
in die junge Hauptstadt barg die Moglichkeit in sich, seine Volkslieder aufzuschreiben,
ohne schwierige, in den damaligen Hunger- und Epidemiezeiten kaimi durchfuhrbare
Reisen unternehmen zu miissen. Satajewitsch hat, wie sein Werk zeigt, diese Moglichkeit
reich ausgeniitzt. Es ist amiisant und riihrend zugleich zu lesen, mit welchem Eifer,
ja Eanatismus er sich seiner von ihm selbst gestellten Aufgabe unterzog. Er notierte
uberall : zu Hause, in Gesellschaften, Schulen, Kasernen, auf Kursen und Theaterkorridoren,
im Larm der Bazare und auf „schmutzigen Pritschen oder zerfetzten Teppichen" oder
Karawansereien, mit einem Wort, uberall wo nur gesungen wurde. Und wo singt der
Kirgise nicht?
Satajewitsch erzShlt, dafi Gesang und Musik die unzertrennlichen Begleiter jedes
Famdienereignifies sind: Hochzeiten, die ihr vorangehenden Zermonien, Gastempfange,
Beerdigungen, Leichenmahler etc. sind ohne Musik nicht denkbar; mit Instrumental-
vortragen werden die Pausen in den feierlichen Sitzungen und Beratungen der Axakalen,
d. h. der Altesten des Stammes oder des Aids ausgefiillt ; unter geheimnisvollen Gesangen,
die auf dem „Kobys", jenem von mir eingangs geschilderten Instrument, begleitet
werden, gehen die Krankheitsbeschworungen der kirgisischen Schamanen*), der so-
genannten „Baxen", vor sich; singend umkreisen die kirgisischen „Weihnachtssanger" die
benachbarten Aide; sogar die Politik verquickt sich bei ihnen mit Gesang. Es kam vor
dafi Allkirgisische Kongresse von seinen Deputierten mit Liedern eroffnet und begriifit
wurden, die sie eigens zu diesem Zwecke gedichtet und komponiert hatten; in Liedern
tragt man den Behorden seine Wiinsche vor, z. B. Bittgesuche um die Aufnahme des
Sohnes in die Schule; des Liedes bedient sich der Kirgise, um irgend jemand fur eine
hafiliche oder verbrecherische Handlung mit Tadel oder Verachtung zu strafen.
Grofier aber noch als die Zahl dieser praktischen Zwecken dienenden Lieder ist
die ungeheure Menge von Gesangen und bistrumentalstucken, die als „Prodiikte der
freien, subjektiven Schaffenskraft und Fantasie" auftreten.
Da sind vor ahem die sogenannten „01jbng's", d. h. lyrische Gesange, die der
Schilderung der erotischen Beziehungen breiten Raum leihen; haufig tritt neben der
*) Zauberer
DAS KIRGISISCHE LIED 231
Frau als Objekt der dichterischen Verherrlichung die jedem Kirgisen teure Steppe, das
Meer, die blauen Berge, mit einem Wort, die seinem Herzen nahe Natur auf. Von den
kriegerischen Heldentaten der „Batyren" (Recken) in grauen Vorzeiten erzahlen die
„Jyr's" (Sagen); Lieder belehrenden Inhalts sind die ,,Tjerme".
Satajewitsch erzahlt, dafi es nocli heute miter den Kirgisen Leute gibt, die langere
Zeit hindurch in Versen zu reden, Improvisatoren, die in eiiiem fein ziselierten Rhythmus
und in klangreichen Reimen Rede und Antwort zu stehen vermogeii. Als Beispiel
kirgisischer Volkspoesie fiihrt Satajewitsch ein kleines Liebesgedicbt an, das in der
Reinheit seiner Gefuhlsaufierungen und in der Bildhaftigkeit und Klarbeit seiner Ver-
gleicbe typisch ist; es lautet, von mir ziemlich wortlich aus dem Russiscben iibersetzt, so :
„Chan-Zada, der Zufall verknupfte iinsere Wege !
Wie soil mich deine Schonheit nicht entziicken,
Da du, wie mich ein hoheres Wesen ahnen Iafit,
Dem Kreis der Engel zu entstammen scheinst.
Wir wufiten bis jetzt nichts voneinander,
Aber da kamst du aus deiner wiinderbaren Heimat und trafst auf mich.
Ich konnte dir nicht gerade in die Augen sehen,
Denn ihr Schimmer, einer Luftspiegelung
An heifien Sommertagen gleichend, blendete mich.
Ou-oj erkeml Ou-oj erkem I
Mein Biberkappchen mit den Uhufedern I
Du gleichst dem aufgehenden Mond
Und silbern klingt dein Lachen
Wie ein muntres Bachlein in den Bergesschluchten I
Dem textlichen Inhalte nach teilt Satajewitsch die Lieder ein in.
Erzahlende und sagenhafte; Historische; Gebrauchslieder und zwar a) Hochzeits-
lieder, b) Trauer- und Gedenklieder ; Revolutionslieder ; Heimatlieder ; Lieder, welclie den
Namen kirgisisjher Stamme tragen; Steppenlieder-, Meerlieder ; Bergliedcr; Lieder uber
die AYandelbarkeit des Lebens und uber das wankelmutige Schicksal; Lieder der Blinden,
Lahmen usw. ; Wettstreitlieder ; Lustige mid humoristische; Lieder iiber und „an Pferde"'
Lieder, welch e den Namen von Gegenden und solche, welclie den Namen eines indivi-
duellen Autors tragen; lieder der Stamme der Kara-Kirgisen.
Bezeichnend fiir den Musiksinn der Kirgisen ist die AVertschatzung, deren sich ihre
„01jongsch's", d. h. die Berufssanger erfreuen; eine Verehrung aber, wie sie bei mis
nur den Minnesangern und Troubadours erwiesen wurde, geniefien die „Akyn's", d. h.
die Siingerautoren.
Nun zu dem musikalischen Inhalt des Buches selbst. Satajewitsch gruppiert ihn,
nach geographisclien Gesichtspunkten. Aus alien zehn Gouvernements, bzw. Kreisen,
in die die Kirgisische Sowjeti'epublik zerfallt, fanden sich sangeskundige Menschen, die
ihm ihren Vorrat an Liedern freigebig zur Verfugung stellten. Das Verzeichnis der
Person en, die ihm vorgesuugen haben, zahlt nicht weniger als 279 Namen!
Schon bei einer fluchtigen Durchsicht des migeheuren Materiales fallt der grofie
Unterschied zwischen dem kirgisischen Liede und der anderen orientalischen Musik ins
Auge. Wird diese charakterisiert durch eine Anhaufung von Mordenten, Vorschlagen
und Trillern in der meistens chromatisch fortschreitenden Melodie, so weist jenes eine
232 ALOIS MELICHAR
europaisch anmutende Einfachheit *) der Linienfuhrung und einen strengen Diatonismus
auf. In den 1500 Liedern die Satajewitsch notierte, findet sich kein einziges tiber-
mafiiges Intervall, keine einzige chromatische Fortschreitung. Ein weiteres Kennzeichen
ist das haufige Vorkommen der alten Kirchentonarten ; aufier del - dorischen, phrygischen
mixolydischen und aolischen Tonart tritt vereinzelt auch die lydische auf. In den
Liedern der ostlichen Kirgisen lierrsclit die jonische Tonleiter, also unser modernes Dur
vor. Es gibt auch Beispiele fur das Vorkommen von „gemischten" (hybridischen) Tonleitern.
In formaler Hinsiclit kann man an den mitgeteilten Liedern zwei Haupttypen unter-
scheiden; die grofiere Mehrheit von ihnen lafit einen deutlich ausgepragten periodischen
Aufbau erkennen, wahrend die anderen „angesichts des Fehlens einer gesetzmafiigen
Folge von bestimmten Akzenten" mehr als Muster des vollkommen freien Metrums
anzuselien sind. Ein haufig auftretendes Formschema ist dieses: nach einer Periode,
dessen Vordersatzchen meistens wiederholt wird, tritt ein frei gebildetes, rezitativisch
vorgetragenes Zwischensatzchen in breiterem Zeitmafi auf, dem sich ein wieder im
Anfangstempo gehaltener „Refrain" (russisch: pripjeff) anschliefit. Dieser Schlufisatz steht
oft in einer Nebentonart. An einem der schonsten Lieder der Satajewitsch 'schen Kollektion
„Kukemai-Bjupemai"' kann man diese Eigenheiten schon studieren. (Notenbeispiel 1)**)
Einer Erkliirung bedixrfen vielleicht die beiden abwarts weisenden Schlangenlinien
im Refrain. Sie bezeichnen eine ganz merkwtirdige Singmanier, die ich auch bei einigen
kaukasischen Volkersckaften wie z. B. bei den Georgiern und Osseten beobachten konnte :
Durch das plotzliche Entspannen der stark angespannten Stimmbander wird der fortissimo
gesungene Schlufiton einer Phrase in die Tiefe gezogen, es entsteht ein jahes glissando
nach abwarts, das unten auf keiner musikalisch fixierten Tonstufe, sondern irgendwo
in der Sprechregion landet. Der Effekt dieser Manier ist aufierst lebendig, innervierend
und leidenschaftlicli.
Ein Beispiel fur die Verwendung des Dreitakters als aufbauendes Formelement
bietet das Beschworungslied „Kor-Uly" (Sohn des Grabes), mit dessen Hdfe der „bose
Geist" von den Besessenen ausgetrieben wird. (Notenbeispiel 2)
Als Beispiel fur den zweiten Typus, den der freien rhapsodischen Gestaltung, fuhre
ich ein prachtvolles Hochzeitslied an, das in breitem melodischen Flufi dahinstromt
(Notenbeispiel 3).
Interessant als Beispiel des begleiteten Gesanges, ist das Beschworungslied „Sary-
Baksy (Der bleiche Zauberer), von dem auch die Begleitung auf dem Kobys mitgeteilt
ist (Notenbeispiel 4).\
Einer ungleich groBeren Beliebtheit und Verbreitung als der Kobys aber erfreut sich
bei den Kirgisen die Dombra. Sie ist ein kleines, zierliches Zupfinstrument mit einem
eigenartig geformten Korper, einem langen, diinnen Hals und zehn je nach Bedurfnis
*) Ahnlich aufiert sich Oskar Fleisdier fiber gewifie indische Melodien : „Eine reine, ausgesprochene
Diatonik trifft da des Europaers Ohr, ein gleichformiger Rhythmus, eine fliefiende, weder durch ubermaUige
Halte nodi durch das storende Beiwerk melodischer Verschnorkelungen unterbrochene Melodik und eine teste
naturliche Kadenzierung und Tonart tritt dem Europfier heimatlich entgegen". (Ein Kapitel vergleichender
Musikwissenschaft).
**) Die Notenbeispiele siehe auf der Notenbeilage zu diesem Heft.
DIE MUSIKKRITIK IN RUSSLAND 233
in Quarten oder Quinten gestimmten Darmsaiten *). Die Dombra dient sowohl zum
Akkompagnement der Stimme als zur Ausfiihrung virtuoser, speziell fiir sie geschriebener
Instrumentalmusik. Man nennt diese in rhythmischer und harmonischer Bezieliung
aufierst merkwurdigen Stiicke „Kjuj's". Aus den ca. zwanzig Kjuj's, die das Bnch enthalt,
sei einer hier mitgetedt. Diese Instrumentalstiicke, die von den Kirgisen als Gipfel aller
Musikausubung geschatzt und den schonsten Liedern vorgezogen werden, sind von
Satajewisch erstmalig aufgeschrieben worden und gelangen hier zum erstenmal vor
die Leserscbaft einer europaischen Musikzeitschrift (Notenbeispiel 5).
Dieses Stuck ist so glanzend im Aufbau, so interessant im Rhythmus und in der Har-
nionie, da6 man es als eine kompositorische Leistung allerhochsten Ranges ansprechen mufi.
Icb glaube nicbt zu tibertreiben, wenn icb behaupte, dafi in ihm etwas wie vom Geiste
einer Bachiscben Invention zu spuren ist. Dabei weisen die verscbiedenen Kjuj's eine
formale und inhaltliche Mannigfaltigkeit auf, die in Erstaunen setzt. Es befuiden sicb
unter ihnen Stiicke, die Ansatze zur Programm-Musik zeigen, (z. B. der reizende ,,Jagd-Kjuj"),
andere. die das Gewicbt und die Wirkung ernes ausgewachsenen Symphoniesatzes haben,
(der Kjuj „Aksak-Kulan" **), ein Tonstiick ernsten, grofiartigen Charakters, ziihlt 228
Takte). In den Kjuj's hat sich das Ausdrucksbedurfhis des Kirgisen, das die ganze Skala
menschlicher Leidenschaften, .von der diistersten Verzweiflungbiszur tollsten Ausgelassenheit,
umfafit, eine groftartige, urwiichsige Form geschaffen. Nut ein Volk, in dem ganz un-
geheure musikalische Krafte schlummern, konnte, unbeschadet seiner sonstigen primitiv-
nomadischen Lebensformen, zu einer solch hochwertigen musikalischen Produktion
gelangen.
Es ist natiirlich unmoglicb im Rahmen eines Aufsatzes etwas Erscliopfendes oder
Abschliefiendes ixber dieses umfangreiche Material zu sagen; es sei zum Schluft nur der
Wunsch und die Hoffhung ausgesprochen, da6 das schone, verdienstvolle Buch durch
eine Ubersetzung auch den deutschen interessierten Kreisen zuganglich gemacbt werde-
WISSENSGHAFT
Roman Grube r (Leningrad)
DIE MUSIKKRITIK IN RUSSLAND
bidem der Musikforscher von heute sich der Wichtigkeit einer Erforschung nicht
nur einzelner musikalischer Kunstwerke, sondern auch ihrer gesamten kidturellen „Um-
ringung" bewufit wird, wachst das hiteresse fiir die Musikkritik, sowohl als aktuellen
Faktor der Musildcultur, wie auch als musikhistorische Quelle von grundlegender Be-
deutung. Denn die Musikkritik im weitesten Sinne des Wortes ist ja nichts anderes,
*) Der Vollstantligkeit halber erwahne ich noch das dritte Kirgisische Nationalinstrument, die „Ssybysgy",
eine lange holzerne Schalmei mit 12 Locliern. Sie ist sehr wenig verbreitet; ich habe sie audi wahrend meines
Aufenthaltes in Turkestan nicht zu Gesicht bekommen. Sie soil im Klangcharakter der baschkirischen „Kuraj"
Shneln, die einen ganz seltsamen, geheimiiisvollen, fahlen Klang liat.
**) Der lahme Kulan.
234
ROMAN GRUBER
als eine Reaktion, hervorgerufen durch jede am musikalischen Horizonte der Epoche
erscheinenden Tatsache, und in diesem Shine ist die Geschichte der Musikkritik eben
die Geschichte des Reagierens einer bestinimteii Musikkultur auf alles, was von ihrem
eigenen Schaffen, wie auch von dem auswarts Hinzutretenden ausgearbeitet wird.
Andererseits stellt auch die musikalische OfFentlichkeit durch Vermittlung der Kritik
ihre Forderungen an das MusikschafFen. Hieraus ergibt sich, dafi die Geschichte der
Musikkritik gleichzeitig die Geschichte dessen bedeutet, wie eine bestimmte Kultur im
MusikschafFen die Fragen des Moments beantwortet. Diese doppelte Rolle der Musikkritik
erscheint besonders bedeutsam in den Perioden musikalischer und sozialer Krisen wie der
gegenwartigen. Eine natiirliche Folge hieraus ist das uberall gerade heute auftretende
Streben einerseits ein maximal rationelles Funktionieren der aktuellen kritischen Tatig-
keit zu sichern, andererseits Versuche einer theoretischen Regriindung ihrer Grundlagen
und einer Klarlegung ihres historischen Flusses einzugehen.
In den vorliegenden Zeilen geben wir eine fliicbtige Ubersicht der Hauptetappen
einer Geschichte der Musikkritik Rufilands bis auf ihren heutigen Zustand und schicken
ihr einige allgemeine Retracbtungen theoretisch-methodologischen Charakters voraus. ')
1.
Die Grundkomponenten jeder Musikkultur bilden sich einerseits aus dem Musik-
schafFen und seinen Ergebnissen, andererseits aus dem MusikgenieCen und seinen Bediirf-
nissen. Wenn die Ergebnisse des SchafFens den Forderungen des Geihessens stets und ganz-
lich entsprachen, ware eine regulierende Mittelinstanz unnutz. Da jedoch ein derartiges
ZusammentrefFen hochst selten stattfindet, da, umgekehrt, der Zwiespalt zwischen „Produk-
tion" und ,,Konsumption" im Musikbetrieb bisweilen soweit geht, dafi von wirldichen
„Krisen" die Rede sein kann, so erscheint gerade die Kritik — Produkt der Wechselwirkung
beider Spharen — als jener regrdierende Faktor. welclier das Gleichgewicht im Gebiet
des Musikbetrieb es feststellt und fiir die musikalichen Angelegenheiten des Momentes als
feinfiihliger Anzeiger dient, der den Grad der geseUschaftlichen Aktualitat des Musikwerks
in jedem gegebenen Angenblick fiir jede Schicht der Horerschaft registriert.
Die Musikkritik ist also — im Unterschied vom MusikschafFen — kein primares,
sondern ein sekundares Produkt der Musikkultur, sozusagen „Funktion" einer Reihe
„veranderlicher Grofien", vor allem des Musikschaffens und des Musikgeniefiens. Folglich
erweist es sich als notwendig, urn die Rolle der Musikkritik richtig zu erklaren, parallel
mit der Fixierung ihres historischen Flusses auch etwaige Veranderungen in der Reihe
dieser, die Grundlage bildenden, veranderlichen Grofien in Erwagung zu ziehen.
Als besonders kompliziert stellt sich die Klarlegung der Wechselbeziehung zwischen
Musikkritik und Musikgeniefien dar. Im einfachsten Falle ist die erstere eine unmittel-
bare ,,Wiederspiegelung" eines gewissen um eine bestimmte Epoche herrschenden
mit tier en Niveaus des Tonempfindens, das sidi nur aufierst langsam verandert und
eine verhaltnismafiig leicbte „Kalkulation" zulafit (die jeder musikalische Geschaf'tsmann -
z. B. ein Konzertvermittler — mit dem Geschmack der Masse spekulierend, meist fehler-
los durchf'iihren kann).
») Ausfiihrlicher wild das Thema in dem Aufsatze : „Die Musikkritik als Gegenstand iheorelischor
und historischer Forschuug" („De Musica" II, 1926, russ.) besprochen.
DIE MUSIKKRITIK IN RUSSLAND 235
Ofters aber — und das sind die schwierigeren Falle — entspringt die Musikkritik
den Musikanschauungen, welche mit dem dtirchschnittlichen Niveau divergieren (formiert
sich in Abhangigkeit von rein professionellen Forderungen, von irgend einem System
musiktheoretischen Wissens usw.). Da wir auBerstande sind alle Variationen der
musikalisclien Kritik des Moments zu verfolgen, sind wir gezwungen, jedesmal eine
Wahl zu Gunsten derjenigen Richtung zu treffen, die fur den gegebenen Moment die
aktuellste ist, d. h. den kiinftigen Lauf der Musik in maximaler Weise voraussieht
und die wirksamsten Ergebnisse der zeitgenossischen Musikkultur zu erschauen pflegt.
Es erweist sich aber audi eine Auswahl in anderer Hinsicbt als notwendig.
Durchaus nicht jedes intellektuelles „Reagieren" darf „Musikkritik" in genauerem Sinne
des Regriffs genannt werden. Dieses erfordert nicbt nur eine Kristallisierung der
Reaktion in verstandesmaBige Urtede, sondern audi das Moment der Offentliclikeit
d. h. so einer auBeren Gestaltung kritischer Ergebnisse, die auf eine Umstellung der
offentlichen Meinung in gewiinschter Richtung berechnet ware. Auf diese Weise fallt
erstens, eine Reihe bisweilen auBerst wertvoller Zeugnisse des „Geschmacks" in Briefen,
Tagebiichern, Memoiren usw. fort und entsteht, zweitens, das Problem der formellen
Struktur einer musikkritischen AuBerung, Problem der kritiscben „Genres" (Bericht,
Artikel uber Musik, Skizze usw.) '), was besonders interessant wird, wenn wir an die
normale Pramisse des Empfindens musikkritischer Urtede denken : der Leser wertet
die letztere nicht als selbstandige Leistungen, sondern indem er sie meistens mit dem
primaren Tonwerk (Objekt kritischer Erlauterung) in Beziehung setzt.
Nur bei Einbaltung beider aufgezahlten Bedingungen werden wir mit der Musik-
kritik, als einem Faktor des offentlichen Musikwesens zu tun haben, welcher fiir das
MusikbewuBtsein mehr oder minder zahlreichen Ilorerschaft bezeichnend ist und, also
als eine reelle kulturhistorische Grofie betrachtet werden kann.
2.
Wenn wir mit diesen Kriterien an die Gescliichte der russischen Musikkritik heran-
treten und vorerst unsere Aufmerksamkeit auf die sowohl eigenen als audi fremdlandischen
Musikwerte lenken, welche im Musddeben RuBlands der zwei letzten Jahrhunderte
dominierten, so mlissen wir vor allem folgendes konstatieren : ein hervorragend spates
(im Vergleich mit dem Westen), aber auch auBerst rasches Auf bliihen des gesamten
Musiklebens (bezw. des Musikschaffens). — Wie bekannt, wurden die grofien Formen
weldicher Musik (Oper, Symphonie) der russisclien Horerschaft — und zwar nur aus-
gewahlten Scliicliten: den Hofkreisen — bloB im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts
zuganglich (als „Import" zuerst der italienischen, dann der franzosischen Operntruppen),
und das eigene weltliche Musikschaffen wird noch spater sichtbar (Ende des 18., erstes
Drittel des 19. Jahrhunderts).
s ) Es ist moglich, z. B. eine musikkritische Gestaltung im Sinne der musikalisclien Novellen von
E. T. A. Hoffmann, wo kiinstlerische Phantasie des „Kritikers", von der Musik impulsiert, ein neues, „secun-
dares" Kunstwerk im Gebiete der Literatur hervorbringt, weldies dieselbe kunstlerische Einstellung vom
Leser verlangt, wie audi das „primare" Tonwerk - Ursaclie des kritischen Urteils ; ferner ist eine ausge-
bildete asthetisdi-philosophisdie Analyse des Kunstwerks und seines asthetischen ,,Gegenstandes" moglidi ; eine
rein Sufierlidie „technisdie" Analyse, weldie sogar nidit zur Logik des musikalisclien Denkens, sondern bei
den gewolniheitsmafiigen Schemen professioneller Ausubung apelliert u. a.
m
236 ROMAN GRUBEH
Die musikalische OffentLichkeit (sogar im primitivsten Simie des Begriffs — ent-
wickeltes Konzertleben, JVorhandensein mehr oder minder zahlreichen Schichten der
Horerschaft) existierte uberhaupt nicbt. Oper und einzelne Konzerte auslandischer
Virtuosen J ) waren nur Privatsache des Hofs und der Mazenaten.
Es ist naturlich, dafi von der Musikkritik una selbst vom musikaliscben Rezen-
sententuni (von speziellen Musik-Zeitschriften nicht zu spreclien) noch — trotz iippiger
Ausbreitung der Zeitpresse seit den 60 er Jahren des 18. Jahrhunderts und grofiem
Literesse fur Fragen der literariscben und Theaterkritik — keine Rede sein konnte. 2 )
So brachten also die Ergebnisse westeuropaischen Musikschaffens, welche russischem
Musikbewufitsein der Zeit konstant angeboten wurden, keinen geniigend scharfen
intellektuellen Widerklang in der Masse des Publikums. 3 ) Das selbstandige
Musikschaffen aber, welches aus den Handen der Leibeigenen und Klembiirger gegen
Anfang des 19. Jahrhunderts zu den hoheren Adelskreisen, einer Plejade „aufgeklarter
Dilettanten" uberging, war im allgemeinen so schlaff und unselbstandig, ging so am
Gangelband des herrschenden Geschmacks, dafi es n o cb keiner Vermittelung der Kritik
bedurfte. Letztere ist nicht notig da, wo das Musikbewufitsein des Tonkunstlers vollig
mit dem des Horers ubereinstimmt!
Und plotzlich — ein scharfer Ruck. Glinka, seiner Epoche weit voranschreitend,
legt den Grundstein fur die ureigene Linie russischen Musikschaffens, wo successiv Ton-
werke von Dargomyshsky, Balakirev und des „machtvollen Haufleins" auftauchen. Der
Kontakt zwischen k Schaffen und Geniefien ist jah unterbrochen, der herrschende Ge-
schmack schon durch Glinkas Wirken verbliifft und betroffen, in den progressiven
Gesellschaftschichten erheben sich heifie Stimmen „pro" und „contra" — der Boden fiir
Musikkritik ist geschaffen.
Und tatsachlich sehen wh - , dafi schon das erste urwiichsige Werk — Glinkas
Opern (1836 — 42) — auch den ersten ernstgemeinten kritischen Widerhall wachrufen.
V. F. Odojevsky, Senkovsky sind die Namen, welche es verdienen, hier bervor-
gehoben zu werden. Bezeichnend bleibt, dafi in ihrer Zahl nicht ein einziger pro-
fession eller Musiker zu verzeichnen ist: Senkovsky war Schriftsteller und Orientalist,
Odojevsky — Philosoph-Schellingianer, Fanatiker und Dilletant in der Musik, welcher
in der russischen Musikliteratur eine merkbare Spur durch seine phantastischen
musikalischen Novellen im Geiste E. Th. A. Hoffmanns hinterliefi. 4 ) Erwahnen
wir noch des feinfuhligen, asthetisch gebildeten gi-ofien Liebhabers der M^usik W. Botkin, 5 )
des Provinzlehrers und Autodidakten Srebrjanskys mit seinen tiefsinnigen, vom Geiste
J ) Die in Privatliausern sich zu Konzertzwecken einrichten mufiten.
2 ) Ubrigens haben sich schwache Widerklange des Musikwesens in der allerdings hochst interessanten
Memoirenliteratur 'jener Zeit erhalten (Bolotoff, Wiegel), die aber keineswegs zur Musikkritik
im engeien Sinne angehorten.
3 ) Es ist bezeichnend, dafi selbst eine Tatsache, wie Beet h ovens Tod nur in einer Zeitschrift
fliichtig erwahnt wurde.
4 ) „Das letzte Quartett Beethovens" ; „J. S. Bach" ; „Improvisator" (alle drei im Jahr 1844 erschienen).
5 ) Bemerkenswert ist die Tatsache, dafi Botkin — trotzdem er, als intimer Freund von Belinsky,
Stankewitsch, Bakunin und als Mitglied ihres „Kreises" im Brennpunkte aller sozialen Fragen des Moments
stand - blofi speziell asthetich-philosophische Musikkritik getrieben hat: das Musikbewufitsein der Zeit
war noch nicht gereift fiir andere, breitere Problemstellung.
DIE MUSIKKRITIK IN RUSSLAND ^237
der Naturphilosophie umwehten „Gedanken iiber Musik" (erster Versuch einer russischen
„Musikphilosophie", der bei Belinsky begeisterten Widerhall fand), so erbalten wir einen
Begriff von der ersten Etappe des russisclien musikphilosophischen mid -kritiscben
Denkens (30 er und 40 er Jahre) : die musikalisch gebildete offentliche Meinung, wie
aucb der musikalische Professionalismus, blieben nach wie vor fort; das mittlere Niveau
des musikalischen Gescbmacks uberscbritt nicbt die Grenzen feuilletonischer mondaner
Plaudereien („Severnaja Ptscbella" = „Die nordliche Biene"); die scbopferische Energie
Glinkas konnte nur bei vorgescbrittenem Vertretern des philosophisch-asthetischen
Denkens, bddender Kunst und Literatur (Brulow, Kukolnik, Puschkin, Shukovsky . . .)
Anklang finden.
Die nachste Stufe russischer Musikkultur kennzeichnet sich durch weiteren ele-
mentariscben Wuchs des selbstandigen russiscben ScbafFens, welches den Bruch mit dem
Mittelniveau des Tonempfindens dieser Epocbe immer mehr vertiefte.
Nun mufite ein energiscber Kritiker als Verkiinder der Nationaltendenzen kommen.
Und er kam in der Person W. St as sows J ), der auch nicht professioneller Musiker,
sondern Kunstforscher und Archaologe und dazu prinzipieller Feind jeglichen
musikaliscben Professionalismus war. Mittlerwede weitet sicb aucb der Andrang des
westeuropfiischen Schaffens. Dieses wird unterstutzt durch das personliche Erscheinen
von „Missionaren" solchen Banges, wie Liszt, Berlioz, spater Wagner. Gegen Ende der
50 er Jahre entsteht eine neue Gruppierung mit Rubinstein an der Spitze, die (im
Gegensatz zu den Tendenzen Stassows, Cui und des „Haufleins") den musikalischen
Professionalismus in Bufiland begriindet. Das russische MusikbewuStsein steht vor der
Aufgabe: die sich ihm erschliefiende reiche Leistungen des Westens aufzunehmen und
sich in den schon vorhandenen Stromungen der russischen Musik zurechtzufinden ; und
dieses nicbt allein im Plane abstrakter ideologischer Diskussionen, sondern auch einer
Feststellung einer konkreten Evolution der Mittel der Tongestaltung. Da erhebt sich
denn, dem parteiischen Stassow und dem farblosen, aber treuen Bitter des herrscbenden
Gescbmacks Bostislav (F. M. Tolstoi) gegeniiber, die wucbtige Figur eines Musikers bis
ins innerste Mark (und zukiinftigen ansebnlicben Komponisten), Sserows, der die
progressiven Errungenschaften des Westens, von Beethovens „Neunter" bis Wagner, mit
Feuereifer vertritt. Vielseitiger allgemeinkultureller Weitblick, biegsames, elastisches
kritiscbes Feingefiihl und sturmisches Temperament stempeln Sserow zu einem wabren
Kritiker, der nicht nur die musikalischen Kenntnisse des russischen Publikums syste-
matisierte und die Evolution der musikalischen Grundformen (Oper, Symphonie)
historisch klarzustellen pflegte, sondern audi als Erster eine Beihe von Fragen der
musikalischen Off entlichkeit — Bedeutung der Musikkritik, Bolle der musika-
lischen Bildung, „spezifisches Gewicht" des Vitrtuosentums im Konzerdeben usw. — in
der Presse aufstellte.
Sserows war es auch der 1867 2 ) die erste russische musikkritische Fachschrift
„Musik und Theater" grundete. Bemerkenswert ist, dafi diese Zeitschrift, trotz der
1 ) Zum Teile in der musikkritischen Tatigkeit des Komponisten Cesar Cui, welcher in seinen
scharfen zugespitzen Rezensionen immer trefflich die Resultante der Musikanschauungen des „Haufleins"
in zuganglicher Salonart zum Ausdruck brachte.
2 ) Also etwa anderthalb Jahrliunderte nach dem Erscheinen von Mathesons ,;Critica musica''!
238 ROMAN GRUBER
Popularitat Sserovs, wegen dem Mangel an Abonnenten, schon im ersten Jahre einging.
So gering war noch der Kreis musikgebildeter Leser.
Zu dieser Zeit liatten die von den Brudern Rubinstein in St. Petersburg und
Moskau, in den 60 er Jahren gegriindeten Konservatorien nicht nur Vertreter des
„Haufleins" (Rimsky-Korssakow !) an sich gezogen, sondern auch aus der Zahl Hirer Zoglinge
solclie Namen in den Vordergrund geriickt, wie Tschaikowsky und Sergei Tanejew.
Nach der „Sturm- und Drangperiode", die ja gewohnlich mit dem Aufbluhen der
nationalen Kulturen zusammenfallt, aufierte sich ein Bediirfnis nach dem „Kultus der
Meisterschaft", nach mehr oder minder formeller „konstruktiver" Zergliederung der Ton-
gebilde und Bewertung ihrer spezifisch „musikalischen" Eigenschaften (im Sinne Hans-
licks). Als russischer Hanslickianer J ) erscheint denn auch der Konservatoriums-
zogling und Freund Tschaikowskys und Tanejews Laroche. Sein historischer Verdienst
liegt in der konkreten Erlauterung der Tonwerke bis zur genauesten technischen Ana-
lyse ; in Propaganda der Notwendigkeit eines Verstandnisses fur die Grundlagen des
polyphonen Denkens, auf Grund eines eingehenden Studiums europaischer
Meisterwerke ; diese Ansicht fand ihre Begriindung in der von ihm dargelegten
historischen Lehrmethode der Musiktheorie, d. h. Aufstellung eines Prinzips
der successiven Aneignung verschiedener stilistischer Manieren des kompositorischen Ver-
fahrens in der Ordnung, welche ihrer historisch folgerichtigen Abwechslung entspricht.
Auf der Wende des 20. Jahrhunderts stand die russische Musikkultur — die nun
wesentlich erstarkt erschien, Werte von Weltbedeutung geschaffen hatte (Moussorgsky,
Tschaikowsky, Korssakow . . .) und mit Hilfe Sserows, Stassows und Laroche's sowohl
in die eigenen Errungenschaften (aufier Moussorgsky!) als auch in die Musikleistungen
Westeuropas bis Wagner vorgedrungen war — vor neuen Aufgaben : die Musik der
nachwagnerischen Periode (Beger, Hugo Wolf, B. Straufi, franzosische ' „Impres-
sionisten") die schon gewaltig an die Tiir pochte, in sich aufzunehmen und sich des
jungen Sprosses ihres eigenen nationalen schopferischen Wachstums bewufit zu werden,
vor ahem Skrjabins, dann Strawinskys, Prokoffjews u. a. Diese Aufgabe zu be-
waltigen war nicht leicht: der herrschende Geschmack der Epoche war noch immer
dabei, Wagner zu Ende zu „kauen" und baumte sich bei den Tonen der „neoklassischen"
Musilc Regers und G. Francks hoch auf. Der nun an die Reihe gekommene Kontakt
fand seine Verwirklichung durch progressive musikalische Kreise mit V. Karatygin an
der Spitze, zu dessen Verdiensten auch die „Entdeclcung" Moussorgskys zu rechnen ist,
der erst in der Beleuchtung der Novatoren des 20. Jahrhunderts in alien Eigentiimlich-
keiten seines Schaffens verstandlich wurde.
Gleichzeitig reiften aber in der russischen Musikkultur nocli ganz neue „Ver-
ruckungen": es begann sich eine offentlich-musikalische Meinung zu bilden, die fast das
ganze 19. Jahrhundert hindurch fehlte; es entstanden „Abende zeitgenossisclier
Musik" und die Konzert-Unternehmungen von Siloti und Kussewitzky; dies alles rief
das Bediirfnis nach einer fachmafiigen musikalischen Zeitpresse wach: neben der, seit
1894 existierenden, sozusagen „offizi6sen" „Russischen Musikzeitung" (Red. N. Findeisen)
griindet V. Dershanovsky 1910 in Moskau die progressive Wochenschrift „Musik",
und entsteht 1915 in St. Petersburg ein gemassigteres Organ fur allgemeine Musikkultur
') U. a. Verfasser einer vortrefflichen Ubersetzung ins Russische des Werkes „Vom Musikalisch-Schonen".
DIE MUSIKKRITIK IN RUSSLAND 239
(Red. A. Rimsky-Korssakow) — „IMu8ikalischer Zeitgenosse". Schliefilich erwacht das
Interesse fur Probleme musikphilosophischen mid (zum ersten Male!) musikvissenschaft-
lichen Charakters: in den „Buchern iiber Musik" „Melos" — gegriindet im Jahre der
Oktob err evolution — postuliert Igor Gleboff die Notwendigkeit das Wesen der Musik
vom philosophischen und allgemeinkulturellen Standpunkt anzugreifen ; er ist es auch,
der (zugleich mit E. Braudo, S. Bulitsch, W. Karatygin u. a.) die Grundsteine fiir russische
Musikwissenschaft legt, welche eine reelle Basis in staatlicliem Mafistabe erst in den
Verhaltnissen der Sowjetregierung erhielt.
So sehen wir denn, dafi im. Laufe etwa 80 Jahre in der russischen Musikkritik
ein Ubergang von verschwommenen, romantischen Betrachtungen „uber Musik im AU-
meinen" zur wissenschaftlich begriindeten und vertieften Kritik sich vollzogen hat.
Gleichzeitig beginnt die letztere audi eine reelle Position im Musikbetrieb einzunehmen,
indem sie durch Konzertorganisationen (Ziloti und Kussewitzky) teilweise das musika-
lische Repertoire zu regulieren imstande ist.
Die Oktoberrevolution hat die russische Musikkultur (wie auch alle anderen
Seiten des Lebens) in neue, nie dagewesene Verhaltnisse geruckt und zwar mit einer
solchen Energie und Plotzlichkeit, dafi es zu Anfang schien, als sei eine Feststellung
irgendwelcher allgeineiner Schliisse iiberhaupt unmoglich. Nun, wenn wir auf das ver-
flossene Jahrzehnt einen Riickblick werfen, konnen wir schon mit Gewifiheit behaupten,
dafi die Entwicklung der Musikkultur, insbesondere der Kritik, nicht nur nicht ver-
kummert und stehen geblieben ist, sondern sich mit nie geahnter Energie und Viel-
seitigkeit entfaltet hat. Und dieses nicht blofi quantitativ, sondern auch in der Ver-
tiefung alter und der Aufstellung neuer Probleme. Vor allem ist eine wesentliche
Komplizierung des Musikbetriebes und der gesamten musikalischen OfTentlichkeit ein-
getreten. Wenn wir bisher fast ausschliefilich mit der Linie des Musikschaffens als
„veranderlicher Grofie" zu operieren hatten indem der durchschnittliche Geschmack
der Massen keine aktive Bolle spielte, irgend ein System musiktheoretischer Anschauungen
fast vollig abwesend war, so andert sich jetzt die Situation auf das Wesentlichste : es treten
viele Millionen frischer Kunstgeniefier mit ihren spezifischen Anforderungen an das
Musikschaffen ins Feld; andererseits erstarken musikwissenschaftliche Institute, deren
Tatigkeit zum Teile aus der Musikkritik selbst erwachsen, ihrerseits eine Tat-
sache bietet, nach der die Musikkritik sich zu rich ten hat. Im Endergebnis fallen der
Musikki'itik — die in den Verhaltnissen der Sowjetregierung nicht nur eine ausgleichend-
versohnende Bolle spielt, sondern auch sich in eingehendster Weise an der ganzen
musikkiinstlerischen Politik beteiligen mufi — grofite Aufgaben zu:
1. Erforschung der frisch hinzugekommenen Schichten von Horerschaft und Ver-
standnis fiir ihre gesunden kunstlerischen Bediirfnisse. Die Schwierigkeit der Auf-
gabe in dies em Plane liegt darin, dafi letztere sich nun nicht mehr auf die
Wiederspiegelung des geschmacklichen Mittelniveaus beschranken darf, sondern he-
strebt ist, auf dieses einzuwirken und es bis zum Begreifen der hochsten Errungen-
schaften der Vergangenheit emporzuheben. So wird die Kritik mit der Sphare
der musikalischen Bildung der Horerschaft in ihren Tiefen eng verbunden,
240 ROMAN GRUBER
sowie mit der Popularisierung nicht nur der Musik selbst, sondern auch der
Literatur ,.iiber Musik".
2. Im Zusammenhang hiermit tritt die organisch mientbehrliche „Revision" aller musika-
lisclien Werte der Vergangenheit, eine Ablehnung derjenigen, die ihre Aktualitat
in Umstanden des heutigen Tages schon veiioren, und ein Propagieren derer, die
ihre Wirksamkeit erhalten haben.
3. Weiterhin, insofern die soziale grofie Umwfilzung in der U. S. S.R. mit der ebenso grofien
musikalischen „Krisis" im Westen zusammenfallt (die wohl ihrem Umfange nacb
mit den Epoch en der ars nova und der nuove musiche zu vergleichen ist),
muss dieselbe Kritik auch nach dieser Richtung hin arbeiten: die wertvollen und
den gesunden Redurfnissen unserer Horerschaft entsprechende Leistungen festzu-
stellen und sie dem Musikbewufitsein der Massen eigen zu machen.
4. Endlich soil die Kritik auch weiterhin auf das vaterlandische Musikschaffen (leider
im letzten Jahrzehnt recht zaghafte), welches nun auch seine Anforderungen an den
„Musikbetrieb" stellt, irgendwie reagieren.
Diese Aufgaben mufiten notwendigerweise die eigentlicben Formen und Methoden der
Kritik, sowie auch ihren Umfang verandern. Das dogmatische, parteiisch-voreinge-
nommene und formell-technische Verhalten wird allmahlich durch ein kultur-historisch
bedingtes abgelost, es werden Probleme aufgestellt, wie: des musikalischen Milieu, des
musikalischen „Alltagslebens" (Konzert — Haus — Strasse), der Stadt- und Dorfmusik; ihr
reziprokes Verhfiltnis und ihr wechselseitiges Einwirken; es werden besonders aufmerksam
die „Statten" der Musikkultur in Arbeiterregionen ins Auge gefafit, wo jetzt nicht eng-
begrenzte Schichten spezieller Professionalisten Vorbereitung linden, sondern in jedem
Staatsbiirger die Ubung fur aktives Musikempfinden erzogen wird.
Beziiglich der Tongebilde, isoliert genommen, tritt auch eine neue Einstellung ein,
die das Tonwerk vom Standpunkte der ihm selbst innewohnenden inneren Gesetz-
massigkeit und funktioneller Logik beurteilt und nicht mit einem, von auswarts auf-
gedrangten Kriterium zu messen sucht (dies konnte am richtigsten mit dem Namen
„organische Kritik" bezeichnet werden).
Natixrlich, alle diese Veranderungen in Form und Wesen der Musikkritilc stellen
auch neue Forderungen an ihren Trager — den Musikkritiker. Von diesem wird
heutzutage — abgesehen von kritischer Intuition — umfassender allgemeinkultureller
und musikwissenschaftlicher Weitblick verlangt, sowie Kenntnisse im Gebiete letzter
wissenschaftlicher Errungenschaften. Die Verwirklichung dieser Forderungen wird durch
das Heranziehen fachmannisch gebildeter Musikkritiker erzielt, und zwar aus einem
Kreise von Personen, die eine griindliche Schi.de der Musikliunde durchgemacht haben. 1 )
Vorstehend haben wir eine Reihe von Aufgaben aufgezahlt, die der Musikkritik
im Laufe des letzten Jahrzehnts gestellt wurden. Viele dieser Aufgaben finden aber
auch schon ihre Verwirklichung.
So entspricht z. B. die von Igor Gleboff im „Melos" angebahnte und in den
„Symphonischen Etiiden" (1922, die einer Feststellung stilistisch-psychologischer Eigen-
') Ein solches „musikkritisches Seminar" fur Personen, vvelche die Musikabteilung kunstwissen-
schaftlicher Kurse am Staatlichen Kunsrhistorischen Institut in Leningrad absolviert haben, f'uhrt der Schreiber
dieser Zeilen.
DIE MUSIKKRITIK IN RUSSLAND 241
tumlichkeit der russischen Oper gewiclmet sind) weitergefiihrte „Umwertung der Werte"
einer vom Leben selbst hervorgerufenen „Aussoiiderung" der miisikalischen Werte und
wird zur Zeit in weitgehender Weise durchgefiihrt.
Im Plane des Begreifens der „Neuen Musik" des "Westens ist eine intensive
la'itisclie Arbeit geleistet worden, wie in der allgemeinen periodischen Presse, so aucli
in speziellen Zeitschriften („Die gegenwartige Musik' 1 " in Moskau, „Neue Musik" in
Leningrad). Im Endresultat haben sich alle Haupterrungenschaften des Westens —
Schonberg, Hindemith, Krenek u. a. mit eingeschlosseii — das „Burgerrecht" auf der
Konzertbiihne, wie aucli im piidagogischen Repertoire erworben.
Endlich bleibt noch die zentrale Mission der Sowjet-Musikkritik iibrig — die
tiffentliche, kultur-soziologische, die immer volleren Ausdruck in den einander ablosenden
Musikzeitscliriften : ,,Zu neuen Ufern", „Das musikalische Neulicht", „Die Musikkultur",
,,Musik und Oktober", „Musik und Revolution", „Musikbildung", „Musik und das All-
tagsleben" 2 ) findet. Aber eben hier hat die Kritik auch die grofiten Schwierigkeiten
zu iiberwinden, insoi'ern sie es mit zwei Krisen — der sozialen und miisikalischen —
zu tun hat, die einander nicht „decken". Mit anderen Worten, soweit die ,,revolutionaren"
Errungenschaften der westeuropaischen ,,Neuen Musik" nicht vollig mit den Redurmisseii
der von der Revolution bei uns in den Vordergrund geriickten Horerschaft zusammen-
fallen (und umgekehrt : die musikalischen Bedurfhisse letzterer sehr hjiufig als „reaktionare"
erscheinen) — mufi die Musikkritik eine Synthese festzustellen suchen, die die Elemente
der sozialen und musikalischen Gegenwart in sich vereinigt. Zu einer solchen kann
aber nur ein Produkt des vaterlandischen Musikschaffens werden und zwar erst
clann, wenn es nicht kiinstlich und sklavisch den Bedingungen des Moments folgt,
sondern auf natiir liche Weise, organisch dem Boden der Revolution entsprossen
ist. In Erwartung dieses schopferischen Erbliihens (noch ist es nicht da; die Ge-
schichte lehrt, dafi es in allernachster Zeit auch nicht kommen kann) bleibt nur der
Kampf mit den reichlich aufspriefienden Surrogaten der quasi-revolutionaren Musik
und die Vorbereitung der weiten Massen fur das Empfinden der Zukunftskunst an der
Hand der besten Musikproben der Vergangenheit und Gegenwart.
Das ist die verantwortungsvolle Rolle, die der jungen russischen Kritik von heute
zugefallen ist, wohl aim ersten Mai in der Geschichte der musikalischen Offentlichkeit.
*
Im Rahmen eines gedriingten Artikels ist es schwer eine detaillierte Analyse der
reziproken Reziehungen zwischen musikalischen und gesellschaftlichen Ki'aften zu geben,
deren Funktion die Kritik ist. Ganz unmoglich aber ist es, das innere Wesen der
kritischen Aussagen und ihre aufiere Gestaltung zu besprechen. Wir haben versucht
die Grundetappen der Musikkritik in Verbindung mit der Linie des Musikschaffens,
der Entwicklung der musikalischen Offentlichkeit und dem System der musiktheoretischeu
Anschauungen zu verfolgen. Wir wollen nicht behaupten, dafi der Entwicklungsgang
des russischen musik-kritischen Bewufitseins in vollem Mafie allgemein giiltig sei. Doch
sind wir der Meinung, dafi eine Reihe von Situationen, (gleichzeitiges Entstehen mit
dem Aufschwung des nationalen Schaffeils, Ablosung der romantischen Einstellung
durch die formell-technische und spater die historische, Ubergang von den „aufge-
2 ) Die drei letzteren Zeitschriften existieren auch jelzt,
242 MELOSKRITIK
Marten Dilettanten" zu den Professionellen, und v. a.) recht typisch ist und — soweit
das rasche Wachstum des Musikbetriebes in Rufiland in einem kurzen Zeitraum ver-
fliefit — ein leichtes Erfassen ermoglicht. Im westeuropaischen Leser, wenn er Ver-
standnis nicht nur fur einzelne Vertreter des zeitgenossischen Musikschaffens, sondern
audi fiir die Lage der Musikkultur — und Bewufitsein insgesamt gewinnen will, kann
das besprochene Thema aber audi Interesse in anderer Hinsicht wecken, indem der
Leser allmahlich, auf Grund einer historisch durcbgefiihrten, wenn auch fliichtigen Dar-
stellung einiger Quellen und kulturhistorischer Ursachen des heutigen Musikwesens
bewufit wird.
MELOSKRITIK
Die neue, hier angestrebte Form der Kritik beruht darauf, daft
sie von mehreren ausgeiibt wird. Dadurch soil ihre Wertung von
alien Zufalligkeiten und Hemmungen abgelost werden, denen der
Einzelne ausgesetzt ist. Langsam gewonnene, gemeinsame Formn-
lierung, aus gleicher Gesinnung entstanden, erstrebt einen hoheren
Grad von Verbindlichkeit. So ist jede der vorgelegten Besprech-
ungen ein Produkt gemeinsamer Arbeit der vier Unterzeichneten.
Werkbesprechung
NEUE WERKE VON ARTHUR HONEGGER
Arthur Honegger stand in dem Kreise der „Six" : jener sechs Komponisten, die
sich nach dem Kriege in Paris zu einer fortschrittlichen Gruppe zusammenschlossen.
Diese Gruppe, zu der auch Milhaud und Poulenc gehorten, hatte in Frankreich das
Erbe des Impressionismus auszutragen. Auch Honeggers friihe Musik steht in ent-
scheidender Abhangigkeit von Debussy. Doch iibernimnit er nicht so sehr die kolo-
ristische Seite Debussys als seine prazise und subtil durcbgefeilte Rhythmik und seine
ornamental geloste Melodik.
Wahrend sich diese Haltung vornehmlich in den friihen Liedern ausspricht, stehen
die ersten Violin- und Bratschen-Sonaten unter dem Einflufi des akademisch gerichteten
Kreises um Cesar Franck. Die in dieser Schola Cantorum arbeitenden Komponisten
hielten auf durchgebildete formale Architektur, satztechnische Reinheit und vermieden
angstlich alles literarisch angeregte Musizieren.
Aber diese beiden Einfluftspharen werden von Honegger rait einer ursprunglichen,
schopferischen Frische erfafit, die sie bis zu einem hohen Grad personlich durchdringt
und an einzelnen Stellen zu einer eigenen, von impressionistischer Tradition sich ent-
fernenden Haltung vorstofit. Hier begegnen wir Entwicklungswerten, welche fiir
Honeggers spateres Schaffen von grofiter Bedeutung sind. Die gleiche inelodische Knapp-
heit, die bei Debussy den Charakter des Passiven und Andeutenden hat, wird bei
NEUE WERKE VON ARTHUR HONEGGER 243
ihm zum Ausdruck einer personlichen Kraft. Eine zur Objektivierung neigende Bhyth-
mik scheint auf die Quellen slavischen Volkstums zuriickzugehen, gewinnt aber durch
den Grad ihrer Einschmelzung ein typisch franzosisches Geprage. Das Zusammenwirken
dieser Krafte spiegelt das Prestothema seiner ersten Violinsonate (Notenbeispiel 1 *).
Was sich an solchen Stellen aus farbloserer Umgebung heraushebt, verdichtet sich
raehr und mehr zu einer eigenen Sprache. Es ist wohl anzunehmen, dafi die Bekannt-
schaft mit Strawinsky, dessen Einflufi auf das Schaffen der jungen franzosischen Generation
garnicht zu uberschatzen ist, diese En twiddling beschleunigt hat.
Noch im „Konig David" liegen fur eine analytische Betraditung vollig entgegen-
gesetze Stilelemente nebeneinander. Eine ardiaisierende Tendenz, die sich schon friiher,
besonders in den Sonaten fur Melodieinstruinente, eindeutig vorbereitet hatte, gewinnt,
durch den religiosen Stoff angeregt, gesteigerte Bedeutung. Sie fiihrt ihn, etwa in dem
Psalm Nr. 3, nach der Art Handels zu einer reinen, konstruktiven Diatonik (Notenbei-
spiel 2).
Daneben liegen Einfliisse Strawinskys (Sacre). Sie aufiern sich einmal in einer
feinen impressionistischen Farbigkeit, die sich mit fruheren in dieser Bichtung liegenden
Stilmerkmalen (Debussy) verbindet, daneben aber in einer brutalen Tanzrhythmik, die
ihr Vorbild eindeutig erkennen lafit. Wir belegen sie durch einige Takte aus dem
„Tanz vor der Bundeslade", (Notenbeispiel 3).
Und doch schliefien sich alle diese heterogenen Stilmerkmale im Gesamteindrudt
zu einer schopferischen Einheit zusammen. Es ist schon ein Wille zur Monumentalitat
da, der das ganze Werke bindet.
Dieses Werk, das wir als ein stark nach vorwarts weisendes Wegzeichen in der
Entwicklung Honeggers erkennen, ist urspriinglich als Biihnenmusik geschrieben. Es
verbindet sich uns mit seiner Musik zu Shakespeares „Sturm" und der Ballettmusik
zum ,,Horace victorieux". Honeggers Stil spitzt sich in dieser Zeit mehr und mehr
aufs Theatralische zu. Auch seine Instrumentalmusik wird in diese Kreise hineingezogen -
Seine 1923 entstandene Symphonische Dichtung „ Pacific 231" ist von solchen
iUustrativen Absichten getragen, die sich hier auf die Erfassung der unmittelbaren,
Jebendigen Gegenwart richten. Sie wdl „nicht den Larm der Lokomotive nachahmen,
sondern einen visueUen Eindruck und einen physischen Genufi ins Musikalische iibersetzen . . .
die Pathetik eines Zuges von dreihundert Tonnen, der mit 120 km pro Stunde durch
die tiefe Nacht stiirmt". (Honegger). Wenn wir diese letzten Endes noch rein im-
pression is tische Musik mit dem „Konig David" vergleichen, so sind damit wohl die beiden
Pole bezeichnet, zwischen denen Honeggers Musik liegt. Sie umspannt jetzt einen
weiten Baum, eine Fiille von mit klugem Eklektizismus ausgewahlten stilistischen
Moglichkeiten.
n.
Von hier aus setzt sich eine aUmahliche Verfestigung der stilistischen Haltung
Honeggers ein, die ihn zu seinen bisher wesentlichsten Werken fiihrt. Die beiden Opern
„ Judith" und „ Antigone" tragen die vom „K6nig David" ausgehende Entwicklung in der
Bichtung wachsender Vereinheidichung zum Drama hin weiter. Die andere Linie.
*) Die Notenbeispiele siehe in der Notenbeilage zu diesem Heft.
244 MELOSKRITIK
der reinen lnstrumentalmusik lauft in deni Concertino fiir Klavier und Orchester
(1924) aus. Es nimmt den Klassizismus seiner eigenen friiheren lustrum entalwerke auf
und gerat zugleich in starke stilistische Abhangigkeit von der ahnlich gerichteten Ent-
wicklungsphase Strawinskys (Klavierkonzert, Klaviersonate), ohne dafi dies aber fiir
seine eigene Entwicklung so weit tragende Folgen gehabt hatte wie bei Strawinsky
(Oedipus). Denn in der „Judith" (1925), dem nfichsten Hauptwerk auf diesem Ent-
wicklungsweg befreit sich Honegger endgiiltig von den letzten impressionistischen Resten.
Die Musik zur ,Judith" ist ein geschlossener, in drei Akte geteilter Formverlauf,
im Gegensatz zu der plastischen Vielgliedrigkeit des „David." Das entspricht der nun
erreichten Einheitlichkeit des Stils. Honeggers knappe, pragnante Thematik fiihrt ihn
hier zu einer Motivtechnik, welche das dramatische Geschehen trflgt, ohne es im Sinne
des Leitmotivs zu entwickeln. Noch liegt der Schwerpunkt in den Choren, wahrend
den Soloszenen der grofie Zug fehlt. In ihnen fixiert das Orchester mehr die Stimmung
der einzelnen Situation, indessen ohne in reiner Farbigkeit zu verharren, sondern mit
starker Tendenz zu melodischer Enfaltung. Daneben treten hier zum ersten Male als
dramatische Akzente kurze, widerhaarige, oft scharf synkopierte Rhythmen auf. Sie er-
scheinen auch zu den Choren, die an Unmittelbarkeit und StoGkraft weit iiber den
„David" hinaussragen. Schon in dieser Oper riickt Honegger die Singstimme aus der
Zone des pathetischen Affekts heraus und nahert sie einer mehr rezitativischen, melodisch
gesteigerten Deklamation.
Gerade diese Merkmale intensiviert die jiingste Oper Honeggers „Antigone" bis
zu letzter Konsequenz. In der Vorrede zu diesem Werke sagt der Komponist selbst :
Es war mein Restreben, „das Rezitativ durch eine melodische Fiihrung der Singstimmen
zu ersetzen, welche sich aber nicht in gehaltenen Noten der hohen Lagen ergehen
sollte (da diese stets den Text zur Unverstandlichkeit verdammen) ebensowenig aber
in rein instrumentalen Linien. Sie sollte im Gegenteil eine melodische Zeichnung suchen,
die durch das Wort selbst hervorgerufen wird". Wie weit die uberlieferten Elemente
der subjektiven Ausdrucksmelodik durch Honegger uberwunden werden, zeigen die Worte,
die Antigone kurz vor ihrem Tode singt (Notenbeispiel 4).
Die leitmotivischen Ansfitze der Judith verdichten sich zu einem „engmaschigen,
symphonischen Gewebe". Es gelingt ihm hier mit Hdfe stilisierter, sich nicht ver-
wandelnder Motive eine Art dramatischer Kontinuitat zu schaffen. Dabei gefahrdet die
sehr durchsichtige Orchestersprache weder die Deutlichkeit der Singstimmen noch den Ge-
samteindruck. So ruht die Eingangsszene beinahe ausschlieiJlich auf den ersten vier
Takten des Orchesters (Notenbeispiel 5).
Sie sind kennzeichnend, bis zu welcher Scharfe und Pragnanz der Thematik
Honegger hier fortgeschritten ist, zugleich fiir ein neues Stilmerkmal dieser Oper: die
Koppelung verschiedener rhythmisch-plastischer Motive in der Gleichzeitigkeit. Daneben
steht in den instrumentalen Teilen der Oper eine konstruktive Harmonik, welche auf
konsequeuter chromatischer Stimmfiihrung und klanglicher Gegenbewegung beruht:
(Notenbeispiel 6).
Wesentlichstes Merkmal der Oper ist die organische Formgebung, die Honegger
hier erreicht. Die formbildende Kraft des Motivs bewirkt die Geschlossenheit der
einzelnen Szene, Dem entspricht die Gesamtform des Dramas in ihrer ausgewogenen
AUFFUHRUNGSBESPRECHUNG 245
Verteilung von Soloszenen, Choren und instrumentalen Zwischenspielen. Gerade diese
Ausgewogenheit lafit mis die „Antigone" als etwas in sich Vollendetes und Endgiiltiges
in der immerhin sprunghaften und heute noch niclit ganz zu iibersehenden Entwicklung
Honeggers erscheinen.
Hans Mersmann, Hans S ch u 1 1 z e - B i 1 1 e r , H e i n r i ch S t r o b e 1
und Lothar Windsperger
Auffiihrungsbesprechung
Nach zwei Jahren raumlicher Bedrangnis kann die Arbeit der Staatsoper sich
ungehindert entfalten; der erneuerte Bau U liter den Linden ist eroffhet. Bei um-
fassender Modernisierung des Biilinenliauses ist es gelungen, das altgewohnte Bild des
Zuschauerraumes zu erhalten und die Akustik vielleicht ■ noch zu verbessern. Zum Ein-
weihungsabend wurde vor den vom PreuSischen Staatsministerium geladenen Festgasten
die ,, Zauberf'lote" in neuer Inszenierung gegeben. Die Auffiihrung verlief leider
nicht ohne Hemmungen: durch. Umbesetzungen in letzter Stunde wurde Tempo und
Prazision des Ablaufs beeintrachtigt. Horths Inszenierung war auf eine bunte und
geloste Miirchenphantastik gesteUt. Aravantinos schuf die Bilder: gedampfte Farbigkeit,
weite Flachen fur die Sarastrosphare. Bei lockeren Formen ist das Sakrale betont, das
audi in Kleibers gehaltener Darstellung der Musik in Erscheinung trat. In voll-
kommener Reife hoben sich heraus: die Paniina der Delia Beinhardt, Lists Sarastro
und Schorrs Sprecher. Als nachste Auffiihrung im neu en Hause zogen die „Meister-
singer" unter Blech voriiber, in prachtvoll durchgearbeiteter unci gesteigerter Fuhrung
und feinsteni Erfiihlen des Stils. Die Wiedergabe, stark in den Einzelleistungen mit
Schorr als Sachs und dem jungen Fritz Wolff als Stolzing, fesselte aufierdem durch
die Echtheit des Zeitbddes, das Bernhard Pankok aus genauester Kenntnis gestaltete.
Letzter Festabend: der „Bosenkavalier" unter Straufi, den Georg Szell vorbereitet
und Horth in lebendiger Bewegung aufgebaut hatte. Eine ausgezeichnete Besetzung
mit Barbara Kemp, Delia Beinhardt, mit der neuen Sophie der sympathischen
Marion Clare und mit dem fur den erkrankten Schiitzendorf aus Dresden herbeige-
holten Adolph Schopflin, der als Ochs von Lerchenau durch nattirlichen Ton
iiberzeugte.
In der Stadtischen Oper nahm sich Bruno Walter des „Wunders der Heliane"
von Korngold mit grofier Liebe an. Karlheinz Martin versuchte die Handlung
mit ihrer zeitlosen Symbolik durch energische Gliederung und Aktualisierung zu ver-
starken. Strnad unterstiitzte diese Absicht durch Bilder von verwegenem Konstruk-
tivismus. Mit der betont zeitgemafien Aufmachung war dem Werk nicht gedient.
Bruno Walter brachte ferner eine auf hochste, mitunter iibergrofie Diskretion aus-
gehende Neuauffuhrung von ..Figaros Hochzeit", aus der auch der Begisseur Martin
alle lauten Tone fenihielt. Auch der Buhnenbildner Emil Preetorius hatte die Szene
in ruhigen Linien und zarten Farben abgestimmt. Als Gastdirigent fiir den wieder im
Ausland tatigen Bruno Walter ist Dr. Fritz Stiedry verpflichtet worden, den man
246
ERNST LATZKO
allzu lang verrnifit liatte. Es ist zu wiinschen, dafi seine Kraft auch weiterhin fiir die
Stadtische Oper nutzbar gemacht wird.
Ein bescheidenes und liebenswiirdiges Werk der guten franzosischen Spieloper,
der „Schwarze Domino" von Auber, wurde vom Klemperer -Ensemble unter Fritz
Zweig auf das Sauberste herausgebracht. Der Gastregisseur Artur Maria Rabenalt
machte die Situationskomik des Scribeschen Intriguenlustspiels mit grofiem Geschick
wirksam.
Im Gange des Konzertbetriebs erschienen bemerkenswerte Stiiclce neuer Musik.
Kleiber fiihrte die erste Symphonie von Schulhoff auf, der bier zum ersten Mai
die grofie Form sucht. Er bleibt seiner musikantischen Art treu, die von Slavisch-
Volkshaftem angetrieben wird. Bei klanglichem Reichtum, der von impressionistischer
Verfeinerung bis zu absichtsvollem Pathos geht, wird doch die Spannung des sym-
phoniscben Stils nicht erreicht. In einer vollendeten Auffuhrung horte man ferner
unter Kleiber das durch seine Strenge und rhythmische Vielfaltigkeit packende Klavier-
konzert von Bartok, das der Komponist selbst spielte. Fur twangler, der seine phil-
harmonischen Konzerte in grofiem Zuge zu Ende fiihrte, brachte eine von starken
dramatischen Spannungen erfiillte, breit ausladende Ouvertiire von Karol Rath a us
zu eindringlicher Wirkung. Eine nachschopferische Leistung von hochster geistiger Samm-
lung und intuitiver Kraft war die Darstellung der Matthauspassion, die Furtwangler
mit dem Kittelschen Chor zum ersten Mai auffuhrte.
Aus dem „Schulwerk", das Hindemith im Geist des neuen Form- und Musik-
empfmdens und grofiter Einfachheit des Technischen geschrieben hat, spielte das
Amar-Hindemith-Quartett einige bezeichnende Stiicke von starkster Konzen-
tration. Uber alle Publikumssensation hinaus wurde das Wiederauftreten von Pablo
Casals zu einem bedeutenden ktinstlerischen Ereignis durch die absolute Sachlichkeit
der allem Effekt abgewandten Kunst eines iiberlegenen Meisters.
Hermann Springer und Heinrich Strobel
RUNDFUNK
Ernst Latzko (Leipzig)
RUNDFUNK-UMSCHAU
(Januar - Februar — Marz — April)
Der Rundfunk will „ein fiir Belehrung und Unterhaltung bestimmtes Kultur-
instrument''' sein. Diese Definition war vor kurzem in der „Bayrischen Radio-Zeitung"
zu lesen und tatsachlich treffen beim Rundfunk so viele positive Momente teclinischer,
geistiger, sozialer und materieller Art zusammen, dafi er in unserer heutigen demo-
kratisehen Zeit die in dieser Definition ausgedriickte hohe Mission tatsachlich ver-
RUNDFUNK, UMSCHAU 247
wirklichen konnte. Aber gerade wenn man die Rundfuiikprogramme eines grofieren
Zeitraumes sichtet und sich bemfiht, das Wesentliche daraus zusammenzustellen, wird
man gewahr, wie von den drei in der obigen Definition enthaltenen Begriffsmpmenten
die Unterhaltnng bei Weitem an erster Stelle steht, die Belehrung in einigem Abstand
nachfolgt, wahrend die Kultur vorlaufig noch in der letzten Reihe zu stehen kommt.
Damit soil nur eine Tatsacbe und kein Vorwurf ausgesprochen sein, denn der offentliche
Rundfunk ist kaum f'unf Jahre alt, fiber die Periode der Kinderkrankheiten also noch
lange nicbt hinaus. Immerhin scheint es, als ob das biogenetische Grundgesetz, dem-
zufolge die Entwicklung einer Gattung sich in verkfirztem Mafie beim Einzelwesen
wiederholt, irgendwie audi bei der Entwicklung des Rundfunks sein Wesen treibt, denn
anders ist es kaum zu erklaren, dafi Geschmacklosigkeiten, die mit Mfihe und Not im
Konzertsaal zu Grabe getragen worden sind, nun im Senderaum eine frohliche Aufer-
stehung feiern. Das Unterhaltnngsbedfirfnis des Rundfunkhorers in alien Ehren, aber
mnfi man es wirklich mit dem „Lenz" von Hildach oder dem Posaunensolo ,,Das Grab
auf der Haide" befriedigen, wie es im Rundfunk fast allwochentlich geschieht ? Dieser
Punkt ist wichtig genug, um nicht mit geschlossenen Augen daran voriiberzugehen,
wichtig genug, urn diese Rundschau zu eroffnen und ware es auch nur, um das Uner-
freuliche hinter sich zu haben.
Ich frage also : Ist es nicht eine Geschmacklosigkeit, eine Reihe der von Fritz Kreisler
fur die Geige bearbeiteten Stficke alter Meister unter dem Namen ,.Kreisleriana"
zusammenzufassen und dadurch die Phantasie des wenig gebildeten Hovers eines billigen
Wortwitzes wegen auf eine ganz falsche Fahrte zu locken, wie das von Hamburg
geschieht? Ist es nicht eine noch schlimmere Geschmacklosigkeit, in einem Programm,
das schon den vielversprechenden Titel „Musikalisches Schaferstundchen" ffihrt, unter
anderem die ,,Hirten"-Musik aus dem Weihnachts-Oratorium und Lassens „Der Schafer
putzte sich zum Tanz" zusammenziikoppeln, wie das Breslau fur notwendig befmdet?
Straubt sich einem nicht das Haar, wen man das von Hamburg angezeigte Programm
„Opernfantasien im Lichte violinischer Virtuositat" liest? Sollten die Konzerte des
„Mundharmonikavereins deutscher Jungmannen" die Koln sich von Dusseldorf aus vor-
blasen lfisst wirklich unentbehrlich sein ? Aus der unerschopflichen Fiille des auf diesem
Gebiet Geleisteten seien jetzt noch zwei Programme in extenso vorgefuhrt, von denen
das eine durch seine kurkapellenartige Zusammenstellung unvereinbarer Gegensatze, das
andere wieder durch die konsequente Anhaufung von gleichgearteten Unmoglichkeiten
als abschreckendes Beispiel dienen moge. Koln sendet als Abendkonzert: Lanner,
„Hofballtanze"; Beethoven, „Egmont"-Ouverture ; Wagner, Melodien aus „Lohengrin" ; Grieg,
„Ich liebe dich" ; Svendsen, „Romanze" ; Liszt, „Polonaise" ; Lehar, Potpourri aus „Zigeuner-
liebe". Und Frankfurt macht sich folgender Stinde wider den.heiligen Geist schuldig:
Leuchtkaferchens Stelldichein, Parade der Zinnsoldaten, Siamesische Wachtparade, La
lettre de Manon, Auf einem persischem Markt (Orgelsolo), Parade der Maikafer, Locken-
kopfchen, Die Mfihle im Schwarzwald, Heiligtum des Herzens (Orgelsolo), Heinzelmannchens
Wachtparade. Und so etwas pflegt dann mit den Wfinschen der Horer entschuldigt
zu werden. Als ob die Sendeleitung nicht gerade dazu da ware, auf den Geschmack
ihrer Hohrerschaft veredelnd einzuwirken. Aber verlassen wir nun dieses Gebiet der
Unerfreulichkeiten, um tins freundlicheren Eindrucken zuzuwenden.
248
ERNST LATZKO
Schon im letzten Heft wurde ausgefiilirt, wie der Rundfunk seine kulturellen Auf-
gaben am ehesten erfullen wird, wenn er sich als Erganzung von Oper und Konzert
betrachtet und Gebieten seine Pflege angedeihen lasst, die von jenen beiden vernach-
lassigt werden. DaG die neuesle und die vorklassische Musik bier die dankbarste
Betatignngsmoglichkeit liefern, begt auf der Hand. Ebenso, wenn nicht einzelne Momente
herausgegriffen, sondern gro£ere Etappen der Mnsikgeschicbte in zykliscber Zusammen-
stellung beleuchtet werden, wobei jedesraal das erklarende Wort die musikalischen
Eindriicke zn verstarken hat. In diesein Zusanimenhang muG zuerst der Ostmarken-
Rundfunk (Konigsberg, Danzig) genannt werden, der nicht nur die Entwicklung der
Orchestermusik und die Entwicklung des Klaviertrios auf diese Art veranschaulicht,
sondern eine besonders dankenswerte Veranstaltung in dem Zyklus „Von Reger bis
Hindemith" zeitgenossische Komponisten im Spiegel ihrer Hausmusik vorfiihrt. Klavier-
werke von Bartok. Strawinsky, CaseUa, Jarnach, Petyrek, Tocb und Krenek wurden init
einfuhrenden Erlauterungen in dem besprochenen Zeitraum den Horern geboten.
Zu den zyklischen Veranstaltungen erfreulicher Art gehort weiter die von Leipzig
gebrachte „Tonende Operngeschichte". Die an sich ausgezeichnete Idee, die Entwicklung
der Oper von ihren allerersten Anfangen bis zur Gegenwart an besonders pragnanten
Beispielen zu zeigen und durch einleitende Vortrage das Verstandnis des Zusammen-
hanges zu erleicbtern, ist zwar durch die Ausfuhrung nicht ganzlich gelost worden —
bisher waren zu horen: zwei Abende mit Brucbstiicken von Peri, Caccini, Monteverdi,
Lully, Rameau, Reinhard Keiser, Graun, Hasse. Ferner Hiindels „Otto und Theophano",
Glucks „Alli:estis", Mozarts „Zaide". Spontinis „Vestalin'', Roieldieus ,,Johann von Paris",
Donizettis „Liebestrank", Flotows „Allessandro Stradella" und Marscbners ,,Templer und
Jiidin" — der sti - enge Kritiker wird also sicher Beispiele a us der neapolitanischen Oper.
aus Purcells Schaffen vermissen, es audi kaum verstehen, wie in solchem Zusanimen-
hang Carl Maria von Weber ubergangen werden konnte, wfihrend er auf Flotowsche
Plattheiten gerne Verzicht geleistet hatte, - aber von diesen Schonheitsfehlern ab-
gesehen ist der Versuch do'ch sehr zu begriifien und nur zu wiinschen, dafi das neue
Opernschaffen noch gehorige Beriicksichtigung finde.
Ein auch Jvon Leipzig veranstalteter Zyklus „Mitteldeutsche Komponisten" sollte
jungen Schafienden Gelegenheit geben, mit ungedruckten Werken vor das Publikum zu
treten und ihnen so den Weg in die Offentlichkeit und zum Verleger erleicbtern. Wenn
bei den Veranstaltungen dieses Zyklus auch haufig mitteldeutsche Abstammung fur den
Mangel [an kompositorischer Regabung entschadigen mufite, so darf doch die soziale
Seite des Unternehmens anerkannt werden und die Stunde mit Werken Hermann
Ambrosius' und Georg Winklers Streichcfuartett konnten fiir manchen Versager entschadigen.
Miinchen brachte im Verlauf eines Zyldus „Die Entwicklung der Orgelkomposition"
ein das England des 17.Jahrhunderts beleuchtendes Programm mit Werken von John
Bull, Ryrd und Gibbon.
Last not least gehort in diesen Zusammenhang die von Berlin veranstaltete „Stunde
der Lebenden". Von 'Adolf Weifimann eingeleitet, kamen in dem besprochenen Zeitraum
von besonders markanten Werken drei Gesange japanischer Lyrik mit Begleitung von
zwei Floten, zwei Klarinetten, zwei Violinen, CeUo, Bass nnd Klavier von Strawinsky,
die Sonate fiir Horn. Trompete und Posaune von Poulenc, Lieder von Milhaud und
RUNDFUNF-UMSCHAU
249
Honegger unci die Sonate fur Klavier mid Violine von Ravel zur Auffiihrung. Damit
sind wir bei dem Schmerzenskind der Sendegesellschaften, dev neuen Musik, angelangt
und ira Anschlufi sei gleich auf die wenigen aber umso kraftigeren Lebenszeicben
bingewiesen, die sie im Rundfunk von sich gibt.
Hier darf an erster Stelle Hindemith genannt werden, der verhaltnismalMg oft
im Sender erscbeint. Sein Streichquartett op. 22 wurde von Berlin, Breslau und Koln
gebracht, die Sechs Stiicke fiir Streichquartett op. 44 von Breslau, die Sonate fur Cello
und Klavier von Koln, die Sonate fiir Bratsche und Klavier von Berlin, das Violinkonzert
von Miinchen. Als Verdienst mufi Koln die Ubertragung eines offentlichen Konzertes
angerechnet werden, in dem Hindemiths Konzert fiir Viola d'amore zur Urauffiihrung
gelangte und aufierdem sein Bratschen- und Klavierkonzert gespielt wurden. Und
schliefilich brachte nocb Frankfurt die Urauffiihrung seines Konzertes fiir Orgel und
Kammerorchester, das Hindemith zur Einweihung der Orgel des Frankfurter Senders
geschrieben und das er diesem Sender auch gewidmet hat. So vermag auch der
Rundfunk ein Bild von der beispiellosen Fruchtbarkeit und Vielseitigkeit dieses einzig-
artigen Mannes zu geben und wird dabei von dem reproduzierenden Kiinstler Hindemith,
der als Solist wie als Quartettspieler, auf der Bratsche wie auf der Viola d'amore fiir
sein eigenes Schaffen eintritt, wesentlich unterstiitzt.
Bela Bartoks Streichquartett op. 7 wird von Berlin und Frankfurt gebracht, seines
Landsmannes Kodaly Cellosonate wird in Koln gespielt. Jarnach erscheint eben dort
iiiit Klavierstiicken, wahrend Frankfurt seine Solosonate fiir Violine bringt. Der Pariser
Sender verbreitet Honeggers „Konig David", London und Daventry die Klaviersonate
Strawinskys, Breslau Kaminskis F-Dur-Streichquartett und Stuttgart Milhauds „Saudades
do Brazil". Ernst Toch kommt in Berlin mit Klavierstiicken und der Sonate fiir Klavier
und Violine zu Wort, Schonberg-Lieder werden in Koln gesungen und Miinchen erwirbt
sich ein besonderes Verdienst durch die Auffiihrung der drei „Woyzeck"-Bruchstiicke von
Alban Berg und bringt aufierdem als einziger Sender moderne Chore (Krenek und
Hindemith), Man sieht, fiir den Zeitraum von vier Monaten ist die Auslese an neuer
Musik nicht allzu iippig aber bei der Mehrzahl der deutschen Sendeleitungen sind doch
Anzeichen beginnender Regsamkeit auf diesem Gebiet festzustellen. Umso uiibegreiflicher
ist die Inaktivitat der Sendeleitungen in Hamburg und Leipzig, die es als einzige fertig
bringen, in dieser ganzen Zeit nicht zwei Takte reprasentativer moderner Musiker ihren
Horern vorzufiihren.
Manches Anerkennenswerte wurde auf dem Gebiet der alten Musik geleistet. Die
von alien Sendern gepflegten sonntaglichen Morgenfeiern geben haung Gelegenheit,
kleinere Stiicke aus vergangeneii Jahrhunderten der Vergessenheit zu entreiften. In grofterem
Ausmafi bietet die Passionszeit Anlafi, verborgene alte Schatze zu heben und es ist
durchaus zu begriifien, d&ii der Rundfunk sich nicht mit den Rach'schen und anderen
bekannten Passionsmusiken begniigt, sondern zu Unrecht vergessene Werke neu belebt.
So war es ein Verdienst Leipzigs, die der heutigen Generation fast unbekannten ,,Sieben
Worte des Erlosers am Kre.uz" von Haydn aufzufiihren. Von nocb grofierem Unter-
nehmungsgeist zeugt der Versuch Frankfurts, bis ins 16. Jahrhundert vorzudringen und
Leonhard Lechners „Leiden unseres Herrn .Tesu Christi aus deiriT Evangelium Johannis"
den Horern zu bieten. Eine willkommene Erganzung soldier Veranstaltungen, die dem
248 ERNST LATZKO
Sch on im letzten Heft wurde ausgefiilirt, wie der Bundfunk seine kidturellen Auf-
gaben am ehesten erfiillen wird, wenn er sicli als Ergfinzung von Oper und Konzert
betrachtet und Gebieten seine Pflege angedeihen liisst, die von jenen beiden vernach-
lassigt werden. Da6 die neneste und die vorldassische Musik hier die dankbarste
Betatigungsmoglichkeit liefern, begt auf der Hand. Ebenso, wenn nicbt einzelne Momente
herausgegriffen, sondern gro£ere Etappen der Musikgeschichte in zykliscbe.r Zusammen-
stellung beleucbtet werden, wobei jedesmal das erklarende Wort die musikalischen
Eindriicke zu verstarken hat. In diesem Zusainmenhang mufi zuerst der Ostmarken-
Rundfunk (Kcinigsberg, Danzig) genannt werden, der nicht nur die Entwicklung der
Orchestermnsik und die Entwicldung des Klavier trios auf diese Art veranschaidicht,
sondern eine besonders dankenswerte Veranslaltung in deni Zyklus ,,Von Reger bis
Hinderaith" zeitgenossische Komponisten im Spiegel direr Hausmusik vorfidirt. Klavier-
werke von Bartok, Strawinsky, Casella, Jarnach, Petyrek, Toch und Krenek wurden mil
einfiibrenden Erlauterungen in deni besprochenen Zeitraum den Ilorern geboten.
Zu den zyklischen Veranstaltungen erfreulicher Art gehort weiter die von Leipzig
gebrachte ,,T6nende Operngeschichte". Die an sich ausgezeichnete Idee, die Entwicklung
der Oper von ihren allerersten Anfangen bis zur Gegenwart an besonders pragnanten
Beispielen zu zeigen und durch einleitende Vortrage das Verstandnis des Zusammen-
hanges zu erleichtern, ist zwar durch die Ausfidirung nicht ganzlich gelost worden —
bisher waren zu horen: zwei Abende rait Bruchstiicken von Peri, Caccini, Monteverdi,
Lully, Rameau, Reinhard Keiser, Graun, Hasse. Ferner Handels „Otto und Theophano",
Glucks „AUcestis", Mozarts „Zaide". Spontinis „Vestaliii<', Boieldieus ,,Johann von Paris",
Donizettis ,,Liebestrank", Flotows „Allessandro Stradella" und Marschners „Templer und
Jiidin" — der strenge Kritiker wird also sicher Beispiele a us der neapolitanischen Oper.
aus Purcells Schaffen vermissen, es audi kauin verstehen, wie in solchem Zusammen-
hang Carl Maria von Weber ubergangen werden konnte, wahrend er auf Flotowsche
Plattheiten gerne Verzicht geleistet hatte, — aber von diesen Schonlieitsfehlern ab-
gesehen ist der Versuch do'ch sehr zu begriiCen und nur zu wiuischen, dafi das neue
Opernschaffen noch gehorige Beriicksichtigung finde.
Ein auch Jvon Leipzig ^'eranstalteter Zyklus „Mitteldeutsche Komponisten" sollte
jungen Scliafl'enden Gelegenheit geben, mit ungedriickten Werken vor das Publikum zu
treten und ihnen so den Weg in die Offentlichkeit und zum Verleger erleichtern. Wenn
bei den Veranstaltungen dieses Zyklus audi hiiufig mitteldeutsche Abstammung fur den
Mangel [an kompositorischer Begabung cntschadigen mufite, so darf doch die soziale
Seite des Unternehmens anerkannt werden und die Stunde mit Werken Hermann
Ambrosius' und Georg Winklers Streichquartett konnten fur manchen Versager entschadigen.
Miinchen brachte im Verlauf eines Zyklus „Die Entwicklung der OrgeUcomposition"
ein das England des 17. Jjahrhunderts beleuchtendes Progranim mit Werken von John
Bull, Byrd und Gibbon.
Last not least gehort in diesen Zusainmenhang die von Berlin veranstaltete „Stunde
der Lebenden". Von^Adolf Weifimann eingeleitet, kainen in deni besprochenen Zeitraum
von besonders markanten Werken drei Gesange japauischer Lyrik mit Begleitung von
zwei Fdoten, zwei Klarinetten, zwei Violinen, Cello, Bass mid Klavier von Strawinsky,
die Sonate fiir Horn, Trompete und Posaune von Poulenc, Lieder A r on Milhaud und
RUNDFUNF-UMSCHAU 249
llonegger und die Sonate fur Klavier mid Violine von Ravel zur Auffuhrung. Damit
sind wir bei dem Schmerzenskind der Sendegesellschaften, der neuen Musik, angelangt
und im Anschluft sei gleich auf die wenigen aber umso kriiftigeren Lebenszeicben
bingewieseu, die sie im Rundfuiik von sich gibt.
Hier darf an erster S telle Hindemith genaunt werden, der verhaltnismafiig oft
im Sender erscheint. Sein Streichquavtett op. 22 wurde von Berlin, Breslau und Koln
gebracbt, die Sechs Stiicke fur Streichquartett op. 44 von Breslau, die Sonate fur Cello
und Klavier von Koln, die Sonate fur Bratscbe und Klavier von Berlin, das Violinkonzert
von Munch en. Als Verdienst mufi Koln die Ubertragung eines offentlichen Konzertes
angerechnet werden, in dem Hindemiths Konzert fur Viola d'amore zur Urauffiihrmig
gelangte und aufierdem sein Bratschen- und Klavierkonzert gespielt wurden. Und
schliefilich brachte nocli Frankfurt die Urauffiihrung seines Konzertes fiir Orgel und
Kammerorchester, das Hindemith zur Einweihung der Orgel des Frankfurter Senders
geschrieben und das er diesem Sender auch gewidmet hat. So vermag auch der
Rundfunk ein Bild von der beispiellosen Fruchtbarkeit und Vielseitigkeit dieses einzig-
artigen Mannes zu geben und wird dabei von dem reproduzierenden Kiinstler Hindemith,
der als Solist wie als Quartettspieler, auf der Bratsche wie auf der Viola d'amore fiir
sein eigenes Schaffen eintritt, wesentlich unterstiitzt.
Bela Bartoks Streichquartett op. 7 wird von Berlin und Frankfurt gebracht, seines
Landsmannes Kodaly Cellosonate wird in Koln gespielt. Jarnach erscheint eben dort
ni it Klavierstiicken, wfihrend Frankfurt seine Solosonate fiir Violine bringt. Der Pariser
Sender verbreitet Honeggers „Konig David", London und Daventry die Klaviersonate
Strawinskys, Breslau Kaminskis F-Dur-Streichquartett und Stuttgart Milhauds „Saudades
do Brazil". Ernst Toch kommt in Berlin mit Klavierstiicken und der Sonate fiir Klavier
und Violine zu "Wort, Schonberg-Lieder werden in Koln gesungen und Miinchen erwirbt
sich ein besonderes Verdienst durch die Auffuhrung der drei „Woyzeck"-Bruchstiicke von
Alban Berg und bringt aufierdem als einziger Sender moderne Chore (Krenek und
Hindemith), Man sieht, fiir den Zeitraum von vier Monaten ist die Auslese an neuer
Musik nicht allzu iippig aber bei der Mehrzahl der deutschen Sendeleitungen sind doch
Anzeichen beginnender Begsamkeit auf diesem Gebiet festzustellen. Umso unbegreiflicher
ist die Inaktivitat der Sendeleitungen in Hamburg und Leipzig, die es als einzige fertig
bringen, in dieser ganzen Zeit nicht zwei Takte reprasentativer moderner Musiker ihren
Horern vorzufiihren.
Manches Anerkennenswerte wurde auf dem Gebiet der alten Musik geleistet. Die
von alien Sendern gepflegten sonntaglichen Morgenfeiern geben haufig Gelegenheit,
kleinere Stiicke aus vergangenen Jahrhunderten der Vergessenheit zu entreifien. In grofierem
Ausmafi bietet die Passionszeit Anlafi, verborgene alte Schatze zu heben und es ist
durchaus zu begriifien, dafi der Rundfunk sich nicht mit den Bach'schen und anderen
bekannten Passionsmusiken begniigt, sondern zu Unrecht vergessene Werke neu belebt.
So war es ein Verdienst Leipzigs, die der heutigen Generation fast unbekannten „Sieben
Worte des Erlosers am Kreuz" von Haydn aufzufuhren. Von noch grofierem Unter-
nehmungsgeist zeugt der Versuch Frankfurts, bis ins 16. Jahrhundert vorzudringen und
Leonhard Lechners ,,Leiden unseres Herrn Tesu Christi aus dem Evangelium Johannis"
den Horern zu bieten. Eine willkommene Erganzung soldier Veranstaltungen, die dem
L
250 ERNST LATZKO
Passionsgedanken von der kunstlerischen Seite her beizukommen suchen, war die von
K6ln gebrachte liturgische Passionsmusik, die das kirchliche Moment in den Vorder-
grund stellte. Nachahmenswertes bringt oft Leipzig in den „Alte Hausmusik" be-
nannten Programmen, die an Dienstag- und Freitag-Nachmittagen auch von derDeutschen
Welle verbreitet werden. Als Beispiel sei hier das Programm „Die Familie Bach" er-
wahnt, das Werke von Joh. Bernhard, Joh. Ernst, Joh. Sebastian, Wilhelm Friedemann,
Karl Phil. Emanuel, Joh. Christof und Joh. Christian Bach enthielt. Mit derartigen
Programmen wird dem Horer gleichzeitig ein Abrifi Musikgeschichte geboten. Mitglieder
des Collegium musicum der Universitat Erlangen brachten im Miinchener Bundfunk
Musik aus dem 12., 13. und 14. Jahrhundert (Schule von Notre Dame, Guillaume de
Machault) zur Auffiihrung und nicht minderes Interesse verdient eine in Konigsberg
veranstaltete Auffiihrung alter Musik auf historischen Instrumenten (Altviola, Theorbe,
Blockflote, Clavichord). Endlich sei auch noch ein Konzert Leipzigs mit selten gehorten
Orchesterwerken des 18. Jahrhunderts erwahnt, unter denen ein Rondo fur Klavier und
Orchester des Prinzen Louis Ferdinand und Dittersdorfs „Vier Weltalter" besonderes
Interesse erweckten. Hier ist also entschieden ein Gebiet, auf dem der Rundfunk in
steigendem Mafie sich der Hohe der seiner harrenden Aufgaben bewufit wird.
Aus der Fulle der iibrigen Veranstaltungen sei nocli Einzelnes kurz gestreift.
Ein Verdienst der Wiener Sendeleitung war es, die Wiederholung des einzigen von
Franz Schubert unternommenen eigenen Konzertes zu iibertragen und damit einen
wiirdigeii Auftakt fur das Schubertjahr zu scbaffen. Ansatz zu einer bewufiten Pflege
des Volksliedes war ein auch von Wien gebrachter Volksliederabend des deutschen
Volksgesangvereins. Einen ahnlichen Zweck verfolgte das von Munchen gebrachte
Programm „Das auslanddeutsche Lied" mit altvlamischen, sudetendeutschen und Tiroler
Liedern. Damit ist ein Gebiet beruhrt, auf welchem dem Rundfunk noch viel zu tun
bleibt: Die systematische Pflege des Volksliedes als Einzelgesang, als Solistenensemble,
als Chor, begleitet und a cappella gibt Gelegenheit zu zyklischen Veranstaltungen kleinen
und grofien Stiles, die in gleichem Mafie dem Bildungs- wie dem Unterhaltungsbe-
diirfhis des Bundfunkhorers entgegenkommen konnten.
Die musikalische Behandlung des Volkstrauertages mufite zum Widerspruch reizen.
Von den deutschen Sendern brachten vier die „Eroica" (Frankfurt, Hamburg, K6ln,
Konigsberg, dieser allerdings nur den Trauermarsch), zwei Brahms' „Tragische Ouverture"
je einer den Trauermarsch aus der „G6tterdammeruiig" und Straufi' „Tod und Ver-
klarung". Hier diirfte von den Verantwortlichen wohl etwas mehr Phantasie erwartet
werden, die einen solchen Tag nicht mit Werken abspeist, die aus dem Konzertbetrieb
zum Uberdrufi bekannt sind.
Der zehnjahrige Todestag Debussys (26. 3. 1928) wurde vom Rundfunk nur sehr
wenig beachtet. Allerdings darf den deutschen Sendegesellschaften darob kein grofier
Vorwurf gemacht werden, da sogar Paris sich in Stillschweigen hxillte. In Deutschland
gedachte nur Frankfurt des Tages, im Ausland Wien und Prag. Und doch sollte der
Rundfunk solchen Gedenktagen, besonders wenn sie Personen betreffen, deren Schaffen
bei der Allgemeinheit noch nicht immer die verdiente Beachtung findet, ruhig etwas
mehr Liebe zuwenden. Er hat die Zeit und in der Regel auch das Geld, die dem
heutigen Konzert- und Theaterbetrieb fehlen, um bei solchen Gelegenheiten nicht nur
RUNDFUNK-UMSCHAU 251
stets Gewohntes zu bringen. So ware auch dem 25. Todestag Hugo Wolfs eine weniger
konventionelle Behandlung zu gonnen gewesen.
Eine gute Idee, die Nachahmung verdient, das Bestreben namlich, Zusammenhange
in scheinbar weit Auseinanderliegendem aufzudecken, lag dem von Steuermann in
Frankfurt gespielten Programm zugrunde, das Bach, Alban Berg, Schonberg und Busoni
verkniipfte. Etwas Ahnliches schwebte den Veranstaltern wohl auch bei dem gleichfalls
von Frankfurt gesendeten „Abend der Gegensatze" vor, . nur war hier die Gegenuber-
stellung nicht immer gelungen. An dem Gegensatz, wie Paisiello und Bossini die Ver-
leumdungsarie im „Barbier" komponierten, kann dem Horer sicher manches klar gemacht
werden, dagegen bleibt unerfindlich, in welchem Zusammenhang die Agathen-Arie und
der „Liebestod" gebracht werden soil. Aber gerade solche Gegenuberstellungen, wenn
sie mit geschickter Hand getroffen werden, konnen dazu dienen, im naiven Horer Ver-
standnis fur sonst scheinbar Unzusammenhangendes zu erwecken.
Einige besondere Bemerkungen sind noch den vom Bundfunk verbreiteten Opern
zu widmen. Wenn er die im Spielplan der Operntheater schon zur Geniige ausge-
schlachteten beliebten Bepertoirewerke iibertragt, so kommt er sicher damit den Wiinschen
vieler Horer entgegen aber die besonderen, ihm obliegenden Aufgaben erfullt er auf
diese Weise keineswegs. Denn auch hier gibl es eine Beihe von Werken, die trotz
aller in ihnen enthaltenen Werte sich aus irgend einem Grunde auf der Biihne nicht
behaupten konnen und daher dem grofien Publikum so gut wie fremd sind. Gerade sie
miifiten zu allererst im Bundfunk ihre Auferstehung feiern. Aus diesem Grund ist es
freudig zu begriifien, daG Stuttgart sich des herrlichen „Dalibor" von Smetana annimmt,
dafi Berlin einen Versuch mit der „Nachtwandlerin" macht, Leipzig Pergolesis reizenden
„Maestro di musica - ' hervorholt und Miinchen die Schonheiten der „Euryanthe" seinen
Horern vor Ohren fiihrt. Aufierdem verdienen aber auch die Ubertragungen einiger
selten zu horender Opern werke aus dem Theater Erwahnung. Koln und Paris bringen
auf diesem Wege „Pelleas und Melisande" zu Gehor, Berlin den „Corregidor", Hamburg
Wolf-Ferraris liebenswiirdige „Vier Grobiane" und ein ganz besonderes Verdienst erwirbt
sich Breslau durch die Ubertragung des Verdischen „Don Carlos".
So auf den Baum weniger Druckseiten komprimiert, scheint diese Umschau eine
starke Aktivitat der Sendeleitungen auf dem Gebiet der ernsten Musik zu ergeben.
Aber diese Tauschung wiirde rasch schwinden, wenn man diesem Extrakt viermonatiger
Arbeit einmal die Ergebnisse des wahrend des gleichen Zeitraumes in all den Mittags-
konzerten, Nachmittagskonzerten, Bunten Abenden, Unterhaltungskonzerten, Akademien,
Funkbretteln, Tanzmusiken, Popularen Konzerten, Heiteren Stunden, Lustigen Abenden
— und wie die hier unerschopfliche Phantasie der Sendegesellschaften alle diese dem
plattesten Amusierbedurfnis gewidmeten Veranstaltungen noch nennen mag — Ge-
botenen gegeniiberstellen wollte. Die grofie Gefahr, die dem Bundfunk droht, ist die,
dafi das fur jedes Kulturinstrument unumganglich notwendige richtige Verhaltnis
zwischen Intensitat und Extensitat zugunsten der letzteren verschoben wird. Mit anderen
Worten : dafi der Bundfunk aus einem Kulturinstrument zvi einem Bddungs-Warenhaus
wird. Eine radikale Anderung ware nur von einer vernunftigen Ai'beitsteilung unter
Sendegesellschaften zu erwarten. Vielleiclit erleben wir es noch, dafi eine Gesellschaft
nur ernste Konzerte sendet, eine andere nur Literatur, eine dritte nur Opern, eine
252
HANS MERSMANN
vierte nur Funkbrettl usw. und alles TJbrige sich von ihren Schwestergesellschaften iiber-
tragen lafit. Vielleiclit wird das Beispiel der ,,Deutschen Welle", die schon heute sich
allein auf das Vortragswesen konzentriert und alle weiteren Bediirfhisse von anderen
Sendern befriedigen lafit, einmal richtunggebend. Es leuchtet ohne weiteres ein, dafi
das Niveau der einzelnen Darbietung durcb diese Intensivierung sich um ein Vielfaches
heben wiirde. Trotzdem scbeint diese Arbeitsteilung vorderhand eine Fata morgana
zu sein und dem musikalischen Beobachter bleibt nur iibrig, als vorlaufige Mindest-
forderung den Wunsch auszusprechen, dafi jede Gesellschaft an jedem'Tage
mindestens eine Stunde wertv oiler Musik, nach kiinstlerische n Ge-
sich tspunkten geordnet und einem einheitlichen Stilwillen unter-
w or fen, ihren Horem bieten nioge.
*
Die Tageszeitungen bringen die Meldung, dafi Hermann Scherchen im nachsten
Jahr nach Konigsberg geht und dort neben den stadtischen Sinfoniekonzerten, die
musikalische Leitung des Bundfunks iibernimmt. Die Bichtigkeit der Meldung voraus-
gesetzt, ware dieses Ereignis nach zwei Bichtungen hin symptomatisch. Einmal iiber-
nimmt mit Scherchen zum ersten Mai ein prominenter Dirigent und eine iiberragende
Personlichkeit die musikalische Leitung in einer Sendegesellschaft und von diesem Ge-
sichtspunkt aus darf die Berufung sicher nur mit Genugtuung begriiftt werden. Dann
wird aber auch hier zum ersten Mai eine Personalunion zwischen dem stadtischen
musikalischen Leiter und dem musdcalischen Leiter des Bundfunks hergestellt und hier
mufi erst die Zukunft lehren, ob diese „Fusion" der ganzen Entwicklung zum Segen
gereicht. Vorlaufig scheint es, als ob die Erganzung, die sich als das naturliche Ver-
haltnis zwischen offentlicher Musikpflege und Bundfunk herausgestellt hat, durch diese
Personalunion bis zu einem gewissen Grade gefiihrdet erscheint und es bleibt abzuwarten,
ob dieser NachteU durch die auf der anderen Seite zweifellos erreichte Vereinheitlichung
wettgemacht whd. Sicher aber ist diese Berufung nur ein weiterer Schritt in jenem
grofien Aufsaugungsprozefi, der sich zwischen Bundfunk und ausiibendem Kiinstler
abspielt und als solcher wohl geeignet, die heutige Macht des Bundfunks zu beleuchten.
UMSCHAU
IT a n s M e r s m a n n (Berlin)
KUNSTPOLITIK
l.
Die Auswirkung der in dieser Zeitschrift vertretenen Gesinnung macht es not-
wendig, einige Fragen noch einmal zu steUen, die im Grunde langst geklart sind. Die
Heftigkeit, mit der sich in diesen Jahrzehnten der Kampf zwischen alter und neuer
Musik abspielte, brachte es mit sich, dafi sich die Gegensatze iiber den engeren Baum
einer Kunstanschauung hinaus weiteten. Aus der Gegeniiberstellung der kampferischen
KUNSTPOLITIK 253
Begriffe „fortschrittlich" und ,,riickstandig" wurden unversehens bei steigender Tempera tur
der Polemik die Begriffe : „bolschewistisch" und ,,reaktionar". Wenn audi die Formulierung
des Schlagworts „musikalischer Bolschewismus" das Verdienst Pfitzners bleiben soil,
so ist doch die Zahl derer, die es heute wieder aufgreifen, so grofi, dafi es zum Kampf-
ruf eines ganzen Kreises geworden ist. Es wurde in letzter Zeit dieser Zeitschrift
gegeniiber so oft angewandt, dafi eine Klarung zweckmafiig erscheint.
Kunst und Politik haben nichts miteinander zu tun. Beide aber sind doch in
irgend einem Kern nicht von einander zu trennen. Diese Zusammenhange liegen 1'reilich
tiefer als die Vertreter der Schlagwortpolitik es meist annehmen. Darum soil hier audi
nicht der Versuch gemacbt werden, eine Auseinandersetzung mit ihnen herbeizufuhren ;
denn diejenigen, welche eine foi'tschrittliche Kunstgesinnung mit aufiermusikalischen
Motiven angreifen, wissen meist garnicht, worum es sich in Wirklichkeit handelt. Sie
zitieren, gehidlt in den Mantel eines nationalen Bewufitseins, Wagner als Hiiter heiligsten
deutschen Kulturguts und schleudern von dieser Position aus Bannfliiche gegen die
modernen bolschewistischen Musiker. Wenn sie hierbei das Gliick haben, gerade aui'
Strawinsky zu ti'effen, scheinen ihre Schlagworte zu passen; bei Hindemith ware der
Fall schon schwieriger.
Dabei mufi zunachst festgestellt werden, dafi die Verschiebung der Plattform aui'
das Gebiet schwankender politischer Schlagworte immer von denjenigen vorgenommen
wird, welche sich ihrer zuerst bedienen.
Die junge Musik beiindet sich heute in keiner Kampfstellung. Sie hat aufierlich
erreicht, was sie wollte. Werke junger, unbekannter Komponisten werden haufiger als
je aufgeiuhrt, sie linden iiberall gutwillige Ohren. Die Klarheit der Beurteilung ist ge-
wachsen. Die vor einigen Jahren noch mogliche Tauschung, ungekonnte Talentlosig-
keiten unter dem Deckmantel einer atonalen Tonsprache als revolutionare Ereignisse
einzufuhren, kann heute nicht mehr gelingen. Man kann vielleicht sagen, dafi wir jetzt
im Begriffe sind, eine Umschichtung zu vollenden, die sich seit etwa zwei Jahrzehnten
langsam vollzieht. Allmahlich aber unerbittlich werden die Gralshuter der Bomantik,
die Bekampfer alles Neuen, Fortschrittlichen aus Gesinnung in die Minderheit gedriingt.
Das alles erklart die noch einmal auflammende Heftigkeit der Abwehr, die sie nach
aufiermusikalischen Scblagworten greifen lafit.
Das kiinstleriscbe Werturteil, welches sie bekampfen, ist seiner Natur nach vollig
unpolitisch. Es bejaht oder verneint und meint damit nur das Werk, seine schopferische
Kraft, seiiae innermusikalischen Beziehungen. Erst der Angriff tragt aufierkunstlerischc
Momente in die Diskussion. Besonders, wenn er sich auf die Situation stiitzt, dafi ein
tilterer Komponist, als kiinstlerische Personlicbkeit durchaus epigonenhaft and daher
in letztem Sinne unschopferisch, gering bewertet und ein jiingerer fortschrittlicher Musiker
anerkannt wird. Hier ist der Boden, auf dem Schlagworte, wie die vorher ange-
deuteten, wachsen.
2.
Das einzelne Werturteil steht nicht allein. Bleibt es sich selbst treu, so verdichtet
es sich zu einer Haltung. Wird diese Haltung eindeutig und fortgesetzt, etwa durch
eine Zeitschrift, zum Ausdruck gebracht, so entsteht etwas, was man Kunstpolitik
nennen kann. Auch Kunstpolitik hat mit Politik im anderen Sinne noch nichts zu
254 HANS MERSMANN
tun. Das wird gerade in unserer Zeit deutlich, in der wir beobachten konnen, wie
politisch radncal links orientierte Gruppen noch imraer einem vollig riickwarts ge-
wendeten Kunstideal huldigen und ihre Erfullung in ihm find en. Seltener ist das
Gegenteil. Den Grunden gerade dieser Erscheinung miissen wir spater noch nachzu-
gehen versuchen. Einstweilen stellen wir fest, dafi auch die Voraussetzungen einer
Kunstpolitik nur und ausschliefilich in der Kunst liegen.
Kunstpolitik hat es wohl immer gegeben, doch wird sie als Kraft erst in den
letzten Jahrhunderten unserer Entwicklung spiirbar. Sie wachst an Bedeutung mit der
Reife einer Zeit zu historischer Erkenntnis. Denn sie setzt Bewufitheit und Abstand
voraus. Es gibt Zeiten in den en eine Kunstpolitik kaum notig ist. Die Entwicklung
verlauft unbedroht und gradlinig. Auch die Erkenntnis kann sie nur miterleben und
geschehen lassen. In solchen Zeiten, vermag ein kunstpolitischer Wille allein, die Er-
scheinungen zu ordnen und zu sichten. Dabei werden gleichgerichtete kiinstlerische
Personlichkeiten gegeneinander ausgespielt, es entstehen Parteien. Solche Parteien,
deren jede ihren Helden hat und propagiert, sind noch aus der Geschichte der deutschen
Romantik hinlanglich bekannt. Das 18. Jahrhundert kannte gewichtigere kunstpolitische
Probleme. In ihrem Zentrum stand die Frage der nationalen Gegensatze und der
damit verbundene Kampf um die Hegemonie. Etwa die Kampfe, die an der Pariser
Oper um Gluck und Piccini ausgefochten wurden, haben einen eminent kunstpolitischen
Charakter.
Die in kunstpolitischer Hinsicht wesentlichsten Raume der Entwicklung sind aber
immer deren Knotenpunkte, die Stellen, an denen sich die Ablosung eines alteren
Stiles durch einen jungen vollzieht. Hier treffen Richtungen aufeinander. Der Ab-
losungsprozefi ist ein natiirlicher Kampf: der Generationskampf der Kunst. Vorher
hatte der Kampf der Parteien etwas vom Spiel; sie standen im Grunde auf dem
gleichen Boden, hatten garnicht Abstand genug von einander, um sich ernstlich zu
treffen. Erst jetzt klaffen Gegensatze auf, die umso bedingungsloser werden, je inten-
siver der Gegensatz der Stile selbst ist.
Wir erlebten diesen Kampf in einer nie gekannten Scharfe. Nicht nur ein neuer
Stil sondern eine neue Epoche hat hegonnen. Die Gegenkrafte, die hier aufeinander-
prallen, erinnern an die grofie Stilwende vor dreihundert Jahren. Sie werden durch
ein gefahrlich, fast bedrohlich angewachsenes Schrifttum getragen. Kein Kritiker kann
mehr iiber Erscheinungen berichten, ohne durch die Art seines Urteils Kunstpolitik zu
treiben. Die Fragestellung kouzenti'iert sich einseitig auf eine Parteinahme .in dem
Kampfe zwischpn junger und alter Musik.
Uber die Notwendigkeiten und Grunde einer solchen Parteinahme ist an dieser
Stelle wohl nichts mehr zu sagen. Der Kreis derer, die sich dem Jungen und Wer-
denden zuwenden und sich innerlich vom Vergangenen ablosen, wird immer gro£er.
Dieser Ablosungsprozefi ist die Erfiillung eines Naturgesetzes und konnte sich still und
ohne Erregung der Offentlichkeit voUziehen. Erst die Kunstpolitik tragt ihn auf das
Forum der Rhetorik. Und so stellt sich diese Zeitschrift bewufit auf die eine
der beiden Seiten und versucht, alles Werdende und Junge mitzutragen, soweit es sich
als rein und stark genug erweist. Aber sie redet- iiber Kunst. Uber Politik reden erst
ihre Gegner.
KUNSTPOLITIK 255
Es wurde bereits vorher angedeutet, dafi die ganze Frage des Zusammenhangs
zwischen Kunst und Politik mit den vorliegenden Gedanken nicht erschopft ist. Bisher
wurde versucht, die Grenze zwischen beiden Begriffen reinlich und scharf zu ziehen.
An einer Stelle aber gibt es doch eine Deckflache zwischen ihnen: das ist die sozio-
logische Struktur unseres Musiklebens.
Lange Zeit ist das musikalische Schrifttum an den Fragen der Soziologie ganz
vorbei gegangen. In den letzteu Jahren aber treten sie immer scharf er und deutlicher
hervor. Wir beginnen zu erkennen, welche Bedeutung soziologische Fragen fur die
Musikgeschichte haben. Dariiber hinaus aber wird immer klarer, wie tief alle Um-
walzungen unserer Kunst soziologisch bedingt sind.
Schonbergs Verein fur musikalische Privatauffuhrungen und die nach seinem
Vorbild gegriindeten zahlreichen ldeinen Gesellschaften, in denen vor einem ausgewahlten
Kreise von Horern neue Musik gemacht wird. sind der letzte Exponent einer Entwicklung
des 19. Jahrhunderts, welche iiber Brahms und Reger geht. Hier sollte dem Mifi-
verstandnis des Kunstwerks durch die grofie Menge vorgebeugt werden, indem man
sie garnicht erst zuliefi. Musik erscheint in letzter, hochster Verfeineruug, als ein Luxus-
objekt.
Wir befinden uns heute in entgegengesetzter Entwicklungslage. Eine nach Darstellbar-
keit und innerer Einfachheit strebende Musik sucht einen neuen Typus des Horers.
Der Krise des Schaffens folgte dieKrise des Erkennens; dieser aber folgt die Krise des Horens,
Die Umschichtung des Horerkreises, welche von entscheidenden Werken neuer und
gereinigten Auffuhrungen alterer Musik ausgeht, ist nicht mehr rein musikalisch zu ver-
stehen. Sie wird deutlich, wenn man heute etwa das Publikum eines von einem iiber-
ragenden und in der Mode stehenden Dirigenten geleiteten Abonnementskonzerts mit
dem Publikum einer Volksoper vergleicht. Dafi dieses iiberhaupt in die Oper kam, ist
nicht mehr aus rein kiinstlerischen Gesichtspunkten heraus zu erklaren. Das Problem
der Volksbuhne ist ein kulturpolitisches und von Fragen reiner Politik nicht zu trennen,
Hier, an dieser einzigen Stelle, tritt eine Uberschneidung ein, die keineswegs nur zu-
gegeben werden soil sondern auf welche gerade mit starkster Betonung hingewiesen
werden mufi.
Eine vorwartsgerichtete Kunstpolitik mufi sich audi hier auf eine von beiden Seiten
stellen. Die Entscheidung dafiir liegt wiederum ausschliefilich im Kunstwerk. Hatten
wir nicht Kunstwerke, welche einen andern Horertypus innerlich forderten, so wiiren
alle Bemuhungen um soziologische Erneuerung des Publikums vergeblich. Aber solche
Werke sind da. Sie beschranken sich durchaus nicht mehr auf die Oper (wenn die
ganze Frage audi hier am klarsten erkennbar wird), sondern greifen auch auf die andern
Gattungen der Musik iiber. Diesen Weg vorzubereiten und ebnen zu helfen, ersclieint
als eine der dringlichsten Aufgaben unserer Zeit. Wir gehen an sie heran, auch auf
die Gefahr hin, dafi die privilegierten Huter des Deutschtums sich iiber die Politisierung
der Musilc erregen mochten.
J
256
ROBERT ENGEL
Robert Engel (Berlin)
NEUE RUSSISCHE MUSIKLITERATUR
Gleichzeitig mit der soeben erscliienenen deutsclien Ausgabe der Chronik meines
musikalischen Lebens von N. A. Rimskij-Korssakoff (Deutsche Verlags-Anstalt,
Stuttgart) ist in Moskau die dritte, sehr gut ausgestattete, russisclie Auflage dieses unge-
wohiilichen Werkes herausgegeben worden. In einer tiefgriiiidigeii und breit angelegten
Einfiihrung zur letzteren erwahnt der Sobn des Komponisten Andreas Rimskij-Korssakoff
u. a. die bemerkenswerte Tatsache, dafi in der russischen Presse bisher eigentlich noch
keine Kritik dieses Bucbes gegeben worden ware, d. h., dafi eine erschopfende historisch-
ki'itische, psychologische und literarische Analyse der „ Chronik" noch immer auf sich
warten lafit. Ich glaube, da£ diese Analyse nur von einer dem grofien russischen Ton-
dichter ganz nahestehenden Person unternommen werden kann und darf, was ja teil-
weise durch die obenerwahnte Einfiihrung, die wir gern audi der nachsten deutsclien
Ausgabe beigefiigt sehen mochten, bestatigt wird. Darf aber eine Autobiographie von
solch ungeheurem Inhaltsreichtum, von hohem literarischen und kulturhistorischen Wert
iiberhaupt kritisiert werden ? Der Umstand, dafi der Verfasser sein intimes, sein Famdien-
leben mit fast schamhafter Schiichternheit umging, dafi er zu einigen Komponisten (z.B.
Mussorgskij ) eine andere EinsteUung als wir hatte, dafi einige Musiker, wie z.B. der
Kritiker Laroche oder der Dirigent Naprawnik etwas zu kurz abgeschnitten haben, kann
ihm durchaus nicht zum Vorwurf gemacht werden, denn er hat die Chronik seines
musikalischen Lebens geschrieben und diese ist, wie das sein Sohn Andreas sehr treffend
sagt „eine Widerspiegelung seiner tiefen Forscherbegier, seines unerbittlich ernsten kiinst-
lerischen Gewissens und riicksichtsloser Aufrichtigkeit im Verhalten zu sich und anderen".
Wenn die „Chronik" auch nicht die Moglichkeit gibt, iiber den Menschen Bimskij-Korssakoff
endgidtig zu urteilen — denn hierzu ist das Studium des reichhaltigen biographischen
Materials erforderlich — so widerspiegelt sich in ihr der Musiker — Bimskij-Korssakoff
so erschopfend, wie das nur hochst selten in Tonkunstler-Selbstbiographieii der Fall ist.
Das personliche Ich wird iiberall zugunsten des musncalischen Ich unterdrviclct. Daher auch
die Bezeichnung : Chronik meines musikalischen Lebens. Fiir die russische musik-
geschichtliche Literatur ist die „ Chronik" seit bald 20 Jahren ein wichtiger und unent-
behrlicher Born; sie wird als soldier auch fiir alle diejenigen unentbehrlich sein, die sich
bei uns so oder anders mit der Personlichkeit und dem Schaffen dieses Komponisten be-
schaftigen wollen.
Die deutsche Ausgabe ist nach der ersten russischen Auflage vom verdienstvollen
Vermittler russischer Musikkrdtur Oskar v. Riesemann mustergiiltig iibersetzt und mit
Anmerkungen versehen. Aufierdem ist dem Buch ein kinzes Vorwort A. N. Bimskij-
Korssakoff's beigefiigt, das dem deutsclien Leser zur richtigen Einstellung verhilft.
Es bleibt zu wunschen, dafi dieses fiir die zweite Halfte des vorigen Jahrhunderts
musikliistorisch ebenso wertvolle, wie menschlich schone Buch, auf dessen Einzelheiten
hier naher nicht eingegangen werden kann, auch beim deutsclien musikinteressierten
Leser den ihm gebiihrenden Anklang findet, da es nicht nur einen tiefen Einblick in
einen Abschnitt der russischen Musik- und Geisteskultur gewahrt, sondern auch Vergleiche
DIE NEUZEITLICHE DEUTSCHE VOLKSSCHULE 257
■ — man beachte z. B. die Schilderung einiger Auswiichse des Musiklebens — zu ziehen
ermoglicht. Ein Buch, das nicht warm genug empfolilen werden kann.
*
Die rulirige Musik-Sektion des Staatsverlages in Moskau, die audi die „Ghronik
meines musikalisclien Lebens" herausgab, hat die Biogr a phienserie m o denier
.1 (rich tiger ware gesagt: zeitgenossischer) russischer Komponist^en aus der Feder
| alter und jtingerer russischer Musikschriftsteller, wie Victor Beljajeff, Ssergej Bugoslawskij,
Anatoli] Drosdoff, Wassilij Jakowleff, Leonid Ssabanejeff und S. Tscheniodanoff in
deutscher und russischer Sprache (beides gleichzeitig in einem Bande) herausgebracht. Es
i sind sauber ausgestattete Bandchen, die ihrem Wesen nach keinen Anspruch auf Tief-
I griindigkeit und Wissenschaftlichkeit erheben, aber auf 30 bis 60 Seiten in leichtfafilicher
| Form, alles Wissenswerte uber das Schaffen und Leben russischer Komponisten sagen,
| die zum Teil vorlaufig nur in Rufiland, zum Teil aber auch weit liber die Grenze ihrer
I Heimat Anerkennung gefunden haben. Vorlaufig sind folgende Komponisten beachtet
I worden: Anatoli] Alexandroff, Ssergej Wassilenko, Alexander Gedicke, Reinhold Gliere,
f Michail Gnessin, JN'lichail Ippolitoff-Iwanoff, Alexander Krein, Nilcolaj Medtner, Nikolaj
| Mjaskowskij und Ssamuil Feinberg.
| Jedeni Bandchen ist ein Bild des Komponisten und das Verzeichnis seiner Werke
| beigegeben.
Hans Kuznitzky (Berlin)
DIE NEUZEITLICHE DEUTSCHE VOLKSSCHULE
Musikalische und korperliche Erziehung auf dem Berliner Kongrefi
Schon vor dem Weltkriege (gelegentlich der Weltausstellung in Liittich) hat ein
erster „Internationaler Volksschul-Kongrefi" stattgefunden. Geplante berufsstandische Zu-
sammenfassung wurde mitten im Aufbau durch den Kriegsausbruch verhindert. Erst
1927 gelang es in London die „Internationale Vereinigung der Lehrerverbande" zu
griinden, die sich als vornehmsten Aufgabenki'eis die Einrichtung eines Urkundendienstes
iiber das Schulwesen, eines Austauschdienstes fiir Kinder und Lehrer ersieht. — Dem
Berliner Lehrerverband whd man Dank wissen, weil er diesen Aufgabenkreis erstmalig
kongrefimaCigem Arbeiten erschlossen hat und zwar im Zeichen der Volksschi.de als der
gegebenen Grundlage des Schulwesens.
Fiir die uns hier angehenden Fragen der musikalisclien und korperlichen Erziehung
kann gesagt werden, dafi noch kein padagogischer Kongrefi ein so erfreuliches Uberwiegen
der Praxis gezeitigt hat, wie dieser. Ist schon an sich der padagogische Wirkungsraum
der Volksscbule am verhaltnismafiig wenigsten reflektorisch belastet, so kommt noch
hinzu, dafi Musik und Korperbildung organisch und mechanisch allzu ausgiebigem Referate-
spinnen sich widersetzen.
Fritz Jode, der werktatige Pionier zeitgenossischer Erziehungsarbeit, sprach iiber
musikahsche Ei'ziehung. Wir wissen, dafi er die Welt des Kindes als Ganzes
_J
258 HANS KUZNITZKI
„musikalisch", schwingend, tonend erfafit mid dafi sich ihm aus dem spontanen Mit-
teilungsbedurfuis des Kindes der Ansatzpunkt zu einem freundschaftlichen Vertrartens-
verhiiltnis zwischen Lehrer und Schiiler ergibt, auf Grund dessen die padagogischen
Erfordernisse, unbeschadet des schopferischen Eigenerlebnisses im Kinde in wohltatigem
Wechselverhaltnis sich auszuwirken vermogen.
Ein Lied aus dem kindlichen Eigenerlebnis als gestalteter Niederschlag zu gewin-
nen und im Bewufitsein zu bewahren, lebrt die Liedeinfiihrung. Das- Hervorrufen ge-
genstandlicher und gedanklicher Assoziationen, die zwanglos, auch unter Zuhilfenahme
korperrhythmischen Mitarbeitens hervorgerufen werden, lassen allmahlich im Rohbau
die Umrisse einer Liedweise erstehen. Maria Mantius wufite diesen Arbeitsgang mit
Madcben aus dem zweiten (!) Jabre der Grundschule sehr iiberzeugend darzutun. Bei
etwas alteren Kindern zeigte Ekkehart Pfannenstiel ,,Wege ins Lied" auf. Die ein-
driugliche Korperraumplastik der Tonika-Do-Handzeichen dieiit dazu, urn den Spursinn
fiir die Verlaufsgesetze der Melodie, ihre an- und abschwellenden Bogen, ihre Wende-
punkte und Abschnitte, ihre Periodizitat zu wecken. Im Anschlufi daran zeigt dann
die Vorfiihrung ,,Lied und Instrument" die Erarbeitung der Mehrstimmigkeit und der
die Kinder immer besonders anregenden A^ariation (WechseLvirkung von Vokal- und
Instrumentalchor in den verschiedensten Zusammensetzungen). — Fritz Jode selbst
machte Improvisationen, wobei es zu unverhofften und vielfach sehr ergotzlichen
Situationen kam. Die ministerieUen Richtlinien fur die Volksschtde „Die Musik soil
das Leben der Kinder mit Freude und Frohsinn erfiillen" sind hier in idealer Weise
verwirklidit und die tedweise hSchst aktive Mitwirkung der grofien Kinder im Zuhorer-
raum ergab die Bestatigung. Wie die Siime hier fiir die Unterscheidung feinster Ab-
stufungen in Wort und Ton gescharft und zur Aufflndung von Losungen gemeinschafts-
bildender Verbindlichkeit angeregt werden, das iiberzeugt unmittelbar. — Aus der
markischen Tanzki'eisbewegung sind die Bestrebungen von Bernhard Schmidt hervorge-
gangen, das Tanzlied aus dem Eigenrhythmus des kindlichen Korpers aufzubauen. Vor-
gange und Begehungen des schaffenden Lebens werden aus der Anschauung dieser
Madclien krinstlerisch gestaltet. Tanze wie etwa das „"Weberschiffchen" in absoluter
Ubereinstimmung von Wort, Weise und korperlicher Verraumlicliung sind wirklich erfiillt.
Wir durfen hier eine der wirksamsten Waffen gegen Verkitschung und Verspiefierung
der Kindesseele erbliclcen, die obendrein noch den Vorted hat, durch Position, nicht
durch einseitig zersetzende Negation zu wirken. — Die „Offene Singstunde", die Jode
abhielt, gab zum ersten Male einer grofieren Teihiehmerschaft Gelegenheit, Einblick in
das vom Geiste der Musik erfiillte Gemeinschaftsleben junger Menschen zu gewinnen,
das aus eben diesem Geiste bewegende Krafte zur schopferischen Gestalt verdiclitet.
Im Verlaufe dieses Kongresses konnte die Musik notn^endigerweise nur als Teil-
gebiet sich manifestieren. Die gewonnenen Erfahrungen, besonders hinsichtlich des
Uberwiegens von Praxis iiber Theorie nutzbar zu machen, miifi Aufgabe zukiinftiger.
musikpadagogischer Kongresse bleiben.
MAX ETTINGER: „FRUHLINGS ERVACHEN" 259
I Ernst Latzko (Leipzig)
f MAX ETTINGER: ,,FRUHLINGS ERWACHEN" (nach Wedekind)
ik Urauffiihrung am Neuen Theater in Leipzig
Es ist uicht ganz leiclit, fiber dieses niclitssagende Werk etwas zu sagen. Damit,
dafi Ettinger uberhaupt auf die Idee verfiel, Wedekinds Kindertragodie, die sicb in
ihren wesentlichsten Teilen der Musik verschliefit, in Musik zu setzen, dafi er zur Er-
reichung dieses Zweckes das Stiick fast in sein Gegenteil umbiegt und aus dieser An-
klage gegen Eltern und Lehrer eine sentimentale Liebesgeschichte herausdestilliert, war
die Lebensunfahigkeit dieses Versucbes am untauglicben Objekt scbon besiegelt, bevor
audi nur eine Note der Musik geschrieben war.
Man vergleiche eininal den SchluG des ersten Aktes bei Wedekind und bei Ettinger,
die in ihren sadistischen und masochistischen Aufierungen sicher wenig appetitlich aber docb
wenigstens folgerichtig und zielbewufit durchgefiihrte Szene erwachender Sexualitat mit deni
kokett-ruhrseligen Liebesgeplankel und man weifi sofort, welch er Abgrund Ettinger von
Wedekind trennt. Das Problem, das Wedekind anschneidet, ist so heikel und mimosenhaft,
dafi es vielleicht besser nie auf die Buhne gekommen ware; aber es ist auch so ernst,
dafi, wenn man den Versuch der Dramatisierung wirklich macht, es auch nicht verzartelt
und verweichlicht werden darf, sondern in seiner ganzen Herbheit angepackt werden mufi.
So hatte also auch eine weniger farblose Musik an dem Gesamtergebnis wenig
andern konnen. Das Einzige, was an dem Musiker Ettinger sympathisch berixhren mufi,
ist die Bescheidenheit und Aufrichtigkeit, die ihn vor Exkursionen in ein ihm wesens-
fremdes Gebiet bewahren. So schreibt er. mit beiden Fuften in der Romantik stehend,
eine Musik, die in ihrer molluskenhaften Verschwommenheit wenig zu den Forderungen
der jetzigen Zeit passen will. Aber von diesen Stilfrageii ganz abgesehen, weder das
Konnen noch die Erfindung Ettingers sind stark genug, um im Iirirer das Gefidd einer
Notwendigkeit hervorzurufen. Dieses ewige Tremolo, diese stereotypen Begleitungs-
figuren, dieser Verzicht auf Polyphonie, sie verlangten zuin Aquivalent eine melodische
Kraft, mit der etwa Verdi alle theoretischen Einwande zum Verstummen bringt. Aber
nach der wird man vergeblich suchen. Was fiir Musiziermoglichkeiten hatten die neun
Zwischenspiele zwischen den kurzen Bildern bieten konnen. Dieser haufige Szenen-
wechsel ist eigentlich der einzige Moment bei Wedekind der nach Musik verlangt. Man
denke einmal an „Pelleas und Melisande", selbst an das ..Jntermezzo" — um sich
sagen zu mussen, dafi hier nichts von der Gestaltungskraft, von dem Vermogen, den
Horer aus einer in die andere Stimmung zu fuhren, vorhanden ist.
Bei dieser seiner Einstellung hatte Ettinger sicher noch besser getan. den AVede-
kindschen Scldufi des Werkes zu andern. An der Symbolik des vermummten Herrn,
an der tragischen Groteske des kopflosen Moriz muBte seine einformige Sentimentalitat
Schiffbruch leiden. Das war sogar an der Wirkung auf das Publikum zu bemerken, das —
zunachst durch die Unproblematik der Musik sichtlich angenehm iiberrascht, durch den
haufigen Szenenwechsel vor jeglicher Langeweile bewahrt — mit diesem Schlufi nichts
Bechtes anzufangen wufite. Immerhin brachte die ausgezeichnete Auffuhrung unter
der musikalischen Leitung Brechers und der szenischen Briigmanns dem Werk einen
unwidersproclienen groUen Erfolg.
260 HEINRICH STROBEL
MUSIKLEBEN
Heinrich St rob el (Berlin)
ZEITSCHAU
Sommersaison: die Prominenten gelien auf Reisen. Bruno Walter hat die
Londoner Opern-Season eroffhet. Wieder gastieren eine Reihe hervorragender deutscher
Kunstler an der reprasentativen Opernbiihiie Englands. Die Wiener Oper spielt in
corpore in Paris, das immer wieder am starksten lockt. Zimi Ausgleich fahren die
Mitglieder der Kolner Oper nach Wien. Man begann mit „Fidelio" und „Don Giovanni".
Starker Erfolg bei Pnblikum und Presse. Gewifi: diese Gastspiele sind wenig be-
zeichnend fur die wirklich schopferischen Krafte und Ideen des deutscben Operntheaters.
Aber sie fordern, iiber das gesellschaftlicb Sensationelle hinaus, die geistige Annaherung
zwischen Frankreicb und Deutschland. Sie tragen dazu bei, dafi sich die Nachwehen der
Kriegspsychose allmahlich verlieren. Audi Furtwangler besucht auf der tradition ellen
Reise mit seinen Berliner Philharmonikern im Mai Paris und dirigiert dort zum ersten
Male. Die Reise begann diesmal in Kopenhagen, wo man Dirigenten imd Orchester
mit Ehrungen iiberhaufte, und wird in der Schweiz enden.
Jubilaen und Festtage mehren sich. Man lafit keine Gelegenheit voriibergehen,
sie zu feiern. Man lafit sich ehren, man gratuliert sich gegenseitig. Ein schones, viel-
leicht auch verdienstliches Bemuhen - in dem Mafie, wie es augenblicklich gepllegt
wird, aber auf jeden Fall ubertrieben und unproduktiv. Billige Schonrederei schiefit
iippig ins Kraut. Wir sehen auch, wohin Geschaftigkeit und Ehrgeiz das Schubert-
jubilaum gefiihrt haben: es ist die sommerliche Fremdenattraktion der Stadt Wien
mit ihrem goldenen Herzen.
Vor einiger Zeit eroflhete Franz Schreker den Reigen musikalischer Geburtstags-
jubdare. Es gab ein Sonderheft und viel Gluckwiinsche. Jetzt folgte Max v. Schillings,
der sympathiscbe und geistvolle Kampfgenosse eines Richard Straufi. Es gab wieder
ein Sonderheft und noch mehr Gliickwiinsche. Inzwischen ist Straufi selber schon
wieder am Jubilaum, zwar nur mittelbar — die Genossenschaft deutscher Ton-
setzer, der er vorsteht, beging ihr 25 jahriges Bestehen. Ihr bleibendes Verdienst:
daft sie als erste Organisation die Verwertung musikalischer Aufmhrungsrechte plan-
mafiig durchfiihrte. Es diirfte interessieren, dafi „die neu begrvindete Sonderabteilung
fiir mechanische Rechte im Geschaftsjahr 1927 einen Zuwachs von 229 Prozent an ver-
einnahmten Lizenzgebuhren erzielt hat" - ein zahlenmiifiiger Beweis fiir den enormen
Aufschwung der mechanischen Musikixbung. Dabei erfafit die GDT nur einen Teil
der Auffiihrungsrechte. Man darf bedaufig erwahnen, dafi es zwischen der GDT und
ihrer Konkurrenzorganisation, der Gema, in letzter Zeit heftige Auseinandersetzungen
wegen der Verteilung von Bundfunk-Rechten gegeben hat.
ZEITSCHAU 261
Noch em Jubilaum : die Hamburger Philharmonic, eines der konservativsten
Konzertinstitute, besteht hundert Jahre. Sie gibt representative Festabende grofiten
Stils. Muck und Pabst dirigieren. Kreisler spielt das Beethovenkonzert. Das Programm :
xiur Musik des 19. Jahrhunderts, welche diese Art von Konzertauffiihrung voraussetzt.
Es ist nicht immer Voreingenommenheit und Boswilligkeit, wenn die an philharmonischen
Traditionen gewohnten Horer zu neuer (und, seien wir offen, alter) Musik kein Ver-
haltnis [linden — sie ruht auf anderen soziologisclien Voraussetzungen, ist nicht zur
inneren Erhebung einer tausendkopfigen Horerschaft geschrieben, verlangt eine andere
Kunstgesinnung, die wenigstens bei den alterern Horern unserer groUen Konzertinstitute
kaum erwartet werden kann. Sie klammern sich begreiflicherweise in dieser Zeit umso
fester an representative, nach riickwarts gerichtete Feiern, spiegeln sich bei dieser Ge-
legenheit eine Welt vor, die in Wirklichkeit garnicht existiert.
Die Aufgabe der wirklich zeitbewufiten Dirigenten mufi es sein, die vielfach in
der Nachahmung einer gestrigen Praxis steckende Konzertpflege wieder zu einer leben-
digen auszugestalten und den noch nicht verkalkten aktivierungsfahigen Teil der Horer
zu einer heutigen Musikgesinnung zu erziehen. Es wird sich zeigen, ob das im her-
kommlichen Auffuhrungsbetrieb moglich ist. Es ist notwendig, dafi moderne Dirigenten
endlich an die verantwortlichen Stellen kommen. "Wir brauchen Verjiingung. Manche
grofie Musikstadt Deutschlands konnte sich ein Beispiel an Konigsberg nehmen, die
Hermann Scherchen als Leiter ihrer Konzerte und als musikalischen Direktor des
Ostmarken-Rundfunks berufen hat. Ubrigens wird audi der um die Pllege neuer Musik
in Oldenburg sehr verdiente Werner Lad wig nach Konigsberg gehen und zwar als
erster Kapellmeister der Oper. Dem Konigsberger Kunstleben wird diese grundliche
Auffrischung gut tun.
Als Oberleiter der Diisseldorfer Oper wurde der aufierordentlich befahigte junge
Berliner Dirigent Jascha II or ens t ein verpflichtet.
*
Zur Eroffnung der umgebauten Staatsoper Unter den Linden in Berlin
hat der Leiter ihrer Pressestelle, Dr. Julius Kapp, eine Festschrift ,,125 Jahre Staats-
oper" (Atlantic-Verlag) herausgegeben. Kapp umreiiit die Geschichte des Instituts in
einem ebenso wissenschaftlich griindlichen wie anschauhchen Leitaufsatz. Anschliefiend
eine Auffiihrnngsstatistik, die aufierst aufschlufireich ist. Der meistgegebene Komponist
in 185 Jahren, obwohl erst ein Halbjahrhundert auf dem Spielplan, ist natiirlich Wagner,
mit tausend Auffuhi'ungen weniger folgt Mozart, beinahe anderthalb Jahrhunderte im
Repertoire; auf gleicher Hohe: Verdi und Meyerbeer. Unter den Einzelwerken aber
erreicht die hochste Auffuhrungszahl nicht Wagner, sondern Weber mit seinem „Frei-
schiitz". ,,Fidelio " und „Cavalleria" kommen sich gleich — typisch fur die Situation des
deutschen Operntheaters. Noch interessanter aber die Urauffixhrungen. In der ersten
Halfte des 19. Jahrhunderts zwei bedeutende Premieren: „Freischutz" und „Lustige Weiber".
Wahrend der fast siebzigjahrigen Ara Hulsen-Hochberg-Hiilsen-Haeseler nur drei Ur-
auffuhrungen: „Goldenes Kreuz" von Briihl, „Evangelimann" und „Roland" von Berlin
(Leoncavallo). Kunstniveau der letzten Hohenzollern! Seit 1 923 allein sieben Urauffidirungen
mit bedeutenden Namen wie Ki-enek, Strawinsky, Berg, Weill.
262 HEINRICH STROBEL
„MELOS" hat in den letzten Wochen bei einigen wackeren Kampen galliges Ent-
setzen erweckt, das sie in diversen Artikeln abreagieren. Es ist sinnlos und nnfruchtbar,
darauf einzugehen. Aber Spafi soil sein. Wir konnen es nicht verantworten, unsern
Lesern einige Zitate aus dem (uns bislang unbekannten) „Stimmwart" vorzuent-
halten, der in derselben Nummer die zweite Fortsetzung eines Aufsatzes viber „Der
Fluch Alberichs, eine Vokal- und Konsonantenstudie" bringt — man sieht, welche Pro-
bleme ihn qualen. Der „Stimmwart" also laGt sich wie folgt vernehmen:
„Es handelt sich im Melos urn eine ganz bestimmte Tendenz, die von alien Kunstbeflissenen
st an dig verfolgt, niedriger gehangt und mit ] alien nur denkbaren Waffen bekampft werden sollte.
Diese Tendenz der Zeitschrift „Melos" arbeitet teils versteckt, wie ein schleichendes Gift, teils ganz
offen mit dem riicksichtlosen Hasse ernes Bolchewisten und geht dahin : einmal in die Kunst die Politik
und zwar die Politik des Kommunismus einzuschmuggeln und an Stelle der Metaphysik der Musik
den nackten, oden Materialismus zu betonen und damit alles, was deutsch und religios (besonders
christlich) ist, zu verhohnen imd unsere Kultur, die das Fundament unseres Lebens ist, zu untergraben.
Das ist der allgemeine Eindruck, den die „melodischen" Druckseiten auf jeden Parteilosen liervorrufen.
Ein ganz gewolmlicher, „satanischer" Geist spricht aus ihnen.
. . . Der Zufall wollte es, dafi anlafilich der Auffuhrung seines Opernwerkes „Oedipus Rex"
Strawinsky, der Abgott der „Modernen", in einer illustrierten Zeitung mit dem Dirigenten Klemperer
abgebildet wurde. Ich erschrak iiber diese verwaschene Physiognomic Alles andere als ein Haupt,
in dem geistige Krafte ringen. Vergleichend mit dem Kopf eines Wetz rief ich unwillkurlich aus:
Solch ein trefflicher Monarch !
Apoll bei einem Satyr I (Hamlet) 1 '
Dann vergniigt sich der „Stimniwart" ausfuhrlich mit verscliiedenen Aufierungen des
Schreibers dieser Zeilen, dessen „Verstand ebenso vertrocknet wie sein Std", um
schlie£lich zusammenzufassen :
,,Da6 ein mit dem Titel Prof. Dr. vcrsehener Herausgeber, von dem man doch Gefiihl fiir
ein lesbares Deutsch erwarten darf, solchen mit hilflosesten Ausdriicken geschriebenen Unsinn durch-
gehen liifit ! DaK es sich noch der tote Wagner, der zu Lebzeiten von einer dem „Melos" nahver-
wandten Presse alles Unter-Menschliche gefallen lassen mu6, dafi er . . . (Wo bleibt das Stilgefiihl,
Ihr Stimmwartei'? Der Zitator) . . . ach was rede ich? Musikschreiber vom Schlage der Mei'3mann,
Strobel Of Co., denen man schon an ihrem Stil anmerkt, wie so ganzlich ohne Liebe, ohne Feuer>
ohne jede hohere Leidenschaft, wie so bar jeglichen Geistes sie sind. . . . dafi solche Stieflcinder der
Kunst sich auf den Thron des Kiinstlers setzen und die Stirn haben, entscheiden zu wollen, was
Kunst ist, wie der Kiinstlcr zu komponieren hat, wclchen Rang er einzunehmen hat . . ., wo ist
die Geifiel, die Hand, die solche Schadlinge der Kunst aus dem Tempel peitscht ?•'
Der „Tempel der Kunst" mit dem Thronchen epigonaler Apollos, umnebelt vom
feierlichen Gefasel des ,,Stimmwart" — wir Melosleute wollen uns da drinnen nicht lang-
weilen, wir ffihlen uns wohler drauKen in der frischen Luft, inmitten unserer Satyren.
NACHRICHTEN
KLEINE BERICHTE. „Sinfonie"; 2. Preis (250 Dollar) Kurtv. Wolf urth
Aus dem internationalen Wetlbewerb, den die (Berlin), ,,Variationen und Chara kterstiicke
Columbia Phonograph Comp. Ltd., New-York an- iiber ein Thema von Mozart", 3. Preis
lafilich der Schubert-Feier ausgeschrieben hatte, gingen (,,Ehrenzeugnis") Johann C. Berghout (Arnhem),
in der deutsch-hollandischen Zone als Preistrager her- ..Sinfonie Gdur". Einige andere sehr beachtenswerte
vor: 1. Preis (750 Dollar) Hermann Wunseh (Berlin), Werke konnten nicht in Betracht gezogen werden,
NACHRICHTEN
263
da sie den Bedingungen des Ausschreibens nicht ent-
sprachen. Die Jury, welche unter den 30 preisge-
kronten Werken aller 10 Zonen den internarionalen
Hauptpreis von 10000 Dollar zu bestimmen hat,
wird im Juni in Wien tagen.
Auf Einladung von Mary Wigman haben sich
bedeutende Schulen des modernen kunstlerischen
Tanzes und die daraus hervorgegangenen Tanzer,
Padagogen und Regisseure zum Fachverband „Deutsche
Tanz-Gemeinschaft E. V.", Bund fur tanzerische
Korperbildung (Berlin), zusammengeschlossen. Es soil
eine entschiedene Front des neuen kunstlerischen
Tanzes darstellen. Vorstand: Mary Wigman, Valerie
Kratina, Graf Palucca, Jutta Klamt, Margarete Wall-
mann, Yvonne Georgi, Vorsitz : Dr. Felix Emrael,
Am 3. Mai fand die Eroffnungsfeier der Funkver-
suchsstelle bei der Staatlichen akademischen Hoch-
schule fur Musik in Berlin-Charlottenburg, Fasanen-
strasse 1 statt. Neben TJbertragungen wurden Vor-
triige mit Lichtbildern und Filmvorfuhrungen sowie
mit praktischen Versuchen durch Prof. Dr. Leithiiuser
und Prof. Dr. Schunemann gehalten.
AUFFDHBUNGEN
„Die Rache des verhohnten Liebhabers",
Oper von Friedrich Wilde ens gelangt am 19. Mai
in Braunschweig zur Urauffuhrung.
Hindemiths Konzert fur Viola d'amore und
Kammerorchester, op. 46 Nr. 1 hatte bei seiner Ur-
auffiihrung durch den Komponisten in K6ln einen
bedeutenden Erfolg.
Anlasslich einer vom 9. bis 17. Juni in Swine-
miinde stattfindenden Festspielwoche wird die deutsche
Uraiiffiihrung der G 1 u ck ' schen Oper „L'Ivrogne
corrige" in der Bearheitung Vincent d'Indy's
stattfinden.
Das neue Chorwerk von James Simon
„ H y m n u s an das L e h e n " gelangt in Dresden
demnachst zur Urauffuhrung.
„Die schwarze Kammer", eine heitere Oper
in 3 Akten, Text und Musik von Ernst R o t h e r s
wird Anfang Oktober in Darmstadt als Festoper ge-
legentlich des Tonkunstlerfestes des RDTM urauf-
gefiihrt.
Wiesbaden brachte als Urauffiihrung die drei
Einakter voii Ernst Krenek ,,Der Diktator",
„Das geheime Konigreich" und „Schwerge-
wicht oder die Ehre der Nation".
„Nero" von Arrigo Boito erlebte am 5. Mai
an der Staatsoper Stuttgart die deutsche Urauf-
fiihrung.
Am 27. April fand in Dresden die Urauffuhrung
J. G. Mraczeks ,,Variete", Szenen fiir Orchester,
statt.
In Elherfeld wurde das Chorwerk „Heilands-
klage" von Hermann Grabner zur Urauffiihrimg
gebracht.
Das Leipziger Sinfonie-Or Chester hat
das erste deutsche Konzert ohne Dirigenten mit Er-
folg veranstaltet. Die Anregung kommt aus Rufi-
land, wo man die Moglichkeit des kollektiven kunst-
lerischen Musizierens mit fiihrerlosen Konzerten
heweisen will.
Wiesbaden brachte „Die Entfiihrung der
Europa", „Die verlassene Ariadne" und „Der
befreite Theseus" von Darius Milhaud zur
Auffiihrung.
Im Essener Opernhaus wurde „Salat", Ballett
von Darius Milhaud uraufgefiihrt.
Von Walter Braunfels kamen kiirzlich zur
Urauffiihrimg: „KIeine Messe v.o m alle'r-
heilig-sten Nam en Jesu" in Solingen und das
Org el konzert in Leipzig.
In Miinchen fand die Urauffuhrung des Chor-
werks „Werkleute sind wir" von K. Marx statt.
In Berlin steht die Urauffuhrung der Kantate fiir
Chor, Tenor solo und Kammerorchester von Wolf-
gang Jacobi bevor.
Verdis „ Macbeth" wurde in Dresden urauf-
gefiihrt.
PERSONLICHE NACHRICHTEN
Prof. Dr. Arthur Seidl, Lehrer fiir Musikge-
schichte, Literatur und Asthetik am Leipziger Kon-
servatorium, Musikschriftsteller und Dramaturg ist
am 11. April in Dessau verstorben.
Emil Bohnke verungluckte am 11. Mai todlich.
Die Pianistin Else C. Kraus hat einen Buf an
die Staatl. Akademie fiir Kirchen- imd Schulmusik
in Berlin angenommen.
Heinz J o 1 1 e s wurde an die Kolner Hochschule
fiir Musik (Klavierfach der Schulmusik -Abteilung) und
an die Kolner Bheinische Musikschule (Ausbildungs-
klasse fiir Klavier) berufen.
Egon Petri hat einen Buf als Leiter' der Klavier
klasse an das Konservatorium Krakau angenommen.
Heinz Bongartz wurde als Generalmusikdirektor
des Staatlischen Kurorchesters in Bad Nauheim ver-
pflichtet.
AUSLAND
Diese Rubrik befindet sidi im Aiisbau und soil systema-
tisch auf alle Lander ausgedehnt werden.
Ein neues Orchesterwerk „D e r Do m" (Pralu-
dium-Passacaglia-Finale) von Fred G. Hay (Genf)
fand bei der Urauffuhrung in Bern starke Beachtung. —
Ein Concertino fiir Klavier und Orchester von
Conrad Beck kam in einem Straram-Konzert mit
Walter Frey (Zurich) als Solisten zur erfolgreichen
Urauffiihrmig. — Hindemiths „Hin und zuriick"
kommt zusammen mit E. T o ch s „Die Prinzessin auf
der Erbse" in Basel zur Schweizer Erstauffiihrung. —
Die Schweizer Uraufftihrung von Othmar Schoecks
„Penthesilea" fand am 10. Mai am Ztircher Stadt-
theater statt. — Walther Schulthess' neue Lieder
nach Gedichten von Karl Stamm fanden in Luze'rn
und Zurich starkste Beachtung. — KreneksKla-
264
MUSIKLEBEN
vierkonzert unci seine . zwei Suiten op. 26
brachte Franz Josef Hirt in Bern zur Erstauffilhrung. —
In Basel hat eine Tagung von Musikforschern aus
acht Lfindern in Ausfiihrung der Beschliisse der vor-
angegangenen Wiener Tagung zur Griindung einer
Internationalen Gesellschaft fiir Musikforschung gc-
fiihrt. Als Mittel wurden festgelegt : ein standiges
Auskunftsburcau in Basel, Kongresse, historische Kon-
zerte und bei zureichenden Mitteln eine Zeitschrift.
Giuseppe Mule's Oper ,, D a p h n e " hatte in
Bom einen bedeutenden Erfolg. — Das Konserva-
toriura in Parma bat als erstes einen Lehrauftrag
fiir Geigenbaukunst erteilt und in diese Stellung den
geschatzten Geigenbauer Gaetano Zarabotto be-
rufen. — Gegenwartig tagt in Rom die Internatio-
nale Urbeberrechts-Konferenz. Im AVesentlichen han-
delt es sicb um eine Revision des Berner Uberein-
kommens vom Jahre 1908 und um eine Anpassung
der Bestimmungen an die Verhaltnisse, die durch das
Aufkommen der Schallplatte, des Films und des
Rundfunks gescbaffen sind. Weiter steht die Frage
der Verlangerung der Schutzfrist auf der Tages-
ordnung.
In Paris hatte de Falla's „Ein kurzes
Leben", „Lieb esz aub er" und „Meister Pe-
dros Puppenspiel" bedeutenden Erfolg. —
Milhauds Violinkonzert gelangte in Paris zu ein-
drucksroller Viedergabe.
H i n d e m i t h ' s „ K o n z e r t f ii r O r ch e s t e r "
war der bedeutendste Erfolg der Biiisseler Konzert-
saison. — Casella's „ Partita" erweckte bei der
Auffuhrung in Briissel grofies Interesse. — Die „Nou-
veaux Concerts d'Anvers" brachten unter der Mit-
wirkung des ausgezeichneten Chores „CaciIia" wichtige
Fragmenle aus „L'Orestie" von Milhaud zur Auf-
fiihrung.
Der Kongrefi der ^British Music Society"
findet im Mai in Bornemouth statt. — Die „ S i n -
f o n i e in e - m o 1 1 " von Arnold B a x hatte in Lon-
don starken Erfolg.
In Kopenhagen wurden uraufgefiihrt : Karl
Nielsen, „ Adagio und Impromptu fiir
Klavier" und „ P r a 1 u d i u m und Presto" fiir
Solovioline. Der Musikverein brachte Ravel's
„ D a p b n i s und C h 1 o e " und d e F a 1 1 a ' s
„Liebeszauber" zur Auffuhrung.
Mit Mirkung vom 1. 4. 28. ist Finnland der
revidierten Berner Ubereinkimft von 1908 beigetreten.
In Leningrad fand Straw ins ley's „ Oedipus
Rex" als Eistauffiihiung begeisterte Aufnahme. —
Die Leningrader Oper bringt im Juni die russische
ErstaufTuhrung von „Jonny spielt auf". — Die
Akademische Oper in Moskau beschlofi furs nachste
Jahr eine durchgreifende Erneuerung ihres Spielplans
mit starkerer Beriicksichtigung der deutschen Oper.
In Prag wurden „ P i 1 o m e 1 a und i h r N a r r "
von Malipiero und „Akaga" von Provaznik
uraufgefiihrt.
Das Budapester Konigl. Opernhaus beabsichtigt
in der kommenden Spielzeit Bachs „ M a 1 1 h a u s -
Passion szenisch zur Auffuhrung zu bringen.
In Konstantinopel wurde vor eiiiiger Zeit das
,,Nationale Konservatorium" gegriindet, welches sich
zum Ziel setzt, Musiker heranzubilden, die in der
Lage sind, an die Stelle der im Lande tatigen aus-
landischen Musiker zu treten.
VERSCHIEDENES
Voraussichtliches Programm des VI. Musikfestes
der Internationalen Gesellschaft fiir Neue Musik in
Siena (Beginn friihestens 10., spatestens 17. Septbr.):
I. Konzert; Tomasini, 2. Streichquartett ; K. Haba,
Sonatine fiir Flote und Klavier, op. 13; Hindemith,
Kleine Klavierstiicke aus „Klavieiiibungen, Teil II" ;
Ravel, Sonate fiir Violine und Klavier ; v. Zemlinsky,
3. Streichquartett (C dur).
II. Konzert : Bridge, 3. Streichquartett ; Tiessen,
Duo fiir Violine und Klavier, op. 35 ; v. Webern,
Trio fiir Violine, Viola und Cello, op. 20 ; de Falla,
Konzert fiir Cembalo und fiinf Instrumente ; Blum,
Musik fiir acht Instrumente.
III. Konzert; Martinu, 2. Streichquartett; Alfano,
Sonate fiir Cello und Klavier ; Prokofieff, Quintett
fiir Oboe, Klarinette, Violine, Viola und Bass, op. 39 ;
Bloch, Quintett fiir Klavier und Streicher.
Rahmenkonzerte u. a. : T. Walton, „Fassade" fur
Bezitation und Instrumente ; Haba, Diskurs iiber
Vierteltonmusik ; E. F. Burian, Voice-band-Musik ;
Strawinsky, ,,Noces" ; Konzerte alter italienischer
Musik (Sixtinische Kapelle, Augusteumorchester).
Das Zentral-Institut fiir Erziehung und Unter-
Berlin veranstaltet in Gemeinschaft mit dem Reichs-
verband Deutscher Tonkiinstler und Musiklehrer vom
28. Mai bis 2. Juni in Kassel einen „Ersten Fort-
bildimgs-Kursus fiir Privatmusiklehrer und Musik-
lehrerinnen". Anmeldungen bis 20. Mai an Fraulein
von Meibom, Kassel, Standeplatz 10.
Der diesjahrige zweite deutsche Tanzer-Kongrefi
ist fiir die Tage vom 22. bis 26. Juni in Essen vor-
gesehen.
Vom 20. bis 22. Mai linden die historischen
Konzerte in Bruchsal statt. Zur Auffiihrung gelangen
nur Kompositionen des 18. Jahrhunderts, die aus dem
GrSilich Schonborn'schen Musik-Archiv ausgegraben
wurden.
Der Tonika-Do-Bund e.V. kiindigtArbeitstagungen
fiir Musiklehrer in Baden und .in Schlesien an.
Nahere Auskiinfte erteilt die Geschaftsstelle Berlin W 57,
Pallasstrafie 12.
. Zu diesem Heft gehort eine vierseitige Notenbeilage. Aufierdem liegt der .Jahres-
bericht 1928" iiber „Zeitgenossische Musik aus dem Verlage B. Schott's Sohne" bei.
265
Soeben erschien
THEORIE
DER TONART
Von Dr. Custav Gtildenstein. Mit zahlreichcn
Notenbeispielen. Geh. M. 6.50, in Lwd. geb. M. 8.—
„Keine tier mir liekannLen Harmonielehrcn hat in
so exaktcr, wissenschnftlichcr Form einc Brticke von der
. alten Musiktheorie zuni lebendigen Musikschaffen unserer
Tage geschlngen, wie die des Dr. Guldenstein".
Prof. Felix Pctyrek, Allien
„Dieses Buch gehort zu den ersten ganz produktiven Ver-
suchen, Gesichtspunkle nnd Arbeitsmethoden einer exakten
Phaenomenologie ouf die Musik anzuwenden."
Prof. Dr. H. Mersmann im „Mclos"
„Das Buch ist reich an wertvollen und verbessernden
Vorschldgen und Beitriigen fur die Melodie- iind Harmonie-
lehre. Es ist offenbar aus der lebendigen Lehrpraxis und
im Nachdenken iiber den kimstlerischen Sloff insbesondere
hinsiclitlich seiner Lehrbarkeit entstanden.'*
Prof. Dr. R. G'sdirey in der NMZ
Ernst Klett (Carl Griininger Nachf.)
Stuttgart
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Eine bedeutsame ■Neuerselieiming
der deutschen Musikwissenschaft. :
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Die Estensischen
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Thematisches Verzeichnis mit Einleitung.
Grofioktav, 232 Seiten, Mit zahlreichen Notcn-
beigaben.
Geheftet Mk. 8. - , in Ganzleinen Mk. 10. -
"Wien besilzt in der beruhmten Estensischen Musiksnmm-
lung eine der bedeutendstcn Instrumenten-Sammlungen
des Konlinents. Dieser IiisLrunienlensnmmlung angeglicdert
ist eine Musikaliensnmmlung mit reichen tuid heute noch
meist unbeknnnten Schiitzen an Manuskripten, die nur
cinmalig in dieser Sammlung vorhanden sind. Dr. Robert
Haas, der Vorstand der Musikobteilung an der National-
bibliotliek zuWien, hat das Verdienst in dem vorliegenden
AVerke diese reichen Schiitze der OlTcntlichkcit zuganglich
gemacht zu hahen.
Gustav Bosse / Regensburg
Niitzliches Festgeschenk
Fiihrer durch die
Violinliteratur
Verzciclinis ausgewahlter Werke fiir Violine, Bratsclie und
Kammermusik, zusammengestellt von
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mit viersprachiger Einleitung. Musikalien aller Lander
enthaltend, ca. 1600 Komponisten. Unentbehrlich fiir alle
Violinisten, Lehrer und Schuler, sowie fiir alle sich urn die
Kammermusik interessierenden Musiker. Preis des 295seit.
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Darstellung und Kritik. Von Priv. -Doz. Dr. Arnold
Schmitz-Bonn. M. 9.— , geb. M. 11.—
*,Zeigt des Tondich ters cigene Stellung zur Romantik in
seiner Kunst und seinem Leben auf, womit gleichzeitig
eine garize grofle Charakterologic und "Welt- und Kunst-
ausscnauungslehre des Tonmeisters gebolen wird. . . Gehort
zum Besten, was das Gedenkjahr an neuen Schriftwerken
gebracht hat." Dr. M. Unger in der Musik
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Hire Bedeutung fiir Themen- und Satzbau. Von Priv.-Doz.
Dr. Arnold Schmitz-Bonn. M. 3. — / „Ein sehr wertvoller
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ARTIBUS ET UTERIS, Gescllscliaft fiir Kunst- und Literaturwissenschaft m. b. II., POTSDAM
266
ALEXANDER
TSCHEREPNIN
KOMPON
UND
PIANIST
ST
Q Solist in Orchesterkonzerten
Klavierkonzert Nr. 1 FDur
(Verlag Schott)
Klavierkonzert Nr. 2 a moll
(Verla g Heugel)
Die Konzerte sind leicht auffiihrbor und bencitigen
nur eine Orcllesterprobe. Beide Werke sind eintedig
und konnen on einem Abend zur Auffuhrung gelangen.
Ansicbtsmaterinl stebt zur VeW'iigung.
Sonatenabende mit dem Cellisten
PAUL GRUEMMER
Werke von Tsclierepnin, Prokofieff,
Mjaskowsky, Marx, Reger u. a.
+ KLAVIERABENDE
Eigene Kompositionen und Werke
moderner russischer Autoren.
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Alle Anfragen an die Konzerdirektion
I T H M A
Wien I, Schellinggasse12
Tel. 72 47 — Telegr. Musikithma Wien
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267
DIE KUNSTLER DER ITHMA:
(All«invertretungen)
• SOLISTEN IN ORCHESTERKONZERTEN
SER6E PROKOFIEFF
BELA BARTOK
ERNST TOCH
EDUARD STEUERMANN
ALEXANDER TSCHEREPNIN
LOUIS W. KRASNER
RUZENA HERLIN6ER
GASTDIRIGENTEN
NIKOLAI MALKO
6RE60R FITELBER6
STEFAN STRASSER
KAMMERMUSIK
spielt sein 2. und 3, Klavierkonzert
spielt sein Klavierkonzert und Rhapsodie op 1
spielt sein Klavierkonzert
spielt moderne und klassische Klavierkonzerte
spielt seine 2 Klavierkonzerte
spielt das Violinkonzert von Achron und klassische
Violinkonzerte
singt Berg, Bruchstiickc aus „\Vozzeck", slavische
Gesa'nge und klassische Arien
Direktor der Philharmonie in Leningrad. Moderne und
klassische Werke, insbesondere russische Programme.
Direktor der Philharmonie Warschau, Moderne und
klassische Werke, insbesondere polnische Programme.
Moderne und klassische Werke, insbesondere ungar-
ische Programme (Bartok-Klavierkonzert)
DAS WIENER (KOLISCH)-STREICHQUARTETT
Moderne und klassische Werke, Schubertieiern
TRIO FUR ALTE MUSIK
Paul Hindemith, Viola d amore / Maurits Frank,
Viola da Gamba / Alice Ehlers, Cembalo / Vor-
klassische nnd klassische Musik
DAS WIENER PIERROT LUNAIRE-ENSEMBLE
unter Leitung von Arnold Schonberg oder Erwin Stein
Kammermusikalische Vokalmusik (u. a. Debussy
„Proses lyriques"). Moderne und klassische Klavier-
werkc
Vorklassische italienische, moderne franztisische und
ungarische Klavierkompositionen
Violinsonatenabende mit
HERLIN6ER-STEUERMANN
BELA BARTOK
— JOSEF SZI6ETI ode r
— RUDOLF KOLISCH oder
— STEFI 6EYER
ALEX AN D ER TSC H E R EPN I N Kompositionsabende, moderne russische Klavierwerke
Cellosonatenabende mit
— PAUL 6RUEMMER
SER6E PROKOFIEFF
ALFRED JER6ER
Neue russische Musik unter Mitwirkung der Sangerin
Lina Llubera-Prokofieff
Erster Bariton der Wiener Staatsoper, Liederabende
zu eigener Begleitung, Schubertzyklen usw.
Sonderprospekte stehen zur Verfugung.
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Musik im Haus
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neue wie alte, in bester Ausstattung moglichst
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von Johannes Hatzfeld.
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Eine neue Sammlung religioser Musik, bietet dem
ernsthaften Freund neuer religioser Musik er-
lesene Proben aus dem Schaffen unserer Zeit.
Herausgegeben von Johannes Hatzfeld.
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I Neue und alte Musik zum Studieren und Musi-
zieren. Herausgegeben von Johannes Hatzfeld.
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Tandaradei Ein Buch deutscber Lieder mit ihren
Weisen aus adit Jahrbunderten. Von Jobs. Hatzfeld.
Text-, Singstimmen- und Klavierausgabe. / Susani.
Ein Weihnacbtsbuch fur das deutsche Haus. Von
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entwurfen. / heudeutsche Musiksdiaren. I. Kleine
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der Instrumentalmusik. III. Das grofie Zusamraen-
spiel. IV. Singbiicher.
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Professor E. Jos. Muller, Koln ; Schriftleiter : Walter
Berten, Essen.
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Histor.-Biographisches
Refardt Musiker-Lexikon
der Schweiz
Umfang: 360 S. Lexikonformat
Preis: In Ganzlcinen Rm. 20.—
In Halbleder Rm. 24.-
Umfafit die Namen, kurzc
Biographien nebst Quel-
lenaugabcn u. vor allemdie
Werkc v. 2440 verstorben.
u. Iebendeu Komponisten
u. Musikforschern in der
Schweiz, von den mittel-
alterliclien Anfangen bis zur
Gegenwart nnd bildet damit
das uinfassendste und zu-
verlassigste Material fiir
eine kiiuftige schweizer.
Musikgeschiclite.
Auflage 1000 Exemplare.
Intcressenlen, namentlidi
Bibliotheken, niogen bald
bestellen, da eine Neuauf-
lage vielleicht nie erfolgen
wird.
Gebruder HUG & Co. / Ziirich
Yerlag gcwichligster scliweizcrischer Komponisten wie
Andrcae, Barblan, Brim, David, Hegar, Hans Huber,
Lauber, Schoeck, Schulthefi, Sutcr, Wehrli usw. nsw.
ANTON FELIX SCHINDLER
Ludwig van Beethoven
5. Aufl. hersg. v. Fritz Volbach. 716 S. mit
Bildern RM. 6.—, Halbleiiienband RM. 8.50
Halbleder RM. 11.—
Anton FelLc Schindler hat mit seiner Biographic des Meisters
ebenso der Forschung ivie den ernsten Musikfreunden einen
groJSen Dienst erwiesen; denn es we/tt einem das un-
mittelbare Erie bnis des Meisters daraus entgegen. . .
Tm iibrigen sei noch der Aschendorffsdien Verlagsbuch hand lung
fur die wiirdige Ausstattung gedankt.
Dr. Max Unger in der „Musik (f
FRITZ VOLBACH
Handbuch der Musikwissenschaft
Band 1 ; Musikgeschiclite, Kulturquerschnitte,
musikalische Formenlehre, Tonwerkzeuge unci
Partitur. 354 S. RM. 6.—, Leinenband RM. 7.20
Infialt und Ausschmu diung sind bei dieseni Buche in ghicher
Weise vorziiglich zu nennen, sodaJS, audi in Anbetracht des
billigen Preises, dieses Handbuch der Musikwissenschaft zum
B es ten der einsch lagigen L it era tur gerechnet werden
mufS. ■ Organon
Durch jede Musikalienh auditing
VERLAG ASCHENDORFF, MUNSTER i. W.
Soeben erscliien:
Fritz Tutenberg : Die Sinfonik Job. Christian Bachs
Ein Beitrag zur Eiitwicldungsgeschichte der Sinfonik von 1750 — 80
464 Seiten, 1. Tsd., Kart. RM. 8. - . Ganzleinen RM. 9. -
Restell-Nr. 246 und 246 G
Das oben genannte Werk beabsichtigt, streng wissenscbaftlich die zeitlichen Grundlagen von Job. Chr.
Bachs Sinfonieschaffen aufzufinden. Dabei ging der Verfasser von dem Standpiinkte aus, daft man
einen Komponisten nicht als Glied einer Kette auffassen diirfe, sondern daft auch seine ktinstlerische
Personlichkeit nur im engsten Zusammenhang mit allem zeitgenossischen Schaffen zu verstehen ist.
Bei keinem anderen ist diese prinzipielle Einstellung so fruchtbringend wie gerade bei Chr. Bach.
So werden nach einer ausfuhrlichen Einleitung, die alle zum Aufbau der Sinfonie notigen Faktoren
wie Melodik, Harmonik, Rhythmik, Form, Instrumentation in iliren zeitlichen wie raumlichen Phasen
betrachtet sowie an Hand der Sinfonien ein Bild von des Meisters Personlichkeit zu entwerfen suclit,
in einem besonderen Teil die Sinfonik Pli. E. Bachs, Jommelis. Majos, Galuppis, Sacchinis, der
Buffonisten Guglielmi, Paisiello, Anfossi, Piccini, der alteren mid jiingeren Mannheimer, der Wiener
Monn, Wagenseil imd des jungen Haydns besprochen, wobei die auf dem Gebiete der Form gewonnenen
neuen Forschungsergebnisse, die vori einscbneidender Bedeutung sind, benutzt werden.
In einem zweiten Teil erfolgt die Besprechung der bisher aufzufindenden sechzig Sinfonien Joh. Chr.
Bachs (mit Bibliographie und thematischem Katalog), die nicht nur in ihrem Aufbau, sondern auch
m ihren Beziehungen zur zeitgenossischen Kunst behandelt werden. Anhangsweise werden auch die
„Sinfonies concertantes" herangezogen, die bisher inimer zu stiefmutterlich angefafit wurden. Diese
Gattung gerade erlebt bei Bach eine hohe Ausbildung und stellt sich vollwertig (relativ I) neben die
anderen Sinfonien.
GEORG KALLMEYER / VERLAG / WOLFENBUTTEL - BERLIN
270
NEUE MUSIK
WILLIAM WALTON
F A g A D E
Suite fiir Orchester nach Gedichten von
Edith Sitwell.
Fiir Klavier zu vier Hiinden bearbeitet von
Constant Lambert
M..6.50
Die Jury fiir das Internationale Musikfest 1928
(Sienna) wahlte dies Werk fiir die Auffiihrung in
der Originalfassung. Es bietet ein glanzendes
Beispiel fiir Anwendung der Satire in der Musik.
Die einzelnen Satze stellen einen altmodischen
Walzer, ein modernisiertes Schweizer Jodellied
und eine Burleske im Stil der „Mediterranean",
„Tarantella Sevillana" betitelt, dar.
M. GRETCHANINOF
ECOLE DU CHANT
(mit dentscbem, franzosischem, russischeni und
englischem Text)
M. 10.50
Die Absicht des Autors besteht darin, mit dieseni
Werk Unterrichtsmaterial zu liefern
1. zur Erlangung der Technik im Singen,
2. zur Gehorbildung,
3. zur Erziehung kiinstlerischen Geschmacks.
W. G. WHITTAKER
PSALM CXXXIX
Singpartitur mit deutschem u. lateinischem Text
M. 5.-
Das Werk wurde beim Frankfurter Musikfest
1927 aufgefiihrt
R. VAUGHAN WILLIAMS
Concerto Accademico
fiir Solo-Violine und Streichorchester
Partitur M. 15. - . Klavierauszug M. 7.50
In der zeitgenossischen Musik gibt es zu wenig
Werke fiir diese Besetzung und erst recht selten
sind Kompositionen von solchem Werte.Wirkungs-
voll und doch ernsthaft ; herb, aber mit Stellen
von grofiter Schonheit ; geschlossen in Form und
Ausdruck, doch voll rhythmischen Lebens
OXFORD UNIVERSITY PRESS
LONDON Wl / 95 W1MPOLE STREET
Alleinige Auslieferung fur Deutsdiland :
HOFMEISTER LEIPZIG
Zeiigenossische
Musik
Gunter Raphael
op. 3
Sechs Improvisationen fiir Klavier 2 hdg.
(Praludium, Romanze, Intermezzo,
Scherzino, Fughette, Burleske)
Ed.-Nr. 2468 M. 2.-
Ein genialer AVurf des erfolgreidien jungen Kompo-
nistenl Die teilweise ganz virtuos klingenden und im
Gharakter sehr gcgensii tzlidien Improvisation en sind
auch im Konzertsaal von aufierordentlidier "Wirkung.
Walter Niemann
op. 62 a
Ein Tag auf Schloss Durande
Romantisclie Novelle in 6 Kopiteln nadi Worten von
EicliendorlT fiir Klavier zweihandig
Ed.-Nr. 2223 M. 2.-
W. N. ist zura Interpreten Eichendorffs, d. h. zu seinem
musikalischen Nachdiditer von Natur aus beslimnit.
Er bietet uns hier eine herrliclie Tonsdiopfnng, die
ihrer Wirkung im Konzertsaal, vor allem aber in in-
timen Musikzirkeln siclier ist.
Hermann Kogler
op. 30
Variationen iiber ein eigenes Thema
(fit-moll) fur Klavier zweihandig
Ed.-Nr. 2279 M. 1.20
„ . . . Mit dem Vortrag seines op. 30 besthtigte Kogler
von neuem das vielseitig ancrkannte Urteil iiber aoin
auiSergewohnliclies Kompositionstalent. Wer nacb
Brahms in der Zeit der freien Kompositionsbetotigung
im weitesten Sinne Variationen schreibt in der QnaliUit
"wie diese, darf die Kraft in sicli fiihlen, an der Fort-
entwicklung der bleibenden Musikliteratur mit zu
scliaffen". Leipzigcr Zeitung
Willy Renner
op. 3 Suite fur Klavier 2 handig
(Allemande, Air, Gavotte et .Carillon, Capriccio)
Ed.-Nr. 2124 M. 1.20
op. 6 Praludien fiber BACH
Ed.-Nr. 2125 M. 1.20
op. 7 Impressionen
Ed.-Nr. 2126 M. 1.20
„Die Suite verbindet den Charakter der historischen
Tanzform mit modernem Empfinden und moderncr
Tcdinik" Prof. Franz Odis, Berlin
„ . . . Seine Tonsprache hat etwas 9trenge3, herbes,
aber audi kraftvollcs, markiges und zeidinet sidi durdi
cine eigenartig kiihnc, bin und wieder ans Exzentrisdie
streifende Harmonisierung aus . . ."
Sdiweiz. Musikzeitung
Durch jede Musikalienhandlung (auch zur
Ansicht) erhaltlich, Verlangen Sie den neuen
„Steingraber-Gesamtkatalog"
Steingraber-Vcrlag
Leipzig
NEUE ORCHESTERWERKE
S o e b e n e r s c h i e n e n die Parlituren von
271
Bela Bartok
DEE WUNDERBARE MANDARIN
Musik nach der gleichnamigen Pantomime
U. E. Nr. 8909 Partitur .... M. 30. -
J. Matthias Hauer
Op. 48 SUITE VII
Fiir Orchester
U. E. Nr. 9429 Partitur .... M. 20. -
Die Musik dieses in seineni Srhajfen konsequent forl-
schreilenden Koniponislen hut beim Frankfurter Musik-
feste einen grofeen, spontanea Publikumserfolg errungen,
der sicli iw kurzem in Berlin unier Schercnen wieder-
holl lial.
Zoltan-Kodaly
HARYJANOS-SUITE
Fiir grofies Orchester
U. E. Nr. 8493 Partitur .... M. 30. -
Mil durchsclilagendein Erfolg von Afengeiberg in New
York uufgefiilirt. Nachsle Auffiihrungen in Berlin,
Amsterdam tintl Budapest.
Egon Kornauth
SINFONISCHE OUVERTURE
Fiir grofies Orchester
U.KNr. 9414 Partitui- .... M. 20. -
Ernst Krenek
Op 54 POTPOURRI
Fiir grosses Orchester
U. E. Nr. 9411 M. 20.-
G. Francesco-Malipiero
L^ESILIO DELL'EROE
Fiir grofies Orchester
U. E. Nr. 8903 Partitur .... M. 20. -
Nicolaus Mjaskowsky
Op. 26 SYMPHONIE Vllf
Fiir grofies Orchester
U. E. Nr. 8905 Partitur .... M. 40, -
Mil sltirksten Erfolg in Wien uufgefiilirt. Ferner in
Boston, New York und Paris.
D. Schostakowitsch
Op. 10 SYMPHONIE F-MOLL
Fiir grofies Orchester
U. E. Nr 9029 Partitur .... M. 26. -
U. E. Nr. 9058 Klavierauszug 4 ms. M. 13.-
Aufterordentlicher Urauffuhrungserfolg in Berlin.
Arthur Willner
Op. 37 CONCERTO
Fiir Streichorchester
U. E. S. Nr. 39 Partitur .... M- 5. -
GroJSer Erfolg in Wien und Koln.
SOLOINSTRUMENTE UND ORCHESTER
Ernest Bloch
CONCERTO GROSSO
Fiir Klavier und Streich-Orchester
Partitur M. 42,-
In zahlreichen Sta'dten mil gioftcm Erfolg aufgefuhrl.
Issai Dobrowen
Op. 20 KLAVIERKONZERT
U. E. Nr. 8975 Partitur .... M. 25.
Ein vie/gespie/tes K/avierkonzert.
Alfredo Casella
SCARLATTIANA
Divertimento nach Musik von Domenico
Scarlatti. Fiir Klavier und kleines Orchester
U. E. Nr. 8888 Partitur .... M. 30. -
U. E.Nr. 9530 2 Klav., 4 hdg. . . M. 10.-
Zahlreiche Auffiihrungen im In- und Ausland.
G. F. Malipiero-Corelli
CONCERTO PER ORGANO
E ORCHESTRA D'ARCHI
dall' opera quinta di Arcangelo Corelli
U. E. Nr. 9403 Partitur .... M. 8.
Umuffuhrung in Karlsruhe.
Ansichtsinateriale bereitwilligst v o m V e r 1 a g der
UNIVERSAL-EDITION A. G. / WTE N-L EIP ZI G
272
y
/
L'EOS JANACEK
dessen Buhnenwerke siegreich durcli die Welt ziehen, ist zugleich
einer der erfolgreichsten tschechischen Komponisten, deren Konzert-
werke auf den Internationalen Musikfesten immer siegen.
Spezielle Janacek Konzerte, die nur Janacek's Werke auf dem
Programme hatten, wurden in London, Berlin, Wien und Paris
veranstaltet. Nicht nur seine Opern, sondern audi seine
ORCHESTERWERKE
werden in der ganzen Welt gespielt.
S o e b e n e r s eh i e n e n :
TARAS RULRA
Rhapsodie fur Orchester.
Orcliesterbesetzung: 2 flaute, 1 flauto piccolo (llauto IQ)
2 oboe, 1 corno inglese, 2 clarinetto in B, 2 fagotte, 1 conti-a-
fagotto (fagotto III), 4 corni in F, 3 trombe, 3 trombone, 1 basso
tuba, violini I, II, viole, violoncelle, conri-abasse, 1 arpa, campane,
timpane, ti'iangolo, tamburo piccolo, piatte, organo.
Grofee Paititur GM. 15. - / Klavierauszug zu 4 Hand. GM. 7.50
Im Auslande sind f'olgende Auffuhrungen in Aussicht:
London (Sir Henry Wood), Paris (Walther Straram), Berlin
und Leipzig (Bruno Walter)
LAGHISCHE TANZE
(Partitur in Druck — Stinimen leihweise)
Em Pendant zu den ,,Slavischen Tanzen" von A. Dvorak
Verlanget Janacek's Prospekte direkt vom Verlag
HUDEBNI MATICE UMELECKE BESEDY
PRAG III - Besedni 3
NOTENBEISPIELE ZUR MELOSKRITIK
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3
5.]Btia>t/ee _ ___ ^ ^ i l
,H
Beilagexu ME LOS 19ZS/Mai
Notenbeispiele zu dem Aufsatz „Melidiar, Das kirgisische Lied".
KUKEMAI-BJUPEMAI
7))a.*ij=ivoePrAjii<l] J. * AOh-
Mitgeteilt von IrgaR Aldungaroff,
Fcdorowischer Kreis, Tschubartenizischer
Bezirk
"Ca.nij&a.iner, >v-it tin Tpec'fatiir
> y r > , > i > *{ > ,
a m — • — » — » — ■ — ■ — ■ =*» ■ — 4 — 4 » ■ ' 4 — •— ■ — ■ — -•> * « — ■-* — >—4 —
*£ tZ/-ti <*.;-# &i-fi< gtj: <xi-fii p/'-ji ff/'-ji fe#.' -^
/•
KDR-ULU
(Der Sohn des Grabes)
Tj/rfyaStn mifTfntrfie. Jr-fog
, Mitgeteilt von Mohamed Farooff,
Kustanaischer Kreis, Arakaragaischer Bezirk, Aul No. 1
ft*;, j- jn i r j - h f r iv, n j lv. m j 1 1 rr i j ^ fp
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*) Der Busse gibt das h, das seine Sprache nicht kennV, mit einem g wieder; wahrscheinlich heifit diese
kirgisische Interjektion : Hiki hiki hiki hej.
3
SARU-CHABIBA
(Weiblicher Vorname)
Mitgeteilt von Alikei Utekin
Tschcrlakowischer (fruherer Omskischer Kreis,
Kaitassischer Bezirk, Aul No. 4)
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Addee,
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SARY-BAKSY
(Der bleiche Zauberer)
7MMM/f J « %a
Mitgeteilt von Zakarija Karibajeff
Tsehubalanischer Bezirk, Aul No. 2
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SCHALKMA
Jfubnurtct e U Ati 9i yenau an 7fyyty, VUJ *. J = 208
Mitgeteilt von Habdul Bukcjchanoff
Urdynischer Kreia, Kalmykiecher Bezirk
B. Schott'sSohne, M«jnx
MELOS
ZEITSCHRIFT FUR MUSIK
SCHRIFTLEITUNG: |PROF. DR. HANS MERSMANN
Alle Sendungen lur die Schriftleitung unci Besprechungsstiicke nach Berlin-Grunewald, Neufei'tallee 5 (Fernapr. Uhland 3785) erbeten,
D»e Schriftleitung bittet vor Zusendung von Manuskripten nm Anfrage mit Riickporto. Alle Rechte fur siimtliche Beitrtige vorbehalten,
Ffir Anzeigen und Verlagsmitteilungen verantwortl. : Dr. Johannes PetschuU, Mainz / Verlag: MELOS VERLAG (B. Schott'a Siihne)
MAINZ, Weihergarten 5; Fernaprecher 529, 530; Telegr. : Scotson; Postscheck nuv Berlin 19425 / Auslieferung in Leipzig: Linden.
strata 16/18 {B. Schott's Sonne) / Druck: B. Schott's Sonne, Mainz
Die Zeitschrifl erscheint am 15. jeden Monats. - Zu beziehen durch alle Buch- und Musikalienhandlungen oder diiekt vora Verlag.
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ZUM IN HALT
Wenn wesentliche Fragen der Musikerziehung den Hauptted dieses Heftes
bestimmen, so liegt der Grund in der immer wachsenden Bedeutung des Themas. Die
Kxise des Schaffens schwingt in grofien Wellen avis. Sie erreicht nun uber den Horer
hinweg auch den Musikerzieher. Die Gefahren einseitiger und isolierter, in Facher ge-
teilter Ausbddung werden erkannt. Aus der Erkenntnis wachsen Vorschlage zu lieueni
Aufbau. Besondere Aktualitat gewinnt in diesem Zusaramenhang der Versuch, den so
vielfach angefeindeten Jazz-Unterricht ini Frankfurter Konservatorium methodisch zu
begriinden. Der Verfasser ist als Lehrer eben jener Jazzklasse am ehesten dazu be-
"xufen; wir geben seinen Gedanken gem Raum, denn der Kampf urn die Berechtigung
dieses Lehrgebiets kann nur von sachlichen und nicht von musikpolitischen Gesichts-
punkten aus gefiihrt werden.
Das Zentralinstitut fiir Erziehung und Unterricht veranstaltete kiirzlich in Gottingen
den ersten Kongreft fur Ruudfunkmusik. Die Wichtigkeit der dort behandelteu
Fragen veranlafit eine Erweiterung dieser Rubrik in unserm Heft. Mit dem Aufsatz
JKritik und Gemeinschaft" beschliefien wir zunachst eine mit dem Anfang dieses Jahr-
gangs begonnene Reihe von Aufsatzen, deren Ziel in der Klarung der Voraussetzung
tind Grenzen gegenwartiger Musikkritik lag.
f Die Schriftleitung
MUSIK
Licco Amar (Frankfurt a. M.)
GEDANKEN UBER ERZIEHUNG ZUR MUSIK *)
Sehr geehrter Herr Direktor,
Sie hatten die Freundlichkeit, micli aufzufordern, meine Bedenken gegen das an
Ihrer (ubrigens besonders hochstehenden) Anstalt gehandhabte Unterrichtssystem dar-
zulegen. Dies veranlafit mich zu einer kurzen Kritik unserer heutigen Musikerziehung
im allgemeinen, denn Hire Anstalt unterscheidet sich letzten Endes von keiner anderen,
aufier vielleicht in der Auswahl der Haupt- und Nebenfacher sowie der personlichen
Methoden der einzelnen Lehrer. Fur die musikalische Gesamtsituation bleibt es schlieGlich
gleich, ob Aesthetik, Formenlehre und Chorgesang als Pflichtfacher gelehrt werden oder
nicht; auch ist es gleichgiiltig, ob z. B. beim Violinunterricbt Joachim, Flesch oder die
franzosisch-belgische Schule Pate stehen, ebenso, ob in der Harmonielehre Biemann oder
Schenker gehuldigt wird. Beziiglich dieser Einzelheiten ware ja auch so manches zu
sagen, ich mochte indes fur heute vor allem das Gesamtbild der Musikerziehung be-
trachten, so wie es an Ihrer Schule und an alien anderen Anstalten in Erscheinung tritt.
Um es gleich auszusprechen : ein einheitliches Erziehungsideal (wie es z. B. das huma-
nistische Bildungsideal einst war) ist nirgendwo zu erkennen, denn die Verschmelzung
der Einzelfacher zu einem hoheren Ganzen ist nicht vorhanden. Und Sie werden mir
zugeben, dafi es in puncto Erziehung (und auch sonst) letzten Endes nicht nur auf die
in den einzelnen Fachern erworbenen Fertigkeiten und Kenntnisse ankommt, sondern
auf die Anwendung dieser Kefintnisse in ihrer Gesamtheit je nach der Eigenart
des betreffenden Stoffes.
Dies ist so zu verstehen: der theoretische oder instrumentale Unterricht, Kammer-
musik und Orchesteriibungen (so wie das alles heute gehandhabt wird, namlich als
isolierte Facher „an sich") vermogen stets nur die eine oder die andere Seite des
musikalischen Gesamtkomplexes zu beleuchten; erst die gegenseitige Durchdringung der
einzelnen Disziplinen, mit anderen Worten : die Zusammenfassung dieser einzelnen Strange
zu einem Biindel fuhren zum Ziele, namlich zur Heranbildung der musikalischen Schlag-
fahigkeit und der Kraftigung des Willens zur kiinstlerischen Wahrheit.
Heute aber ist der Zustand der, dafi wir durch Vermittlung (haufig sehr anfecht-
barer) Kenntnisse dem Schiiler Werkzeuge reichen, deren Anwendung auf die Musik
selbst ihm nicht beigebracht wird.
Uberzeugen Sie sich selber. Lassen Sie einige Ihrer fortgeschrittenen Schiiler
„Modulationen nach gegebenem Plane" ausfiihren, und es wird Ihnen hochstwahrscheinlich
vorziiglich gelingen. Danach lassen Sie dieselben Schiiler ein an Modulationen reiches
Werk, z. B. eines von Schubert spielen und sehen Sie, was sich daraus ergibt. Ich
brauche.wohl nicht zu betonen, dafi diese Modulationen innerhalb der einzelnen Satz-
teile nicht nur einer bunten Laune des Komponisten entspringen, sondern fur den
*) In der Form eines offenen Briefes, dessen Empfanger nicht eine Personlichkeil sondern ein Typue
ist. Die Schriftleitung.
GEDANKEN UBER ERZIEHUNG ZUR MUSIK 275
Aufban und den Ausdruck des Werkes von hochster Wichtigkeit sind, in Verbindung
mit den iibrigen melodischen und rhythmischen Faktoren. Nun, von alledem wird in der
Ausfiihrung des betreffenden Werkes durch den, die Modulationen als solche beherr-
schenden, Schiiler wenig zu merken sein. Lassen Sie sicb ferner von begabten und
wohlausgebildeten Instrumentalisten Beliebiges vorspielen und achten Sie genau auf die
Anwendung ihrer Technik. Sie werden finden, dafi ihre Fertigkeit in keiner Beziehung
zur musikalischen Linie steht, sondern dafi Fingersatze, Bogenstriche, hochstens besondere
instrumentale Effekte zum Vortrag gebracht werden. Gehen Sie aber auch in die
Konzertsale. horen Sie ohne Uneinvorgenommenheit und ohne sich von zufalligen Begleit-
erscheinungen blenden zu lassen, was von der Struktur und der kiinstlerischen Bedeut-
samkeit der gespielten Werke zum Vorschein kommt.
Es gibt zwar Ausnahmen : entweder solcbe Personlichkeiten, die durch Instinkt (ein
immer rarer werdender Artikel, auf den man sich lieber nicht verlassen sollte) das
Bichtige treffen; oder andere, die durch langwierige Arbeit an sich selber und eine da-
durch errungene Unabhangigkeit des Geistes die kiinstlerische Wahrheit zu erreichen
suchen. Sehen Sie sich nur die allgemeine Verwirrung der Geister betreffs des „Gut
und Bose" im musikalischen Sinne an; schon allein dieser Umstand mufi Ihnen beweisen,
dafi in den Fundamenten unserer musikalischen Bildung und Ausbildung etwas nicht
richtig ist. Und wie ■ viele Begabungen gelien unter, weil sie, von vornherein falsch
orientiert, unrichtig gehandhabt und auf ein unnatiiiiiches Ziel gerichtet worden sind ?
Ahnliche Beispiele, die alle fur unser musikalisches Denk- und Unterrichtssystem
symptomatisch sind, konnte ich Ihnen noch viel meh-r anfuhren: angefangen bei dem
Meisterschuler, der anlafilich eines Orchesterprobespiels beim Vomblattlesen einer 2. Geigen-
stimme versagt, bis zu dem am 8 /* Takt eines Haydnschen Menuetts scheiternden, aber
sonst gottergleichen Generalmusikdirektor.
Audi das Vorhandensein weniger Ausnahmen ist nur ein Beweis gegen das iibliche
System, und die Feststellung einer „uberragenden Begabung" erklart in solchen Fallen
noch nicht sehr viel. Talent ist zwar eine conditio sine qua non, entscheidend aber ist
erst die Schulung und Bearbeitung dieses Bohmaterials. Solange diese Schulung eine
im Wesendichen abstrakte, zur Musik selbst nur in vagen und fragwiirdigen Beziehungen
stehende sein wird, ist fur die Mehrzahl der jetzt Studierenden, so wie fur die spater
durch letztere zu erziehende kommende Generation, kein Heil zu erwarten. Die Beform
scheint mir daher dringlich zu sein, denn dem Unheil kann immerhin erst nach lang-
wieriger Arbeit gesteuert werden. In diesem Zusammenhang waren allerdings auch noch
soziale Probleme zu erwiihnen, auf die ich aber hier nicht eingehen kann.
Eine kleine Einschaltung : betrachten Sie Ihre Schiiler aufmerksam und sie werden
finden, daft die heutige Generation zu alien Dingen eine ganz andere Stellung einnimmt
als wir selbst vor etwa 15 Jahren. Die jungen Leute wollen in jeder Hinsicht von
Grund aus wissen, woran sie sind, in dem richtigen Gefiihl, dafi ihre Besti-ebungen nur
dann Erfolg haben konnen, wenn sie in den Besitz von geistigen Hilfsmitteln gelangen,
die in der praktischen Anwendung nicht versagen. Die Frage nach dem" „wie" ist
zuruckgetreten zugunsten des „wozu" und „warum". Die Periode des Materialismus
beginnt erst jetzt in der Musik. Die Anwendung naturwissenschaftlicher Denkmethoden
276 LICCO AMAR
wiirde uns iibrigens fiir eine Weile garnicht schaden; erst wenn wir das Material wiedcr
ganz beherrschen, komien wir ,,zwischen den Zeilen lesen".
Aus dem weiter oben Gesagten ergibt sich, dafi der Herausbildung eines einheit-
lichen musikalischen Weltbildes vor allem die Zusammenhanglosigkeit und absolute
Trermung der musikalischen Wissensgebiete im Wcge steht. Es ware wohl audi mal
der Midie wert, bei Gelegenheit festzustellen, ob und in wie weit das in den einzelne
Fachern Gelehrte noch unseren heutigen Anschauungen und Bedurfnissen entspricht.
Doch bleiben wir bei dem allgemeinen Aspekt unserer musikalischen Kultur, insofern
er sich im Lehrwesen kundgibt. Kennzeicbnend fur unseren heutigen Zustand ist die
Diskrepanz die unser Musikwesen kennzeichnet: auf der einen Seite spekulativ-theoretische
Betrachtung, auf der anderen Seite eine ganzlich unbekummerte Praxis, die den unbe-
stimmten Einfliissen einer in Fetzen herunterhangenden Tradition sowie personlicher
Willkur und ,,individuellem Temperament" preisgegeben ist. Zweifellos bat die noch
junge Musikwissenschaft eine Beihe von Erkenntnissen zu verzeichnen, die bei praktischer
Auswertung geeignet sein konnten uns wieder festeren Boden unter die Fiifie zu sdiieben
Allerdings gehort dazu eine grundliche Bevidierung aller bestebenden Einrichtungen und
Gepflogenheiten, gerade auf dem Gebiete des Erziehungswesens und andererseits eine
griindlichere Bekanntschaft mit den Erfordernissen des musikalisdien AUtags von Seiten
der Manner der Wissenschaft. Denn was nlitzt uns die Erkenntnis der ,,Fortspinnungs-
technik" Bachs, der Vorhalte im Tristan, der „gleitenden Ilarmonie" Begers, wenn sich
niemand um die sich daraus ergebenden Konsequenzen fiir die Interpretation kiimmerl ?
Solange diese Begriffe nicht fiir die lebendige Darstellung nutzbar gemacht werdeu, um
sich im Klangerlebnis kundzutun, bleiben sie fiir die Musik unfruchtbar. Jedem j^n-
fanger werden in der ITarmonielehre die Begriffe der verschiedenen Kadenzen vorge-
tragen, manchmal sogar am Werke selbst demonstricrt; es wird ihni aber nicht gesagl,
wie er es anfangen mufi, um diesen funktionell hervorrageud wichtigen Vorgang beiin
Spielen plastisch darzustellen.
Was kann nun geschehen, um das schadliche Auscinanderfallen der einzelnen
Wissensgebiete zu verhindern und um sie im Unterricht in cinem Brennpunkt zu vcr-
einigen? Ein Blick auf die vorklassische Zeit scheint mir in dieser Hinsicht nicht
uninteressant zu sein, obgleich irgendwelchc praktischen Folgerungen aus den damaligen
Zustanden, die unter einer solchen Spaltung noch nicht litten, heute fiir tins unmoglich
sind. Damals war es noch so, da.fi die Einheitlichkeit des musikalischen Lehrganges
das natiirlich Gegebeuc war, und, wer Klavierspielen lemte, lernte in einer u'ns heute
schwer vorstellljaren Einheit zugleich beim selben Lehrer audi das, was wir heute
Komponieren, Instrumentieren, Dirigieren usw. nennen. Dieser an sich ideale Zustand
wird natiirlich nie mehr errcichbar sein, da, nebst manchen anderen Griinden, die fort-
schreitende Spezialisierung und das ungeheuer angewachsene Material unserer Musik-
pflege cine solche Personalunion des Lehrers und des Musikers iiberhaupt nicht inehr
zulassen. An die Stelle der einen, allumfassenden Persoidichkcit sollte aber heute e i n e
wohlorganisier te Zusaiiimen arbei t der Lehrer treten. Theorie und Praxis
iniissen in Wechselwirkung zu einander gebracht und aufeinander bezogen werden. Die
analytische Behandlung des Musikwerkes in Bezug auf seine harinonischen, slimmfiihrungs-
mafiigen, rbythmischeu und sonstigen Erscheinungen (nicht „Bestandteile" !) soil funktionell
GEDANKEN UBER ERZIEHUNG ZUR MUSIK 277
gewertet unci in der lebendigen Darstellung geiibt werden. Das Kunstwerk soil darauf-
hin untersucht werden, welche Art der Organisierung des Klangmaterials 1'iir das Werk
seibst und seinen Stil maGgebend ist, und die Ricbtlinien fur den sinngemafien
Vortrag miissen aus der so gewonnenen Erkenntnis abgeleitet werden. Das hierzu ein
enges Hand-in-IIand-Arbeiten des ganzen Lehrerkollegiums gehort, ergibt sicb von
seibst: das jeweilig gewahlte Studienmaterial mufi gemeinsam bearbeitet werden, so
weit das nur irgend moglich ist. Auf diese Art wiirden bald die herraetisch abge-
schlossenen Grenzen zwischen den einzelnen Fachern fallen, nicbt nur zum Vorteil der
Schiiler, sondern auch der Lebrer, deren einseitige Befangenheit zugunsten der Erforder-
nisse ilires eigenen Fachcs oft allzu weitgchend ist. Damit wiirde auch bald der Zustand
aufboren, dais der Schiller, iiberbtirdet mit allerhand Fachern und vollgestopft mit
Einzelkenntnissen, letztere auf das Kunstwerk nicbt anzuwenden vermag und keinen
Zusannnenhang sieht zwischen dem, was er gelernt hat und der Aufgabe, vor die ihn
das Leben stellt. Was die Methodik dieses Unterrichts betrifl't, so sei hier etwas aus-
gesprochen, was so selbstverstandlich erscheint, aber noch kaum durchgefiihrt wird : je.de
Erziehung sei ,,werkzeugscharfend", das heifit, es koinmt auf die Entwicldung und
Schulung des Instinktes, der Shine, des logischen Denkvermogens an. Unser gesamtes
Unterrichtssystem, nicht nur das musikalische, ist heute noch viel zu sehr mittelalterlich-
scholastisch eingestellt, indem es Kenntnisse tibermittelt, statt Fahigkeiten zu entwickeln.
(Welcher Schiiler, ja welcher fertige Musiker ist auch nur einigermafien imstande, Bach
aus dem Originaltext sinngemafi zu spielen? In Erniangelung eines selbstandigen,
logisch geschulten kiinstlerischen Denkapparats miissen „instruktive" und andere Aus-
gaben herhalten. Ergebnis ? Gehcn Sie in die Konzertsale und horen Sie.)
Wie sieht nun in praxi ein soldier Unterricht aus, welches ist sein Gang, und vor
allem, sein Lehrmaterial, an dem die gewunschte Synthese vollzogen werden kann ?
Die Antwort darauf ist verhaltnismafiig einfach. Da das AVesen der Musik im Spiel
und Widerspiel mehrerer, harmonisch gebundener oder polyphon gearteter Stimmen
zu erblicken ist (wirkliche Einstimmigkeit kommt nur als Vorstufe in Frage), so ist das
geeignete Objekt fiir einen solchen Lehrgang alles, was unter den weitesten Begriff der
Kammermusik fallt, ihre historischen Vorlaufer mitinbegriffen. Es diirfte nicht schwer
sein aus diescm ungeheuren Material einen sich stufenmafiig aufbauenden Lehrgang zu
entwidceln, der dem Schiiler von Anfang bis zu Ende der Lehrzeit als Hauptfach dient.
Kaminermusikunterricht wird zwar auch jetzt schon mehr oder weniger griindlich erteilt,
dieser Unterricht miisse aber besonders vertieft und nach jeder Bichtung hin ausgestaltet
werden, um seinen neuen Zielen dienen zu konnen. Um diesen zentralen Lehr-
gang gruppieren sich, wie die Trabanten um ihren Planeten, die erganzenden Facher
mehr oder weniger theoretischer Art. Diese Unterweisung am lebendigen Objekt sei
das Riidtgrat des Unterrichts. AUe Probleme der Musik, die der Harmonie, der Form,
Instrumentation, Geschichte usw. konnen zugleich an demselben Unterrichtsstoll'e ]je-
arbeitet werden unter successiver Leitung der einzelnen Fachlehrer, die aber unterein-
ander iiber den einzuschlagenden Weg einig sein miissen. Ob die analysierende Be-
traditung oder das Spielen der Werke vorangehen soil, mochte ich heute nicht ent-
scheiden, beide Methoden haben ihre Vorteile. Auf alle Falle wird auf die Art ver-
hindert, dafi der Studierende mit Theoremen gefiittert wird, deren praktische Bedeutung
278 LICCO AMAR
und Funktion ihm fremd bleiben. „Wir wissen etwas nur, wenn wir es ausdriicken,
d. h. machen konnen." (Novalis). Selbstverstandlich braucht die analytische Betrachtung
nicht beim reinen Anschauungsunterricht stehen zu bleiben, sie soil vielmehr verall-
gemeinern, erganzen, Gegensatzliehkeiten zu anderen Arten der musikalischen Organi-
sierung betonen und, nicht zuletzt, praktisch nachahmen. (Hier beginnt das Bereich
des eigentlichen Kompositionsunterrichts.) Das Orchesterspiel, das ich, in verniinftiger
Weise angewendet, nicht vermissen mochte, gehort nicht in diesen Zusammenhang, da
die dabei unbedingt erforderliche Unterordnung des Spielers wenig Spielraum lafit fiir
die aktive Teibiahme an der Darstellung des musikalischen Organismus.
Neben diesem gesamtmusikalischen Lehrgang soil der technische Instrumentalunter-
richt gehen. Sein Gebiet umfafit alle Werke, die fiir das betreffende Instrument allein
geschrieben worden sind (z. B. Klaviersonate, Etiiden) und solche, in denen es bevor-
zugt behandelt wirdj:[(Konzert). Auch hier soil, neben dem physisclien Training, die
Beobachtung der musikalischen Faktoren fur die Darstellung und auch fiir die Bewalti-
gung der technischen Schwierigkeiten mafigeblich sein. (Welche Konsecpxenzen hat die
symmetrische Periodizitat Mozarts fiir die Fingersatze, die Bogenbehandlung und die
Art des Ubens seiner Violinkonzerte iiberhaupt? Wie steht es damit bei Beetho\en,
bei Hindemith ? Hier liegen die Aufgaben fiir die Verfasser moderner Violinschulen,
nicht nur in „der Beriicksichtigung der zeitgenossischen Werke im Unterricht".) Hier
ware noch eine Forderung auszusprechen : alle Werke miifiten aus Urtextausgaben
gespielt werden. Die Privatansichten der Revisoren und Bearbeiter gehen uns nichts
an, denn sie verhindern nur die Entwicklung des musikalischen Denkvermogens, ganz
abgesehen von der allgemeinen Unbekommlichkeit dieses „von den Vatern iibernommenen
Gutes". Damit steht im Zusammenhang die Notwendigkeit von Ubungen im stilgemafien
Aussetzen bezifferter Basse. Leider ist heute noch die Beschaffung der Urtexte haufig
unmoglich, mindestens aber schwierig und mit grofien Kosten verbunden.
Damit glaube ich, wenigstens in groben Ziigen, Ihnen meine Anschauungen betrefl's
der notigen und moglichen Veranderungen auf dem Gebiete des Musikunterrichts dar-
gelegt zu haben. Da Sie nicht nur Letter einer grofien Anstalt, sondern auch ein her-
vorragender Musiker und urteilsfahiger Mensch sind, so wird es Ihnen nicht schwer
fallen, dort, wo es notig ist, das Bild abzurunden. Ich mochte nur noch bemerken, daii
die Befolgung dieser Grundsatze weniger ein Umlernen der Lehrer, als eine U m -
gruppierung erfordert, und zwar so, dafi immer eine Anzahl Schiiler der verschiedenen
Instrumente zu Gruppen zusammengefafit werden, die an Hand des annahernd historiscb-
progressiv zu ordnenden Lehrmaterials von einer Anzahl Lehrkrafte unterrichtet werden,
welche sich beziiglich der einzelnen Gebiete erganzen und nach einem vorgefafiten Plane
arbeiten. Spezialisierungen, wie Kapellmeister, Komponist, Instrumentalvirtuose, diirften
erst nach Absolvierung eines entsprechenden Teiles dieses Gesamt-Lehrganges beriick-
sichtigt werden.
Freilich, es ist schwer, wenn nicht unmoglich, diese Grundsatze an einer bestehen-
den und auf ihre Art wohlfunktionierenden Anstalt durclizufiihren. Irgend etwas mufi
aber geschehen, urn diese ungiinstigen Zustande zu andern. Wie ware es, wenn Sie mit
einer kleinen Anzahl interessierter Lehrer eine .,Versuchsstation" fiir Musikunterricht
griinden, bezw. Hirer Anstalt angliedern wiirden ? Ich glaube, es wiirde sich lohnein
MUSIKLEHRE 279
kein Schiiler hatte Einwande gegen eine solche Verlebendigung des Unterrichts, und
das Vorhandensein eines solchen „Versuchsfeldes" wurde mehr Erfolg zeitigen, als samt-
liche Diskussionen, Abhandlungen und Vorlesungen uber Padagogik und ahnliches mehr.
Eine JQarung unserer an Unsicherem und Problematischem allzu reichen Zeit kann nur
durch eine Revision unserer gesamten Stellung zur Musik erfolgen, und wo soil diese
Revision beginnen, wenn nicht auf dem Gebiete des Unterrichts?
Ihr sehr ergebener
Licco Amar
Hans Mersmann (Berlin)
MUSIKLEHRE J )
l.
Auch die Musiktheorie wird nun in die grofie Krise hineingezogen, welche unsere
Musik durchlebt hat. Sie war ein Produkt des 18. und 19. Jahrhunderts und spiegelte
Haltung und Weltbild jener Zeit. Das kommt dadurch zum Ausdruck, dafi sie den
Eigenwert einer Melodielehre uberhaupt nicht, Polyphonie allein in den Erscheinungs-
formen von Kanon und Fuge kannte und ihren Schwerpunkt in Harmonik und Formen-
lehre sah. Diese beiden mit einiger Konsequenz durchgearbeiteten Gebiete aber suchen
ihre Gesetze in einem engen Zeitausschnitt der Entwicklung, etwa bei Haydn und dem
fruhen Beethoven. Nicht einmal mehr Schuberts Harmonik vermochte die Harmonie-
lehre zu begriinden.
Das 19. Jahrhundert versuchte, sich durch Ausbau und kleine Anbauten zu helfen.
Auch die Schaffenden haben an dieser Entwicklung Teil genommen. Aber noch Reger
bediente sich zur Erklarung seiner differenzierten und zu letzten Konsequenzen ausge-
bauten Chromatik des „neapolitanischen Sextakkords".
Unsere Zeit beginnt, sich des immer weiter auseinander klaffenden Abgrunds be-
wufit zu werden. Von verschiedenen Seiten aus wird der Aufbau einer neuen Musik-
theorie versucht. Er setzt weit unterhalb der Musik an. Wenn Ernst Kurth definiert:
Melodie sei „stromende Kraft", so miissen wir das als ein Symbol nehmen. Denn jene
altere Musiktheorie erklarte Melodie als eine Addition von Tonen, Harmonik als eine
Addition von Klangen, Form als eine Addition von Motiven. Sie war es auch, die als
„Hermeneutik" die inneren Zusammenhange des Kunstwerks zu erklaren, mefibar zu
machen versuchte.
Damit zugleich sind die Forderungen umschrieben, die nun entstehen. Musiklehre
darf nicht mehr trennen und zerschneiden, sondern mufi, wie das Kunstwerk selbst,
zusammenschauen und zusammenwachsen lassen. Sie kann nicht mehr Klange ver-
binden, ohne die sich aus dieser Verbindung zwanglaufig ergebenden melodischen und
rhythmischen Vorgange einzubeziehen. Sie sucht Form nicht aus der Anreihung synime-
trischer Bauglieder sondern aus dem Wachstum einer Kraft.
Musiktheorie ist Erkenntnis und Lehre. Scharfer vielleicht als vorher werden
diese beiden Gebiete sich scheiden, aber nur, damit sie um so tiefer zusammmenwachsen
J ) Vorwort und Gliederung eines entstehenden Buches.
280 HANS MERSMANN
konnen. Musiklehre aber ist nicht mehr in Facher zu teilen, die gegeneinander abge-
sperrt sind. Schon von den ersten Versuchen an, mit den Elementen schopferisch zu
arbeiten, wachsen Melodik, Harmonik, Rhytbmik und Form zu einer unlosbaren Einheit
zusammen.
2.
Der Weg, der von hier aus geht, weitet sich in „wachsenden Ringen". Urn den
Mittelpunkt der einfachsten Ton- und Klangverbindungen offnen sich immer grofiere
konzentrische Kreise. Der harmonische Kadenzvorgang ordnet sich zu bestimmten
melodischen und rhythmischen Grundformen. Die gemeinsamen Grundkrfifte liegen
blofi. Der harmonischen Evolutionskurve entspricht die melodische. Sofort zeigt sich,
dafi auch die Form als ein primares Element in den Kreis der Erlebnisse einbezogen
werden mufi, Schon die vier- oder sechstaktige Kadenz gewinnt ein vollig anderes
Gesiclit, wenn sie als zweiteilige Periode durchgebaut ist, in zwei proportional wachsen-
den Kurven schwingt oder in einem einzigen unteilbaren und asymmetrischen Bogen
ausstromt.
Das Erlebnis weitet und ordnet sich. Einbeziehung der Nebendreiklange tragt
Farbwerte, der Umkehrungen Gewichtsverschiebungen in die Kadenz hinein. Dem
entspricht eine Melodik, in der nicht mehr jeder Ton Exponent eines Klangvorgangs ist.
Diesen melodischen Zwischenwerten begegnet eine subtilere Rhythmik, welche langsam
die Spannungsformen der Punktierung, der Auflosung und der Synkope einbezieht. Auch
der Formverlauf koinpliziert sich dadurch. Sekundare Funktionsbeziehungen stellen alle
der Quintverwandtschaft moglichen Akkordverbindungen her. Sie werden wichtigste
Trager der harmonischen Evolution. Der Begriff „Modulation' ; hort auf, zu existieren.
Er ist ein Willensakt. Das Kunstwerk moduliert nicht von einer harmonischen Ent-
wicklungsstufe zur andern, sondern wachst von einem harmonischen Zentrum aus und
kehrt zu ihm zuruck. Individuelle Ausdrucksformen dieses Wachstums sind: Melodik,
Rhythmik, formales Gestaltungsprinzip und stilistische Haltung.
Wenn auf einer hoheren Stufe diese Einheit der Elemente nicht mehr in vollem
Unrfang aufrecht erhalten werden kann, so ist das lediglich eine Frage der Methodik.
Zunachst bleiben die harmonischen Zusammenhange im Vordergrund. Sie steigern den
Spannungsvorgang iiber die Quintverwandtschaft zur Terzverwandtschaft und Chromatik
und miinden in die absolute Harmonik der gegenwartigen Musik.
In einem dritten Kreise riickt die Melodik ins Zentrum. Hire verschiedenen
Krafte werden deutlich. Reine Melodik, von alien latenten harmonischen Funktions-
beziehungen abgelost, sucht neue Moglichkeiten der Formgebung und eine neue Art
der Raumspannung. So entsteht Polyphonie, die nicht als ein Gegebenes hingenommen
wird, sondern sich zwanglaufig aus der Melodik entwickelt. Ihre natiirlichste Aus-
drucksform ist der Kanon. Neue Moglichkeiten ergeben sich aus der Cantus firmus-
Polyphonie. Sie wird dadurch bestimmt, dafi der Cantus firmus nicht eine starre, zum
Zwecke des Kontrapunkts konstruierte Linie, sondern wiederum ein Lebendiges, etwa
eine Liedmelodie ist. Hier wachst die Polyphonie auch aufierlich zum ersten Male iiber
die Zweistimmigkeit hinaus. Spater verschmelzen die bisher durchschnittenen Raume,
werden konstruktive und lineare Polyphonie bewufit gegeneinander gestellt. Die erste ist
funktionsharmonisch bedingt und fuhrt rhythmisch zu Abwandlungen des Symmetric-
JAZZ ALS ERZIEHUNGSMITTEL 281
gesetzes in den Beziehungen der Stimmen aufeinander. Die lineare Polyphonie ent-
steht aus der reinen Melodik, sucht Idangliche Bindungen zwischen den Stimmen, stellt
sich aber bewufit aus dem Kreise der funktionsharmonischen Beziehungen heraus.
Als letzter selbstandiger Inhalt tritt der Formbegriff in das Zentrum. Wahrend
es sich bis hierher durchaus nur darum handelte. schopferisch nachzuerleben, werden
jetzt neben eigenen Versuchen die formalen Ergebnisse fruherer Losungen abstrahiert.
Als Aufgabe ware hier ein Prinzip einzufuhren, das in der Malerei dem Kopieren alter
Meister entspricht. Auch hier ergibt sich aus dem Zusammenwirken der Elemente eine
ganz neue Perspektive : etwa den Formverlauf eines Kunstwerks mit anderm thematischen
Material nachzuschaffen.
Musik, aus dem unlosbaren gemeinsamen Wachstum der Elemente begriffen,
bleibt von ihren ersten Anfangen an lebendig. Ftihrt schon die Verbindung einfachster
melodischer und harmonischer Vorgange zu einem Volkslied oder einem Symphonie-
thema, so geht der innere Zusammenhang mit dem Kunstwerk an keiner Stelle ver-
loren. Musiklehre, wie sie hier gemeint ist, steht der Praxis iiberhaupt nicht mehr im
alteren Sinne gegeniiber, sondern ist ein Teil von ihr. So verliert sie auch den Zu-
sammenhang mit der Entwicklung nicht und kann stilistisch immer wieder bis an die
Probleme der gegenwartigen Musik herangetragen werden.
Die Durchfuhrung einer solchen Musiklehre setzt eine Kenntnis der alteren Musik -
theorie nicht voraus. Sie braucht nicht mit technischen Gesetzen uberlastet zu werden.
Denn die ganze Lehre von den Klangverbindungen und falschen Fortschreitungen, welche
die Harmonielehre iiberbetont, ist in wenigen Satzen zu formulieren. Ihr Wesentlichstes
sind Noten, nicht Zitate, sondern praktische Losungen und Aufgaben. Um jedes Bei-
spiel steht ein groJJer Kreis von Moglichkeiten und Fragestellungen. Schon von den
ersten praktischen Aufgaben an ist das Grundsatzliche in voller Ausdehnung erkennbar.
Ob ich einen- bezifferten Bafi ausfiille, einen Sopran harmonisiere oder ob ich ein en
nur durch die Folge seiner Funktionen bestimmten Kadenzverlauf harmonisch, melodisch
mid rhythmisch durchbaue, ist nicht mehr ein Unterschied der Methode, sondern wird
zum ersten Versuch jener vorher angedeuteten Erneuerung der Fundamente.
Maty as Seiber (Frankfurt a. M.)
JAZZ ALS ERZIEHUNGSMITTEL
„Hat ein ernstlich geleitetes Konservatorium das Becht? . . ." Mit
dieser Frage fing das seither recht beruhmt gewordene Bundschreiben des Herrn Direktor
B. Sekles an, mit dem er die Aufstellung der „Jazzklasse" am Frankfurter „Dr. Hoch's
Konservatorium" angekiindigt hat. "Wenn wir nun zu der Sache etwas naher treten
und das Problem des Jazz-Unterrichts an sich betrachten, konnten wir zu dieser Frage
noch andere hinstellen, namlich: „Soll man?" und „Kann man?"
Ob man Jazz unterrichten soil, wollen wir in den folgenden Auseinandersetzungen
davon abhangig machen, ob ein praktischer Musiker — gleich welcher Art — durch
dieses Studium etwas gewinnen kann. Ganz aufier Acht gelassen jetzt den werdenden
282
MATYAS SEIBER
Jazzmusiker, der selbstverstandlich durch eine systematische Schulung und Ubungsstofl'
nur gewinnen und sein Spiel nur verbessern kann, wollen wir sehen, ob auch aus-
iibende Musiker anderer Art — z. B. Orchestermusiker usw. — von diesem Studium
einen Nutzen ziehen konnen ? — Zugleich soil audi die andere Frage, ob man Jazz
unterrichten kann, (und wie man es machen kann) hier beriihrt werden.
Zwei grofie Aufgaben kann die Jazz-Schulung haben : die Erreichung einer geradezu
maschinell-exakten rhythmischen Prazision, zugleich aber auch rhythmischen Gelostheit
und Freiheit; dann die Entwicklung einer improvisatorischen Fahigkeit. Den meisten,
auch rhythmisch gut geschulten Musikern bietet bei den Jazz-Rhythmen die Haupt-
schwierigkeit das eigenartige, aber auch bezeichnende Verhaltnis von Rhythmus und
Metrum, das im Jazz eine grofie Rolle spielt: da treffen wir niimlich oft den Fall, daft
Rhythmus gegen das Metrum auftritt: durch „Verschiebung" der Akzente bilden sich,
im scharfsten Widerspruch mit dem eigentlichen Metrum, „Scheintakte", (da wir die
betonte Note immer als Kopf, als Anfang einer neuen Gruppe zu horen geneigt sind).
Diese „Scheintakte" bereiten meistens viel grofiere Schwierigkeiten, als die so viel er-
wahnten „Synkopen", mit welchen diese noch immer sehr oft verwechselt werden.
Der Spieler muft sich namlich in solchen Fallen cpiasi in 2 Teile teilen, und wahrend
er gegen das Metrum spielt, anderseits muft er das Pulsieren des Metrums, wie eiserne
Hammerschlage, durch alle Verschiebungen durchfiihlen, selbst bei Stellen, wo scheinbar
plotzlich das ganze rhythmische Fundament aufgelost wird (wie z. B. in den „Breaks").
Um diesen Kampf zwischen Bhythmus und Metrum mit dem Schiiler deutlich fiihlbar
zu machen, muft dieser einige, direkt zu diesem Zweck konstruierte rhythmische Klopf-
iibungen vornehmen. Diese Ubungen, die teils mit den Handen, teils mit Hand und
Fufi auszufiihren sind, verwirklichen den Widerspruch Rhythmus-Metrum im eigenen
Korper: indem z. B. der Fufi das Metrum vertritt, arbeitet die Hand, mit Verschiebung
der Betonung, immer dagegen. Die Ausfiihrung dieser Ubungen verlangt im Anfang
eine ziemlich grofte Konzentration — vielmehr „Diszentration" in die zwei verschiedenen
Systeme — aber wenn sie solange geubt werden, bis sie vollstandig sicher und unge-
fahr automatisch geworden sind, bringen sie eine grofie rhythmische Gelostheit und
Freiheit, eine Unabhangigkeit der Korperteile, ein gelostes Korpergefiihl, worauf
es beim Jazz sehr ankommt. Auf dieselben rhythmischen Probleme ist auch eine
Reihe von 2-, 4-, 8- und 16-taktigen (vom Verfasser dieser Zeilen geschriebenen) rhyth-
mischen Etuden fiir Jazz-Ensemble, gebaut, die durch die auf dieser Weise erweckten
Spielfreudigkeit, eine amxisante Abwechslung zu den Klopf-Ubungen bringen und zu-
gleich demselben Zweck dienen. Neben diesen praktischen Ubungen werden auch
theoretische Rhythmus-Analysen — mit Zuhilfenahme der mathematischen Permutation —
vorgenommen, die Rhythmisierungs- und Synkopierungs-Mogliclikeiten ausgerechnet, die
Beziehungen zwischen den einzelnen Rhythmus-Arten und -Gruppen erortert und schliefi-
lich auch praktisch geiibt.
Die meistvorkommende Verschiebung im Jazzgebrauch ist diejenige, die durch
8 /*-Betonung gegen das Grund-Metrum 4 /* (oder alia breve) entsteht. Ein grofier Teil
der Unabhangigkeitsubungen und Etuden ist auf diesem Prinzip aufgebaut, wie z. B. :
(Notenbeispiel 1). ] )
*) Siehe Notenbeilage.
JAZZ ALS ERZIEHUNGSMITTEL 283
Die typische Jazz-Betonung, die mit unserer normalen Betonung so sehr im Wider-
spruch steht und deswegen dera in diesen Stil Unbewanderten so fremd und schwierig
ist, namlich die Betonung des 1., 4. und 7. Achtels statt dem 1. und 5., lafit sich audi
als eine Einteilung der Achtel in je 3 zu einer Gruppe, erklaren (Notenbeispiel 2)
Eine ganze Beihe von verschiedenen Rhythmen ist von dieser Betonung abzuleiten,
u. a. auch der beruhmte ,, Charleston -Bhythmus", — der schon von jeher ab in der
amerikanischen „Bag-Music" eine grofie Bolle gespielt hat (dieser Bhythmus ist eigentlich
nichts anderes als das betonte 1. und 4. Achtel). (Notenbeispiel 3). Diese und dieser
Art Rhythmen werden durch eine Beihe weiterer Ubungen systematisch studiert.
Die standige Ubung solcher Art Bhythmen hat sehr wichtige Folgen beim Schider;
dadurch, dafi er sich gewohnt, Taktteile, an denen man sonst, ohne sie besonders zu
ffihlen, vorbeigeht, ein besonderes Leben, sozusagen ein JBewufitsein" durch Heraus-
hebung vom Takt zu schenken, bildet sich bei ihm mit der Zeit ein Gefuhl aus, das
wir am besten ,,absolutes Rhythmusgefuhl" nennen konnten, als Analogie zum „absoluten
Gehor": so. wie man durch das absolute Gehor sozusagen den „Platz" jeder Tonhohe
im gesamten Tonbereich kennt und fiihlt, so fiihlt man mit diesem „absoluten Rhyth-
musgefuhl" genau den „Platz" jedes Bruchteiles im Bahmen des Taktes. Wie wichtig
die Erreichung dieser Faktoren fiir jeden Musiker sein kann, lafit sich bald erkennen,
wenn wir die Bhythmik des neuen Musikschaffens verfolgen. Die „Verschiebung" spielt
da eine durchaus wichtige Rolle, nennen wir nur z. B. Strawinsky, in dessen Bhythmik
(besonders in den Werken der „mittleren Periode", ungefahr bis 1923) diese Erscheinung
sozusagen die Hauptrolle spielt; aber auch bei anderen (Bartok, auch Hindemith usw.)
nimmt sie einen wichtigen Platz ein. Denken wir nur an folgende, durch Verschiebung
entstandene Bhythmen bei Strawinsky (Notenbeispiele 4) („Les Noces"), oder an
den umgekehrten Fall, der bei ihm ebenso oft vorkommt: namlich, dafi bei einer auf-
genommenen rhythmischen Figur, die stereotyp beibehalten wird, das Metrum selbst,
also das „Koordinatensystem", in dem die rhythmische Figur Platz nimmt, „verschoben"
wird. (Die meisten Beispiele dafur in „Histoire du Soldat", Notenbeispiel 5).
Ein heutiger, auf dieser Rhythmik nicht eingestellter und nicht ,,trainierter"
Musiker wird da krampfhaft zahlen mussen, urn nicht aus den Takt zu kommen, ungefahr
so, wie ein Anfanger-Instrumentalist im Anfang seines Studiums im einfachsten 4 /4-Stiick
krampfhaft zahlt, um im Takt zu bleiben. Spater hat er das natiirlich nicht mehr notig?
da sich das Rhythmusgefuhl schon automatisiert hat: so wird auch derjenige der durch
das fleifiige und grundliche Studium dieser Verschiebungs- und Betonungs-Ubungen das
„absolute Bhythmus-Bewufitsein" und die Fahigkeit, sicli auf einmal in zwei verschiedene
Rhythmus- und Metrum-Systeme einfiihlen zu konnen, sich errungen hat, mit einer
ganz gelosten Freiheit, ohne zahlen zu mussen (also „gefuhlsmafiig" — im guten Sinne)
diese Rhythmen, die in modernen Kompositionen so oft vorkommen, leicht spielen
konnen — was dem ganzen Spielen natiirlich erweise einen ganz anderen Schwung und
viel grofiere Spannkraft verleihen wird.
Das andere* grofie padagogische Ziel des Jazz-Unterrichts ist — wie wir schon
sagten — die Entwicklung einer gewissen improvisatorischen Fahigkeit, dafi diese Impro-
visations-Kunst keineswegs unerlernbar ist, wie es manche glauben, davon konnen wir
284 MATYAS SEIBEB
uns gleich iiberzeugen. Gewifi, die Amerhjaner machen es ganz „unbewufit", also un-
gefahr so, wie der Zigeuner in Ungarn die Melodie ausschmiickt, umspielt, „nach Gehor"
„Gegenmelodien" hineinspielt usw., aber wir miissen bedenken, dafi der Amerikaner
sozusagen inmitten dieser Musik aufwachst. Er hort sie entgegentonen von jeder Strafien-
ecke, von jedem Laden, von jedem Haus, durch den Lautsprecher, Grammophon oder
durch die Orcbester selbst; diese Musik spielt in Amerika quasi die Rolle der „Volks-
musik" und „Popularen Musik", hat ihre Tradition und im engsten Shine des Wortes,
„sitzt" sie durch das viele Horen jedem Amerikaner „im Blute' - , ohne daU er sie besonders
lernen miifite. Bei den Europaern stehtxdie Sache aber anders : selbstverstandlich gibt es
auch Europaer, die infolge eines besonderen Interesses sich derartig in den „Jazz-Stil"
eingelebt haben, da6 sie die Sache ebenso gut und ebenso „unbewufit" machen konnen
wie die Amerikaner selbst; die meisten miissen aber die Regel dieser Improvisations-
Kunst erst bewufit lernen und anwenden, bis diese mit der Zeit und Ubung ganz
automatisch, also „unbewufit" werden. Selbstverstandlich fordert das Improvisieren beim
Spieler einige Geschicklichkeit und Begabung und die Qualitat der Improvisation wird
immer von den psychischen Gegebenheiten des Spielers determiniert sein, jedoch der
technische, handwerkliche Teil der Improvisation und deren Regel sind sehr einfach
zusammenzufassen, sind zu unterrichten und zu lernen. Dafi lafit sich sofort einsehen,
wenn wir einige Jahrhunderte zuriickgreifen und die Analogie der Jazz-Improvisations •
Technik mit der iihnlichen Spielpraxis des 16. Jahrhunderts entdecken. Wie bekannt,
wurden in dieser Zeit, ganz wie heute beim Jazz, die Musikstiicke nicht genau so ge-
spielt, wie sie geschrieben waren, sondern je nach Belieben und Geschmack des Spielers
ausgeschmuckt und verziert. Dafi dieser Gebrauch auf einer Hochbhite im 16. Jahr-
hundert stand, zeigen uns eine Reihe aus dieser Zeit erhaltene Lehrbucher und Schulen
(meistens von italienischen und spanischen Verfassern) die die Anwendung dieser Aus-
schmuckungen („diminutioni", „glosas") zu systematisieren versuchen. Die wichtigsten
dieser Denkmaler sind: die Werke von Juan Bermudo ') (fur Klavier), Thomas de
San eta Maria 2 ) (fur Klavier), Girolamo D i r u t a a ) (fur Klavier), Silvestro di Ganassi
dal Fontego *) (fiir Flote), Diego Ortiz 5 ) (fur die Viola-Familie), Girolamo dell a
Casa di Udine 6 ) (fur samtliche Instrumente und Gesang) und Giovanni Luca
1 ) Juan Bermudo: Declaracion de instrumentos musicales (Ossuna 1555).
2 ) Thomas de San eta Maria: Arte de tafier fantasia assi para Tecla como para Vihuela . . . etc.
(Valladolid 1565).
Siehe iiber diese zwei Werke ausfiihrlicher : „Klavier und Orgel in der Musik des 16. Jahrhundert"
von Otto Kink eld ey (Leipzig, Breitkopf & Hartel, 1910).
8 ) Girolamo Diruta: „II transilvano" . Dialogo sopra il vero modo di sonar organi & instrument!
da penna. (Venetia 1597).
Siehe daruber ausfuhrliche Abhandlung von Karl Krebs: Girolamo Dirutas „Transilvano". Ein
Beitrag zur Geschichte des Orgel- und Klavierspiels im 16. Jahrhundert (Vierteljahrsschrift fiir Musikwissen-
schaft, Vffl. (1892) s. 307 ff.)
4 ) Silvestro di Ganassi dal Fontego: Opera intitulada Fontegara la quale insegna a sonare
di flauto . . . etc (Venetia 1535^.
5 ) Diego Ortiz: Tratado de glosas sobre clausulas y otros generos de puntos en la inusica de
violones (Roma 1553) Neuausgabe von Max Schneider, Berlin, Liepmanssohn, 1913).
6 ) Girolamo della Casa di Udine: II vero modo de diminuir, con tutte le sortidi stromenti di
fiato e corda e di voce humana (Venetia 1584).
JAZZ ALS ERZIEHUNGSMITTEL 285
Conforto 1 ) (fur Gesang). Fiir unsere Vergleiche sind vielleicht die von grofiem
padagogischen und systematischen Sinn zeugenden Beispiele des Diego Ortiz am
interessantesten. Ortiz bringt im ersten Teil seines Werkes Beispiele fiir die Verzierungen
(glosas), iiber Kadenzen (clausulas) und andere Notengattungen (otros puntos), ahnlich,
wie es auch Sancta Maria, Conforto usw. auch tun: er zeigt namlich, wie man bei der
Verzierung vorgeht, wenn die Melodie eine Secunde, Terz usw. steigt oder fallt (para
subir y baxar). Dieser Teil ist quasi wie ein Nachschlagebuch zu benutzen, wie es
Ortiz auch deutlich sagt 2 ): man suche im Bucbe denjenigen Tonschritt, den man ver-
zieren will, autund setze dann diejenige Verzierung, die man fiir die Stelle am. besten
halt, statt den einfachen No ten ein. Zu einem ganz ahnlich en Gebrauch sind auch die
heute schon allgemein verbreiteten „Break-Sammlungen" 3 ) geschrieben, indem der
Spieler den „Break", den er fiir die fragliche Stelle am besten halt, einfach herausr
nimmt und im Stiick anwendet. Das soil natiirlich nur ein Hilfsmittel fiir den Anfang
sein, ebenso heute wie damals (wie Conforto es auch deutlich schreibt 4 ) ; das zu er-
strebende Endziel war und ist auch, in der Sache solche Ubung zu gewinnen, dafi man
das Buch nicht mehr notig hat und fahig ist aus dem Stegreif zu spielen.
Im zweiten Buche seines Werkes zeigt dann Ortiz trnter anderem wie der Viola^
spieler vorgehen mufi, wenn er mit Cembalo spielt und iiber ein fertiges, komponiertes
Stiick Variationen machen will. Das Stiick selbst (vierstimmiger Vokalsatz) wird auf dem
Cembalo gespielt und der Violaspieler hat zwei Moglichkeiten vor sich : entweder nimmt
er eine Stimme heraus und verziert diese nach seiner Art, oder spielt er eine neue,
freie ; Stimme (una quinta voz) hinein. Bei der heutigen Jazz-Improvisation handelt es
sich lediglich auch nur um diese zwei Moglichkeiten und es entstehen schon ver-
schiedene bessere oder schlechtere „Anleitungen" fiir die verschiedenen Instrumente, die
diese zwei Arten von Improvisieren behandeln und dem Spieler beibringen wollen.
Zum Vergleich soil hier nur ein Beispiel fiir eine freie Stimme-Improvisation von Ortiz
und von einer heutigen, der Posaune bestimmten Anleitung stehen: (Noten-
beispiel 7 und 8).
Sogar der einfache, schlicht-handwerkliche Stil der heutigen Jazz-Anweisungen er-
innert uns an die Lehrbiicher des 16. Jahrhunderts und zeugt von einem verwandten
') Giovanni Luca Conforto: Breve et facile maniera d'essercitarsi a far passagi (Roma 1593).
Neuausgabe : Veroffentlichung der Musikbibliothek Paul Hirsch, Frankfurt a. M., herausgegeben von Jobannes
Wolf (Berlin 1922, M. Breslauer).
2 ) ... „quando llegare a donde quiere glosar, yr al libro y buscar aquella rnanera de puntos . . .
y mire allii todas les diferencias que estan escritas sobre aquellos puntos y tome la que meior le estuviere
y pongale en lugar delos puntos llanos . . ." Auch ahnlich bei Conforto : „ . . . audate alle simili del
libretto & di esse recanatane i passaggi segnati . . ."
3 ) „Break" ist eine fiir den Jazz-Gebrauch sehr charakterische Erscheinung. Es wird darunter eine
meistens kurze virtuose, rhythmisch interessante Passage gemeint am Ende einer Phrase (meistens dort, wo
der Mittelteil des ABA-Form zeigenden Stiickes endet und die Harmonik in einem Halbschlufi kulminiert
— also meistens im 15. und 16. Takt des Mittelteils) ; die ubrigen Instrumente brechen da mit der Melodie
plotzUch ab und lassen das eine, das den Break ausfuhrt, allein, um in 1 oder 2 Takten mit maschineller
Genauigkeit wieder einzusetzen, z.B.: (Notenbeispiel 6).
4 ) ,, . . . in venti 6 poco piu (giorni) essercitandoli si possono, fare, cantando sicuramente in ogni
libro all improvise'-
286 MATYAS SEIBER
Zeitgeist. (Vergleiche damit, was Paul Bernhard in seinem Jazz-Buch ') iiber ahnliche
,,Herstellung" der Gebrauchs-Musik damals und heute schreibt.)
Es handelt sich beim Jazz also audi nur um die zwei Arten der Improvisation: ent-
weder wird die Melodie variiert, verziert, verzerrt, umgespielt („played around") je nach
den Moglichkeiten des betreffenden Instruments, oder wird eine ganz neue, zum har-
monischem Geriist passende Melodie dazugespielt. Von der ersten Art, wenn es gleich-
zeitig von mehreren Instrumenten gespielt wird, konnte sich ebenso eine „heterophone"
Art des Musizierens herausbilden, wie wir das von der javanisclien Gamelan-Musik,
chinesischer Theater-Musik, usw. bereits kennen, — was aber beim Jazz bisher nicht
geschehen ist, obzwar Ansatze dafiir manchmal zu beobachten waren. Die zweite Art.
namlich eine neue Melodie hinzuspielen ist im wesentlichen viel primitiver, als die ent-
sprechende Technik des 16. Jahrhunderts ; gegeniiber der damaligen linear-melodischen
Haltung der neuen Stimme, handelt es sich hier meistens um auf gebrochenen Akkorden
basierenden Passagen, mit einigen harmoniefremden Tonen („Chord Embellishments") ge-
schmiickt. Die meistgebrauchten unter diesen „Chord Embellishments" sind: die „Gliss
notes" (untere chroma tische Wechselnote), „Wierd notes" (obere chromatische Wechsel-
note) „Raised notes" (obere diatonische Wechselnote) usw. Charakteristisch und neu ist
aber die Benutzung der sogen. „Blue notes" (von der „blauen" Stimmung (auch im
„Blues"), die sie ausdriicken sollen) : diese sind in einem Dur-Dreiklang, als harmonisches
Fundament, die kleine Septime und kleine Terz hineingespielt. Durch die erstere ent-
steht also ein „Dominantseptakkord" — (ohne aber eine Modulation nach den Sub-
dominante zu bewirken ! — ), durch die zweite der durch die Impressionisten bevor-
zugte Akkord mit der Dur-Terz (unten) und der Moll-Terz (oben) zugleich. Den
Schiiler auf den Gebrauch der einzelnen harmonischen und harmoniefremden Tonen
systematisch hinzuweisen, ist dann Aufgabe des Jazz-Unterrichts.
So eine wichtige Zeiterscheinung, wie es der Jazz heute ist, bewegt naturlich die
Gemiiter mit voller Kraft ihrer Aktualitat und reifit diese in das eine, jene in das
andere Extrem; aber man mufi die Objektivitat auch gegeniiber dem Jazz bewahren:
ebenso, wie es iibertrieben ware, auf die alleinseligmachende Wirkung des Jazz zu
schworen, ware es ein grofier Fehler und Unrecht, ihm die vielen guten Wirkungen und
Anregungen, die er ausubt, abstreiten zu wollen. Denn was haben wir dem Jazz zu
verdanken? Eine neue Definition und einen neuen Teil der Rhythmik, der bisher un-
beachtet und unbekannt war, und die Wiederbelebung einer Praxis, die uns seit Jahr-
hunderten verloren gegangen war und jetzt durch den Jazz ihre Auferstehung erlebt.
Und wenn man das alles iiberlegt, mufi man, glaube ich, auf die im Anfang aufgestellten
Fragen mit „Ja" antworten.
*) Paul Bernhard: Jazz, Eine musikalische Zeitfrage. ^Delphin-Verlag, Munchen, 1927) Seite 76.
GRUNDLAGEN DER BEURTEILUNG 287
WISSENS CH AFT
Erich Doflein (Freiburg i. Br.)
UBER GRUNDLAGEN DER BEURTEILUNG GEGEN-
WIRTIGER MUSIK *)'
(Kritik und Gemeinschaft. Kritik der Kritik.)
1.
Man erkemit, dafi die Frage nacli dem Sinn ernes neuen Musikwerkes immer
gewichtiger iiber dessen Wert entscheidet. Das naive Schon-Finden mufi als Form
des strengen Werturteils zuruckgestellt werden; es ist kein Urteil von Gewicht mehr,
da es der bequenien, gewohnten Horeinstellung entspringt, die das Geniefien ganz selbst-
verstandlich dem Erlebnis und der Idee einer tieferen Fesselung vorzieht. Geandert
und gesteigert haben sich fiir uns gegenuber der Tradition der Romantik zwei wesent-
liche Grundlagen der Kunst : der Anspruch auf Gemeinsamkeit unter Menschen in ihrer
Beziehung zum Kunstwerk und die Idee von Graden und Formen dieser Gemeinsam-
keit, beginnend beim „Gebrauch" und steigend bis zur Idee der Gemeinschaft.
Die Moglichkeiten und Variationen der Gesellschaftsordnung geniigen als mensch-
licher Hintergrund der Musik nicht mehr, entsprechen in keiner Weise mehr der heutigen
Lage. Denn eine grundlichere Gemeinschaft von Menschen ist auf der Basis des nur
gemeinsamen Schon-Findens im „freien asthetischen Wohlgefallen" nicht moglich; dieses
aber bestimmt notwendig das Werturteil der „Gesellschaft".
Mit diesen Anderungen in den Grundlagen der Werturteile anderte sich selbst-
verstandlich audi der Begriff vom „Sinn", anderte sich ebenso audi die Form des
Urteilens selbst.
Sinnvoll ist ein Werk nicht mehr, das wie eine einsame Insel entdeckt werden
kann (oder audi nicht), und trotzdem „ist" ; ein Werk, das irgendwo in einem Schreib-
tisch ruht und hierdurcli im strengen Sinn als einsame Vollendung durchaus sein sach-
liches Dasein erfiillt, seinem Begriffe geniigt und ,,irgendwie schon einen Sinn" hat.
Diese ideelle sinnlose Sinnhaftigkeit, dieser Sinn, der sich schon darin erfiillt, dafi das
Werk nur geschrieben, nur geschaffen zu werden brauchte, war Prinzip einer Einstellung,
die das Kunstleriscbe als Selbstzweck fassen durfte und ein eigenes Gebiet, ein System
der „subjektiven Allgemeingultigkeit" aus der Kunst machte. Dieser Art des „Sinnes' ? >
und dieser Art der Giiltigkeit entsprach die Form des Urteils iiber Kunst und Werk,'
das „frei" war und Wohlgefallen wie Geschmack als gesicherte Prinzipien voraussetzte,
Zugleich w^ar ein solches Urteil notwendig immer das Urteil eines „Einzelnen", der sich
der asthetischen Geltung, dem kunstlerischen Wert gegenuber, aufierordentliche Bechte
in der Beurteilung zuerkennen durfte.
Die Forderung einer' Bindung in den Gebrauch oder in die Idee einer Gemein-
schaft andert den Begriff des „Sinns" ganz grundsatzlich ; seine eben genannten Momente
2 ) Der vorliegende Aufsatz kniipft an die Gedanken des Aufsatzea: „Ende oder Umformung der
Kritik?" an, der im vorletzten Heft zum Abdruck kam.
288 ERICH DOFLEIN
zerfallen. Der Konzertsaal ist heute weder ein Ort des Gebrauchs, noch eine Represen-
tation von Gemeinschaft, und er war beides in fruherer Zeit auch nur in gewissem
Mafie. Ein, im Hinblick auf den Konzertsaal, auf eine vielleicht einmal mogliche Auf-
fiihrung komponiertes Werk realisiert wie der ganze geistige Stil der Romantik einen
idealistischen Selbstzweck. Dieser idealistische Selbstzweck als hochster Ausdruck des
„Sinns" lost sich heute mit der Umlagerung des „Sinns" auf, tritt seine Funktion an
die Forderung einer realeren Notwendigkeit ab. Diese Notwendigkeit aber mufi auf
einer Sicherung ruhen; sie ist nur „Notwendigkeit" durch eilie Sicherung bestimmter
Art. Diese Sicherung nun liegt in der Zugehorigkeit eines musikalischen Werkes zu
einem bestimmten Bezirk des menschlichen Lebens, der sich von den zahlreichen anderen
musikbezogenen Bezirken dieses Lebens jeweils scharf abgrenzt. Friiher waren dies
Tanz, Abendunterhaltung von Volk und Adel in Stube und Schlofi, war es die Kirch e.
Heute werden es wieder ahnliche und doch durchaus andere Bereiche sein : Tanz, Kino,
Cafe, Musizieren in Schule und Haus, das Kammermusikkonzert und die Kammerbuhne
fur ausgesprochene Kenner und Freunde, die Ausstattungs-Sinfonik und die Revue-Oper
fiir Massenhorer und die isolierte Kultmusik einzehier Sonder-Gemeinschaften. Viel
weniger eine soziale, als eine intellektuelle Schichtung bestimmt hier die Spaltung der
Menschen wie auch die Spaltung im einzelnen Menschen selbst, die die einzelnen
Bereiche fiir die Musik scliafft. Die lebendige Kraft soldier verschiedener Lebensbezhke
strahlt in ihre jeweilige Musik ein und gibt dieser die fiir den reflektierenden Horer so
geheimnisvolle Sinnerfiilltheit, die wir aus alter Musik heraushoren; gibt ihr fiir den
naiven Horer jener die zweifelsfreie Selbstverstandlidikeit, die erst eigentliche Lebendigkeit
und Kultur ausmacht, scliafft die Fornien der Kunst als eindeutige Typen, (worin eine
Starke liegt; der Roman tiker hatte hier von einer „Schwache" gesprochen!), ermoglicht
eine langsame Riickeroberung des vargesseneii Sinnes der Form, der lebendigen Form-
Erwartung. Das iibertriebene Espressivo, d. h. der Ersatz dieser sinnvollen Begriindung
aufierhalb der Musik durch den Ausdruck mid die Intensitat in der Musik selbst, mufi
hier hinfallig werden. Die „Sachlichkeit", auch als Moment des Ausdmckes, ergibt sich
oline Programm von selbst.
Die Form des Beurteilens andert sich entsprediend. Das Urteil kann nicht mehr
das eines Einzelnen sein; es ist nicht mehr prinzipiell Einzelurteil und nicht mehr in
erster Hinsicht asthetisch, d. h. durch Wohlgefallen und Geschmack im isolierenden
Genufi bestimmt. Es mufi naive Entscheidung sein, Entscheidung iiber den „Sinn",
iiber das Hingehoren an eine Stelle des Gebrauches und iiber die Erfiillung des Sinns,
d. h. Urteil iiber die Art, in der ein Werk den Erfordernissen jener seiner Stelle des
Gebrauchs entspricht, ein Urteil iiber die Brauchbarkeit schlechthin. Dafi dieses Beur-
teilen nicht mehr Aufgabe eines Einzelnen sein kann, ergibt sich somit als Folge dieser
Einordnung in den Gebrauch, dieser anderen Sinn-Grundlage ; das Recht zu einem an-
mafienden Gericht von Seiten eines Einzelnen ist ersetzt durch die Moglichkeit einer
Selbstrechtfertigung, die das Werk im Bereich seiner Zugehorigkeit, seines Gebraucht-
Werdens leisten und bestehen wird. Das Sich-Durchsetzen eines Werkes im Konzert-
saal ruhte nicht auf dieser lebendigen Rechtfertigung. Gerade in letzter Zeit wurde
hier immer mehr die Zufalligkeit des Erfolgs als eine Folge der Beurteilung durch
Einzelne peinlich erkennbar.
GRUNDLAGEN DER REURTEILUNG 289
Nicht unbedingt schaltet sich hierbei die Mflglichkeit einer offiziellen „Kritik''
(durdi Einzelne) aus. Nur die Grundlagen und Bechte sind andere. Romantische
Musikiibung im weitesten Sinn stand unter dem einheitlichen Zeichen einer Idee von
Musik. Die Spaltung und Abwandlung dieser Idee gemafi der Vielfaltigkeit des Gebrauchs
zwingt den Kritiker nunmehr zu einer Abwertung in konsequenter Bezugnahme auf
diese Vielfalt der Zwecke; die einlieitliche Idee, die immer gleiche Erwartung von
Musik als Mafistab der Beurteilung wird und mufi versagen. Die Abwertung der Zwecke,
besonders aber der Kampf gegen ein Erstarren im Zweck und ein Lassigwerden im
Gebrauch, die Erkenntnis der jeweiligen „Brauchbarkeit", dies werden die neuen, die
zum Teil prinzipiell neuen Aufgaben der Kritik sein, deren einseitige Einstellung auf
asthetische Gradmessung hier vollig sinnlos wird. Viel weniger die Personlichkeit des
Komponisten, als die jeweils besondere, rein musikalische und tecbnische Faktur der
Werke und ihre geistige Einordnung in unser Leben mussen auf diese Weise Gegen-
stand der Kritik werden. — So ist aucb „neue Sachlichkeit" in den Formen des
Beurleilens moglich. Die Voraussetzung zu dieser Sachlichkeit mufi allerdings in einer
Sicherung der „Sache*' selbst gegeben sein. in einer Ordnung der Sache, d. h. im Bewufit-
sein der Vielfalt und Verschiedenheit der Gebrauchsorte fur Musik also, in einem
lebendigen System von Gegensatzen und Eigengesetzen. Die romantische Musik konnte
keine „Sache" kennen; sie deutete den Menschen utid diente dadurch der Kunst selbst.
Sachlichkeit ist erst in der geordneten Mannigfaltigkeit des Gebrauchs, in der Deutung
der Kunst im Dienst am Menschen moglich; erst dann ist sie als „Haltung" auch keine
asthetische Laune mehr, sondern eine ernste und warme Kraft.
Solche Betrachtungen sind jedoch nur Ausblidce in mogliche Ergebnisse unserer
Zeit, sind Feststellung von prinzipieUen Momenten, die den Veranderungen an der
Oberflache zu Grunde liegen; sie sollen der Mitarbeit an einer notwendigen Klarung
dienen. Daft in soldier Kiirze nur Andeutungen gegeben werden konnen, ist selbst-
verstandlich.
Es ist sicherlich das eigentliche Musikproblem unserer Tage, das hier umzeichnet
wurde: die Scheidung und Schichtung in Zweck- und Gebrauchsstile. Die Aufgabe
einer klarenden Arbeit ist es folglich, diese Vielfalt, die der unendlichen Gespaltenheit
des modernen Lebens und der Spaltung einer heutigen Einzelindividualitat entspricht,
in einer sinnvollen Ordnung zu sehen, als Schichtung zu verstehen, als Gliederung
selbstverstiindlich zu machen und als kulturelle und soziale Stilbasis unserer Zeit zu
begreifen und zu festigen. Das Baden-Badener Musikfest iin letzten Sommer hatte
dieses Problem gestellt und an der Klarung dieser Lage zu arbeiten begonnen. Jugend-
musik (Gemeinschaftsmusik), medianische Musik, Film-Musik und Kammer-Oper sind
Formen einer Gebraudismusik, von sehr verschiedener Bedeutung allerdings, aber
gleichermafien der Einheitsidee des Konzertsaals und dessen spezifischer Form von
ideeller, selbstgewifier und selbstgeniigsamer Zweckhaftigkeit entruckt. Und ein Komponist
wie Paul Hindemith lebt dieses Problem. Er gestaltet nebeneinander fur jedes dieser
Zweckgebiete. Sein enormes Talent: das jeweils zur Sache Passende an Ausdruck
Mitteln und Form schlagkraftig bereit zu haben, macht ihn zu dem aktuellen Musiker
290 ERICH DOFLEIN
schlechthin. Auf „Zukunft" der einzelnen "Werke komrat es hierbei garnicht an; der
„Siiin", d. h. die Stelle an die ein Werk hingehort, entscheidet vorerst iiber dessen
Gewicht. Erst viel spater werden wir wieder von Zukunft und Personlichkeit wertend
spreclien konnen.
Diese Einstellung auf Gebrauch und Gebraucbsstile ist das eigentliche, den Bereicli
der Schlagworte viberwindende Ergebnis der „Neuen Sachlichkeit". Die nahere Ver-
bindung der Musik mit dem Menschen mid der Menschen untereinander in ihrer Be-
ziehung zu einer Musik, eine menschliche Losung also ergab sich. aus der Idee der
Sacblichkeit. Verschiedene Grade der „ Genie ins ch a ftlichke it " sind es, die sich hier
in dieser menschlichen Losung auswirken und mit ihren verschiedenen Fornien die nicht
mehr „gesellschaftliche" Basis des [Vlusiklebens bestininien. Den aufiersten Grad dieser
verschiedenen Formen der Aneinaiiderbiiidung von Musik und Menschen stellt die
Gemeinschaftsiiiusik dar, die als leitende Idee selbstandig macht, was auf den geiiannten
anderen Gebieten nur als ein treibendes Moment in den stilwandelnden Kraften mitwirkt.
Ein Anfangsgrad soldier Auswirkung des Drangs zum Gemeinschaftlichen wiirde etwa
andererseits in der Forderung eines „aktiven" Horens fur die Erfassung polyrythmischer
Gebilde moderner Kammermusik zu erkennen sein.
Alle wesentlich erneuernden Tendenzen, die sich gegen die Stilhaltung der gesell-
schaftlichen Musik des vorigen Jahrhunderts richten, sanimeln sich in diesen Aus-
wirkungen der Gemeinschaftsidee, weim diese sich audi nur in sehr verschiedenen
Graden durchsetzt. Die Uberwindung der Isolierung im Erleben und der Idee der
Einzigkeit, die Uberwindung der Bechte und der positiven Bewertung der Isolierung
bestimmt die allgemeine Ziehichtung. Sei es nun die Masse, die Gemeinschaft, oder die
Gemeinde, die sich in der Stellung zur Kunst um eine neue Tradition bemuhen, alles
sind verschiedene Fornien einer neuen Zusammengehorigkeit von Menschen, die der
Gesellschaft entgegengesetzt sind.
Hiervon war am Anfang dieser Ausfuhrung schon die Bede. Dort wurde auch im
Hinblick auf eine These Kants, der bei der Bestimmung der asthetischen Geltung das
asthetische Urteil als Einzelurteil fixiert hat, von der asthetischen Beurteilung durch den
Einzelnen (die als asthetische prinzipiell durch einen Einzelnen ei-folgt) gesprochen. Es
wurde nicht verkannt, dafi die Bestimmung Kants einen transzendentalen Sinn, d. h.
eine methodentheoretische Bedeutung hat und keine empirische Definition sein will.
Aber hierin liegt ja gerade der Unterschied gegen die heute mogliche Einstellung. Er-
lebnis der Musik ist nicht mehr als mogliche Form einer spezifisch „methodischen" Ein-
stellung moglich, nicht mehr als in sich isolierte, asthetische Haltung denkbar. Der
erlebende „Vollzug" also, die psychologische Seite der asthetischen Geltung, die sachlich
zu ihr gehort und jene notwendige Vereinzelung bestimmt, hat durch das Moment der
Gemeinschaftlichkeit und die Forderung einer gesteigerten „Aktivitat" des Horens einen
neuen Sinn erhalten; einen neuen Sinn, der zugleich die Entfernung von den metho-
dischen Rechten des Asthetischen bestimmt; ist ja doch auch die Idee des „Selbstzwecks",
d. h. die Wertigkeit „ohne BegrifF" (Kant) durch den Bezug auf die einzelnen Zweck-
gebiete und die begriffliche Erfafibarkeit der Gliederung dieser Zweckgebiete relativ auf-
gelost. Dies sollte hier jedoch nur angedeutet werden. Die Verfolgung einer Frage
dieser Art mufi dem Spezialisten iiberlassen bleiben.
GRUNDLAGEN DER BEURTE1LUNG
291
H
Diesev Anderung der asthetischen Urteilsform entsprechend, andert sich auch die
Bedeutung eines anderen prinzipiellen Gesichtpunkts von dem in diesem Zusammen-
hang ebenfalls ausfiihrlicher die Rede war. Die Erkenntnis der verschiedenen Formen,
Spaltungen und Zwecke der Musik lafit die Idee der „Einheit" der Musik, die Idee einer
einzigen Musik ganz in den Hintergrund treten; der Begriff der Musik verdunkelt sich
bei der Erkenntnis von der Vielzahl der Formen seiner Verwirklichung. Es scheint,
dafi Musik als Begriff immer nur im Rahmen eines Stiles fafilich ist, dafi nur vom
lebendigen Boden eines gelebten Stiles aus der Begriff der Musik — und dann also
notwendig einseitig — formuliert werden kann. Wir aber seben heute die Vielzahl
dieser Stile selbst beim Blick in die Vergangenheit; zugleich sind wir im Begriff jeweilige
Zweckformen der Musik in der Gegenwart stilistisch von einander zu trennen; der
Gedanke der Einheit mufi sich also ganz anders und neu darstellen-, selbst die Bestim-
mungen der Kantischen Philosophic, die mit der Festlegung der Form einer Begriffs-
fassung im Bereich des Kiinstlerischen dessen Seinsform und folglich auch dessen Einheit
und Einzigkeit fixieren wollten, zeigen sich als stilbedingt, zeigen sich durch die Ein-
steUung auf das prinzipiell einmalige asthetische Urteil (im Vollzug durch einen „Ein-
zelnen") als Theorie einer bestimmten, schon spezialisierten Einstellung auf Kunst ; einer
Einstellung, die spater zu jener Haltung geworden ist, die wir im weitesten Sinne als
„Romantik" bezeichnen und deren Tendenz zur Auflosung aller Momente einer — viber
das individuelle hinausgehenden — Gemeinschaftseinstellung heute wieder durch eine
langsam beginnende Gegenbewegung Halt geboten werden soil. Es wird und mufi sich
also mit dem Fortschritt einer Ordnung im Bewufitsein von den Wesensspaltungen und
Stilschichtungen der Musik die Moglichkeit ergeben, die Einzigkeit und Einheit der
Musik als Idee neu zu fassen, erweitert von einer Theorie des asthetischen Urteils als
Ausgangspunkt auf eine allgemeine Theorie von der Gestalt und den Wandlungen ihres
Begriffs und ihrer Zweckart im AVechsel der Stile. Allerdings wird sich solche Erfassung
in ihren Grundlagen dann grundsatzlich von der heute iiblichen Phrase unterscheiden,
die verkiiiidet: es gibt keine alte und keine neue Musik, es darf keiiae hohere oder
niedere Stilform geben, es gibt nur eine einzige Kunst der Musik. Solche Einstellung
ist kleinburgerlich gewordene romantische Stilbefangenheit, Befangenheit im Abklang
eines Stils, dessen grofie Idee allerdings einmal die Verwirklichung der Einheit der
Musik in Werk und Darstellung gewesen war. Der Mensch des 19. Jahrhunderts, fiir
den — im Anschlufi an Kant — zuerst einmal die Moglichkeiten des Geistes als
einzelne „Verniogen" im Tranzendentalen, methodischen Sinne auseinander traten und in
ihrer Wechselbezogenheit erkenntlich wurden, dem dann aber in steigender Differenzierung
diese „Vermogen" der Seele sich in psychologische Potenzen auflosten, die immer mehr
von einander getrennt fafibar waren, dieser Mensch wollte in seiner Musik all diese
getrennten Bereiche seines „Ich" wieder zusammenschmelzen: das Asthetische mit dem
Beligiosen, die Erkenntnis mit dem Ethos, die Musik als „Sprache" mit der Psychologie,
die Deutung des Menschen mit der Selbstanalyse seiner Nervositat; Ethos aus dieser
Analyse gestaltend, aus dem Ethos Erkenntnis und Beligiositjit ableitend, alle Momente
zusammenfassend in der einsamen Form des Asthetischen. Die neue, die sachliche
Musik versucht all diese Momente wieder auseinanderzulegen, in ihre Eigengebiete zu
verweisen, die Schichten trennend und folglich auch das eigentlich Asthetische, den
292 MELOSKRITIK
Selbstzweck auflosend. Der Mensch aber, der dies mit seiner neuen Musik versuclit,
versucht audi andererseits — im Gegensatz zum 19. Jahrhundert — in seinem „Lebens-
gefuhl" unabhangig von der Kunst die getrennten „Vermogen" sowohl, wie auch seine
psychologischen Potenzen wieder zu organischer Einheit znsammen zu fassen (die Trennung
der Gebiete den Saclien selbst iiberlassend) ; er versucht dies in alien Bereichen; man
denke an den theoretischen Philosoph, der das „Icb" als „Monade" organisch zu gliedern
sucht, oder vielleicbt an einen Ideentrager der Jugendbewegung, der die organische
Einheit in der Tat seines Lebens selbst bewaltigen will. — Dafi tibrigens auch jene
psychologisch-asthetischen und metaphysisclien Theorien von der Musik, die die Ein-
stellung Kants iiberwunden zu haben glaubten, in naivster Form einen einheitlichen
Begriff von der Musik gemafi dem Stil ihrer Zeit vorausgesetzt haben, soil — fur die
Mehrzahl jener Theorien geltend — hier nur erwahnt werden.
Aber auch die Verfolgung solcher Gedanken mufi spezialerer Facharbeit iiberlassen
bleiberi. Besser als solche Abgrenzung gegen Vergangenes ware es jedoch, vorerst
aus der Lebendigkeit der heutigen Problemlage heraus, d. h. a us dem BewuGtsein
jener Schichten und Spaltungen heraus, ganz neu, ohne theotorischen Btickblick und
Besinnungen imd Bestimmungen zu beginnen. Einen aufierst fruchtbaren Versuch der
theoretischen Besinnung von diesem Ausgangspunkt aus hat schon Heinrich Besseler
unternommen, dessen Aufsatze ] ) uber asthetische Probleme, von der hier analysierten
neuen Sinn-Haltung ausgehen und dem Verfasser dieser Zeilen die entscheidendsten
Anregungen gegeben haben.
Aber nicht nur in der Wissenschaft, sondern gerade in dem offentlichen Musik-
Beurteilen des Alltags miissen die hier besprochenen Wandlungen berticksichtigt werden.'
Es ist wirklich ebenso sinnlos, selbstgewifi von Tag zu Tag weiter zu kritisieren, ohne die
grundsatzlichen Anderungen in der Ziel- und Ideesetzung zu beriicksichtigen, weil es sinn-
los ist, ohne standig Umschau zu halten „fur sich" weiter zu komponieren, in der Meinung,
durch Einsamkeit dieser unmutigen Art noch ein Recht auf Ewigkeit erobern zu konnen.
MELOSKRITIK
Die neue, hier augestrebte Form der Kritik beraht darauf, dafi
sie von mehreren ausgeiibt wird. Dadurch soil ihre Wertung von
alien Zufalligkeiten und Hemmungen abgelost werden, denen der
Einzelne ausgesetzt ist. Langsam gewonnene, gemeinsame Formu-
lierung, aus gleicher Gesinnung entstanden, erstrebt einen hoheren
Grad von Verbindlichkeit. So ist jede der vorgelegten Besprech-
ungen ein Produkt gemeinsamer Arbeit der vier Unterzeichneten.
W erkb e spr e ch ung
PAUL H1NDEMITH: CARDILLAC
Anderthalb Jahre nach der Dresdener Urauffuhrung bringt die Berliner Staatsoper
unter Klemperers Leilung den „Cardillac" von Paid Hindemith heraus. In diesen
*) H. Besseler: Grundfragen der Musikasthetik, Pctersjahrbuch fiir 1926; fufiend auf einein Aufsatz
„Grundf'ragen des musikalischen Horens" Petersjahrbuch fiir 1925.
HINDEMITH: CARDILLAC 293
anderthalb Jahren ist die Oper uber etwa funfundzwanzig Biihiien gegangen. Diese
Zahl bezeiclmet keinen Sensationserfolg sondern die immer zunehmende Wertung eines
Werkes, das durcli sein inneres Gewicht und seine Konsequenz einen damals vollig
neuen Operntypus aufstellte. Es hat sich herausgestellt, dafi dieses in seiner Faktur
komplizierte Werk, gerade an mittleren und kleineren Buhnen, die nicht mehr durch
Wagnersche Spieltradition belastet sind, bei weniger voreingenommenen Horern starke
Wirkung hatte. Der Gesamteindruck des Werkes hat sich, unterstiitzt durch die gegen-
wartige Situation der Oper uberhaupt, inzwischen soweit geklart, dafi es in seinen
stilistischen und entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhangen deutlicher vor uns liegt.
Zugleich lassen sich die Fehlerquellen der Mifiverstandnisse erkennen, die sowohl durch
stilistisch verfehlte Auffuhrungen wie auch durch die von falschen Voraussetzungen aus-
gehenden Einwande der zunftigen Kritik entstanden.
Sie schienen einem Stoff gegeniiber berechtigt, der nicht nur im MUieu sondern
vor allem in der Anlage einer auf Spannungsdramatik gerichteten Handlung noch ganz
auf dem Boden der Bomantik steht. Denn dieser Goldschmied Cardillac, der, von
dem Fluch getrieben, das von ihm Geschaffene wieder zu besitzen, die Kaufer seiner
Kunstwerke ermordet, ist der typische Held des romantischen Erlosungsdramas im Sinne
Marschners und Wagners. Doch treten schon in der Gestaltung dieses StofFes selbst
Momente hervor, die sich von der Logik des Musikdramas aus nicht mehr begreifen
lassen. Die Art, wie im ersten Akt Personen als' Trager der Handlung eingefuhrt
werden und spater einfach verschwinden, deutet ein Prinzip an, das bereits in einigem
Widerspruch zum Stoff steht. Wesentlicher aber ist die sti - eng formale Anlage des
Buches, die den Stoff in geschlossene Einzelszenen gliedert und, ihn so aus der Begion
des Musikdramas wegruckend, zum Textbuch einer von musikalischen Formgesetzen
diktierten Nummernoper macht.
So begegnen wir Begriffen wie Arie, Duett, Chor, Szene und Quartett, Wechsel-
gesang (Passacaglia). Die Art, wie die Oper durch je eine grofie Chorszene eingeleitet
und geschlossen, wie der zweite Akt durch die beiden Arien des Cardillac eingerahmt
wird, wie bewegte und ruhige Stiicke sich ausgleichen, bezeugt den arcliitektonischen
Plan, der die Gesamtanlage bestimmt.
Diese Gesamtanlage in geschlossenen Einzelformen entspricht dem ganz auf die
Musik gerichteten FormwiHen Hindemiths, der sich in Instrumentalwerken von polyphon-
konzertanter Haltung individuell gefestigt hatte. Dieser polyphon-konzertante Std be-
herrscht auch die Partitur des „Cardillac". Die nach rein musikalischen Gesetzen
gestaltete Oper gelangt gleichwohl zu dramatischen Wh'kungen. Musik und Drama
stehen hier in einem neuen Verhaltnis : die Musik saugt die dramatischen Inhalte ein
und hebt sie auf eine hohere Ebene. Was sie ihnen an unmittelbarer Aktualitat ent-
zieht, gibt sie ihnen an Intensitat und Konzentration.
Den Einzelformen fehlt die durchlaufende musikalische Gharakteristik, fehlt fast
jede dramatisch-psychologische Entwicldung im Sinne des Musikdramas. Sie umreifit
v elmehr gleich in ihren ersten Takten eindeutig Situation und Personen und beharrt,
294
MELOSKRITIK
das thematische Material manchmal konzertant durchfiihrend, in der einmal gegebenen
Grundlage. Demgemafi fehlen auch die groGen musikdramatisclien Steigerungen und
Hohepunkte. Durch diesen Verziclit auf jede handgreifliche Dramatik ergab sich bei
schiefer Einstellung den Eindruck des Undramatischen.
In Wahrheit aber werden hier durch die Eigengesetzlichkeit der Musik Krafte aus-
gelost, an denen das Musikdrama meist voriibergeht. Diese Krafte sind nicht subjektiv-
psychologische sondern objektiv-musikalisclie. Das einmal festgesetzte Thema wird in
mannigfaltigster Art und immer in einer tiefer liegenden Beziehung zur Szene, doch nur
mit musikalischen Mitteln, abgewandelt. Zu diesen Mitteln zahlt das ostinate Motiv, die
unisone Linie, reine zwei- und dreistimmige Polyphonie. Die Melodik meidet das Es-
pressivo, sie ist eher spannungsarm und kurzatmig als affektvoll ausladend, sie ergeht
sich nicht in grofien Intervallen, sondern bevorzugt eine herbe Diatonik. Die Folgen:
eine konstruktive Melodiefiihrung, die zwangsliiufig auch die Polyphonie bestimmt.
(Notenbeispiel 1). ] )
Es ist bezeichnend, dafi dies das Thema eines Fugato ist, zu dem die Tochter
spater den unterlegten Text singt. Wie sahe diese Stelle in einem Musikdrama aus!
Die Musik objektiviert hier den seelischen Gehalt und driickt ihn zugleich voll aus
In diesem Grad der Stilisierung liegt ein wesentliches Merkmal der Oper. Das Beispiel
belegt ferner, dafi die Singstimme weniger nach ihren dynamischen und klanglichen
Moglichkeiten verwendet ist, sondern sich vielmehr als gleichberechtigten Faktor
in den instrumentalen Satz eingliedert. Trotz solcher Stilisierung vermag sie
doch die AfTektspannung der jeweiligen Situation zu halten. Die Erregung des Gold-
handlers, als er in Cardillac den langgesucliten Morder entdeckt, ist in der zackigen,
rhythmisch verschobenen und doch konstruktiv gebundenen Melodik eingefangen.
(Notenbeispiel 2).
Freilich ist dieses dramatische Gestaltungsprinzip ohne jede Starrheit und durch-
aus nicht immer konsequent durchgefiihrt. Die arios-schwellende Gesangslinie in der
zweiten Arie des Cardillac gemahnt noch an die Geste des romantischen Musikdramas.
(Notenbeispiel 3).
An anderen Stellen werden derartig exponierte Singstimmen meist durch kon-
struktive Orchesterthematik paralysiert.
Auch das Kolorit entspricht mit absoluter Folgerichtigkeit dem dramatischen Ge-
staltungswillen Hindemiths. Es verzichtet auf sinnliche Reizwirkungen und gewinnt
aus der vorwiegend festgehaltenen Dreistimmigkeit eine klare und harte Farbgebung.
Daraus erklart sich die Ausschaltung aller Fullstimmen und rein koloristischen Effekte.
Ahnlich wie die Thematik festgehalten wird, bleibt das einmal gewonnene Klangbild
innerhalb einer Szene ohne Differenzierung und gelangt hochstens zu registrierenden
Verstarkungen und Abschwacliungen. Die Farbverteilung selbst charakterisiert indivi-
duell die Situation der einzelnen Szenen. Besonders Schlagzeug und Blaser erhalten
neue Selbstandigkeit und ein neues Gewicht, wahrend der Eigenwert und die Sinnlich-
keit des Streicherklangs entkraftet sind.
Durch alle diese Merkmale erweist sich Hindemiths „Cardillac" als ein wesentlicher
Wegstein in der Entwicklung der jiingsten Oper. Die Verwirklichung dieses Typus der
1 ) Siehe Notenbeilage.
DIE ROLLE DER MUSIK IM RUNDFUNK 295
reinen Musikoper mufi als eine um so grofiere schopferische Leistung gewertet werden,
als es Hindemith gelang, sie an einem so kontraren, eigentlich in eine ganz andere
Richtung weisenden Stoff zu gewinnen. Dabei bedeutet aber der Begriff „Musikoper"
keine Zerstorung sondern eine Sublimierung des Dramatischen.
Hans Mersmann, Hans S chultze-Ritter,
Heinrich St rob el und Lothar Windsperger
RUNDFUNK
Hanns Gut man (Berlin)
DIE ROLLE DER MUSIK IM RUNDFUNK
„Es gibt auch noch andere Reschaftigungen als Musik"
Der Rektor der Universitat Gottingen.
Es mufi einmal von dem gesproclien werden, was man mit einem unfreundlichen,
aber zutreffenden Wort Musikpest nennen konnte. Dieser Ausdruck, dessen ich mich
da so schamlos bediene, ist durchaus nicht neu, niemand darf ihn als Zeichen zeitge-
nossischer Kulturschande anprangern und sagen, eine solcbe Gemeinheit sei in der guten,
alten Zeit doch nicht denkbar gewesen. Denn der Kritiker Eduard Hanslick, allerdings
ein Mann von einer verdachtigen Helligkeit des Verstandes, hat schon im Jahre 1900
einen Artikel geschrieben mit dem ergotzlichen Titel „Gemeine, schadliche und gemein-
schadliche Klavierspielerei" und da heifit es: „Ich glaube alien Ernstes, dafi unter den
hunderterlei Gerauschen und Mifiklangen, welche tagiiber das Ohr des Grofistadters zer-
martern und vorzeitig abstumpfen, diese musikalische Folter die aufreibendste ist" und
weiterhin: „Ich halte die herrschende Seuche fiir unheilbar und glaube, dafi wir nur
mittelbar, auf weiten asthetischen und padagogischen Umwegen dahin gelangen konnen,
ihren verheerenden Fortgang allmahlich einzudammen". Guter Professor Hanslick, Sie
haben das schon vor dreifiig Jahren empfunden und ihre Bedenken zu formulieren
gewagt und haben doch nur das Klavier gemeint, sogar nur das manuell betriebene,
an das elektrische haben Sie nicht gedacht, auch nicht an Grammophon und Radio, weil
Sie das alles garnicht kannten. Aber wenn Sie damals, um Ihren Klageruf mit einem
trostlichen Abschlufi zu mildern, die Hoffnung aussprachen, warnende Stimmen und die
tatige Einsicht der Musiker wiirden mit der Zeit heilsam einwhken, so mufi Ihnen heute
posthum geantwortet werden, dafi Sie sich geirrt haben. Schlimmer als jetzt ist es nie
gewesen. Aber es kann noch viel schlimmer werden.
Freilich, die Klavierseuche ist nicht mehr so gefahrlich. Einmal ist die Zahl der
Havierstumpernden Tochter infolge der wirtschaftlichen Situation stark vermindert worden,
vor allem jedoch hat die schwerere Krankheitsform der musikalischen Elefantiasis die
leichtere unwesenthcher gemacht. Allen Ernstes, es ist hochste Zeit, der Musikpest Ein-
halt zu gebieten, denn der gefahrdete Patient ist weniger der gepeinigte Horer als viel-
mehr die Musik selbst. Alle, die es gut mit ihr meinen, Kiinstler, Kritiker, Liebhaber,
Erzieher und soziale Reformer, sollten sich zusammenfinden, um ihren entwertenden
Verschleifi zu verhindern.
296
HANNS GUTMAN
Soweit das vollig unokonomische Uberangebot an Musik freibleibend gemacht
wird, hat sich das Publikum langst zur Wehr gesetzt. Der immer augenscheinlichere
Verfall des Konzertwesens besagt es deutlich. Aber wie zahheich sind die Falle, wo
man gegen die Agressivitat des Klanges wehrlos ist! Die Augen kann man nach Be-
lieben schliefien, die Ohren leider nicht-, was schon Kant bemerkt hat, als er die Musik
eine „zudringliche Kunst" hiefi. Ich darf ein an sich hflchst unwichtiges personliches
Erlebnis hier anfiihren, weil es typisch fiir einen Zustand ist, der bekampft werden
mnfi. Kiirzlich besuchte ich in einem Berliner Opernhaus eine Vorstellung des Sieg-
fried" und ging in der Pause in das dem Theater verbundene Bestaurant, um dort zu
essen, was bei der korperlichen Inanspruchnahme durcli ein Wagnersches Mammutdrama
kaum zu vermeiden ist. Ein hiibsches Lokal, recht geeignet fiir ein paar friedliche
Minuten der Ausspannung. Aber man gonnt sie den Besuchern nicht. Kaum hatte ich
mich gesetzt, als eine Salonkapelle in Aktion trat, um mich mit einem italienischen
Potpourri, hernach mit einem Tango zu begliicken. Kein Mifiverstandnis bitte: ich
empfand nicht etwa den „Siegfried" als profaniert, auch war der Tango ausgezeicbnet ;
dennoch eine unertragliche Belastigung. Musik in alien Lebenslagen; es scheint, dafi es
zwischen Scylla und Charybdis kein Entrinnen gibt.
Von Nietzsche stammt der wunderschone Ausspruch: „Das Leben ohne Musik ist
einfach ein Irrtum, eine Strapaze, ein Exil". Niemals ist ein gutes Wort schmahlicher
mifiverstanden, falscher angewendet und groblicher ins Gegenteil verkehrt worden. Da-
durch namlich wird die Uberschwemmung mit Musik so verheerend und gleichzeitig so
schwer angreifbar, dafi sie zu allem Ungliick auch noch geistig unterbaut wird. Da
spuken alte humanistische Ideale, man erinnert an die Volker der Antike, die doch aus
dem Nahrboden der Musik die schonsten Frtichte ihrer Kultur gezogen haben, man
entsinnt sich, dafi Plato sogar den Staat musikalischen Gesetzen unterstellen wollte, und
glaubt anscheinend, es geniige, Musik in ungeheuren Mengen zu produzieren, um die
bewunderte Kalokagathia der Griechen wieder zu erlangen. Musik wird empfohlen als
standige Begleitung auf dem Holzwege zu Kraft und Schonheit. Musik beim Turnen,
Musik beim Ruhen, Musik beim Arbeiten, Musik beim Essen — das Leben ohne Musik
ist einfach eine Unmoglichkeit.
Soviel vom Tatbestand. Nun lafit sich garnicht leugnen, dafi an den geschilderten
Mifiverhaltnissen die mechanische Musik, exakter gesagt, die mechanische Vermittlung
von Musik mitschuldig ist. Die leichteste, bequemste und billigste Beschaffung \on
musikalischem Stoff bietet zur Zett der Rundfunk. Uber ihn, insbesondere tiber seine
Beziehung zur Musik, diskutierte jiingst ein Kongrefi in Gottingen, den das Berliner
Zentralinstitut fiir Erziehung und Wissenschaft einberufen hatte. Man sieht, die Padagogik
wagt als erste geistige Instanz den Vorstofi, nimmt den Bundfunk ernst und versucht,
seine Stellung im kulturellen Zusammenhang zu ergriinden. Hier ware der Punkt ge-
wesen, die Frage nach der Bolle der Musik im Bundfunk aufzuwerfen, einmal den An-
spruch dieser Apparatur auf die Musik zu priifen, statt ihn als gegeben und in jedem
Umfang berechtigt vorauszusetzen. Das geschah nicht, oder doch nur sehr andeutungs-
weise. 39 Prozent aller Darbietungen waren im Jahre 1927, nach dem Bericht von
Df. Magnus, musikalischer Natur; er erklarte das Vorherrschen der Musik damit, dafi
sie der einzige Weg des Rundfunks zum Herzen der Horer sei. Man macht sich, scheint
DIE ROLLE DER MUSIK IM RUNDFUNK 297
mir, iibertriebene Vorstellungen von den Herzen der Menschen, die das Hauptkontingent
der Radioempfanger bdden. Aber selbst wenn diese an der supponierten Weitherzig-
keit leiden sollten, so ist doch soviel ganz sicher, dafi sie nicht ewig mit Musik ab-
gespeist werden wollen. Allenthalben werden Stimmen gegen die musikalische Uber-
fiitterung laut. Max Butting konstatierte in seinem Referat, man habe der Tonkunst
defihalb einen so breiten Rauni in den Programmen zugestanden, weil man ihr keiner-
lei Anstofiigkeit, weder politische noch sittliche, nachsagen konne. In der Tat ist die
Musik die assoziationsloseste unter den Kiinsten, in dem Sinne, dafi sie zu keiner ge-
danklichen Assoziation zwingt. Das Faktum ist nicht zu bestreiten, eine Begriindung ist
es nicht; ob eine gleichgiiltige Neutralitat die Bestimmung des Rundfunks sein kann, ist
noch sehr die Frage. Viel eher mochten wir glauben, was Professor Honigsheim in
seinen soziologischen Ausftihrungen formulierte : ein anstandiger Mensch ist nie neutral.
Fur mich unterliegt es keinem Zweifel, dafi die Rolle der Musik im Rundfunk
beschriinkt werden mufi. Man frage mich aber, bitte nicht, was an ihre Stelle zu setzen
sei. Ich bekenne freiwillig, ich weifi es nicht. Eine Vermehrung der wissenschaftlichen
und belehrenden Vortrage wird man auch nicht befiirworten wollen. Solange man
nichts Anderes, Neueres, Erregenderes finder, kurze man die Programme. Musik ist nicht
dazu da, Lucken zu biissen, sie wehrt sich dagegen, als Verlegenheitsartikel zu rangieren.
Ludwig Kapeller, der sogar eine Herabsetzung des Sendeprogrammes auf zwei bis drei
tagliche Stunden verlangte, ist von ahnlichen Gesichtspunkten ausgegangen.
Musik wird, gleichviel in welchen Mengen, immer ein Gegenstand des Rundfunks
bleiben. Was gesckieht ihr, wenn sie gefunkt wird? Offenbar dies, dafi sie in reinen
Klang umgesetzt wird, unter Ausschaltung von visueUen Momenten. Ob nun die der
bisherigen musikalischen Reproduktion zwangslaufig verbundenen optischen Eindrucke
fiir die Erscheinung von Bedeutung seien oder nicht, dariiber wurde gestritten. Butting
bejahte, Frank Warschauer verneinte es, indem er jede Komposition, unter der Voraus-
setzung einer radiogemafien Darstellung, fur mikrophonfahig erachtete. Die Frage ist
wichtig, denn nach ihrer Losung entscheidet sich, inwieweit die vorhandene Literatur
einen Platz vor dem Mikrophon hat. Ist die sinnliche Gegenwart wirklich ein wesent-
liches Ingrediens, so mufi die rundgefunkte Musik unvollstandig sein. Die Frage ist
zweifellos mit jener anderen nach dem absoluten Gehalt des Werkes nah verwandt. Je
absoluter, also programmfremder eine Musik ist, um so restloser kann sie im reinen
Klang wiedergespiegelt werden. Doch ist auch der gesellschaftliche Hintergrund in
Betracht zu ziehen. Die wenigsten Werke werden in abstrakter Willktir geschaffen, die
meisten sind soziologisch determiniert. Die Kantate Bachs, das Klavierkonzert Mozarts,
die Sinfonie Beethovens, sie meinen alle ganz bestimmte Horer, seien sie nun glaubig,
adlig oder biirgerlich. Die vollige Andersartigkeit des soziologiscben Befundes beim
Radio schliefit daher Werke aus, die sehr eng mit ihren geseUschaftlichen Voraus-
setzungen verwachsen sind. So ist die viberlieferte Form der Oper, fiir mein Gefiihl,
im Lautsprecher der pure Nonsens.
Aus alledem ergibt sich die dringende Forderung einer eigenen Produktion fiir
den Rundfunk. Die Komponisten sollten sich ihr nicht verschliefien, sie finden hier den
gangbarsten Weg, um eine isolierte Position zu verlassen, die ihnen schon lange nicht
mehr zusagt. Die Gesetze einer typischen Radiokomposition werden zweckmafiig durch
298
HANNS GUTMAN
Experimente eruiert; dafi sie, wie Butting sagte, einer „Logik des reinen Horens" unter-
liegen mussen, leuchtet ein. Tiber die besonderen Bedingungen des Vokalstiles eineiv
seits, der Instrumentierung andrerseits war in den Gottinger Vortragen von Dr. Heinitz
und Alfred Szendrei viel Wissenswertes zu erfahren. Fur die Schaffenden wird die
praktische Erprobung der Begeln noch fruchtbarer sein. Die Moglichkeit dazu ist ihnen
gegeben: an der Berliner Hochschule wurde, unter Leitung von Professor Schunemann,
eine Funkversuchsstelle eroffnet. Uber dieses hochst dankenswerte Beginnen mufi noch
einmal ausfiihrliclier gesprochen werden.
Wenn eine staatliche Kunstanstalt dem Bundfunk ihre Tore offnet, wenn das
Zentralinstitut ihm eine Tagung widmet, so ist die positive Stellungnahme der Erzieher
gekenzeichnet. Auf dem Kongrefi wurde die Padagogik durch Professor Mersmann
reprasentiert. Was er, neben anderen produktiven Gedanken, iiber die Aussichten einer
„indirekten Erziehung" durch das Badio verkiindete, verdient gesteigertes lnteresse.
Gewifi braucht man auf das erklarende Wort, auf die methodische Beeinflufiung der
Horerschaft nicht zu verzichten, aber von gleicher Wichtigkeit (vielleicht sogar von
starkerer Wirksamkeit) ist die mittelbare Forderung durch Auswahl und Anordnung
dessen, was man an Kunstwerken vorbringt. Zu verlangen ist unbedingte Trennung
des Getrennten, zu verurteilen jede Verwischung der Grenzen. Tanzmusik etwa und
alle anderen Gattungen des unterhaltenden Kunstgewerbes sind kein Anlafi zu scham-
voller Verschleierung ; verderblich ist nur ein unangebrachter Bildungsstolz, der solche
Dinge vergeblich und unnotig zu sublimieren sucht. Diese scharf umrissenen Grund-
lagen wurden von Dr. Hans Fischer, der iiber den Schulfunk sprach, in einem Detail
ausgebaut.
Auch als sekundares Hilfsmittel, nicht nur als Selbstzweck, hat die Musik ihre
Bolle im Senderaum. Wieweit sie aber fahig ist, als akustische Kulisse zu wirken, das
heifit also Schauplatze klanglich zu versinnbildlichen, steht noch dahin. Prof. Hagemann,
der Berliner Intendant, will sie weitgehend in soldier Absicht verwendet sehen. Er
stellte acht Begeln fur den Musikgebrauch im Sendespiel auf, die indes alle darauf
hinauslaufen, das klangliche Material psychologisch nutzbar zu machen. Anders ist es
nicht aufzufassen, wenn etwa in einer Sendebearbeitung des „G6tz" die jeweilige Wieder-
kehr des selben Baumes durch das Ertonen des gleichen Musikstiickes angedeuvet wird,
das stimmungsmafiige Abwandlungen erfahrt. Ein derartiges Verfahren grenzt bedenk-
lich an die Handhabung des Leitmotives bei Wagner, die wir radikal zu vermeiden
gewillt sind.
Was hier gesagt wurde, beansprucht keineswegs, als Kongrefibericht der Gottinger
Tagung zu gelten ; sonst hatte vor allem auch der zahlreichen instruktiven Vortrage
aus dem Munde beriihmter Techniker und Akustiker gedacht werden mussen. Es sollte
vielmehr, unter Beziehung auf einige absichtsvoll gewahlte Gedankengange, die Bolle
der Musik im Bundfunk prinzipiell betrachtet werden. Die mafilose Uberschatzung
dieser Bolle, nicht nur auf dem Gebiete des. Badio, wurde evident; sie sinnvoll einzu-
dammen und ihr gerade dadurch nCue Geltung zu verschaffen, ist unsere Aufgabe. Alle
Gutgesinnten sollten mithelfen zu dem Ziele, dafi wir das Leben ohne Musik wieder
als ein Exil empfinden konnen, statt das Leben mit ihr fur eine Strapaze halten zu
mussen.
RUNDFUNK-UMSCHAU 299
Ernst Lalzko (Leipzig)
RUNDFUNK-UMSCHAU (Mai)
Immer deutlicher wird es offenbar, dafi die Sentimentalitat, die in der offentlichen
Musikpflege momentan in Acht und. Bann getan ist, sich im Rundfunk als ihrem letzten
Stiitzpunkt gesammelt und in hochstem Mafi konzentriert hat. So ist es kein Wunder,
dafi der Monat Mai, der seit jeher ein Privileg auf „Liebe und Triebe", „Sonne und
Wonne" und ahnliche Empfindsanikeiten hatte, dem im Rundfunk mehr oder weniger
latenten Hang zum „Popularen" in weitestem Mafi entgegenkommt. Wer konnte der
Versuchung, den Wonnemonat Mai zu feiern, widerstehen? Berlin, Hamburg, Kflnigs-
berg und Koln widerstehen ihr auch nicht und in Wort und Lied, durch „Fruhlings-
glaube 1 ' und „s'Mailufterl" versichern sie dem ahnungslosen Horer: „Der Mai ist ge-
kommen!" Aber mit dieser feierlichen Begriifiung sind die sentimentalen Fruhjahrs-
regungen der deutsien Sendeleitungen keineswegs erschopft. Und da im Mai erfahrungs-
gemafi Vog'el singen, Blumen duften, Nachtigallen schlagen, Menschen sich verlieben, fehlt
es auch nicht an einem Programm „Blumenduft und Vogelsang" (aus Konigsberg), in
dem Beethovens Fruhlingsonate sich sonderbar genug ausnimmt, einem weiteren „Fruh-
ling und Liebe" betitelten (aus Hamburg), in dem die Ouverture zur „Gartnerin aus
Liebe" ebenso deplaziert erscheint und ihren Hohepunkt erreicht diese empfindungge-
schwellte Linie in der Breslauer Sendung: „Das Mikrophon belauscht den Fruhling.
Nachtigallenkonzert aus einem Breslauer Park. Bei ungiinstiger Witterung wird das
Konzert verschoben."
Auch der Muttertag, der immerhin die Moglichkeit zu einer etwas hoheren Ein-
stellung gewahrt hatte, wurde vom Rundfunk nur als Anlafi zu erneuter Gefulilsduselei
begriifit, die ihre Spitzenleistungen im Siegfried-Idyll, Maria Wiegenlied, Gounods „Ave
Maria" und „Mammi, du bist fur mich die schonste Frau der Welt" erreichte.
Nun aber zu Ernsterem. Zweifellos konnte der Rundfunk bei Tagungen und Ver-
sammlungen kiinstlerischen oder wissenschaftlichen Charakters eine wichtige Aufgabe
durch Ubertragung der wertvollsten und geeignetsten Programmteile erfiillen. Die Er-
gebnisse solcher Veranstaltungen wiirden nicht auf die Versammlungsteilnehmer beschrankt
bleiben, sondern konnten in einem weit hoheren Grad als durch farblose Zeitungsbe-
richte Allgemeingut des \ olkes werden. Gerade im Mai konnte man gute Beobachtungen
machen, wie weit der Bundfunk diesen kulturellen Forderungen nachkommt. Von der
Gottinger Bundfunk-Tagung, die durch die Behandlung prinzipieller funkischer Fragen
jeden Horer interessieren mufite, wurde nicht ein einziges Referat iibertragen. Fast die
gleiche Indolenz dem Schweriner Tonktinstlerfest gegeniiber, das gerade in diesem Jahre
mehrere Werke brachte, die Anspruch auf weitere Verbreitung gehabt hatten. Ein
einziger Sender (Hamburg) hat es der Miihe wert gefunden, ein einziges Konzert von
dort zu aibertragen. Wenn aber der Verein fur Wartburgfreunde seine Tagung abhalt,
wenn dabei ein Konzert mit den abgedroschensten "Werken von Wagner und Liszt ver-
anstaltet wird, wenn dieses Konzert von einem anerkannt minderwertigen Dirigenten
geleitet wird, dann ist der Rundfunk auf dem Posten und erfullt seine kulturelle Pflicht
Ein anderer Punkt von grundsatzlicher Bedeutung. Immer mehr reifit beim Rund-
funk die Unsitte ein, aus zyklischen Werken (Sinfonien, Sonaten, Suiten) einzelne Teile
300 ERNST LATZKO
herauszunehmen. Diese aus Konservatoriumskonzerten entlehnte iible Gewohnheit wird
aber noch bei weitem (lurch die Geschmacklosigkeit iibertroffen, zwischen zwei Satzen
eines solcben zyklischen Werkes anderes zum Vortrag zu bringen. Es ist Frankfurt
sicher sehr hoch anzurechnen, dafi es sich als einziger deutscher Sender des Todestages
von Gustav Mahler erinnert. Nur wird dieses Verdienst durcli die nachfolgende Programm-
aufstellung in sein Gegenteil verkehrt: 4. Sinfonie, 1. Satz — Zwei Lieder — 2. Sinfonie,
2. Satz — Zwei Lieder — 4. Sinfonie, 3. Satz.
Die Alte Musik war im Monat Mai fast uberall gut vertreten. Die hollandischen
Abende wurden von Munchen und Stuttgart in iiberaus verdienstvoller Weise dazu be-
nutzt, alte niederlandische Meister der Vergessenheit zu entreifien. Munchen brachte
Chansons aus dem 15. und 16. Jahrhundert von H. Isaak, Gilles Binchois, Lasso und
erhohte den Reiz der Darbietung durch Verwendung alter Instrumente (Diskantviola,
Viola d'amore, Viola da gamba, Bafi viola da gamba) und Stuttgart erfreute seine Horer
mit einer Motette von Josquin Despres und Madrigalen von Willaert und Lasso. (Uber
diese „Nationalitatenabende" wird gelegentlich noch einiges Grundsatzliche zu sagen sein.)
Alte Hausmusik wird von fast alien Sendern verbreitet. Leipzig gab Beispiele aus
der Virginalmusik, Gesange von Purcell und allerlei Kostbarkeiten franzosischer Clave-
cinisten; altenglische Liebeslieder und altschottische Balladen, unterbrochen von Klavier-
stiicken von Byrd, Bull, Gibbons werden von Koln gesendet; der gleiche Sender ver-
breitet auch alte Streichmusik und Duette von dallAbaco, Corelli, Telemann und Keiser.
Deutsche Hausmusik mit Werken von Melchior Frank und Joh. Christ. Bach stand auf
dem Breslauer Programm; Sologesange und Duette von Astorga, Marcello, Bononcini,
Leo, Erlebach, Keiser, Hauler werden in Stuttgart gesungen und Frankfurt ubertrfigt ein
historisches Konzert aus dem Schlofi in Bruchsal, das neben der 5. Partie aus der
„Musikalischen Ergotzung" von Pachelbel Werke von Sacchini, Paer, Stamitz und zwei
unbekannten Komponisten des 18. Jahrhunderts enthalt. Eine nachahmenswerte Be-
lebung des Programms bildete eine Guitarre-Kammermusik mit Originalkompositionen
von Guiliani und Carulli. Ein sehr erfreuliches Interesse wird Handel zugewandt. Eine
Konzert-Auffuhrung seines ,,Josua" in Esslmgen wird von Frankfurt und Stuttgart uber-
tragen, das gleiche Oratorium wird vom Breslauer Sender aus dem dortigen Stadttheater
ubernommen und Daventry sendet den ,,Messias''.
Auf dem Gebiet der Neuen Musik hat Hamburg das radikalste Werk gebracht, das
Streiclitrio von Webern (Ubertragung von Scliwerin). Ebenda wurde auch das Iflavier-
konzert von Prokoffief gespielt. In einem „Sinfonie der Maschine" betitelten Programm
von Koln erschienen Bruchsriicke aus Kreneks „Zwingburg" und Honeggers „Pacific 231".
Stuttgart bringt das Gregorianische Konzert von Bespighi und in einer Ubertragung aus
Freiburg Kaminskis „Magnilicat". Der Frankfurter Sender verbreitet ein Chorkonzert der
Darmstiidter Liedertafel mit Erstauffiihrungen von Lendvai, Rudi Stephan und Josef
Haas. Als Verdienst mufi es Munchen angerechnet werden, Kloses selten gehortes.
„Leben ein Traum" vorzufiihren. Audi auslandische Sender sind mit Erfolg um Ver-
breitung Neuer Musik verdient. Bei Kopenhagen fallt eine starke Aktivitat auf dem
Gebiet des franzosischen Impressionismus auf: ein Orchesterkonzert das ausschliefilich
Debussy gewidmet ist, ein zweites mit dem sinfonischen Fragment „Daphnis und Chloe"
von Ravel und der sinfonischen Suite „E1 amor brujo" von de Falla. Noch weit er-
RUNDFUNK-UMSCHAU 301
freulicher ist die Tatsache, dafi die unter der Leitung Stravinskys stehende AufRihruhg
seines „K6nig Odipus" von Daventry und am folgenden Tag von London gebracht wird.
Allen deutschen Sendeleitungen als nachahnienswertes Beispiel empfohlen !
Auf dem Gebiet der wiederkehrenden Veranstaltungen brachte Konigsberg seinen
uberaus verdienstvollen Zyklus „Von Reger zu Hindemith. Zeitgenossische Komponisten
im Spiegel ihrer Hausmusik" mit einem Hindemith-Programm (Klavierstiicke aus der
Suite 1922 und aus op. 37) und einem Vortrag „Was ist atonale Musik?" in diesem
Monat zum Abschlufi. Die „Tonende Operngeschichte" in Leipzig ist bis zur franzosischen
grofien Oper nnd dem deutschen Musikdrama vorgedrungen. Aber Meyerbeer ist nichts
fiir den Rundfunk, sein Werk verlangt nach dem Prunk der Szene, nach unbeeintrach-
tigtem Glanz der Stimmen und das Fehlen dieser beiden Momente raubt ihm Wesent-
lichstes. Und der Versuch, die musikgeschichtliche Bedeutung des deutschen Musikdramas
durch die Brautgemachszene des ,Lohengrin" und den ersten Walkurenakt zu charak-
terisieren, kann nicht einmal durch Richard Wagners Geburtstag entschuldigt werden.
In dem Zyklus „Die Entwicklung der Orgelkompositibn" (Miinchen) erschien ein gutes
Programm mit Werken aus dem 17. Jahrhundert von Hafiler, Pratorius, Scheidt und
Erlebach.
Aus der Fulle der ubrigen Veranstaltungen verdient wieder ein von Wien gesen-
deter VolksUederabend des deutschen Volksgesangvereins hervorgehoben zu werden, der
Beispiele aus der Volksmusik Nieder- und Oberosterreichs, Karntens, der Steiermark und
des Salzkammerguts brachte. Das Pfingstfest war fur Leipzig und Munchen der Anlafi,
der Herrlichkeiten Bachscher Kantaten zu gedenken.
Auf dem Gebiet der Oper sind einige pragnante Ereignisse zu verzeichnen. Stutt-
gart und Frankfurt ubertragen dankenswerter Weise eine in Basel stattfindende Auf-
fuhrung von Purcells „Dido und Aneas". Nicht minder interessant war die „Macbeth"-
Auffiihrung der Dresdener Oper, die von Leipzig und Frankfurt ubertragen wurde.
Briissel erwarb sich ein Verdienst dm - ch die Auffiihrung von Dukas ,.Ariane und Blau-
bart" und auch die Ubertragungen von Charpentiers „Louise" (Daventry), Smetanas
.,Dalibor" (Prag), Wolf-Ferraris „Neugierigen Frauen" (Munchen) und von Weismanns
neuer Oper „Regina del lago" (Stuttgart) sind anerkennend und dankbar zu begriifien.
Das Gesamtergebnis ist ziemlich unverandert geblieben: Manche hoffnungsvolle
Ansatze, auf dem Gebiet der Alten Musik eine erfreulich zunehmende Regsamkeit, auf
dem Gebiet der Neuen eine von wenigen Ausnahmen durchbrocbene allgemeine Inak-
tivitat. Uberall mehr ein „Sich in Einzelheiten verlieren" statt des Aufsuchens von
richtunggebenden Grundsatzen in der Programmbildung.
Die leider notwendige Trockenheit dieser Umschau zu beleben, sei zum Schlufi
noch ein Kuriosum erwahnt, das der Griindlichkeit der Briinner Sendeleitung ein ehren-
volles Zeugnis ausstellt: Sie zeigt fiir den 29. Mai 19 — 19,15 Uhr an: Einfuhrungsvprtrag
zur Operette ,,Die geschiedene Frau"!
In ihrer Nummer 19 vom 11. Mai veroffentlicht die „Norag - ', die Programmzeitung
des Hamburger Senders, dessen Plane fiir den Sommer. Soweit sie uns hier zu be-
schaftigen haben — auf dem Gebiet der Musik — verdienen sie aufmerksamste Beob-
302
HEINRICH STROBEL
achtung. Was hier im letzten Heft als besonders dringende Aufgabe dem Rundfunk
ans Herz gelegt worden ist : eine zielbewufite Pflege des Volksliedes. scheint sich zu einem
grofien Ted fur das Gebiet des Hamburger Senders verwirklichen zu wollen. Die Sende-
leitung plant dort eine Volks- und Jugendmusikpfiege grofiten Stiles und hat fiir die
Durchfiihrung ihrer Idee in Fritz Jode eine Personlichkeit gewonnen, die einen reichen
Ertrag dieser Veranstaltungen verbiirgt. Neben der Pflege des Volksliedes in ein-, zwei-
und dreistimmigem Satz soil ein musikalischer Unterricht einhergehen, sodafi das pada-
gogische Moment mit dem der Erbauung zweckmafiig verkniipft ist. Die Disposition
des Arbeitsplanes gliedert sich in drei grofie Gruppen. Die erste: „Das Volkslied in
der Kinderstube" sieht alle mogfichen Arten von Kinderspielen und die verschiedenen
Kinderlieder (Krippenlieder, Wiegenlieder, Arbeitlieder, Abzahlreime usw.) vor. Die
zweite: „Volkstumriche Singstunde" will die Horer mit dem deutschen Volkslied, mit
der Kunst des Kanons, mit einzelnen fiir das volkstumliche Lied besonders wichtigen
Erscheinungen (Reichardt, Zelter usw.) und schliefilich mit dem volkstumlichen Schaffen
der Gegenwart (Hindemiths Hausmusik, Ludwig Weber usw.) bekannt machen. Die
dritte: „Die niederdeutsche Liederstunde" wird das niederdeutsche Volkskinderlied, den
nieder deutschen Volkstanz, das niederdeutsche Volkslied und das niederdeutsche Kunst-
lied behandeln. Die dieses Singen unterstiitzende padagogische Unterweisung wird
Gehoriibung, Improvisation und Musikdiktat umfassen. Durch die Verlegung des Unter-
richts in den Senderaum wird die Verquickung von Erziehungs- und Erbauungstendenzen
eine weitere Forderung erfahren.
Dem Unternehmen der Hamburger Sendeleitung kommt hochste Bedeutung zu und
wenn die Ausfiihrung dem Plan entspricht, hat der Rundfunk hier wirklich einmal seine
Aufgabe richtig erfafit und in grofiem Format kulturelle Arbeit geleistet.
UMSCHAU
Heinrich Strobel (Berlin)
DAS TONKUNSTLERFEST IN SCHWERIN
Die Krise des Allgemeinen Deutschen Musikvereins ist bekannt. Er wurde in der
Zeit des Kampfes um die Neudeutsche Romantik auf einer kiinstlerischen und soziolo-
gischen Basis gegrundet, die nicht mehr die unsere ist. Er diente der Propagierung und
Durchsetzung neudeutscher Fortschrittsideen und veranstaltete Musikfeste zu diesem
Zweck. Die Richtung des Vereins war damals eindeutig, die Tonkunstlerfeste waren
damals eine Notwendigkeit. Man kampfte fiir eine Idee. Heute hat diese Idee keinen
Inhalt mehr. Heute ist der neudeutsche Fortschrittsgedanke hinfallig geworden. An
die Stelle der Zielbewufitheit von ehedem trat unsicheres Lavieren im A. D. M. Man
war vorsichtig genug, die neuen Stromungen nicht vollig zu negieren. Aber duldete sie
nur unter dem Druck der Verhaltnisse. Neue Werke wurden aufgefiihrt, um der Oppo-
sition den Mund zu stopfen. Im Stillen beteten Vorstand und Mitglieder zu den alten
DAS TONKUNSTLERFEST IN SCHWERIN 303
Gottern. Der Musikausschufi, in den jiingere und zeitbewufite Personlichkeiten ein-
drangen, mufite sich auf die bedenklichsten Kompromisse einlassen — ein neues Werk
ging nur gegen ein paar epigonale Arbeiten durch, an deren Lebensfahigkeit der konser-
vative Vorstand noch immer glaubte.
Die Tonkiinstlerfeste nach dem Kriege zehrten von der Tradition des Vereins, die
wir audi heute noch gebuhrend acbten. Was aber in diesen Jahren an wirklich produk-
tiver Arbeit geleistet wurde, das geschah aufierhalb des A. D. M. und seiner Tonkiinstler-
feste. Der immer heftiger hervorbrechende neue Stilwille scliuf sich eine Form musik-
festlicher Zusammenkunft, die sich sehr erheblich von der Praxis des A. D. M. unter-
schied. Dem schwankenden Bild der Tonkiinstlerfeste setzte Donaueschingen sein kom-
promifiloses Bekenntnis zur Zeit entgegen. Donaueschingen und spater Baden-Baden
reprasentierten die lebendige Musik. Hier wagt man das Experiment. Hier sucht man
Probleme zu losen, welche unsere Zeit stellt. Man versteckt sich nicht hinter eine er-
starrte Musikpflege, fur die der augenblickliche Opern- und Konzertbetrieb symptomatisch
ist. Auf den Festen des Allgemeinen Deutschen Musikvereins dagegen macht man nichts
anderes, als was man heute in alien groGeren deutschen Stadten im Verlauf einer Saison
macht: man gibt eine Uberschau, d. h. — man ver sucht eine Uberschau zu geben.
Demi in Wahrheit hindern die tausend Kompromisse, durcli die ein Festprogramm
allein zustande kommen kann, die Herausstellung der wirklich typischen Werke und die
Ausscheidung des Uberflufiigen. Wer das deutsche Musikleben der Gegenwart kennt,
wird zugestehen miissen, da6 die Programme der groften Konzertinstitute, wenigstens der
unter Leitung von verantwortungsbewufiten Dirigenten stehenden, eine weit besser ge-
siebte Uberschau iiber die Lage bieten als ein Tonkiinstlerfest. Worin liegt also seine
Notwendigkeit ? Die guten und wesentlichen Arbeiten werden sowie so aufgefiihrt. Fiir
die unbedeutenden geniigt es, wenn sie irgend eine lokale Darbietung erleben. Neue Be-
gabungen zu entdecken, darf man sich beim A. D. M. kaum anheischig machen. Dafiir
haben wir Baden-Baden, das auf Grund seiner gegenwartsbejahenden Tendenz die ent-
wicklungsfahigen Talente ohnehin zu sich zieht. Noch einmal: was hat in dieser Zeit
und in dieser Situation ein Tonkiinstlerfest in der hergebrachten Gestalt noch fiir einen
produktiven Zweck?
2.
Die Antwort kann. gerade , nach Schwerin, kaum mehr zweifelhaft sein. Wie viele
ganzlich belanglose Arbeiten! Wie viel nutzlos vertane Zeit! Drei Abende von den
sechs zumindest iiberfliifiig. Eine ganze Beihe von epigonalen Werken: — gewifi sehr
tiichtig und gekonnt, manche durchaus sympathisch, begabt — aber eben an dieser Stelle
nicht notig. Waren es Experimente, wenn audi noch so unfertige, die irgendeinen
aktuellen Aufgaberikreis anschneiden, man wiirde sie hinnehmen, sie konnten vielleicht
sogar fruchtbringend sein. Hier hort man nur, was schon tausendmal gesagt wurde.
Am deprimierendsten war der Theaterabend. Wahrend es in der jungen deutschen
Opernproduktion schon eine ganze Anzahl von reprasentativen Werken gibt, die man
auf einem Tonkiinstlerfest hatte zeigen konnen — fiihrte man Musterbeispiele von
Nebensachlichkeit auf. Ein symbolisch verschwommenes Melodram nach einem Ander-
senschen March en mit einer blafilich untermalenden Musik: „Die arme Mutter und der
Tod" von Felix Petyrek. Eine sehr anstandig gearbeitete Ballettpantomime in Munch en er
304 HEINRICH STROBEL
Akademietradition mit einigen hiibschen alten Tanzstiicken : „Glasblaser und Dogaressa"
von August Reuss.
Die Wiedergabe dieser Werke war von provinzieller Bescheidenheit. Man darf
daraus den Schweriner Kthistleni keinen Stride drehen. Sie gaben sich alle Muhe.
Setzten ihre ganze Kraft ein, ebenso wie die von auswarts bedeutend verstarkte
Schweriner Staatskapelle in den Orcbesterkonzerten das Mogliche leistete. Der Vorwurf
trifft den Allgemeinen Deutschen Musikverein, der immer wieder kleine Stadte zu Fest-
orten wahlt, die nicht die Gewahr fur einwandfreie Auffuhrungen bieten konnen. (Dafi
xibrigens audi das Interesse der Mitglieder fur diese Feste in kleinen und entlegenen
Stadten gering ist, liegt auf der Hand.) Willibald Kahler, der Schweriner General -
musikdirektor, hat als Wagnerdirigent einen ausgezeichneten Ruf. Er gehort zum engsten
Bayreuther Stab. "Warum zwingt man ihn hier, an Aufgaben heranzutreten, die er bei
seiner Einstellung nicht bewflltigen kann? Er hat kein Verhaltnis gerade zu den paar
neuen Werken des Programms, die als ergiebig geken konnen. Die mangelhafte Wieder-
gabe kann fiir den Komponisten verhangnisvoll werden. Man weifi, wie sehr gerade
das Neue einer sinngemafien Interpretation bedarf.
3.
Die inkorrekte, verwisclite Auffuhrung des Bratschenkonzerts von Paul Hiiidemith
war peinlich. Wer dieses fiir das neue Musikwollen ini hochsten Grad typische Werk
in Berlin unter Klemperer gehort hatte, vermochte es diesmal kaum wieder zu erkennen.
Man muK neben Hindemiths sachliches, konzenti'iertes, unbekummert musikantisches
Konzert die fast einstiindig sich hinziehende C-Dur Symphonie von Gerhardt von
Keussler halten, um die riesige Kluft zu begreifen, die zwei aufeinanderfolgende Ge-
nerationen trennt. Die Notwendigkeit der Stilwende wird evident. Personliche Be-
kenntnismusik war bis zum Aufiersten iibersteigert worden. Gegen die Echtheit des
personlichen Ausdruckswillens stelit die Abnutzung des Klangmaterials, steht das schopfe-
rische Unvermogen und der vollige Mangel an gestaltender Kraft.
Hindemiths Konzertt) r pus wirkt bereits weiter. Konzertante Spielfreude lost liber-
all in der jungen Generation symphonische Problematik ab. Im Cembalokonzert des
Kolner Wdhelm M a 1 e r ist der Einflufi Hindemiths unverkennbar, wenigstens im polyphon
gebundenen ersten Satz. Erst allmahlich setzt sich der helle Klang des Cembalos durch:
in der Sinfonia iiber pizzicato-Bafien, in einer lockeren Musette, in einem Schlufimarsch,
der Malers feinen Witz, aber audi die Grenzen seiner musikalischen Vitalitat umreifit.
Wieder ist Hermann R e u 1 1 e r zu nennen. Seit mehreren Jahren schon als sympathisches
Talent erkannt, sehr schwankend in den letzten Arbeiten, gelingt ihm diesmal ein
Tripelkonzert fiir Klavier, Violine, Cello und Orchester von starker personlicher
Haltung, ausgezeichnet in der kontrastreichen Satzfolge : Fantasia, klar gegliedert, den
breiten Rhythmus sehr schon durchhaltend — Perpetuum mobde des Concertinos —
Notturno, zarte Holzblaserpolyphonie aus leisen Schlagzeugakzenten sich losend und
wieder darin versinkend — schwebendes Tanz-AUegretto. Reutter neigt zum Lyrischen,
zum Weichen. Er liebt das Genrehafte, das ehedem Spezialgebiet der Romantiker war.
Auch bei ihm fehlt, wie bei Maler, ein letzter, unmittelbarer Impuls. Vor neue Auf-
gaben gestellt, in einer anderen Umgebung, dem gegenwartigen Leben naher als in
Stuttgart, konnte sich Reutter vielleicht besser entwickeln.
DAS TONKUNSTLERFEST IN SCHWERIN 305
Bertold Golds chmidt kennt man voin Chemnitzer Fest her als virtuosen Or-
chestertechniker. Er hat sich inzwischen gewandelt, den neuen Tendenzen angeschlossen.
Schreibt eine Partita fiir grofies' Orchester, ohne unbedingt zu iiberzeugen. Er be-
miiht sich polyphon und sachlich zu musizieren, aber es drangt ihn zu starken Es-
pressivos, zu massiger Klangreibung. Ein Adagio wird als Sarabande verbramt, ist aber
doch symphonisch gesteigerte Ausdrucksmusik. Die Schlufifuge rafft sich erst gegen
Schlufi zusammen. Man mufi abwarten, ob Goldschmidt in spateren Arbeiten eine
eigene Sprache finden wird.
Die Sinfonie von Paul Hoffer kannten wir schon von der Berliner Urauffuhrung
unter Bohnke. Die giinstigen Eindrucke werden diesmal bestatigt. Ein sturmisches
"Werk, dessen fugierte Partien zu heftigen Entladungen treiben, rhythmisch von starker
Plastik, mit breiten melodischen Entwickhmgen. Von tanzhafter Unmittelbarkeit der
letzte Satz. Dem Ganzen fehlt es noch an Ordnung, an planvoUer Gliederung, an Ziel-
sicherheit und Konzentration. Aber — hier ist eine verheifiungsvolle Begabung.
Uber den ,,Hymnus an die Liebe" von Paul A. Pisk kami man schwer etwas
sagen. Die Auffiihrung war so wenig vorbereitet, die Sangerin absolut ungeniigend.
Pisk zertedt den Byronschen Hymnus nach Art einer Kantate, durchsetzt ihn mit mager
kolorierenden Partien. Das Dithyrambische der Dichtung scheint der Musik zu fehlen.
4.
Donaueschinger Anregungen wii'ken sich auf Tonkunstlerfesten fruchtbar aus. Uber-
all erwacht das Interesse an a capella-Musik. Eine notwendige Folge der neuen Stil-
haltung: der a capella-Gesang bietet Moglichkeiten zu absolutem Musizieren, die Jahr-
zehnte hindurch verschuttet gewesen waren. Es ist selbstverstandlich, dafi Hugo Herr-
mann die mittelalterlichen Liebeslieder in seiner Chorsuite nicht mehr malerisch-charak-
terisierend aussetzt, sondern sie als in sich geschlossene Gebdde nach rein musikalischen
Gesetzen formt. Dabei lehnt er sich mit grofiem Geschick an instrumentale Tanztypen
an und ubertragt sie ins Vokale. Es entsteht ein lebendiges, mit hervorragendem
Konnen und feinstem Gefiihl fur die spezifischen Bedingtheiten des Chorklangs
modelliertes Formgefiige. Tanzlied, Tarantella, IN'lusette, Arioso und Madrigal reihen sich
aneinander, sti'eben zur ungemein beweglichen Fuge hin, werden durch den thematischen
Ghoralsatz fest umrahmt. Bei leicht archaisierender Tendenz erstaunlicher Beichtum der
Harmonik, hiibsche Biegung des Melodischen. "Wie sein Landsmann Reutter ist Herr-
mann in den zarten Stiicken besonders gliicklich.
Mehr auf das Aufierliche ist die Motette „Werkleute sind wir . ." des Mtincheners
Karl Marx gerichtet: ein ausgezeichnet aufgebautes Stiick, von packendem Schwung und
hochster Virtuositat der Stimmbehandlung. Es gibt einige Momente, in denen die
Hintergrixndigkeit des herrlichen Gedichtes von Rilke auch in der Musik durchschimmert-
Ein Stabat mater von Leonhard Lechtaler ist im traditionellen osterreichischen
Kirchenstil komponiert — dank seiner Klangmafiigkeit unbedingt von "Wirkung, Idug
auf Soli und Chor verteilt, in ganzen doch technisch zu schwer, um als katholische
Gebrauchsmusik gelten zu konnen.
Unter den verschiedenen Kammermusikwerken ist nur das neue Streichtrio von
Anton Web em als ein Stiick von imponierender Abseitigkeit zu erwahnen. Hier ist
die Grenze erreicht, wo weder Melodik noch Rhvtbmik mehr greifbar sind, wo Musik
306 WERNER KNAUER
nur mehr zerspaltener Klang ist und lediglich als nervenmafiig zu erspiirendes Gerausch
wirkt. Fruhere Stiicke von Webern fesselten durch ihre beispiellose Konzentration.
Dieses Trio zerfallt, als Klangeindruck, vollstandig. (Ubrigens waren auch die „Neu-
leipziger Klassiker" vertreten: mit einem Streichquintett von greisenhafter Sterilitat, das
Giinther Raphael zum Autor hat.)
Von Max G e b h a r d wurde eine spielfrohe, sehr knapp gestaltete Klavier-
sonatine aufgefiihrt.
5.
Die Hauptversamndung des A. D. M. nahm mit grofier Mehrheit einen Antrag
an, demzufolge eine Arbeitsgemeinschaft zwischen dem A. D. M. und der
Internationalen Gesellscliaft fur neue Musik, Sektion Deutschland, geschaffen werden
soil — mit dem Ziel einer spateren Verschmelzung beider Korporationen Diese Tat-
saclie ist von Bedeutung. Sie beweist. dafi man audi innerhalb des A. D. M. — vor
allem wohl im Musikausschufi — von der Unhaltbarkeit der gegenwartigen Situation
iiberzeugt ist. Ob dieser Zusammenschlufi zweier Vereinigungen von so gegensatzlichen
Zielen zu einer fruchtbaren Arbeit fiihren wird, das lafit sich heute nicht iibersehen.
Auf alle Falle mufi der A. D. M. eine griindliche innere Regeneration durchmachen,
wenn dieser Zusammenschlufi iiberhaupt moglich werden soil. Wird er dazu noch genug
Spannkraft besitzen oder wird er am Ende diese Belastungsprobe nicht vertragen ? Auch
das kann man heute nicht iibersehen. Immerhin bleibt erfreulich, dafi iiberhaupt ein-
mal etwas vor sich geht, dafi man die veranderte Lage iiberhaupt einmal beriicksichtigt.
Erfreulich auch, dafi man im niichsten Jahr von der uberlebten Form dieser Tonkiinstler-
feste abweichen und 'eine Veranstaltung auf vollig anderer Grundlage versuchen will:
eben jene Opernwoche in Duisburg, von der auch an dieser Stelle sclion die Rede war.
Sinn kann diese Opernwoche freilich nur haben, wenn sich der A. D. M. endlich ent-
scliliefit, mit dem Lavieren und den Kompromissen zu brechen und sich eindeutig zur
Gegenwart bekennt.
Werner Knauer (Erfurt)
GESANGVEREIN ODER SINGGEMEINDE ?
Gedanken zum Preufiischen staatlichen Chormeisterkurs
Die Tatsache, dafi der preufiische Staat Mittel zur Forderung der Chorgesangs-
pflege, insbesondere des Mannergesanges, bereitstellt, zwingt dazu, nach der Zweclc-
mafiigkeit dieser Zuwendungen zu fragen.
Die allgemeine Lage auf diesem Gebiete (von wenigen besonderen Erscheinungen
abgesehen) stellt sich doch so dar, dafi die Mannerchore, die sich von jeher als Huter
des Volksliedes berufen fiihlten, unter dem Rufe „Vorbei mit sentimentaler Liedertafelei"
audi heute noch durch gefiihlvollen harmonisclien Satz oft sinnwidrig entstellte Volks-
weisen erklingen lassen, die aber auch fast jeder Reziehung zu diesem unserem schonsten
GESANGVEREIN ODER SINGGEMEINDE 307
musikalischen Gut entbehren. Von dem gewohnten abendfullenden Beiprogramm spricht
man besser nicht. Nimmt es da Wunder, dafi dann in dieser Zeit allgemeiner Konzert-
krise gerade die Man.nercb.6re am meisten zu leiden haben ? Sehen wir doch, wie
selbst die urlebendige Kraft der Kosakenchore durch internationalen Konzertbetrieb
geschwacht in der Unmittelbarkeit ihrer Wirkung nachlafit. Um wieviel mehr mufi
dies fur unsere, in der Tradition des Vereinslebens langst erstarrten Mannerchore
Geltung haben. So versucht man es im Zeitalter des Sports mit dem Hinweis auf
den hygienischen Wert des Singens, der die Gesangtibung dem Sporte gleichkommen
lasse! Schliefilich, wenn alles versagt, sucht man die Verbindung mit den Kraften der
Zeit, die frisch und unverbraucht als Werkjielfer der neuen Zeit sich erwiesen haben,
mit den Volks- und Jugend-Musikgemeinden. Man fiihlt an sich die Krisenerscheinungen
des inneren Verfalles. (Dem aul&eren Verfall steht noch die steigende Mitgliederzahl
entgegen. Dies scheint mir jedoch die Gefahr in sich zu bergen, dafi die Manner-
gesangvereine sich zum Wasserkopf des deutschen MusiHebehs auszuwachsen drohen).
So glaubt man- durch die fast krampfhafte Betonung der Verbindung mit der Jugend-
bewegung zu alien Zeiten (1848, Wandervogel nacb 1900, Hohe-Meifiner-Tagung) die
drohenden Alterserscheinungen abzuwenden. Jeder Eingeweihte kennt die Stellung beider
Gemeinschaften und weifi, dafi sie durch Welten getrennt sind. Die stillschweigende
Ablehnung jeglichen Gemeinschaftsgedankens von seiten der Jugendbewegung, deren
musikiibende Krafte sich heute zu Singkreisen und Musikantengilden zusammengeschlossen
haben, gibt hiervon beredtes Zeugnis.
Man vergleiclie doch einmal die in Mannerchorvereinen tibliche Art der Musik-
iibung mit der der Jugend- und Volksmusikgemeinden. Hier die Freude am Nur-Singen,
die sich iiber selbsterlebtes Rhythmus- und Tonempfinden zu schonen Leistungen selbst-
tatig steigert. Durch das Singen aus der Partitur kennt jeder Sanger jede Stimme, der
Gedanke der musikalischen Gemeinschaft gewinnt so Gestalt. Dort eine meist aufier-
liclie Zucht; der Stab des Dirigenten vereinigt die mehr oder weniger fremd neben-
einander verlaufenden Stimmen, er wird zum Gradmesser der weniger rhythmischen,
mehr taktlichen Bewegung. Meist steht alles unter dem Druck des nachsten Konzertes,
wenn nicht gar Sangerwettstreites. In den Musikantengilden Neubelebung edelster
Schatze der Vergangenheit (der Madrigalisten u. a.), enge Verbundenheit mit dem
Schaffen der Zeit („Das neue Werk"), in den Mannerchoren starres Festhalten an iiber-
nommenem, oft lebensunfahigem Gut, freudlose, meist widerstrebende Auseinander-
setzung mit der wesentlichen Musik der Gegenwart So sind sie, ohne je in der tiefen
Bedeutung des Wortes Jung gewesen zu sein, nur Mechanismus und eben nur „Verein".
Dagegen ist die junge Volksmusikbewegung, aus innerer Notwendigkeit, ja Not geboren,
zum keimkraftigen Organismus, zur lebendigen Gemeinschaft geworden.
Ist es da verwunderlicli, dafi es dem Mannergesang nie gelungen ist, die Krafte
der Jugendbewegung an sich zu ziehen? Ist es nicht durchaus verstandlich, dafi die
Vertreter der Musikantengdden dem staatlichen Chormeisterkursus fernbleiben? So
drangt denn alles zu der Frage, in wie weit eine staatliche Unterstiitzung des Manner-
gesanges Dienst am Volke und an der Zeit ist, was j a doch die Voraussetzung dieser
Einrichtung sein soil. Ist eine Erneuerung der Mannerchore iiberhaupt moglich ? Glaubt
man damit, die Kunst dem Volke naher zu bringen, als bisher? Solange der Gemein-
308 WERNER KNAUER
schaftsgedanke und die selbstlose Freude an der Musik vor dem heifien Ehrgeiz nach
„kunstlerischen" Leistungen, nach Sangerfestpreisen zuriicktreten miissen, solange ist
dem ein grundsatzliches Nein entgegenzusetzen. Eine innere Erneuerung der Manner-
chore liegt durchaus im Bereich des Moglichen. Aber sollen sie doch erst zeigen, dafi
noch Entwicklungsmoglichkeiten in ihnen ruhen und nur der Entfaltung harren. Dann
wird immer noch Zeit fur tatkraftige Hilfe sein, zumal ja das Bewufitsein innerer Kraft
und Werthaftigkeit von jeher starker und wesendicher gewirkt hat, als von aufieri
kommende und daruni eben nur aufieiiich wirkende Unterstiitzung. Darin ist keine
Gefahr zu erblicken, dafi die geringen Mittel der Mannerchore seltener Konzertauf-
fiihrungen ermoglichen. Das gibt Zeit zur Besinnung auf die eigentlichen Aufgaben.
Dafi der Staat in hoher Verantwortungsbewufitheit um die Erneuerung der musika-
lischen Kultur Mittel und Wege erschliefit, um diesem Ziele naher zu kommen, erhalt
seine Bedeutung durch sich selbst. Ware es aber nicht dringlicher, diese Mittel fur die
Gemeinschaften anzuwenden, die auf diesem Wege schon ein gut' Stuck aus eigener Kraft
vorwarts gekommen sind, ehe man Versuche an einem zweifelhaften Objekt macht?
Eine abwartende Haltung den Mannerchoren gegeniiber ware ja kein Zeichen des Mifi-
trauens oder der Geringschatzung, sondern lediglich der Klugheit, unisomehr als hier
ein Erfolg eben so lange in Frage gestellt werden mufi, bis die Zeichen innerer Er-
neuerung zu Tage getreten sind.
Bleibt nach diesen Gesichtspunkten eine giinstige Auswirkung der staatlichen
Aktion abzuwarten, so mufi sie umsomehr in Frage gestellt werden, wenn der vom
Staat bestellte Kursusleiter seiner bedeutungsvollen Aufgabe in keiner Weise gewachsen
erscheint. So war zum Leiter eines dieser Kurse (wie wohl ublich) der staatliche
Musikberater des Bezirkes, Studienrat Walter bestellt worden. In dieser Eigenschaft
hatte er durch ein ablehnend gehaltenes Gutachten iiber einen Knabenmotettenchor die
Unmittelbarkeit seiner Beziehung zu den in dieser Gemeinschaft wirkenden Kraften
vermissen lassen, deren kiinstlerische und kulturelle Werte von der Fachkritik vieler
Grofistadte des Reiches anerkannt sind. In der ErofTnungsfeier eines dieser Kurse hat
nun der Kursusleiter in derart bedenklicher Weise irrefuhrende und unpadagogische
Ansicliten xiber das musikalisclie Zeitbild geaufiert, dafi bei der volligen Einseitigkeit
seines Standpunktes eine parteiische Beeinflufiung der Kursusteilnehmer die notweiidige
Folge sein mufite. Dabei scheute er sich nicht, einen „gewissen" Teil der Tagespresse
als Fxirsprecher dieser „nur konstruktiven Musik eines modernen unpersonlichen Artisten-
tums" herabzusetzen.
Ferner, soil die in den staatlichen Kursen zu leistende Arbeit lediglich Priifungs-
charakter tragen, oder soil sie richtunggebend. instruktiv Wege weisen zu wirldicher
musikalische Werte erschliefiender Lehrweise? Verspricht sich der Staat von seinen
Bemiihungen um eine zeitgemaGe sinnvolle Musikpflege ernsthaft Erfolg, wenn in
seinem Chormeisterkursus z. B. in der Abteilung ,.Gehorbildung" den Horern einmalig
zwei achttaktige Perioden zum Nachschreiben und ein vierstimmiger Satz zum Feststellen
falscher Noten vorgelegt werden ? Liefie sich niclit in einem solchen Kursus Wesent-
licheres sagen, was zur Schulung und Kraftigung des musikalischen Gehors beitriiger'
Konnten nicht in einer solchen Stunde Fingerzeige und Weisungen gegeben werden,
die nachdrucklicher t und zumindest dauerhafter eine Steigerung der musikalischen
URAUFFUHRUNGEN IN DRESDEN 309
AufFassungsfahigkeit (und somit die Eignung und Teilnahme an einer musikalischen
Gemeinschaft) bewirkten, als eine solclie wenig bedeutungsvolle und fragwiirdige
Examination.
So ist nach dieser Richtung der Erfolg dieser Kurse sehr zweifelhaft. Die Be-
stimmung dieser Zeilen ware erfullt, wenn sie dazu beitragen wiirden, tatsachlich vor-
handene Mifistande beseitigen zu helfen und fur die Zukunft anregend zu wirken.
He in rich Strobel (Berlin)
URAUFFUHRUNGEN IN DRESDEN
Verdi: „Macbeth" — Straufi: .^Agj'ptische Helena"
Die Verdi-Benaissance greift immer tiefer. Sie wird durch die gegenwartige
musikalische Situation gefordert. Auflehnung gegen die Problematik des Musikdramas
mufite notwendigerweise zu einer neuen Bejahung der elementaren Musikoper Verdis
fiihren. Kein Zufall, daft man sicb heute gerade um den friiheren und mittleren
Verdi mit besonderem Eifer bemiiht. Er verkorpert den Typus der unpsychologischen
italienischen Oper am reinsten. In einer Zeit, die auf dem Gebiet des musika-
lischen Theaters nach neuen, ihr gemafien Form en strebt, ohne bis jetzt zu allgemein
gultigen Losungen zu gelangen, halten sich die Biihnen an die sichere Grofie Verdi.
Das Bepertoire ist in Not. Viele Theater scheuen sich vor den paar wichtigen neuen
Werken, weil sie die Opposition ihrer meistenteds inaktiven Horerschaft furchten —
da erscheint Verdi als Ausweg. Urauffiihrungen winken, Ehrgeize konnen sich entfalten
Das aUes ohne Bisiko. So sehr wir innerlich heute zu Verdi uns hingezogen fiihlen — .
man darf diese aufieren Tatsachen nicht unterschatzen. So sehr wir diese Benaissance
bejahen und sie als produktiv erkennen — sie ist ein Zeichen der Krise unseres
Operntheaters. Verdi wird nicht verhindern, dafi es sich iiber kurz oder lang doch
sehr griindlich mit dem Zeitschaffen auseinandersetzen mufi, wenn es nicht in
Tradition en erstarren will.
Die Schilleropern des jungen Verdi* liegen zum Teil wieder vor. Berlin stellte
„Luisa Miller" heraus, Barmen-Elberfeld die zwei Jahre frxiher entstandenen „Baubei"'\
Nun bringt die Dresden er Staatsoper den „Macbeth", 1847 fiir Florenz komponiert,
zwanzig Jahre spater fiir Paris umgearbeitet. Man kann verstehen, dafi der Florentiner
Macbeth ein Durchfall war. Die Italiener kannten Verdi nur in seinen nationalen
Jugendopern. Sie erwarteten von ihm wieder ein Werk auf dieser Linie. Gewifi gibt
es auch im „Macbeth" eine Menge traditioneller Opernschablone. Banquo, spater auch
Macbeth singt in weicher Kantabilitat iiber der stereolypen Begleirung. Das Trinklied
ist da, der leierige Mannerchor, auch die Banda hinter der Szene und der reifierische
Marsch.
Aber sclion wie das Trinklied in das Finale des zweiten Aktes eingebaut ist,
deutet darauf hin, dafi das Dramatische in dieser Oper dominiert. Verdi erkennt
Fiille und Kraft der Shakespearischen Situationen, und Piave, der Vielgelasterte, holt
310 HEINRICH STROBEL
sie mit grofiem Geschick aus der englischen Tragodie heraus. Erster Akt: Ermordung
des Konigs Duncan. Zweiter: Ermordung Banquos und Festmahl mit Erscheinung
seines Geistes. Dritter: Hexenszenen, wieder mit Erscheinung. Vierter: Chor der
schottischen Fltichtiinge, Nachtwandelszene der Lady, Schlacht und Sieg Macduffs. Es
ist noch nicht lange her, dafi man sich, vollig von den Ideen des literarischen Musik-
dramas befangen, iiber die unpsychologische Plumpheit dieser verdischen Libretti er-
eiferte und in ihnen eine Verballhornung dichterischer Meisterwerke erblickte. Wir
haben inzwischen wieder einsehen gelernt, dafi die Dramaturgic der Oper iiberhaupt
nicht zu vergleichen ist mit der des Schauspiels. "Wir haben das psychologisch ixber-
steigerte Theater satt bekommen und bewundern die Sicherheit, mit der dieser Piave
das aus Shakespeare zurechtformte, was der Musiker Verdi brauchte. Verdi selber hat
audi an der Anlage des Szenariums zu „Macbeth" mitgearbeitet. Ungewohnlich
genug — und sicher fur den Mifierfolg im Jahr 1847 ausschlaggebend — dafi die
Liebeshandlung, dafi der tenorale primo uomo fehlt. Erst im letzten Akt treten die
Tenore auf. Die dramatischen Hohepunkte werden Hohepunkte der Musik. Im ersten
Finale baut Verdi einen riesigen Komplex auf, beginnend mit Macbeth Zaudern vor
dem Mord an Duncan. Das folgende Duett mit der Lady steht auf der Hohe des
reifen Meisters. Unerhorte dramatische Schlagkraft im drangenden f-moll, in den
scharfen Akzenten. In den machtigen Gefuhlsausdruck Macbeths klingt der beifiende
Spott der Lady. Wie dann, nach Entdeckung der Tat, iiber einem Paukendonner das
Unisono des Massenensembles hereinstiirzt, wie der melodische Bogen sich weit aufreckt:
das ist von hinreifiender Wirkung. Von ahnlicher Unmittelbarkeit, doch nicht ganz so
geschlossen, ist das zweite Finale mit den Halluzinationen des Macbeth.
Dann sinkt die Spannungslinie. Die Darstellung der Hexenszenen konnte dem
Bealisten Verdi nicht gelingen. Schon bei Shakespeare empfinden wir sie als theatralischen
Spuk. Hier sind sie vollends matter Opernflitter. Eine flachige, unphantastische
Ballettmusik mit durchschnittlichen italienischen Mitteln. Verdi erkennt die Schwachen
dieses dritten Aktes spater selbst, als er den „Macbeth" fur Paris einrichtet und die
Instrumentation stark eindiistert: er fiigt ein kleines Duett Macbeth-Lady hinzu.
Aber er rettet damit das Ganze nicht mehr.
Im vierten Akt steht die bedeutendste Szene der Lady, deren Partie, verschiedentlich
in den Bereich der Leonore des „Troubadour" vorstofiend, aufierst schwierig ist. In
der Nachtwandel-Arie schwingt die italienische Kantilene, die audi in den dramatischen
Teilen des „Macbeth" absolut dominiert, in reicher Auszahnung iiber einem hochst
differenzierten Orchester. Welcher Abstand gegeniiber der iiblichen Bravourarie! Man
mufi auch die schonen Chore des Schlufiaktes noch erwahnen. Der Trauergesang der
Fliichtlinge : schlicht, sparsam in den Mitteln, von edelster melodischer Fiihrung. Selbst
das iibliche „Auf zum Kampf" hat eine neue leidenschaftliche Spannung.
„Macbeth" als Ganzes: ein Werk der Verheifiung — von Jugendkraft erfiillt,
keineswegs immer konsequent, machmal unsicher, tiberall schopferische Aufierung des
Genies.
Die Dresdener Auffiihrung war sehr gut, obschon nicht zwingend. Otto Ehr-
hardts Regiewille, auf musikalische Gestaltung ausgehend, konnte sich nicht gleich-
mafiig durchsetzen. Es gab neben ausgezeichneten Gruppierungen auch Konventionelles.
URAUFFUHRUNGEN IN DRESDEN 311
Kutschbach war der gewissenhaft fiihrende, kraftig unterstreichende Dirigent.
Burgs Macbeth: eine hervorragende dramatische Leistung, gesanglich nicht ganz den
Ansprtichen italienischen Belcanto gemigend, ebenso wie die heroisch iibersteigerte Lady
der Eugenie Burkhardt. Es wurde zu viel deklamiert. Prachtvoll der Banquo Ivar
Andresens, eine der beaten Bafistimmen, die man heutc horen kann. Sehr gut
studierte Chore.
Ein paar Wochen spater ist man wieder in Dresden. Diesmal zu einer Premiere
grofiten Stils: Urauffuhrung der „Agyptischen Helena" von Richard Straufi, mit
der die Dresdener Staatsoper ihre Festspiele zur Feier ihres ftinfzigjahrigen Bestehens
eroffnet. Diese Festspiele: representative Rtickschau auf die Glanzzeit der Dresdener
Hofoper. Die ,,Agyptische Helena": Nachhall eines Schaffens, dessen Ruhm von dieser
Hofoper ausging. Das prunkvolle Bild einer Vorkriegspremiere. Reiche Aufmachung,
gesellschaftlich festliche Horer. Tosender Beifall, zahllose Hervorrufe.
Vor einem Vierteljahrhundert Fuhrer der Jugend, vorwartsdrangend und sturmend,
steht Richard Straufi heute als Typus einer Epoche vor uns — eben jener Vorkriegs-
zeit, deren aufiere Lebensformen sich immer iippiger gestalteten, die im bequemen
Genufi sich erschopfte. Den Ideen Wagners zugetan, ist Straufi das Genie dieser Epoche.
Nicht frei von Selbstherrlichkeit, will er der klassische Meister, der Gereifte, in sich
Gefestigte in der Zeit neuen Werdens scheinen. So sehr er Wagner verbunden ist, seine
Sehnsucht strebt nach der klassiscken Reinheit Mozarts. "Wir verdanken ihr sein e zu_
kunftsweisendste Schopfung — die „Ariadne". Aber schon da erkannte man die Grenzen -
Die klassische Haltung war nur aufierlich, im Stofflichen, in iibernommenen Stilelementen,
in der l'ormaleii Anlage.- Die ausladende Lyi'ik, das Raffinement des Kolorits, das fie-
rauschende — das alles waren Zeichen einer muden, zert'allenden Kultur, die Antike
und Rarock als iisthetische Reize heraufbeschwor, A\ r ahrend es vorher in „Elektra" ge-
lungen war, die antike Tragodie mit den modernen Jlitteln des Musikdramas unmittel-
bar zu fassen.
Nun, im Spatwerk der „Agyptischen Helena"', soil die Antike ein phantastisches
Spiel tragen. Es ist wieder die Antike, wie sie Hoffmanns thai schonheitssiichtig von
seinem spatbarocken Wienertum aus sieht. Er verliert sich in ihr, vermengt sie mit der
Symbolik und dem Psychologismus seines eigenen dichterischen Schaffens. Die Mtirchenwelt
der „Frau ohne Schatteii"', hier mit unverkennbarer Beziehung zur ,,Zauberflote", klingt
herein. Es ist eine Synthese von mancherlei Stilelementen erstrebt, aber nur eine ver-
wirrende Menge von Andeutungen, ein spannungsarmes Nebeneinander erreicht. Noch
weniger als in „Frau ohne Schatten" wird der Horer aus der Dichtung klug. Ihren viel-
fachen Hintergrtindichkeiten nachzuspiiren, konnte fiir den Literaten reizvoll sein — das
Opernbuch verlangt vor allem Plastik.
jMenelas und Helena sind auf der Heimfahrt nach Bcendigung des trojanischen
Krieges. In Menelas regt sich Eifersucht gegen Helena,' die inzwischen anderen Mannern
angehorte, die schuld ist an dem zehnjahrigen Blutvergiefien — er will sie toten. Zur
rechten Zeit wird dieses Vorhaben durch eine weltweise Lautsprecher-Muschel der Zauberin
Aithra berichtet. Aithra beschliefit die schonste Frau der Welt zu retten. Eurypides
hilft Hoffmannsthal : Helena, die Paris nach Troja entfuhrte, sei nur ein Lidtgebild ge-
312 HEINRICH STROBEL
wesen, um die Manner zu narren, die wirkliche Helena liaben die Gotter zu sich ge-
nommen, um sie nacli dem Krieg als unberuhrte Frau dem Gatten zuriickzugeben-
Aithra mischt, um Menelas von der Richtigkeit dieser Tatsachen zu iiberzeugen, aller-
hand Tranke des Vergessens, Tranke der Erinnerung, sie zaubert Pliantome, idylliscbe
Liebesoasen vor. Am Schlufi jedes Aktes — es sind zwei — erliegt Menelas den weib-
lichen Reizen. Zuerst der phantomhaften, dann der echten Gattin, die in Wahrheit em
und dieselbe ist. Daraus ergibt sich Parallelitat des Handlungsablaufes der beiden Akte.
Der erste hat immerhin noch di'amatisclie Gliederung. Dem zweiten geht sie vollstandig
ab — trotz Aufgebot aller moglichen orientalischen Requisiten, trotz dieses Monostatos-
Altair, der Helena umgirrt und ad oculos demonstrieren soil, dafi man mit einer so
schonen Frau eben nicht in Frieden leben kann. Aber noch ist Aithra zur SteUe, die
mit Zauberkraft aUe Liisternheit unterdriickt, die Hermione, Helenas und Menelas
Tochter, unvermutet herbeiholt und die gliicklich Wiedervereinten (nach altem Opern-
braucli auf drei lebendigen Pferden) gen Sparta abreiten lafit. Antike mit gutburger-
licher Famdienmoral.
Der EinfluS Wagners ist unverkennbar — nicht nur in den zahlreich gemixten
Tranken, auch in der allmahlich „wissend werdenden" Helena. Uberraschend genug:
Wagner steht auch hinter der Partitur. StrauJi entsinnt sich des .,Guntram", er ent-
sinnt sich auch aller seiner fruheren Opern. Die Hoffmamisthalsche Symbolik verwirrt
ihn nicht. Er musiziert sich aus. Freilich nicht mehr mit der Ursprunglichkeit, mit
dem glan?enden Elan, mit der Fulle von ehedem. Ein Fazit aus dem Vorhergegangenen,
mit blendender Routine ausgefiihrt. Die Substanz ist abgeschwacht, das Handwerkliche
herrscht. Der Klang des Riesen-Orchesters, die breit stromenden kantabilen Melodien
wollen einen Inhalt vortauschen. Restimmte Wendungen, aus „Ariadne" entnommen,
schwelgerische Figuren, schillernde Reihungen terzenverwandter Akkorde wirken ver-
braucht, so sicher auch die Steigerungen angelegt sind, so sehr das Kolorit bestrickt.
Das lyrische Gefiihlspathos bricht immer wieder aus den dramatiscli untermalten Partien
hervor: ungemein leuchtend, stark tonal gefestigt, mit jener fatalen Tendenz zum Trivialen,
die bei Straufi von jeher vorhanden war.
Die „Agyptische Helena" wendet sich nach riickwarts. Straufi verdiinnt seinen
eigenen Stil, indem er ihn kopiert. „Intermezzo" schien lebendiger. „Helena" deutet
keine Entwicklungmoglichkeiten mehr an.
Die Auffiihrung war im hochsten reprasentativ, wie man es an dieser traditionellen
Statte erwarten durfte. In gleichem Ma6e das Verdienst des Dirigenten Fritz Busch,
der das herrliche Orchester und die Sanger ausgezeichnet ausgleicht und des Regisseurs
Ehrhardt, der fur siimvolle Bewegung der Szene sorgt. AUes war hervorragend ein-
studiert. Theodor Fanto stellte den aufieren Rahmen auf bunte Opernhaftigkeit mit
schon abgetonten Vorhangen, goldenen Saiden und schimmernden Kostiimen. Die
blaue Riesenschleppe der Helena — Entziicken aller. die in Hoftheatererinnerungen
versanken. Die Oper verlangt allererste gesangliche Krafte. Dresden hatte sie — die
wundervolle Elisabeth Rethberg mit ihrer weichen, leuchtenden, bezaubernden Stimme
als Helena, im Darstellerischen noch zwingender die Aithra der Maria Rajdl: beweg-
lich, intelligent, mit feinem, hellem Organ. Curt Taucher als Menelas, voll drama-
tischen Lebens, mannlich und bestimmt.
ZEITSCHAU 313
MUSIKLEBEN
Heinrich Strobel (Berlin)
ZEITSCHAU
Die deutsche Musikwelt hat zwei schwere Verluste zu beklagen. Durcli em tod-
liches Autoungluck wurde Emil Bohnke plotzlich aus einem Wirken gerissen, das neue
Krafte dieses feinen und ernsten Musikers freizumachen verspracli. Geburtiger Pole, hat
sich Bohnke als Bratschist des Bandler- und spater des Buschquartetts schnell einen be-
deutenden Namen gemacht. Vor einigen Jahren gab er diese Tatigkeit auf und iiber-
nahm die Leitung des Berliner Sinfonieorcb esters, das er durch unermiidliche, von hohem
Idealismus erfiillte Arbeit vorwartsbrachte. Seine finanzielle Unabhangigkeit kam ihm
dabei zu statten. Als Komponist entwickelte sich Bohnke, von Brahms ausgehend, zu
einer selbstandigen Personlichkeit, die viel beachtet wurde. Im Allgemeinen Deutschen
Musikverein spielte er eine fiihrende Bolle. Weit iiber Berlin hinaus wird man dem
tragischen Geschick Bohnkes und seiner Gattin lebhafteste Anteilnahme entgegenbringen.
In Dessau starb funfundsechsigjahrig Prof. Dr. Arthur Seidl. Musiker, Literat und
Asthet zugleich, war er einer der geistvollsten und aktivsten Verteidiger der Wagner-
schen Ideen, einer der begeistertsten Vorkampfer fur Bichard Straufi. Lange Jahre hin-
durch lehrte er audi Musikgeschichte am Leigziger Konservatorium. Obwohl er einer
anderen Generation angehorte, zeigte er sich lebhaft interessiert auch am jtingsten
musikalischen Schaffen, mit dem er sich in einer seiner letzten Arbeiten auseinander-
setzte. Trotz mancher Eigenheiten eine Kunstlernatur durch und durch, ist mit Seidl eine
der markantesten und verdienstvollsten Personlichkeiten des musikalischen Schrifttums
aus der Straufi-Epoche dahingegangen.
Es ist die Zeit der Musikfeste. Schwerin haben wir hinter uns. Eine Beihe von
rein reprasentativen Festen werden im Juni veranstaltet. Sie pflegeii die Tradition in
moglichst guten Auffuhrungen. Entspringen mehr einer schonen Gewohnheit als einem
Bediirfnis. Immerhin ist es bemerkenswert, dafi auch alte Musik auf diesen traditionellen
Festen eine immer grofiere Bolle spielt. Fast zur selben Zeit ein Bachfest in Niirn-
berg, ein Handelfest in Kiel — mit einer Beihe historischer Kostbarkeiten — und
einer Bachfeier unter der autoritativen Leitung Karl Straubes in Leipzig mit der
Erstauffiihrung des gesamten „Musikalischen Opfers": das ware noch vor dem Kriege
undenkbar gewesen. Diese Musikfeste sind Zeichen einer reichen und dezentralisierten
Musikpflege, wie sie aufJer Deutschland kein anderer Staat nur im entferntesten besitzt.
Die notwendige Arbeit fur die Gegenwart, wird immer wieder nur an einer Stelle
geleistet: in Baden-Baden, dessen Programm jetzt vorliegt. Kammermusik ist dies-
mal ausgeschaltet. Auf diesem Gebiet sind alle neuen Moglichkeiten hinlanglich erprobt.
Dagegen fuhrt man die Versucbe der Kurzoper weiter. Arbeiten von Beutter (Sard),
K n e i p (Tuba mirum), Gronostay (In zehn Minuten) und M o s s o 1 o w (Der Held)
werden aufgefiihrt. Mit Kantaten werden die vokalen Versuche aus den vergangenen
Jahren aufgenommen. Auf das Kammeroratorium nach Holderlin von J. M. Hauer ist
314 HEINHICH STROBEL
man besonders gespamit. Ein Abend dient moderner Orgelmusik, die Jarnach,
Pepping, Finke und Humpert schreiben. Endlich wird an der Losung des hochst
aktuellen Problems: Musik und Film weitergearbeitet MELOS wird in einem Sonder-
heft auf die Baden-Badener Fragen eingehen. ')
Die diesjahrige Pa riser Saison wurde zu einem Triumph fur deutsche Musik.
Mehrfach wurde an dieser Stelle schon uber die Pariser Gastspiele deutscher Kiinstler
bericbtet. Ohne einem Gesamtreferat, das demnachst erscheinen wird, vorzugreifen,
mufi des beispiellosen Erfolgs gedacht werden, den Furtwangler mit den Berliner
Philharmonikern beim ersten Auftreten in Paris errangen. Es war auch ein gesell-
schaftliches Ereignis. An einem Friihstiick fur Furtwangler nahmen aufier der ganzen
Diplomatic auch fiihrende franzosische Musiker wie Ravel und Honegger teil. Kurz
darauf begann der ., cycle Mozart" unter Bruno Walter. Wieder ein ganz starker
Erfolg. Zuerst Don Giovanni, danii Cosi fan tutte, jetzt Zauberflote (in deutscher
Sprache). Walter und das Orchester finden besondere Anerkennung. Walter dirigierte
auch Strawinskys Klavierkonzert. (In Deutscbland wurde er sicli kavxm dafiir einzu-
setzen wagen.)
Die Pariser Gastspiele der Wiener Oper sollen noch ein lustiges Nacbspiel gehabt
haben. Frau Jeritza war gekrankt weil sie nicht mit ebendenselben Orden wie Frau
Lehmann ausgezeichnet worden war. Aufregung, Krach an der Wiener Staatsoper. Die
Wiener Premiere der Agyptischen Helena in Frage gestellt, in der die Jeritza die Titel-
rolle singen soil. Feierliche Dementi der Staatsoper: Frau Jeritza ist garnicht wegen
des Ordens beleidigt, der Verzicht auf die Ehrenmitgliedschaft habe andere Ursachen,
aber es sei Gottseidank gehmgen, die Kiinstlerin zu besanftigen : die Helena kann steigen.
Lacherliche Komodie, aufgebauscht durch sensationslusterne Korrespondenzen. Die Sorgen
des Stars.
Ein anderer Star, Schaljapin, gastierte kurzlich mit eigenem Ensemble in Berlin.
Als die grofie Sensation der Nachsaison angekiindigt, enorme Eintrittspreise fordernd.
Vorher Interviews, Empfange — wie bei der Straufi-Premiere in Dresden. Man hatte
den Bogen uberspannt. Die sechs oder sieben Gastspiele in den drei Berliner Opern-
hausern waren mafiig, ja schlecht besucht. Und Schaljapin selber: der geniale Naturalist
der grofien Oper von gestern.
Einige Personalnotizen. Muck wird nacb seinem 70. Geburtstage als Leiter der
Hamburger Pbilharmonischen Konzerte zuriickti-eten. Das Wettrennen um die Nachfolge
setzt bereits ein. Fritz Rainer, der friihere Dresdener Kapellmeister, in Amerika be-
ruhmt geworden, soil die meisten Chancen haben. Man diirfte aber den uberaus
tiichtigen Hamburger Eugen P a b s t nicht ubergehen. Amerika, das uns ein paar Jahre
hindurch die besten Krafte wegnahm, interessiert sich iiberhaupt wieder fiir Deutschland.
Flesch kehrte zuriick, ubernahm eine Professur an der Berliner staatlichen Hocbschule.
Gabrilo vvitsch, vor dem Krieg sehr beach tet, wird naehsten Winter wieder in Deutsch-
land spielen und dirigieren. Kleiber hat ein erneutes amerikanisches Angebot, als
Oberleiter an die Metropolitan zu gehen, abgelehnt.
') Das Programn fiir Baclen-Baden siehe im Anzeigeteil.
r
jNACHBIGHTEN
315
NACHRICHTEN
KLEINE BERICHTE
Das Hoch'sche Konservatorium in Frankfurt a. M.
feierte am 10. Juni sein 50jahriges Bestehen. AVie
wir hciren haben sich die wegen der A'eistaatlichung
des Instituts gefiihrten Vcrhandlungen vorlaufig zer-
schlagen.
Bei der Neuordnung der Bibliothek der Berliner
Sing-Akademie wurden ungefahr 250 wertvollc Briefe
aus dem Nachlass des eheraaligen Direktors der Sing-
Akademie, Bungenhagen, aufgefunden. Darnnter be-
fanden sich Briefe von Carl Loewe. Lortzing, Nicolai,
Spontini, Devrient, Anna Milder-Hauptmann iind
anderen bekannten Berliner Personlichkeiten aus der
Mitte des vorigen Jahrhunderts.
Am 20. Mai land in Schwerin die ordentliclie
Hauptversammlung des Verbandes deutsclier Orchester-
und Chorleiter statt. Als bisheriger Vorstand wurden
einstimmig wieder gewahlt: Dr. AVilhelm Furtwangler,
Dr. Budolf Cahn-Speyer, Prof. Hermann Abendroth,
Prof. Dr. S. von Hausegger und Prof. Dr. Peter
Baabe.
Im Rahmen der Bildungsabteilung des evangel.
Johannesstiftes in Spandau ist eine Evangelise he
Schule fur kirchliche A f oIksmusik unter
Leitung von Dr. Fritz Beusch gegriindet worden.
In freien Lehrkursen, Singwochen und semester-
mafiig aufgebauten Studienzeiten werden *hier Or-
ganisten, Pfarrer, Lehrer, Diakonen, Jugendfidirer
und Jugendliche aus dem ganzen Beich mit der Sing-
bewegung bekanntgemacht und in die Aufgaben einer
kirchlichen Volks- und Jugendmusikpflege eingefiihrt.
Zur praktischen Auswertung des in der Kursusarbeit
Angestrebten wird in Verbindimg mit der Schule
eine Stiftskantorei eingerichtet. Eine angeschlossene
Beratungsstelle erteilt auf alle kirchenmusikalische
Fragen Auskunft.
Die Genossenschaft Deutsclier Tonsetzer (GDT)
hat aus Anlafi ihres 25jahrigen Bestehens eine Fest-
schrift herausgegeben, die sehr interessantes Material
uber diese Standesvereinigung deutsclier Tonsetzer
enthalt.
Der Preuft. Landesverband der akademischen
Musiklehrer hoherer Lehranstalten halt am 1. Juli
in Frankfurt a. M. seine aufierordentliche Haupt-
versammlung ab. Auskunft erteilt Studienrat Vilh.
Meister (Vorsitzender) Frankfurt a. M., Danneckerstr.33.
AUFFUHBUNGEN
Die diesjahrigen Handelfestspiele in Gottingen
finden vom 5. bis 10. Juli statt. Zur AufTuhrung
kommen die Oper , .Julius Casar" und die szenischen
Kantaten ,,Lukretia", „Apollo und Daphne" von
Handel, sowie „Phobus und Pan" von Bach. (Aus-
kunft B. Kuhnhardt, Gottingen).
Das zweite Handelfest der Hiindelgesellschaft
findet vom 21. bis 24. Juli — zugleich als Schleswig-
Holsteinisches Musikfest — statt. Auskiinfte und
Programme durch die Geschaftsstelle der Hftndelge-
sellschaft, Leipzig, Nurnbergerstr. 36.
Am 1. Juli begeht die Stadt Leipzig ihre dies-
jahrige Bachfeier mit der Erstauffiihrung des musi-
kalisrhen Ojjfers in der Bearbeitung von Hans David
und einer Aulmhrung der Hohen Messe. Auskiinfte
erteilt die Geschaftsstelle Leipzig C. 1., Niirnberger-
strafie 36.
Das jNiirnberger Bachfest rindet vom 13. bis 15.
Juli im Bahmen des ..Durer-Jahres" statt. Naheres
aus der Anzeige in diesem Heft.
Das Hessische Landestheater in Darmstadt bringt
die ..Bettleropei"' von John Gay am Anfang der
nachsten Spielzeit als Deutsche Urauffuhrimg heraus.
Vom 7. bis 10. Juni veranstaltete die Max Beger-
Gesellschaft in Duisburg das 6. Begerfest.
Die Stagione d'Opera Italiana gastierte vom 11.
bis 13. Juni mit Rossinis ,,Barbier von Sevilla", Puc-
cinis ,,Tosca" und Donizettis ,,Liebestrank" in Heidel-
berg. Ein weiteres Gastspiel folgt in Koln gelegent-
lich der ,,Pressa",
Schuberts Singspiel „Die Freunde von Salamanka"
wurde am Stadttheater Halle uraufgefuhrt.
Hannover brachte am 9. Juni im Bahmen einer
Festwoche die Erstauft'uhrung von Busonis „Doktor
Faust".
In Gijrlitz fand vom 1 . bis 3. Juni das 20. Schlesische
Musikfest statt.
PEBSDNLICHE NACHBICHTEN
Privatdozent Dr. J. Muller-Blattau, Direktor des
musikwissenschaftlichen Seminars und des Instituts
fur Kirchen- und Schulmusik an der Albertina ist zum
a. o. Professor an der Universitat Konigsberg ernannt
worden.
A. Casella hat sein neues A r iolinkonzsrt Professor
Szigeti gewidmet und ihm das alleinige Auffiihrungs-
recht fur 1928/29 xibertragen.
Heinrich Werle, Abteilungsleiter an der Stadt.
Musikhochschule zu Mainz, wurde als Dozent fur
Musik art das Padagogische Institut der Universitat
Leipzig berufen.
Dem a. o. Professor fur Musikwissenschaft an der
Universitat Berlin, Dr. Kurt Sachs, ist ein Lehrauftrag
fur Instrumentenkunde erteilt worden.
Der a. o. Professor fur Musikwissenschaft an der
Universitat Kiel, Generalmusikdirektor Dr. Fritz Stein,
ist zum ordeiitlichen Professor ernannt worden.
Der bisherige Oldenburger Landesmusikdirektor
Werner Ladwig wurde als Generalmusikdirektor und
musikalischer Oberleiter an das Stadttheater Konigs-
berg/Pr. berufen.
316
MUSIKLEBEN
Der Opernregisseur Dr. Wolfgang Herbert wurde
fiir die kommende Spielzeit als kiinstlerischer Leiter
und stellvertretender Direktor an das Theater des
Westens, Berlin, verpflichtet.
AUSLAND
Die Salzburger Festspiele wurden nunmehr end-
giiltig auf die Zeit vom 26. Juli bis 30. August fest-
gelegt. Der Spielplan sieht folgende Aufftihrimgen
vor : „Zauberfl6te", „Fidelio", „Iphigenie auf Tauris",
,,Cosi fan tutte", „Die Riiuber", ,,Jedermann" und
das ,,Perclitenspiel", 5 Orchesterkonzerte, Benovoli-
Messe und Serenaden.
In Salzburg wird von der Internationalen Stiftung
Mozarteum im Juli und August eine „Zauberfl6te"-
Ausstellung veranstaltet, die ein vollstandiges musik-
historisches, literarisches und biihnengeschichtliches
Bild der Entstehung der Oper, der Erstauffiihrungen
und des Fortlebens des Werkes bis zur Gegenwart
geben soil.
Durch Vereinigung zweier bis dahin gesondert
bestehender Organisationen hat sich in Wien der
„ D s t e r r e i ch i s ch e K o m p o n i s t e n b u n d " kon-
stituiert, der in eine Sektion fiir ernste und eine fur
heitere Musik gegliedert, nunmehr die Interessen-
vertretung samtlicher schaffender Musiker Dsterreichs
reprasentiert. Zum gemeinsamen Prfisidenten wurde
Dr. Rudolf Sieczinsky gewalilt. In den Vorstand
wurden entsandt: von der Sektion fiir ernste Musik :
Dr. Josef Marx (Obmann), Dr. Hans Gal (Schriftfiihrer),
Alban Berg, Dr. Wilhelm Grosz, Prof. Robert Heger,
Dr. Karl Weigl, Dr. Egon Wellesz ; von der Sektion
fiir heitere Musik : Dr. Richard Glueck (Obmann),
Sylvester Schieder (Schriftfiihrer), Karl M. Jaeger,
Wilhelm August Jurek, Ludwig Prechtl, Dr. Ludwig
Rochlitzer, Josef Roscher, Ehrenprasidenten sind Dr.
Richard StraulS und Franz Lehar.
Das Budapester Philharmonie-Orchester wird im
Juni zwei Konzerte in London unter E. von Dohnanyis
Leitung geben.
In London findet ein dreitagiges Musikfest statt,
welches ausschliefilicb der jiidischen Musik gewidmet ist.
Strawinsky hat soeben sein „Requiem" beendet.
Bruno Walter hatte in Paris mit dem von ihm
geleiteten, von der franzosischen Gruppe der inter-
nationalen Theatergesellschaft veranstalteten Konzert-
Zyklus bedeutenden Erfolg.
Die Singakademie zu Berlin gab auf Einladung
Mailander Konzertgesellschaften unter Professor Gg.
Schumann mehrere Konzerte mit deutschen Oratorien-
werken. Bei dieser Gelegenheit kam Bachs h-moll-
Messe und Handels „Israel in Agypten" zur iiber-
haupt ersten Auffiihrung in Italien.
Ottmar Scliiicks Musikdrama „Penthesilea" kam
an der Ziiricher Oper zur schweizerischen Erstauf-
fiihrung.
Unter Professor Malko von der Philharmonie in
Leningrad hat sich im Verein mit Professor Assafieff,
Schaperin, Einsburg, Glasunoff und Sandberg ein
Komitee gebildet, das sich privatim die Pilege musika-
lischer Beziehungen Rufilands zum gesamten Ausland
und auslandischen Musikern zur Aufgabe gemacht hat.
Das von der Regierung der Sowjet-Union nun-
mehr angenommene neue Urheber-Schutzgesetz sicliert
dem Autor ein lebenslangliches Recht auf sein Werk
zu, wahrend die Schutzdauer bisber nur auf 25 Jahre
festgesetzt war. Eine Ausnahme bilden choreogra-
phische Werke, Pantomimen, Filmtexte und Film-
streifen, fiir die das Urheberrecht auf 10 Jahre be-
schrankt wird, wie audi Lichtbilder, dcren Urheber-
recht nach dem neuen Gesetz 5 Jahre lang dem Autor
bleibt. Nach dem Tod des Autors geht das Urheber-
recht fiir die Frist von 20 Jahren an die Erben iiber.
Das Recht des Autors an sein Werk kann durch einen
Verlagsvertrag aufgehoben werden. Ebenso kann es
von der Regierung der Sowjet-Union bei derjenigen
Bundesrepublik in der das betreffende Werk zuerst
herausgegeben wurde, zwangsmafiig, jedoch gegen
Entgelt erworben werden.
Die tiirkische Regierung beabsichtigt, Reformen
nach deutschem Muster am Konservatorium und an
den Theatern Konstantinopels durchzufiihren. Der
Dresdener Staatsopernkapelhneister Kurt Striegler,
der im vergangenen Jahr auf Einladung der Priifektur
in Konstantinopel sehr erfolgreiche Konzerte mit
dem Gazi-Orchester leitete, ist als kiinstlerischer Fach-
berater der tiirkischen Behorden gewonnen worden.
VERSCHIEDENES.
Gemfifi BeschluK der internationalen Konferenz
in Bom bleibt die 30 jahrige Schutzfrist beibehalten,
d. h. der hisher sehr umstrittene Artikel 7 der Berner
Konventjon wird unverandert bestelien bleiben.
Die Philharmonische Gesellschaft Hamburg feiert
in diesem Jahre ihr 100 jahriges Bestelien.
Der Bund deutscher Musikpadagogen e. V. halt
seine ordentliche Hauptversammlung am 17. Juni in
Hamburg ab.
Der II. deutscbe Tanzer-Kongress, der vom 22.
bis 26. Juni in Essen stattfindet, hat in seinem
Programm folgende Themen in Vortrag und Dis-
kussion vorgesehen : Tanztheater und Theatertanz —
Tanzschrift und Chbreologie — Tanzpadagogik —
Laientanz. Ferner findet erstmalig eine Ausstellung
fiir Bewegungskunst statt,die einen Uberblick iiber
die gegenwartige tanzerische Arbeit geben soil.
Die Columbia Phonograph Comp. in New- York
hat aufier dem bereits erwahnten 20.000 Dollar
Wettbewerb, anlafilich der Schubert Jahrhundertfeier
einen Preis von 1.000 Dollar fiir alle Untersucbungs-
arbeiten, die zur Entdeckung derjverlorenen „Gastein"-
Symphonie Schuberts aus dem Jahre 1826 fiihren,
ausgesetzt.
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Der klingende Weg
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Die Rhein. Musik- und Theaterzeitung schreibt :
„Niemand kann sich dem eigenartigen Zauber
entziehcn, der aus dieaen Blattern weht,
eine Welt edler Menschllchkeit u. kiinstlerischer
Grofie erschliefit sich vor unseren Augen."
Vorratig in jeder guten Buch- und Musikalien-
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Erster Teil: Ubimg in drei Stiicken M. 4. —
Zweiter Teil : Keihe kleiner Stiicke M. 6. —
Tanzstlicke, op. 19 in Vorbereitung.
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Violine allein : op. 31 No. 1, 2 . . . je M. 3.—
Viola allein : op. 11 No. 5, op. 25 No. 1 je M. 3.—
Violoncello allein : op. 25 Nr. 3 M. 3.—
Kanonisdie Sonatine fur zwei Floten, op. 31
Nr. 3 M. 3.—
Sonaten mit Klavier:
Violine u. Klavier : op. 11 No. 1 . . . M. 4.—
op. 11 No. 2 . . . M. 6.—
Viola u. Klavier: op. 11 No. 4 . . . M. 6.—
Violoncello u.Klav.: op. 11 No. 3 . . . M. 6.—
Viola d'amore u. Klav. op. 25 No. 2 i. Vorb.
Kammermusik:
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M. 2.—, Stimmen M. 8.—
I. Quartett fur 2 Viol., Via. und Vcl. op. 10
Stud.-Part. M. 3.—, Stimmen M. 10.—
II. Quartett fur 2 Viol., Via. und Vcl. op. 16
Stud.-Part. M. 3.—, Stimmen M. 10.—
III. Quartett ftir 2 Viol., Via, und Vcl. op. 22
Stud.-Part. M. 3.—, Stimmen M. 10.—
IV. Quartett fur 2 Viol., Via. und Vcl. op. 32
Stud.-Part. M. 3.—, Stimmen M. 10.—
Kleine Kammermusik fur 5 Blaser (Flote, Oboe,
Klarinette, Horn und Fagott) op. 24 No. 2
Studien-Partitur M. 2.—
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Kammerorchester:
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1921),. Stud.-Part M. 4.—
Kammermusik No. 2 (Klavier-Konzert) op. 36
No. 1, ftir oblig. Klavier u. 12 Soloinstrumente.
Stud.-Part. M. 4.— Klavier-Auszug M. 8.—
Kammermusik No. 3 (Cello-Konzert) op. 36
No. 2, filr obi. Violoncello und 10 Soloinstr.
Stud.-Part. M. 4. — Klavier-Auszug M. 6.—
Kammermusik No. 4 (Violin-Konzert) op. 36
No. 3 f. Solo-Violine u. gross. Kammerorchest.
Stud.-Part. M. 4.— Klav.-Ausz. (Singer) M. 8.—
daraus einzeln: Naclltsttick fttr Viol. u. Kl, M. 2. —
Kammermusik No. 5 (Bratschen-Ko nz .) op. 36
No. 4 ftir Solo-Bratsche und Kammerorchest.
Stud.-Part. M. 4.— Klav.-Ausz.(Willms) M. 8.—
Kammermusik Nr. 6, op. 46 No. 1. Konzertfur
Viola d'amore und Kammerorchester
Konzert fur Orgel und Kammerorch. op. 46 No. 2
KonzertSuitea.d.Ballettpantomime„DerDamon"
op. 28 Klavier-Auszug M. 8.—
Tanz der Holzpuppen (Foxtrott) aus „Tutti-
fantchen" ftir kleines Orchester
Grosses Ordiester:
Konzert fiir Ordiester, op. 38
Studien-Partitur M. 4. —
Konzercmusik fiir Blas=Ordiester, op. 41
Tanze aus „Nusch-Nuschi"
Ausg.f. Klav. zu4Hdn.(i. Part. gedruckt) M.4.—
Gesang
.8 Lieder fiir Sopran mit Klavier, op. 18 M. 3.—
Die junge Magd. 6 Gedichte von Georg Trakl
fttr eine Altstimme mit Flote, Klarinette und
Streichquartett, op. 23 No. 2
Partitur M. 3. — Klavier-Auszug M. 3. —
Das Marienleben. Gedichte von E. M. Eilke.
Ftir Sopran und Klavier, op. 27
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tischen Texten fur Sopran, Oboe, Bratsche
und Violoncello, op. 35
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Auffulirungsmateriale, soweit keine Preise angegeben sind, nach Vereinbarung.
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Fur gemischten Chor 4-6stimmig a oappella
Partitur vollstiindig M. 4. —
Chorstimmen each Vereinbarung
Vom Hausregiment (Luther) 6st. / Frauenklage (Burg-
gral' zu Hegensburg) 5st. / Art lasst nicht von Art
(Spervogel) 4st. / Der Liebe Schrein (Heinrich von
Morungen) 5st. / Heimliches Gluck (Reinmar) 6st. /
Lands^nechtslied 6st. '
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Cardillac. Oper in 3 Akten (4 Bildern), Text
nach E. T. A. Hoffmanns „Frivulein von
Scuderi" von F. Lion, op. 39
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Morder, HofFnung der Frauen
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Klavier-Auszug M. 10.—
Textbuch zus. mit op. 20 mid 21 . M. —.80
Das Nusdi=Nusdii
Ein Spiel fiir burmanische Marionetten
in 1 Akt von Franz Blei, op. 20
Klavier-Auszug M. 12. —
Textbuch zus. mit op. 12 und 21 . M. —.80
Sancta Susanna
Oper in 1 Akt von A. Stramrn, op. 21
Klav.-Ausz. M. 10— Studien-Part. M. 6.—
Textbuch zus. mit op. 12 und 20 . M. —.80
Hin und zuriick. Sketch mit Musik.
Text von Marcellus Schiffer, op. 45 a
Klavier-Auszug M. 5. — Textbuch M. — .50
Der Damon. Tanzpantomime v. MaxKrell,op.28
Klavier-Auszug M. 8. —
Musik ZU Tuttifantchen. Weihnachtsmarchen
in 3 Bildern v. Hedw. Michel u.FranziskaBecker
Klavier-Auszug M. 4. —
Haus» und Gemeinscfiaftsmusiken :
Sing= und Spielmusiken fiir Liebhaber und
Musikfreunde, op. 45
No. 1 Frau Musica. Musik zum Singen und
Spielen (Luther).
Partitur M. 3.— Stimmen zus. M. 2.50
St. einzeln: Singstimme — .30, Instrum. — ,5J
No. 2 Acht Kanons fiir 2 Singstimmen mit lnstr.
Partitur M. 2.50 Stimmen zus. M. 1.80
Stimmen einzeln : Singst. — .75, Instrum. — .30
No. 3 Ein Jager aus Kurpfalz, der reitet durch
den griinenWald. Spielmusik fur Streicher
und Holzblaser
Part. M. 2.—, Stimm. zus. M.3. — , einz. M. —.50
No. 4 Fiinffingerstucke ftir Klavier in Vorber.
In der Sammlung »DAS NEUE WERK« <Verlag Sdiott und Kallmeyer) ersdiienen :
Spielmusik fiir Streidiorchester, Floten und
Oboen, op. 43 I.
Studien-Partitur M. 2.—, Stimmen M.3.50, jede
Stimme einzeln M. — .40, Spielanweisung
(Hockner) M. —.50
Lieder fiir Singkreise, op. 43 II.
Vier Lied er zu drei Stimmen nach Gedichten von
Platen, Eainer Maria Eilke u. Mattiiias Claudius
Singpartitur M. — .80
Sdiulwerk fiir InstrumentaUZusammen=
spiel, op. 44
1 : 9 Stticke in der ersten Lage fiir den Anfaug
fiir zwei Geigen oder zweistim. Geigenchor
Spielpartitur M. — .80
Sdiulwerk fiir Instrumental=Zusammen=
spiel (Fortsetzung) :
8 Kanons io der ersten Lage fiir wenig Fort-
gesehrittone fiir zwei Geigen oder zwei-
stimmigen Geigenchor mit begleitender
3. Geige od. Bratsche. Spielpartitur M. 1.20
8 Stticke in der ersten Lage fiir Fortge-
schrittenere ftir zwei Geigen, Bratsche und
Violoncello (einzeln und ehorisch besetzt)
Studien-Partitur M. 2.—, Stimmen M. 2.50,
jede Stimme einzeln M. — .75
5 Stticke in der ersten Lage f. Fortgescbrittene
fiir Streichorchester
Studien-Partitur M. 2. — , Stimmen M. 3. — ,
jede Stimme einzeln M. — .75
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III
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op. 29 Symphonie II Fdur (O. Sin) ,. . GM. 5. -
op. 70 Fest-Ouverttire (R. Vesely) „ 2.30
op. 83 Legende vom Cliiclc (R. Vesely) '. „ 1.20
op. 76 Aus Shakespeare, Suite fur grofies Orchester, Bearbeitung des
Komponisten , „ 5. —
Jandcek, Leos
Taras Bulba, Rhapsodie fur grofies Orchester (B. Bakala) ...... „ 7.50
Novak, Vit
op. 33 Von der ewigen Sehnsucht, Symphonische Dichtung fiir grofies
Orchester (R. Vesely) „ 2.25
Smetana, Bedrich
Mein Vaterland. Zyklus symphonischer Dichtungen fiir grofies Orchester.
I. Vysehrad — II. Vltava - III. Sarka — IV. Aus Bohmens
Hain und Flur - V. Tabor - VI. Blanik. Bearbeitungen fur
Klavier von Roman Vesely. Propaganda-Ausgabe mit tschechischer
deutscher, franzosischer u. englischer Inhaltsangabe. Einzeln je „ 1.50
II. Streidiquartet t dmoll (R. Vesely) , 2.25
Prager Karneval, Introduktion und Polonaise. I. Satz einer unvoll-
endeten Suite fiir grofies Orchester (R. Vesely) „ 1.80
Siik, Josef
op. 27 Asrael. Symphonie in 5 Satzen. Dem Andenken A. Dvorak's
und seiner Tochter Ottilie gewidmet. „ 5.40
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jeder Musikfreund ausemanderaetzen, denn dieses Neue
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Werk hat dem abgeholfen. Griindlidier. umfaasender und
gliicklidier konnte die Aufgabe kaum geloat werden, ala
von 'diesen beiden berufenen Autoren. . Gesundea Urteil,
Geist, musikalisdier Weitblick spredien aus jedem der
knappgefaftten Urteile.
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Ktavierliteratur. IP. Auflage
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haus)/ Leipzig (Stadttheater) / Halle / Barmen / Kassel /Heidelberg / Cablonz / Stettin etc.
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Publikums, der sich schon in Kreneks ..Jonny" bekundet und der dieses Stuck zum
grofiten Opernerfblg unserer Zeit werden liefi, sind audi diese drei Einakter gearbeitet.
Leipziger Neueste Nachrichten (A. Aber)
. . . ein ungemein reizvolles Triptycbon . . . zweifellos genial gemacht.
Deutsche Allg. Zeitung (W. Schrenk)
Krenek hat sich neuerdings als einer der stfirksten Komponisten der jungen Generation
erwiesen. Berliner Bui sen- Zeitung
. . . verblii fiend slarke Musik . . . die das Problem der neuen Oper fast iiberraschend
lost .... Alle drei Wei'ke sind von reifster Klarheit der Form und des Ausdruckes.
Die Aufnahme durcii das Publikum steigeite sich von Werk zu Werfc.
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U. E. Nr. 9474 Schwergewicht, Klavierauszug Mk. 5. —
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1. Auf ein sdilummerndes Kind (Hebbel) /
2, Siegesfest (Liliencron) / 3. Die Rosen im
Silden (Hebbel) / 4. Das letzte Ziel (Lorm) /
5. Sehnsucht (Sdiiiler)
Zehn Lieder, op. 23, Nr. 1, 3, 9 je M. 1 —
die iibrigen ... je M. — .80
1. Ewig Jung ist nur die Sonne (C. F. Meyer)
hoch u. tief / 2. Primula veris (Lenau) horn u.
tief / 3. An die Cikade (Goethe) hodi /
4. Bitte (Lenau) hodi u. tief / 5. Unter den
Sternen (C. F. Meyer) hodi / 6. Stumme
Liebe (Lenau) hodi / 7. Verklarung (H.Winds»
perger) hodi / 8. Sicilianisdies Lied (Goethe)
hoch / 9. Die heilige Stunde (Nissen) hodi u.
tief / 10. Schnitterlied (C. F. Meyer) hoch
Zwolf Lieder fiir hohe Stimme, op. 24,
2 Hefte je M. 250
Heft 1 : Abbild (Hille) / Uber die Heide (Storm)
/ Der Morgen (Sdienkendorf) / Der Tod (Hol-
derlin) / Meeresstiile (Lenau) / Friihlingsfeier
(Heine) Heft 2: Wir gehen am Meer (Dauthcn=
dey) / Sthifferliedchen (G.Keller) / Abends
wofke (C. F. Meyer) / Acherontisches Frosteln
(Liliencron) / Der Wanderer (Schlegel) /
Winternadit (Lenau)
Einundzwanzig Lieder fur hohe
Stimme, op. 25. 3 Hefte je M. 2.50
Heft 1 : Saerspruch (C. F. Meyer) / Gebet
(Hebbel) / Zweier Seelen Lied (Dehmel) / Die
Emschlafenen (Holderlin) / Wenn sdilanke
Lilien wandelten (Keller) / Brautgesang
(Uhland) / O Grille sing (Dauthendey)
Heft 2 1 Vergangenheit (Lenau) / Liebesgegen-
wart (Tieck) / Vergebt, dafi alle meine Lieder
klagen (Platen! / Stille Sidierheit (Lenau) /
Sommerbild (Hebbel) / Z-welfel (EldiendorfF) /
Rotkehlchen (Lingg)
Heft 3 : Ecco homo (Nietzsche) / Nadi neuen
Meeren (Nietzsche) / UnterFelnden (Nietzsche) /
SchlieOe mir die Augen beide (Storm) / Die
Stadt (Storm) / Sdilagmitdenflamm'genFlugeln
(Eichendorff) / Stimme im Dunkeln (Dehmel)
Chor
Missa Symphonica fiir 4 Soli, gemisck.
Chor, Orthester und Orgel, op. 36
Klavier^Auszug . . . M. 10.—
Chorstimmen . je M. 1.20
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gemisdSt. Chor, 4Solostimmen, grofles
Ordi. u. Orgel, op. 47 in Vorbereitung
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Schuberts samtliche Klaviersonaten
in Neubearbeitung
mit Erganzung der bisher unvollendeten Sonaten
Einzclausgabe mit FingersStzen und Vortragsangaben von Walter Rehberg
Bisher erschienen:
Sonate Nr. 3 As-dur (1817) Ed.-Nr. 2578 M. 2. -
Sonate Nr. 9 F-moll. Mit Schlufi von Walter Rehberg. Ed.-Nr. 2584 M. 2. -
Demnachst erscheinen:
Sonate Nr. 1 E-dur (1815) Ed.-Nr. 2576
Sonate Nr. 2 G-dur. Mit Schlufi von Walter Rehberg Ed.-Nr. 2577
Endlich ist es dem Schuberlverehrer moglicli, daa Erbe, d^a in Schuberts Klaviersonaten vorliegt, aicli zu eigen zu
maclien. Niclit weniger als 18 Werke dieser Gattung liegen tot, von densn kaum die Halfte in anderen Ausgabcn
vertreten iat, Teilweise lag das daran, dafi man diesen entziickenden Wcrken, vornehmlich aus der Friihzeit
Sdiuberlsdien Schaffens, keine Beaclitung schenkte, teilweise aber audi, daft vicr von diesen Sonaten erganzt werden
mufiten, weil sie Schubert unvollendet hinterlieft. Dieaer Arbeit hat sich der bekannte Pianist und Sdiubert-Spezialist
Walter Rehberg mit Gliick und feinstcm Stilcinpfinden unterzogen. Yon den zwei bis jetzt eradiienenen Sonaten
war die bereits an Bruckner gemahnende in f-moll kurz zu erganzen.
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Uber die Bedeutung Pachelbels als Rechtfertigung fiir eine praktische Gesamtausgabe
seiner Orgelwerke zu schreiben, ist heute iiberfliissig. Jeder Organist und Musikfreund
wird es mit Freude begriifien, dafi diese Prachtwerke eines Croftmeisters Deutscber
Orgelkunst endlich zugangig gemacht werden. Der erste Band bringt die Toccaten,
Fantasien, Praludien, Ciaconnen und Fugen, der zweite Band wird die Choralvorspiele
enthalten. Ausfiihrliche Vorschlage zur Registrierung erhohen den Wert der sorgfaltig
nach den Originalen bearbeiteten Ausgabe.
Der erste Band ist erschienen und kostet Mk. 4. - . Vorausbesteller auf beide Bande
erbalten 10 Prozent Vorzugsrabatt. BA 238
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Fiinfzehn Orgeltrios von Schlick, Buxtehude, Pachelbel, Bohm, Walther, Bach, Krebs, Homilius,
Brahms und Reger als Vorschule zu den sechs Sonaten Johaim Sebastian Bach's
Herausgegeben von Hermann Keller
Mit dieser Auswahl schoner und instruktiver Orgeltrios mochte der Herausgeber das
Triospiel in moglichst vielseitigen Formen zeigen. Die Stiicke fiihren vom Leichten zura
Schwereren. Wer sie durchgearbeitet, darf sich getrost an die Sonaten u. die iibrigen Trios
von Bach wagen. Aber auch ohne Verfolgung gerade dieses Zieles wild unsere Samni-
lung, die in ihrer Art bisher dringend vermifit wurde, jedem Organisten willkommen sein.
Mk. 3. - BA 243
DIETRICH BUXTEHUDE / SOLOKANTATEN
Fiir den praktischen Gebrauch herausgegeben von Karl Matthaei
Nr. 1 : „Singet dem Herrn ein neues Lied." Solokantate fiir Sopran mit Begleitung
von einer Violine und Basso continuo (Orgel), BA 121. Orgel- und Singstimme mit
Violinstimme Mk. 1.80
Nr. 2 : „Herr auf Dich traue ich." Solokantate mit Begleitung von zwei Violinen und
Basso continuo (Orgel). BA 126. Orgel- und Singstimme mit Violinstimme Mk. 1.80
Nr. 3: „Sicut Moses." Solokantate mit Begleitung von zwei Violinen, Violoncello und
Basso continuo (Orgel). BA 127. Orgel- u. Singstimmen m. Instrumentalstimmen Mk. 2. —
Nr. 4 : „0 Gottes Stadt." Solokantate fiir Sopran mit Begleitung von zwei Violinen,
Violoncello und Basso continuo (Orgel). BA 128. Orgel- und Singstimmen mit
Streicherstimmen Mk. 2.40
FRANZ TUNDER / SOLOKANTATE
„Wachet auf, ruft una die Stimme." Solokantate fiir Sopran, 4 Streichinstrumente
und Orgel. Herausgegeben von Hermann Meyer. BA 240. Partitur mit
Stimmen Mk. 1.80
Ausfiihrliche Prospekte werden gerne kostenlos
an jede angegebene Adresse versandt
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Violine und Violoncello
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4 —
6 —
—.30
Orchesterwerke*)
I. Sinfonie
fiir kleines Orchester
ter Erich Kleiber mit starkem Erfolg aufgefuhrt.
Suite
fiir Kammerorche8ter
op. 33. 32 Variationen
fiber ein 8-taktiges Thema
fiir grofies Orchester
*) Materiale in Abschrift
UNIVERSAL-EDITION A
WIEN - LEIPZIG
.-G.
Soeben erschienen :
M. CASTELNUOVO
TEDESCO
I NOTTAMBULI
(Die Nachtwandler)
Phantastische Variationen
F ii r Cello und Klavier
U.E.Nr.8992 Mk. 5.-
Castelnuoi'o-Tedesco, (lessen ungemein gefallige,
edit italienische, melodienreiclie Kompositionen
steigende Verbreitung finden, gibt mit seineni
neuen Variationswerk dem Cetlislen eine ztin-
dende Komposition, bei del sich hohe kunstlerisehe
Qualitat mit blendender Wirkung vereint.
Ausubenden Kiinstlern und
Dilettanten werden diese
Stiicke gleich willkommen sein !
Durch jede Musikalienhandlung zu beziehen.
UNIVERSAL-EDITION A.-G.,
WIEN-LEffZIG
FESTBERICHT liber den
INTERNATIQNALEN
MUSIKHISTORISCHEN
KONGRESS
der im Rahmen der
BEETHOVEN-ZENTENARFEIEH
vom 26. bis 31. Marz 1927 in Wien tagte.
U. E. Nr. 9447 Mk. 10.-
„ . . . 90 Referate internationaler Gelehrter,
die der vorliegende Band zum grossten Teil im
Wortlaut wiedergibt. Dieser Kongressbericht
vermittelt ein genaues Bild uber den derzeitigen
Stand der musikwissenschaftlichen Forschungen
und Ziele. Er hat nicht nur Erinnerungswert
fiir die Teilnehmer am Kongress, sondern ist
von grosser Bedeutung fiir den Musikwissen-
schaftler, den praktischen Musiker und den
wissenschaftlich interessierten Laien."
Signale^ Berlin
Dwell jede Buch- und Musikalienhandlung
zu beziehen.
UNIVERSAL-EDITION A.-G.,
WIEN-LEIPZIG
r
327
DEUTSCHE
KAMMERMUSIK
BADEN-BADEN 1928
Kiinstlerische Leitung:^Heinrich Burkarrl — Joseph Haas — Paul Hindemith
Freitag, den 13. Juli, 20 h
Sam stag, den 14. Juli, 11 h
1.K0NZERT
Fidelio Finke : Fantasie und Fuge fur Or gel
Darius Milhaud: „DieRiickkehr des verlorenen
Sohnes", Kantate / Ernst^Pepping: Suite fiir
Orgel / H. Herrmann: „Galgenlieder", Kantate
EXPERIMENTAL - VOR^HB.'UNG
.FILM UND MUSIK"
•>•>■
Samstag, den 14. Juli, 20 h
2. -KONZERT
Hans Humpert: Sonate fiir Orgel / Ernst
Roters: „R.eisebriefe eines Artisten", Kantate
Philipp Jarnach: Musik fiir Orgel / Jos. M.
Hauer: „Wandlungen", Kammeroratorium
So mi tag, den 20. Juli, 20 h
BUHNENWERKE
(K A M M E R P
E R N)
Hermann Reutterj": ,,Saul" / Gustav Kneip :
„Tuba mirum" / Walter Gronostay: „In zehn
Minuten" / Alexander Mossolow: ,,Der Held"
Anfragcn und Bestellungen : Heinrich Burkard ..Deutsche Kammermusik" Baden-Baden
In Veibindung mit der „Deutschen Kammerinusik" lindet vom 9. — 15. Juli in Baden-Lichtenlal
eineTagung „Deutsche Jugcndniusik" dcrMusikantengildeunter Leitung von Fritz Jbde stall.
Das nachste MELOS-Heft erscheint als
„Sonder-Nummer Baden-Baden"
Anzeigonschlufi : 5. Juli 1928
328
M. MUSSORGSKY
BORIS GODUNOW
Oper in 4 Aufziigen mit Prolog
Nach den Manuskripten cles Autors
erneut durchgearbeitet und mit
bisher noch nicht veroffentlichten
Rildern, Szenen, Fragmenten er-
ganzt von PAUL LAMM
DIE EINZIGE VOLLSTANDIGE
DEN
ORIGINvVL - MANUSKRIPTEN
MUSSORGSKYS
ENTSPRECHENDE AUSGABE
Klavier-Ausziige mit Text
Russisch - Deutsch
(Ubersetzung von Max Hube)
Englisch - Franzosisch
(Ubersetzungen von M. D. Calvocoressi)
30.^ M.
EIGENTUM
FUR ALLE L1NDER
AUCH DER ORIGINAL- UN-
VERFALSGHTEN ORCHES-
TRIERUNG MUSSORGSKYS,
DIE HIER ZUM ERSTEN
MALE GEBOTEN WIRD
(Partitui' und Stimmen — nur lcih-
. weise — Vom Herbste 1928 an)
OXFORD UNIVERSITY PRESS
95 WIMPOLE STREET / LONDON W 1
SOLE AGENTS — HOFiMEISTER, LEIPZIG
Esaias Reusner
Samlliche
Suiten fur die Laute
Heft 1
Suite 1—5
der „Neuen La ti ten frii elite' 1 (1676)
Herausgegeben von Walter Gerwig
Eingeleitet von Friedrich Blume
1928. 36 Seiten. Quart. 1.-2. Tsd.
Karl. RM. 2.50
Bestell-Nr. 201
Mit tier Ausgabe dieses Werkcs wiril eine Anf-
gabe erfiilll, die — sowolil seitens dcr prak-
(isclien Lautenistcn als audi der Musikwissen-
schaft - liiiigst als dringend betrachlet wird.
Die Lautensuiten Rcusners nelimen einen Ijc-
sonderen Ehrenplatz ein, sic sind im Range
der Klavieriuusik eincs J. J. Froberger ebenso
wie den Oixhestersuilen eines J. Rosenniiiller
ebenbiirtig. Diese prachtige Kunst wird deni
lientigen Lautenisten, aber audi deni Klavier-
spielcr und Mnsikwissenschaftler bocbwill-
komnien sein.
Veilere Hefte in loser Eolge sollen die iibrigen
Suiten Rcusners aus den „Neuen Lauten-
frilchten" und den „Deliciae testudinis" bringen.
Das wicbtige Werk kann nur dann fortgesetzt
werden, wenn sich geniigend Interessenten
linden, die anf die weiteren Hefte — etwa 4
bis 5 — subskribieren. Uber Umfang und
Preis der Folgehefte werden alle Besleller
rechtzeitig benacbriebtigt.
Georg Kallmeyer Verlag
Wolf enbiitt el-Berlin
329
Vorzugsangcbol ! 1
StaU. 6.50 Mk. nur 2.50 Mk
VERLAG DER
STURM
Berlin W 9, Potsdamer Strafie 134a
Expressionismus ist die Kunst unse-
rer Zeit. Das entscheidende Bucli isl
soeben in 6. bis 10. Auilage erschie-
nen, nachdeni die ersten Auflagen
in kiirzester Zeit vergriffen waren:
HERWARTH WALDEN
EINBLICK IN KUNST
Halbleinen gebitrulen nur Mk. 2.50
75 ganzseitige Abbildungen der
llauptwerke der ExpressionistenJ
Kubistenund Futuristen aller Lander.
Unentbehrlich fiir jeden, der die
Kunst der Gegemvart kennenler-
nen will. Unifangreichstes Bilder-
material der fuhrenden Meister.
Das Manifest der internalionalen
EXPRESSIONISTEN
Neue Verzeichnisse
ties Verlages
B. Schott's Sohne,
Mainz - Leipzig
Zeitgenossische Musik
(Jahresbericht 1928)
lllustrierl, mil biograpliisclien Notizen
Verzeichnis tanzbarer
:: Musik ::
neuerer Koniponisten
fi'ir den Biilinentanz, sowie f'iir rliYtbmiscbe
und gyninastische Ubnngen. — Ziisanimen-
gestellt von Dr. Otto Janowitz
Die Verzeichnisse werden an Inter-
essenten kosteulos abgegeben
E in F u n d v o n g r ofit e r
T r a g w e it e
G. F. HANDEL
Stiicke fiir Klavier
(Clavicembalo)
Herausgegeben von
W. B arc I ay -Squire - J. A. Fu Her- M a i 1 1 a n d
.76 bisher verscbollene Kla vi erst ii eke von Handel
werden hier zuin ersten Mai verolTentlicht
Die Stiidie (eine Beihe erstrangigerWerke) stammen aus einer jiingsl
in England anfgefundenen Manuskript-Saninilung. Sie inachen unge-
fiilir ein Drittel sSmtlicher bekannter Klavierkompositionen Hundelx
mis. Bei der beutigen Hfindel-Benaissance ein doppelt bedeutsames
Ereignis fiir die gesamte musiktreibende Welt und zugleicli eine 1111-
geabnte Bereicherung der altklassiscben Klavierliteratur. — Keines der
Sti'uke ist in der grofien Ausgabe der Hiindelgesellscliaft entbalten.
Zwci Biindc (Ed. Sclioll, Nr. 149/150) jo n. M. 3-
R. SCHOTT'S SOHNE. MAINZ UND LEIPZIG
330
Neuere Orchesterwerke
° §
Komponist, "Werk
Li — .
Is
« a
Komponist, Werk
3 2
•a a
■3.5
£■0
men
& s
*■*
3 s
I. Albeniz
G. F. Malipiero
Iberia-Suite (Arbos). In Vorbereit.
—
14
20
15
7
21
A. Casella
Pupazzetti (5 Stiicke) ....
22
35
35
Impressioni dal vero. Suite II
20
30
Conrad Beck
15
La Cimarosiana. Suite ....
12
5
Sinfonie Nr. 3 fiir Streichorchester
20
D. Milhaud
M. de Falln
21
Saudades doBrazil, Suitev.Tanzen
40
28
28
Niiclite in spaniscben Garten.
(Klavier und Orchester)
Zwischenspiel und span. Tanz
35
35 ~
G. Pierne
Impressions de Music Hall
20
aus „Ein kurzes Leben" .
15
rVI. Ravel
33
Drei Tanze aus „Der Dreispitz"
25
37
Alborada del Gracioso ....
10
34
Une barque sur l'ocean
8
14/19
P. A. Grainger
Mook-Morris, Irischer Tanz . .
3
15
5
7
- fiir 7 st. Streichorcbester .
3
W. Schulthess
21/28
6
19
op. 9, Serenade 1. kl. Orchester .
30
7
- fiir 7 st. Streicborchester .
6
Cyril Scott
28/34
8
Shepherds Hey (Morris-Tanz)
Irish Tune fiir Streichorchester
5
5
40
23
25
25
Jos. Haas
op. 64 Variationen fiber ein altes
B. Sekles
15
38
„Sommergedicht". 3 Siitze . . .
12
40
Bndi Slephan
"36
20
Ernesto Halffter
35
7
Musik f. sieben Saiteninstrumente
25
18
29
Musik fiir Geige und Orchester .
20
12
Paul Hindemitk
op. 24 Nr. 1 Kammermusik Nr. 1
30
36
I. Strawinsky
8
10
op. 28 Konzertsuite aus „Der
25
17
Suite Nr. 1 fiir kleines Orchester
15
19
Suite Nr. 2 fiir kleines Orchester
15
26
22
33
op. 38 Konzert fiir Orchester .
op. 41 Konzertmusik fiirBlasorch.
Tanze aus Nusch-Nuschi
17
15
12
11
31
B. Stiirmer
12
30
Ph. Jarnach
14
10
35
op. 11 Sinfonia brevis ....
22
14
op. 25 Zeitgesichte, 3 Tanze . .
E. Toch
10
31
op. 19 Morgenklangspiel
15
32
31
E. W. Korngold
op. 4 Schauspielouvertiire .
op. 5 Sinfonietta
op. 11 Suite aus „Viel Larmen
16
45
6
10
22/27
op. 33 Fiinf Stucke
op. 39 Spiel fiir Blas-Orchester .
25
20
10
19
28
op. 42 Komodie fiir Orchester .
18
25
28
Vorspiel zu einem Marchen . .
10
44
op. 13 Symph. Ouverture ,,Sur-
15
7
22
L. Windsperger
40/41
Vorspiel u. Karneval a. „Violanta"
18
32
op. 22 Sinfonie in a moll . . .
55
33
Zwischenspiel aus „Das Wunder
31
18
12
30
Vorspiel zu einem Drama . . .
12
Ansichts
naterial bereit
willigst
B. S G H T T '
S S O H ]
VE, MAINZ
331
Sdiallplatten-Serie
eteWrfccft
aufgenommen
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Chore / Ordiesferwerke / Gesang- u.
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in der Kroll-Oper
unter
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Binhei-ige mid kommende
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SauL
DRESDEN
MUNCHEN
KOLN
WIEN
WIESBADEN
MANNHEIM
HALLE
DARMSTADT
STUTTGART
DDSSELDORF
AUGSBURG
OLDENBURG
ESSEN
ELBERFELD
BARMEN
HANNOVER
AACHEN
PRAG
GOTHA
WORMS
WEIMAR
FRANKFURT A. M.
MAGDEBURG
CASSEL
KONIGSBERG
L
Oper in 3 Akten (-1 Bildern)
Text narli E. T. A. Hoffmanns
..Fraulein von Scnderi" von
Ferdinand Lion
op. 39
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Fuhrer (Villms) . . M. 1.50
Textbuch A I. 1.-
RSaMti&Sabne
.Mairtz.
f
Notenbeispiele zur Mefoskritik <Hindemith, Cardillac, op. 39>
i.Be/jjp/et
Jclj bvi'clj mclftttii-antti — un-cirt—>4i}eo4J-mtj*fe-tt/'e tt& J/t>-2
9 t \ *r'ii \ iii t.iHf miTr / fir m*t
r>'/w ^f7« ifomvnt — £u»i 7?&u.j&ch
dSeij&ftiet
cCt* &e u tat.'
bjr
yi »ft^ r', p. frk ftifof' Eyy e e i ^ ^Twvf ^r i
itit ddui mir GLe r&ub-te. f
Notenbeispiele zu dem Aufsatz : „Seiber, Jazz als Erziehungsmittei"
>
//•net (fe -J J J J
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Z.JBei&pi'it
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me/Ahtt* pdt»2furz feMpittt uttfe/atyr^to: m «, ^ V «* v»
tf e -a 'cfn '« 6«n t ^ecfoc^
JBei/age zu MEMS Juni heft 1928
5..&e/jo)»/te
uji->tf.
6.&e/,sp/ee
Recercada sobre „Doulce memoire" <aus Ortiz: „Tratado">
*}.Hei£y>iee
Aus einer amerikanischen ,,Anweisung zur Improvisation" fiir Posaune
8.£e/&jii'ee
r
MELOS
ZEITSCHRIFT FDH MUSIK
SCHRIFTLEITUNG: PROF. DR. HANS MEESMANN
Alle Sendungen Tiir <lie Scliriftleitung unci ilesprediiing^sLiii-kc nnrh Rerlin-Gruncwald, NeiiferUillec 5 (Fcrnspr. Uhlatvl .3735) erbelen,
Die SdirifLleilung billet vor Zuaendung von Manuskripien uni Anl'ruge mit Riirkpu'rlo. Alio. llediLe fiir siirntlidie licit riige vurbchallen,
Fur Anzeigen und Verlagsmitteilungen veronlworll. : Dr. Joliuimc3 Petschull, Muiuz / Verlag: MELOSVELILAG (11. Sdiou'n riohne)
MAINZ, WiihergarLen 5; Fernspredier 529. 530; Tclegr. : ricotson; PosLacheck niti" Berlin 19425 Auslieferuug in Leipzig: Linden.
siratte 16/18 (B. Schott's Snhnej / Drurk : B. Schotl's Sfthne. Mainz
Die Zcitschrift ersdieint nm 15. jeden Monats. — Zu beziehcn duivb alle Burh- und Minikalicnluiiidlun^en olei- direkt vom Vei'lo»,
Das Einzelbefi kosiet 1.- Mk.. da* Abonnemeni jubrl. (12 II.) 3.- Mk., viertelj. (,'$ H.) 2.50 Mk. (zuziigl. 15 Pf. Potto p.H., AnMnnd -JO PI", p. H.,
Anzeigenpreiae: ! /i Seiie IOC— Mk. l ; e Seite 60.— Mk. i j i Seite 35.— Mk. Bei Wiederholungen [tabu lie. Anflriige an den Verla«,
ZUM INHALT
Der Gedanke cler Deufschen Kammermusik Baden-Baden steht im Mittel-
punkt dieses Heftes. Es ist in Arbeitsgemeinschaft mit dem kiinstlerischen Ausschufi ent-
standen. Die Zeitschrift versucht, die Idee dieses Musikfestes durch positive JVlit-
arbeit zvi unterstiitzen, weil hier, und wohl mir hier, Fortschritt und Zukunft, Unab-
hangigkeit von alleii Bind-ungen nationaler oder internationaler Art zu spiiren ist. Die
Aufsatze des Hauptteils bezeichnen die Situationen der Kammeroper, der Kantate, der
Orgelmusik und Problem der Filmmusik. Das. sind die vier Stoffgebiete, welche-die
musikalischen Veranstaltungen umspannen. Mittelbare oder unmittelbare Ankniipfung
an die aufgefiihrten Werke, ohne auf deren Bewertung irgend einen Einflufi zu nehmen,
stellen sichtbare Beziehungen her. So soil das Heft in tieferem Sinne, als es sonst durch
Analysen und Mbnographien geschieht, der „Einmhrimg" dienen.
-■ Die Meloskritik sucht eine Anknupfimg dadurch, dafi sie auf den BegrifT der
Kurzoper, der in mannigfachen Erscheinungsformen in unserer Zeit steht, von konkreten
Beispielen aus eingeht. Die Urn schau einbezieht markanteste Vorgiinge und Erscheinungen
des gegenwartigen deutschen Musiklebens und will so das Bild der Zeit vcrvollstandigen.
Die Scliriftleitung
334
Heute erschienen!
MELOSBUCHEUEI
EINE SAMMLUNG
MUSIKALISCHER
ZEITFRAGEN
HERAUSGEGEBEN VON
PROF. DR. HANS MERSMANN
Bandchen 1
HANS MERSMANN
Die Tonsprache
der Neuen Musik
Mit zahlreichen
Notenbeispielen
Keiner, der den Weg zur Neuen
Musik sucht, wird an dieser, im
beaten Sinne allgemeinverstand-
lichen „Grammatik" voriibergehen
konnen
Bandchen 2
HEINZ TIESSEN
Zur Geschichte
der
jiingsten Musik
(1913-1918)
Probleme u. Entwicklungen
Mit dem Bliek des Schaffenden gibt
der Verfasser eine Ubersicht iiber
Gewesenes und Gewordenes in
einem Zeitabschnitt, der trotz
seiner Nahe bereits ein Stuck
..Geschichte" ist
Bandchen 3
HEINRICH STROBEL
Paul Hindemith
Mit zahlreichen Noten-
beispielen im Text,
einem Noten-Anhang
und Faksimilebeilagen
Die erste monographische Zu-
sammenfas9ung von Hindemith's
Gesamtwerk. Der ganze Entwick-
lungsweg dieses jungen Ftihrers
wird hier an Hand der Noten-
belege gezeigt — zugleich ein
Symbol fur die Entwicklung der
deutschen Musik uberhaupt
Broschiert je Mk. 2.80 / Ganzleinen je Mk. 3.50
Bestellkarte liegt bei
MELOSV'ERLAG / B. SCHOTT'S SOHNE/MAINZ
MUSIK
Erich Doflein (Freiburg i. Br.)
KAMMEROPER
1.
Als im letzten Jahre das Donaueschinger Kammermusikfest nach Baden-Baden
verlegt wurde, ergab sich als Vorteil dieses Umzugs die Moglichkeit zur Auffiihruug
von Biihnenwerken. In Donaueschingen gait alle Arbeit der Kammermusik und der
Festigung eines neuen Stils des Kammermafiigen auf den verscliiedensten Gebieten.
Kammermusik sollte wieder etwas fiir sich und aus sich selbst heraus sein und sich
bewufit gegen alles Orchestrale wie Symphonische abgrenzen. Man besann sich auf
verbindlichere Formen des Musizierens; aus dem Musizieren erwuchsen Formen, er-
wuchsen neue Wichtigkeiten : Beweglichkeit, Tempo, Bhythmus, Kontrapunktik, konzer-
tanter Stil, engere Kontakte fflit den Horern.
Die Einbeziehung der Bxihne in den Bereich der neuen Auf'gaben lag nahe. Zumal
die grosse Oper als starrer Erbklotz stehen geblieben war und immer entschiedener
auf der scheinbaren Ewigkeit der Gesetze unseres Theater betriebs aufbaute. Auch
hat die Oper sich soziologisch zU sehr festgelegt. Es gibt heute keine „Wagnerianer" mehr
die aus Begeisterung und Bekenntnis zu neuen Werken, zu Werken iiberhaupt, das
Theater fiillen; an ihre Stellen sind die sozialen Besucherorganisationen eines ungeistigen
Bildungsmittelstandes getreten, der an seinen regelmafiigen Wochenabenden ins Theater
geht, um sich irgendetwas, etwas beliebiges, anzuhoren. Die Sehnsucht nacli einem
verbindlicheren Theater mufite also unter schaffenden Menschen notwendig lebendig
werden ; die Produktion mufi sich wieder einen beschwingenderen Sinn schaffen. Nur
mit wenig Menschen jedoch kann man rechnen. Also gibt die Kammerbuhne die ge-
suchte Moglichkeit. Und im Kammerstil liegen zugleich die besonderen und feineren
Moglichkeiten einer verbindlichen Kunst : das konzertierende Ensemble, die kontra-
punktische Selbstandigkeit und Durchsichtigkeit in der Verbindung von Stimmen und
Instruinenten, die differenzierte Bhythmik.
Die Beziehung zum Menschen, zu dem Menschen von heute, die Grade und
Formen der Verbindlichkeit, dies sind die eigentlichen Probleme unserer Kunst in
dieser Zeit. Hier liegen die Wandlungen, die Aufgaben und die Gefahren.
Fiir die neue Oper sind drei Formen moglich geworden. Man kann mit der Zu-
kunft und einem sensiblen und intellektuellen, erlebnisfahigen Menschen rechnen in der
Hoffhung, dafi einsamste Komplikationen, fiir ihn einmal zur erschutternden Selbst-
verstandlichkeit werden; dies ist der Typ des „Wozzek". Das kritiklose, immer zufallige
Massenpublikum der grfifieren Stadte aber ist nur durch das amerikanisierte Theater
der Aktualitaten und durch den Revuestil zu gewinnen. Solche Kunst wird immer
iiber die Sensation hinaus anregend sein, Formen andeuten, sie kann als politische
Kunst von Bedeutung sein, doch wird sie immer durch ihren Minutenwert relativiert
bleiben, geschwacht durch die Einstellung auf die reine Gebrauchsmafiigkeit, Starke
336 ERICH DOFLEIN
ergibt sich aus der Einstellung auf den Gebrauch fiir ein Werk erst, wenn mit dieser
Einstellung die Bemiihung um eine neue Tradition verbunden ist und das Publikum
der Musik im Werke, dem Musikalischen im Werke erobert werden soil, wenn sich die
Musik in den Vordergrund stellt und selbst Form en schafft, und zwar Formen, die
gehort werden kcinneii, die dem Horer den Weg in die Musik erleichtern und selbst-
verstandlich maclien, in dem sie ihm eine Envartung, eine vorher gegebene und in
gewissem Sinne traditionelle Einstellung ermoglichen. Dies ist die Idee und die
Starke von Hindemiths „Cardillac". Hier aber schon ist der Rahinen der „grofien
Oper" aufgelost, intimeres Horen wird gei'ordert. Die Kammerform ergibt sich als Kon-
sequenz und als Aufgabe. Sie wird notwendig als Studienformat fiir neue grofie Form
und zugleich als eine neue Gattung fiir sich, die sich ihrc Form mil ihr Publikum erst
neu schaffen und gcwinnen mufi.
*
Sinn fiir kleine Form ist Sinn fiir Form iiberhaupt, fiir Wirkung und Geltung
durch die Form. Solchc Betonung der Form und einer Wirkung aus der Form heraus
ist nicht ,,Formalismus" im schlechten Sinn, sobald die Form, einen Sinn hat, sobald
sie durch die Zugehorigkeit zu irgend einer traditionellen Yer wen dung bestimmt ist
und nicht im Intefesse einer allgemeinen asthetischen Wirkung nur als „Mittel": v.er-
wendet wurde. Die Kammerform der Oper ist heute noch ' auf der Suche nach einer
solchen notwendigeti Zugehorigkeit; sie schafft sich erst ihre Tradition und ihre
musikalische Struktur. Wir haben audi wenig geeignete kleine Biilmen, nirgends eifie
Biihne mit musikalischem Kammerspielplan : und im Spielplan der groiSen Biihne bleibt
die Kammeroper zu sehr Sonderfall, was aber dem Gebrauchscharakter, der mit ihrer
Form verbunden ist, wiederum garniclit entspricht. Das geforderte Publikum jedoch
wiirde sich rasch finden : die gewisse Zahl der Wartenden, die eine unterhaltende,
fessclnde und kultivicrte neue Kunst suchen, die sich in Form und Stoff aid' unser
beutiges Leben bezieht, dessen Kenntnis als eigentlichste und wichtigste psychologische
Voraussetzung zum Verstandnis solcher Kunst mit in das moderne Theater gebracht werden
muss. Demi so nur ist lebendiges Theater moglich, das in gereinigter Form unsere iisthe-
tische Tradition weiterftihrt und sich als Kammerkunst der jyTassenkunsr gegeniiberstellt.
Ein besonderer Idealfall iibrigens ist in der augenblicklichen Lage denkbar: Es
konnte sich ein reisendes Ensemble von Siingern und Instrumentalisten bilden, das
neue kurze Biihnenwerke kleinster Besetzung in vielen Stadten spielt. Eine geschickte
Organisation konnte hiermit grofien Erfolg haben. Es wiirde atich zugleich der neuen
Stilform der Weg geebnet werden und die stilistische Auspragung inimer nelier Werke
gei'ordert werden.
■ ■ ■ 2.
Die Verschiedenartigkeit der im letzten Jahre aufgefiihrten Kammevbiihnenwerke
spiegelte diese noch ungeklarte Lage. Mit jedem Werke war etwas iisthetisch vollig
Verschiedenes gemcint und gewollt. Milhaud stellte in seiner „Opera minute" ein ganz
aus dem Klanglichen heraus abgerundetes Kammerwerk auf die Biihne, ohne jede Form-
problematik, mit dei - , fiir unsere Begriffe naiven, Sicherheit der intellektuellen und asthe-
tisclien Tradition der Franzosen. Hindemith prazi'sierte am sicliersten einen jieuen Typ
mit seinerii Sketch „Hin vmd zuriick"; einem Werk, viel weniger Kammeroper, als hei- 1
KAMMEROPER 337
heiteres Spiel fiir eine musikalische Kleinkunstbiihne, ganz aus dem Musizieren heraus ge-
staltet. Tochs „Prinzessin auf der Erbse" war am ausgesprochensten Kammeroper, klein
gewordene Oper; Weill iiberschritt mit seiner literarischen Jazzrevue „Maliagonny" den
Rahmen des Kammermafiigen noch weit mehr, weshalb auch jetzt das Werk umgear-
beitet und erweitert wurde.
Unter den neuen Biihnenwerken der diesjahrigen Badener Auffiihrungen
schliefit sich das Stiick des jungen Schonbergschiilers Gronostay bis zu gewissem
Grade an den Typ von Hindemiths „Hin und zuriick" an. Es ist nicht als Kammer-
oper, sondern fiir eine Kleinkunstbiihne gedacht, von deren Zukunft der Komponist
iiberzeugt ist. Fiir diese Kleinkunstbiihne, ein Kabarett der Zeitgemafien und Kulti-
vierten, gibt es — wie in diesen „Zehn Minuten" — eine ganz besondere Moglichkeit
der Stilisierung in Verbindung mit Musik, ahnlich der Stilisierungswirkung im guten
Marionettentheater. Durch die Tatsache der Darstellung selbst, durch die Verdichtung
auf kleine Raumlichkeit und schmale Zeitlichkeit, ergibt sich die Zuspitzung einer Situation^
die an sich ganz belanglos sein kann. In dieser Zuspitzung liegt die Wirkung, sie kann
sich bis zur Uberspitzung steigern; Komik und Ernst gehen ineinander iiber und werden
zur „Sachliclikeit". Der Sinn entspringt aus dem Spiel selbst. Und da nun „Spielen"
fiir ein solches Stiick Musizieren heifit, schafft die Musik das Tempo, den Esprit, den
Sinn der Darstellung und zwingt ihre Formen in den Vordergrund. Die Musik regiert,
solange der Text nur das Hin und Her des musikalischen Spieles spiegelt. An besonderen
Stellen jedoch, die fiir das Verstehen des textlichen Zusammenhanges wichtig sind, tritt
die Musik zuriick und wird mit ihren Pausen zugleich zur Spannung. Um die leichte
Fafilichkeit des Vorgangs bei nur einmaligem Horen war es dem Komponisten besonders
zu tun, wenn ihm auch der problemlos amiisante Text im ganzen nur ein Anlafi zum
Musizieren war. Die Musik hat es mit ihren zehn Minuten sehr eilig; sie wirkt durch
die rhythmische Variation dieses fast immer gleichen Eilens. Die harmonische Ordnung
orientiert sich an freien Klangzentren, die zur Tonalitat werden und die Ausschaltung
der Konsonanzfunktionen bedingen. Die Instrumentation betont das Spitze und Scharfe;
sie ist nach dem Gruppenprinzip systematisiert ; Jazzblaser und solistische Streicher.
Der Text ist nichts als Situation, die sich in der Musik zuspitzt: ein Missionar und ein
Theateragent erhalten im Augenblick ihrer Abreise von Afrika zwei iiber ihre Zukunft
entscheidende Telegramme: der Missionar mufi einen Bekehrungsrekord schnellstens um
rnindestens eine Seele iiberbieten, der Agent mufi einen neuen schwarzen Tanzstar fiir
Paris gewinnen. Sie kampfen um ein Negermadchen, das gerade Abschiedsgriifie bringt,
aber rasch vor den europaischen Angeboten wieder zu ihren Urjazzfesten zuriick ins
Dorf flieht. Beide sinken gebrochen zusammen. Das Singen des Madchens wird be- '
sonders fesseln; eine neue Form von gleichsam internationaler Lyrik. Hier und in
einigen parodistisch anklingenden Stellen liegen die wenigen Ruhepunkte des Stiickes.
Gustav Kneips „Tuba mirum" ist hierzu im Gegensatz, auch musikalisch, von
gleichsam biirgerlicher Komik, ein harmloser Scherz, der fiir einen besonderen musikalischen
Effekt die Situation schafft. Wahrend einer Festauffiihrung des „BarbieT", die zu Ehren
eines persischen Schahs stattfindet, erhalt der hinter den Kulissen beschaftigte Orchester-
diener Haase ein Telegramm mit dem „grofien Los": Hunderttausend Mark. Nun kann
er endlich „Kiinstler" sein. Und zwar sofort. Er ergreift sein Lieblingsinstrument, die
338 ERICH DOFLEIN
Bafituba und kontrapunktiert sehr frei zu Rossinis Musik lind erhalt zuletzt fur diese
Glanzleistung des Abends von dem kunstverstandigen Schah den persischen Sonnenorden.
Die beiden anderen Werke sind Kammeropern, keine „Kleinkunst" ; beide ernst,
Hermann Reutters ,,Saul" sogar durchaus streng. Er nimmt einen aufierst sprach-
starken Einakter von Lernet-Holenia und steigert dessen Naturalismus zur hintergriindigen
Handlung. Die Szene schildert den Besuch des innerlich schon vollig gebrochenen, aber
immer noch mit der Fragwiirdigkeit Gottes ringenden Saul bei der Hexe von Endor,
die ihm den toten Priester Samuel, der ihn zum Konig gesalbt hatte, als Vision
beschwort. Die Hexe (eine epileptische Bauernmagd) erkennt erschreckend Saul, den
Konig, der alle „Hexen" verbrannt hatte, dem nun der Geist Samuels den Untergang
in der kommenden Schlacht verkiindet. Reutter wahlt ein Kammerensemble der in-
tensivsten Instrumente : Piccolo, Klarinette, Fagott, Trompete, Horn, Klavier, Bratschen,
Celli. Nur die Hexe und Saul singen. Doch immer tritt auch in diesen Rollen das
gesprochene Wort dazwischen, teils um das Verstehen zu erleichtern, teils um durch
scharfere Farbe hineingeschleuderte schnellste Bewegung die Intensitat zu steigern. Die
Verbindung von Klavierklang und Blasern ergibt eine besonders strahlende Farbe. Uber,
leuchtenden Akkorden entfalten sich im „Grave" des Vorspiels schon weitschrittige
Linien. Aus Linien entwickeln sich Motive, Sauls Trompetensignal. Die szenischen
Zusammeiihange sind von der Musik aus motivisch streng zusammengefafit ; die Motive
werden linear ausgesponnen und rhythmisch abgewandell. Sauls Vision beginnt, indem
er innerlich die Musik Davids vernimmt; hieraus entwickelt sich als konzentrierte
Hauptsteigerung und als Mittelpunkt des Stiicks eine Passacaglia iiber einem 13-taktigen
Thema, das mit strengen Scliritten beginnt, sicli rhythmisch intensiviert und in spateren
Variationen in Figuration aufgelost wird. Dann folgt nur mehr ein kurzer Schlufi.
Saul gehorcht demiitig der Hexe und verzehrt stumm eine angebotene Mahlzeit der
Bauern; es ist ja nun gleichgultig, was er weiterhin tut; es erklingt, rhythmisch ver-
breitert, die Musik der „Hexe", der kranken Bauernmagd.
Das Stuck des Russen Mossolow kommt noch aus einer durchaus anderen Welt;
es hat mit den drei deutschen Stiicken nichts gemein. Die Szene konnte einem der
kleinen Romane Dostojewskis entnommen sein: Ein des Fechtens unkundiger „Fremder"
wird nach einem Streit zum Duell genotigt und muC fiir dieses bei einem Professor
der Fechtkunst wider seinen Willen Unterricht nehmen. Diesen Professor aber trifft er
gerade im Zustande tiefer und dunkler Verzweiflung; er hat soeben beschlossen, sicli
indenDegen eines ungeschickten Schulers zu stiirzen. Die Gelegenheit hierzu ist unverhofft
schnell gekommen; er fiihrt seinen Vorsatz aus. Der „Fremde" aber gdt sofort als
Besieger dieses beriihrnten Fechters und wird mit grotesken Ehrungen uberhauft, zu
deren Ablehnung dieser „ H e 1 d " nicht einmal die Kraft findet. Zu diesem merkwiirdig
sachlichen Prosavorgang tritt nun eine Musik, die fiir unser Ohr noch ganz aus der
Klanglichkeit der spaten Werke Skriabins stammt, impressionistisch-hintergriindig und
zugleich doch noch chromatisch-gefuhlsbedingt, eine verzweifelte und zugleich visionare
Stimmung vermittelnd, ein Gefiilal davon, dafi dieses russische Leben doch so gut ganz
anders sein konnte, aber nun einmal einfach nicht mehr anders zu machen ist. Im
Rhythmisch en klingen fremde neue .Momente einer erregenden Starrheit an. Es ist
moglich, dafi die Auffiihrung sehr iiberrascht und Unerwartetes bringt.
KAMMERKANTATE 339
Hugo Ho lie (Stuttgart)
UBER DIE KAMMERKANTATE
Im Programmheft des letzten Donaueschinger Kammermusikfestes habe ich eine
kurze Charakteristik des neuen Madrigales, des modernen Kammerchores, so wie er sich
dort zum ersten Mai in den Chorauffiihrungen von 1925 und 1926 darbot, zu geben
versucht. Die damals gemachten Erfahrungen auf dein Gebiet des a cappella Gesanges
haben mancherlei Friichte getragen, die von Donaueschingen ausgehende Anregung war
bald in einer starkeren Beriicksichtigung des intimen, unbegleiteten, fur kleine Besetzung
gedachten Chorliedes zu spiiren. Die Zukunft wird lehren, inwieweit sich die wirklich
schopferischen Krafte der jungen Komponisten generation dieses Gebiet nutzbar machen
und ausbauen werden.
Uber den Bahmen des a cappella Chores hinausgehend bietet Baden-Baden bei
seinem diesjahrigen Kammermusikfest zum ersten Mai Kammerkantaten. Der Begriff
Chorwerk war hier nur der Ausgangspunkt ; die Beziehung zu ihrn ist ja bei der Kantate
nur ein lockerer, bei den Solokantaten fehlt sie eigentlich ganz. Die Kantate kann nur
ganz allgemein als ein begleitetes Vokalwerk kleineren Formates (im Gegensatz zum
umfassenderen Oratorium) aufgefafit werden. Sie bietet eine Fiille von Spielarten als
Solokantate, Chorkantate, gemischte Kantate mit Chor-, Ensemble- und Solosatzen, als
ein- oder mehrteiliges Stuck, neigt im Charakter bald mehr zum Lyrischen, bald mehr
zum Epischen und eignet sicb fiir ernsten Ausdruck ebenso wie fiir den heiteren, ja
grotesken. Ebensowenig wie ihre Form und Besetzung laSt sich der Begriff „Kantate"
eng begrenzen. Sie gilt im Gegensatz zur dramatischen Oper und zum halb dramatischen,
halb episch-lyrischen Oratorium als vorherrschend lyrisches Vokalwerk mit Instrumental-
begleitung. Der lyrische Charakter sollte eigentlich durchgehend dialogische Gestaltung
ausschliefien. Doch findet sich diese schon fruhzeitig in weltliclien, „dramatischen"
Kantaten, die gewissermafien kleine Singspiele in epischer Flache, ohne die plastische
Tiefe dramatischer Handlung sind (es sei da etwa an Bachs Kaffeekantate erinnert).
Das Ineinanderlaufen der Grenzen verwandter Formen zeigt sich audi hier. Hauer
nennt seine „Wandlungen" nach Worten Holderlins ein ,,Kammeroratorium fiir Biihne
oder Konzert", ohne dafi es sichtbar oratorische Ztige hat. Dagegen steht Milhauds
Werk in seiner dialogischen Form dem Oratorium naher, obgleich das Fehlen von Chor-
und Ensemblesatzen es ins Gebiet der Solokantate ruckt. Aber der Name ist ja nicht
entscheidend, betrifft nicht innere Gestaltung und Wert einer SchQpfung.
Was die vier in Baden-Baden herauskommenden Werke in dem Begriff Kantate
zusammentreffen lafit, ist ihre kammermafiige Fassung, die ihrerseits typisch fiir den
Stil unsrer zeitgenossischen, dem Beprasentativen und Massigen abholden Musik ist.
Die geforderten Kammerorchester mit solistischer Besetzung gehen nicht iiber ein Dutzend
lnstrumentalisten hinaus, Herrmann begniigt sich mit drei Instrumenten. Charakteristisch
fur das Klangbild des modernen kleinen Orcliesters, findet sicli da die Bevorzugung der
Blaser einschliefilich des Saxophons, die Wahl starker Schlagzeuggruppen und des Klaviers
als Orchesterinstrument. Der Chorkorper ist ebenfalls fiir kammermafiige Besetzung ge-
dacht; bei Hauer z. T. sogar solistisch neben den sechs Solopartien, doch bleibt er
immer im Gegensatz zu diesen in gruppenmafiigem Zusammenschlufi. Hauer erreicht
340 HUGO HOLLE
so (lurch verschiedene Gruppierung im Chor (solistisches Quartett von je zwei Sopran-
und Tenorstimmen oder zwei Alt- und Bafistimmen usw.), durcli reine Solopartien und
durch schliefiliches Zusammenfiigen von Ensemble und geschlossenem Chor ein ab-
wechslungsreiches vokales Klangbild. Wahrend bei ihm aber der Chor mehr flachenhaft,
farblich, gleichsam nur als Stimmungshintergrund, verwendet wird, steht er bei Hugo
Herrmann im Vordergrund des musikalischen Geschehens. Das rhythmisch-melodische
Element tritt hier beherrschend hervor. Die drei Instrumente sind motorischer Unter-
grund in meist ostinater Fiihrung, beteiligen sich aber auch an der Durchfiihrung
thematischen Materiales. Eine Solostimme wird im ersten Stiick fiir einige Kadenzen,
eine andre im zweiten Stiick fiir eine parodistische Arie heranzogen.
Bei Milhaud und Roters ist auf Chor- und Ensemblesatze verzichtet. Im Einklang
mit Andre Gides Dichtung fiihrt Milhaud nur drei Solostimmen fur die Gestalten der
Mutter, des verlorenen und des jungeren Sohnes ein, wahrend sich Roters fiir die
vokale Auslegung der Gedichte Bingelnatzens mit einer Singstimme begniigt. Es sei
im Zusammenhang mit diesen Werken auf die bezaubernde Kantate nach romantischen
Dichtungen fiir Sopran, Oboe, Bratsche und Cello von Paul Hindemith hingewiesen, die,
1924 entstanden, wohl die erste Kantete in modernem Stil ist. Auch verdient die in
Donaueschingen 1926 aufgefiihrte Kantate „Vom Tode" fiir Kammerchor, Sopran- und
Altsolo, Streichquintett und Klarinette von Hermann Reutter hier besondere Erwahnung.
Die innere Einheitlichkeit der Kantate wird bei Milhaud und Hauer durch die
Dichtung geschaffen; bei Hauers einsatzigem Werk zudem eine formale durch reprisen-
artige "Wiederholung des einleitenden Chorteiles. (Ob bei Milhaud auch musikalische
Vereinheitlichung angestrebt, vermag ich leider nicht zu entscheiden, da mir die Partitur
nicht zuganglich war). Bei Herrmann und Roters ist dagegen eine innere Zusammen-
gehorigkeit durch den Text, wie sie die Kantate gegeniiber einer mehr suitenartigen
Aneinanderreihung von Orchester- oder Chorliedern verlangt, nicht ohne weiteres vor-
handen. Beide greifen darum fiir den engeren Zusammenschlufi zu musikalischen Mitteln.
Herrmann, dessen Auswahl aiis den Galgenliedern Morgensterns ja schon eine gewisse
einheitliche Atmosphare mit sich bringt, erreicht ihn durch thematische Zitierung des
Anfanges im Finale des letzten Satzes. Roters gewinnt ihn durch motivisch-thematische
Reziehungen zwischen alien Satzen. So stellt das kurze Vorspiel bereits zwei fiir den
weiteren Verlauf wichtige Motive auf; ebenso sind die drei instrumentalen Zwischen-
spiele — mit ihren Titeln „sachlich", „romantisclv', „mechanisch" gleichsam Vorspiele
fiir die ihnen folgenden Lieder — in das thematische Geflecht eingewoben.
Die fluchtige Skizzierung dieser wenigen Werke zeigt, welch weites Gebiet schopfe-
rischer Arbeit die Kammerkantate mit relativ geringen Mitteln durch die vielfaltige Ver-
wendungsmoglichkeit von Solostimmen, kleinem Chor und ein paar Instrumenten eroffnet_
Auch hier darf von der ersten Anregung, von der ersten Diskussion vor grofier Offent-
lichkeit viel erhofft werden.
ORGELMUSIK DEB GEGENWART 341
Erich Katz (Freiburg i. Br.)
ORGELMUSIK DER GEGENWART
Kaum ein anderes Gebiet des musikalischen Scliaffens der Gegenwart ist in seiner
Haltung so wenig gefestigt wie die Orgelkunst. Breit und tief sind die Strome, die sich
hier spalten, ineinander und gegeneinander fliefien. Abhangigkeit vom Instrument und
Instrumentenbau, bei der Orgel naturgemafi starker als bei alien anderen Instrumenten,
— dazu Hemmungen und Widerstande, die aus Verbundenheit alter liturgiscber Traditionen
sich ergeben, auf der einen Seite; auf der anderen die Tatsache, dafi die Orgel, seit je
das am meisten mechanisierte und darum an aufieren Wirkungsmoglichkeiten reichste
aller Instrumente, gerade heute wieder pradestiniert ist, audi jener weltlichen Kunst,
die nach Fulle und Vielfalt der Wirkungsmoglichkeiten schreit, der Kunst des modernen
Theaters, des Kinos, der Strafie zu dienen. So ergibt sich von selbst die Weite der
Spannungen, die hier zu iiberbrucken sind. Schwieriger ist die Frage nach dem ge-
meinsamen Nenner. Es gemigt nicht, sie einfach mit dem Hinweis auf die letzte
Identitat des technischen Begriffes „Orgel", auf Spielmechanik, Pfeifen und Geblase, zu
beantworten. Ein anderes ist wesentlicher: die stete Tendenz der Orgel auf eine innere
Zweckverbundenheit. Die in ihrem Wesen notwendig bedingte Objektivitat, die durch-
schnittliche Grofie ihrer Mafie, die Distanz zwischen Spieler und Klangerzeugung wiesen
ihr die Aufgabe, den ubermenschlichen Lebensmachten und deren menschlichen Insti-
tutionen und Ausdrucksformen zu dienen, statt als neutrales Konzertinstrument die Ge-
barde asthetischer Selbstherrlichkeit anzunehmen. Die Ausdrucksformen aber, die, ur-
spriinglich vereiut, in der spateren abendlandischen Kultur allmahlich immer scharfer
auseinandertretend, die Wege der Kunst wie aller anderen kulturschopferischen Aufier-
ungen des Menschen am starksten bestimmten, waren Kult und Tanz; die Askese des
Gebets und die Sinnenkraft des Korpers. In ihnen beiden ist auch die Orgelkunst von
Anbeginn an verwurzelt; in erster Linie, aber nicht nur im Gottesdienst. Hier war
ihr Baum gegeben zu grofiartigster Entfaltung; und erst eine Zeit, die, wie das spatere
18. und vor allem das 19. Jahrhundert, eine lebensmafiige Zweckgebundenheit der
Kunst als asthetisch minderwertig, ja teilweise als entwiirdigend auffafit, die den sub-
jektiven Ausdruck des Kiinstlers nicht mehr uberpersonlichem Gesetz oder elementar-
vitalen Kraften unterordnet, sondern diese nur noch in jenem sich spiegeln lafit: eine
solche Zeit konnte nicht mehr tragbarer Boden einer wahrhaft lebendigen Orgelkunst
sein. Was tibrig blieb, war eine kirchliche Orgelmusik, die blass, ohne eigenen Atem,
von traditionellem Formengut zehrte; war auf der anderen Seite Orchestrion und Leier-
kasten ; war schliefilich, zwischen beidem, eine Konzertorgelkunst, die bestenfalls virtuose
Interpretation alterer Meister bot, oft genug aber auch in seichtestem Bearbeitungswesen
ihre Krafte erschopfte. Komponistenpersonlichkeiten, die der Orgel hier noch irgendwie
originale Werte von Bedeutung vermitteln, wie etwa Cesar Franck, sind Ausnahmeer-
scheinungen. Es isl: andererseits gewifi kein Zufall, dafi der gi-ofite Orgelmeister des
19. Jahrhunderts, Anton Bruckner, in tiefster instinktiver Erkenntnis dieser Lage fast
nichts fur Orgel hinterlassen hat, sondern seine Gedanken dem grofien Orchester als
dem eigentlichen Ausdrucksmittel seiner Zeit anvertraute. Dort freilich bekommen sie
bei ihm oft eine edit orgelmafiige Plastik der Farben: wahrend umgekehrt die Orgel
342 ERICH KATZ
der Zeit auf Imitation der ineiiianderfliefieiiden Klange des mqdernen Orchester-
apparates ausging.
Damit ist die Situation bezeiclmet, die die Gegenwart vorfand. Gegenwart im
weiteren Sinne, beginnend mit einem Komponisten wie Max Reger, mit Orgelkiinstlern
wie Straube. Langsam und tastend erst setzte ein Wandel der Anschauungen ein.
Regers Zuriickgehen auf die vorklassischen Meister und insbesondere auf Bach ist Aus-
druck eines neuen Stilwillens, nocb niclit, wie man anfangs wold gemeint hat, schon
Zeichen einer neuen, in der Zweckgesinmmg und in den Mitteln sich auspragenden
Stilform. Dies gilt auch fur den uberwiegenden Ted seiner direkten tmd indirekten
Schiiler und Nachfolger. Die Existenzfrage der Orgel wird von ihnen nicht beantwortet.
Indessen kani von dort der Anstofi zu einer radikaleren Orgelbewegung, die eben heute
sich auszuwirken beginnt. Aufier Organisten und Orgelbauern sind ihre Trager Musik-
wissenschaftler wie Willibald Gurlitt, aber auch Nicbtmusiker im en ger en Sinne, wie
der Theologe Ghr. Mahrenholz, der Dichter Hans Henny Jahn. Die Tatsache. dafi die
heutige Orgelkunst nicht nur von denen, die selbst im Zentrum ihrer Problematik
stehen, sondern gerade auch von solchen, die mehr von attSen heran kommen, zum
Gegenstand einer ihre geistigen wie technischen Grundlagen erfassenden ,,Beformbe-
wegung" gemacht wird, ist dabei durchaus symptomatisch. Der im vergangenen Jahr unter
dem Vorsitz Straubes gegriindete „Deutsche Orgelrat" stellt die bislang letzte zusammen-
fassende Organisation dieser Bewegung dar. So stark auch ihr historischer Einschlag ist,
so gewifi ist doch, dafi sie weit mehr als nur historisierende, dafi sie eine eminent ge-
genwartige Bedeutung hat. Wenn man neuerbauten Orgeln wie der Freiburger Pratorius-
orgel eine Disposition des 17. Jahrhunderts gegeben hat, so ist die aufiere stilwissen-
schaftliche Begriindung dafiir in Wahrheit getragen von dem tieferen Bediirfnis einer
Verwandschaft damaliger und heutiger Klangwelt, die sich unschwer auch auf anderen.
Gebieten heutiger Musikiibung nachweisen lafit. Die starke Differenzierung weniger
aber charakteristischer Stimmen — sehr weiche, voile Flotenregister gegenuber durch-
dringend glanzenden, scharfen Schnarrwerken — ermoglicht der Wiedergahe polyphoner
Werke eine Durchsichtigkeit des Satzgefiiges, eine Klarheit des tektoniscben Aulbaues,
die jiingster Musik in ahnliclier Weise entspricht wie der des Hochbarock. Darum haben
wir in solchen scheinbar „historischen" Orgeln vielfach zeitgemaSere Instrumente vor
una als in den meisten neuzeitlichen Konzert- und Kirchenorgeln, und weitgehend sind
die Anregungen, die die gegenwartsbewufite Orgelbaukunst von dorther ubernimmt.
Vor allem aber und iiber aUe Einzelheiten hinweg ist die junge Orgelbewegung uber-
haupt Ausdruck der wachsenden Bedeutung, die man der Orgel wieder beimifit. Dies
geschieht notwendig zu gleicher Zeit, da die Bewertung des „Absoluten" der Konzert-
musik wieder geringer wird, da wieder der Wuusch auftaucht, Musik sinnvoll in .ein en
Lebenszusammenhang hineinzustellen. Die entscheidende Frage dabei aber ist die :
welches kann dieser Lebenszusammenhang heute sein? Hat die Kirch e noch die
universale geistige Stellung. um Stiitte einer lebendig-neuen Orgelkunst zu sein ? Oder
haben heute schon andereMachte genug Bildende Kraft, um die organischen Voraus-
setzungen einer solchen Kunst zu geben?
Antwort auf diese Fragen kann nur das S chaff en geben. Ein Schaffen allerdings,
das sich der Lebensfragen der Orgel bewufit. ist und hellhorig selbst wiederum den
FILM UND MUSIK 343
geistigen Bediirfnissen des heutigen Menschen Reclmung tragt. Ein solches zeitge-
nossisches Schaffen fur die Orgel existiert lusher nur vereinzelt und in Ansatzen. Dei-
Ernst, mit dem eine Personlichkeit wie Kaminski noch Bindungen der Kirchein seineni
Werk verlebendigt, die schopferische Kraft andererseits, mit der etwa Hindemith heutigen
Zeitnotwendigkeiten auf dem Wege mechanischer Orgelmusik zu Ballett und Film nach-
spiirt, waren hier zu nennen. Nun erneuert Baden-Baden einen Versuch, der bereits
auf der vor zwei Jahren stattgefundenen Freiburger Orgeltagung gemacht wurde (oline
dafi er damals so, wie beabsichtigt, durchgefuhrt werden konnte) : Orgelwerke junger
Komponisten an reprasentativer Stelle einem Publikum zur Pruning vorzulegen, das vor-
wiegend aus Fachleuten oder zumindest an dem Schicksalgegenwartiger Musik starkst interes-
sierten Horern besteht; gleichzeitig mit der Absicht, auf das gesamte Schaffen dieses
Gebietes ahnlich anregend einzuwirken wie in vergangenen Jahrea auf anderen Gebieten.
Es werden Werke von Fidelio Finite, Ernst Pepping, Hans Humpert mid Philipp
Jama ch gespielt werden. Ein Einblick in die Manuskripte (mit Ausnahme von Jarnachs
Konzertstiick op. 21 fur Orgel — Romanzero III — , das mir nicht mehr zuganglich war)
zeigt bei alien verwandte Stilgesinnung : polyphone Satzanlage, starkste Gebuiidenheit
des Aufbaus; Verkniipfung alter strenger Formen, Kanon, Fuge, Passacaglia, mit der
Klanglichkeit zeitgenossischer Musik. Finkes Fantasie und Fuge iiber den Choral „Aus tiefer
Not schrei ich zu dir" versucht die Grundstimmung des Textgehaltes in stark drama-
tischer Ausdrucksgebung zu deuten. Dabei ist von alien Mitteln neuer Harmonik, von
reichster Chromatik, auch von rhythmischen Akzenten einschrankungslos Gebrauch ge-
macht. Gegeniiber dem mehr sinfonischen, durchaus virtuosen Gharakter dieses Werkes
stellen Peppings Orgelsuite, die aus sechs Choralvorspielen (von denen vier in Baden-
Baden zu Gehor kommen) besteht, und die dreisatzige Orgelmusik von Humpert eher
eine auf die Orgel projizierte Kammermusik dar, bei der die rein lineare Kraft der
Stimmen fast absolute Bedeutung erlangt und zu einem neuartigen Orgelsatz von zwingen-
der Konsequehz fiihrt. Hier vor allem gilt, was ich weiter oben iiber die Beziehung
eines von der alten Barockorgel her befruchteten neuen Orgeltyps zum Schaffen der
Gegenwart sagte. Denn fur eine sinnvoUe Interpretation dieser Stiicke und damit iiber-
haupt fiir ihre Wirkungskraft ist eine Registrierung, die ihre reale Stimmigkeit scharf
auszupragen imstande ist und die den Farbenreichtum der Orgel nicht so sehr male-
rischen Effekten als vielmehr den Strukturwerten dieser Musik dienstbar macht, von ent-
scheidender Wichtigkeit.
Heinrich Strobel (Berlin)
FILM UND MUSIK
Zu den Baden-Badener Versucben
Dafi die rein optische Wirkung des Films einer akustischen Ei - ganzung bedarf, hatte
man bald eingesehen. Die einseitig starke Anspannung des Auges durch den schnellen
Bildablauf mufi ein Korrelat im gleichzeitigen Gehoreindruck haben. Je starker die
344 HEINRICH STROBEL
dynamische Bewegung des Filmes ist, umsomelir verlangt er nach einer akustisch wahr-
nehmbaren Unterstreichung dieser Dynamik. Bei der aufierordendich schnellen Entwick-
lung des Films war es selbstverstandlich, dafi man tiber die strukturellen und stilistischen
Voraussetzungen der ihn begleitenden Musik zunachst nicht weiter nachdachte. Man
hatte mit dem Filmischen selber genug zu tun. Dariiber konnte auch kein Zweifel be-
stehen : Musik spielt im Kino eine durchaus untergeordnete Bolle. Bald wurde der Satz
aufgestellt: die Musik, von der man am wenigsten hort, die nur in geschickter Weise
den visuellen Eindruck akustisch nachzeichnet, diese Musik war am geeignetsten und
damit audi am besten. Zuerst behalf man sich mit dem improvisierenden Klavierspieler.
Spater, als die Kinos zu grofien Theatern wuchsen und der Klavierklang an Intensitat
und Farbigkeit nicht mehr ausreichte, griff man zum Orchester. Um diese Zeit stand
in der Oper, die man begreiflicherweise am ersten zum Vorbild nehmen konnte, die
musikdramatische Praxis in vollster Blute. Mehr noch: der Sinn fur die organische
Eigengesetzlichkeit der Musik auch im Musikdrama, war bereits so weit verloren ge-
gangen, dafi man in der rein naturalistischen „Untermalung" der szenisch-dramatischen
Vorgange und Effekte das erstrehenswerte Ziel erblickte. Die Musik war zur niedrigsten
Dienerin herabgedriickt.
Diese Praxis wurde vom Filmtheater iibernommen und sehr schnell weiterentwickelt.
Das Milieu oder die Gefuhlsdynamik der Handlung bildete die Grundlage fur die
musik alis ch e Illustration des Films, wie man die neue Methode nannte. Opern-,
Konzert- und Salonliteratur werden in gleichem Mafie fur die Illustration herangezogen.
Es entsteht ein mosaikartiges Nebeneinander von Musiknummern, deren zeitliche Ab-
grenzung durch die jeweilige Dauer der Filmszene bestimmt ist, es entsteht eine Art
Potpourri aus der gesamten Musik der letzten hundertfiinfzig Jahre, in dem Mozart ohne
weiteres neben irgendeinem Kaffeehaus-Schmachtfetzen stehen kann, wenn es gerade die
Kinobibliothek fur geeignet halt. Diese ist die Bibel der Filmmusiker. Hier sind Schmerz-
empfindungen und Liebesekstasen, Sturmgemalde und unschuldsvolle Idyllen sorgfaltig
fur die Praxis rubriziert. Je nach Gescliick und Geschmack setzt der Illustrator aus den in
die Tausende gehenden Nummern der Kinomusiksammlungen die Begleitmusik zusammen.
Man kann es nicht leugnen : die besten Fdmillustratoren machen das unbedingt mit
kunstlerischem Takt. Sie verzichten auch schon langst darauf. jedes Detad des Film-
geschehens auszumalen, sondern suclien eine Beihe von aufeinanderfolgenden Szenen,
die auf derselben Gefiihlskurve liegen, durch die Musik zusammenzufassen. Damit ge-
winnt die Blustration zwar im Einzelnen an Geschlossenheit, aber ihr potpourrihafter
Charakter, ihre Stillosigkeit, eben ein Mangel der Methode, bleibt bestehen. Es ist be-
zeichnend, dafi hervorragende Praktiker der Filmillustration, wie Hans Erdmann und
Giuseppe Becce in ihrem Handbuch der Fdmmusik, das Zwitterhafte, die asthetische
Unmoglichkeit des illustrativen Prinzips unumwunden zugeben. Ja, sie nennen den
Illustrator einen „Bastard, den Apoll in einer schwachen Stunde zeugte".
Die Unzulanglichkeit der musikalischen Filmillustration liefi sclion verhaltnismafiig
fruh die Erkenntnis reifen. daft zu besonders wertvollen Filmwerken eine eigene Musik
geschrieben werden miisse. (Fiir den Durchschnittsspielfilm ist das bei dem ungeheuren
Konsum und dem haufigen Progi'ammwechsel der Theater nicht moglich, wenigstens
vorlaufig.) Die Originalmusik bedeutet einen erheblichen Fortschi'itt. Da sie jedoch bis
if
FILM UND MUSIK 345
jetzt in den allermeisten Fallen von Musikern geschrieben wird, die von der Praxis des
Illustrierens herkommen, so unterscheidet sie sich grundsatzlich nicht von den iiblichen
Begleitmusiken. Sie ist musikdramatische Untermalung, ausgefuhrt von einem routinierten
Praktiker mit den Stilmitteln epigonaler Spatromantik, in die je nach Vermogen modernere
Elemente eingeschmolzen werden. "Wir sind bei dem Haupteinwand gegen die drama-
tisierende Illustration angelangt. Ein bedeutender Film unserer Tage, etwa Chaplins
„Zirkus" oder der „Po tern kin" von Eisenstein, ist ein Produkt des 20. Jahrhunderts.
Er ist, gegenuber dem gespielten imd gesungenen Theater, ein aus den spezifischen Be-
dingtheiten der Gattung geschaffenes Kunstwerk, Zeichen eines durch den Triumph der
Technik zu neuen kunstleriscben Ausdrucksformen vordringenden Zeitalters. Die Begleit-
musik aber ist Budiment einer vom vorigen Jahrhundert ubernommenen Praxis, die
dem Film aus aufieren Griinden angenahert wurde, obschon sie eigentlich nicht zu ihm
pafit. Guter Film und schlechte Musikdramatik, mechanischer Ablauf und verbrauchter
Gefiihlssubjektivismus werden miteinander verkoppelt. Der Film ist bis in die kleinste
Bewegung genau fixiert, er ist unveranderlich, Die Musik wird von jedem Kapellmeister
nach eigenem Ermessen neu kompiliert, sie schwankt dauernd, in jeder Auffiihrung
sogar, je nach der „Disposition" des Dirigenten. Sie folgt dem Film, im einzelnen oder
in den Hauptlinien, aber da, wo absolute Prazision von Bild und Klang verlangt wird,
bleibt immer eine Ungenauigkeit, umsomehr, als man in der Praxis immer noch auf
zuverlassige Synchronometer verzichtet. Denn im Orchester dirigiert ein Mensch, in der
Kamera aber lauft ein mechanischer Streifen. Je eigengesetzlicher ein Film ist — man
konnte an Buttmanns Berlinfilm denken — umso starker wird man den Widerspruch
einer iUustrierenden Musik empfmden, gleichgultig ob sie kompiliert oder original dazu
geschrieben ist.
Von diesen Erkenntnissen ausgehend hat man schon im vorigen Jahre junge
Musiker beauftragt, originale Filmmusiken fur Baden-Baden zu arbeiten. Fiir den heutigen
Musiker ergibt sich die Ablehnung des iUustrierenden Prinzips von selbst. Er hat sich
mit Heftigkeit von der musikdramatischen Ubung des 19. Jahrhunderts abgestofien und
strebt nach absoluter Gestaltung. Er wird sich auch, wenn er eine Filmmusik komponiert,
unter alien Umstanden bemiihen, die Eigengesetzlichkeit seiner Kunst aufrecht zu er-
halten. Im Gegenteil : er lauft vielleicht der Gefahr, die Bolle der Musik gegenuber dem
Film zu iiberschatzen. Damit ist nun freilich wenig gewonnen. Wir hatten dann besten-
falls ein ordentliches oder gar wertvolles Musikstiick, das sich uber Gebiihr hervor-
drangt. Der Musiker wird sich stets vor Augen halten miissen, dafi er im Filmtheater
eine untergeordnete BoUe spielt. Es kommt darauf an, eine Musik zu schreiben, welche
die dynamische und formale Gliederung des Bildablaufs aufnimmt, unterstreicht, welche
ihr Material organisch abwickelt und doch beweglich, labil genug ist, in steter Beziehung
zum Bild zu bleiben und auf gewisse hervorstechende szenische Momente besonders
Bezug zu nehmen. Begreiflicherweise wahlte man fiir diese ersten Versuche moglichst
antinaturalistische Filme, die der musikalischen Gestaltung einigermafien entgegenkamen.
Denn nur allmahlich wird der Fachmusiker die spezifischen Erfordemisse der Filmmusik
erkennen. Dafi eine Verbindung von absoluter Musik und filmischen Erfordernissen er-
reichbar ist, erwies schon im vorigen Jahre Paul Hindemith mit einer Komposition zu
einem Kater Felix-Trickfilm.
346 HEINRICH STROBEL
Dieses Stiiclc war fur mechanische Orgel geschrieben. Zum optisch-mechanischen
Ablauf tritt der akustisch-meclianische. Beinahe eine Selbstverstandlichkeit — so wird
man sagen. Und- doch haben die Filmpraktiker davon noch keinen Gebrauch gemacht.
Die mechanische Verkettung von Filmstreifen und Musikstreifen ermoglicht absolute
Gleichzeitigkeit. Ein bestimmtes Bdd und die dazu komponierte musikalische Wendung
kommen nun wirklich genau im selben Augenblick. Die mechanische Musikrolle kann
mit dem Filmstreifen vervielfaltigt und verschickt werden. Eine Riesenmenge von iiber-
flussigem musikalischem Aufwand wird erspart. Der an sich groteske Gegensatz zwischen
dem von einem Mann bedienten Kinoapparat und dem zur Begleitung des Films not-
wendigen Orchester, das numeriscli nicht selten eine durchschnittliche Stadttheaterkapelle
erheblich iiberragt, ist von selber ausgeschaltet. Freilich wird man das mechanische In-
strument nur bei kurzen Fdmen anwenden konnen. Infolge seiner relativ geringen
Klang- und Farbmoglichkeiten ermiidet es auf die Dauer. Man wird also doch wieder
zum Orchester kommen? Auch hier bietet sich ein zukunftsreicher Ausweg: der Ton-
film. Er nimmt Bild und Musik zu gleicher Zeit auf und ermoglicht dadurch die voll-
kommen synchrone Reproduktion. Gewifi steckt diese Erfindung noch in Anfangen.
Aber es ist nicht zweifelhaft, dafi sie in absehbarer Zeit kunstlerisch vervollkommnet
sein wird. Dann ist, soweit wir es heute iibersehen konnen, die Verbindung von Film
und Musik befriedigend gelost.
Von der Erfiillung einer wichtigen kiinstlerischen Voraussetzung dieser Verbindung
sind wir allerdings nocli weit entfernt — die Filmindustrie hat noch nicht eingesehen,
dafi es keineswegs gleichgultig ist, was fur eine Musik man zu einem kunstlerisch wert-
vollen Film spielt. Ihr gilt die EJustrationspraxis als feststehendes Dogma. Modern e
Musik und Filmproduktion sind ohne Fiihlung miteinander. Nur die Filmindustrie halt
Edmund Meisel, der durch seine Musik den Berlin film zugrunde richtete, fur einen
schopferischen modernen Komponisten. Langsame und zielbewufite Arbeit vermag allein
die Verhaltnisse zu andern. Dafi zum Film als Erscheinung dieser Zeit audi Musik der
Zeit gehort: diese Erkenntnis durchzusetzen, ist eine wichtige Aufgabe fur die moderne
Musik, die iiberall aus der Ich-Isoliertheit herausstrebt und Ausdruck einer Gemeinschaft
sein will. Im Filmtheater konnte der Horer, beinahe unbewufit, zu einer neuen Musik-
gesinnung erzogen werden. Aber indem wir darauf hinweisen, schneiden wir das sozio-
logische Kernproblem des Films iiberhaupt an. Eine Untersuchung daruber greift weit
viber den hier gestellten Fragenkreis hinaus.
Es geniigt zu sagen, dafi Baden-Baden einstweden der wiclitigste Vorposten fiir
ktinstlerische und zeitnahe Filmmusik ist. Man hat erfreuliclierweise fur die diesjahrige
Veranstaltung auch die in der Film - Musik - Union zusammengeschlossenen
Ulustrationspraktiker zu interessieren gesucht. Sie ist im Programm durch Wolfgang
Zeller vertreten, der die Zauberszenen des Scherenschnittfilms „Achmed" von Lotte
Reiniger komponiert. Er schreibt fiir ein kleines Orchester von etwa neun Mann,
ebenso wie Ernst Toch und Walter Gronostay, die beide Kater Felix-Trickfilme ver-
tonen. Eine Musik fiir mechanisches Klavier von Paul Hindemith kommt zu dem
Film ^Rebellion der Gegenstande'' von Hans R i elite r zur Auffuhrung, Dabei wird ein
neuer Synchronisator der Firma Welte in Freiburg verwendet, wahrend sonst die Gleich-
zeitigkeit des Ablaufs von Bdd und Musik durch den Synchronometer K. R. Blums
KURZOPERN
347
erreicht wird. Allein der Praktiker Zeller beiriitzt als Zeitregler eine Taschenuhr, deren
Zuverlassigkeit in diesem Fall naturlich hochst anfechtbar ist.
MELOSKRIT1K
Die nene, hier angestrebte Form der Kritik beruht darauf, dafi
sie von mehreren ausgeiibt wird. Dadurch soil ihre Wertung von
alien Zufalligkeiten und Hemmungen abgelost werden, denen der
Einzelne ausgesetzt ist. Langsam gewonnene, gemeinsame Formu-
lierung, aus gleicher Gesinnung entstanden, erstrebt einen hoheren
Grad von Verbindlichkeit. So ist jede der vorgelegten Besprech-
ungen ein Produkt gemeinsammer Arbeit der vier Unterzeichneten.
KURZOPERN
Dieser Begriff fafit eine Reihe heterogener Stiicke zusammen, deren Gemeinsames
allein darin liegt, dafi sie im Gegensatz zur abendfiillenden Oper den Spielverlauf auf
eine kurze Zeit zusammendrangen. Die hier zur Besprechung stehenden Komponisten
gehen von vollig verschiedenen Ausgangspunkten an die Idee heran. Wahrend Kreneks
drei Einakter den hergebrachten Operntypus in verkiirzter Projektion nach verschiedenen
Seiten abwandeln, sucht Wellesz in literarischer Ankniipfung an Goethes dekoratives
Buffospiel die Haltuug des alten Intermezzos. Milhaud gewinnt aus einer spezifisch
franzosischen Einstellung zur Antike seine mit kammermusikalischer Feinheit gearbeitete
„Opera-minute".
1.
Ernst Krenek schreibt sich selbst den Text zu drei im iiblichen Theatersinn
effektvollen Stucken. Nach der grofieren Form des „Jonny" reizte es ihn, drei gegen-
satzliche Stoffwelten in Einaktern wirksam zu kontrastieren. Die Aktualitat des Jonny-
Milieus lebt in den beiden Eckstiicken weiter: in dem „Diktator", der den Typus eines
modernen Gewaltmenschen mit expressionistischer Pathetik auf die Buhne stellt und in
dem burlesken „Schwergewicht", das an der Gestalt des Meisterb oxers Ochsenschwanz
diesen Typus lacherlich macht. Dazwischen steht ein Marchenspiel, das auf dem Boden
der Gegenwartigkeit beginnt und in romantischer AVeltflucht und Natursehnsucht endet.
Krenek hebt die Handlungen seiner Stiicke iiber die reine Stofflichkeit hinaus, indem
er sie, wie in seinen friiheren Werken, auf metaphysische Hintergriinde bezieht. Es ist
das Machtproblem : die Auseinandersetzung des gesteigerten Individualismus mit der
Welt. Aber das Problem gelangt weder in der oft platten Sprache noch in der Musik
wirklich zur Gestaltung. Krenek begniigt sich mit Andeutungen. Dadurch dringt er
nie zum Kern seiner Idee durch, ob er es mit sensationeller Aktualitat versucht oder
seine Stoffe mit romantischer Marchensymbolik verbramt. So bleibt seine Metaphysik
Atrappe.
Wie in den Texten, so bemuht sich Krenek audi in der Musik um Konzentration.
So sehr es ihm auch, namentlich in den Eckstiicken, um dramatische Schlagkraft geht,
348 MELOSKRITIK
so sehr er sich an solchen Stellen absolut dem Text unterordnet — eine durchgehende
formale Gliederung macht sich immer wieder bemerkbar. Die fur die gegenwiirtige
Opernmusik uberhaupt charakteristische Tendenz zur Vereinfachung kennzeichnet auch
diese Stiicke. Die beiden ersten begniigen sich mit Streichorcbester, doppelten Holz-
blasern und je einem Blechblasinstrument, wahrend die Burlesken bezeicbnenderweise
Schlagzeug und Blech verstarkt.
Der „Diktator" enthalt die meisten Elemente von Kreneks friiherem Schaffen. Aus
der Zeit seiner atonalen Linearitat hat sich eine sympathische Harte und Eckigkeit in
Melodik und Klang erhalten, die Krenek freilich an den dramatischen Hohepunkten
in bedenklicher Weise mit einem veristischen Schwung zu verbinden sucht. Man kommt
liber den Bruch zwischen diesen stilistischen Gegensatzen nicbt hinweg. "Wir belegen
ihn durch eine charakterische Gegeniiberstellung. Das Andante sostenuto im ersten
Teil des Stiickes hat innere Spannung und Konzentration der Linie: (Notenbeispiel 1)*
Auf dem Hohepunkt der Oper aber gelangt Krenek nach anfanglicb gehemmten
Flufi zu folgender Banalitat: (Notenbeispiel 2)
Die beiden andern Stiicke sind einfacher in ihrer Spracbe und einheitlich in ihrer
stilistischen Haltung. Doch ist diese Einfachheit nicht Produkt einer Beife wie bei
Strawinsky, sondern Btickwendungen in eine bereits iiberwundene Tonspracbe. Zu den
positiven Merkmalen des „Geheimen Konigsreichs" gehoren die leicht gearbeiteten und
wohlklingenden Ensemblesatze. Im „Schwergewicht" erfreut der mit Gluck und Schmift
festgehaltene burleske Operettenton, der vielfach durch Elemente des modernen Tanzes
angeregt ist. Hier herrscht durchgehend frisches Tempo.
Diese drei Einakter beweisen, daft der Einzelfall des „Jonny" sich fur Krenek zu
einer Eniwicklungsphase verdichtet hat. Der Weg, der ihn von seinen ersten starken
und wesentlichen Werken (Toccata, Musik fiir neun Soloinstrumente, Concerti grossi)
etwa bis zur „Zwingburg" fiihrte, scheint jetzt endgiiltig preisgegeben. Der scbeinbare
Gewinn an Leichtigkeit und Einganglichkeit ist erkauft durch einen bedarierlicben Ver-
lust an Intensitat und durch den Verzicht auf alle die personlichen Ausdruckswerte,
deren Entwicklung man von seinen frtiheren Werken aus erhoffen durfte.
2.
Daft das Singspiel „Scherz, List und Rache" vertont wird, entspricht einer Absicht
seines Dichters. Egon Welle sz, der diese Vertonung unternimmt, wird durch seinen
Stoff zu einer musikalischen Stilisierung angeregt. Der Text fuhrt ihn einmal zu einer
Annaherung an die Opera buffa, dann aber auch in die Nahe des deutschen Singspiels,
das Goethe ja besonders am Herzen lag. Stilisierung aber wird bei Wellesz nicht zu
historischer Abhangigkeit. Denn er findet durch den alten Text hmdurch Beziehung
zur Gegenwart. Er schreibt eine Kammeroper, die sich dem Problemkreis modernen
Opernschaffens einordnen laftt, Sein Orchester besteht aus wenigen Instrumenten (ein-
fache Hokblaser, keine Posaunen).
Seine Singstimmen sind einfach und liedmafiig, wie im alten Singspiel. Der re-
zitativische Parlandostil der alteren Opera buffa gibt der vokalen Melodik Anregungen,
*) Siehe Notenbeilage
KURZOPERN 349
teilweise realistisch-karikierender Art. Sie ist aufgelockert und lebendig in der Dekla-
raation.
Von ahnlicher Beweglichkeit ist die Orchestersprache, die dem Stuck eigentlich
seine moderne Haltung gibt. Diese liegt nicht so sehr in der leichten und unbelasteten
Rhythmik als in der fein durchgearbeiteten und grofitenteils selbstandigen Stimmfuhrung,
auch wo das Orchester lediglich Begleitkorper scheint. Aus dieser kammermusikalisclien
Struktur ergibt sich ein Klangbild, das sich vom harmonischen Funktionsverlauf vollig befreit
und aus dem wechselnden Zusammentreten der Stimmen eine originelle Harmonik gewinnt.
Die Einzelformen sind auf das f'einste verteilt und gegeneinander ausgewogen.
Mit leichter Hand werden die Ubergange vom Rezitativischen zum Ariosen gestaltet.
Das ganze Stuck beherrscht bei aller geistreicben Ausdeutung der Einzelheiten ein un-
unterbrochener, stets pulsierender Flufi. Wir haben als Stilprobe einen Aussclmitt aus
einer Ariette des Scapin : (Notenbeispiel 3)
3.
Milhauds „Opera-niinute" ist Kurzoper im vollsten Sinne. Nicbt nur durch
zeitliche Konzentration sondern mehr noch durch die Art, wie aus einer grofien dra-
matischen Handlung ein Ausschnitt von aufierster Knappheit gewonnen wird.
So entsteht eine Handlung, die ohne jede psych ologiscbe und dramaturgische Be-
lastung eine dramatische Episode in Miniaturform und in scbarfen Konturen hinstellt.
Der antike Stoff wird durch diese Verkiirzung zur leicht ironisierenden Bagatelle.
Die Musik pafit sich diesen Voraussetzungen mit romanischer Leichtigkeit an. Trotz
ihrer Knappheit ist jedes Stuck sowohl als Ganzes wie auch innerhalb seiner Einzel-
formen geschlossen und konzentriert. Der Stil dieser Musik lafit sich am ehesten als
ein gefestigter Impressionismus bezeichnen. Wahrend „La Delivrance de Th^see" und
„L'enlevement d'Europe" diesen Impressionismus mit parodistischen Stilelementen (Stra-
winsky) mischt, bleibt „L' abandon d'Ariane" mehr im Lyrischen.
Die Singstimmen haben anmutige und gerundete Linien. Oft spielt der leichte
und kurze Ton des Chanson in ihre Melodik hinein. Wir fiihren als Beispiel den An-
farig des „Theseus" an: (Notenbeispiel 4)
Davon heben sich einzelne dramatisch gesteigerte Stellen ab, deren wirksamste
die ruhmredige Kampferzahlung des Theseus ist. Hier schlagt das dramatische Pathos
in Parodie um. (Notenbeispiel 5)
Im Sinne der Antikenoper sind kleine Chore eingebaut, die, bisweilen ironisierend,
die Handlung der Einzelpersonen begleiten. Die scheinbar zwanglose Gruppierung der
Chore und Einzelszenen tragt einen abwechslungsreichen, dabei mit aufierster Klugheit
abgewogenen Formverlauf. Dem Miniaturformat der Stucke entsprechen der ungemein
diinne und durchsichtige Instrumentalsatz und eine nur andeutende Motivbildung.
Milliauds „Opera-minute" ist in ihrer fein geschliffenen und in sich ruhenden
Form ein spezifischer Ausdruck des Komponisten wie des franzosischen Geistes uber-
haupt. Indem sie das dramatische Geschehen stilisiert oder ironisiert, gibt sie eine
eigenartige und amiisante Losung des musikdramatischen Problems, die freilich leicht
in die Nahe des Kunstgewerbes fixhrt.
Hans Mersmann, Hans Schultze-Bi tter,
Heinrich Strobel und Lothar Windsperger-
350 ROMAN GRUBER
AUSLAND
Roman G ruber (Leningrad)
DAS MUSIKLEBEN IN LENINGRAD
Das Musikwesen Leningrads ist zur Zeit sehr kompliziert : einerseits hat die
Oktoberrevolution Millionen neuer Musikhorer ins Leben gerufen, deren Musikbewufit-
sein bei weitem nicht „revolutionar" ist und zweifellos sehr hinter dem mittleren Niveau
unserer musikalischer Gegenwart zurtickbleibt; andrerseits mfissen wir konstatieren, dalS
der jahrhundertlange allmahliche Entwicklungsgang des russischen, wie audi des abend-
landischen Musikschaffens — das immer mehr uns bekannt wird — gerade im ersten
Viertel des 20. Jahrhunderts eine machtige Revolution erlebt hatte, deren Erleb-
nisse sogar durch das kulturelle Musikbewufitsein miihevoll angeeignet werden und
nodi viel weniger unserer neuen, musikalisdi ungebildeten Horerschaft zuganglich sind.
Es versteht sidi also, wie grofi die Distanz zwischen den „aufiersten" Schiditen unserer
Horergruppen ist; wahrend die „Leningrader Gesellschaft fiir neue Musik" bahnbrediende
Neuschopfungen eines Schonberg, Hindemith, Strawinsky, die ihren Kreis editer Schatzer
finden, demonstriert, wahrend die Staatsoper „Wozzek" auffiihrt — gibt es hundert-
tausende von Musikhorern, die noch keine Haydn- oder Mozartsymphonie gehort haben
und die eine Operette von Lehar als den Hohepunkt aller Meisterschaft ansehen.
Zwischen diesen Polen verteilen sich verschiedenartige Gruppierungen der
Horerschaft, welche, ihrem Musikverstandnis gemafi nach der mannigfaltigsten
musikaliscben Produktion trachten. "Wh sehen also, dafi Leningrad (audi Moskau), als
Statte der Musikkultur, als Musikzentrum ein aufiers't sonderbares Rild eines Zusammen-
lebens konstrastvoller MusikaufFassungstendenzen — und Horerschichten offenbart, was be-
stimmt als ein dankbares Objekt wissenschaftlicher Betrachtung — um diese oder jene Hypo-
these der Gesetzmafiigkeit des „Musikbetriebes" praktisdi zu priifen — anzusehen ist.*)
"Wenn wir jetzt eine fliiditige Ubersicht der „wirkenden Kral'te" dieses Musikbe-
triebes geben wollen, miissen wir in erster Reihe folgende Konzert- und Theaterein-
richtungen nennen : Akad. Philharmonie, Akad. Staatsoper, Akad. Chorkapelle, Konserva-
torium, „Gesellschaft der Freunde fiir Kammermusik", ,,Gesellsdiaft fiir neue Musik".
Es ist nicht zu vergessen: 1. dafi alle aufgezahlten Organisation en (aufier den beiden
letzten), der allgemeinen Tendenz der Sowjetregierung gemafi,nicht Privat-, sondern Staats-
einrichtungen sind; 2. dafi in vielen Konzerten und in alien Opernvorstellungen eine
grofie Anzalil Platze zu allerwohlfeilsten Preisen unter Arbeiterorganisationen verteilt
wird; 3. dafi haufig die Plnlharmonie und Kapelle. und audi die Staatsoper vollzahlig
die Arbeiterbezirke besucht. Wir sehen also, dafi die Horermassen in musikalischer Hin-
sicht vortrefflich bedient werden. Was fiir Musikproduktion aber wird ihnen im allge-
meinen angeboten ?
An erster Stelle mu6 hier die Philharmonie genannt werden, welche seit den letzten
2 — 3 Jahren in ihren wochentlichen Abonnementskonzerten nicht nur eine Anzahl monu-
*) U. a. wird solche wissenschaftliche Beobachtung im ,,Kabinett fiir Erforschung der Musik des All-
tagslebens" an der Musikabteilung des Kulturhistorischen Instituts getrieben.
DAS MUSIKLEBEN IN LENINGRAD 351
mentaler klassisclier Werke (es gentigt hier, den Beethoven-Zyklus, Auffiihrungen vieler
Sinfonien von Bruckner und Mahler zu erwahnen . . .), sondern audi eine Reihe von
Werken zeitgenossischer Komponisten (Gurrelieder, seclis Orchesterstiicke von Schon-
berg, Klavier- mid Violinkonzert nebst Concerto grosso von Krenek, vieles von
Hindemith und Strawinsky) aufgefiihrt hat und erstklassige Kunstler als Dirigenten
und Solisten heranzog. Die Chorkapelle hatte unter anderem solche Werke, wie „Noces",
„OedipusRex" von Strawinsky, „Konig David" von Honegger zur Auffiihrung gebracht. Viel
Interessantes horten wir in den Konzerten der „Gesellschaft fur neue Musik". Die Staats-
oper zeigte uns im Verlaufe der letzten Jahre Auffiihrungen, wie „Die Liebe zu den drei
Orangen" Prokofieffs, Krenek's „Sprung iiber den Schatten", A. Berg's „Wozzek";
tibrigens besteht das Opernrepertoir im allgemeinen aus Opern, die keineswegs der
Gegenwart angehoren.
Hinsichtlich unserer Opernkultur iiberhaupt ist bemerkenswert zu konstatieren
das sinkende Interesse fur Wagner's Opernschaffen und die Verdrangung seiner
Musikdramen durch die Opern eines Verdi; Wagner ist in eine ungixnstige Lage ge-
raten : die musikalisch gebildeten Kreise sind von seinem Schaffens sozusagen „ubersattigt">
und frische Musikhorerschichten sind dem Verstandnisse seines Schaffens nicht mehr
gewachsen!
Das Interesse fur neue Musik ist sehr grofi, aber es ist nicht zu leugnen, dafi
der „Kulminationspunkt" scheinbar schon voruber ist und eine allmahliche Wendung
nach ..alter Musik" (Kunst Bachs, vorbachsche Musikkultur) bemerkbar wird, tibrigens nicht
an Stelle, sondern gleichlaufend mit dem fortbleibenden Interesse fiir das zeitge-
nossische Schaffen.
Sehr scharf wird der Mangel an groftziigigen, hervorragenden Produkten einheimischer
Kunstler merkbar, welche den gegenwartigen kulturellen Bestrebungen der Revolutionszeit
vollig entsprechen konnten.
Dies ist im allgemeinen, ein fluchtiger Umrifi unseres Konzert- und Theaterlebens,
dessen der abendlandische Leser sich stets bewufit sein mufi, um ein richtiges „Augenmafi"
hinsichtlich der Musikereignisse des heutigen Tages zu behalten. Ubrigens, gerade
wahrend des letzten Winters herrschte in unserem Musikleben ein relativer „Stillstand"
(ausgenommen des tieferschutternden Klavierspiels von Arthur Schnabel und einiger
Konzerte des Amar-Hindemith-Quartetts), der nur im Februar durch die Auf-
fiihrung in der Staatsoper von Mussorgsky's „Boris Godunoff" in der ursprtinglichen Fassung
unterbrochen wurde; diesem Ereignisse wurde ein spezieller Artikel gewidmet.
Es ist nicht zu vergessen, dafi parallel mit diesem kiinsderischen Musikbetrieb ein
intensiver Strom des „selbsttatigen" Musizierens das Alltagsleben fortwahrend durcb-
pulst, welch er in aller Art „Schall-Orchester", musikalisch en Olympiaden u. a. seine
Aufierung findet; aber dieser wichtige Zweig des Musikwesens erfordert eine besondere
Besprechung.
352 KURT WESTPHAL
UMSCHAU
Kurt Westphal (Berlin)
DAS NEUE HOREN
Wandlung und Erneuerung sind die Zeichen, unter denen die Musik unserer Zeit
steht. Das Schaffen selbst zwar hat die Ki'ise fast schon iiberwunden. Nach anfanglich
schwerem Kampf warf es die Fesseln der Romantik ab, urn in den jungsten Werken,
etwa in denen Hindemiths, einen Stil zu schaffen, der das kiinstlerische Ziel der Moderne
klar erkennen lafit. Aus einem Reaktionskrampf erwachsen, hat die Moderne, die sich
am Beginn ihrer Entwicklung wild und hemmungslos gegen das Letztvergangene auf-
baumte, den Weg zu ihrem innern Selbst gefunden. Hier ist die „neue Basis" erreicht-
Auch das reproduzierende Kiinstlertum, dessen die Musik bedarf, um in Erscheinung
treten zu konnen, hat sich in seinen jxingeren Vertretern auf die neue Musik eingestellt,
wenn audi die gesamte Umstellung noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird; denn
die moderne Musik verlangt nicht nur neue seelische Voraussetzungen, sie verlangt auch
eine neue Technik. Schwieriger wird die Frage nach der Resonanz der modernen
Musik. Brennend wird das Problem, welches heifien mufi: die Wandlung des Horers.
Erst dann hat die moderne Musik den Charakter einer „Bichtung" abgestreift, erst
dann hat sie eine neue Epoche begriindet, wenn sie zu einem neuen Horen erzogen
hat, das dann, rtickwarts gewandt, fur die Musik des 19. Jahrhunderts zur Kritik wird.
Jede Musik bedingt einen bestimmten Typus des Interpreten und des Horers,
denn sie ist auf das Gespielt- und Gehortwerden angewiesen. Wahrend der schopferische
Musiker der Gegenwart bereits zu neuen Resultaten gelangt ist, steht der Horer immer
noch ausschliefilich im Bann einer Musik, deren geistiger Ausgangspunkt bei Beethoven
liegt. Mit Beethoven wurde der musikalische Subjektivismus geboren. Die Idee, den
Menschen und seine seelischen Spannungen zum Inhalt der Musik zu machen, war
stark genug, um der Musik fur ein voiles Jahrhundert die Richtlinien zu weisen. Sie
beherrscht auch heute noch den Horer, der unter solchem Aspekt die moderne Musik
negativ, d. h. als Fratze auf die Affektmusik empfinden mulS. Unheimlich tief und
zah sitzt noch in uns alien — gestehen wir es nur — diese von der subjektivistischen
Musik bestimmte Art des Horens. Ihre Eigenart liegt in dem besonderen Verhaltnis von
Interpret und Horer. Personlichkeit forderten wir vom reproduzierenden Kimstler, innere
Weite und Grofie. Wie die Musik im 19. Jahrhundert die menschliche Seele entbloftt
hatte, wie sie vor aller Psychoanalyse in ihre geheimsten Winkel, ihre verborgensten
Ecken geleuchtet hatte, so sollte auch der reproduzierende Kimstler sein Inneres im
Spiel offenbaren. Der Macht seiner Empfindung wollten wir uns hingeben. Sein
Fuhlen sollte das unsere erwecken und steigern, seine Leidenschaftlichkeit die unsere
entfesseln und emporreifien. Die Musik, sein Spiel - sie waren nur die Mittler, die
seine Empfindung weiterleiteten und auf den Horer iibertrugen. Gelang es ihm, durch
sein Spiel jene geheimnisvolle menschliche Verbindung herzustellen, die wir den inneren
Kontakt nennen, so war ihm das Urteil begnadeten Kiinstlertums sicher. Denn wir
gingen ins Konzert nicht, um Konnen und Darstellungsfahigkeit zu messen und zu be-
g|£ DAS NEUE HOREN 353
, :' . ■ ■ ,
werten, auch niclit allein, urn musikalische Kunstwerke erstehen zu sehen und an ihrer
klanglichen Entfaltung vor unseren Sinnen asthetische Freude zu empfinden, sondern
um innerlich aufgewiihlt zu werden. Den Menschen suchten wir im Spieler, das
Menschliche erahnten wir hinter dem Klang. Bleibende Erlebnisse, „unvergefiliche Ein-
drucke" suchten wir im Konzert. Wehe dem Kiinstler, der nicht in seinem Publikum
auiging, der es wagte, sich zu distanzieren und lediglich das Kunstwerk als Gebilde,
als klingende Arcliitektonik vor das Publikum hinzustellen, er wurde als „nur intellektuell"
und gefuhlskalt verschrieen. So weit ging unter dem Einflufi der subjektivistischen
Musik die Identifizierung von Musik und Gefiihlsbetontheit, dafi der gefiihlsunbetonte
Kiinstler fur unmusikalisch gait.
Die Haltung einer Musik, welche Seelisches enthiillen wollte, und eines Spielers,
der dieses im Kunstwerk niedergelegte innere Bekenntnis nachzuempfinden und einer
Horerschar zu vermitteln hatte, mufite auch die Kritik beeinflufien und ihr Mafistabe
in die Hand geben, die von der Psychologie entliehen waren. Eine Kritik entstand,
die dem Spieler gait, nicht dem Spiel. Mehr und mehr hatten wir uns zu einer
Wertungsform verstiegen, welche die menschlichen Werte, die inneren Krafte eines
Kiinsders mafi, nicht aber sein Konnen, nicht das eigentlich Horbare. Die Klang-
erscheinung wurde nur soweit beachtet als sie ein Tieferes, Wesentlicheres deckte.
Selbst dort, wo wir Wertmafistabe anwandten, die sich auf das Klangliche be-
zogen, meinten wir Seelisches, meinten wir Menschliches, das hinter solchem Klangbild
stand. A. spielt trocken, hiefi soviel, wie er ist menschlich michtern und langweilig;
B. vermag eigenartige, feinunterschiedene Niiancen zu erzeugen, hiefi er ist eine sensitive
und „interessante" Personlichkeit.
Bei soldier Bewertung verlor sich das eigentliche Ziel der Kritik aus dem Auge.
Psychologie trat an die Stelle der Asthetik. Das Kunstwerk wurde nicht um seiner
selbst willen gewiirdigt, sondern nur, weil es als ein Produkt des Menschen etwas von
seiner Psyche verriet. Verwischungen und unbewufite Verfalschungen des Urteils mufiten
eintreten. Denn wird es jemals einem Horer einfallen, bspw. einem Pianisten, der
wahrend des Spieles lebhaft gestikuhert, Temperamentlosigkeit vorzuwerfen ? Der Horer,
der von der Begierde erfiillt ist, eine fremde Seele sich enthiillen zu sehen, reagiert
auf alle Aufierungen dieser Psyche; ein Gesamteindruck beherrscht ihn und benimmt
ihm schliefilich jede Unterscheidung, wie weit ihm — um bei dem erwahnten Fall zu
bleiben — Leidenschaftlichkeit aus dem Spiel entgegentont, wie weit sie ihm durch aufier-
musikalische Eindriicke suggeriert wird.
In der Gegenwart ist einer neuen Generation diese Art des Kunstgeniefiens, die
Spieler und Horer immer irgendwie menschlich verbindet, fragwurdig geworden. Sie
sah, dafi Kunst sich von dem Sinn, den sie lange Zeit gehabt hatte, bedenklich ent-
fernte; da6 sie sich mit anderen Ausdrudcselementen mischte, um an Unmittelbarkeit
der Wirkung zu gewinnen, an Formfestigkeit und ruhiger Grofie aber zu verlieren.
Neue Anschauungen iiber das Wesen der Musik sind gereift. Der Glaube an die
alleinseligmachende Grofie „Beethoven", auf deren Schultern das gesamte 19. Jahrhundert
stand, hat einen bedenklichen Stofi erlitten. Man besinnt sich auf die Friihzeiten abend-
landischer Musikentwicklung. Eine neue Musik entsteht; eine Musik, die etwas i s t und
nicht — wie die des 19. Jahrhunderts — etwas bedeutet. Sie drangt den Menschen, der
354 ALFRED BARESEL
mit seinem Fiihlen zwischen dem Kunstwerk und dem Ohr des Empfangenden steht.
zuriick. Mechanisclie Instrumente ersetzen den Meiischen. Rein, ohne subjektive Zu-
taten und Deuteleien soil Musik vor den Horer treten. Auch das Radio begiinstigt
diese Entwicklung und die von ihr geforderte innere Umstellung des Horers; denn
Radio vermittelt nur das Klangbild und zwingt den Horer, sich allein mit diesem aus-
einanderzusetzen. Die Personlichkeit des Spielenden, die ihm entzogen ist, vermag
mit all ihrer teils berecbneten, teils unbewufiten Gesticulation niclit mehr unterstreichend
zu wirken. Kiinstler und Horer erzielit das Radio in gleicher Weise. Zwingt es den
Horer, objektiver und ohne jene im Konzertsaal immer vorhandene menscbliche An-
teilnahme zu horen, so deckt sie beim Kiinstler unbarmherzig jede Darstellungsschwache,
jedes Manko in der klanglichen Gestaltung, das in der Oper und im Konzertsaal durch
Gestikulation verwischt, wenn nicht gar in Tiefsinnigkeit verwandelt werden kann, auf,
Von hier aus wird ein Weg zum neuen Horen gebahnt; es gdt dem Kunstwerk, nicht
dem Kiinstler, es gilt der Form, nicht einem irgendwie vorhandenen Inhalt. An die
Stelle jenes intensiven Miterlebens, das jeder noch so kleinen dynamischen Wendung
der Musik angespannt folgt, tritt ein distanziertes Horen, welches das Kunstwerk inner-
lich von sich abriickt, um durch solche Entfernuug seine Mafie besser iiberschauen zu
konnen. Diese Art des Horens und inneren Betrachtens, die nicht mehr hinter der
,,aufieren" Form nach dem Wesen sucht, wird auf die subjektivistische Musik des
19. Jahrhunderts neues Licht werfen. Bruchigkeiten der Form, die bisher iibersehen
wurden, miifien jetzt um so scharfer zutage ti'eten.
Bis zu dieser Sicherheit sind wir noch nicht vorgedrungen, Wir beherrschen das
19. Jahrhundert noch nicht; es beherrscht zum grofien Teil uns. Sein Geist, selbst da,
wo er dem unsern entgegensteht, wirkt noch fort. Will aber jene Musik, die sich seit
drei Jahrzehnten emporringt, notwendiger Ausdruck unserer Zeit sein, so mufi sie auch
fahig sein, diese Zeit restlos auszufiillen, so mufi — andersherum gesagt — diese Zeit
sich mit all dem, was sie auszudrucken hat, in ihr restlos ausgedriickt sehen. Die
neue Musik wird beweisen miifien, dafi sie Kraft genug hat, um zu einem neuen Horen
erziehen zu konnen; dafi sie stark genug ist, um zu einer Betrachtungsart der Musik
zu zwingen, die sie zum Mafistab nimmt. Vorlaufig liegt der Fall immer noch umge-
kehrt: die moderne Musik wird unter Voraussetzungen gehort, die das 19. Jahrhundert
schuf, d. h. die neue. Musik hat sich in ihrer Zeit noch nicht geniigend sicher auf ihre
Fiifie gestellt, um von sich aus die neuen Mafistabe diktieren zu konnen; sie unterliegt
vielmehr immer noch einer Kritik durch die vergangene Epoclie.
Wir hoffen auf die durchgreifende Umgestaltung unserer Musikanschauungen durch
die neue Musik.
Alfred Baresel (Leipzig)
KUNST-JAZZ
Der Streit um den Gebrau chs- Jazz dxirfte mit den Frankfurter Vorstofien
und den schlecht orientierten Gegenstofien Hohepunkt und Abschlufi erreicht haben. lch
sehe in den staubaufwirbelhden Erlassen des Frankfurter Jazz-Konservatoriums nicht
kunst-JAZZ 355
mehr uiid nicht weniger als den ersten, sehr notwendigen Versuch, die Kontrolle iiber
eine uns schliefilich wesensfremde, aber nicht mehr wegzuraumende Unterlialtungskunst
in die Hande verantwortungsbewufiter Musikinstanzen zu legen. Mag die Produktion des
Gebrauchsjazz getrost anderen, weniger belasteten Musiklandern iiberlassen bleiben.
(Ein genialer Jazz-Schlager deutscher Herkunft fehlt bisher). Aber Auswahl und Uber-
wachung der Ausfiihrung kommt nicht den Musikunternehmern oder Kaffeehausbesitzern,
sondern den Kulturtragern im Lande zu.
Die musikalisch wichtigere Frage aber ware die, wieweit der Gebrauchsjazz bereits
seinen Niederschlag in der Kunstmusik gefunden hat, und ob an eine neue,
importierte Art der Gebrauchsmusik die namlichen Hoffnungen zu kniipfen sind, wie sie
sich in fruherer Zeit durch Beeinflussung der Meistermusik erfiillt haben.
Hierbei ist wohl am wenigsten von den neuen Musik-Formen, die uns der
Jazz in bestimmten Typen des Gesellschaftstanzes brachte, zu erwarten. Denn die neuen
Tanze kommen viel eher aus sportlicher, denn musikalischer Phantasie. Man mag bei
einem Beethoven-Menuett heute noch von lriinsderisch-choreographischen Vorstellungen
befallen werden — bei einem Foxtrot kaum. Die einzelnen Typen der Step-Tanze
unterscheiden sich nur durch sporrliche Varianten des Rhythmus, ein Ausschwingen
rhythmischer Phantasie zur Schaffung unterschiedlicher Formen ist nicht statthaft. Die
wertvollste Tanzform des Jazz, der Tango — der Gebrauchsjazz hat ihn bereits rhythmisch
verdorben — stellt uberdies in der Kunstmusik keine Neuerung dar, sondern ist bereits
in der Habanera in Bizets Carmen erprobt.
Trotzdem haben zahlreiche Komponisten versucht, diese Tanzformen in eine hohere
Sphare zu heben und sie zur Suite oder Partita im alten Sinne zu sammeln. Dabei
wird die geringe Gegensatzlichkeit einzelner Tede meistens durch karikierende oder
virtuose Zutaten erhoht. Es sind vor allem zu nennen: Hindemiths Suite 1922,
Schulhoffs Partita und Etudes de Jazz, Gruenbergs Jazzberries, Milhauds Rag-
Caprices, die Tanzpantomime „Baby in der Bar" von Grotz.
Neben dieser unmittelbarsten Kunstanwendung des Jazz zeigen sich aber auch
schon die wichtigeren Bestrebungen, die neuen innermusikalischen Werte des Jazz aus
den selbstgeschaffenen Formen zu losen.
Der „Jazzkonig" Paul Whiteman, einer der grofiten Verderber einer neuen Musizier-
Idee, gibt selbst zu („Jazz by Paul Whiteman and M. Mc. Bride" — New York), dafi es
Europa vorbehalten war, die Moglichkeiten der amerikanischen Schopfung zu entdecken.
Diese Moglichkeiten liegen in der neuen Ens emble-Struktur , in der Bhythmik
und Harm onik. Urn mit dem letzteren zu beginnen: die Harmonik des Gebrauchs-
jazz stellt bisher nichts Neues dar, sondern ist vollkommen im franzosischen Im-
pressionismus verankert. Die chromatischen Biickungen in Septimenakkorden haben
wir , seit Debussy — der freie Gebrauch der Septime im Schlufiakkord geht sogar
schon auf Schumann (Kinderszenen) zuriick. Quarten-Vorliebe entspringt ebenfalls dem
Impressionismus.
Wohl aber kann sich aus der Stimmfiihrung des neuen Ensemblesatzes eine neue
Harmonik horizontal ergeben, wie die zahlreichen Komponisten des „Kunstjazz" be-
reits bewiesen haben. Dieser neue Ensemblesatz des Jazz erscheint (neben der rhyth-
mischen Bevolutionierung der melodieseligen Bomantiker) als das Wichtigste an der
356 ALFRED BARESEL
Importware. Die kammermusikalische Lichtung des „grofien Orchesters" durch die
Wagner-Antipoden und die Ablosung des „vollbesetzten Ballorchesters' - durch die Jazz-
bands begegneten einander, und damit trafen sich antirornantischeBesetzungsbestrebungen.
Beide Parteien brachten Befreiung vom Klangrauscli, Bewertung des Orchester-Solisten
gegeniiber der -Gruppe, und damit eine neue Satzkunst, die dem polyphonen Stile
wieder zuneigte. Man kann diese neuartige Jazz-Kontrapunktik — sie besteht in
spontanen Zwischenbemerkungen und kurzen Themenumdeutungen der Gegeninstrumente
anstelle ausgefiihrter Gegenlinien — sehr wohl den aphoristischen, rhythmischen und
metrischen Themenverarbeitungen eines Strawinsky u. a. vergleichen. Kein Wunder also,
dafi uns Strawinsky neben Milhaud — Satie ist mit seinen ironischen Tanzstiicken
nicht durchgedrungen — als der erste Vertreter des Kunst-Jazz gilt; wobei dahingestellt
bleiben mufi, ob eine so hochentwickelte Form des kammermusikalischen Musizierens,
wie sie sein Bagtime fur 1 1 Instrumente oder das Blaser-Oktett brachte, nicht vollig un-
abhangig vom Jazzensemble zu betrachten ist.
Was Strawinsky hier zum Jazzmusikanten rriachte, war die Bhythmik; die Debussy
schon vor der Invasion der „schwarzen Schmach" in seinen Bagtimes brachte, die bei
Strawinsky zum grofien Teil elementar-russischen Ursprungs war.
Der Jazz, wie er aus Amerika zu uns kam, war jedenfalls bereits mannigfach
durchsetzt mit Elementen der neueren Kunstmusik, namentlich der franzosischen. Selbst
sein eigenartigstes Instrument, das Saxophon, ist franzosische Erfindung. Es verbleibt
ihm das Banjo, das von untergeordneter Bedeutung ist. Und seine ureigenste Wesens-
art, wie sie sich in den Negerspirituals offenbart, ist durch naiv-empfmdsame Melodik
und ubersynkopierte Bhythmik hinreichend bezeichnet. Das Motorische, das man ihm
nachruhmt, der stampfende Bhythmus unterhalb der Synkopen, findet sich ebensowohl
in Strawinskys und Bartoks Hinstreben zur heimatlichen Folklore. Der Kreis schliefit
sich, indem die namliche eindeutige Bhythmik von beiden Meistern als Neuklassizismus
von den taktfesten Alten abgeleitet wird.
Der Jazz hatte also das grofie Gluck, sich in die Bestrebungen der europaischen
Kunstmusik folgerichtig einzufiigen, ohne mehr als die weitgehende Nutzanwendung
der Synkope und eine eigenartige Satztechnik — wahrscheinlich einer, wennschon genialen,
Behelfsmafinahme in der Instrumentalbesetzung entsprungen — als Neuheiten aufweisen
zu konnen. Denn schon ist seine angeblich durchweg antiromantische Tendenz nicht
mehr zu belegen, nachdem wir die melodische Nigger-Sentimentalitat richtig kennen-
lernten — die uns freilich durch ihre naiv-religiosen oder eindeutig-erotischen Hinter-
griinde gegeniiber dem iiberkomplizierten Seelenerlebnis der deutschen Bomantik auf-
frischend anmutet.
Die genannten Eigenwerte des Jazz waren also, wenn auch begrenzt, doch urkrfiftig
genug, um sofort in die Kunstmusik in einer Zeit vielfachen Laborierens Eingang zu finden.
Die Ablosung der Jazz-Elemente vom Gesellschaftstanz und den Gebrauchsformen ist
vielfach bereits durchgefuhrt.
Noch in Anlehnung an bestimmte Tanztypen, aber bereits in die Kunstsphare des
Balletts erhoben, zeigte sich der Jazz am friihesten in Milhauds „La Creation du
Monde" und „Le Boeuf sur le Toit", in Lord Berners „Triumph des Neptun". Einen
Biickschritt bedeutete in dieser Beziehung Kreneks „Jonny", der jazzveristisch wirkt,
*
SINFONIEKONZERT OHNK DIRIGENTEN 357
populate Tanzformen pflegt — allerdings audi schon eine organische Verschmelzung
von Jazz- und Opernmusik in einer bis dahin nicht beobacliteten Art erreicht. Sein
Blues entvvickelt sicb aus dem Ewigkeitsruf des Gletschers, welcher Oper im romantiscben
Sinne reprasentiert ! Trotz einigen unidealisierten musikalischen Tanzphotographien er-
scheint mir deshalb der Jonny bisher als der bedeutungsvollste Versuch, Jazzelemente
der europaischen Tonsprache zu verweben.
Durchweg absoluter im Gebrauch des Jazz wirkt aber Kurt Weill, der Tanz-
Assoziationen vollig uberwindet. In „Royale Palace" ruht ein Chorsatz auf Tango-
rhythmen, in „Mahagonny" wird der Niggersong niusikaliscb.es Ausdrucksmittel der Bert
Breschtschen. herausfordernd ubersteigerten Phantasiewelt, im „Zaren" dienen die absoluten
Jazz-Rhythmen der Typisierung eines Lebe-Fiirsten. (Auszunehmen ware hier der Gram-
mophon-Tango, der wie das entsprechende Stiick im „Jonny" in spezieller Form der
Unterhaltungsmusik zur Liebesbetorung verwendet wird. Hier erst treten im Zar die
typiscben Jazz-Instrumente in Aktion).
Ein interessanter Beitrag zur Naturgeschichte des Jazz bietet sicb schliefilich in
Rezniceks Indian eroper „Satuala" wo der Charakter der heutigen Gebrauchsmusik
vollig abgestreift wird und statt dessen durch Nachempfindung von Naturaufnahmen
folldoristische Bindungen auf'gedeckt werden sollen. Reznicek leitet die Grundelemente
des Jazz aus der sudamerikaniscb-indianiscben Folldore (mit spaniscbem Einscblag) her,
von der ihm einige Proben vorgelegen haben mogen. Eine einwandfreie ethnographische
Bedeutung kommt seiner Eingeborenenmusik indessen kaum zu.
Man kann nach alledem sehr wohl von einem aufiergewobnlich stark en Ein-
flufi des Jazz auf die europaische Kunstmusik der letzten Jahre sprechen. Es wird
sich aber, wie gesagt, nicht darum handeln konnen, einen „Kunst-Jazz" innerhalb der
Musik als vielleicht gar provozierendes Sondergebiet zu pflegen, sondern seine neuartige
Satzkunst, den neuartigen Klang und vor all em die unfeierliche, tiberbetonte Rhythmik
der europaischen Musik zu assimilieren. So mag der Jazz vom Volksgeschmack her
der Kunstmusik neue Mittel bieten, wie sie zur Lichtung des Satzes, zur Entfettung der
iiberernahrten Nachromantiker-Harmonik, zur Klarung der vielfach esoterisch gewordenen
Musik langst von iiberallher — und gerade auch aus der internationalen Vobismusik —
aufgenommen wurden.
Ernst Latzko (Leipzig)
SINFONIEKONZERT OHNE DIRIGENTEN
1.
Zunachst einige Tatsachen zur Orientierung. Das Leipziger Sinfonieorchester, das
als erstes in Deutschland den Versuch gemacht hat, ein Sinfoniekonzert ohne Dirigenten
zu geben, spielt im Leipziger Musikleben — in Oper, Konzert und Rundfunk — eine
wichtige Bolle. In der Oper zur Vertretung des Stadtischen Orchesters berufen (vor
allem an den Abenden, an den en dieses im Gewandhaus beschaftigt ist), tritt es in
den „Phdharmonischen Konzerten", die heuer unter der Leitung Scherchens und Labers
standen, als bedeutsamer Konzertfaktor in Erscheinung und eine Aufgabe von besonderer
358 ERNST LATZKO
Wichtigkeit ist ihm ini ,,Mitteldeutschen Rundfunk" gestellt, wo es samtliche orchestralen
Veranstaltungen ernsten Charakters bestreitet. Durcli diese Mannigfaltigkeit der ihm
gestellten Aufgaben, durch die Notwendigkeit, unter sehr vielen und sehr verschiedenen
Dirigenten zu spielen, ist dieses Orcliester im Hinblick auf die kurze Dauer seines Be-
stehens zu einer erstaunlichen Routine und Anpassungsfahigkeit gelangt, die fur den
Mangel letzter technischer und klanglicber Vollendung, fur nicht ganz zureichende
Besetzung in einzelnen Stimmen wohl entschadigen konnen. Alle diese hier angefuhrten
Momente sind fur die Wiirdigung des Folgenden von Bedeutung. Dieses Orcliester
veranstaltet also einen Beethoven-Abend (Eroica, Violinkonzert mit Gustav Havemann
als gefeierten Solisten, Egmont-Ouverture) und spielt dieses Programm ohne Kapellmeister
1.
Ruckbildung oder Forts chritt ? Wiederkehr zu Formen des Orchesterspieles, die
iioch vor hundert Jahren gang und gabe waren oder weiteres Vordringen des Sach-
lichkeitsgedanken, der eine Individualitat zugunsten eines zeitgemafien Kollektivismus
einfach von der Tagesordnung streicht? Diese prinzipiellen Fragen verlangen Klarung.
Der Taktstock-Dirigent ist keine sehr alte Erscheinung der Musikgeschichte. Die
musikalische Leitung vom Cembalo aus, die Direktionsart des Generalbafizeitalters, die
Leitung vom ersten Geigenpidt aus, die mit dem Schwinden der Herrschaft des General-
basses aufkam, endlich ihre Vereinigung in der Doppeldirektion, bei der Cembalist
(Kapellmeister) und Vorgeiger (Konzertmeister) gemeinsam die Leitung ausubten,
alle diese Formen kommen noch in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts vor,
wobei der maestro al cembalo in der Oper, der Konzertmeister in Kirche und Kammer
die Hauptrollen spielten. Es ist ganz gut, sich vor Augen zu halten, dafi — um nur
die prominentesten Dirigeiitenpersonlichkeiteii jener Zeit zu nennen — der Taktstock
in Dresden erst 1817 von C. M. von Weber eingefuhrt wurde, im gleichen Jahre von
Spohr in Frankfurt, im Gewandhaus gar erst von Mendelssohn im Jahr 1835, dafi die
beriihmten Konzerte des Pariser conservatoire, von denen Bichard Wagner erzahlt, sie
hatten ihm das Verstandnis der Beethovenschen Sinfonien erschlossen, noch damals —
also im Jahr 1840 — von Habeneck vom ersten Geigenpult aus geleitet wurden. In
alien diesen Fallen handelte es sich darum, dafi das Orcliester zwar nicht ohne Dirigenten
spielte, dafi diese Direktion aber nicht wie heute von einem nur mit dieser Aufgabe
Betrauten sondern von einem Instrumentalisten zu seiner Tatigkeit am Cembalo oder
an der Geige dazu ausgeiibt wurde. Die Erinnerung an diesen Zustand liefi den Ge-
danken aufkommen, dafi audi das Konzert des Leipziger Sinfonieorchesters in Wirklich-
keit nicht ohne Dirigenten, sondern nur ohne Taktstockdirigenten gespielt werden wurde,
unter der Leitung eines Orchestermitgliedes, wahrscheinlich des Konzertmeisters, der
als primus inter pares die Funktionen des Kapellmeisters nebenamtlich aus-
fiihren wiirde. Davon liefi aber der Verlauf des Konzertes nicht das Geringste erkennen.
Zu Beginn nur ein hoheres Heben, eine etwas markantere Bewegung des rechten Ellen-
bogens von seiten des Konzertmeisters — nicht auffallender als die Anfangsbewegung
des Primarius eines Streichquartettes — und wie ein Mann setzt das ganze Orchester mit
den beiden Anfangs-Tuttiakkorden der Eroica ein. Im weiteren Verlauf vollziehen sich
alle Tempoveranderungen mit einer Reibungslosigkeit, erfolgt jeder Wechsel der Dynamik
PS
SINFONIEKONZERT OHNE DIRIGENTEN 359
mit einer Selbstverstandlichkeit, dafi man bei diesem fiihrerlosen und doch so dis-
ziplinierten Musizieren wirklich den Eindruck einer in hohere Potenz gehobenen Kammer-
musik hat. Am iiberzeugendsten nach dieser Richtung wirkte der dritte Satz in der
Gegeniiberstellung von Scherzo und Trio nnd das Finale mit seinen drei verschiedenen
Zeitmafien und den durch die zahlreicben Fermaten bedingten Unterbrechungen des
musikaliscben Flufies.
Ergaben sicb also keine Ankniipfungspuiikte an die Vergangenheit orchestraleii
Musizierens, so lag die zweite Erwagung nahe, in diesem Konzert einen in die Zukunft
weisenden Versuch zu erblicken, den Versuch, die heute sozusagen in der Luft liegenden
Bestrebungen auf Unterdruckung jeder iibersteigerten individuellen Regung in der Kunst
zu einer Unterdruckung der Person im Orcliester uberhaupt zu verdicbten und die
Uberfliissigkeit des Kapellmeisters, der dem Kollektivbegriff Orcliester gegeniiber ent-
scbieden die Individualitat darstellt, iiberzeugend zu demonstrieren. Aber audi nach
dieser Richtung hin vermochte das Experiment nicht zu iiberzeugen. Dazu hatte zu
allererst ein Programm gehort, das von dem Orcliester noch nie unter einem Dirigenten
gespielt worden ist, bei dem also jede bewufite und unbewufite personliche Be-
einflussung von vorneherein ausgeschaltet war. Aber audi die Mangel, die der Aus-
fiihrung des Konzertes in interpretativer Hinsicht entschieden anhafteten, konnten un-
moglich den Beweis dafiir erbringen, dafi unsere Zeit schon reif sei fur eine ganzliche
Abschaffung des Dirigenten. Dafi die nur vom Individualtatsbewufitsein diktierte, nicht
aus dem Werk heraus geborene Nuance in dieser Ausfiihrung fehlen mufite, ist in
unserer Zeit der Sachlichkeit eher als Vorzug zu empfinden gewesen. Dagegen mufiten
die ungewollten Modinkationen, das Eilen in den raschen Satzen, noch mehr die
Verschleppung und zahfliissige Unbelebtheit des Trauermarsches, dem Horer die Ge-
wifiheit geben, dafi der Dirigent vorlaufig und bis auf weiteres wenigstens zu den not-
wendigen Ubeln gehore.
2.
Alle diese Bestrebungen — weder die nach ruckwarts noch die nach vorwarts
gerichteten — lagen audi bestimmt nicht in der Absicht des Orch esters, als es sein
Experiment wagte. Darum ist es richtiger, alle Problematik beiseite zu lassen, sicb
nicht um Gegensatze zwisclien Individuahsmus und Kollektivismus, Personlichkeit und
Sachlichkeit zu kummern, keine Versuche zu unternehmen, Briiclcen zur Vergangenheit
oder Zukunft zu schlagen und sich die Frage vorzulegen, welche Bedeutung der Versuch
fur die Gegenwart hat und welche Folgerungen die jetzige Zeit daraus zu ziehen hat.
Nach dem Grunde dafiir ist zu suchen, dafi dieses gute aber keineswegs prominente
Orcliester gerade in diesem Konzert — von den schon erwahnten interpretativen Mangeln
abgesehen — zu einem ungleich kidtivierteren Zusammenspiel gelangte als unter der
Fiihrung eines Dirigenten, dafi in technischer und klanglicher Hinsicht sonst nie er-
reichte Hoheprinkte zu verzeichnen waren.
Zwei Momente sind hier von ausschlaggebender Bedeutung. Das erste ist psycho-
logischer Natur und betrifft die Verteilung der Verantwortlichkeit zwischen den an
der Ausfiihrung eines Orchesterwerkes beteiligten Faktoren. Wahrend in der General-
bafizeit das Selbstandigkeitsgefiihl des Orchestermusikers aufs hochste gestiegen war,
360
ERNST LATZKO
das demokratische Prinzip in der Kapelle schon rein auGerlich dadurch gekennzeichnet
war, dafi auch der Kapell-„Meister" wie alle anderen an einem Instrument safi, hat sich
seit Einfiihrung der Taktstockdirektion das Verhaltnis in der Verteilung der Verant-
wortung unter Orchester und Dirigent unaufhaltsam nacli deni letzteren hin versclioben.
Aus einer Demokratie wurde das Orchester eine absolute Monarchie, nicht selten eine
Diktatur. Diese Entwicklung hatte bei den Dirigenten das heute leider so oft zu beob-
achtende Auftreten von Grofienwahn zur Folge und ziichtete den nicht genug zu be-
kampfenden Typ des Dirigenten-Stars. Auf der anderen Seite mufite das Gefiihl, be-
standig gegangelt zu werden, bei dem Orcbestermusiker natiirlich zu einer Abstumpfung,
zu einem progressiven Schwinden des Verantwortungsgefiihles fiihren. Aus diesem
Grand kann der psychologische Wert dieses dirigentenlosen Konzertes nicht hoch genug
veranschlagt werden, weil es dem Orchestermitglied das far eine kiinstlerische Leistung
unumganglich notwendige Bewufitsein des „Nur auf mich Ankommens" wiedergab.
Das zweite Moriient, das diesem Ereignis prinzipielle Bedeutung verlieh, ist tech-
nischer Art und betrifft die durch das Fehlen eines Leiters bedingte besondere Vor-
bereitung. Verhehlen wir es uns nicht, dafi die Einfliisse der jiingsten Vergangenheit,
unter denen der iibersteigerte Personlichkeitswahn <ler Dirigenten und der fabrikmafiig
gestaltete Konzert-Grofibetrieb die Hauptrolle spielen, das Orchestermusizieren zu einem
mehr oder minder grofizugigen Improvisieren gestaltet haben, bei dem das Gelingen
der Boutine des Orchesters, dem Genie des Dirigenten, der Stimmung des Abends und
nicht zum geringsten Ted dem Zufall iiberlassen bleibt. Natiirlich ware es falsch, auf
die eben genannten Momente verzichten und sie nur durch Arbeit ersetzen zu wollen.
Ein mechanisches, uninspier'iertes Musizieren ware die notwendige Folge. Aber ebenso
falsch ist das andere Extrem, die irn Orchester eben unerlafiliche Arbeit zu vernach-
laftigen, an die Stelle des Ordentlichen das Aufierordentliche zu setzen. Denn dieser
Weg hat zu der sehr beliebt gewordenen Grofiziigigkeit gefiihrt, die man hesser Schlam-
perei nennt.
Dieses Konzert, in dem man trotz offensichtlicher Mangel in der Interpretation zu
einem qualifizierten Musizieren gelangte, konnte den vorurteilsfreien Horer dariiber
belehren, was intensive Probenarbeit zu leisten vermag. Ware das gleiche Konzert
unter Leitung eines Dirigenten gestanden, so ware dazu eine (vielleicht auch gar kerne)
Probe gamacht worden, in der das Programm durchgespielt worden ware und Diri-
gent und Solist ihre „Auffassung" durchzusetzen sich bemiiht hatten. Jedes Mehr
an Probenarbeit — wenn es sich iiberhaupt hatte ermoglichen lassen — ware als
uberfliissige Belastung empfunden worden und hatte durch diese negative psycholo-
gische Wirkung vielleicht mehr geschadet als genii tzt. Der Wegfall des Dirigenten
hat diese Hemmungen in der Psyche des Orchestermusikers beseitigt, ihm das Gefiihl
der Notwendigkeit und damit die Freude an. der Probe wiedergegeben. So gelangte
man zu einer Selbstdisziplinierung, die die von einem Vorgesetzten aufoktroyierte
Disziplin an Wirkung iibertraf. So durfte man sich an der Einheitlichkeit des
Lagenspiels, der Stricharten, der Fingersatze, an der Gleichmafiigkeit des Atmens
erfreuen und dabei feststelleti, dafi solche technische „Nebensachlichkeiten" oft zu einer
iiberzeugenderen Phrasierung fiihren als personliche Auffassungen und individuelle
Nuancen.
SINFONIEKONZERT OHNE DIRIGENTEN 361
3.
Orchester wie Dirigenten sollten die Lehren dieses Konzertes beherzigen und
ihre Folgerungen daraus ziehen. Durcli eine Art Selbstbesinnung ist der Weg zu einer
im heutigen Grofibetrieb unwiederbringlich verloren geglaubten Orchesterdisziplin, zu
dem seit einem Jahrhundert immermehr geschwundenen Verantwortlichkeitsgeftihl des
Orchestermusikers wiedergefunden worden. Moge er nun audi begangen werden! Wenn
die anderen Orchester sich entschliefien konnten, das tapfere Beispiel der Leipziger
nachzuahmen und von Zeit zu Zeit neben ihre'r gewaltigen Arbeitslast die Miihen eines
solcben dirigentenlosen Konzertes auf sich zu nehmen: das Niveau des r Chester -
spieles wurde sich in ungeahnter Weise he ben, das Orchestermitglied wurde
aus einem „mehr oder weniger einsichtigen Werkzeug - ' (Berlioz, Instrumentationslehre)
wieder zu einem selbstandigen verantwortungsbewufiten Musiker werden.
Selbstbesinnung ist aber auch die Lehre, die aus dem Experiment der unbeteiligte
Dirigent ziehen sollte. Eine sprunghafte, ubersturzte kunstlerische wie soziale Entwick-
lung des Berufes war wohl geeignet, seinen Tragern die Kopfe zu verdrehen. Wenn
noch im Jahre 1785 in Neapel ernsthaft die Frage diskutiert wurde, ob der Kapell-
meister zu den Handwerkern (nicht kiinstlerisch) zu rechnen sei, so dart' er sich heute
einer diktatorischen Macht erfreuen, fiir deren militarisches Geprage der „Generals"-
Titel als passendes Korrelat gefunden werden mufite. Wurde einst die Ara des Sangers
von der des Instrumentalisten abgelost, so muftte diese wieder dem Zeitalter des Diri-
genten weichen, dessen Selbstbewufitsein, Eitelkeit und Beklamesucht die Primadonna
von einst in den Schatten stellt.
Aber es mehren sich die Anzeichen, die nur im Sinn eines bevorstehenden Diri-
genten-,, Abb aues" gedeutet werden konnen. Dahin gehort die Abkehr von den Biesen-
Orchestern der letzten Bomantik und die immer haufigere Bevorzugung von kammer-
musikalischer, solistischer Besetzung, die selbstandige Orchesterspieler voraussetzt, dahin
gehort das Wiederaufleben der Oper, die — im Gegensatz zum Musikdrama — ihre
Triebkrafte zuerst aus vokalen, nicht aus instrumentalen Quellen schopft und daher
Sangerindividualitaten von Format verlangt, die nicht der Vergewaltigung durch einen
monomanisch veranlagten Kapellmeister unterliegen, dahin gehoren schliefilich die Be-
strebungen nach einer neuen Sachlichkeit, welche die aus der Bomantik stammende
Ubersteigerung des Ausdrucks wieder in die Ausmafie der Klassik eindammen mochte
und daher alien allzupersonlichen Interpretationsgeliisten moderner Dirigenten erfolgreich
entgegenwirken. Und zu diesen Anzeichen gesellt sich nun als drohendstes Menetekel
das Sinfoniekonzert ohne Dirigenten, das dem Star-Dirigenten hoffentlich die Augen
iiber die alleinseligmachende Wirkung seiner Personnlichkeit offnen wird.
So sind in diesem ersten Versuch Keime enthalten, die - richtig gedeutet und
gepflegt - nach zwei Bichtungen hin Friichte tragen konnen und tins hoffentlich wieder
zu einem gesunden und kultivierten Orchestermusizieren fiihren, in dem Personlichkeit
der Begabung und Sachlichkeit der Ausfuhrung zu idealem Verhaltnis^ gepaart ersch einen.
362 OSKAR GUTTMANN
Oskar Guttmann (Breslau)
WAS HEISST UND ZU WELGHEM ENDE VERANSTALTET
MAN EIN MUSIKFEST?
Ein Epilog zum 20. Schlesischen Musikfest in Gorlitz. ] )
Nach langem Schwanken, nach mizahligen Malen Durchlesen des dreitagigen Musik-
festprogrammes entschliefit man sich, niclit hinzufahren, sondern die freuudlichst zuge-
stellte Pressekarte mit'bestem Dank zuriickzuschicken.
Welchen Sinn haben Musikfeste, vorausgesetzt, dafi sie uberhaupt noch einen Sinn
baben ?
Denn: sie haben natiirlich beute kaum noch einen Sinn. Solche Feste sind fur
die Besucher eine recht kostspielige Sache, das braucht weiter nicht ausgefiihrt zu werden.
Es ist das also eine Angelegenheit der ganz diinnen Schicht des Volkes, die sich audi
sonst den Genufi von Komerten und Theater leisten kann. Diese dxinne Schicht der
Begiiterten kann aber ebenso nach der Provinzialhauptstadt (wie hier Breslau) fahren,
das kostet dasselbe Geld. Das kann also gemacht werden und wird auch gemacht, ob-
jektiv gesehen braucben diese Leute kein Musikfest. Nur subjektiv brauchen sie es;
denn man will doch einmal ganz unter sich sein: in so eiiier gro^en Stadt weifi man
ja wirklich niemals, neben wem man sitzt.
Die grofie Masse des Volkes, die einem Fest erst einen wirklichen Sinn gabe, ist
von solchen Dingen leider ganz ausgeschlossen und bleibt draufien. Ein Musikfest
hat ein Voksfest zu sein, kein gesellschaftliches Ereignis, kein Untersichsein derer,
die ,,bedeutend sein" mit „wohlhabend sein" gleichsetzen. Diese Zeiten sind vorbei, eine
Gemeinschaftskunst, ein Gemeinschaftstheater ist im Werden. Solche Musikfeste wie
dieses „Schlesische" ragen petrefaktisch in eine ganz anders gewordene Zeit hinein, und
sind uberflussig geworden; vieUeicht sogar schadlich.
Aber, vorausgesetzt, dafi Musdcfeste also noch einen Sinn haben konnen, welchen
Sinn hatten sie dann ?
Doch nur den ganz selbstverstandlicheu, zwar kein gesellschaftliches, aber ein
musikalisches Ereignis zu sein. In dem Prospekt von Gorlitz las man : „Die nationale
und besonders die internationale Musikpflege, namentlich soweit sie umkampfte Werke
der neueren Zeit darbietet, iiberlassen wir neidlos den grofien Musikzentren." —
Neidlos. Und weiter: „Die Programme der Schlesischen Musikfeste waren in ihrem
Kern immer auf die Meisterwerke der letzten 200 Jahre gegriindet." Aber gewifi, das
sah man dem Programm von 1928 etwas reichlich an.
Man begann am ersten Abend mit der Orgeltoccata von Joh. Seb. Bach, und da
nichts besseres zu Bach pafit als Beethoven, liefi man dem Orgel- ein Opernstiick
folgen, die zweite Leonorenouverture. Zu Beethoven wieder gehort Mozart, man spielte
ein Klavierkonzert, und zu dem Osterreicher Mozart gehort der Dsterreicher Bruckner
(Siebente Sinfonie). Der Horer wurde durch ein solches Potpourriprogramm von einer
Stimmung in die andere geworfen, von irgend einem festlichen Stilwillen eine Einheit
zu bieten, war keine Bede. Noch schlimmer eigentlich der zweite Orchester abend.
J ) Wir bringen diesen Aufsatz gerade in diesem Heft, das einem auf Produktivitat und Zeitbejahung
eingestellten Musikfest dient. Die Schriftleitung.
DER TEMPEL DER SYMPHONIE 363
Zuerst ein Vertreter der Lebenden, Richard Straufi' „Don Juan" begatin; ihm
folgte das Brahmssche Doppelkonzert, diesem die C-dur Sinfonie Schnberts (wohl wegen
des Schiibertjahres) und dann — ja. das letzte ist nicht glaublich. dami wird der Chor
hinaufgestellt und alle singen, nicht etwa das Deutschlandlied (Haydn ist nicht beliebt),
sondern das Hallelujah aus dem „Messias" von Handel. Vielleicht aus Freude, dafi es
nun aus ist. Solche Geschmacklosigkeiten sollen festgehalten werden.
Dazwischen gab es, wogegen nichts einzuwenden, die Bach'sche h-moll Messe. Aber
mit einem Chor von (reklamehalber wurde es grofi verkiindet) 650 Menschen. Jedem
mit Bach vertrauten Musiker mufi es absurd erscheinen das Bach'sche Werk mit dieser
Masse aufzufuhren. Dazu ein niehr als mittelmafiiger Dirigent. Nuri, es mag danach
gewesen sein.
Ein solches Musikfest kann natiirlich nicht den musikalischen Sinn haben durch
Potpourriprogramme eine Ubersicht uber die Musikgeschichte von 1700 bis 1900 zu
geben, sondern eine solche besondere fesdicbe Veranstaltung mufi Besonderes bieten,
sie mufi vor allem Werke der Zeit zur Auffiihrung bringen. Hier muB
man eben das horen, was man sonst nicht hort, sonst bleibt es eine Vereinsangelegen-
heit. Daran sind ja beispielsmafien die Musikfeste des Allgemeinen Deutschen Musik-
vereins fast zu Grunde gegangen; hier hat man sich doch noch besonnen und kommt
vielleicht langsam wieder in die Hohe. Anschlufi an die Zeit ist zu suchen, selbst auf
die Gefahr hin, dafi die Grofiagrarier der landlichen Umwelt, die alten Herren und die
bejahrteren Kranzchenschwestern und Stiftsdamen nicht mehr kommen. Dafiir aber
wird die Jugend kommen, der die Gegenwart und die Zukunft gehort —
wenn man eben wirklich immer noch das Bedurfhis nach Musikfesten hat. Die Zeit
fiir solche Dinge scheint aber vorbei.
"Wir haben heute andere Hoffnungen und andere Ziele.
Hans Mersmann (Berlin)
DER TEMPEL DER SYMPHONIE
Auf den Hohen von Baden-Baden soil ein Festspielhaus zur Pflege der deutschen
Symphonie entstehen. Der Gedanke geht auf einen Plan des Munchener Architekten
Ernst Haiger zuriick, der damit schon 1910 an die Offentlichkeit trat. Kurz vor dem
Kriege wurde ein Verein zur Verwirklichung dieses Gedankens gegriindet, der jetzt als
„Verein Symphoniehaus E. V." eine Reihe von Aufrufen verteilt. Der Inhalt dieser Auf-
rufe ist grundsatzlich so bedeutungsvoll, dafi hier zu einigen ihrer Gedanken Stellung
genommen werden mufi.
„Was immer an symphonischen Meisterwerken geschaffen worden ist und noch
geschaffen werden mag, wie audi die Chorwerke der grofien Meister, von Joh.
Sebastian Bach an bis auf unsere Tage: sie sollen in alljahrlichen Festauf-
fuhrungen dort ihre gemeinschaftbildende Kraft bewahren." ') Diese Worte spricht
Gerhart Hauptmann im Namen des Yereins.
Man konnte Verschiedenes gegen diese allgemeine Formulierung des Gedankens
vorbringen. Man konnte von aufieren und praktischen Bedenken ausgehen, von Uber-
') Die Sperrungen dieses Satzes sind aus dem Aufruf iibernommen.
364
HANS MERSMANN
s&ttigung unserer Zeit mit Musikfesten, welche in der Pflege der Symphonie teilweise so
Hervorragendes leisten, dafi schon eine Ebenbiirtigkeit des neuen Unternehmens durch-
aus nicht unbedingt garantiert ware. Warum sollen die Orchester der Hauptstfidte,
(denn urn diese miifite es sich doch wold handeln) nach Baden-Baden geschickt werden,
um dort eine Beihe von Symphoniekonzerten zu geben, die sich in jedem Fall nur an
ein besonders zahlungskraftiges Publikum wenden konnen? Man denkt dabei an die
Reisen des Berliner Philharmonischen Orchesters, das unter Furtwangler Symphonie-
konzerte von hervorragendster Qualitat in mittleren Provinzstadten vor allem denjenigen
zuganglich macbt, 1'iir welche eine Beise nach Baden-Baden nie in Betracht karm.
So bleibt der Gedanke selbst. Mag er aus der Lage 1910 noch verstandlich er-
scheinen, heute liegt er mis ferner als je. Wagners Festspielgedanke war ein Ausdruck
seiner Zeit. Heute konnte die Errichtung einer symphonischen Gralsburg nur von den-
jenigen propagiert werden, welche sich in die Situation von 1870 zurucktraumen mochten
und vor dem Atem und den Forderungen der Zeit die Augen schliefien. Fiir die
romantische Idee einer Pilgerfahrt zum Kunstvverk liegt keine Notwendigkeit mehr vor.
Aber der Verein Symphoniehaus hat noch eine andere Seite. „Von Bach an bis
auf unsere Tage", sagte Gerhart Hauptmann. Diesem Aufruf liegt noch ein
zweiter bei, der von Richard Benz verfafit ist. Und da heifit es: „Tempel heifit
Grenze; Tempel-Bauen nichts anderes, als heilige Grenzen setzen. Es hatte wenig
Sinn, der Musik nur ein aufierlich weihevolleres Haus zu errichten, wenn es unter-
schiedslos allem dienen sollte, was musikalisch geschaffen worden ist und noch geschaffen
wird - der Bezirk des Heiligen mufi vor allem hinsichtlich der ¥erke, die hier
sprechen sollen, streng und rein gewahrt werden; das aber ist nur moglich, wenn man
sich an eine grofie abgeschlossene Uberlief erung halt, iiber die nicht ein heutiger
Einzelner, sondern ein Jahrhundert das Urteil gefallt hat ~". 2 )
Deutlicher konnte das wahre Gesicht des Unternehmens wohl kaum enthullt
werden. Dieser Aufruf, der sich „an das deutsche Volk, an die musikalische Menschheit
aller Nationen, an die Glaubigen des Geists" wendet, stempelt den Tempel der Symphonie
zu einem Hort der Beaktion. Und konnte man dem Gedanken gegeniiber vorher nur
geltend machen, daft er zeitfremd in seiner romantischen Versunkenheit, sinnlos in
seinem Mangel an Notwendigkeit ist, so wird er an dieser Stelle gefahrlich, weil er sich
zu letzten Endes musikpolitischen Zielen bekennt. Der Aufruf beschrankt sich darauf,
diese Haltung in dem angefuhrten allgemeineren Satze zum Ausdruck zu bringen. Ein
weiterer Schriftsatz von Bichard Benz spricht es noch deutlicher aus. Er geht davon
aus, man konnte gegen das Unternehmen einwenden, da6 es dem Ausdruck unserer
Zeit nicht zur Geltung verhelfe. AViirde dieses geschehen, fahrt Benz fort, dann „wurde
der Begriff eines Heiligtums, das doch nur einer heiligen Uberlieferung geweiht sein
kann, sofort in sich zusammenfallen ; ganz abgesehen davon, dafi unsere neueste Musik
mit vollem Bewufitsein alle Geist- und Seelenwerte als antiquiert von der Gestaltung
ausschliefit und ihren rein profanen Willen mit wlinschenswerter Offenheit verkiindet".
Wir sind Bichard Benz fiir diese seinerseits zum Ausdruck gebrachte „wiinscliens-
weiie Offenheit" dankbar. Denn sie schafft eine klare Perspektive. Wir bediirfen eines
Tempels der Symphonie heute nicht. Wenn ein Dirigent vom Bange Furtwanglers oder
z ) Die Sperrnngen dieses Satzes sind aus dem Aufruf ubernommen.
MUSIK BE1 GRANOWSKY 365
Klemperers Beethoven auffuhrt, so ist die Kuppel, die sicli vom Klangkorper zu den
Horenden hiniiberwolbt, da und braucht nicbt erst kunstlich geschaffen zu werden.
Wenn aber ein „an die musikalische Menschheit aller Nationen und an die Glaubigen
des Geists" gerichteter Aufruf, der die Worte „Heiligtum' : und „Gemeinde" auf jeder
Zeile verwendet, sicli als eine versteckte Kampfansage gegen Fortschritt und Zukunft
erweist, so wollen wir diesen Kampf getrost aufnehmen. Denn uns ist Baden-Baden
seit dem vorigen Jahre ein Symbol der Entwicklung und nicht der Erstarrung,
Alice Jacob-Loewenson (Berlin)
MUSIK BEI GRANOWSKY
In einer herrlichen Novelle von Jizcbok Leib Perez: „Die Seelenwanderung einer
Melodie" wird besehrieben, wie aus der Weise eines frohlichen Hochzeitstanzes auf
mannigfachen Umwegen erst ein Gebetgesang, dann ein Tanzschlager, eine Opernarie,
ein Leierkastenlied und schliefilich wieder eine fromme Melodie wird.
Als Perez dies schrieb, ahnte er wohl kaum, welche Metamorphosen diese guten,
alten, traurigen, tiefen und heiteren jiidischen Lieder dereinst durchmachen wiirden.
1.
Die Musik im „Moskauer Jiidisch-Akademisclien Theater" — gleichviel, ob sie von
Achron, Pulver, Goldfaden oder ob sie Volksmusik ist — hebt sich trotz ihres neuzeit-
lichen Gewandes deutlich als judisch gegen das Russische, Orientalische, Europaische der
Theaterkunst Granowsky's ab. Was die ostjudische Volksmusik — soweit sie wirklich
echte judische Musik ist — am evidentesten von russischer Volksmusik uhterscheidet,
ist ihr religioser Ursprung, ihre auch im modernsten Operettenchanson nicht zu ver-
kennende Abstammung von der Synagogalmusik. Am deutlich sten zeigt sich diese Her-
kunft wohl in den wortelosen chassidischen Melodieen — . die, urspriinglich Erfmdung
eines Chasans (Vorsangers) oder eines Rabbi — ganz „weltlich" ins Volk eingegangen
sind. Um die Merkmale spezifisch jiidischer Musik zu bezeichnen, die von den altesten
Zeiten bis zur Gegenwart sich immer von neuem vorfinden, sei betont, dafi ihr innerster
Wesenszusammenhang in den Elementen der traditionellen Singweisen besteht, in den
Urtypen jiidischer Melodik, den sogenannten „Nigunim", ') nach denen die liturgischen
Texte gesungen werden. Ferner sei als das Einfachste, Handgreiflichste erwahnt: der
obstinate, bei aller Schwermut oft seltsam „frflhlich" wirkende Mollcharakter ; eine
monotone Umspielung weniger Tone; ihre pathetische Ausdehnung und Akzentuierung
an ganz unerwarteten Punkten ; ein plotzliches Ubergehen in marsch- und tanzartige
Rhythmen; eine unsymmetrische, oft ungegliedert- und darum unendlich-scheinende
Melodie; eine eigentumlich bewegte Art von melodischer Ornamentik ; sprechende Au-
schmiegung an Wort und Inhalt; eine ungeheuer eindringliche, oft ans Groteske grenzende
Ekstase des Ausdrucks. Und schliefilich liegt gerade in der Art der Organisation aller
dieser Momente, in ihr en Mischungs- und Bindungs-Verhaltnissen der merkwurdige Typus
einer „jiidischen" Musik.
') „Nigunim" : urspriinglich die Lesezeichen zum biblischen Urtext, die aufier ihrer interpunktierenden
Funktion noch die einer Art Notenstenographie haben.
366 ALICE JACOB-LOEWENSON
Also: alles Motivische und Thematische, was dieser Theatermusik zugrunde-
liegt, ist jiidisch; alle Lieder und Tanze sind jiidische Lieder und Tanze.
Die Entwicklungsgeschichte der jiidischen Musik — entsprechend der ganzen
Spannungskurve der jiidischen Geistigkeit, vom Ringkampf mit dem Transzendenten, iiber
die Miseren und Freuden eines volkhaft-naiven Alltags, bis zur bittersten Selbstpersif-
lage — ist hier in alien ihren Niederschlagen vertreten: vom versprengten Rezitativ
aus Bibel- und Gebetsweise, von chassidischer Kon tempi ation und Fanatik, iiber Volks-
lied und Rundtanz bis zum selbstkarikierenden Operettenschlager, und dies alles in
einer Einheit, wie sie bunter, lebendiger und konkreter kaum vorgestellt werden kann.
Diese Einheit in einer Formel unterzubvingen ist nicht leicht, da mit der letzten,
hier erreichten Phase dieser Entwicklungsgeschichte keineswegs, wie man meinen sollte,
auch eine eindeutige Seelenlage erreicht ist. Und dies hangt wieder damit zusammen,
dafi das psychische Fundament des Ostjuden — viel mehr als er selber weifi und
immer zuzugeben bereit ist — sich in komplizierten Windungen, doch in stets aus-
schlagebender Kontinuitat auf den geistigen Inhalten seiner religiosen Kulturepochen auf-
gebaut hat. Die hier zum Ausdruck kommende Haltung, die rational-gewollte, die be-
wufite Intention geht nun mit aller Deutlichkeit auf einen Abbau dieser historisch ver-
wurzelten Einstellungen und aufiert sich sogar nicht mehr in einer pathetischen Feind-
schaft sondern bereits in souveranstem Humor. Und hier ist es von hochstem Interesse
zu beobachten, wie alles ins Burleske variierte, verzogene oder aufgeloste musikalische
Urgut des Volkes den eigentlich kiinstlerischen, tiefenwirkenden Gehalt nicht aus seinen
Negiertheiten, sondern aus dem Positiven, das negiert werden soil, selber bezieht. Die
(wenn auch humoristische) Aggression kann gar nicht ganz, bis in den Kern hinein,
vollzogen werden; denn in der Beriihrung mit den archaischen Gegenstanden des An-
griffs erweisen sich diese als eine nicht auszumerzende, ja als die weitaus starkere
Energiequelle. Alle diese „mystischen" Atome — so sehr sie durch die ironische „Ein-
klammerung" schliefilich auf ein Minimum herabgesetzt und nur als folldoristisches
Kolorit verwandt werden — bleiben das Ferment des Ganzen, das zutiefst Sinn-
gebende und Wirksamste. Aber wie das Jiidische in seiner urspriinglichen, irrationalen
Struktur nicht den weltanschaulichen und artistischen Intentionen dieser Musik entspricht,
so ist auch gerade alles Gewollt-Auflosende und Geloste formal-musikalisch viel interessanter
und gekonnter. Psychologisch (melodisch) pravaliert das Alte, artistisch (harmonisch tmd
instrumental) das Neue.
2.
Nach alledem nimmt es nicht wunder, dafi auf den folkloristischen Fundus von
seiten der harmonisierenden Ausdeutung und sonstiger musikalischer Mittel nicht tiefer
eingegangen wird. Man benutzt ihn lediglich zum Aufbau einer guten, wirkungsvollen,
temperamentgeladenen, impressionistischen Theatermusik; mit starken Rhythmen, aparten
kolbristischen und naturnachahmenden Einfallen sowie alien Effekten heutiger In-
strumentation.
Der ganze Duktus ist ohne Frage von Offenbach beeinflufit. Uberhaupt scheint
ja Goldfaden — der um 1875 die ersten jiddischen Theater begriindet und sie als
Direktor, Regisseur, Dichter und Komponist mit mehr als sechzig Stiicken versorgt hat —
so eine Art ostjiidischer Offenbach en miniature gewesen zu sein.
MUSIKALISCHE NOTIZEN AUS PARIS 367
Am originellsten ist wold die Musik zur ,,Hexe". Aus der Verjbindimg von Gold-
fadens konventioneller Sentimentalitat mit Aclirons, des eigentlichen Autors, berauschender
Rhythmik und farbenprachtiger Instrumentation (en dlos langer Harfen-Orgelpunkt!), aus
der Verarbeitung von Synagogal-Melodien zu einem kratzig-hexigen Damonen-Singsang,
aus der Verwandlung eines melancholischen in einen wild-orgiastischen Tanz ergibt sich
ein verbluffend-einzigartiges Genre von Theatermusik.
Noch elementarer respektiert Leo Pulvers Musik zu ,,200000" und zur „Reise
Benjamins HI." die judische Melodie als Einheit und bringt ihre Milieu- und Gefuhls-
assoziationen noch starker zur Geltung.
Bei aller verschleierten Lyrik zeichnen sich beide Komponisten durch realistische
und „sachliche" Gesinnung aus.
In Granowskys Gesamtkunstwerk hat auch die Musik eine quasi „kollektivistische"
Funktion. Sie soil im Gegensatz zur konventionellen Theatermusik in keiner Weise
illustrativ erganzen; sie ist der Motor, die fiihrende Kraft. Unterstiitzt von der Dramatik
und Plastik der jiidischen Melodie, reguliert sie die Dynamik und Metrik der Biihnen- '■
vorgange. Sie leitet ein, retardiert, accelleriert, akzentuiert, mildert und ubertreibt,
fafit zusammen und lost. |
Der wirblige Rhythmus in allem Buhnengeschehen wird von der Musik angegeben, j
springt auf die Gesten der Akteure iiber und lost sich auf in alles iiberwaltigende, alles j I
auf den Kopf stellende, zappelnde, wackelnde, hyperrealistische, hyperphantastische Be-
wegungsbilder, die — immer gegliedert, prazis und schwingend-leicht — ebenso spuk- ■
haft-plotzlich vorbei sind, wie sie entstanden waren.
Umgekehrt bemachtigt sich das Orchester gewisser Sprechmotive und Sprachmelodieen j
und ahmt sie nach, verschieft und verzackt.
Auch das szenische Geschehen als solches wirkt musikhaft: jede.Mimik, jedes "Wort,
die ganze Form der Stiicke, die von Leitmotiven der Handlung durchsetzt sind, die
choristische Imitation einer Bewegung, der kanonhafte Aufbau mehrerer Vorgange, alles
ist offenbar nach der Partitur ausgearbeitet.
Und ebenso das Sprachliche. Das an Modulation und Niiancen, an Expressivitat
unerschopfliche Jiddisch mit seiner Neigimg zu Diminutiven und Interjektionen, das ost-
jiidische Organ mit seinem Umschlagen aus tiefster Stimmlage zu hochstem Diskant,
seinem Changieren zwischen kontraren Affektfarben ist zu musikalischer Verwendung
pradestiniert, zu einer Skala von Mischungen aus Sprache Sprechsingen, Gesang.
So wird etwa das in alien Schattierungen schillernde „Ta' . . ta' . . ta' . . ta' . .
ta' . . !" der Hexe — hier zu einem Urgesang sender Damonie.
Man dart es sagen: diese Theaterkunst ist aus dem Geiste der Musik geboren.
Hanns Gutman (Berlin)
MUSIKALISCHE NOTIZEN AUS PARIS
Dafi die asthetische Betrachtungsweise nicht die einzige ist, nicht einmal die
wichtigste unter den vielen, die man auf die Kunst und ihre Erscheinungsformen
368 HANNS GUTMAN
anwenden kann, ist oft genug gesagt worden, um endlich bekannt zu sein, Dem ist
aber nicht so. Noch immer werden in praxi die meisten musikalischen Urteile aus
asthetischen Vorurteilen bezogen, noch immer legt ein nicht unbetrachtlicher Teil
unserer amtierenden Kritiker auf diese den grofiten Wert.
Die Kunst unter dem Gesichtswinkel des Lebens anzuschauen, das ist die letzte
Moglichkeit, eine theoretische Behandlung der Kunst sinnvoll zu gestalten. Fiir eine
Musik ist entscheidend auch, wer sie h6rt; nicht nur, wer sie geschrieben hat und wer
sie darstellt. Das sind grundsatzliche Fragen, die vor den Lesern dieser Blatter oft er-
ortert worden sind, Fragen sogar, deren Losung die Zeitschrift Melos, wenn ich recht
sehe, in den Vordergrund ihrer Bemiihungen geschoben hat. Doch fiihlt sich, wer seine
Eindrucke von der Musik in Paris ordnen will, von neuem gedrangt, den Mafistab an-
zugeben, dessen er sich zu bedienen gedenkt.
Es soil also auch nach dem Horer gefragt werden. (Immer mit der unerlafilichen
Einschrankung, die fiir alle folgenden Ausfuhrungen gilt, dafi ein Aufenthalt von wenigen
Wochen keinen Einblick in ein Land gewahrt, auch nicht in seine Kunstiibung. Hier
wird von personlichen Eindriicken gesprochen — sie mogen falsch sein. Daher : Notizen.)
Die Schicksale der Musik, mindestens die ihrer Beproduktion, hangen durchaus vom
Horer ab ; weil es, wo kein Empfanger mehr ist, zwecklos wird, Partituren in Klang
umzusetzen. Gegen diese unsaglich banale Weisheit wird dennoch ununterbrochen
verstofien.
In Deutschland wird heute die Begelung von Nachfrage und Angebot, soweit das
Verhaltnis nicht schon in Anarchie ausgeartet ist, wie im Konzertunwesen, durch das
System des Abonnements besorgt. Ob Volksbiihne, Staatstheater oder Privatbuhne,
ob philharmonische oder stadtische Konzerte — sie alle versuchen, ihre Rentabilitat
durch Werbung von Stammgasten zu sichern. Das System ist also eine niitzliche
Einrichtung, die zugleich Wesentliches aussagt -fiber die Mentalitat derer, die sie beniitzen.
Denn die notwendige Voraussetzung fiir eine Abonnentenwirtschaft ist ein Publikum,
das in der Musik nicht zuletzt das bildende, das belehrende Element sucht; wer hingegen
Musik als ein Vergniigen, als eine Unterhaltung genieik (was sie doch auch ist oder
sein kann), der wird sie niemals in vierzehntagigem Turnus beziehen. So gesehen sind
Oper und Abonnent unvereinbare Gegensatze. Dafi sie sich trotzdem gefunden haben,
ist einer der Griinde fur die kritische Lage der Oper.
Was sich nun in Paris wahrend der grofien Saison im Monat Mai und Juni an
musikalischen Ereignissen abspielt, das wird bestimmt nicht von dem Wunsch, sich zu
bilden, diktiert. Es ist kein Zufall, wenn die Pariser Opernhauser die Institution des
Abonnements nicht kennen. Es widerspraclie einfach der Art des Franzosen, Musik zu
horen. (Man sollte nicht das Schlagwort „Aufierlichkeit" ziicken und verachtungsvoll
auf die Betroffenen schleudern. Es geht garnicht um Werturteile, es geht um Tatsachen.
Und dann: Tiefe allein macht auch nicht glucklich!)
Dem Begriff der „Saison" entspricht hier noch eine Bealitat. Mag sein, dafi es
ihre letzte Position in Europa ist, mag sein, dafi sie eine im Grunde schon uberholte
Form des Musizierens darstellt, hier lebt sie und will nach ihren Gegebenheiten be-
urteilt werden. Mit dem, was in Deutschland als „Musikfest" iippig gedeiht, hat sie
wenig gemeinsam. Das Musikfest ist praktische Erlauterung eines gestellten Themas.
MUSIKALISCHE NOTIZEN AUS PARIS 369
^ ' :
Ein Komponist, eine Gattung oder audi eine Richtung der Musik wird am lebendigen
Beispiel demonstriert. Nichts davon in Frankreich. Auslander bestimmen niclit zuletzt
das sommerliche Bild der Kunststadt Paris, Auslander der buntesten Mischung; inter-
national wie die Horer sind die Programme, keinem Thema verpflichtet.
Wie wird sich, die Frage liegt nah, die deutscbe Musik vor diesem Forum aus-
nehmen. Zu sagen ist, daft ihre'Rolle fast zu dominieren scheint. Jede Kunstiibung
ist heute vorwiegend riickwarts gewendet, versorgt ihre Bediirfnisse aus dem Arsenal
einer Zeit, in welch er der Primat der deutschen Musik ein unbestreitbares Faktum war.
So erklart sich, dafi Bach, Mozart, Beethoven, vor allem aber Wagner und neuerdings
auch Brahms in Frankreich immer wieder anzutreffen sind. (An einem der Nachmittage,
an denen ein Kreis von Musikverstandigen in den Bedaktionsraumen der Bevue musicale
allem Neuartigen ein williges Ohr leiht, konnte man, einigermafien verdutzt, Lieder
von Brahms und Wolf hciren. Man liefi sie tibrigens von deutschen Sangern im ori-
ginalen Wortlaut singen, nachdem man die Uniibersetzbarkeit der romantischen
Liter atur richtig erkannt hatte.)
In der diesjahrigen, eben beendeten Pariser Saison war Mozart der gewichtigste
Beprasentant unserer Musik. Wir hatten uns keinen besseren wiinschen konnen. Ihn
vertrat als Leiter eines ., Cycle Mozart", der die fiinf theatralischen Hauptwerke umfafite,
Bruno Walter. Die Veranstaltung war inauguriert von der Societe universelle du
Theatre, von Firmin Gemier's „Welttheater". Fiir die Anregung des Unternehmens ist
der Gesellschaft herzlich zu danken; iiber Einzelheiten wollen wir. hoflich wie es sich
fiir Gaste geziemt, schweigen.
Walters Leistung soil hier nicht im Detail erortert werden. Es liegt auf der Hand,
wie stark sie gewesen sein mufi, um eine Unzahl von Mifilichkeiten zu iiberwinden.
Und es gelang ihm in der Tat, alien Schwierigkeiten zum Trotz, Auffiihrungen von
musikalischer Geschlossenheit, von unmittelbarer Wirksamkeit zu schaffen. Der Mafi-
stab, der auf die Qualitat einer reproduktiven Arbeit Anwendung findet, ist durchaus
variabel. Nichts ist dummer als eine asthetische Grammatik in den Koffer zu packen
und nach ihr, wo es audi sei, Richterspriiche zu fallen. Was in Berlin eine mittlere
Bepertoire-Vorstellung heiften miifite, kann in Paris eine Tat sein. Einwande etwa,
die prinzipiell gegen Walters Mozart-Darstellung zu machen waren, sind nicht am Platze,
wenn er einen „Cycle Mozart" leitet.
Wahrscheinlich ist Walters Art, Kunstwerke verbindlich darzubieten, sie nach
Tunlichkeit ecken- und kantenlos zu prasentieren, in Paris sogar die ideale gewesen.
Ich kann mir vorstellen, wie wenig die dogmatische Schroffheit Klemperers den Parisern
zugesagt hatte, wie sehr, beispielshalber, im „Don Giovanni" die Betonung des Dramas
sie erstaunt hatte. Walter hielt auch hier die Mitte: buffa tind seria erganzten sich
in vollster Harmonie. Im Ensemble triumphierte nicht die Einzelleistuhg; aber dafi bei
so heterogenen Kraften der Eindruck des Ensembles iiberhaupt erweckt werden konnte,
war viel wertvoller. Die italienische Sprache forderte die Einheitlichkeit. Die Bilder,
von Prof. Strnad geliefert, hinderten sie nicht. Dann folgte „Cosi fan tutte", das Stief-
kind unter Mozarts Opern.
Das Spiel gefiel ausnehmend. Fast schien mir, als ob der Beifall uberzeugter
klaiige als der dem „Bestraften Wiistling" gewidmet. Das lasst sidi verstehen. Das
370 HANNS GUTMAN
Werk, fur ein hedonistiscli gestimmtes Publikum geschrieben, trifft in Paris noch ein-
mal eine ungefahr gleichgerichtete Horerschaft.
Ich konnte jetzt feststellen, dafi die Auffuhrung zwar lebendig und amiisant war,
dafi indessen das Orchester diesmal weniger exakte Durcharbeitung verriet. Es ist
ziemlicb gleicbgiiltig. Die Herzlicbkeit des nacbhallenden Applauses entscheidet.
Was ein nicbtdeutsches Auditorium an der „Zauberflote" fesselte, mag, neben den
ohrenfalligen Vorziigen der Musik, der Reiz des Fremdartigen gewesen sein. Er wurde
erhoht durch die Anwendnng der deutschen Sprache. Dafi sie moglich war, zeugt, wie
diese ganze Veranstaltung, von kunstlerischer Verstandigung. Dieser Zweck wurde von
dem „Cycle Mozart" schonstens erfullt. Die deutscbe Musik hat Bruno Walter, hat vor
allem auch den franzosischen Gastfreunden zu danken.
Das also waren die Mozart-Festspiele. Aber es gehort zum Bdd der Saison, dafi
morgen vergessen ist, was gestern Ereignis war: eine Sensation jagt die andere; ihre
Zahl wachst ins Fantastische. Die Pariser Saison ist nicht engherzig in ihren Pro-
grammen, in denen alles was gut und teuer ist, unvermittelt nebeneinander steht.
Werke von so heterogener Provenienz wie die Matthauspassion und ein Klavierkonzert
von Gershwin werden vom gleichen Publikum in der gleichen Woche aufgenommen ;
beide mit dem Anspruch auf Unterhaltung. Inwieweit die Passion Bachs geeignet ist,
unterhaltend zu wirken, vermag ich nicht zu sagen; sie wurde mit den Anzeichen
pietatvollen Interesses gehort.
Es darf, da der Name einmal gefallen ist, gleich hinzugefiigt werden, dafi Gershwins
Klavierkonzert seine Rhapsodie in Blue in deren unproduktiver Manier fortsetzt. Das
rhythmische agitato des ersten Satzes zwar lafit jede Hoffnung offen, aber das „stimmungs-
volle" Andante zerstort sie. Vor neuen Dingen muss man den Mut haben, sich zu ent-
scheiden. Wer ihn nicht hat, fahre getrost fort, Stimmungsbilder zu komponieren, aber
er lasse den Jazz ruhen. Gershwin zumal ist ein so talentierter Vertreter der kleinen ,
Schlagerform, dafi der Ehrgeiz, durch das Pathos der grofien Form konzertreif zu wirken,
ihm nicht ansteht. Unnotig wohl zu versichern, dafi sein Konzert, von dem Pianisten
Tiomkin virtuos gespielt, ungeheuren Applaus erntete.
In Wirklichkeit ist die zeitgenossische Kunst, bei aller Absicht, es zu sein, so ganz
unproblematisch doch noch nicht, wie man den Horer in Paris glauben machen mochte.
Das eigentlich Problematische wird ferngehalten oder doch nur in kleinen Dosen ver-
abreicht. Und werden einmal, wie es kurzlich geschah, so umstiirzlerisch ausschauende
Dinge wie die Zeitungsausschnitte von Eisler aufgefiihrt, dann geschieht das vor einem
kleinen, fast privaten Kreis. Immerhin konnte Hindemith im grofien Bahmen eines
Koussewitzky-Konzertes auftreten, urn sein Bratschenkonzert authentisch zu interpretieren.
Man bereitete dem pragnanten Werk wie dem vollendeten Spieler einen demonstrativen
Empfang, der keineswegs nur eine Geste der Hoflichkeit bedeutete. Naclidem das
Stadium des reinen Experiments tiberwunden ist, steht einer erneuten internationalen
Geltung der deutschen Musik nichts mehr im Wege. Sie, die im letzten Jahrzehnt als
konstruiert, verstiegen und abwegig verscbrieen war, hat sich soweit dem allgemeinen
Klangbewulksein wieder genahert, dafi sie auch in Paris darstellbar ist. Das Faktum
ist wohl der Erwahnung wert.
MUSIKALISCHE NOTIZEN AUS PARIS 371
Audi Wladimir Vogel sah sein Streichquartett, das man im vergangenen Jahr in
Frankfurt gehort liatte, jetzt in Paris bestens aufgenommen. Roth und seine Genossen
bewiesen, indeni sie es spielten, von Neueni ihre Qualitaten, niclit minder die des Stuckes.
Es bleibt noch nachzutragen, was uns aus der dreiteiligen „Orestie" des Darius
Milhaud vorgetragen wurde. Ich wahle den Terminus „Vortragen" mit Bedacht, weil
nanilich das deldamatdrische Prinzip eine grofie Rolle in dieser Komposition spielt
Eine Szene (percussion seule), nur von akzentuierender Sprechstimme, Chorausrufen und
reich gegliedertem Schlagzeug bestritten, bildete den Hohepunkt der vorgefuhrten Bruch-
stiicke und wurde „bis" verlangt. Wiederum ein antikes Thema, das aber ganz anders
angefafit und aufgefafit wird als etwa bei Satie, Strawinsky, Honegger. Wahrend dort
der klassizistischen Haltung des Textes eine Vereinfachung des musikalischen Ductus
parallel lauft, hat Milhaud, der den ersten Entwurf seiner Arbeit ja audi schon auf
1912 zuriickdatiert, alle Mittel des grofiten Orchesters. der buntesten Polytonalitat, der
chorischen Vielstimmigkeit auf seinen Stoff angewendet. Daraus resultiert ein oft de-
korativer Eindruck; die szenische Beitat miifite das Werk gut ldeiden. Wie einzelne
Teile diesmal kantatenmafiig von dem Antwerpener Chor „Caecilia" mit starkstem Es-
pressivo aufgerollt wurden, das war ein nachhaltiges Zeugnis fiir die Fahigkeiten einer
Vereinigung, die in Bach und Mozart niclit ganz unserem Ideal entsprochen liatte.
Sprechen wir noch in zwei Zeilen vom Repertoire der Opernhauser, das naturlich
unbeeintrachtigt von den anderen Ereignissen weiter abrollt, so ist da allerdings von
der Tatsache, dafi wir 1928 schreiben, kaum ein Hauch zu verspiiren. Der Bestand
der langst akklamierten franzosischen und italienischen Opern, vermehrt um das immer
noch sehr attraktive Musikdrama Wagners, scheint fiir den Spielplan zweier Hauser aus-
zureichen. Der „Chevalier a la Bose" bezeichnet bereits einen Vorstofi in die Gegen-
wart. Unter solchen Umstanden bleibt die Forderung der neuen Oper den privaten
Unternehmern iiberlassen. So wagte sich Gemier kiirzlich an Kreneks Jonny, der als
„Jonny mene la danse" im Theatre des Champs Elysees angezeigt wurde.
Summarisch soil noch vermerkt sein, dafi Solistenabende (Namen grofier Inter-
preten iiber einem denkbar fossilen Programm) die grofien Sale immer noch fiillen.
Kreisler und Heifetz, Borowsky und Horowitz losen sich ab. Der stets vergniigte Pach-
mann verschafft sich einen Vorsprung, indem er, zur Erhohung der Stimmung und der
Eintrittspreise, seineli 80. Geburtstag feiert. Docn neben den Solisten scheuen audi die
grofien Orchester aus aller Herren Lander die Reise nicht, um das Podium der neuen
Salle Pleyel (in welcher die neue Sachlichkeit Bahnhofsdimensionen angenommen hat)
zu betreten. Nachdem Furtwangler die Berliner Philharmoniker unter wahren Stiirmen
der Begeisterung geleitet, Walter aber mit Mahlers Vierter nicht so starke Resonanz gefunden
hatte, verbeugte sich audi Dohnany, an der Spitze der Budapester. Dies ist der Grund-
satz der Saison: es darf nichts fehlen.
Und es wiirde ja ein sehr wesentlicher Bestandteil dieser Klangausstellung fehlen,
erschiene nicht schliefilich audi Djaghilew mit seiner Truppe. Wenn von ihm an letzter
Stelle die Bede ist, so mochte ich das dem alten Wort: „das Beste zuletzt" zugeschrieben
wissen. Nicht als ob von den vielen Balletten, die Djaghilew mitbringt, alle nun im
Stadium der Vollendmig waren; keineswegs. Aber dieses Ballett hat, wenn ich mich
so paradox ausdriicken darf, die Tradition der Revolutiou fiir sich. Musikern braucht
372 HANNS GUTMAN
man nicht auseinanderzusetzen, welche Verdienste Djaghilew sich um die modern e
Kunst erworben hat. Schriebe einer die Geschichte des Ballettes Djaghilew (und es
verlohnte sich wohl, das zu tun), so schriebe er zugleich die Geschichte eines hervor-
stehend griinen Zweiges der neuen Musik. Namen wie Strawinsky, Satie, Milhaud,
Prokofieff, Auric, Poulenc, Rieti miiftten da verzeich.net sein. Die zeitgenossische Kunst,
soweit sie dem Ballet als Kunslform \ erpflichtet ist, ftihlt sich dem Namen Djaghilew
engstens verbunden. Das ist die Atmosphare, die auch heute noch die Abende des
Ballet Russe umgibt.
Unter den Neuheiten, die Diaghilew neben den erfolgreichen Partituren fruherer
Jahre vorfuhrte, figurierte ein Ballett von Nabokoff „L'Ode". Der russische Komponist
hat da eine rhythmisch zweckmafiige, das heifit tiinzerisch vielseitige Musik geschriebea,
die auch die breite Kantabilitat russischer Volksmelodik (durch Stimmen im Orchester
vertreten) nicht verschmaht. Die tiinzerische Gestaltung schien mir weniger gliicklich,
weil sie sich zu absichtsvoll symbolisch gab; Tanz sollte sich sinnfallig kundgeben. Aber
das mag der Autor mit dem Ballettmeister ausmachen. Bedeutsamer, weil den beweg-
lichsten Musiker unserer Tage angehend, war die Urauffiihrung eines neuen Werkes von
Strawinsky: „Apollo Musagetes".
Antike — die groGe Mode. Aber im Gegensatz zu den vielen, die der mangelnde
musikalische Einfall zu diesem Ausfall in die Vergangenheit zwingt, ist Strawinsky im
Verlauf einer sehr folgerichtigen Entwicklung zu ihr gelangt. Als der Kreis der russischen
Nationalmusik von ihm umschritten, fiir ihn erschopft war, hielt er. nicht ohne den
Einflufi seiner franzosischen Umgebung, Ausschau nach Anhaltspunkten in anderen
Stilkreisen.
Aber schon zeigt sich die Gefahr fiir die Musik. Sie kann von der klassizistischen
Geste des Vorwurfes nicht unberiihrt bleiben. Hatte noch im Odipus eine aus verschiedenen
Stilelementen zusammengesetzte Partitur einen zwingenden Eindruck ergeben, so er-
scheint in dem neuen Ballet die gewollte Simplizitat bereits unglaubhaft. Ein Stra-
winsky ohne Schlagzeug — wer hatte das gedacht! Aber er verzichtet auch auf samtlicke
Blaser; auch das eine (zufallige oder bewuftte?) Wiederaufnahme alter Traditionen des
BaUetts. Die Streicher nun fiihren eine sehr friedliche Sprache, was sie sagen, ist hoch-
gradig tonal und iibrigens von einleuchtender Beredsamkeit. Und selbst der Bhythmus
fiigt sich der allgemeinen Tendenz zur Beruhigung, seiner Gradlinigkeit haftet von der
einstigen ostinaten Agressivitat Strawinskys nicht das Geringste mehr an. Die Hand-
lung? Nicht der Bede wert. Soweit sie vorhanden ist, soil sie ja nur einen Anlafi zum
Tanzen geben. Apollo im Spiel mit den Musen, deren eine er zum Tanz erwahlt; von
ihnen alien vergottert, schreitet er dem Sonnenwagen entgegen. Gewifi, man wird das
Werk genauer betrachten, vor allem die Partitur studieren miissen; ich urteile nach
einem ersten Eindruck. Zu den starksten wird es, vermutlich, auch dann nicht gehoren.
Die Auffiihrung, in welcher der wundervolle Lifar den Apollo verkorperte, fand
den rechten Stil zwischen antiker und moderner Geste. Ein elegantes und dennoch
geistiges Puhlikum bejubelte den Autor, der eigenhandig dirigierte. Ein einsamer Be-
sucher bemiihte sich scliiichtern, die Klangarmut der Sti-eicher durch Pfeifen zu be-
reichern. Es mu6 ein Radikaler gewesen sein.
Aber ich glaube beslimmt: Strawinsky selbst wird ihm eines Tages Becht geben.
ENERGETIK DES KLA VIERSPIELS - ZEITSCHAU 373
Hugo Leichtentritt (Berlin)
DR. KURT JOHNEN: NEUE WEGE ZUR ENERGETIK DES
KLAVIERSPIELS
Verlag H.J.Paris, Amsterdam 1928
Die vorliegende Schrift beschaftigt sich mit einigen grundlegenden Problemen der
Teclmik des Klavierspiels, indem sie gewisse korperliche Funktionen des Spielers mit
einer bisher noch nicbt durchgefiihrten wissenschaftlichen Genauigkeit erforscht und er-
klart. Insbesondere wird untersucht, wie die beim Klavierspiel notige korperliche Arbeit
mit moglicbst geringem Aufwand von Energie jeglicher Art zu leisten sei. Die Antwort
auf diese Grundfrage findet der Verfasser in der sachgemafien Art der Atmung, die auf
die vibrigen Korperfunktionen, den Bewegungsapparat, die Muskulatur giinstig einwirkt.
Dieser Gedanke der trainierten Atemtechnik beim Klavierspiel ist freilich nicht ganz so
neu, wie der Verfasser anzunehmen scheint. Schon vor einem Menschenalter wies der
amerikanische Klavierpiidagoge A. K. Virgd in seinen hierzulande viel zu wenig bekannten
methodischen Schriften auf die Wichtigkeit der richtigen Atmung beim Klavierspiel aufs
Nachdruddichste hin; er stellte tiberdies eine systematische Beihe von praktischen Atem-
iibungen in Verbindung mit Spielbewegungen auf. Dr. Johnen gebvihrt jedocli das Ver-
dienst, diesen Gedanken durch eine Beihe wohliiberlegter Laboratoriumsversuche wissen-
sdiaftlich gefestigt, des Naheren erklart zu haben. Er zeigt, dafi es vorteilhaft ist, den
Atemrhythmus in Ubereinstimmung mit dem Bhythmus des zu spielenden Stiickes zu
bringen, dafi die metrische Bewegung des ganzen Oberkorpers vorwarts und riickwarts
fur Spiel und Atmung wesentliche Bedeutung hat, dafi vielerlei Spielhemmungen,
Schwierigkeiten sich iiberwinden lassen durch die richtig eingestellte Arbeit des ganzen
Bewegungsorganismus. Die genaue Beschreibung der angestellten Experimente, graphische
Darstellungen der dabei gewonnenen Kurven, Zeichnungen und Photographien machen die
zu Grunde liegenden Ideen anschaulich und audi iiberzeugend. Zweifellos sind hier
neue Einsichten gewonnen. Sie fiir die Lehrpraxis nutzbar zu machen, ist freilich
spaterer methodischer Durcharbeitung noch vorbehalten. Vorlaufig liegt nur die wissen-
schaftliche Begriindung vor. Ein System von praktischen Begeln und Ubungen aufzu-
stellen miifite der nachste Schritt sein.
MUSIKLEBEN
Heinrich Strobel (Berlin)
ZEITSCHAU
Die Saison ist zu Ende. Auch in der Musikwelt macht man Ferien. Nur die Musik-
feste stehen noch hoch im Kurs. Aber schon reifen Plane fiir die nachste Spielzeit. Die
Oper wird im nachsten Winter sehr aktiv sein. Es stehen mehr Premieren in Aussicht
als diesen Winter. Ein neuer Schreker, „Der singende Teufel", kommt an der
374 HEINRICH STROBEL
Berliner Staatsoper Unter den Linden heraus, der er gewidmet ist. Die Berliner
Stadtische Oper befriedigt ihre UraufTuhrungsehrgeize mit Bittners ,,Mondnacht".
Dresden sieht Wolf-Ferraris neue Oper „Sly" als deutsche Urauffuhrung vor. Das
Werk ist bereits an zehn grofien Biihnen angenommen. Leipzig bringt einen d' Albert
heraus, „Die schwarze O r ch i d e e". Duisburg will es zum ersten Mai in Deutschland
mit dem „K6nig Boger" von Szymanowsky versuchen.
Von diesen mehr tradition ellen Premieren kommen wir zur jungen Generation,
die in der niichsten Saison besonders stark vertreten sein wird. Von Prokofieff liegt
ein „Feuriger En gel" vor. Der auch in Deutschland durch seine „futuristiscben"
Klavierabende bekannt gewordene George Antheil kiindigt eine Oper „Glare" an,
Ernst T o c h ist augenblicklich mit der Komposition einer Oper „Der Facher", Text von
Ferdinand Lion, beschaftigt. Ein neuer Mann, Max Brand, soU mit sein em „M as chin ist
Hopkins" fur die Duisburger Opernfestwoche des allgem einen deutschen Musikvereins
vorgesehen sein. Auch die dreiaktige neue Fassung von Kurt We ills „M ah a go nny",
das vorigen Sommer in Baden-Baden Aufsehen erregte, wird in diesem Winter uraufgefiihrt
werden, wahrscheinlicb unter Klemperer an der Berliner Staatsoper am Platz der Bepublik.
Die neue komische Oper von Hindemith zu einem Libretto von Marcellus
Schiffer hat Klemperer bereits angenommen. Er plant noch eine Beihe moderner
Arbeiten und beweist damit, dafi er alien Widerstanden zum Trotz seine Idee: SchafFung
einer zeitgemafien und produktiven Opernbuhne durchzusetzen gewillt ist. Erfreulicher-
weise hat sich auch das Ministerium erneut zu ihm bekannt und seine Oper, die nach
wie vor in erster Linie fur die grofien Publikumsorganisationen spielen soil, finanziell
besser fundiert. Gewifi sind in dieser Saison an Klemperers Institut Fehler gemacht
worden, namentlich in der Spielplanpolitik — die Notwendigkeit seiner Arbeit, die
keineswegs nur fiir Berlin Bedeutung hat, kann dadurch nicht in Frage gestellt werden.
Sie wurde durch eine Beihe grofiartiger Auffiihrungen bestatigt, noch in diesen Tagen
durch die faszinierende Wiedergabe von Hindemiths „C ardillac". Klemperer
bruigt bei klarster Zeichnung des Formbildes die dramatische Kraft der Partitur zu
starkster Wirkung. Die unerhorte Geschlossenheit dieser AufRihrung wurde erreicht
durch die begeisterte Hingabe aller Mitwirkenden an das Werk. Krenn als GardiUac,
Fidesser (einer der besten deutschen Tenore) als Offizier — ebenso ausgezeichnete
Leistungen wie die Chore. Es war ein ganz grofier Erfolg.
Klemperer wird sich in Zukunft nur den Aufgaben als Generalmusikdirektor widmen.
An seine Stelle tritt der Intendant der bisher in Kassel tatige Ernst Legal. Doch besteht
kein Zweifel dariiber, dafi Klemperer auch weiterhin der eigentliche geistige Mittelpunkt
der Bulme sein wird
*
Eine der kostbarsten musikwissenschaftlichenBibliotheken wurde Mitte
Juni in Berlin versteigert: die Sammlung Werner Wolffheim. Ein Lebenswerk
wissenschafdicher Arbeit und bibliophilen Kennertums, in unermudlicher Arbeit zu-
sammengetragen, auf Auktionen, aus Zufallskaufen. Leider gelang es nicht, die Samm-
lung als Ganzes an eine offentliche Bibliothek zu bringen. So mufite schliefilich doch
der Weg der Versteigerung eingeschlagen werden. Manches aus dem ersten Teil der
Bibliothek, die diesmal zum Ausruf gelangte, ging daher ins Ausland. Die wertvollsten
r
NACHRICHTEN
375
wissenschaftlichen Drucke aber blieben dank der klugen Taktik insbesondere der
Preussischen Staatsbibliothek fur Deutschland erhalten. In nicht wenigen Fallen lagen
die erzielten Preise hinter den im Katalog angegebenen Taxen zurtick, selbst bei hervor-
ragenden Stiicken. Das Hauptinteresse konzentrierte sich auf die Tabul aturen, welche
die grofite Seltenheit der Sammlung darstellten. Die preussische Staatsbibliothek
konnte einige dieser Drucke erwerben: den Hans Gerle (5500 Mark), deu Bataille
(1200 Mark), und die spanisclien „seys libros del Delphin de musica" von Narbonaez
(2800 Mark), wahrend das Tabulaturbuch des Hans Judenkunig nacb sensationellem
Kampf der Schweizer Sammler Oppenheim fur 11000 Mark erraffte. E3 war mit
5000 Mark angesetzt. Eiuige Originaldrucke beriihmter alter Meister wurden durch
gegenseitig sich uberbietende Privatsammler auf phantastische Preise getrieben. So kam
Coupe r ins ,,1'art de toucher le clavecin" von 600 auf 2050 Mark, der zweite Teil
von Bachs Claviriibung von 1000 auf 6100 Mark.
NACHRICHTEN
KLEINE BERICHTE
Ernst T c h arbeitet an einer Oper „ D e r
F a c h e r " ; das Buch ist von Ferdinand Lion.
Darius M i 1 h a u d hat W e r f e 1 s Drama , J u a r e z
und Maximilian" in einer dreiaktigen Oper vertont.
Die Textbearbeitung nahm R. St. Hoffmann vor.
In Koln tagte auf Einladung der Staallichen
Hochschule fur Musik die Hauptversammlung des
Deutschen Rhy thmikbundes (Dalcroze-Bund).
PERSDNLICHES
Prof. Max Hofmiiller, bisher Oberregisseur
an der Miinchener Staatsoper, wurde als Nachfolger
Fritz Remonds als Intendant an die Kolner Oper
berufen.
Carl Flesch ist zum ordentlichen Professor fur
Violinspiel an der Staatl. Hochschule fiir Musik in
Berlin-Charlottenburg ernannt worden und nimmt
seine Tfitigkeit am 1. Oktober ds. Js. auf.
Jascha Horenstein wurde als 1. Kapellmeister
an die Vereinigten Stadtischen Theater Diisseldorf
verpflichtet. Er behiilt seine KonzerttStigkeit bei.
Hermann Unger, Dozent an der Hochschule
fiir Musik in Koln, wurde zum Professor ernannt.
Der junge, durch die Bearbeitung Bachs „Kunst
der Fuge" bekanntgewordene Musiker Wolfgang
G r a e s e r ist freiwillig aus dem Leben geschieden.
AUSLAND
Die in Paris mit Spannung erwartete Auffiihrung
von Kreneks ,.Jonny spielt auf" brachte eine grofie
Enttauschung bei Publikum und Presse.
Strawinsky's „Apollon Musagetes" erzielte
bei der Auffiihrung durch das Russische Ballett in
Paris bedeutenden Erfolg.
Hindemith's Rratschen-Konzert fand in Paris
unter Koussewitzky's Leitung begeisterte Aufnahme.
Aus der Reihe von Pariser Konzerten ist besonders
hervorzuheben: die Auffiihrung von Stravinsky's
„Sacre du Printemps" u. „Oedipus Rex", Honegger's
,,Judith*', die Auffiihrung von Vokalwerken Auric's
und Klavierkompositionen Poulenc's.
Unter Louis de Vocht erfuhren „Choephoren"
und „Eumenides" von Darius Milhaud eine be-
deutsame Auffiihrung.
Das Ziiricher Stadttheater sieht fiir die kommende
Spielsaison u. a. folgende moderne Werke vor:
Hindemith: ,.Cardillac", Busoni „Doktor Faust"
und Schoeck „Penthesilea".
Die Budapester Philharmoniker unter
Leitung E. von Dohnanyis konzertierten in Zurich
mit starkem Erfolg. Sie brachten u. a. Werke von
Bartok und Dohnanyi zu Gehor.
Othmar Schoeck wurde von der philosophischen
Fakultat der Universitat Zurich die Wiirde eines
Dr. phil. h. c. verliehen.
Zwei neue danisclie Opern „Des Kaisers neue
Kleider" von Finn Hiiffding und „Fete galante"
von Poul Schierbecli sind vom konigl. Theater
in Kopenhagen angenommen worden und gelangen
in der nachsten Spielzeit zur Auffiihrung.
Im letzten Saison-Konzert der danischen Sektion
der I. G. N. M. wurden unter Leitung und nach ein-
376
MUSIKLEBEN
leitendem Vortrag Dr. Knud Jeppesens mittelalterliche
Werke aus clem 12. bis 15. Jahrh. zu Gehor gebracht.
Das sowjetrussische B i 1 d u n g s k o ni -
missariat arbeitet in Gemeinschaft mit dem
Moskauer Staatsverlag, dem Verband der Sovjet-
schriftsteller und dem Biiro der Verlagsanstalten einen
Nor mal-Ver lags vert rag aus der den zahl-
reichen Konflikten und Gerichtshfindeln zwischen
Scliriftstellern und Verlegern ein Ende setzen soil.
Die Gultigkeit des Vertrages wird auf langstens
4 Jahre befristet; Minimal-Honorarsatze fur junge
Autoren werden festgesetzt. Fur Buhnenwerke ist
eine Grundauflage von 3000 Exemplaren Vorgesehen.
VERSCHIEDENES
Die Evang.-lutberische Kirche im Hamburgischen
Staate fordert deutsche evangelische Komponisten auf,
sich an einem Wettbewerb fur eine neue Kantate
zur Feier des Reformations-Jubilaums im Jahre 1929
zu beteiligen. Die Bedingungen sind zu erfahren
beim Kirchenrat Hamburg 1, Jakobikirchhof 26.
Die Library of Congress veroffentlicht ein Preis-
ausschreiben der Elizabeth-Sprague-Coolidge-Stiftung
fur ein Kammermiisikwerk fur 5 Blasinstrumente
oder Klavier mit 5 Blasinstrumenten. Einsendungs-
termin ist der 15. April 1929. Die Bedingungen teilt
die Library of Congress, Music Division, Washington mit.
Die schonste und grundlegende Darstellung der musikalischen Kultur aller Zeiten und Volker ist das
Handbuch der Musikwissenschaft
Herausgegeben von Professor Dr. Ernst Biicken von der Universitat Koln unter Mitwirkung einer
grofien Anzahl von Musikgelehrten.
Etwa 1300 Noteilbeispiele I gegen monatliche 3 Glllk.
und etwa 1200 Bilder f Teilzahlungen von ^^^^ m ^^
Urtcile der Pl-esse: „Eine Kultnrgeschichte der Musik im besten Sinne des Wortes" (Deutsche Musikei'-Zeitung) — „Ein ganz
pmchtiges und gediegenes Werk" (Das Orchester) — „Ein Werk, das das Herz jcdes Musikfveundes holier schlagen^lassen raufi"
(Blatter der Staatsoper) - „Etwas ahnliclies war bisher in der Musikliteratur nocli nidlt vorhanden" (Weserzcitung, Bremen).
Man tiberzeuge sich durch Augenschein und verlange unverbindliche Ansichtsenduiig M Nr. 4 von
ARTIBUS ET UTERIS, Gesellschaft fUr Kunst- und Literatuiwissenschaft m. b. H., POTSDAM
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mit einer Bildnisbeilage
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Das, was uns Fischer-Graz in diesem neuen
Buch iiber „ Beethoven als Mensclv' gibt, ist
eine ganz seltene, wundersam eindringliche
Schau des Menschen Beethoven, wie sie sonst
noch von keiner Seite versucht wurde, und
wohl auch kaiun erreicht werden konnte. Ein
Dichter spricht iiber den Musiker! Und darin
liegt die besondere Bedeutung dieses
Buches: Ein Schaffender spricht iiber
den Schaffenden!
Vorratig in jeder guten Buch- und
Mi i sikalienhan dlung
GUSTAV BOSSE VERLAG
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Hermann Rentter
* op. 21
Acht russische Liedei
Fiii* eine Singstimme u. Klavier M. 3.—
Verklarung ....
Tjontscbew
Strom der Triinen
,,
An die Heimat
„
Das Biiuerlein . .
. . Calzow
Abendgefiihl . . .
Tjontsdiew
Mit einzigartiger Kraft derEin-
fiihlung hat sicli Reutter in das
Rfltsel der russiachenSeelc ver-
scnkt und aus solcheHntuition
heraus .seine Liedcr geschaffen.
So entstanden eine Reihe von
Gesiingen, die zum Sla'rksten
zahlen,"\vas uns derKomponist
bisher geaclienkt hat: rcich
an meisterhaft gezeichneten
Stimmungen, vollendet in der
Form und nicht zuletzt —
iiberaus dankbar fiir den
Sanger wic fiir den Bcgleiter
B. Schott's Soline / Mainz u.
Leipzig
378
Tonkiinstlerfest 1929
des Allgemeinen Deutschen Musik-Vereins
(Opernfestwoche und Kammermusikfest in Duisburg)
Oper von jeher
ein Sorgenkind dcs
A. D. M. V.
Eiiiladuug der Stadt
Duisburg
Gesnmtplan der Opern-
festwoche.
Gewahr fiir eine wiir-
digc Darstellung der
angenonimeiien Opera.
AufTuhrtingsiiiaterial.
Aufruf an alle Opern-
komponisten,
Ein sen dungs -
bediiigungen.
Prilfung und Riickgabe.
Weitere Ausgestnltung
des Tonkiinstlerfestes
1929.
Kaininermusikfest.
Zukunftsziele.
Interesse der Behorden
an dem Plan.
Von jeher ist die Forderung des dramatischcn Sdiaffens lingerer Zcit voni A. D. M. V. als
eine besonders vordringlidie Aufgabe angesehen worden. Immer wieder wurde — dankbar
sei hier besonders unserer verstorbenen Mitglieder Karl Slorck und Paul Marsop gedadit —
in den Hauptversanimlungen erwogen, wie man dieser Aufgabe gerecbt werden kcinne. Trotz
eifriger Bemiiliungen und trotz Ansammlung ernes eigens diesem Zweck gewidmcten
„ Richard Wagncr-Fonds", der in der Inflation leidcr wegschmolz, mufite die Oper bei den
Tonkiinstlerfesten immer niehr oder weniger ini Scbatten stehen.
Nicht genug dankbar kann daher der Verein der Stadt Duisburg sein, die ihm fiir das
Jahr 1929 die kiinsllerisehen und finanziellen Mittel zur Verfilguiig s tell en will, urn in ganz
groBziigigcr Weise der Musik ini Rahmen des Theaters ein eigenes Fest zu widmen.
Die Opernwoche soil zuntidist drei Werke umfassen, deren Auswahl dem A. D. M. V. allein
zusteht. Diese drei Opernwerke sollen dem zeitgenossischen Schaffen angehoren und moglichst
nodi nicht aufgefiihrt sein. Zur Abrundung der Opernfestwoclie wird die Duisburger Oper dem
A. D. M. \. aus ihrem Spielplan weilere Werke vorsdilagen, Ton denen der Vorstand drei ge-
eignele aussucht. Hierbei werden einestcils soldie Werke beriicksiditigt werden, die der breiten
Direntlidikeit unbekannt sind, Werke, die der Musiker gern einmal auf der Biihne seben modite;
andernteils soldie, die fur die Arbeit der Duisburger Biihne besonders diarakteristisdi sind.
Durdi eingehende Priifung dcs kiinstlerisdien Niveaus der Duisburger Oper hat sich
der Vorstand des A. D.M. V. davon iiberzeugt, datl die Vorbedingungcn fiir eine wiirdige Wieder-
gnbe audi anspruchsvollster Werke ini Rahmen der Opernfestwoche gegeben sind; er wird audi
ini Einzelnen darauf halten, dafi die drei endgiiltig ausgewahlten Opern eine besonders sorg-
faltige, in Alusik, Ausstattung und Regie makelfreie Aiul'iihrung erfabren.
Damit von der Beteiligung an der Opernfestwoche niemand ausgeschlossen ist, hat sidi die
Stadt Duisburg bcreit erklart, auf Wtinscli die Kosten fiir die Herstcllung des Notenmaterials
der ongenommenen Werke zu iibernchmen.
Das sdione Ziel, weldies sidi der A. D. M. V. und die Stadt Duisburg gesteckt haben,
namlidi einen Uberblidc iiber die heute wirkenden Krafte zu geben, die fur eine Weiter-
en twiddling der Oper in Frage kommen, kann nur erreidit werden, wenn der Plan durch eine
wirklich allgemeine Beteiligung aller in Frage kommenden Faktoren unterstiitzt wird. Der
A'orstand des A. D. M. V. riclitet daher an alle Opernkomponisten das Ersudien, ihre Werke
zur Verfiigung zu stellen.
Werke, weldie bei der Opernfestwoche beriicksiditigt werden sollen, konnen vom 1, April
ab beim Sdiriftfuhrer des A. D. M. V., Herrn Hermann Bisdioff, Miinclien, Haydnstrafie 6/1
eingcreicht werden. Der Einreidiungstermin endet am 1. Juni. Auf vorherige Anfrage konnen
in der Zeit ' vom 1. Juni bis 1. September noch Werke eingereicht werden; die Annahme hangt
in diesem Falle davon ab, ob cs noch moglidi ist, das Urauffiihrungsmaterial fertig zu stellen.
Der Sendung ist das notige Riickporto beizulegen. Im Ausland lebende deutsdie Komponisten
wollcn hierfiir die Form des internationalen Portoscheines {Coupon-Reponse Intei-nationol) wiihlen.
Autoren, die dem A. D. M. V. noch unbekannt sind, wollen einen kurzen Lcbenslauf mit
Angabe des Studienganges beilcgen.
Zur Einsendung geniigen vorlaufig Klavierauszug und Textbudi. Bei unvollendet einge-
reichten Werkeu muld zuin mindesten eine rechtzeitige Fertigstcllung durch die Personlichkeit
des Autors gewiihrleistet sein. In Betradit kommen nur deutsche Werke. Die Einsendung
mehrerer Werke dcsselben Komponisten ist zuliissig. Die Einsendung erfolgt unter Namens-
nennung, also nicht anonym. Obne daG bereits aufgefiihrte Werke grundsiitzlich ausgesdilossen
sein sollen, behaupten dodi Werke, die noch nicht aufgefiihrt sind, den Vorrang.
Die Priifung erfolgt durch den A. D. M. V. Eingereichte Werke konnen vor Entsdieidung
der Priifungskonimission weder zuriidigezogen noch ganz oder in Bruchstucken anderweitig zur
AiuTiihrung gebradit i\ r erdcn. Der A. D. jYI. V. verspridit sdinelle Erledigung der Priifungs-
arbeit una ungesiiumte Riickgabe der nicht angenommenen Werke.
Dafi bei der starken Inanspruchnahme des Duisburger Ordicstcrs durdi die Opernfestwodie
nidit damn zu denken ist, audi nodi Ordieslerkonzerte zu veranstalten, ist ohne weiteres ein-
leuditend. Man mag das bedauern; aber das von Duisburg dem A. D. M. V. Angebotene ist so
auficrgewohnlicb, dai£ der Vorstand glaubte, es vcrantworten zu konnen, wenn das sinfonisdie
Sdiafi'en einmal ein Jahr iibergangen wiirde.
Dagegcn werden die Kammermusikveranstaltungen wie jedes Jahr stattfinden. Der Termin
zur Einreichung der hierfiir bestimmten Werke — audi Kompositionen fiir Orgel und Chor
a capella kommen in Betradit — wird, wie iiblidi, nadi Ablauf des Tonkunstlerfestes 1928
bekannt gegeben werden.
Der Allgemeine Deutsdie Musikverein sieht in der Neugestaltung des Tonkiinstlerfestes 1929
die MogUdikeit einer zukunftigen Erweiterung seiner Ziele. Sollte der geplante Charakter der
Veranstaltung sich bewahren, so wird der A. D.M. V. in regelmafiig wiederkehrenden Abstiinden
weitere Feste anberaumen, die der Oper in besondercr Weise gewidmct sind. Allerdings bedarf es
zum Gelingen des Werkes nicht nur der Unterstiitzung der musikalisch Schaffenden, sondern
audi des allgemeinen Anteils der gesamten Musikwelt. Der A. D. M. V. riditet darum an alle
Komponisten, alle musikalisch Interessierten und an alio Musikfreunde die Bitte, das „Ton-
kiinstlerfcst 1929" (Duisburger Opernfestwoche und Kammermusikfcst) durdi Bckanntmachung
und Propagierung der hier gekennzeidineten Ziele eifrigst zu fordern.
Das Preufiisdie Ministerium fur Wissensdiaft, Kunst und Volksbildung" hat sein Interesse
an dem Plan zum Ausdruck gebradit.
r
379
STUDIENPARTITUREN
ZEITGENOSSISGHER MUSIK
TRIO
P. Hindeinlth
Trio 1'iir Violine, Viola u. Violon-
cello, op. 34 M. 2.—
W. Schnlthess
Serenade Edur, f. Violine, Viola
und Violoncello, op. 6 . . M. 2. —
QUARTETT
(2 Violincn, Viola, Yioloncel
•>)
C. Beck
Quaitett No. 3
M. 2.-
31. Butting
10 kleine Stiicke, op. 26
M. 2.—
P. Hindemith
I. Quartett, op. 10 . . .
II. Quartett, op. 16 . . .
III. Quartett, op. 22 . . .
IV. Quartett, op. 32 . . .
M. 3 —
M. 3 —
M. a-
M. 3.—
Ph. Jarnacli
Quartett, op. 16
M. 2.—
E. "W. Itorngold
Qarlett Adur, op. 16 . . .
M. 2.—
H. Krasa
Quartett
M. 3.20
H. K. Schmid
Quartett Gdur op. 26 . . .
M. 2.—
E. Schulhoff
Funf Stiicke
M. 2 —
B. Sekles
Quartett, op. 31
M. 2 —
J. Slavenski
Quartett, op. 3
M. 2.—
E. Tocli
Quartett, op. 34
M. 2.—
A. Tscherepnin
Quartett, op. 36
M. 1.50
J. Turin a
M. 3 —
L. Vycpalek
Quartett Cdur, op. 3 . . .
M. 3.50
L. Windsperger
Quartett gmoll, op. 21 . .
M. 2.—
QUINTETT
M. Re per
Quintet cmoll, fur 2 Violinen,
Viola, Violoncello u. Klavier M. 2-
(Nucligelnssenes Werk)
J. Slavenski
Aus dem Dorfe. Quintetl fur
Flote, Klarinette, Viol., Bratsche
und Kontrabafi, op. 6.
Partitur (Quart- Format). . M. 3.-
SEXTETT
E. "W. Kornffold
Sextett Ddur, fiir 2 Violinen,
2Violenu.2Violoncelli f op. 10 M. 3.-
KAMMERMUSIK
FUR B LASER
P. A. Graii g'er
Wanderhed, fiir Fltlie, Oboe,
Klarineite, Horn, Fagott . M. 2.50
P. Hindemith
Kleine Kammermusik fiir
5B1aser(Flote, Oboe, Klarinette,
Horn u. Fagott) op. 24 No. 2 M. 2.—
H. K. Sclnnid
Quintett Bdur, fiir Flote, Oboe,
Klarin., Horn, Fagott, op. 28 M. 2.—
H. Villa-Lob. ,s
Chdros Nr. 4, fiir 3 Horner und
Posaune M. 1.20
KAMMERORCHESTER
P. Dessau
Concertino liir Solo-Violine mit
Flote, Klarinette und Horn
(Schottpreis 19i5) .... M. 2.—
P. Hindemith
Kammermusik No. 1, op. 24 No. 1
(mit Finale 1921) . . . . M. 4.—
Kammermusik No. 2 (Klavier-
Konzert) op. 36 No. 1, fur oblig.
Klavier u. 12 Soloinstrumente M. 4. —
ICammcrmusik No. 3 (Cello-Kon-
zert) op. 36 No. 2, fiir oblig. Vio-
loncello u. 10 Soloinstrum. M. 4. —
Kammermusik No. 4 ( Viol. -Konz.)
op. 36 No. 3 i'iir Solo-Violine u.
grofieres Kammerorchester M. 4. —
Kammerorchester No. 5 (Bratschen-
Konzert) op 36 No. 4 fiir Solo-
Bratsche und Kammerorch. M. 4. —
A. Jlerlkanto
Konzert fiir Violine, Klarinette,
Horn und Streichsextett
(Schottpreis 1925) .... M. 2.—
R. Stephan
Musik i'iir sieben Saiteninsirum.
(Streichquint.,Harl"eu. Klav.) M. 3. —
1 Strawinsky
Ragtime liir 11 Instrumente M. 2. —
B. Stiirmer
Suite gmoll f. 9 Soloinstrumente,
op. 9 M. 3.—
E. Toch
Tanz-Snite, op. 30 . . . . M. 6.—
Fiinf Stiicke, op. 33 . . . M. 2.—
Konzert liir Violoncello und
Kammerorchester, op. 35
{Schottpreis 1925 . . . . M. 4.—
A. Tsclierepnin
Konzeil fur Flote u. Violine mit
kl. Orchester, op. 33 (SchoU-
preis 1925) M. 1.50
H. Wiinsch
Konzert fur Klavier und kl. Or-
chester (sch .ttpreis 1925) . M, 3.—
GESANG UND
KAMMERORCHESTER
P. Hindemith
Die junge Magd. Sechs Gedichtc
von Gcorg Trakl fiir cine Alt-
stimme mit Flote, Klarinette u.
Streichquartett, op. 23 No. 2 M. 3 —
Die Serenaden. Kl. Kantate nach
i omantischen Texten f. Sopran,
Oboe, Bratsche und Violoncello,
op. 35 M. 4 —
I. Strawinsky
Pribaoutki. Scherzlieder fiir eine
Singstimme (mittel) mit Beglei-
tung von 8 lnstrumenten . M. 2. —
Wiegenlieder der Katze, fiir eine
Frauenstimme (tief) und 3 Kla-
rinetten M. 1.50
E. Toch
Die chinesische Fl5te. Kammer-
symphonie fiir Sopran und 14
Solo-lnstrumente, op. 29 . M. 3. —
ORCHESTER
I. Albeniz
Iberia, Suite (Cjbertr. f Orch. von
E. F. Arb6s); daraus: Nr. 2 Fete
Dieu a Seville — Nr. 3 Triana
31. de Falla J e M - 2 - 50
Nachte in spanischen Garten
(NuitsdanslcsJardinsd'Espagne).
Symphon. Impressionen fiir Kla-
vier und Orchester . . . M. 5. —
E. Halffter
Sinfonietta Ddur .... M. 2 —
P. Hindemith
Konzert fiir Orchester, op. 38 M. 4. —
E. W. Korngold
Sinfonietta, op. 5 . . . . M. 4. —
M. Ravel
Pavjine zum Gedachtnis einer
Infantiu M. 1.20
R. Stephan
Musik fiir Orchester in einem
Satz M. 3 —
I. Strawinsky
Feuerwerk. Brillante Fant. M. 2. —
Suite 1 fiir kl. Orchest. (Andante,
Napolitana,Espanola,Balalaika)M.2.50
Suite II fiir kl. Orches'. (Marsch,
Polka. Walzer. Galopp). . M. 2.50
Der Feuervogel, Suite . . M. 6. —
BUHNENWERKE
M. de Falla
Meister Pedros Puppenspicl.
Oper in 1 Akt n. Cervantes M. 8. —
Liebeszauber. Ballett mit Ge-
sang von G. M. Sierra. . . M. 6. —
P. Hindemith
Sancta Susanna. Oper in 1 Akt
von A. Stramm, op. 21 . . M. 6. —
I. Strawinsky
Die Geschichte vom Soldaten.
gelesen, gespielt u. getanzt M. 4. —
B. SGHOTT'S SOHNE / MAINZ UND LEIPZIG
380
TANZSCHRIFT
SCHRIFTTANZ
DIE ERSTEN
PUBLIKATIONEN
DER NEUEN
ERFINDUN6
VON
RUDOLF VON LABAN
DIE PUBLIKATIONEN:
DAS ERSTE HEFT:
METHODIK
ORTHOGRAPHIE
ERLAUTERUNGEN
(SCHRIFTTANZ No. 1)
PREIS DIESES HEFTES
Mk. 3.—
DIE ZEITSCHRIFT:
I. JAHR6AN6
J U L I 1928
HEFT I
SCHRIFTTANZ
EINE VIERTELJAHRESSCHRIFT
HERAUS6E6EBEN VON DER
DEUTSL.HEN 6ESELLSCHAFT
FUR SCHRIFTTANZ
BEZUGSBEDINGUNGEN:
FUR 1 JAHR (4 HEFTE) Mk. 4.—
(IN OSTERREICH . S 6.50)
EINZELHEFT . . . Mk. 1.
(IN OSTERREICH . . . S 2.50)
UNIVERSAL-EDITION A. 6., WIEN-LEIPZI6
381
Das Lied der Volker
herausgegeben von Heinrich Moller
Die monumentale Sammlung
der schonsten und charakteristischsten Volkslieder aus alien Landern nach wissenschaft-
lichen Gesichtspunkten ausgewahlt und herausgegeben. — Samtliche Lieder im Urtext
und dessen deutscher Ubertragung nebst wissenswerten Ausfuhrungen iiber Entstehungs-
zeit, Ursprung, seltene Gebrauche usw.
Soeben erschienen.
Band IX: 35 griechische, albaiiische und rumanische Volkslieder
Edition Schott Nr. 559 M. 5.—
Band XII: 44 ungarlsche Volkslieder. Edition Schott Nr. 560 M. 4.—
Friiher erschienen:
Band I: 33 russische Volkslieder. Edition Schott Nr. 551 M. 3.50
Band II: 30 skandinavische (sen wed., norweg., danische, islandische Volkslieder.)
Edition Schott Nr. 552 M. 4.—
Band III: 30 englische und nordamerikanisehe Volkslieder.
Edition Schott Nr. 553 M. 4.—
Band IV: 50 keltlsche (bretonlsche, kymrische, schottische, irischej Volkslieder.
Edition Schott Nr. 554 M. 5.—
Band V: 30 franzosische Volkslieder. Edition Schott Nr. 555 M. 4.—
Band VI: 35 spanlsche, portugiesische, katalanische und baskische Volkslieder.
Edition Schott Nr. 556 , . , M. 4.—
Band VII: 43 italienische Volkslieder. Edition Schott Nr. 657 M. 5.-
Band VIII : 67 siidslavische (slowenlsche, kroatische, serbische, bulgarische)
Volkslieder. Edition Schott Nr. 558 M. 5.—
Band X: 40 westslawische (bohmische, mahrlsche, slowakische) Volks-
lieder, Band I. Edition Schott Nr. 1228 M. 4.—
Band XI: 35 westslawische (polnische, wendische) Volkslieder, Band II.
Edition Schott Nr. 1229 M. 4.—
In Vorbereitung :
Band XIII: Baltlsche (litaulsche, lettische, esthnische, finnische) Volkslieder.
Edition Schott Nr. 1230
B. Schott's Sohne, Mainz und Leipzig
382
EMPFEHLENSWERTE TSCHECHISCHE
KAMMER-MUSIK-WERKE
Streichquartette:
DVORAK, ANT.: Zypressen, revidiert von Josef Suk, Heft 1/2 je GM. 3.60
JANACEK, LEOS: Streichquartett. Unter dem Einflusse des
Tolstoj's Roman „Die Kreutzer Sonate" komponiert. Auf-
gefiihrt auf dem Int. Musikfest in Venedig . . . Part. GM. 3.60
Stimmen GM. 5.40
JUIAK, K. B. : op. 9, S t r e i c h q u a r t e 1 1 c-moll in einem Satz Part. GM. 2.70
Stimmen GM. 4.-
KOUBA, JOSEF: Streichquartett c-moll . . ,
PETRZELKA, VJLLEM: Streichquartett . . .
VYCPALEK, LAD: op. 3, Streichquartett, C-dur.
Streichsextett:
STEP AN, V.: op. 11, Sextett fur 2 Violinen, 2 Bratsche und
2 Violoncelli Part. GM. 2.70 Stimmen GM. 7.50
Klavier quintette:
SUK, JOSEF: op. 8, Quintett fur 2 Violinen, Bratsche, Violon-
cello und Klavier Part, und Stimmen GM. 9.75
STEP AN, VACL. : op. 5, E r s t e F r ii h 1 i n g s t a g e , dreiteiliger Zyklus
fur Streichquartett und Klavier . . Part, und Stimmen GM. 8.25
Werke fiir Blase r ensembles:
Stimmen GM. 6.75
Stimmen GM. 6.75
. Part. GM. 4.-
Stimmen GM. 7.50
FOERSTER, JOS. B.: op. 95, Quintett fiir Elate, Oboe, Klarinette,
Horn u. Fagott. Pat. m. unterlegt. 2 hand. Klavierauszuge GM. 6.30
Stimmen GM. 5.40
JANACEK, LEOS: Jug end, Suite fur Elate, Klarinette, Oboe,
Horn, Fagotte u. Bafi-Klarinette Part. GM. 3. - Stimmen GM. 6.75
Werke fur gemischte Ensembles:
JANACEK, LEOS: Concertino fur Klavier, 2 Violinen, Viola,
Klarinette, Horn u. Fagotte. Aufgefuhrt auf dem 5. Musik-
fest in Frankfurt Part. GM. 5.- Stimmen GM. 7.50
SUK, JOSEF: Bagatella „Mit dem Blumenstraufie in der Hand"
fur Flote, Violine und Klavier . . . , GM. 1 . —
Zu beziehen durch jede Musikalienhandlung oder direkt vom Verlag
H U DEBNI MATICE PR AG IIL-487
VEREINSGEBAUDE UMELECKA BESEDA
383
ZUR
SCHUBERT-
GEDENKFEIER
erscheint in neuer Auflage in der
„Reihe Klassiker der Musik"
SCHUBERT
von
WALTER DAHMS
21. und 22. Tausend
Leinen RM. 10.-
Das Werk von Dahms ist das beste
iiber Schubert. Dahms ist ein Kritiker,
der sich noch die voile Urspriinglich-
keit des kunstlerischen Genusses er-
halten hat, und der Schubert ganz
verstand. Er ist iiberall sachlich und
anregend. so anregend, dafi man von
ihm sofort zu Schubert eilen mufi
und Schubert von neuem geniefit:
inniger, tiefer, berauschender.
Pester Lloyd.
DEUTSCHE
VERUAGS-ANSTAUT
STUTTGART / BERLIN
LEIPZIG
In Kiirze erscheint
SCHUBERTS
LIED
FELIX GUNTHER
Mit 150 Notenbeispielen
und 8 Bildem
In Ballonleinen M. 8.50
Es gehort zu den Merkwtirdigkeiten
der Musikliteratur, dafi vom herrlich-
steri Vermachtnis des Genius Schubert
kein Werk asthetisch-kritischer Be-
trachtungsart Zeugnis ablegt. Felix
Gunther, ein Spezialist des Schubert-
schen Liedes von hohen Graden, gibt
in dieser vom schweren wissenschaft-
lichen Riistzeug freien Monographie
die Resultate seiner Kerintnisse und
Erkenntnisse. Hundert Jahre nach
Schuberts Heimgang geleitet uns sein
vom Scliwung der Liebe getragenes
Buch in die Werkstatte des grofiten
Lyrikers aller Zeiten; es zeigt die
Geburt des Liedes und bringt es
gleichsam zum Erklingen. Es gibt
endlich den Sangern unvergleichliche
praktische Winke, indem es die falsche
»Auffassung« zugunsten jenes einzigen
Vortragsstils korrigiert, in dessen
reinem Glanz das Lied des Unsterb-
lichen unsterhlich bleibt.
DEUTSCHE
\^ERLAGSANSTALT
STUTTGART / RERLIN
LEIPZIG
384
MOSKAU -WIEN
Gemein3ame Publikationen der
MUSIKSEKTION DES RUSSISCHEN STAATSVERLAGES, MOSKAU
und der UNIVERSAL-EDITION A. G., WIEN
U. E. Nr.
Mk.
Klavier zu 2 Handen
9065 A. ABRAMSKY Sonate 5 —
9015 A. ALEXANDROW op. 1 Nr. 6 Prelude . —.80
9037 — op. 27 Trois Morceaux 1.30
9014 — op. 31 Trois Etudes 2.60
9046 F. BLUMENFELD op. 53 2 Stiicke . . . 1.10
9047 — op. 54 Elude Fis-dur 1.30
9059 G. CATOIRE op. 34. 4 More 3.75
9060 — op. 35 Tempete, Elude 1.30
9061 — op. 36 Valse 1.30
9027 K. EIGES op. 22 Etudes-Fantaisies I . . . 3.20
9041 — op. 23 do. II 4.—
9052 O. EIGES op. 5 Sonate 4.20
9031 W. FEHRE op. 6 Erlebtes 4 —
9016 M. FROLOW op. 5. 2 Contes 2.60
9024/25 A. GOEDICKE op. 36. 60 leichte Klavier-
stilcke I/II a ' 4.50
9010 M. HASEN op. 5, 2 Poemes 1.50
9009 — op. 8 Deux Danses 1.10
KNIPPER op. 16Candide
9073 — I Buenos Aires-Marsch 1.30
9074 — II Bulgaren-Marsch 1.10
9075 — III Portugies. Marsch —.80
9076 — IVMenuett 1.10
9051 W. KOSSENKO op. 5 Nr. 1 Poeme ... 1.50
9091 S. LEWIN Sonate 3.20
9026 A. MOSSOLOW op. 4 Sonate II ... . 6.50
9056 L. NIKOLAIEW op. 19 Tarantella .... 3.40
9044 A. OLENIN op. 27, 3 Lieder 4.20
9011 M. QUADRI op. 3 Sonate I 5.50
9048 W. RAMMop. 10 Tiergestalten 1.50
9078 B. SCHECHTER op. 5 Sonate 3.40
9005 J. SCHILL1NGER op. 12. 5 Morceaux . . 4.80
9069 — op. 14 L'excentriade 3.40
9018 A. SKRJABIN Valse op. posth 1.10
9012 B. SOLOTAREW op. 42 Sonate II . . . 5.50
9017 A. STANTCHINSKY Sonate II 5.—
9034 — Preludio e Fuga, g-moll 1.30
9035 — Canon, h-moll 1.10
9033 — Preludio, Canon a 2 voci 1.30
9081 — Cinq Preludes 1.50
9089 — Etude f-moll und As dur 1.30
9090 — Etude H-dur 2.60
9063 R. WALASCHEK op. 4 Nr. 1 Poeme . . 3.—
9064 — op. 4 Nr 2 Poeme 4.—
9053 ST. ZARANEK op. 2 Sonate 5.80
U. E. Nr. Mk
Klavier zu 4 Handen
9058 D. SCHOSTAKOW1TSCH
op. 10 Sj'mphonie , . 13. —
Horn und Klavier
9019 A. SCRJABIN, Romance, op. posth. . . . 1.50
Violine und Klavier
9067 S. JEWSSEIEW op. 15 Sonote Conte . . 9 —
9054 IWANOW-RADKEWISCH op. 1 Sonate . 5.20
9071 A. OLENIN op. 28 Preludes prairiales . . 5.80
9068 W. SCHIRINSKY op. 6 Sonate 5.50
Katnmermusik
9045 B. LJAT OSCHINSKY op. 7 Klaviertrio . 14.—
9070 G. KARNEWITSCH op. 6 Streichquartett
Partitur . • 2.60
9028 W. SCHIRINSKY op. 8 Streichquartett
Partitur 2.—
9001 A. SCHITOMIRSKY op. 13 Streichquartett
9055 D. SCHOSTAKOWITSCH op. 11 2 Stiicke
fur Streichoktett, Partitur ..... 4.50
9002 M. STEINBERG op. 16 Streichquartett . . 1.80
Gesang und Klavier
(Russisch-deutscher Text)
A. ALEXANDROW op. 23 Herbst ... 1.50
— op. 30 Unsagbare Worte. Vier Gedichte 4.80
A. DZEGELENOK op. 10 Drei Lieder
(R. Tagore) 4 —
W. GRtTDIN op. 3 Japanische Suite I . . 1.50
IPPOLITOW-rWANOW op. 60, 5 japan.
Gedichte 2.90
A. MICHAILOW Drei Lieder:
Nr. 1 Fata-Morgana ■ . . . 1.50
Nr. 2 Nachts 1.10
Nr. 3 Der heisse Quell 1.50
9039 D. MELKISCH op. 15 LiebesmSr(R. Tagore) 3.50
9020 W. NETSCHAIEW op. 6 Drei Gedichte . 2.60
9021 — op. 9 Drei Lieder 3 —
9022a/g L.A.POLOWINKIN op.23 Sieben Lieder a 1.10
9008 W. SCHEBALIN op. 5 Wegebreit .... 2.60
9062 A. SCHENSCHIN op. 15 Schilflieder . . 2.90
9023a/f J. SCH1SCHOW Sechs Lieder . . . . a 1.—
9007 J. WEISSBERG op. 26 Aus der persischen
Lyrik , 1.30
9030 A. WEPRIK op. 10 Zwei hebraische Lieder,
jidd. russ * 1.10
9013 S. JEWSSEIEW op. 10 Dithyrambe fur
Gesang, Violine, Cello und Klavier . 7. —
9036
9038
9040
9006
9051
9004a
9004b
9004c
Durch jede Musikalienhandlung zu beziehen. Kataloge gratis.
UNIVERSAL-EDITION A. G., WIEN-LEIPZIG
385
Willielm Maler
Konzert fiir Kammerorchester mit Cembalo
(Intrada - Sinfonia - Giguc u. Musette - Marsch) 0(tCT JS^iCWlCT j OX). 1 (J
fand auf dem diesjiihrigen Tonkiinstlerfest des A. D. M. V. in Schwerin bedeutende Beachtung. Das
Werk wurde soeben voni Verlag
B. Schott's Sohne, Mainz
erworben. HI M a ' er erfullt in diesem Konzert alte Formen auf gliicklicliste Art mit
I neueiu Geiste und erweitert sie durch ibm und einer heutigen „ab-
Sj soluten" Musik eigneiide Werte. Die Originalitat und Pragnanz der
I Einfalle, die treibende Kraft der Rhythmik - teilweise aui der alter
H Tanze basierend — lassen einen bedeutendenden schopferischen Trieb
8a crkennen. Beiche Polyphonie, starke innere Warme besonders des
I zweiten Satzes bezeugen eine seltene kiinstlerische Reife, die auch dem
yy witzig-burlesk gehaltenen Marsch zugute kommt.
Von W. Maler wurde fcrner erworben:
Concerto grossofur Kammerorchester, op. 11
(Ouvertiire — Fantasia — Toccata)
Aufriihrungsmateriale nach Vereinbarung
J. Ph, Rameau - Fiinf Konzerte
(Fiir Cembalo, Geige und Gambe)
fiir Klavier mit Streichorchester
bearbeitet von
Walter Rehberg
Dcninachat ersclieinen :
Konzert cmoll: La coidicam (Rondement), La Livri (Rondeau gracieux), Le Vezinet (Gaiment,
sans vitesse)
Ed.-Nr. 2532 Partitur M. 1.50
Ed.-Nr. 2533a/e Stimmen (Violine I/II, Viola, Violoncello, BaB) a M. —.30
Konzert Gdur: La Laborde (Rondement), La Boucon (Air gracieux), L'Agacante (Bondement),
Menuet I/II
Ed.-Nr. 2534 Partitur M. 1.50
Ed.-Nr. 2535a/e Stimmen (Violine I/II, Viola, Violoncello und Bafi) a M. —.30
Die Konzerte A dur, B dur und d moll sind in Vorbereitung.
„Typus und Struktur der Rameau 'schen Konzerte sind fiir die Entwicklung des modernen Kammerkonzerts geradezu
wegweisend. Welch detikates Musizieren in intimem Ralimen geht liter vor sichl Es ist ein Verdienst des Vertags, diese
Bliiten des franzosischen Barock-Rococo-Zeitalters der Gegenwart wieder zugangig gemacht zu haben". L. R.
Durch alle Musikalienhandlungen erbaltlich — Verlangen Sie kostenfrei den Gesamtkatalog der
Edition Steingraber.
STEINGRABER-VERLAG, LEIPZIG
386
D
r e i w i c
h t i
8 e
B e r i c h t
Fer tig liegen v o r :
Bericht iiber den deutschen Kongrefi
fiir Kirchenmusik
vom 19.-22. April 1927
Fm Auftrage des PreuJS. Ministeriunis fiir Wissenschaft, Kitnst und Volksbildung herausgegeben von der Staallichen
Akademie fiir Kirchen- und Schufmtisik, Charloltenburg.
Kartoniert Mk, 6.-, in Leinen gebunden Mk. 8.—
] 1 1 h (i I I :
Dr. Gennricli, Die gegenwilrtigen Bedingungen fiir die Vorhildung unserer Kirch enmusiker / 7?. Golz, Die heutige
Lage der evangeliachen Kirche auf dem Gebiete dea Cottesdienstes / P. Johner, Wie gelangen wir zu einem wiirdigen
Vortrag dea Gregdrianischen Chorals? / Prof. Lechthaler, Der kntholische Organ isl als Baumeister des liturgischen
Gesamtwerkea / Dr. H. Mutter, Einiges fiber klassiache kirchliche Polyphonie / Dr. H. Mutter, Das katholische deutsclie
Kirchenlied / /. Plath, Die liturgischen Aufgaben dea Organisteii und Chordirigenlen / Prof. Reimann, Die Orgel als
Kult- und Konzertinatrument / D. Smend, Din notwendige Beziehung zwisclien dem Kirchenmusiker und dem Ver-
treter dea Predigtamtea / Prof. P. Wagner, Aeathetik des Gregorianischen Gesangea / Prof. Wolf, Die Aufgaben dps
Evangelischen Kircbenmusikers in geschiditlichcr Beleuclitung.
Der dreifiigste deutsclie evangelische
Kirchengesangvereinstag in Niirnberg
vom 15.-17. Oktober 1927
73 Seiten. Mk. 1.5C
Im Mittelpunkt des Beri elites ateht der Vortrag von Prof. D. Dr. Wilhelm Stiihlin, Minister, fiber „Die Bedeutung der
Singbewegung fur den evangelisdien Kircliengesang." Nacb einem Blick auf die gegenwartige Lage dea evangelischen
Kirch engesanges gibt Wilhelm Stahlin ein Bild von Entstehung und Weaen der Singbewegung, wobei drei wesentliche
Merkmale deutlicn werden: ein Bemtihen urn Ganzheit der musikaliacben Arbeit, ein neuea von einer inneren Haltung
her beatimmtes Verhaltnia zum Kunstwerk und doa Strcben nadi dem Werden einer wahren, lebendigen „Gemeinde w .
Der Verfaaaer apricht dann iiber die bisherige Beriihrung zwisclien Kirchengesang und Singbewegung und gibt zum
Schluft Vorachlege fur die kirchenmuaikalische Arbeit, die davon zeugen, dofi daa Problem in der ganzen Tiefe gefaBt ist.
In etwa 4 Woe hen erscheint:
Bericht iiber die dritte Tagung
fiir deutsche Orgelkunst in Freiberg/Sa.
vom 2.-7. Oktober 1927
Herauagegeben von Christhard Mahrenhotz
Kartoniert Mk. 8. — , in Leinen gebunden Mk. 10.-
ErmfiBigter Preia bci Vorausbcatcllung: Kartoniert Mk. 6. — , in Leinen gebunden Mk. 8. -
I n h a 1 1 ;
Der gegenwartige Stand der Orgelfrage im Licbte der Orgelgeschi elite. Von Dr. Chr. Mahrenhotz. j Fachberichte zur
Liturgik: D. Smend, Dr. Mahrenhotz, Kaplan Worsening, D. Arnold Mendelssohn, Dr. Bachrnann, It. Quoika, Prof. Hasse,
Dr. Frotscher, Dr. H. Poppen j Fa cli beri elite zu hiatorischen und kunstleriachen Problemen des Orgelbaua und Orgel-
spiels : Prof. Kroyer, Prof. Gurlitt, Domorganist Zollinger, Regierungsrat Mund, Studtenrat Flade, Prof. Moser, Dr. Blume,
Prof Loffter, Erof Handschin, Dr. Schnorr von Carotsfeld j Fachberichte zum praktiaeben Orgelbau: Dr. Mahrenhotz,
H t H. Jahnn, Prof Keller, Orgelbaumeister A. Lenk, Prof Geyer. - Tagungsbericht.
BARENREITER-VERLAG KASSEL
387
„Ein Meisterwerk padagogischer
und methodischer Anleitung",
so etwa lanten die meisten Urteile fiber
Kuglers
, , Unterrichtsskizzen
zum Schulgesang"
Kuglers Name ist in weiten Kreisen als fiihrend
auf dem Gebiete moderner Gesangs- und
Mi)sikpadagogik bekannt und geschatzt. Viele
behutzen seine glanzende, von Breithaupt
schlechtweg als „beste" bezeichnete Klavier-
scbule, andere seine „Choigesangsschule", In
seinen „Unterrichtsskizzen" zeigt Kugler neue
Wege und Moglichkeiten. Preis RM. 3.60
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FRANKFURT A.M.RVOCLHEIM
M. MUSSORGSKY
BORIS GODUNOW
Oper in 4 Aufziigen mit Prolog
Nach den Manuskripten des Autors
erneut durchgearbeitet und mit
bisher noch nicht veroffendichten
Bildern, Szenen, Fragmenten er-
ganzt von PAUL LAMM
DIE EINZIGE VOLLSTANDIGE
DEN
ORIGINAL -MANUSKRIPTEN
MUSSORGSKYS
ENTSPRECHENDE AUSGABE
Klavier-Ausziige mit Text
Russisch - Deutsch
(Ubersetzung von Max Hube)
Englisch - Franzosisch
(Ubersetzungen von M. D. Calvocoressi)
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FUR ALLE LANDER
AUCH DER ORIGINAL- UN-
VERFALSCHTEN ORCHES-
TRIERUNG MUSSORGSKYS,
DIE HIER ZUM ERSTEN
MALE GEBOTEN WIRD
(Partitur und Stimmen — nur leih-
weise — vom Herbste 1928 an).
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95 WIMPOLE STREET / LONDON W 1
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388
Lothar
iiiMiiiiiiiiimmiuiiiiiiiiuiiifiiiiiiiniiiiiiitiiiiiiiMi
Windsperger
HMIIIIIIIIIHIIIIIIIIIIIIIIIIINIIIIIIIIIIIItllllllllllllllllllllllllllilllllllllMlllllllllllllHIIIIIIIIIIII
MISSA SYMPHONICA
fur 4 Soli, gemischten Chor,
Orchester unci Orgel
op.
36
„ . . . wild iinter die grtissten Ghonvcrke tier
Welti iterator eingcreihi werden."
Rhein.-lVestf. Zeitung
„\Iit dieaem Werk ptelll LoLhnr Windsperger sich
in die vorderstc Reilie unscrer scliopferiaclieii
Muaiker.* 1 Der Mtttag, Diisseldorf
„Daa grosse Plus an chorisclien und solistischen
Werten riickt dna Werk in die vorderstc Reihc
der modern en Werke. Eh land stiirmische Zu-
stimniung." Frankfurter Zeitung
Nachste Auffiihrungcn in der kommeiidcn
Soison (unter Alfred Siilard) in Berlin mid
Hamburg.
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Chorstimmen je M. 1.20
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4 Solostimmen, grofics Orchester u. Orgel, op. 47
Lothdr Windspergers Gesamtsdiaffen
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STAATLICHEN HOCHSCHULE FDR MUSIK
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Eri'ahriiiigen als Kiinstler mid Lebrer in ein
piidagogisches System. Sie erschienen tinier
dem Titel
Die Violintechnik
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italienischem Text
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-i Be/\ss;„ee Notenbeispiele zur Mefoskritik
&'?/>}*- 6 e JJnjjft-
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JB«/aye zuMELOS Juliheft 1928
l t-J?eiAivee
J?i'tux'.(kuenij&ui4-ita,&f&ciC , oii>(>rt aLtatoretj*
. >£*_^ J too**---*
*^
Doppelheft: Preis ML 2.-
MELOS
ZEITSCHRIFT FDH MUSIK
SCHRIFTLEITUNG: PROF. DR. HANS MERSMANN
Alle Sendungen fur die Schriftleitung und Beaprechungsstucke nach Berlin-Grunewald, Neufertallee 5 (Fernspr. Uhlond 3785) erbeten,
Die Schriftleitung bittet vor Zusendung von Monuakripten urn Anfrage mit Riickporto. Alle Rechte fur samtliche Beitriige vorbehalten
Fur den Verlag und den Anzeigenteil verantwortlich : Dr. Johannes Petschull, Mainz / Verlag: MELOSVERLAG (B. Schott'a Sohne)
MAINZ, Weihergarten 5; Fernaprecher 529, 530; Telegr. : MELOSVERLAG; Postacheck nur Berlin 19425 / Auslieferung in Leipzig:
Lindenstrafte 16/18 £B. Schott's Sbhne) Druck: B. Schott's Sohne, Mainz
Die Zeitschrift erscheint am 15. jeden Monats. — Zu beziehen durch alle Buch- und Musikalienhandlungen oder direkt vom Verlag.
Das Einzelheft kostetl. - Mk., das Abonnement jahrl.8. - Mk., halbj. 4-50 Mk, viertelj..2.50 Mk. (zuziigl. 15Pf. Porto p.H., Ausland 20 Pf. p. H.)
Anzeigenpreise : '/i Seite 100.— Mk. '/« Seite 60.— Mk. l (t Seite 35.— Mk. Bei Wiederholungen Rabatte. Auftnige an den Verlag.
ZUM INHALT
Wenn der Hauptteil dieses Heftes Beethoven gewidmet ist, so ist das nicht nur
ein Protest gegen die „offiziellen" Beethovenhefte der meisten Zeitschriften im vorigen
Jahre. Wesentlichkeit und tiefere Erkenntnis verbinden sich schlecht mit lauter Be-
feierung und geschaftstiichtiger Auswertung der Konjunktur (weshalb wir in diesem
Jahre auch auf ein Schubertheft verzichten zu konnen glauben). Nur in einzelnen An-
satzen wurde bisher siditbar, dafi das Bild Beethovens sich unserer Zeit umzuformen
beginnt. Seiner Erkenntnis dienen die Studien dieses Heftes; daneben werden der
Forschung Erganzungen geboten.
Der Geist lebendiger und gegenwartiger Geschichtsbetrachtung, die hier angestrebt
wird, miindet von selbst in die Studie iiber das Verhaltnis von Generation und Ver-
gangenheit. In der Bubrik Ausland beginnen wir in diesem Hefte mit einem Aufsatz
uber die Entwicklung der hollandischen Musik eine Beihe von Situationsberichten, welche
im Laufe der nachsten Monate auf aUe Lander erweitert wird.
Die Schriftleitung
M U S I K
Karl August Meifiinger (Frankfurt a. M.)
BEETHOVEN UND DER GENIALISMUS
Wir gehen aus von zwei Ktinstlernovellen : Morikes „Mozartreise" und Richard
Wagners „Pilgerfahrt zu Beethoven". Die erste goldklar, schlechthin klassisch, leuchtend
und warmend wie stille Flamme, objektiv bis in die letzte Wendung; die andere ein
unbehagliches, genialisches, gewaltsames Machwerk. Beide erfullt und getragen von
gliihender Liebe zu einem grofien Komponisten, aber die erste gleichsam durch den
Menschen hindurch auf sein Werk gerichtet, lauter positive Freude am Erfreulichen
atmend — die andere in einem Geniekult stecken bleibend, voll Ressentiment gegen
den Philister, mit der deutlich erkennbaren Absicht, durch Geniekult selbst genial zu sein.
Liegt dieser Unterschied nur darin begrundet, daft das erste Werk die Lebens-
hohe eines reifen Dichters bezeichnet, das zweite dagegen von einem jungen Strudel-
kopf stammt, der zwar selbst ein grofier Musiker, aber auch auf der Hohe seines Lebens
kein grofier Dichter war, obwohl er sich jederzeit dafiir gehalten hat und auch heute
noch von seinen Verehrern dafiir verkauft wird?
Wir lassen die Frage vorerst offen und schreiten zu einer zweiten Beobachtung.
Es gibt aus der Zeit um 1900 eine Reihe von bildlichen Darstellungen Reethovens, an
denen man den Genialismus der betreffenden Kiinstler noch deutlicher als an dem
Wagnerschen Elaborat studieren kann. Man findet sie in dankenswerter Vollstandig-
keit beisammen in der kurzen Reethovenbiographie von Ferdinand Pfohl, von der man
nicht denken sollte, daS sie erst im Jahre 1922 erschienen sei, so ganz ist sie aus dem
heute schon historischen Geist der Vorkriegszeit heraus geschrieben. 1 ). Jene Dar-
stellungen sind mehr oder weniger bekannt, wir konnen uns mit knappen Reschreibungen
begniigen. Da ist Franz Stucks Reethovenmaske mit goldenem Lorbeerkranz auf duhklem
Grund. (Der Kult der Reethovenmaske hat seitdem Schule gemacht: danach kam die
Goethemaske, und heute hat man die grofien Manner tutti quanti.) Da ist ferner der
ach so geistreiche Steindruck von Fidus, mit dem seinerzeit viel Geld verdient worden
ist; noch heute verirrt er sich manchmal in die Schaufenster. Dargestellt ist eine iiber-
kolossalische Reethovenbiiste, aus einem Felsen gemeifielt. Ein kleines nacktes Frauen-
zimmer mit offenem schwarzem Haar, das uns dezenter Weise die Hinterseite zukehrt,
hat den Sockel erstiegen und streichelt schlank hochgereckt mit spitzigen Salamander-
fingerchen dem Giganten den Mund. Er macht kein sehr zufriedenes Gesicht zu dieser
Liebkosung. — Das war der deutsche Geschmack von dazumal; noch viel decouvrierender
ist der wienerische des Alois Kolb. Hier ist wieder die Maske, diesmal mit sturm-
bewegtem schwarzen Haarschopf, der so solide gedacht ist, dafi er einem nackten Liebes-
paar (nackt miissen sie schon sein) als Matratze dienen kann. Auch dieser Kiinstler
hat das Ungliick gehabt, das Gesicht des Meisters so darzusteUen, als ob er mit dem
Unfug, den die jungen Leute oben treiben, sehr wenig einverstanden ware.
') Velhagen & Klasing9 Volksbiicher Nr. 7
BEETHOVEN UND DER GENIALISMUS 391
Ferner findet man bei Pfohl^ eine weniger bekannte Skulptur von Peter Breuer.
Der Meister sitzt halbliegend, aber mit gesenktem Kopf, also hollisch unbequem, in einer
Art von flachem, aber sehr tiefem Klubsessel. Die Haarmahne und das die untere
Korperhalfte bedeckende Gewand sind in agyptischer Manier, die eine Weile Mode war,
auf massige Vereinfachung stilisiert. Diese Darstellung interessiert an sich selbst weniger
denn als Gegensttick zu dem weltberiihmten Werk Klingers. Die Pfohl'sche Zusammen-
stellung hat wenigstens das eine Verdienst, mit untriiglicher Anschaulichkeit zu be-
weisen, dafi der grofie Klinger mit seiner pomphaften Raffinesse hier durchaus in die
genialistische Reihe gehort! Das ganze Wesen wirkt um so lacherlicher, je feierlicher
es gemeint ist. — Das neueste Pariser Kolossalwerk, dessen Modell man anlafilich der
Beethovenfeier in den Ulustrierten Zeitungen gesehen hat, verspricht auf diesem
Gebiet eine Gipfelleistung zu werden. Die franzosische Begeisterung fur deutsche
Musiker (besonders fiir Wagner) ist ein eigenes Kapitel.
Der Vollstandigkeit halber mag noch etwa an die bekannte grofie Radierung
„Kreutzefsonate" von Balestrieri erinnert werden. Im Hintergrund wieder die unver-
meidliche Maske. Davor effektvoll beleuchtet der Pianist und der Geiger. Am
interessantesten ist jedoch das Auditorium, besonders das Liebespaar gleich vorn; Liebe
mufi offenbar immer dabei sein. Die Augen der jungen Dame zeugen von abgrundiger
Hysteric
Immerhin hat dieses iibrigens trefflich gearbeitete Blatt etwas von dem klassischen
esprit der Pariser Boheme. Vollends schlimm wird es aber, wenn sich die deutsch-
burgerliche Gemiitstiefe des deutschen Tonhelden bemachtigt. Da sitzt der Meister etwa
mit stark vernachla'ssigter Toilette und zerwuhlten Haaren nach offenbar durchwachter
Nacht (die Lampe brennt noch) neben dem offenen Flugel und komponiert. Durchs
Fenster sieht man hinter dem Stephansturm die Sonne aufgehen. Oder Beethoven
steht mitten im Gewitter auf einer Anhohe unter einer sturmzerrissenen deutschen
Eiche und starrt titanisch in das Chaos der Natur. Der Hut ist ihm abhanden ge-
kommen — bekannte historische Situation, der M fl l er i st verwiinscht gebildet. —
Nun also: gibt es ahnliche Darstellungen von Mozart? Ich erinnere mich dunkel
eines harmlosen alteren Stahlstichs, der Mozarts Tod darstellt — eine von jenen biederen
Historien, die man nur versteht, wenn man die Unterschrift liest. Kurz, da ist gar
kein Vergleich, der Befund Morike-Wagner ist durch die bildende Kunst schlagend
bestatigt.
Wie aber kommt es nun, dafi immer gerade Beethoven herhalten mufi, wenn sich
irgendein torichter oder kluger Genialist bemiifiigt fuhlt, etwas "Wirksames zu veran-
stalten? Warum eignet sich Beethoven zu derlei Experimenten ungleich besser als
Mozart, von Bach nicht zu reden ?
Das rein Biographische scheint keine Erklarung zu bieten. Die Lebensumstande
des einen Meisters wie des and ere n zeigen das typische Bild von „Kiinstlers
Erdenwallen". Beide iiberstromend produktiv, die Grofiartigkeit ihres Genies fiir jeder-
mann ohne weiteres erkennbar, beide um den Genufi ihres Daseins betrogen durch
Mifikennung, plattes Philistertum, Kabale, Kleinsinn der Grofien, beide mit evviger Geld-
not ringend, beide aus lebendigem Schaffen durch einen klaglichen Tod herausgerissen :
392
KARL AUGUST MEISSINGER
mit einem Wort, beide gleich geeignet fiir genialistische Erb'aulichkeiten im Stile
Schopenhauers.
Da sind denn freilich audi die tiefen Unterachiede. Mozart bei alien tragischen
Elementen seines Lebens doch wie von einer Aura genufivoller Heiterkeit umflossen,
Beethoven verdiistert von gehauftem Ungliick. Man denke sich schon die beiden Vater,
man denke sich Beethovens Briider, seinen Neffen Karl und dessen entsetzliche Mutter,
Man denke sich auf der einen Seite den gesicherten Wohlstand des Josephinischen Wien.
und auf der anderen das eiserne Zeitalter Napoleons mit dem ganzen Kriegs- und
Nachkriegselend, das wir selbst so gut kennen: jahrelange Ernahrungsschwierigkeiten,
die einen Menschen von ohnedies dauernd gestorter Verdauung zu Grunde richten,
Geldentwertung und Wirtschaftskrise, die niemand scharfer empfindet als der Kiinstler,
der Mazene braucht, schuftige Gewinngier der Verleger usw. Beethoven kommt aus
dieser ublen Zone erst heraus, als es mit ihm schon zu Ende geht. Man denke sich
weiter auf der einen Seite Mozarts Ehe, die gewifi nicht immer eitel Sonnenschein war,
aber doch ohne Zweifel eine Quelle der Regeneration, und auf der anderen Beethovens
ewig fruchtlose Verliebtheiten, die schon dem Leser der Briefe zur Qual werden, auch
wenn er sich nicht fiir das torichte Ratselraten interessiert, wer nun eigentlich die Un-
sterbliche Geliebte gewesen sein kann. Und das alles wiegt noch federleicht gegen das
schauderhafte Schicksal einer dreifiigjahrigen Taubheit! Man versuche sich auszumalen,
was aus Mozart im gleichen Falle geworden ware.
Es ist schon so, dafi der heroische Zug in Beethovens Leben (ahnlich wie bei
Schiller im Vergleich mit Goethe) der popularen Heldenverehrung des Genialismus sehr
bequeme Ankniipfungen bietet, und das alles ist schliefilich kein Zufall. Mozart ist
ohne Zweifel die gliicklichere und lebensfahigere Natur. Von dem Gehorleiden und
dem „Gehalt ohne Gehalt" abgesehen — woher stammen die unendlichen Verlegen-
heiten, von denen die Briefe so voll sind, dafi sonst fast niclits in ihnen steht ? Groteske
Dienstbotengeschichten, ewiger Wohnungswechsel (einmal vier Wohnungen nebenein-
ander, sodafi es selbst den gutwilligsten Freunden zu dumm wird), bei jedem opus,
das gestochen wird, die obligate Gegenorder wegen der Dedikation, unendliche Rekla-
mationen wegen Stichfehlern, einige Hundert Entschuldigungsbillets an den Erzherzog
Rudolf wegen Nichterscheinens zu den Stunden, und das Tollste von allem, die Affare
mit dem Neffen und seiner Mutter. Um nur bei dem letzten Punkt zu bleiben-, als
diese ausgesuchte Qual an Beethoven herantrat, gab es fiir ihn nur einen Weg: mit
oder ohne Neffen nach England zu gehen und die ganze Familienmisere mitsamt der
Hofmisere in Wien zuriickzulassen. So hatte sicli Goethe geholfen. Beethoven ist der
Gedanke damals gar nicht einmal gekommen und als er spater kam, wurde er nicht
ausgefuhrt.
Trotzdem aber ist diese offenbare Lebensunfahigkeit des Meisters der genialistischen
Betrachtung weit weniger giinstig als auf den ersten Blick scheinen konnte, und zwar
wegen der erstaunlich einfachen, geradlinigen, kristallklaren Redlichkeit und Menschlich-
keit. die unverruckbar hinter dem allem steht, gerade auch hinter den Verkehrtheiten,
die auf diese Weise etwas tragisch Ruhrendes bekommen. Immer wieder stofit man in
den Briefen und Tagebiichern auf Aufierungen eines hochst unkomplizierten Gottver-
trauens, auf eine so unverstellte herzliche Freude, am schlicliten Becht- und Wohltun*
BEETHOVEN UND DER GENIALISMUS 393
auf eine so unbestechlich saubere und iiaive Auffassung der menschlichen Verhaltnisse
(besonders was eigenes und fremdes Kiinstlertum und Kunst iiberhaupt anlangt), dafi
man meint, erst von hier aus die musikalische Schonheit beriihniter Stellen ganz zu ver-
stehen, wo uns (nach dem Wort Wilhelm Meisters viber Shakespeare) der Genius wie
mit grofien Kinderaugen ansieht. Es ist in hochster Hohenlage die tuchtige moralische
Kultur des deutschen Burger turns um 1800, hervorgegangen aus der schonen Humanitat
der Aufklarung und aus dem unerhorten Aufschwung des klassischen Idealismus der
Revolutionsepoche, die in dem Deutschland Goethes so uberaus gliickliche Voraus-.
setzungen fand. Audi hier liegt freilich wieder ein tiefer Schaden verborgen, auf den,
wir noch zu sprechen kommen; aber zunachst gdt es doch die positive Feststellung,
dafi dieser entscheidende Zug des Beethovenbildes (der in keinem der zeitgenossischen
Portrats schoner herauskommt als in der einfachen Kreidezeichnung von Stephan Decker
aus der allerletzten Zeit) in Wagners Novelle vollstandig fehlt und fehlen mufi, weil
Wagner kein Organ dafiir hatte. Wie sehen Leute vom Schlage Wagners und Liszts
neben diesem Beethoven aus ! Wie viel fauler Zauber, der angesichts dieser Gestalt
wie ein Nebel zu Boden sinkt ! Unter den Neueren ist vielleicht der einzige Bruckner
der hier den Vergleich aushalt; auch hierviber ist noch zu reden.
Es bleibt also dabei, dafi das persflnliche Wesen Beethovens viel zu ungenialisch
ist, um die Erscheinung, von der wir ausgegangen sind, hinreichend zu erklaren. Wir
miissen den Hebel anderswo ansetzen.
Wir tun es, indem wir uns der charakteristischsten Liebesgeschichte im Leben des
Meisters erinnern : der Bettinageschichte. Wie bezeichnend ist es schon, dafi der von
Bettina veroffentlichte Text ihrer Beethovenbriefe, auf den wir vermutlich fur immer
allein angewiesen bleiben werden, den starksten Zweifeln ausgesetzt ist! Im Grunde
brauchte man von dieser Dame nicht mehr zu wissen, als dafi sie erstens Briefe dieser
Art selbst veroffentlicht, und das sie zweitens an ihnen willkurlich herumgeschnitzt hat.
Die gute Bettina war ein Gefafi der Eitelkeit. Man mufi sich erinnern, wie bald
Goethe sie durchscbaut, und wie leicht er sie abgeschiittelt hat. Beethoven hatte sie
ohne Bedenken zur Frau genommen, wenn sie selbst etwas anderes vorgehabt hatte,
als ihn zum Narren zu haben. In einem lichten Augenblick dieser zum Gliick nur
kurzen Episode vergleicht er selbst das Verhaltnis mit Herkules und Omphale. Das
Erschiitternde und Riihrende dieser wie so mancher anderen Entflammung des Ahnungs-
losen liegt gerade in der Bescheidenheit der Anspriiche; so greift ein Verhungernder
wahllos nach allem, was einer Nahrung nur ahnlich sieht.
Aber Bettina war noch mehr als ein Gefafi der Eitelkeit, und auf dieses Mehr
kommt es hier an. Bettina war die erste Reprasenta ntin des romantischen
Genialismus. Wir miissen hier etwas weiter ausholen, um verstandlich zu sein.
Der moderne Genialismus kommt zum Durchbruch in der deutschen Opposition
gegen das franzosische regelmafiige Drama, die von Lessing so uberaus erfolgreich
durchgefuhrt worden ist, nachdem die deutsche Musik schon an die erste Stelle in
Europa emporgeriickt war. Lessings Hafi gegen die Franzosen hatte freilich ubersehen,
dafi diese selbst die ersten Entdecker und Nachahmer der Englander waren. Shakes-
peares Siegeszug begann mit Voltaires Raisonnement uber den Julius Caesar.
394
KURT AUGUST MEISSINGBR
Wie dem sei, Lessings Shakespeare und Winckelmanns Homer sind von jetzt an
die Genien, denen die junge deutsche Generation, von Klopstock dem Dichter und
Lessing dem Kritiker entfesselt, mit explosiver Begeisterung nacheifert. Diese Vor-
stellungsart kommt durch Herder, den Theologen, Polyhistor, Einfuhler und genialistischen
Auchdicliter an Goethe, gerade in dem entscheidenden Moment, da dieser junge Riese die
herrnhutische Krise: Christ oder Schriftsteller? durchkampft und nun plotzlich einen
Christen und Schriftsteller vor sich sieht. Der Genius ist gottlich und volksmafiig zu-
gleich: dies ist die Formel von unabsehbarer Tragweite, unter der auf der ganzen Linie
nunmehr die iiberreichen literarischen Krafte der Epoche durchbrechen. Goethes eigene
erstaunliche Konstitution tiberwindet diesen rasenden Strudel, in dem seine Mitstreben-
den physisch oder geistig untergegangen sind. Schiller bringt dem durch die Er-
kenntnis der Form in Italien Vereinsamten die Kantische Theorie des Genies zu, in
der der Sturm und Drang vollends (im Hegelschen Sinne) „aufgehoben" ist. Die reife
Substanz der Klassik steht jetzt in ihrer ganzen erstaunlichen Fiille da.
Inzwischen aber hat die franzosische Revolution eine neue grofiartige Auflockerung
in das europaische Geistesleben gebracht. Von alien Seiten melden sich die unerhorten
Aspekte. Indem man Geschichte erlebt in einem Tempo und mit einer Gewalt wie
nie zuvor, entdeckt man Geschichte als geistige Form. Edmund Rurke erganzt mit
einem Schlag Geister wie Herder und Justus Moser. Die Romantik ist da. Sie wird in
Jena und Berlin auf verwickelte Weise zur Opposition nicht nur gegen die Aufklarung
— hierin setzt sie die Klassik nur fort — sondern gegen den von Schiller uberspitzten
klassischen Formgedanken selbst. Die Friihromantiker, durch Schleiermachers Religiosi-
tat mit neuen Antrieben gegen die Aufklarung verstaxkt, denen in der klassischen
Kritik nichts entsprach, wittern in Goethe verwandte Krafte, die sie von Schiller nieder-
gehalten glauben. Schillers Tod macht ihnen die Bahn vollends frei. Und nun beginnt,
uber die Schillersche Klassik konsequent zuriickgreifend, eine neue schleichende
Phase des Genialismus, nach jener ersten akuten des Sturm und Drang. Schleier-
machers individualistisches Christentum leistet dieser Entwicklung niclit nur keinen
Widerstand, sondern bietet ihr verhangnisvolle Anknupfungen : wird doch die Religion
selbst als eine geniale Angelegenheit behandelt!
Und zugleich erscheint hier zum ersten Male die Personalunion von Genialismus
und Sexualismus, von der in der Genieperiode der siebziger Jahre noch nicht die Spur
zu bemerken ist. Sie begleitet den Genialismus des 19. Jahrhunderts bis in ihre letzten
Auslaufer, die wir im Anfang unserer Untersuchung kennen gelernt haben, und gehort
ganz wesentlich zu dem Hippokratischen Gesicht dieser sterbenden Epoche.
Mit welch er hybriden Gewalt nun diese romantische Vorstellungsart mitten im Taumel
des Napoleonischen Zeitalters sich dieses „ironischen" Geschlechtes bemachtigte, kann
man vielleicht am deutlichsten daran abnehmen, dafi Goethe, das in unmittelbarer
Nahe sozusagen betastbare geniale Urphanomen (fur die Romantiker nicht minder als
seinerzeit fur Schiller), den Genialismus nicht nur Bettinens, sondern audi den viel
feineren und darum gefahrlicheren Rahels um seine Person herum geduldet hat.
Dm selbst schiitzt auch jetzt die einzige Macht seiner Substanz und seiner Arbeife, aber
der Romantik und durch sie dem ganzen neunzehnten Jahrhundert (Schopenhauer,
BEETHOVEN UND DER GENIALISMUS 395
Wagner, Stirner, Carlyle, Spitteler, Langbehn, H. St. Chamberlain usw.) ist Goethe eben
als das Idol des Genialismus verderblich geworden. —
Und jetzt kommen wir der Losung naher, urn die es uns zu tun ist. Der Unter-
schied zwischen Beethoven und Mozart liegt ganz einfach darin, dafi Mozart vor Beginn
der romantischen Bewegung langst abgetreten war, Beethoven aber (zu den personlichen
Ankmipfungsmoglichkeiten hin, die wir kennen gelernt haben) noch drei Jahrzehnte lang
als der unbestritten erste Tonschopfer seiner Zeit der genialistischen Beti'achtungsart
zur Verfiigung stand. Jetzt erst verstehen wir, was Bettina in der Nahe Beethovens zu
tun hat. Man mufi sich dabei gegenwartig halten, dafi der Genialismus der Stunner
und Dranger eine rein literarische Angelegenheit gewesen war (auch der Maler Midler
war ein Literat), dafi aber die Bomantik aus ihrer ganzen Lebensansicht heraus a lie
Lebensaufierungen, und also vor allem einmal samtliche Riinste, genialisch nehmen
mufite. Fur die Musik leistete dies Wackenroder.
Aber noch sind wir nicht zum Letzten vorgedrungen. Beethovens Kunstgefuhl
selbst ist im Tiefsten wirklich ein anderes als das Mozarts. Es ist das Kunstgefuhl
des in der Bomantik zum vollen Bewufitsein erwachten Individualismus.
Die Bevolution hatte die letzten Bindungen des abendlandischen Geistes gesprengt. Was
vor dieser Epoclie liegt, ist eine andere Welt, die uns im Grunde so fremd ist wie die
Antike oder wie China. Wenn Beethoven gelegentiich von den Neuerungen spricht,
die er in der Komposition eingefiihrt habe, so schwingt in seinem Selbstbewufitsein, so
menschlich und einfach es daherkommt, doch etwas ganz anderes als das blofie
artistische Geltungsbedurfhis, das den Barockmusikern so wenig fremd gewesen war wie
jeder Kunsttradition iiberhaupt.
Beethovens Titanismus entspricht in seiner Gesamthaltung genau dem Faust —
nur dafi Goethe ganz am Ende seiner Lebensdichtung in unwahrscheinlich holier Vision
den Gemeinschaftsgedanken der Zukunft noch eben zu ergreifen vermochte, von dem
in dem ganzen iibrigen Werk keine Spur anzutreffen ist.
Den Beweis, dafi wir mit dieser geistesgeschichtlichen Einordnung Beethovens das
Bechte treffen, liefert ein letzter Vergleich. Beethovens Messe macht auch den Dom
zum Konzertsaal — Bruckners Messe macht auch den Konzertsaal zum Dom. Das
macht, Bruckner lebt in der ungebrochenen Bindung seines Katholizismus, Beethovens
Frommigkeit ist die Frommigkeit des klassizistisch gehobenen Aufklarungs-Individualis-
mus. Diese Frommigkeit ist selbst noch lebendig, aber sie ist nicht mehr zeugerisch,
und ihre Wurzeln vertrocknen im neunzehnten Jahrhundert. —
Wir werden Beethoven so wenig entbehren wollen und konnen wie den Faust.
Aber wir stehen zu beiden heute grundsatzlich anders als die Zeit vor dem Krieg, und
deshalb sehen uns jene Beethovendarstellungen, von denen wir ausgegangen sind, heute
so hoffnungslos verstaubt an. Jene braven Genialisten taten auf ihre Art ganz recht
daran, sich an Beethoven zu halten. Umso grofiartiger, dafi Beethoven selbst so vollig
frei von Genialismus gewesen ist. Wir sind unserer Sache bei ihm noch sicherer als
bei Goethe, weil er als Mensch so viel einfacher ist.
Die Genialisten haben Becht, weil Beethoven einzig ist; das „Einzige" ist ihr Idol.
Beethovens Werk ist der hochste musikalische Ausdruck seiner Zeit und stand unter
einzigartigen zeitortlichen Bedingungen. Aber die Genialisten haben Unrecht, weil die
396 WILLI SCHMID
durchgangige Gediegenheit dieses Werkes (deren letzte Tiefe nur einem sehr ein-
dringenden Studium — was gemeinhin nicht der Fall von Genialisten ist — aufgeht
und daher nur von wenigen Menschen ganz ermessen werden kann) das genaueste
kiinstlerische Spiegelbild seiner gediegenen Person ist, ebenso genial wie ungenialisch,
die Leistung eines erstaunlich sachbesessenen und selbstvergessenen Verantwortungsgefuhls.
Willi Schmid (Miinchen)
ZUR INTERPRETATION VON REETHOVENS
STREICHQUARTETTEN
Urn die Wiedergabe der Beethovenschen Streichquartette sind seit mehr als hundert
Jahren die besten Musiker der Zeit bemiiht gewesen. Es ist klar, dafi sicb in ihrer
Interpretation jeweils das Verhaltnis ihrer Zeit zu Beethoven ausdruckte. Etwas Shnliches
geschieht in der Gegenwart in vermehrtem Mafie : verschiedene historische, nationale und
gefiihlsmafiige Einstellungen zum Beethovenschen Werk uberhaupt driicken sich durch die
verschiedene Weise der Interpretation aus. Dazu und dariiber hinaus zu einzelnen
technischen Dingen will im folgenden einiges gesagt werden, freilich nur andeutend und
skizzenhaft. Es ware wohl einmal der Muhe wert, den Gegenstand zusammenfassend zu
betrachten.
Was uber die Beethovenschen Streichquartette geschrieben worden ist, abgesehen
von der Beschaftigung der Biographen und Wissenschaftler damit, hat meist fur die
Wiedergabe direkt wenig oder keine Bedeutung. Helm und Bargheer sind typisch fur
eine gewisse leidige Musikfuhrer-Betrachtungsart, die den Gegenstand fur den praktischen
Musiker eher verhullt als entschleiert. Die Biemannschen Analysen sind immer noch
das beste, leider arbeitete Biemann darin verschieden grundlich. Oft lafit er einen
gerade bei schwierigeren Stellen im Stich (man vergl. z. B. seine Analyse von op. 59, II,
wo er selbst sich uber die Struktur des ersten Satzes nicht ganz klar war). Seine Vor-
tragsbemerkungen sind an sich selten, dann aber gar nicht professoral, ja oft bemerkens-
wert musikalisch, was man seinen Verkleinerern gegenuber immer wieder betonen mufi.
Neben einer solchen Leistung stellt eine Arbeit wie die jiingst erschienene Marliaves
einen vollkommenen Biickfall in die glorifizierende Aus- und Unterlegerei einer friiheren,
iiberwunden geglaubten Beethoven-Betrachtung dar.
Zur Psychologie der Beethoven-Interpretation uberhaupt kann hier nicht Stellung
genommen werden. Die verschiedenen Entwicklungsphasen bestanden und bestehen
bis heute nebeneinander fort. Yoransteht die sogenannte romantisclie Interpretation
Beethovens, die dem romantischen Beethovenbild entspricht, uber dessen Grundlagen und
Herkunft Arnold Schmitz so besonders feine Dinge gesagt hat. Auch August Halm
aufiert sich zu dieser Frage in seinem ausgezeichneten Beethoven-Buch des ofteren.
Grundlegend ist fur viele immer noch das von Wagner geschaffene Bild von Beethoven
und von der Beethovenschen Interpretation. Gerade was die Interpretationsfragen an-
langt, stehen nun bei Wagner die genialsten und richtigsten Einsichten theoretischer
Natur neben praktischen, man kann ruhig so sagen, Ungeheuerlichkeiten (man denke
r
INTERPRETATION DER STREICHQUARTETTE 397
nur an die IX. Symphonie, seine Vorschlage der Niiancierungen im ersten Satz z. B.
an die Streichung der Tenorligurationen im Soloquartett, an die „Verbesserung" der
Textunteriegung des Baritonsolos im Schlufisatz, mit der schier unglaublich klingenden
Bemerkung, wodurch er Beethoven hier korrigiert). AIs vorzugsweise deutsch, beethoven-
gemafi wird gerade eine romantische Interpretation audi heutzutage immer noch
empfunden. Und zwar kann man hier wieder unterscheiden zwischen der romantisch-
genialischen, personlich-subjektiven Einstellung und der mehr dichterisch-poetisierenden,
intuitiv-verandernden. Gerade diese letztere sogenannte dichterische Art der Wiedergabe
geht aus von einer Allgemeinstimmung, die dem einzelnen Werk, bezw. seinen einzelnen
Teilen zugrunde gelegt wird, aus der heraus dann erst riickwirkend wieder der Vor-
trag bestimmt wird. Andere Arten zeigen den Einschlag nationaler Momente. Die
„B6hmen" mit ihrem improvisatorischen, stiirmisch-drangenden, impulsiven Stil sind
der starkste Gegensatz zu der gelauterten, objektiv dienenden, klaren und intellektuellen
Eigenart des Capet-Quartettes oder des Bose-Quartetts, welch letzteres vielleicht noch
mehr als Joachim selbst einen typisch beethovenschen Geist der Wiener Klassik in be-
sonderem Mafie verkorpert. Akademisch, dies durchaus nicht als irgendwie abschatzend
gemeint, lehrhaft eindringlich, also professoral in idealem Sinn Wendling und Klingler,
beide dabei wieder sehr scharf unterschieden, indem Klingler mehr romantisch-subjektiv
Wendling mehr klassisch-objektiv gerichtet ist. Busch verkorpert unvergleichlich ein-
deutig und charakteristisch die personlich-subjektive-genialische Beethoven-Interpretation.
Zu diesen geistigen und intentionellen Verschiedenheiten kommen naturlich noch
die technischen Unterschiede der geigerischen Schulen hinzu. Das ist oft von nicht
geringer Bedeutung und darauf wird spater zuriickzukommen sein. Die kunstlerisch
wichtig zu nehmende Interpretation der Beethoven-Quartette ist heute auf Deutschland,
die Lander des alten Osterreich und Frankreich beschrankt. Ohne Zweifel ist das
Streichquartett-Spielen als solches mehr und mehr zuriickgegangen. Vor allem in
Dilettantenkreisen. Andererseits spezialisieren sich manche Quartettvereinigungen aus-
schliefilich auf die Beethoven-Interpretation. Das hat oft auch Nachteile zur Folge: eine
gewisse Ubersattigung, Virtuosentum, verminderte Gefuhlsintensitat.
Die selbstverstandliche Voraussetzung fur die Wiedergabe Beethovenscher Streich-
quartette ist ihre genaue Kenntnis. Eine Binsenwahrheit, die nur zu oft jedoch vernach-
lassigt wird. Daft die Gegensiitzlichkeit der Beethoven-Quartette in zeitlicher, formaler,
inhaltlicher Beziehung so grofi ist, dafi man sie mit verschiedenen Stilen verglichen hat,
ist ja charakteristisch genug. Die friihen Quartette mit ihren formalen und inhaltlichen
Bindungen, mit ihrem konzertanten, gesellschaftlichen, unterhaltenden Wesen unterscheiden
sich noch nicht so grundlegend als der klassische Hohepunkt des Opus 59 von der
Wiener Umwelt. Aber gerade deshalb wird ihnen so oft nicht ihr Becht zuteil: man
unterschatzt sie vor allem technisch ; sie erfordern eine sehr pragnante vind subtile, oft
elegante und virtuose Technik des Einzelnen wie des Zusammenspiels. Im allgemeinen
fasst man sie leicht zu derb, zu ungestiim, zu dramatisch, zu sehr vorn spateren Beethoven
her gesehen an. Man denke etwa an das c-moll Quartett, an dem sich nicht nur
Dilettanten so gern pathetisch „entladen", denke an die Zierlichkeit von Opus 18 Nr. 3
und Nr. 6, die so oft verkannt wird. Bei den Quartetten des Opus 59 mit ihrer grofien
klassischen Haltung, der bis zu den kompliziertesten Bildungen vorgeschrittenen Sonaten-
398 WILLI SCHMID
form steht die Analyse oft vor gar nicht leichten Aufgaben. An der Art, wie so ein
Satz dann in der Wiedergabe steht, bezw. nicht steht, lafit sich abnehmen, wie ober-
flachlich die Interpretation manchmal zu Werke geht. Es klingt vielleicht paradox, aber
im allgenieinen wird dieser Fehler bei den spaten Quartetten eher vermieden, weil man
von vorneherein bei ihnen sich mehr Miihe gibt. Die Meinung ist weit verbreitet, als
ob ein geistiges Programm, eine tondichterische Absicht den Vortrag der spaten
Quartette mehr als beim Opus 59 zu beeinflussen und zu regeln habe. Infolgedessen
wird mehr Sorgfalt darauf verwendet. Dafi ein Werk wie op. 59 Nr. 2 in der Wieder-
gabe sehr oft verfehlt wird, hangt eben mit diesen Fragen der Wertung zusammen, die,
vollig oberfliichlich vorgenommen, zu oft so merkwurdigen Ergebnissen kommt. Die
letzten Quartette stellen natiirlich eine eigene Welt, einen eigenen Kosmos dar, sie leben
in einer Atmosphare sui generis. Visionares und Abstraktes, hochste Komplizierung und
hochste Einfachheit stehen nebeneinander. Sie tragen einen Zug zur Einsamkeit in sich,
der nicht an Publikum und Konzertbetrieb denkt. Der esoterische Zug der letzten
Quartette ist so stark, dafi sehr viele Horer ihre konzertmafiige Wiedergabe unter den
oft entwiirdigenden ungeistigen Bedingungen des modernen Konzertlebens als Profanation
empfinden. In der Tat leidet die Interpretation der letzten Quartette durch und an
einer zu grofien Offentlichkeit.
Die Auseinandersetzung mit der Form der Sonate, mit dem konstruktiven Element
des einzelnen Quartettes ist relativ einfach. Schwieriger wird schon die Unterscheidung,
die Erkenntnis der Teile, der Details in ihrem Verhaltnis zum Ganzen. Die primaren
Verschiedenheiten zwischen dem obligaten Accompagnement, der homophon melodischen
Satzart, dem durchbrochenen Satz und der polyphonen Arbeit zu kennen und zu er-
kennen, ist aufierst wichtig, ja unbedingte Voraussetzung fiir die richtige! Wiedergabe.
Diese hat dementsprechend mehr das Tektonische, Strukturelle, das Thematische oder
die Farbe, den akustischen Eindruck herauszuarbeiten.
Uber das Verhaltnis der Detailinterpretation zum Bau im Grofien hort man oft
sehr verschiedene Ansichten. H. Wetzel spricht dariiber (Beethoven-Jahrbuch II, 77):
„Das feinste, sensitivste, rhythmische Leben offenbart sich in der Ausgestaltung der letzten,
kleinsten rhythmischen Einheiten, hier Motive genannt. Erst wer sie richtig und fein
zu formen versteht, ohne dabei kLeinkramerisch zu werden, ware ein grofier Interpret
Beethovens. Den Bau im Grofien brauchte ein solcher kaum zu kennen. Wie er sich
dem Horer nur von fern in der Erinnerung darstellt, so wird er auch vom Spieler am
leichtesten instinktiv sicher beherrscht. Das Motivkleinleben erfordert aber ununter-
brochenes, bewufites Arbeiten." Das scheint doch wohl ein Trugschlufi zu sein, der
das improvisatorische Moment bei der Wiedergabe, das bei der freien kunstlerischen
Leistung erfolgende Sich-freimachen vom BewuGtsein, gegeniiber der Analyse in ihrem
Wert fiir die nachschopferische, gefiihlsbetonte Synthese verkennt. Auf den formalen
Instinkt des Geftihls sich zu verlassen, ist zudem eine sehr unsichere Sache. Busoni hat
einmal geistvoll darauf hingewiesen: „Worum der Laie, der mediocre Kunstler sich
nriihen, ist nur das Gefiihl im Kleinen, im Detail, auf kurze Strecken. Gefiihl im
Grofien verwechseln Laie, Halbkunstler, Publikum (und leider auch die Kritik!) mit
Mangel an Empfindung, weil sie alle nicht vermogen, gr5fiere Strecken als Teile eines
noch grofieren Ganzen zu horen. Also ist Gefiihl auch Oekonomie. Demnach unter-
INTERPRETATION DER STREICHQUARTETTE 399
scheide ich : Gefiihl als Geschmack — als Stil — als Okonomie. Jedes ein Ganzes
und jedes ein drittel des Ganzen. In ihnen und fiber ihnen waltet eine subjektive
Dreieinigkeit : das Temperament, die Intelligenz und der Instinkt des Gleichgewichtes."
Was fur die Darstellung der einzelnen Quartette bei Beethoven immer wieder
grofie Schwierigkeiten macht, ist die Auseinanderhaltung der verschiedenen Ausdrucks-
formen: des Lyrischen, des Dramatischen, des Oratorischen. In der Reethovenschen
Musik, zumal in den spateren Quartetten, steht oft das alles auf kurzen Strecken neben-
einander, ein an dermal beherrscht der einzelne Gefiihlskomplex eine grofiere Flache.
Die eindeutige Festlegung, das Erfassen der Einzelstimmung, das Sie-Hin-Stellen, ihre
plastische Formung stellt die bedeutendsten und verschiedensten Anspriiche an die geistige
H6he einer Quartettvereinigung. Aus Inhalt und Form ergibt sich der verschiedene
Schwierigkeitsgrad der einzelnen Werke. Im cis-moll Quartett z. B. bilden die sieben
Satze unter sich deutlich geschiedene Stimmungskomplexe, deren Charakter sehr ein-
deutig ist, innerhalb derer ausdrucksmassig relativ weniger differenziert wird. Die
Empfindlichkeit der Reaktion, die Weite eben des Empfindens hierfiir kennzeichnen
eine vollkommene Wiedergabe. Als ein Beispiel im kleinen sei auf die Cavatine aii8
op. 130 hingewiesen. Capet z. B. singt die Melodie (ohne jede aufiere Hilfsmittel) ganz
einfach und schlicht. Das molto espressivo ist mehr verhiillt im UnterbewuGtsein
spiirbar. Die beruhmte Stelle des ,,beklemmt" wird von ihm dagegen fast abrupt
dramatisch gegeniibergestellt: schon die Art des Pianissimos del - einleitenden Unisono-
triolen in den drei unteren Stimmen wirkt durch die verborgene Intensitat, die die
ganze Zeit hindurch anhalt, ungeheuer; das Rezitativ der ersten Geige, selbstverstandlich
pedantisch steeng im Takt, verschlagt einem den Atem. Busch dagegen singt audi hier mehr.
Die Ruhe des spatbeethovenschen Arioso ist etwas so Spezifisches und Unver-
gleichbares, dafi seine Wiedergabe in vollkommener Form tatsachlich jiingeren Menschen
fast unerreichbar ist. Das Des-Dur Lento aus op. 135, „cantante e tranquillo", in dem
fiir diese Empfindungswelt bestimmten beethovenschen sotto voce spielte der alte
Joachim mit einer fast harten Schlichte. Alles andere als weich bringt es auch Rose
oder Capet. Ein Cellist, der beim Kanon nach dem Wiedereintritt des Des-Dur („Tempo I")
im Wechselgesang mit der ersten Geige nicht an schonenTon denkt und die acht Takte
im vollkommensten Piano spielt, einfach „singt", und zwar nicht irgendwie zu „ausdrucks-
voll" oder betont oder nachdrucklich, sondern nur mit innerster Intensitat des Fiihlens,
ist — gestehen wir es uns nur ein — selten genug. Ein typisches Reispiel fiir Mifiver-
standnisse in dieser Hinsicht bietet auch die Interpretation, die der „Heilige Dankgesang"
aus op. 132 oft erfahrt. Den Choral mit einem zuruckhaltenden, eher abstrakten Ton
und fast gar keinem Vibrato zu spielen, dagegen als eigentliche Empfmdungstrager die
Vor- und Zwischenspiele zu behandeln, was sich bis zur „innigsten Empfindung" steigert,
um dann zum Schlufi in eine schier abstrakte, unirdische Verklarung zu munden-, die
beiden Andante-Zwischensatze mit dem Ausdruck heiterer Kraft nicht zu sehr zu uber-
lasten,. sondern ihnen ihre komplizierte und dabei gesunde Zartheit, die eigentiimliche
Frische zu belassen — das scheint alles ganz selbstverstandlich — wie oft jedoch wird
es wirklich erfullt?
Man kann mit Fug und Recht von einer eigenen Technik der Reethoven-Interpretation
sprechen. Reethovens Streicher-Rehandlung schon ist sehr charakteristisch, aufs bestimmteste
400 WILLI SCHMID
von Haydn und Mozart unterschieden. Die Anforderungen an die Technik sind nicht
nur in einzelnen Teilen gewaltig gesteigert, sondern audi noch gekennzeichnet durch
einen besonderen Zug zum Ungebundenen, Freien, zur hemmungslosen Entfaltung aller
instrumentalen Moglichkeiten. Dabei ist Beethoven mehr auf genaue Kennzeichnung des
Agogischen und Dynamischen ausgegangen, wahrend Mozart z. B. bogentecbnisch (Strich-
arten, Legati, Staccati) eigentlich genauer bezeichnet. „Das Beethovenscbe Tonideal" als
Abstraktum einfach so hinzustellen, geht nicht gut an. Es ist in den verschiedenen
Quartetten ein sehr unterschiedliches. Auf keinen Fall kann man es generell mit der
Bezeichnung romaritisch oder klassisch abtun. Das Expressive um jeden Preis ist sicher
durchaus nicht ein besonderes beethovensches Merkmal. Am deutlichsten wird das, wenn
man die verschiedenen violinistischen Techniken der Beethoven-Interpreten vergleicht.
Die ungarische und wiener-bohmische Schule schneidet hier besser ab als die eigentlich
deutsche, soweit man von einer solchen sprechen kann, und wiederum werden sie
manchmal iibertroffen von der franzosisch-belgischen Schule. Das hangt vor allem mit
der Ausbildung der rechten Hand zusammen. Aber natiirlich auch mit dem nationalen
Tonideal. Wir sind gewohnt etwa seit Wagner den klangschwelgerischen, iippigen, grofien
Ton als besonders schon zu betrachten. Im Sinn des 18. Jahrhunderts ist das eine
Verirrung. Nicht der grofie Ton an sich schon ist schon. Der voile, runde, aber sirinlich
klare, unforcierte Geigenton von mehr abstrakter Haltung macht sich zu einem viel
niiancierteren, ausdrucksreicheren Trager des musikalischen Gedankens. Der Verderb
des schonen Streichertons hangt natiirlich eng mit der Steigerung des Orchesters und
mit der modern en Konzertpraxis des Virtuosen turns seit hundert Jahren zusammen.
Ubrigens hat gerade Wagner das wohl gewufit. Man lese in seinem Aufsatz iiber das
Dirigieren nach, was er iiber Habenecks AufFiihrung der IX. Symphonie durch das Pariser
Conservatoire-Orchester schreibt. Schon da wird darauf hingewiesen (allerdings nicht
ganz richtig, insofern er fiir italienische Schule halt, was typisch franzosisch-belgische
Auspragung eines romanischen Grundgefiihls ist), wie diese Technik des Ausdrucks
dynamischer Monotonie fahig sei, wie sie vor allem aber das gleichmafiig starke Aus-
halten des Tones fordert. (Auch was in diesem Aufsatz Wagners sonst iiber den
sentimentalen Charakter des beethovenschen Allegros gegeniiber dem naiven des alteren 5
beispielsweise mozartischen Allegros steht, ist ausserst wichtig.) Die Uberladungen der
Linie mit Ausdruck, mit Crescendo oder Decrescendo ist einer der gefahrlichsten Fehler
bei der Beethoven-Interpretation. Man wende nicht ein, Beethoven habe das durch die
Art seiner Bezeichnungen, die, erklarlicherweise, infolge des Strebens nach Verdeutlichung?
schier schon Uberbezeichnungen wurden, selbst gefordert. Es kommt ihm wesentlich
auf Intensitat der Deklamation an. Dafi sein Tonideal fiir das Streichquartett und die
Kammermusik im iibrigen auf den Kammerton, nicht auf den grofien Konzertton des
Virtuosen gerichtet war, mufi immer wieder betont werden. Allein die Tatsache, dafi
in unseren Konzertauffiihrungen, in meist viel zu grofien, akustisch ganzlich ungeeigneten
Baumen die Beethoven-Streichquartette gespielt werden, hat sicher ein Bedeutendes zur
allgemeinen Vergroberung beigetragen. Auch die sogenannten „orchestralen" Wirkuagen
in den Quartetten (sie treten in den spateren Werken immer mehr zuriick) sind relativ
zu nehmen. Sie brauchen jedenfalls nicht mit grofierem Ton und mehr Aufwand an
Klang gespielt zu werden als durchschnittlich jetzt die „nicht-orchestralen" Teile der
INTERPRETATION DER STREICHQUARTETTE 401
Quartette. Bei fast alien unseren Quartettvereinigungen ist diese ungunstige Beeinflussung
durcli das Konzertwesen zu konstatieren.
Eine besondere Betrachtung mufi die Behandlung der Polyphonie in den Beet-
hoven-Streichquartetten erfahren. Zum Unterschied gegen die vokale Beihung (Sopran,
Alt, Tenor, Bass) sind die vier realen Stimmen im Streichquartett iiberhaupt auf zwei
Sopraninstrumente, ein Altinstrument und das Cello als Tenor- tind Bafiinstrument
verteilt. Diese Verteilung ist bei realer polyphoner Stimmfivhrung kein Vorzug.
Die Bratsclie dient aber gegebenenfalls auch als Tenorinstrument, das sehr oft selbst
den Bafi A r ertritt. Das ist bei der klanglichen Darstellung besonders zu be-
acbten. Die Durchfeilung polyphoner Stellen in klanglicber und damit zugleich in
formal-darstellerischer Beziehung — die Wicbtigkeit einer erneuten Achtung vor der
Korperlichkeit des Klangleibes hat besonders August Halm in seinem Beethoven-Buch
sehr scbon betont — vernachliissigt sehr oft die Tatsache des verschiedenen Klang-
volumens der einzelnen Instrumente des Streichquartettes. Man spricht wohl vom
gleichen Grundklang der Geigeninstrumente, iibersieht jedoch, dafi das nur in einem be-
dingten Mafie der Fall ist, jedenfalls klingt der alte Violenchor (z. B. ein Quartett aus
Diskant-, Alt-, Tenor- und Bassviolen) viel homogener, in sich geschlossener und ge-
rundeter als das Streichquartett. Man nehme z. B. den Bratscheneinsatz des Themas
der SckluSfuge von op. 59 Nr. 3 : sein Piano klingt meist schon zu laut. Hier mufi
der Bratscber sehr abdampfen, bei aller plastischen Bestimnitheit des Vortrags. Dann
erst kann der Einsatz der zweiten Geige (Takt 11) das Crescendo poco a poco bringen
zu dem sich Takt 21 das Cello mit dem Thema nochmals im Piano gesellt. Erst der
Einsatz der ersten Geige (Takt 31) bringt das allgemeine Forte. Selten hort man diese
sieghaft glanzende Steigerung wirldich und naturlich, nicht forciert, anftrumpfend, iiber-
plastisch, sondern als Folge einer in dieser Form nur bei Beethoven zu findenden, etwa
von der Bachschen grundverschiedenen Anlage fugierter Arbeit. Bei solchen Aufgaben
hat ein intelligentes Quartett eben auch einen latenten Mangel in der Zusammensetzung
des Streichquartettes auszugleichen. Auf einem ganz anderen Gebiet liegen die polyphonen
Schwierigkeiteu der gvossen B-Dur Fuge. Ganz abgesehen von der notwendigen Gegen-
uberstellung ausserster, innerer und dynamischer Gegensatze. der Strecken unerbittlicher
eindringlich feierlicher Gehaltenheit im meno mosso e moderato und der unheimlichen
Kraft und Spannungsentladung im Allegro, mufi als eigentliche Schwierigkeit eben das
Durcbhalten der inneren Spannung, des geistigen Kraftstroms in der Doppelfuge gelten.
Beethoven hat in ihr iibrigens dynamisch sehr genau unterschieden. Diese Bezeichnungen
sind nun aber auch wirldich sinugemafi darzustellen, eine Sache gr5fiter, diszipliniertester
Technik. Die Unterscheidung zwdschen dem generellen Fortissimo des zweiten Haupt-
themas und den verschiedenen zu bringenden Alczenten des ersten Themas, das inner-
halb seines Laufens durch die verschiedenen Stimmen jeweils von Note zu Note von
Beethoven peinlich genau durchbezeichnet ist, horbar zu machen, dabei im thematischen
Gegeneinander noch klar zu disponieren, das ist vielleicht die allerschwerste Aufgabe in
den ganzen Beethoven- Quartetten. (Im ubrigen erscheint als klar, dafi der Weingartner-
sclie Versuch einer Wiedergabe der Grossen Fuge durch ein Streichorchester den Mikro-
kosmos der B-dur-Fuge, zu deren Ausdruck die besten Quartettvereinigungen gerade
noch gut genug sind, zerstort, dafi diesem Versuch eben nur der Wert ernes Experiments
J
402 WILLI SCHMID
zugesprochen werden kann.) Klingler nimmt die Fuge sehr klar, fast pedantisch ge-
nau, dabei gerade in den Sforzatis oft tiberbetont, im Ganzen etwas abstrakt. Im
Gegensatz hierzu glanzen die Bohmen durch eine sturmisch-impetuose, vielleicht ober-
flachliche, aber glanzende Vehemenz. Busch bringt besonders die Pianissimo-Stellen des
meno mosso zum Klingen: hier legt sein auch im scheinbar ausdruckslosen pp noch
von einer eigenen inneren ¥arme beseelter, sehr personlicher und deutscher, von Herzen
kommender Ton die Stimmung fest. Die ideale Verkorperung gibt Capet. Ein derartiges
ausgewogenes Ganzes, innerhalb dessen jeder Teil fur sich sein eigenes selbststandiges
Leben fiihrt, dabei dem Vorher und Nachher untriiglich verbunden, diese ganz besondere
Mischung von Geist und Leben, von hochstem Verstand und grofiter Erlebniskraft ge-
hort zu den begltickendsten Erlebnissen, zu den seltenen Gipfeln reproduktiver Kunst-
leistung. Man miifite einmal der Frage nachgehen, wodurch die franzosische „clarte"
gerade in der Beethoven-Interpretation Triumphe feiert. Es ist diese objektive, sach-
liche, durchgefedteste Art durchaus nicht Klassizismus oder Kuhle. Vielleicht ist der
oratorische Ausdruck, das Sprechende, Uberzeugende bei Beethoven schon so weit gesteigert
und herausentwickelt, dafi eine irgendwie noch steigernde, verdeutlichende, „empfundene"
Wiedergabe ein Zuviel bringt, das das eigentliche, urtumliche Beethovensche Leben er-
totet. Wie sehr das z. B. gerade auch bei den Beethovenschen Symphonien der Fall ist,
ist ja bekannt genug.
Ahnlich ist es um die Schwierigkeit, die sich aus der vorwiegend auf das Homophone
gerichteten Erziehung unserer Instrumentalisten bei der Interpretation der Beethovenschen
Streich quartette ergibt. So ist z. B. die zweite Geige von jeher die Crux des Streich-
quartettes. Statt Unterordnung kann selbstverstandlich nur Nebenordnung in Frage
kommen. Sie notigt allerdings den zweiten Geiger zu manchem Verzicht. Eine selbst-
standige kiinstlerische Personlichkeit von Aktivitat an der zweiten Geige zu haben, ergibt
jedoch eine so bedeutende Steigerung der Ausdrucksfahigkeit. dafi fur Beethoven sie ge-
radezu als unbedingt notwendig gefordert werden mufi. Als charakteristisch hierfiir
denke man an das Capet- und das Busch-Quartett.
Von jeher hat das Verhaltnis zwischen Farbe und Zeichnung im Streichquartetl
eine grosse Rolle gespielt. Beethoven vernachlassigt in seinen Vortragszeichen die Kolo-
ristik durchaus nicht. Man denke an die zahlreichen una corda-Vorschriften. Allerdings
ist sie ihm nicht Selbstzweck, sondern steht in oft engem Zusammenhang mit der
Struktur. Ein aufierst aufschlufireiches Beispiel. das man leider trotz der hinweisenden
Notierung nur selten richtig begriffen hort — auch Joachim schweigt daruber — ist
die Melodie des „Alla danza tedesca" aus op. 130, wo jeder Einzeltakt mit Schwellung
von einem Pianotakt gefolgt wird. Ein einfacher Saitenwechsel bei den Pianostellen ist
von grofiter Wirkung. Ahnliche Stellen finden sich After: op. 92 im Schlufisatz, Takt 11
und 13 vorm letzten Allegro, das c und des der ersten Violine ; op. 130 im Andante
con moto, Takt 19, das des der ersten Violine.
Koloristische Aufgaben stellt auch die richtige Interpretation mancher jener spaten
Beethovenschen Adagios, deren Haltung grofite Einfachheit, ja fast Sprodigkeit der aufieren
Tongebung notig macht. Die iibersinnliche, transcendente, kosmische Grofie, der Zug zur
entriickten Einsamkeit wird schon durch einen Anflug von Pathos der Farbe, erst recht
durch jegliche Klangschwelgerei oder ein erkliigeltes farbiges Wesen zunichte gemacht.
INTERPRETATION DER STREICHQUARTETTE 403
Die Art des Espressivo, die besondere, stille Kantabilitat, die zuriickhaltende Expansion
soldier unbegreiflich tiefen Stellen miissen aus einer eigenen inneren seelischen Haltung
fliefien, die sich ins Klangsinnliche direkt iibersetzt. Als Hinweis seien bier zwei schon
durch die Tonart, durch die bei dem spateren Beethoven so eigen erfiihlten Charakteristika
des E-dur inBeziehung zu setzende, im iibrigen audi sonst durch ihre geistigeVerwandtschaft
sich nahestehende Stiicke genannt: das Molto Adagio aus op. 59 Nr. 2 und das aller-
dings viel kurzere Adagio molto espressivo, die dritte Variation im Adagio aus op. 127,
fiir beide braucht es ganz bestimmte, in sich abgetonte Farben. Sie werden mitbedingt
durch Kleinigkeiten wie die Art des Lagenwechsels, der Portamentis. Die Ausdrucks-
varianten hierdurch sind verschieden und miissen in den verschiedenen stilistischen
Phasen wechselnd angewandt werden. Damit betritt man allerdings ein Gebiet, wo
sich die Interpretation in das Reich des rational nicht mehr Festzulegenden begibt. Am
Portamento kann man den nationalen Akzent nachpriifen. Vorbddlich im Portamento-
gebrauch ist Busch; er arbeitet instinktiv mit einer ganz reichen Skala von Niiancen,
deren starkste noch nicht jenes feine Ma6 iiberschreitet, fiir das wir in Deutschland
besonders empfindhch sind. Capet gebrauchte friiher das Portamento als Ausdruckstrager
weniger, jetzt mehr, oft in einer fiir uns schier storenden, zum mindesten ungewohnten
Art und Weise. Das gehort aber in das Kapitel, wo die Werturtede aufhoren.
Eng zusammen damit hangt die Frage der Dyn,amik. Hier wird aUerdings das
Meiste gesiindigt bei homophonen Partien. Beethoven hat die nicht-melodiefiihrenden
Stimmen zumeist mit den gleichen dynamischen Bezeichnungen versehen wie den Melodie-
trager. Es ist eine Selbstverstandlichkeit, dafi die melodiefiihrende Stimme als iiber-
geordnete etwas heraustritt, leiser begleitet wird. Das macht bei der durchbrochenen
Arbeit der mittleren und spaten Quartette manchmal Schwierigkeiten, vor allem dann,
wenn die Analyse ungenau war.
Die Frage der Tempobehandlung lafit sich auch im Zusammenhang mit der
stilistischen Interpretation erortern. Hier kann nur betont werden, dafi kein Tempo an
sich unumstofilich, mit metronomischer Eindeutigkeit feststeht; nirgendwo gelten relative
Moglichkeiten nebeneinander so sehr als hier. Im Allgemeinen besteht heute immer noch
die Gefahr, die langsamen Satze zu breit, die schnellen Satze zu beschleunigt zu spielen.
Ein bekanntes Beispiel hierfiir ist das Allegro comodo, der Schlufited des letzten Satzes
von op. 127, ein Allegro, das man eher als Andante bezeichnen wiirde, gemachlich, ja
nicht eilig. Die Verballhornungen werden dadurch noch grotesker, da6 die durchbrochene
technische Arbeit in der Sechzehntel-Triolenbewegung bei etwas schnellerem Tempo un-
moglich herauskommen kann. Als Gegenbeispiel die Einleitungsfuge des cis-moll-Quartetts,
wo es zum guten Ton gehort, nicht nur frei hach Wagners Deutung weltschmerzlich und
duster sich zu gebarden, sondern auch das alia breve-Zeichen zu iibersehen und doppelt so
langsam zu spielen als vorgeschrieben. Nirgendwo als bei Beethoven sind ferner die
leichten agogischen Temposchwankungen als Kunstmittel so sehr mifibraucht worden.
Auch die Unterscheidung zwischen der Pause als Ruhe- und als Spannungsmoment ist
sehr wichtig. Das Gefiihl fiir das Schwergewicht der Bewegung innerhalb des einzelnen
Satzes braucht bei Beethoven intensive Pflege. Die Tempobewegung regelt in etwa auch
den rhythmischen Ablauf. Dieser wiederum steht und fallt mit einer gepflegten Bogen-
technik. Die besonders charakteristische komplementare Rhythmik ist bei den Beet-
404 AVILLI SCHMID
hovenschen Quartetten ein Studium fiir sicli. Hier sei beispielsweise nur auf op. 59 Nr. 2
hingewiesen, wo schon im ersten Satz eine komplizierte Verschiebung vor allem auch
in Hinsiclit auf den tektonischen Schwergewichtszusammenhang gestaltet werdeu mufi.
Eines der schonsten Beispiele bvingt dann das Allegretto im gleichen Quartett. Fast
alle Quartettvereinigungen mit Ausnahme von Rose und Capet spielen es zu sclmell,
zu virtuoa. Dadurch wird die Delikatesse, die Grazie dieses sich erganzenden, subtilen
rhythmischen Gegeneinanders und Zueinanders so gut wie vernichtet.
Mit der romantiscb iibertreibenden Interpretation des letzten Jahrhundertviertels
bat sicli audi die bekannte Uberbetonung des Beethovenschen Sforzatos eingescblichen,
August Halm nimmt gerade hierzu in seinem Beethoven-Bucb ausfiihrlicb Stellung. Ohne
Zweifel ist das Beetbovensche Sforzato eine Eigenart von ihm, etwas, was in dieser
Form weder bei Haydn nocb gar bei Mozart vorkommt, Die Beethovenscbe Notation
mag im iibrigen ihr Teil zur MiCdeutung beigetragen haben. ¥enn man vergleicbt, so
ergibt sicb bei Mozart eine viel feiner ausgebildete Unterscheidung in der Anwendung
des Sforzatos. Mozart unterscheidet etwa blofi in den Quintetten folgende Arten :
(Notenbeispiel 1.)*
Beethoven tiberlafit dem Takt des Ausfuhrenden viel mehr. Die Belativitfit seines
Sforzatos im Piano, wo wir heute blofi ein < - Zeicben setzen wiirden, wird viel zu
wenig beacbtet. Das Sforzato darf hochstens eine Stufe lauter als die Starkegrade der
Umgebung sein. Graphisch dargestellt ergabe das ungefahr folgendes verdeutlicbendes
Ausfiihrungs-Bild : (Notenbeispiel 2.)*
Die verschiedene Art der Notierung bei Beethoven mache man sich einmal an
den verschiedenen Sforzatobezeichmmgen im cis-moll-Quartett klar. Gleich in der Ein-
gangsfuge ist der Sinn des am Ende eines Crescendos stehenden Sforzatos vollkommen
zu verderben, wenn man es nicbt eben relativ versteht. Takt 37 findet sich das erste
rfz, ebenfalls am Ende eines Crescendos. Das Rinforzando zur Betonung des leichten
Taktteiles begegnet uns im gleichen Satz Takt 62 und 63; ahnlich wird es in dem
Ubergangssatzchen Nr. 3 Takt 10 gebraucht. Wie wenig im Durchschnitt auch die
Wiedergabe durch bendimte Quartette auf solche scheinbare Kleinigkeiten Wert legt —
es gibt gerade hier keine Kleinigkeiten. Solche 1 Dinge wie das Sforzato bei Beethoven
bdden ein richtiges Schibboleth fiir die Wiedergabe. Man spreche nicht von Uber-
differenzierung und Haarspalterei ! Die muhevolle Kleinarbeit bleibt ja nicht Selbstzweck,
sondern ordnet sich dem Grofieren, der durchgeistigten, klanglichen Bealisierung unter.
Beethoven hat mit seinen Streichcpiartetten der Technik der Geige in ihrer reinsten
und verfeinertsten Form ein ungeheures Arbeitsgebiet erschlossen. Es ist auch als solches
betrachtet, nicht blofi vom musikalischen Wertstandpunkt aus, unvergleichlicli. Ja, wenn
man das sagen darf, ohne mifideutet zu werden, die Interpretationsarbeit an den Streich-
quartetten Beethovens ist deswegen so ungeheuer wichtig, wed der Gegenstand den
hochsten und wichtigsten Gipfel in Beethovens Schaffen tiberhaupt (trotz der Symphonien,
trotz der Missa solemnis) der fiir ihn besonders aufgesclilossenen Gegenwart vermittelt.
Fiir die reinste Form der Kammermusik bleiben die Streichquartette Beethovens die
Aufgabe kat'exochen, des Schweifies der Edlen wert.
Siehe Notenbeilage
:••'
ZUM BEETHOVENBILD DER GEGENWART 4C5
Wolfgang Engelhardt (Berlin)
ZUM BEETHOVENBILD DER GEGENWART
Daft das Objekt in die Bewufttseins-, Erkenntiiis-, Erlebnissphare gelangen muft
urn Gegenstand des Erkennetis, des Erlebens zu werden, ist evident; (der transcendentale
Vorgang des Vorstellens liegt erkeimtnismethodisch aid' einer anderen Ebene). Daft des-
halb die Beziehung, die so zu dem Objekt geschaffen wird, eine Funktion zahlloser
Groften ist, oder die Surame von nach Grofie und Bichtung vielfach nicht bestirambaren
Krafte-Komponenten, daft jene Bezugsetzung deshalb in ihrer Totalitat ganz imd gar
irrational ist, bedarf leider immer wieder der Feststellung. Nur die Elemente, welch e
die Form ausraachen, unterliegen Norm en, die deshalb audi diskutabel sind. Diese allein
scblieften audi die einer anders als formalen Interpretation nur zu gefahrliche asthelische
Wertung aus.
Schon zu Lebzeiten Beethovens wurde aid' dem Wege der niclit formal-geistigen
Analyse, dort aus einer auf Gefiihlswerte im Kunstwerke abgestellten, also subjektiv
wertenden Interpretation heraus ein Begriff ,,Beethoven" prajudiziert (E. Th. A. Hoffmann,
Schumann), der als Exponent eines geistigen Gesamtwdlens — „Bomantik" — fur diesen
zweifellos Giiltigkeit batte. Daft formal ohne Not ein Zwang dazu nicht vorhanden ist,
ist ja dann selir bald zu beobacliteu ; von wenigen liedbaften Themen abgesehen — die
naturlich langst kein Kriterium fur eine romantische Gesinnung bedcuten — ist der
Auf bau, allerdings bei often er Form, durcbaus bewuftt, geschlosscn, tektonisch.
Jene romantische Interpretation, so unzulanglich in formaler Hinsicht sie ist, hatte
so lange Berechtigung, als sie der geistig-seelisehen Haltung ihrer Generation entsprach.
Ein anderes bedeutet sie aber fiir eine Generation, die von Erfindergeist und -freude
beseelt mit Akribie die philologisch-archivalische Quellenforschung betrieb, die sich Ge-
samtausgaben schuf und die Monumenta von Pyramidenformat anzulegen daranging.
In die materialistisch-rationalistische Gebundenbeit historistischer Observanz sucbte sie
einen Best des reich cpiellenden Gefuhlsuberschwangs der Vorfahren hinubei' zu retten:
Sie erfand dafiir die literarisch-poetische Interpretation (Wagner!) — „Pseudoromantik";
eine Interpretation, die mit alien Schwachen subjektiv-asthetiscber Wertung behaftet
iiberdies ihre Zuflucht zu aussermusikalischen, spezifisch rationalistisch-sentimcntalischen
Erklarungen nimmt.
Diese Interpretation hat uns im Laufe der Jahre einen Beethoven beschert, der
nur mehr ebeu literarisch-poetisch, d. h. auf dem Umwege iiber die Beflexion „erlebt"
wird: Die gesamte Literatur von gestern (von Wagner iiber La Mara, Wasielewsky,
Thomas-San-Galli, Ernest bis zu dem Bekkerschen „Beethoven" von 1911) ist in dieser
pseudoromantischen Anschauung befangen. Sie hat zur Festlegung von Wertbegriffen
und Anschauungen gefiihrt, die, Beethoven manchem Kunstfreund und nianchem Kiinstler
erstaunlich weit etitfremdet haben, sodaft sogar von seiner „unvollkommenen Musik" ')
die Bede ist.
Wir haben inzwischen die strenge Schule Husserls durchgemacht ; die Geschichte
bildender Kmist, die Literatur geschichte und die Musikgeschichte sind langst nicht mehr
') Maurice Ravel in „Die Literarische Welt" Jg. 3 (1927), Nr. 12 Seite 4 (Beedioven in der Meinung
tier jungen Musiker. Eine Rundfragei
406 WOLFGANG ENGELHARDT
nur Geschichte der Kiinstler, der Kunstwerke oder Geschichte der a priori zu setzenden
„Ideen", sondern sie sind Geisteswissenschaft (schon bei Troeltsch) ; die Begriffe „Komplex",
„Gemeinschaft" haben endlich zur Fiktion der „Generation" gefiihrt (Cysarz, Pinden
Peters, Lorenz); alles drangt iiber die Ersclieinung und ihre soziologische Bedingtheit
zur intuitiven Schau (Holzapfel, Utitz). — In dieser Wandlung liegt eingeschlossen, dafi
unsere Stellung auch und gerade zu Beethoven jener geistigen Haltung adaquat sein
mufi.
Das Beethovenbild, welches sich in Publikationen, Beden und Programmen 1920
und besonders 1927 dokumentiert '), sieht noch vielfach anders aus, als das Bild aus
formal-geistiger Analyse, phanomenologischer Erkenntnis und intuitiv wesenhafter Schau.
Jene andere, pseudoromantische Vorstellung, die fur uns eine wiUkiirliche, gewaltsame
und entstellende ist, muB als die einer alteren Generation angesehen werden; es braucht
mehr als „25 Jahre neue Musik", bis eine neue Vorstellung umfassender Geltung
sich bildet.
Gewifi aber stellen sich die schon lange nicht mehr latenten Gegensatze zwischen
der sozusagen traditionellen und jener gegenwartig ausserst aktiven Anschauung zu,
welche auf eine Sauberung 2 ) von der pseudoromantischen, literarischen Patina der
Musik abzielt, was besonders in den Periodica seinen Niederschlag fand. Nach wie
vor, immer in Superlativen, gilt Beethoven dort — je nach der kulturpolitischen oder
weltanschaulichen EinsteUung 3 ) — als Erzieher zum Deutschtum, zur Beligiositat, zum
Staatsbiirger und zu mancher anderen ethischen Kalegorie — fast durchweg, ohne da£
von der Musik die Bede ist. Mit anderen sind, von den Fachzeitschriften abgesehen,
die „Sozialistischen Monatshefte" 4 ) ruhmend auszunehmen. — Die Buchproduktien bleibt
bei weitem hinter dem so uberreichen Zeitungs- und Zeitschriftenmaterial zuriick; zu
zitieren sind immer wieder die kleine instruktive Schrift des Schrifdeiters dieser Zeit-
schrift und Halm. 6 )
Da£ diese phanomenologisch-soziologisch bzw. geistig-formal gerichtete Literatur
ihrem Umfange nach langst nicht der tatsachlichen Lage entspricht, ist unzweifelhaft.
Umsomehr miissen wir wiinschen, recht bald das Beethovenbuch zu erhalten, das uns
gemass ist.
!) Kastner, Emerich : Bibliotheca Beethoveniana. 2. Aufl. m. Erg. u. Forts, von Theodor Rimmel,
Leipzig 1925.
Losch, Philipp: Beethoven-Literatur 1914-1922. Neues Beethoven-Jahrbuch Jg. 1 (1925) S. 202 ff.
Die Musik Jg. 19 (1927) S. 592 ff.
2 ) Schraitz, Arnold: Das romantische Beethovenbild. Berlin und Bonn 1927.
s) Z. B. Preufiische Jahrbucher, Bd. 207 (1927) S. 340 ff. ; Der Kunstwart Jg. 40 (1926 - 1927) S. 353 ff. ;
Deutsche Rundschau, Bd. 210 (Jg. 53) (1927) S. 235 ff. usw. S. a. Sandberger, Adolf: Das Erbe Beethovens
und unsere Zeit; Bede in Bonn am 26. 3. 1927; abgedr. Neues Beethoven-Jahrbuch Jg. 3 (1927) S. 18 ff.
4) Kurt Weill in Sozialist. Monatshefte 1927. S. 193/4.
») Mersmann, Hans: Beethoven. D. Synthese d. Stile. Berlin o. J. (Kulturgesch. d. Musik in Einzel-
darstellungen).
Halm, August: Beethoven. Berlin 1927.
EIN MOSKAUER SKIZZENBUCH VON BEETHOVEN 407
M. Iwano w-Boretzky (Moskau)
EIN MOSKAUER SKIZZENBUCH VON BEETHOVEN
Die russische Literatur enthalt einige Hinweise darauf, dafi ein Teil der Hand-
schriften Beethovens seiner Zeit nach Rufiland gelangt sind.
Noch im Jahre 1 900 hatten eiriige Moskauer Musiker — der Komponist S. J. T a n e -
jew und der Erforscher der alten russischen Kirchenmusik S. W. S mole n ski — Ge-
legenheit, in einer Privatsammlung eines gewissen Wenewitinow (eines Enkels mutter-
licherseits des in Rufiland bekannten Musikliebhabers Graf M. J. Wjelgorski, 1788 — 1856)
ein Skizzenbuch zu sehen, das in die ersten Jahre des 19. Jahrhunderts zu stellen ist.
Es enthalt Skizzen zum Oratorium „Christus am Olberge", Variationen in Esdur u. a.
Von diesem Buche wufite G. Nottebohm, der es durch eine dritte Person im
Jahre 1876 von der Mutter Wenewitinows auf drei Wochen erbat Im Jahre 1900
tauchte der spater nicht verwirklichte Vorschlag auf, das Skizzenbuch durch die Firma
Bjelajew in Leipzig zu veroffentlichen. 1 ) In den Handen des obenerwahnten Wjelgorski
waren noch einige Handschriften Beethovens, deren Spur jedoch spater audi verloren
gegangen ist. Eine betrachtliche Anzahl Beethovenscher Handschriften befanden sich
sodann im Besitze irgend eines Sammlers in Odessa; und schliefilich tauchte in der
allerletzten Zeit in Tageszeitungen die Kunde von einem kiirzlich entdeckten Vor-
handensein Beethovenscher Handschriften in Leningrad auf.
Im Jahre 1 922 wurde bei der Durchsicht von verschiedenem Material, das aus den
Sammlungen von Emigranten ins Zentralarchiv gekommen war, ein Skizzenbuch Beet-
hovens gefunden. Als das in Professoren-Kreisen des Moskauer Staatlichen Konser-
vatoriums bekannt wurde, (dessen Museum dieses Skizzenbuch ubergeben worden war),
war der erste Gedanke der, dafi es dasselbe Skizzenbuch ware, das im Jahre 1900 sich
im Besitze Wenewitinows befand. Es zeigte sich jedoch, dafi das nicht der Fall war.
Das im Jahre 1922 gefundene Skizzenbuch befand sich in einem Pappfutteral; das
Heft selbst (29X15,5 cm grofi) hat einen harten Pappeinband mit Goldschnitt und triigt
in der Mitte des Einbandes in goldenen Buchstaben die deutsche Inschrift „ Beethovens
Handschrift". Das Heft enthalt 50 Notenblatter, die anscheinend nicht von der
Hand Beethovens durchnummeriert sind. Die letzten 22 Seiten weisen grofiere
Zwischenraume zwischen den einzelnen Notenlinien auf. 2 ) Nach genauer Durchsicht des
ganzen Heftes ergab sich, dafi die Seiten 1—28 Skizzen zum a-moll Quartett, op. 132,
die ubrigen Blatter aber Entwurfe des B-dur Quartetts, op. 130, enthalten. Da die
erste Seite eine Skizze zu „Heiliger Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit" bringt
J ) Eine Reihe von Nachrichten fiber das personliche Bekanntwerden Wjelgorskis mit Beethoven in
Wien im Jahre 1808 und iiher die ihm gehorenden Handschriften des Meisters finden sich in dem Aufsatze
von M. Alexejew „Russische Begegnungen und Verbindungen Beethovens" in dem „ Russischen Buch
fiber Beethoven", das zur Jahrhundertfeier seines Todestages von der Staats-Akademie der Kunstwissen-
schaften heransgegeben worden ist.
2 ) Ein Faksimile aller 50 Seiten des Skizzenbuches erschien 1927 in Nr. 1—2 des Journals des
Moskauer Staatl. Konservatoriums „Musikalische Bildung" (Russisch und Deutsch). In Deutschland ist das
Journal bei dem Buchhandler und Antiquar K. W. Hiersemann, Leipzig, Xonigstr. 29, erhaltlich.
Einen kurzen Bericht fiber dieses Skizzenbuch gab ich auf dem Musikhistorischen Kongreft in Wien
im Marz 1927.
408 M. IAVANOW-BORETZKY
und wir wissen, dafi in jener Zeit Beethoven etwa Mitte April 1825 ') durch eine
Krankheit an das Bett gefesselt wurde, so geht darans hervor, dafi das Heft Ende April
oder Anfang Mai 1825 begonnen ist. Die letzten Aufzeichnungen auf den ersten
28 Seiten konnen wiederum niclit spater als Anfang August gemacht worden sein. Denn
schon am 11. August zeigt sich Beethoven in einem Briefe an seinen Neffen iiber das
Schicksal des Quartettes beunruhigt, dafi er Holz 2 ) zur Abschrift gegeben hatte. Ende
August driickt Beethoven in Briefen an seinen Neffen und an Holz die Zuversicht aus,
dafi das B-dur Quartett Anfang September fertig sein werde; „eine Hoffnung," so sagt
Thayer, „in der er sich wie in manchen anderen Fallen, getauscht sah."' ! ) In Wirklich-
keit war die Partitur des Quartette nach Thayer zwischen September und November
fertig. Im November findet sich im Gesprachsbuch schon der Entwurf zu einer Uber-
schrift fiir dieses Quartett, das wahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt vollstandig fertig
vorlag. 4 )
Vorausgesetzt, dafi es sich bei dieser Arbeit von Anfang an um das B-dur
Quartett handelt, so kann man behaupten, dafi die Aufzeichnungen auf Seite 29 — 50
unseres Heftes in den August zu stellen sind, wenn nicht etwa die Arbeit an beiden
Quartetten a-moll und B-dur zu gleicher Zeit vor sich ging. 5 ) In diesem Falle gehoren
alle Aufzeichnungen in die Sommermonate des Jahres 1825.
In Nottebohms Beethoveniana II fehlen die Skizzenheftc, die ein Bindeglied
zwischen den Untersuchungen des Aulsatzes ,,Ein Skizzenheft aus dem Jahre 1824" und
dem Artikel „Sechs Skizzenhefte aus den Jahren 1825 und 1826" gewesen waren. Das
Heft von 1824 endigt mit Entwiirfen zum 1. Teile des a-moll Quartette, in den Heften
des Jahres 1825 dagegen finden sich Skizzen zu den letzten Teilen des B-dur Quartette.
Im Jahre 1905 gibt De Bo da in der ,,Bivista Musicale Italiana" in dem Aufsatz „Un
quaderno di autograft di Beethoven del 1825" eine Beschreibung und Analyse des Heftes
vom Jahre 1825, das sich in seinem Besitze befand. Dieses Heft, das von Wien nach
Spanien gelangte, besteht nach der Beschreibung von de Boda aus 40 Bogen Noten-
papier von dem ublichen langlidien Format (32X25 cm). Ein Teil ist mit Bleistift, ein
anderer mit Tinte geschrieben. Auf der ersten Seite befinden sich Skizzen zum Kinale
des Es-dur Quartette, op. 127. Dann erscheinen solche fiir das Andante und Finale
des a-moll Quartette und schliefilich fiir das Molto Adagio. Auf Seite 38 beginnen die
Entwiirfe fiir den ersten Teil des B-dur Quartette, darauf die fiir das Presto, fiir das
Andante con moto, die Kavatine und die Schlufifuge.
Aus der Beschreibung des Heftes von de Boda und seinem Vergleich mit dem
unsrigen geht klar hervor, dafi beide Hefte zusammen die Liicke in Beethovens Ent-
*) Thayer, Ludwig van Beethovens Leben (Deiters-Riemann), 5. Band, 1908, S. 158 und 192.
2 ) „Von Holz hore ich nichts . . . welch schrecklicher Zufall, wenn er es verloren hatte, ... So
geschwind als moglich - beruhige mich -. Schrecklicher Verlust, auf nichts als kleinen Fetzen ist das
Konzept geschrieben, und nie mehr werde ich imstande sein, das Ganze so zu schreiben". a. a. O. S. 542.
3 ) Thayer, a. a. O. S. 543, 231, 228
4 ) Derselbe, a. a. O. S. 319, 280
) \ ergl. die Worte P. Mies' (Die Bedeutung der Skizzen Beethovens ziir Erkenntnis seines Stiles,
Leipzig, Br. & H. 1925 S. 133) fiber die oft gleichzeitig verlaiifende Arbeit Beethovens an mehreren Werken,
Ebenso die Bemerkung von G. No t'teboh m (Ein Skizzenbuch von Beethoven aus dem Jahre 1803, Leipzig.
Br. &H. 1880, S. 4-5).
EIN MOSKA.UER SKIZZENBUCH VON BEETHOVEN 409
wiirfen schliefien, die noch Nottebohm festgestellt hat. Es erscheint interessant, die
Frage zu losen, in welchem Verhaltnis diese beiden Hefte zueinander stehen, von denen
das eine in den auGersten Westen Europas — nach Spanien — gelangte, und das
andere im weiten Osten — in Rufiland — aufgestobert wurde, als ob dadurch die
weltumspannende Bedeutung des Beethovenschen Genius symbolisiert werden sollte.
Aus Erzahlungen von Dr. Spicker, der Beethoven im Jahre 1826 besuchte, wissen
wir, wie der Meister das Skizzenbucb benutzte. 1 ) Man konnte sich vorstellen, dafi unser
Heft — von nicht grofiem Format mit ausschliefilich Bleistift-Aufzeichnungen — zu
denen gehort, die Beethoven nicht nur zu Hause, sondern auch auf Spaziergangen be-
nutzte. Das Heft de Rodas wiederum, das grofieren Formates ist und nicht nur mit
Bleistift sondern auch mit Tinte geschriebene Skizzen enthalt, hatten wir zu denen zu
stellen, in denen Beethoven zu Hause am Schreibtisch arbeitete. Um den Versuch zu
machen, wenn auch nur vorlaufig das Verhaltnis beider Hefte zueinander aufzuklaren,
ist es notig, die in beiden enthaltenen Entwiirfe einander gegeniiberzustellen.
Quartett a-moll Molto adagio. De Roda fiihrt eine Skizze an, in der Beethoven
das Thema sucht, das die dritte Durchfuhrung des Chorals begleitet: (Notenbeispiel 1)*.
Er kommt daim zum Bhythmus dieses Themas (Notenbeispiel 2)*.
Dasselbe Thema findet sich auch in unserm Heft (Seite 3) fast in der endgiiltigen
Fassung: (Notenbeispiel 3)*.
Fur das Andante finden sich bei de Roda eine ganze Menge Skizzen. In unserm
Hefte dagegen konnte man wegen seiner manclimal sehr grofien Unleserlichkeit nur zwei
feststellen, die zu diesem Teile des Quartetts gehoren (Seite 1 und 2). (Notenbeispiel 4)*.
Alia marcia ist im Heft de Bodas nur an zwei Stellen vertreten, in unserem
dagegen recht oft. So gelt en dem Bezitativ (Piu allegro und dann Presto)
eine ganze Reihe von Aufzeichnungen. Die interessanteste ist die mit dem Ubergang
zum Finale, das hier — wenn man meine Lesart des Schlufies der 5. Seite richtig ist —
folgende Form hat: (Notenbeispiel 5)*.
Bei de Roda finden wir drei Varianten dieser Stelle und jedes enhalt 2 Zwischen-
takte in 3 /4 Takt nach der Fermate des letzten Taktes des Rezitativs, wie das z. B. aus
der dritten Variante ersichtlich wird: (Notenbeispiel 6)*.
In der endgiiltigen Fassung hat diese Stelle bekanntlich die folgende Form : (Noten-
beispiel 7)*.
Das heifit: diese zwei ersten Takte des Allegro nutzen das Motiv des Thema nicht
aus, sondern stellen nur den Rhythmus des Anfanges vom Finale her. Aufierdem ist
hier fur die 1. Violine ein Solo-Takt Poco adagio eingefuhrt, dazu eine Fermate.
Der Beschreibung der Entwiirfe fiir das Finale widmet de Roda zwolf Seiten 2 ) und
fuhrt unter anderem eine Stelle von 76 Takten Lange an. Diese Skizze (oft ist die voile
Harmonie mit angegeben) entsprechen 89 Takten in der endgiiltigen Gestalt vom
*) „das er, wie er uns sagte, auf Spaziergangen immer bei sich trug, um, wenn ihm
irgendein musikalischer Gedanke einfiel, ihn mit Bleistift sogleich darin anzumerken. Es war voll von ein-
zelnen Takten von Musik, angedeuteten Figuren usw. Mehrere grofie Biicher der Art lagen auf dem Pulte
neben seinem Pianoforte, in die langere Fragmente von Musik eingeschrieben waren". (Thayer, a. a. O .S. 371)
2 ) op. cit. a. a. O. S. 96-108
*) Siehe Notenbeilage.
410 M. IWANOW-BORETZKY
3. Takte bis zur zweiten Durchfiihrung des Themas. Eine lange* in die endgiiltige Form
vollstandig iibernommene Aufzeiclmung haben wir in unserem Hefte nicht. Dafiir ent-
halt es aber die Formung zweier Stellen, die bei de Roda noch in ganzlich unentwickeltem
Stadium zu finden sind. Auf Seite 6 unseres Heftes verzeichnet namlich Beethoven fur
die 2. Geige f— e (Notenbeispiel 8)*
Bei de Boda sieht die Stelle noch so aus (Notenbeispiel 9).
Auf Seite 21 unseres Heftes fmdet sich sodann folgende, mit der endgultigen Form
identische Partie des Violoncellos (Notenbeispiel 10)*, wahrend bei de Boda noch
(Notenbeispiel 11)* steht.
Bemerkenswert ist noch die Variante der zweiten Phrase des Hauptthemas. Sie
ist auf Seite 3 unseres Heftes sechstaktig (Notenbeispiel 12)*.
Auf Seite 7 ist sie bereits achttaktig, aber bei der Wiederholung trotzdem noch
sechstaktig (Notenbeispiel 13)*.
Bei de Boda stehen in dieser Phrase iiberall Achttakte, und rhythmisch ist sie
dieselbe wie in der endgultigen Fassung. Diese Phrase fand noch Nottebohm
(Beethoveniana H. Seite 549) im Skizzenbuch von 1824 in einer Gestalt, die der end-
gultigen nahe steht.
B-dur-Quartett. An Skizzen fiir dieses Quartett enthalt das Heft de Bodas
einige : sie fiihren nicht bis zur Auslegung des zweiten Themas. De Roda bemerkt dazu :
„Hier endet die Arbeit am ersten Teil. Ob sie in einem anderen Hefte fortgesetzt wurde,
das konnen wir nicht mit Sicherheit sagen. Nottebohm weist auf kein einziges von
diesen Heften hin." 1 ) Die Skizzen unseres Heftes umfassen nun audi das zweite Thema
des ersten Teiles, so dafi sich de Rodas Vermutung zum Teil bestatigt hat.
Bemerkenswert ist, dafi im Hefte de Bodas sich Aufzeichnungen fiir eine Bewegung
in Sextolen finden, die weder in unserem Hefte noch in der endgultigen Form vor-
kommen (Notenbeispiel 14)*.
Bei de Boda sind ferner alle Entwiirfe in dreiteiligen Takten, wahrend bei uns
nach vielen Stellen mit 8 /4-Takt, Beethoven endlich zum i ji tibergeht, der auch in der
entgiiltigen Form beibehalten worden ist.
Aus dem Gesagten ergibt sich mit geniigender Wahrscheinlichkeit folgendes :
1. Fiir einige der vier letzten Teile (nach der Einteilung Beethovens 2 ) des a-moll-
Quartetts sind bei de Boda mehr Aufzeichnungen vorhanden, fur einige andere in dem
unsrigen.
2. In gewissen Fallen sind die Skizzen bei Boda der endgultigen Form des Quartetts
naher, in anderen Fallen unsere Entwiirfe.
3. Fiir den ersten Teil des B-dur-Quartetts gehen unsere Aufzeichnungen weiter,
indem sie auch noch das 2. Thema dieses Teiles beriihren.
Hieraus kann man den wahrscheinlich richtigen Schlufi ziehen, dafi die Hefte beide
gleichzeitig benutzt worden sind und keins von beiden dem Stadium der Arbeit
nach vor der endgultigen Bedaktiori alter erscheint. Dieser Schlufi wird indirekt durch
die oben angefiihrten Worte aus dem Briefe Beethovens an seinen Neffen bestatigt:
„Auf nichts als kleinen Fetzen jst das Konzept geschrieben". An Tatsachlichem geben
•) op. cit. S. 602
8 ) „Das dritte Quartett (B-dur) erhalt auch (wie a-moll) 6 Stiicke" (Thayer, op. cit. S. 543.)
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414 , ALFRED ROSENZWEIG
beide Hefte — weder das unsrige noch das von de Roda — etwas Endgiiltiges. Der
zweite Schlufi ist der, dafi wahrscheinlich noch ein Skizzenbuch von Taschenformat
existiert hat, das die Fortsetzung unseres Heftes darstellen wurde und auch die Auf-
zeichnungen zur Ausarbeitung der Reprise des ersten Teiles und der iibrigen des B-dur-
Quartetts enthalten konnte. Man kann wohl nur schwer annehmen, dafi Beethoven bei
der weiteren Arbeit iiber diesem Quartett eines solcbem Heftes entbehrt hat und nur
das eine benutzte, d. h. dasjenige, das uns de Roda beschrieben hat.
Im Allgemeinen bestatigt die Gegeniiberstellung beider Hefte mit der endgultigen
Redaktion von neuem das schon fruher bekannte Arbeitsverfahren Beethovens und zu-
gleich den Umstand, dafi er von alien aufbauenden Varianten die am meisten vollendete
stets in die endgiiltige Fassung nahm.
Zum Schlufi sei es mir gestattet, einige Seiten aus unserem Skizzenbuch vorzulegen,
deren Verwendung in irgend einem der Beethoven'schen Werke festzustellen, mir nicht
gelungen ist.
Seite 36 des Skizzenbuches (Notenbeispiel 15; siehe S. 411). Die Unterschrift unter
der ersten Z'eile ist wohl als „zweiter Teil in ges" zu lesen. Es ist nicht ausgeschlossen,
dafi dieses Stuck zum zweiten Thema des ersten Teiles des B dur-Quartetts gehorte,
als der ganze Teil noch im 8 /4-Takt gedacht war.
Seite 39 des Skizzenbuches (Notenbeispiel 16; siehe S. 411). Darf man vielleicht
annehmen, dafi dieses Stuck in C-dur fur die 10. Symphonie bestimmt war? Seite 45
des Skizzenbuches (Notenbeispiel 17; siehe S. 413).
Alfred Rosenzweig (Wien)
EIN UNBEKANNTES SKIZZENBLATT BEETHOVENS
Die Spezialliteratur iiber die Skizzenbucher Beethovens hat im Anschlufi an die
gi'undlegenden Arbeiten Nottebohms die Kenntnisse des grofien, neugesichteten Materiales
urn sehr Wesentliches erweitert. Gewisse Grundvorgange der kompositorischen Arbeit,
so wohl aufierliche der Notierungsweise, als auch innere der Wandlungen eines Themas
vom Aufleuchten der ersten Eingebung an iiber die Zwischenstufen der rein gedank-
lichen Verarbeitung bis zu jenem Stadium, da seine Einordnung in eine schopferische
Kompositionsidee erfolgte, sind an vielen Einzelbeispielen klargelegt worden und gaben
neue chronologische Anhaltspunkte zur Entstehungsgeschichte mancher Werke.
Insbesondere das vielfach festgestellte, eigenartige Phanomen, dafi Beethovens In-
spiration Einfalle zeitigte, die nicht sofort zur Verwendung gelangten, sondern erst um
viele Jahre spater aufgegriffen und unter ganz anderen ideellen und technischen Voraus-
setzungen verwertet wurden, stellt die Forschung vor neue, iiberraschende Zusammen-
hange. Einen weiteren Beitrag hierzu liefert das hier veroffentlichte Autograph, ein
wahrscheinlich herausgerissenes und daher unbekannf gebliebenes Blatt aus einem der
Skizzenbucher Beethovens, das lange Jahrzehnte als kostbarer Familienbesitz von einer
Wiener Musikerfamilie bewahrt wurde und vor einem Jahr in die Hande eines in-
zwischen ausgewanderten Ingenieurs geriet, der es wohl dem internationalen Auktions-
markt zugefiihrt haben diirfte.
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Ein unbekanntes Skizzenblatt Beethovens.
(Zu dem Aufsatz S. 414)
416 ALFRED ROSENZWEIG
Es ist ein Skizzenblatt zum zweiten S treichguar tett, dessen Entstehungszeit
von Thayer in die letzten ffinf Jahre vor 1801, dem Erscheinungsjahr der Quartette
op. 18 angesetzt wird. Aus seiner Analyse geht hervor, dafi das im Verlauf des
Skizzierens aufgeworfene Material nicht zur Ganze fiir dieses Werk verwendet
wurde, sondern erst vier bis fiinf Jahre spater in eine andere Komposition
Eingang fand: In die in den Jahren 1802 bis 1804 entstandene Kreutzer-Sonate
op. 47.
In zehn Zeilen kiihn hingeworfener Notenschrift gewinnt der kapriziose Mittelteil
des Adagio aus dem G-dur-Streichguar tet t op. 18 Nr. 2 Gestalt. Das Manuskript
beginnt in einzeiliger Notierung mit den zum Allegro iiberleitenden 4 Takten. Es ent-
spricht (bis auf ein spater der Sekundgeige zugetedtes „f" im zweiten Takte) der origi-
nalen Stimme der Primgeige. Hieran schliefien sich nun zwei Takte gebrochene
Akkordfolgen, die in der Partitur des Streichguartetts nicht vorkommen. Verworfen
und hartnackig wieder aufgenommen, werden diese Sechzehntel-Figuren im weiteren
Verlaufe noch zweimal skizziert: es ist der erwahnte Einschub, der erst spater
in der Kreutzer-Sonate u. zw. im ersten Satz als Uberleitungspartie
zum Seitenthema thematische Bedeutung gewinnt. (Vgl. Kreutzer-
Sonate Takt 46 ff.)
Nach dem ersten Aufrreten dieses Figurenwerks wird das Quartett-Thema wieder
aufgegriffen. Der Bafi-Schliissel bedeutet die Verlegung der Melodie in das Cello. Mit
Einfiihrung des Violinschliissels erscbeint das Thema um eine Terz tiei'er deutlich ab-
kadenziert. Die folgenden Takte bringen nach einer kurzen modulatorischen Wendung
wieder die aus der Kreutzer-Sonate vorweggenommene Figur. Nach abermaliger Kadenz
beginnt eine Skizzierung der zweiten Periode, die natiirlich hier noch stark von der
endgiiltigen Fassung abweicht. Und zwar scheint dem Meister, wie aus dem jahen Um-
springen der Melodie von der oberen in die untere Oktave und umgekehrt, hervorgeht,
eine durchbrochene Arbeit zwischen zwei Stimmen vorgeschwebt zu haben.
Auf diesen in der Skizze achttaktigen Zwischensatz, der mit einer Kadenz auf der
Tonika schliefit, folgt eine gleichfalls achttaktige Partie, in der die zweite Allegro-Periode
unter Beriihrung der Dominantsept ausgesponnen und wie fruher in durchbrochener
Arbeit zu Ende gefuhrt wird.
Den SchluB des Autographs bilden die vier Uberleitungstakte zur Beprise des
ersten Teils, die hier bereits ihre auch im Original beibehaltene Gestalt aufweisen. In
zweizeiliger Notierung erscheint in der oberen Linie das genaue Satzbild der Partitur
mit den sukzessiven Stimmeinsatzen der Sekundgeige und Bratsche, wahrend die wild
hingeschleuderten Notenzeichen des Basses die fiir diese Uberleitungstakte so charakte-
ristische ostinate Cello-Figur wiedergeben.
GENERATION UND VERG ANGENHEIT 4\J
WISSENSCHAFT
".*■
4 Hans Th. David (z. Zt. Frankfurt a. M.)
GENERATION UND VERGANGENHEIT
l.
Aus dem Zusammenwirken der in gleicher Zeit tatigen Menschen, aus Gemeinsam-
keit, Gegensatz und innerem Ausgleich erwachst wahrend jeden Stadiums geschicht-
licher Entwicklungen eine charakteristische. eine (trotz der Verschiedenheit der auf-
bauenden Krafte) bemerkenswert einheitlich erscheinende Gesamttatsache : die „Zeitlage".
Allen den jungen Menschen also, deren bestimmende Jahre in die gleiclie begrenzte Phase
.irgendeines kulturellen Ablaufs fallen, wird zu Auswahl und Verarbeitung im wesentiichen
derselbe Stoff sich bieten. Indem derart die Heranwachsenden unter zumindest ahnlichen
Bedingungen ihren Geist, ihre Seele und Halturig bilden, gewinnen sie naturgemafi
untereinander tiefere Verwandschaft. Wenn nun die zunachst nur Aufnehmenden in
das eigentlich tatige Leben hiniibertreten, wirkt naturgemafi die Gleichgerichtetheit ihrer
Strebungen in ihren Leistungen sich aus. Daruber hinaus werden dann auch diese
Menschen durch personliche oder sachliche Beziehungen einander verbunden — so steigert
und erganzt sich noch das (zunachst aus den Bildungsbedingungen erwachsene) Ver-
bundensein der gleichzeitig schaffenden Menschen. Derart finden die nunmehr auf-
wachsenden jungen Menschen wiederum gemeinsame Entwickhingsvoraussetzungen. Und
die Nachkommenden erleben beim Studium der Leistungen des fruheren Zeitabschnitts,
wie sehr alles Tun sogar tief unterschiedener Charaktere von dem iiberindividuellen
Geist einer Stunde, eines Jahres, eines Jahrzehnts beherrscht war.
Nicht wenige Menschen streben, neue Gebiete zu entdecken, zu erobern; Andere
bemiihen sich, ererbtes oder erworbenes Gut zu verteidigen, zerstorende Entwicklung zu
hemmen. So verhindert ein tiefster Gegensatz wirkender Krafte immer wieder volligen
Ausgleich der Meinungen und Haltungen (wenn auch fur den Spateren die Unterschiede
im Wollen von Zeitgenossen zuriicktreten gegeniiber der Gleichartigkeit aller Aus-
formungen ihres Geistes).
Stets gibt es frisch Zupackende, stets auch murrisch Verneinende. So mochte man
wohl annehmen, der Kampf zwischen ihnen werde nie unterbrochen, ziehe sich in
gleichmaCiger Starke durch die Jahrhunderte. Indessen, genauere Untersuchung irgend-
einer geschichtlichen Wirklichkeit lafit erkennen, dafi die weitertreibenden und die ihnen
feindlichen Krafte selten einander gleichgewichtig sind. Bald entsteht in kiirzester, un-
gehemmter Entwicklung ein wahrhaft bedeutendes und umfassendes Neues, dann wieder
scheint wahrend vieler Jahre jeder Fortschritt, jede umgestaltend produktive Leistung
unterdriickt — der Geist der Zeit, die Zeitlage wird bald mehr von den aktiven Per-
sonlichkeiten und Massen, bald mehr von Befriedigten, von denen, die nur am Ge-
gebenen weiterarbeiten, bestimmt. So bleiben regelmafiig durch gewisse Zeitspannen
hindurch bestimmte Grundhaltungen giiltig. Infolgedessen erscheinen uns, tiefer ge-
sehen, als gleichaltrig nicht nur die wenigen Menschen, die etwa gleichzeitig geboren
wurden, deren Bildung also tatsachlich im gleichen kulturellen Stadium erfolgte, sondern
418 HANS TH. DAVID
jene grofiere Gruppe von (ganz weit gefafit) derselben Zeit angehorenden Menschen,
deren Tun von gleichen Voraussetzungen ausgeht und verwandte Ideen zu verwirklichen
strebt. Indem zwischen ihnen alien eine grundlegende Gemeinsamkeit besteht, sind wir
wohl berechtigt, sie als Trager einer bestimmten Haltung, als Schaffende eines eigenen
Zeilgeistes, als von einer besonderen Zeitlage her Bestimmte unter einem zusammen-
fassenden Wort zu begreifen: von „Generation" in geistigem Sinne zu sprechen.
2.
Die Ansichten eines Menschen, Ziel und Verlauf seiner Handlungen werden,
deutlich oder audi weniger fiihlbar, vom Lebensalter bestimmt. Wer mit unverbrauchten
Kraften ins Leben tritt, der wird die Grenzen der Menschheit zu erweitern wiinschen;
wer lange geduldet und gekampft hat, der wird sich gern rait dem bisher Geleisteten
begmigen. Jener Gegensatz des angreifenden Fortschritts und des befriedigten, des resig-
nierten oder auch zukunftsangstlichen Beharrens auSert sich zunachst und vielleicht am
stiirksten als der von Jugend und Alter.
Wenn die jungen Menschen zum bewufiten Leben erwachen, fiihlen sie in der
Umwelt Krafte wirksam, die in ihnen selbst nicht oder noch nicht lebendig sind, Krafte
zumeist, gegen die eine des eignen Werts bewuftte Jugendlichkeit sich auflehnen mufi.
Die werdenden Individualitaten stellen sich daher unwillkurlich in Gegensatz gegen die
fertigen, gepragten Charaktere der Alteren Solcher Art ist nicht selten die uberhaupt
erste selbstandige Existenzaufierung des neuen Willens; sie darf als Anzeichen einer
inneren Kraft gelten, wie ja in ihr fast stets Grundlage und Antrieb zu alien spateren
Leistungen enthalten sind.
Indem die Jugend ihre Lebendigkeit als solche zur Geltung zu bringen versucht,
wird sie unwillkiirlich das, was die iilteren Mitbtirger der geistigen Welt schaffen und
erstreben, insgesamt als alt, als unlebendig abweisen. So mag sie leicht jedes von den
nunmehr Gereiften begonnene Unternehmen fur bekampfenswert halten, ohne zu iiber-
denken, ob die erstrebten Ziele bereits erreicht wurden oder noch erstrebenswert ge-
blieben waren. Nachtragliche Einsicht. der Zwang der Situationen wird spaterhin die
entwicklungsfahigen Ansatze fortzubilden zwingen — zunachst wird doch jene kampfe-
rische, oppositionelle Haltung das jugendliche Wollen wesentlich mitbestimmen. —
Fiir jede Generation als solche heben sich aus dem Bild der Umwelt. zwei grofie
Gruppen von Erscheinungen bedeutsam heraus: die Dinge und Aufgaben einerseits, die
man als wertvoll, deren Erfiillung man als notwendig empfindet, die Dinge und Auf-
gaben andererseits, die man als schadlich erkennt und bekampft. Dieser Gegensatz des
den Menschen einer Zeit Gemafien und des ihnen Feindlichen ist ihnen von vornherein
gegeben: er erwachst nicht etwa aus Uberlegungen und Programmen, sondern alle
Formulierungen sind nur ein gedankliches Verdeutlichen einer Haltung, eines Reagierens,
das ganz unabhangig von aller Ssthetisclien Theorie erfolgte und stets von neuem aus
der Ganzheit des Wesens wiedererwachst.
Dem oben umschriebenen Sachverhalt entsprechend wird hierbei von der jungen
Generation als positiv bewertet — die nachtraglichen Verschiebungen diirfen in der
vorliegenden Betrachtung unbedenklich ubergangen werden — einfach alles Entwicklungs-
fahige, auf kunftige Leistungen Vorausweisende oder selbst als Gestaltung eines wahrhaft
Neuen zu Empfindende. Als negativ erscheint alles bereits Veraltete: die Gebilde,
GENERATION UND VERGANGENHEIT 419
deren Typus vorher bereits reiner und folgerich tiger verwirktlicht worden war, die, in
denen Ziele einer vergangenen Epoclie unfruchtbar weiterverfolgt werden, diejenigen
endlich, aus deren Aufbau ein Mifiverhaltnis von Mitteln, Teilen oder Elementen unter-
einander oder zum Ganzen Altersschwache empfinden lafit. Regelmafiig also sind
die mit leidenschaftlicher Freude aufgenommenen und weitergetragenen Werke Aus-
formungen des Geists der neuen Generation selbst; sie enthalten oder erstreben Werte
der Gegenwart oder Zukunft, im Bild der geschicbtlichen Entwicklung fur die Zeit-
genossen den Abschlufi bezeichnend. Die bekampften Erscheinungen hingegen sind
Pragung von Strebungen der vorangegangenen Generation; sie stellen ein letztes Stadium
der eigentlichen Vergangenheit dar.
So sind die Gruppen der Werke, die sicb begeisterte Hingabe erzwingen und jener,
die schroffe Ablehnung erfahren, zu begreifen als Schichten der historischen Entwick-
lung — ein erster bedeutsamster Zug im geschichtlichen Bild, wie es wold jeder
Generation vor Augen steht.
3.
Alles dies mag, ausgesprochen oder doch gleichsam in der Luft liegend, bekannt
sein. Aber es gibt aufier den bezeichneten Haltungen der Hingabe und Absage erne
dritte primare Einstellung der Generation zu Erscheinungen der Umwelt, eine Einstellung,
auf die bisher wohl noch nicht hingewiesen worden ist: Gleichgiiltigkeit.
Wenn wir Gestaltungen und Leistungen der Vergangenheit bekampfen, so geschieht
das selbstverstandlich nicht aus Freude am Zerstorungswerk. Sondern, weil wir in
jenen Krafte spuren, die uns gefahrlich werden konnen — deren schadliche Auswirkung
wir erkennen und die doch in uns nodi lebendig sind. Letztes Ziel des Kampfes ist
nicht die Vernichtung eines fremden Willens, sondern die Reinigung des eigenen lnnern.
Nicht gegen die Vergangenheit als solche richtet sich unsere Verneinung, sondern gegen
ihren wertlos gewordenen Niederschlag in uns und in der von uns ubernommenen
Kultur. Wenn nun aber die erstrebte und notwendige Verdrangung des uns nicht mehr
Gemafien durchgefuhrt ist, entsteht ein eigenartiges Stadium der Ruhe. Die Schlacken
fruherer historischer Prozesse sind getilgt, um Lauterung in diesem Sinn brauchen
wir uns nicht mehr zu bemuhen. Zugleich aber sind die Beziehungen zu den Gebilden,
in denen die fiir uns nun nicht mehr gultigen Werte sich verwirklicht hatten, aufgehoben.
Indem wir die Macht, die uns verderblich erschien, zerstorten, wurden uns ihre Trager
fremd; wir sehen nicht mehr eine Gefahr in ihnen, aber zugleich verschlofi sich uns
der in ihnen ausgeformte Gehalt.
Manches Werk des 19. Jahrhunderts vermag nicht mehr die Anerkennung zu
nnden, die ihm friiher, vielleicht noch vor kurzem, zugefallen war. Man weifi, wie viele
Menschen etwa Auffiihrungen von Werken Wagners meiden und dafi nicht wenige auf
Darbietungen Brahmscher Musik nicht ungern verzichten. Fragt man nach dem Warum,
so wird man selten eine Antwort bekommen, die auf Kampfstellung schliefien laGt.
Diese 'Kunstgebilde erscheinen nidit etwa als unerfreulich oder hassenswert, als ver-
derblich, sondern sie werden als nichtssagend empfunden, als gehaltlos — sie ver-
breiten Langeweile.
Niemand wird im Ernst behaupten wollen, die Schopfungen etwa von Brahms
oder Wagner besafien keinen rechten inneren Wert. Offenbar also liegt hier eine per-
420 HANS TH. DAVID
sonfiche Ungerechtigkeit vor, eine Unfahigkeit des Aufhahmevermogens. Solche Grenze
der Rezeption ist aber vielen etwa gleichaltrigen Menschen gesetzt: indem sie das
kiinstlerische Leben einer breiten Gruppe beherrscht, erweist sie sich als Kennzeichen
eines bestimmten Generationsgefiihls. —
Bevor man an Wagner und Brahms verzweifelte, fand man Schumann blafi,
Mendelssohn ode, Meyerbeer unertraglich und wohl gar Schubert nichtssagend. Es gab
Zeiten, wahrend deren man an Haydn und Mozart uninteressiert vorbeiging (ihre
Folgen sind, was Haydn angeht, noch heute zu spiiren). Und dafi man die „gotische"
Kunst mit einem Wort, das „barbarisch, wirr" meinte, bezeichnete, fur die „barocke"
diesen Namen, der das Unregelmafiige, Gesetzlose als entscheidend hervorhob, wahlte,
beweist deutlich genug eine vollkommene Verstandnislosigkeit, ja ein Fehlen iiberhaupt
jeglicher Beziehung zwischen einer Gegenwart und einer friiheren Zeit. Der oben er-
wahnte Mangel darf also keineswegs als Eigenheit der heutigen Jugend ausgelegt
werden, sondern offenbar gibt es fur jede Generation eine gewisse Vergangenheit, deren
Schaffen ihr reizlos erscheint. Jenseits der besonderen Entwicklungsschichten, deren Pro-
dukte noch affekterfullte Stellungnahme veranlassen, begin nt ein Gebiet, dessen Erzeugnisse
nur mit Gleichgiiltigkeit aufgenommen werden — ein weiterer bedeutsamer Zug in
dem Generationen als solchen vorschwebenden Bdd der Vergangenheit.
4.
Gewisse Werke grofier Kiinstler sind nie ganz in Vergessenheit geraten. Die Kunst
ferner Zeiten hat vielfacb, wie die Wiederentdeckung der Antike in der Renaissance,
der Gotik urn 1800, des Barock oder gar der Werkstatt des agyptischen Ketzerkonigs
in der jiingsten Zeit beweist, eine hochst lebendige Auferstehung erfahren. Ein tieferes
Verhaltnis zu Schopfungen der Vergangenheit ist also fraglos moglich. Etwa die Bam-
berger Prophetenreliefs und die Naumburger Stifterfiguren, Gemalde eines Griinewald
oder Holbein, Figuren von Riemenschneider, Bauten des Elias Holl und Balthasar
Neumann, die Klange der Kompositionen von Giovanni Gabrieli oder Monteverdi, die
Gestaltungen von Couperin oder Purcell, Bach und Handel, die in Werken von Haydn,
Mozart oder Beethoven ausgepragten Gehalte beriihren uns ganz unmittelbar ; nicht
historisches Interesse zieht uns zu diesen Schopfungen vergangener Zeit, sondern das
Erlebnis innerer Bereicherung oder Bestatigung, das uns aus ihnen erwachst.
Die Unmoglichkeit, Werte aus Schopfungen einer friiheren Zeit zu erfassen, er-
streckt sich nur auf einen durchaus begrenzten Ausschnitt aus der Vergangenheit. Wie
laute Schalle, die in einem gewissen Umkreis grofierer Entfernung von der Schallquelle
nicht mehr vernommen werden kflnnen, an Punkten noch weiterer Entfernung wiederum
bemerkbar sind, so werden gehaltvolle Werke, mogen sie auch langere Zeit mit Gleich-
giiltigkeit betrachtet worden sein, doch wiederum erfafibar werden konnen. Jene Leere
erstreckt sich also keineswegs iiber das ganze Gebiet der betrachteten Vergangenheit
bis zu den irgendwie noch als aktuell wirkenden Gestalten, sondern sie verhindert nur
die Reaktion gegeniiber einer begrenzten Schicht von Werken, als eine Lvicke im
historischen Blickfeld, jenseits deren ein Verstehen durchaus wieder moglich ist.
Freilich, wir stehen den Werken der alteren Zeit anders gegenuber als denen der
Gegenwart und denen der jiingsten Phasen der kiinstlerischen oder kulturellen Ent-
wicklung. Fiir . alles das, was in unserer Zeit geschieht, fiihlen wir uns ja, als Zeit-
GENERATION UND VERGANGENHE1T 421
genossen, mitverantwortlich. Da wir eine innere Verpflichtung oder gar einen Zwang
fiihlen, unserer Existenz Inhalt, Gestalt, Niveau zu gebeu, ist es nicht gleichgiil'tig,
welche Kunst wir aufnehmen und also: welche Kunst gemacht wird. So zwingt jede
Darbietuug oder Anschauung eines modernen Werks zu einer Entscheidung. Daher
denn auch die Scharfe, mit der die Jugend gegen die iiberlebten Vorganger, der Alterude
gegen die so selbstbewufit „Unverstandliches" produzierende Moderne vorgeht. Die Werke
der Vergangenheit, unveranderlich, nicht mehr beinflufibar und nicbt mehr auf ihre
Auswirkung hin zu iiberdenken, sind solcher eigentlichen Entscheidung entzogen. Gewrfi,
audi bier kann nur personlichstes Bemiihen die tieferen Werte sich erschliefien. Aber
vor uns gestellt wird in ihnen eine fertige Kultur, aus der wir auswahlen mogen, nicht
eine werdende, von uns und fur unsere Zeit zu schaffende. Und so fehlt hier jene Aktivitat
der Stellungnahme : eine prinzipiell andersgeartete Einstellung beherrscht uns bei der
Aufnahme von Werken alter er Zeit.
Die Liicke im historischen Verstehen scheidet das Gebiet des Gegenwartigen, des
Kanrpfes von dem des ungehemmten Genusses, von dem der gewissermafien nur passiven
Rezeption — sie erst, so scheint es, ermoglicht den Ubergang von der leidenschaftlichen
Anerkennung und dann Ablehnung zu einer besonnenen Einschatzung und doch warmen
Aufnahme der kiinstlerischen, der kulturellen Schopfungen.
5.
Der Begriff der Generation ist einer der beliebtesten und bezeichnendsten unseres
zeitgenossischen Denkens. Offensichtlicb haben wir die Probleme des Generations-
wechsels in besonder Scharfe erfahren. Nun erwachst das Erlebnis der Generation als
solcher zunacbst aus dem Fiihlen und Erkennen eines Andersseins. Dementsprechend
wird gegenwartig von dem historischen Bild, das die Generation sich zeichnet, insbe-
sondere nur der Gegensatz zwischen den jungen Menschen, die sich zum Auf ban neuer
Werte und unter neuen Ideen zusammenschliefien, und den Alteren, deren Tun den
Nachfolgenden sinnlos oder vvertlos erscheint, gesehen. So ergaben sich allein die Auf-
gaben der Begriindung, Verteidigung und Ausbreitung der neuen Haltung. Nachdem
auf das Vorhandensein jenes historischen Lochs hingewiesen wurde, zeigt sich uns eine
zweite Gruppe von primaren Aufgaben. Die Grenze der historischen Leere nach der
Gegenwart zu wird ja durch das Lebensgefiihl der bestimmenden oder aufwachsenden
Generation mit geradezu automatischer Sicherheit stetig festgelegt. Wemi aber eine
Zeit mit ihren Produkten in das Gebiet der Gleichgultigkeit zurixckgeglitten ist, tritt
nicht leicbt eine Nachpriifung der einmal vollzogenen Ablehnung ein. Wir miissen also
immer wieder uns vergewissern, ob nicht die eben noch verachteten oder geringge-
schatzen Werke fur uns bereits wieder verstandlich, ob nicht die verkannten Werte
erneut erlebbar geworden sind: wir bediirfen des stetigen Bewufitseins, da6 es jene
partielle Wertstumpflieit gibt und dafi sie fiir jede bedeutendere Leistung der Ver-
gangenheit einmal (vielleicht oder sogar wahrscheinlich ganz plotzlicli) auf-
horen kann.
Durch Jahrhunderte hindurch sind Werke, zu denen man doch vielleicht ein Ver-
haltnis hatte gewinnen koniien, unbeachtet gebliebeh. Demgegeniiber versucbt unsere Zeit,
durch die Leistungen genialer Historikei'generationen befruchtet, von auffallender
Steigerung der Anspriiche getrieben, an vielen Punkten altes Kulturgut zu erfassen und
422 MELOSKRITIK
so das Leben zu bereichern: sie sollte vor allem daher den dargestellten Zusammenhang,
aus dem der Wiedergewinn von verlorenen Werten verhaltnismafiig grofier zeitliclier
Nahe sich ergeben kann, nicht unbeachtet lassen.
Aus der Feststellung jenes Aussetzens .des Verstehens gegeniiber Gestaltungen der
Vergangenheit ergibt sich noch eine andere Folgerung. Fast alle alteren Werke haben
eine Zeit des Vergessenseins erfahren niiissen. Ihre auffiihrungsmafiige Uberlieferung
geht also regelmafiig nicht auf die Zeit der Entstehung zuriick, sondern auf die def
Wiedererweckung; so wird nunmehr prinzipiell deutlich, warum gegeniiber aller „stil-
echten" Spielgewohnheit starke Skepsis moglich, ja notwendig genannt werden mufi. ')
Leider mufi ich mir versagen, die Bedeutung, die das Wissen um jene historische
Liicke fur Auffiihrung und Wiederbelebung alter Musik oder fiir die Erklarung von
Fehlurteilen einzelner oder ganzer. Generationen gegeniiber Werken friiherer Zeit ge-
winnen konnte, an Einzelheiten zu erlautern. Immerhin scheint mir der Begriff der
„historischen Liicke" (auf den Namen kommt es zunachst nicht an) so sehr einen in
mehrfacher Hinsicht fruchtbar zu verwertenden Einsatzpunkt zu bezeichnen, dafi ich
wiinsche, es moge der ihm zugrundeliegende Sachverhalt allgeniein erkannt und be-
riicksichtigt werden.
MELOSKRITIK
Die nene, hier angestrebte Form der Kritik beruht darauf, da/3
sie von mehreren ausgeiibt wird. Dadurch soil ihre Wertung von
alien Zufalligkeiten und Hemmungen abgelost werden, denen der
Einzelne ausgesetzt ist. Langsam gewonnene, gerneinsame Formu-
lierung, aus gleicher Gesinnung entstanden, erstrebt einen hoheren
Grad von Verbindlicbkeit. So ist jede der vorgelegten Bespre-
chungen ein Produkt gemeinsamer Arbeit der Unterzeichneten.
NEUE SONATEN VON ALEXANDER JEMNITZ
Einige neue Arbeiten dieses ungarischen Komponisten lassen eine stilistische Ent-
wicklung und Eigenart der Physiognomie erkennen, die eine Beschaftigung mit ihnen
nahe legt. Die dritte Son ate fiir Violine und Klavier op. 22 zeigt die sich immer
starker lierausschalende Individualitat dieser Musik gegeniiber der noch stark von Reger
abhangigen, etwas akademischen zweiten Sonate op. 14. Hier verbinden sich in inter-
essanter Weise Stilgegensatze, die ihrer Art nach nahezu eine Verschmelzung auszu-
schliefien schienen: ein holier Grad von Abstraktion, der Schonbergs Einflufi verrat,
und eine Freude an freier, phantasierender Linienfiihrung, hinter der national-ungarische
Elemente spiirbar werden.
Diese Art des Improvisierens fiihrt beide Instrumente bis an die aufiersten Grenzen
ihrer technischen Mflglichkeiten : rhapsodisches Springen im Tonraum, Wechsel von
J ) Man vergleicbe meine Untersuchung „Triigerische Auffiihrungstraditionen" im letzten Heft des
„Melos" 1926.
DEUTSCHE KAMMERMUSIK BADEN-BADEN 1928 423
Flageolett-, natiirlichen Tonen und Glissandi in kleinsten Figuren in der Geige,
extreme Klangbrechungen in der begleitenden Klavierstimme. - Die stark ornamental
zerlegte Violinstimme wird durch eine akkordische Begleitung gestiitzt, deren Harmonik
konsequent atonal ist. Den Stil des Werkes belegen seine vier ersten Takte: (Noten-
beispiel 1)*. Die Folge der Satze gewinnt eine immer starkere Festigung des Form-
bilds. Den verfliefienden Konturen des ersten Satzes steht im Mittelsatz eine Bindung
der improvisateriscben Kriifte gegentiber, die sich im Finale bis zur Geschlossenheit der
Rondoform steigert.
Diese formale Stabilitat erscheint in der Tanzsonate op. 23 fur Klavier so weit
gefestigt, dafi die Improvision auf grofie Strecken zurucktritt. Von der fast impressio-
nistischen Gleichformigkeit des ersten Satzes steigt die Linie in wachsender Intensivierung
der Tanzelemente bis zum Finale, in dem Krafte des Volkstanzes durclibrechen, aber
durch die komplizierte Tonspracbe verscbleiert werden. Das ganze Werk ist einfacher
als die Violinsonate, aber nicht so iiberzeugend.
Die Stilgegensatze dieser beiden Werke sind in der Duosonate fiir Viola und
Cello op. 25 vereint. Sie beginnt in einer nocb abstrakteren Spraclie als die Violin-
sonate und endet in einem Finale, in dem eine plastische und unmittelbare Rhythmik
vorherrscht. Die durch die beiden Melodieinstrumente bedingte Stimmfuhrung treibt
diesen Satz noch mehr in die Sphare des rein Gedanklichen. Seine gesteigerte Kon-
struktivitat zerlegt die improvisierende Linie vom Ornament aus in kleinste Teilgebilde,
ohne indes zu einer Architektonik der Gesamtform zu gelangen (Notenbeispiel 2)*. Auch
das Scherzo wird in die spekulative Atmosphare des ersten Satzes hineingezogen,
wahrend das iiber einem rhythmischen Ostinatomotiv (alia tamburo) aufgebaute Adagio
in grofierem melodischem Atem starkere expressive, fast pathetische Elemente aufweist
und so zu dem gestrafften Finale iiberleitet. Von der national-tanzerischen Haltung
dieses Satzes gibt das folgende Allegrettothema ein deutliches Bild (Notenbeispiel 3)*.
Die weit gespannten Ausdrucksgrenzen des Komponisten lafit dieses wesentlichste
und entwicklungsmafiig interessanteste der hier besprochenen Werke am besten erkennen.
Eine sich von jeder Konzession an Klangwirkung und Darstellbarkeit ablosende Ton-
spracbe intensiviert sich zum Ausdruck einer abseitigen und eigenartigen Individualitat,
ohne dafi die Stilwerte dieser Entwicklung irgend eine Verallgemeinerung zuliefien.
Hans Mersmann, Hans Schultze-Ritter
und Heinrich Strobe!
DEUTSCHE KAMMERMUSIK BADEN-BADEN 1928
l.
Der Begriff „Kammermusik" ist nicht mehr wortlich zu nehmen. Die Donau-
eschinger Idee hat sich im Laufe der letzten vier Jahre grundsatzlich gewandelt. An
die Stelle zufallig eingesandter Konzertmusik traten immer mehr solche Stticke, die vom
*) Siehe Noteubcilaire
424 MELOSKRITIK
Arbeitsausschufi bestellt wurden, um neue Moglichkeiten zu erproben und die Musik
in nachste Beziehung zu gegenwartigen Lebensformen zu setzen. Die Ubersiedlung nach
Baden-Baden begiinstigte die Erweiterung des Aufgabenkreises : Filmmusik und Kurz-
oper spielten in den Programmen dieses und des vorjahrigen Festes die Hauptrolle.
Man ist in diesem Jahre sogar noch weiter gegangen. Man hat die Kammermusik
ganz ausgeschaltet und dadurch erreicht, dafi Werke von der sublimen Abseitigkeit einer
Lyrischen Suite Alban Bergs nicht mehr an einer Stelle aufgefiihrt werden, die inimer
ausgesprochener zu einer Versuchsstatte reiner Gebrauchsmusik werden wollte. So be-
schrankte man die diesmal aufgefiihrte Konzertmusik auf zwei in letzter Zeit wenig ent-
wickelte Gebiete, von denen man erwartete, dafi aus ihnen eine neue, wesentlich
zweckhafte Musik hervorgehen wiirde. Das waren Kantate und Orgelmusik.
Wenn man von dem Ertrag dieser Konzerte aus auf die Moglichkeiten gegen-
wartiger Orgelmusik schliefien will, so ist deren Zukunft nicht eben sehr aussichtsreich.
Freilich wurde der von Hindemith seit zwei Jahren gewiesene (und gelegendich auch
durch die Praxis schon bestatigte) Weg einer weltlichen, mit Theater und Film ver-
bundenen Orgelmusik nicht weiter beschritten. Denn die diesmal gespielten Werke
fiihrten entweder die stilistischen Traditionen einer kirchlich-gebundenen aber einer
konzertmafiig begrenzten Musik weiter.
Fidelio Finkes Choralfantasie ist in diesem Rahmen nicht diskutierbar. Peppings
Choralvorspiele nehmen durch die Konsequenz ihrer polyphonen Arbeit und ihre Sach-
lichkeit fiir sich ein, verlieren sich aber spater, namentlich in der abschliefienden
Toccata, in Gestaltlosigkeit. Humperts Sonate macht sich von der typischen Orgel-
polyphonie vollig frei uud erreicht bei intensiv orgelmafiiger Haltung konzertierende
Bewegungsfiille und starke formale Geschlossenheit. Auch Jarnachs Romanzero III
meidet Polyphonie; das architektonisch ausgezeichnet aufgebaute Stuck ist von feiner
Farbigkeit, aber nicht spezifisch orgelmafiig erfunden.
Auch in der Kantate wurden keine neuen Wege gesucht sondern in den meisten
Fallen gesicherte Wirkungen befestigt. Singstimme und Instrumentalmusik standen in
gewohnter erganzender Verbundenheit und dieuten bei selbstverstandlicher stilistischer
Verschiedenheit der einzelnen Losungen im Grunde der Steigerung des Wortausdrucks.
Von einer Ankniipfung an die neuen Stilwerte, welche in der Oper in den letzten
Jahren fiir die Losung des Wort-Ton-Problems gefunden wurden, war wenig zu spiiren.
Am ehesten liegt noch Hauers Chorkantate ,,Wandlungen" fiir Soli, Chor und
Kammerorchester auf dieser Linie. Holderlins Figuren, die Menschenschicksal ins Zeit-
lose heben, haben jene Monumentalitat, zu der das epische Opernideal unserer Zeit
hinstrebt. Doch gibt Hauer in diesem Werk die starre, aber individuelle Farbigkeit
seiner letzten Suite wieder preis und leitet aus einer schlieGlich spatromantischen
Melodik unmittelbare, aber wohlfeile Wirkungen ab. Er hatte darum auch den starksten
aufieren Erfolg des Festes.
Milhaud macht aus Andre Gides „Verlorenem Sohn" ein solistisches Oratorium
von betrachtlichem Umfang. Starke Anlehnung an Debussy und Satie verdunkelt die
Eigenart dieses uberaus feinen und melodisch fliefienden Stiickes. Ermatinger und
Hugo Herrmann vertonen den ernsten und den grotesken Morgenstern. Wahrend
Ermatinger physiognomielos bleibt, kommt der bedeutend starkere und gewandtere
DEUTSCHE KAMMERMUSIK BADEN-BADEN 1928
425
Herrmann zu aparten Chor- und Instrumentalwirkungen (er begleitet den Chor durch
Flote, Saxophon und Kontrabafi). Seine Formgebung ist origineller als sein Verhaltnis
zum Text.
2.
Die Filme waren (mit einer Ausnahme) nach musikalischen Gesichtspunkten aus-
gewahlt. Die Ausnahme war Milhauds Musik zu einer Ufa-Wochenschau. Die mit
leichter Hand und feinem Formgefiihl skizzierte Partitur wirkt nicht nur musikalisch
anregend sondern findet audi, in grofien Ziigen charakterisierend, siclitbare Ankniipfungen
an das aktuelle Bild. In starkstem Gegensatz dazu stent Hugo Herrmanns belanglose
Musik zu einer Nahmaschinenstudie, der an rotierenden Radern und stofienden Kolben
beziehungslos vorbeikomponiert. Die mit Geschmack dramatisierende Musik von
Wolfgang Zeller zu Szenen aus dem Scherensclmittfilm Aclimed lafit die handwerkliche
Routine des Praktikers erkennen. Ernst Tochs amiisante Musik wetteifert mit den Tricks
seines Kater-Felix-Films an Beweglichkeit, Tempo und Eleganz. Hindemith geht
in der Verbindung von musikalischer und filmischer Bewegung am weitesten. Er stellt
(gemeinsam mit Hans Richter) seinen „Vormittagsspuk bewegter Gegenstande" ganz
auf Rhythmik und Dynamik und ubersetzt diese Vorgange, ohne indes iiberall zu iiber-
zeugen, in eine Musik fur mechanisches Klavier.
So interessant diese Ergebnisse im einzelnen sind, sie liegen doch (Milhaud aus-
genommen) im Bereich asthetischen Spiels, solange sie nicht die Losung der dringlichsten
Frage zeigen : die Begleitung eines Spielfilms, wie er die Tagesproduktion vollig be-
herrscht, nach musikalischen Gesetzen, unter Verzicht auf Illustration.
Man hatte von den Kurzopern dieses Jahres erwarten kcinnen, dafi sie die im Vorjahr
aufgestellten, hochst gegensiitzlichen Typen in irgend einer Form weiterentwickelten.
Doch begntigten sich die beiden grotesken Stiicke von Kneip und Gronostay mit einer
losen Ankniipfung an den von Hindemith aufgestellten Typus des musikalischen Sketchs,
wahrend Reutter von der Idee einer erweiterten Schauspielmusik ausging.
Kneips „Tuba mirum" macht zu dem lustigen Einfall eines wahrend einer Auf-
fiihrung des „Barbiers" in die Rosinenarie plump hineinkontrapunktierenden Tubaisten
eine buhnensichere, aber belanglose Musik. Bedeutend hoher steht Gro no stays „In
zehn Minuten". Der vergebliche, aus eigensiichtigen Motiven gefuhrte Kampf eines
Missionars und eines Theateragenten urn ein dem Urwald entwachsenes Negermadclien,
der bis zur Abfahrt des Europadampfers entschieden werden mufi, wird von dem
Komponisten nicht nur mit scharfem Witz minutios illustriert, sondern fiihrt immer
wieder, bei hochst geistreicher Instrumentation, zu einer fast stilisierten Formung. Hier
sind Beziehungen zu wesentlichen Problemen der gegenwartigen Oper gefunden. Leider
fehlen der Musik Konzentration und Tempo, die ihr die Idee des Textes vorschreibt.
Hermann Re utters Schauspielmusik zu dem „Saul" von Lernet-Holenia setzt mit
einer iiberraschend starken Blaserpolyphonie an, verliert sich aber in eine nachzeichnende
Stimmungsmusik ; sie bezieht zwar an einigen Stellen die Singstimme ein, lafit sich aber
die wesentlichsten Ansatze zu musikalischer Gestaltung entgehen.
Fafit man die vorher gemachten Einzelbeobachtungen zusammen, so ergibt sich
ein zwiespaltiger Gesamteindruck. Wir erwarten von der Deutschen Kammermusik
Raden-Baden weder Uberschau iiber die Jahresproduktion noch feststehende kunstlerische
426 ERNST SCHOEN
Werte. Ihre Starke ist bei der heutigen Situation das Experiment, das wir in jeder
Form begriifien, auch wenn es mifilingt. Leider gelangte man diesmal nicht bis dahin.
Denn trotz der Ankniipfungspunkte der gestellten Themen fehlte das eigentlich Zukunft-
weisende, vielleicht mit Ausnahme der Filmmusiken.
In losem Zusammenhang mit dem Fest stand auch diesmal die Arbeit der Jugend-
musik in Lichtental, die in einer „Offenen Singstunde" Fritz Jo des zusammengefafit
wurde. Sie hatte den doppelten Sinn: die in der Woche geleistete Arbeit zu zeigen
und den Beweis zu fiihren, dafi selbst ein Publikum von Musikern zu aktivem Mit-
machen zu bringen ist. Freilich ist Hindemiths neue Kantate ein Einzelfall in der
Verschmelzung kunstlerischer Qualitat und innerer Einfachheit. Die praktische Arbeit
der Musikantengilden zeigte einen aufierordentlichen Fortschritt in technischer und
musikalischer Beziehung. Das Programm des nachsten Jahres will diese Art von Musik
in den Mittelpunkt stellen. "Weit genug gefaGt, konnte von hier aus ein wesentlicher
Stofi gegen die konventionelle Erstarrung unseres Musikbetriebs gefuhrt werden.
Hans Mersmann und Heinrich Strobel
RUNDFUNK
Ernst Schoen (Frankfurt a. M.)
DIE MUSIK IM RUNDFUNK
Facbleute der Kunst haben sich in Zeitschriften wie dieser hier Plattformen ge-
schafFcn. Fachleute verschiedener Ordnung, nicht nur Kiinstler selbst sondern ebenso sehr
Historiker wie Philosophen der Kiinste. Mit diesen Zeitschriften strebt seit der Kunst-
kritik der Romantik eine Stromung vom Ursprung der deutscben philosophischen
Systematik des 19. Jahrhunderts zum „Grenzgebiet des: Lebens", die sich heute vor-
wiegend als Tagesfeuilleton, daneben als „halbfachlicher" Journalismus aufiert.
Die Auseinandersetzung der Kunst mit dem „Leben" nimmt vorlaufig trotz einzelner
Riickstofie immer noch zu. Man kann diese Tatsache nicht anders als politisch deuten.
Seit der Romantik, seit Kant, seit Goethe, vor allem seit der franzosischen Revolution
versteht sich Kunst nicht mehr von selbst. Die Muse ist nicht mehr frei. Ein Schutz-
mann fuhrt sie vor, ein Anwalt: der Rezensent; seine Toga geleitet sie: die Einfuhrung,
das Vorwort.
Es kann uns nicht einfallen, diese hochst politische Konstellation wirtschaftlich zu
determinieren. Die Rehauptung, der Kiinstler sei zeitweilig wirtschaftlich isoliert, sei in
Wirtschaftsnot gewesen oder sei es gar heute, heftet sich an untypische Erscheinungen,
die einem anderen, groberen Kausalnexus zugehoren. Eher im Gegenteil, die wilde
Zeit wirtschaftlicher Gesellschaftszersetzung mufi sich das Stimulans eines besonders
starken Luxus schaffen: Kunst als Luxus. Ihr Verhaltnis zur Kunst ist um nichts un-
ordentlicher als alle ihre sozialen Reziehungen. Vom Instinktgemafien, wozu starker
Staatswille es je und je meisterte, ist es ein Denkverhaltnis geworden. Keine selbst-
verstandliche Voraussetzung ist es mehr sondern Behauptung, unter Beweis zu stellen
hypothetisch, der Analyse offen, Zweifel wie alles einstige Sosein.
DIE MUSIK IM RUNDFUNK 42?
In Zeitschriften wie dieser, vor einem Forum wie den Lesern dieser Zeitschrift
wird nun also die Selbstbehauptung kunstlerischer Arbeit diskutiert. Jeder tragt sich
vor und sich noch im Anderen, dem er Bannerdienst leistet; Jeder spricht Urteil iiber
Jeden, Jeder macht seine Anspriiclie geltend, Jeder will sich verteidigen und damit Alle>
Jeder setzt sich gegen Jeden zur Wehr. Als Kiinstler oder Kunstwoller, von seiten der
Kunst oder der Gesellschaft.
Hart sind die Zeiten. Aber keine zeitgemafie Dialektik kann den bleibenden
Humus des Kunsterlebens durch die Zeiten zerstoren, die unersiittliche, tief erotisch
begriindete Begierde jedes Menschen nach Kunst. Sie wird nicht beriihrt von jener
nicht fortdiskutiert, nicht befriedigt, aber auch nicht sublimiert noch zum Guten nutzbar
gemacht. Das kann keine Kunst und keine Aesthetik, das vermochte nur Staatsraison-
Auf dunlden, auf schlammigen aber gewaltigen Landstrafien wandert diese Begierde,
wenn sie ihren Hunger stillt: Kitsch, Industrie, Sektierertum, Technik, Kunstgewerbe,
Parteikunst, Gesangverein, Theaterbund, illustrierte Beilage (zum Bilderausschneiden),
Buchgemeinschaft, Mandolinenklub, Cafemusikbetrieb, Film, Rundfunk.
Rundfunk. Die Technik schuf ihu, oder vielmehr, sie, ist daran, ihn zu schaffen,
wird ihn vielleicht einmal schaffen. Die harten Zeiten wollten, dafi sie ihn im Stadium
unentwickelter Ungefalrrheit in die Hande des Vermittlers entlassen mufite. Die harten
Zeiten haben auch den Kaiifmann entrechtet, der sich nicht mehr als ztinftiger produk-
tiver Staatserhalter, nur noch als entpersonlichter Steuerzahler bewahren kann. Steuer-
leistung und Steuerempfang sind im blofien Finanzstaat nicht mehr als Pole staatlicher
Ordnung reinlich geschieden. Der so gehetzte Handler kann — trotz „Kunden-service" —
nicht mehr Qualitaten reifen lassen. Wie er dem Leib des Einzehien in der Masse fast
nur noch Biichsenkonserve liefern kann, wie selbst der Landmann die Frucht unreif zum
Markt bringt, so mufi er auch auf den Markt der menschlichen Schonheitsbegierde die
gigantischen Massen typisierter Ware im Augenblick werfen, wo sie ihm zu Handen
kommt, es seien nun Restbestande, Trodelgut aus ehemaligem Wertbesitz, wie jeder
Kitsch es darstellt, oder auch unfertiges Gut, wie Film und Rundfunk. Der Konsument
selbst kann es ja nicht anders wollen. Erzeuger, Verschleifier, Benutzer, alle Klassen
der Wirtschaft geistiger Guter unterstehen dem unausweichlichen Zwang sozialer Un-
ordnung der Zeit.
Die Organisatoren des Programms der Erscheinungen, welches der deutsche Rund-
funk taglich aussendet, — der Verfasser dieser Zeden gehort ihren Reihen an — konnen fur
ihre Leistung zwei naheliegende und aufierordentlich diskutable Motivationen in An-
spruch nehmen. Der Rundfunk eroffnet jedem Ereignis akustischer Art ein unbegrenztes
Auditorium, er ist synchronistisch. Der Rundfunk vermittelt Wirkungen allein durch
das Ohr, unabgelenkt durch Inanspruchnahme des Auges, bei geschlossenem Auge sozu-
sagen, eine Wirkungsweise, die nach allgemeiner Auffassung den Mittelpunkt der Person-
lichkeit starker packt und erschiittert als jede andere. Welch ideale Aufgabe, \a&t sich
sagen, liegt nicht in der gleichzeitigen Ausiibung dieser beiden Wirksamkeiten. Und
welcher Gegenstand ware angemessener sie auszuiiben als diejenige Kunst, die ihrem
Wesen nach berufen scheint, durch das Ohr die Seele zu bewegen, als die Musik.
Hiergegen kann eingewendet werden, dafi der Rundfunk bekanntlich keineswegs
die Realitat musikalischer Klange ubermittelt. Das Instrumentarium befindet sich, kurz
428 ERNST SCHOEN.
gcsagt, auf einem Standpunkt, der dem des Telephons noch um vieles naher steht als dem
restloser Tragheitsiiberwindung. Dieser Zustand ist demjenigen uberlegen, wo es nur
auf Erreichung begrifflicher Verstandlichkeit gesprochener Satze ankommt. Aber er ist
noch unabsehbar fern dem erstrebten Ideal realistischer Klangvermittlung. Diese Tat-
sache mufi hervorgehoben werden gegeniiber dem begreiflichen Enthusiasmus mancher
Techniker, welche alleiu die immensen Erfolge des bisher zuriickgelegten Weges zu er-
messen, nicht aber die utopisch differenzierten Anspriiche wahrhafter musikalischer Dar-
stellung zu iibersehen vermogen. Sie wird wohl von manchen Rundfunkfachleuten im
Eifer des taglichen Gefechts beiseite geschoben, von anderen aber voll gewiirdigt und
als einschrankende Voraussetzung in ihr Arbeitsprogramm einbezogen. Es gibt, wie dem
Verfasser bekannt, Rundfunkleiter, die im Gegensatz zu den anderen das Surrogathafte,
das bios Hinweisende, das Reportertum musikalischer Rundfunkdarbietung immer wieder
ausdrticklich betonen. Sie siiid bereit, Max Butting, der das neulich aussprach, zuzu-
geben, dafi Musik durch Rundfunk dem Original gegeniiber nur Reproduktionswert
besitzt.
Die Besonderheit der Manifestation des musikalischen Kunstwerks sowohl (gegeniiber
dem der bildenden Kiinste), d. h. die immer wieder einmalige Natur des Zustande-
kommens im Spiel, wie auch eine gewisse Unzulanglichkeit des tertium comparationis
(zwischen raumzeitlich abgetrennter Reproduktion eines Originals in der bildenden Kunst
und andererseits gleichzeitiger Reproduktion der Reproduktion in der Rundfunkmusik)
lassen mir asthetische Zweifel xiber die zureichende Giiltigkeit des hier angezogenen
Vergleichs. Wemi ich ihn trotzdem gelten lasse, so mochte ich aber nicht die daraus ge-
zogene Schlufifolgerung unterschreiben, wonach eine besondere fur das ,.Rundfunkin^
strument" zu schaffende „Rundfunkoriginalrnusik"' zu erwarten steht. Ich glaube nicht,
da6 man „fur Rundfunk" schreiben kann wie fixr em Instrument unmittelbarer musika-
kalischer Darstellung. A^ielmehr scheint mir diese Forderung eine Selbstbescheidung zu
enthalten, die ihre Anspriiche an denen unseres Telephonbuches mifit, das fur die
Technik des Ferngesprachs eine besondere Sprechweise von uns verlangt.
Nichts hindert mich vielmehr, dem Optimismus der Rtindfunktechniker Rechnung
zu tragen, die doch wohl den bisherigen Zustand der Verzerrung musikahschen Klahges
durch den Rundfunk als voriibergehend, die Uberwindung der Eigentragheit des Uber-
tragungskorpers bis zu realistischer Wiedergabe als erreichbar betrachten.
Erst wenn man also einmal die Moglichkeit dieser originalgetreuen.Wiedergabe musikar
lischer Vorgiinge durch den Rundfunk als gegeben unterstellt, dann erst treten diejenigen
Fragen asthetischer und soziologischer Natur auf, die, wie mir scheint, bisher noch nicht
deutlich oder haufig genug aufgeworfen wurden, trotzdem aber eingehender Betrachtung
wert sind.
Es mufi namlich gefragt werden, ob nicht die unantastbare Wiirde des musikalischen
Kunstwerkcs sein blofies In-die-Erscheinung-treten erst erlaubt unter der Voraussetzung eines
Horers, der es entgegennimmt als heraustretende Einzelerscheinung innerhalb eines taglichen
Lebens, das sich sonst strengster musikalischer Enthaltsamkeit befleifiigt. Eines Horers
unter anderen, in einer durch ihr Zusammenkommen determinierten Gruppe. Ein Zu-
sammenkommen, das erst die Verwirklichung des hier aufgefuhrten Musikwerks abschliefit.
Vielleicht scheint diese Frage lacherlich. Dennoch ist sie m. E. inbegriffen in der Auto- .
DIE MUSIK IM RUNDFUNK 429
nomie musikalischen Schaffens iiberhaupt. So unmoglich es ist, dafi irgend ein Kunst-
werk iiberhaupt unter beliebigen Bedingungen realisiert werden kann. ebenso unmoglich
scheint es auch, dafi es von einer beliebigen Anzahl Menschen unter beliebig ver-
schiedenen aufieren Umstanden aufgenommen und dadurch in Wirklichkeit umgesetzt
werden kann. Die Fiktion, dafi das geschehen konne, ist genau gleich bedrohlich fiir
alle Drei, fiir den Aufnehmenden, fiir den Kiinstler, fiir das Leben der Kunst selbst.
In der hier erfolgten Beantwortung unserer Frage scheint mir also der eigentliche
Grand zu • liegen, aus dem die Moglichkeiten musikalischer Verbreitung, die dem Bund-
funk gegeben sind, im Hinweis auf Musik, in der „musikalischen Beportage" begriindet
und beschlossen liegen. Wenn dem aber wirldich so ist, wenn die Aufgabe des Bund-
funks der Musik gegeniiber Beportage bleibt, so fordert diese Aufgabe eine Technik, die
naturgemafi noch nicht besteht. An den Musikern ist es, sie abzulehnen oder anzuer-
kennen, an ihnen, sie gegebenenfalls ins Leben zu setzen.
Bleibt die Frage musikalischer Volkserziehung durch die Mittel des Bundfunks.
Die eingangs dieses Artikels angedeuteten Anschauungen iiber staatsburgerliche
Disziplin einer Gesellschaft als Voraussetzung einer natiirlichen Beziehung zur Kunst
innerhalb ihrer selbst sind der Grund fiir eine gewisse Vorsicht gegeniiber den gegen-
wartig allgemein herrschenden Tendenzen einer Erziehung zur Entgegennahme der Kunst
vonseiten dieser selbst aus wie iiberhaupt. Die Frage sei gestattet, ob es moglich ist,
dem tiefwurzelnden unterbewufiten Lebensnerv, dessen Kraft das intime sinnliche Ver-
haltnis des Einzelnen zu aller Schonheit entspringt, mit dem Medium eines noch so
weit gespannten Lehrsystems Geniige zu leisten. Verdrangt nicht vielleicht das isolierte
Einzelwesen, wenn es sich den Manifestationen einer (im Bundfunk noch dazu unsicht-
baren, also phantastisch ausgeschmiickten) kunstlerischen Lehrgemeinscbaft zuwendet,
auf andere Ziele gerichtete, primitivere Bediirfnisse ? Ist nicht das Publikum eines Vor-
stadtkinos, wenn es sich durch einen Kitschfilm erscbiittern lafit, vielleicht der heilig-
unheiligen Wallung eines Kunsterlebens naher als in dem anderen Augenblick, wo es
etwa — aus aufierkiinstlerischen Griinden — den Lichtbildervortragen oder Museums-
fuhrungen eines Volksbildungsvereins beiwohnt?
Gewifi tragt der Bundfunk fiir die Zwecke kiinstlerischer Volkserziehung das hoch-
erfreuliche Moment einer schier unbegrenzten Teilnehmerzahl bei. Aber gerade, wenn
man deren Steigerung arithmetisch annimmt, miifite die Vermehrung der angedeuteten
Gefahrenquellen entsprechend geometrisch fortzuschreiten scheinen. Denn genau wie
das Kunsterlebnis ist der Vorgang padagogischen Wirkens ja ein schopferisch-erotisches
Kraftespiel personlichster Gegenwart. Er bedarf auch wie alle Schaffenstatigkeit einer
unerbittlich zweckbestimmten Oekonomie. Es soil gewifi die Auffassung von der
Gefahrlichkeit unkontrollierbarer Wirkungskraft durch den Bundfunk nicht kiinstlich
iibersteigert werden. Sicher ist aber, dafi diese verkehrstechnische Gestalt, wie bereits
mehrfach offentlich ausgefiihrt, eine Machtausiibung fordern wird von so monumentaler,
allgemeiner Natur, dafi die zarten Machtkampfe der Erziehung ihm wohl nur mit Vor-
sicht anvertraut werden diirfen, solange noch die Frage des Kampfes um das blofie Sein
ihm nicht nahegetreten ist: das Hemd ist uns naher als der Bock!
430 WILLEM PIJPER UND PAUL F. SANDERS
AUSL AND
Willem Pijper und Paul F. Sanders (Amsterdam)
HOLLANDISCHE MUSIK VON 1900-1925
Holland hatte im Anfang dieses Jahrhunderts eine Periode der Sterilitat von genau
300 Jahren hinter sich. Jan Pieterszoon Sweelinck, der 1622 starb, war unser letzter
grofier Komponist gewesen. Die klassischen (Bach bis Beethoven) und romantischen
(Schubert bis Wagner) Epoch en haben in Holland keine Beteiligung gefunden. Wir sind,
von alters her, ein Volk von Malern und Baumeistern. Die Literatur hat sich ver-
haltnismiifiig spat zu einer Hohe von intern ationaler Bedeutung emporgeschwungen,
und die Musik kam noch spater.
Das vergangene 19. Jahrhundert war auffallend arm an guten Musikern. noch
firmer an Komponisten. Leute wie Verhulst, der Freund von Mendelssohn, Nicolai,
Komponist von Kinderliedern, Daniel de Lange, haben kaum noch einige Bedeutung
fur die Musikgeschichte unseres geographisch kleinen Landes.
Urn 1900 aber arbeiten hier drei Meister, deren Einflufi auf das, heute im Auf-
hluhen begriffene, Musik] eben fiufierst stimulierend gewirkt hat. Es waren: Alphons
Diepenbrock (1862-1921); Johan Wagenaar (geb. 1862, z. Zt, Direktor des Kon-
servatoriums zu s'Gravenhage, und Bernard Zweers (1854 — 1924).
■ ' Zweers war in erster Linie Padagog und Klassizist. Er hatte zahlreiche Schuler
von den en z. B. Sem Dresden sich zu einer fiihrenden Bolle emporgearbeitet hat.
Wagenaar ist ein vollendeter Meister der Technik, ein famoser Kolorist und ein
ausgewachsener Individualist. Diepenbrock war der erste Komponist von europaischer
Bedeutung, dessen gesammelte Werke das erste Monument zeitgemafier hollandischer
Tonkunst bdden.
Das Komponieren hat sich hier nachher wesentlich geandert. Wir haben jetzt
zahlreiche Komponisten, welche z. T. radikaleren Prinzipien huldigen als Strawinsky oder
Milhaud. Schonberg ist fur viele unserer Jiingeren schon veraltet und wir sind jetzt
im Stande eine bodenstandige und dennoch vollig europaische Musik zu schaffen.
Aber dafi wir auf die Hohe unserer Zeit uberhaupt stehen konnen, verdanken
wir den drei Vorgangern (Diepenbrock in erster Linie) deren Werke vor etwa 25 Jahren
ein Merkmal bedeuten.
*
Die Musik Bernard Zweers ist nicht an erster Stelle originell. Er lehnte sich
den Klassikern an in seinen Formen, Wagner in seiner Harmonik und Instrumentation
Es gibt bei Zweers eigentlich zwei Personlichkeiten in Einem: der musikalische Zweers
schrieb drei Symphonien und Theatermusik-, der musikantische produzierte eine stattliche
Reihe schon vollig veralteter Lieder und Chore. Seine auliermusikalische Inspiration, die
poetische Idee in seinen Werken gehorte nicht zu den bedeutendsten und so wurde es
oft zu kindlich und hausbacken mochte man fast sagen. Sein bedeutendstes opus ist
zweifellos seine letzte (dritte) Sinfonie „Aan myn Vaderland" (Meinem Vaterlande).
HOLLANDISCHE MUSIK VON 1900-1925 431
Dies war sein grofier Wurf, und der ist ihm gelungen. Die dritte Sinfonie ist von
1890 und sowohl Konzeption wie audi Realisierung war firr diese Zeit und dieses Land
noch etwas Unerhfirtes. Das Werk dauert fast eine Stunde, ist glanzend instrumentiert
fiir das grofie Wagner-Orchester (mit Tenortuben und sechs Hornern), und mischt in
glticklichster Weise Volkstiimliches mit Kunstvollem.
Spater ist er nie mehr iiber diese Leistung hinausgekommen. Er widmete
sich der Padagogik, verlor die Fiihlung mit den neueren Stromungen und wufite sich
nicht recht heimisch mehr in den Regionen der Pluritonalitat und Polymetrik. Er
starb 1924, von vielen geliebt und er hat in seinem Leben ein Beispiel gegeben, das
seine Schiller (und es waren dieser viele) nicht sofort vergessen soil ten.
Dr. Johan Wagenaar ist eine viel kompliziertere Erscheinung. Wie Zweers
hat auch er eine starke Disposition fiir das witzige, humoristische in seiner Musik.
Zweers aber war oft witzig ohne weiteres; Wagenaar persiffliert Vieles und ironisiert
fast Alles. Er hat zwei parodistische Opern geschrieben: ,,De Doge van Vonetie" (Der
Doge von Venedig) und „De Cid" (Der Cid). Die alteste Oper, „Der Doge' 1 , er die 1890
schrieb, ist wohl sein personlichstes Werk. Wagenaar ironisiert alle Opern-Brauche
und Mifibrauche, die italienischen Fransen, sowohl wie die Leitmotive-Manie. Aber die
ganze Musik ist von einer Frische und Spannkraft, die heute noch nicht veraltet er-
scheint. Weitere komische Werke sind: „De Schipbreuk" (Der Schiffbruch), Kantate fur
it' gemischten Chor, 3 Solostimmen, Klavier und Schlagzeug ; „Dadelpracht" (uniibersetz-
v a barer Eigenname); ,,Ode aan de Vriendschap" (An die Freundschaft) fiir gemischten
% Chor mit Klavier, ein ganz lustiges Stuck, das zu guter Letzt in einem Wiener Walzer
'% ausmiindet, wobei die Basse ostinat das Geleitwort „Vriendschap" wiederholen wie ein
_§' Wiener Prater-Orchesterlein:
„Vriend-schap-schap" | „ „ , . „ .
v v } D. L. ad infinitum
Es ist dies ein Witz der seine Wirkung noch nie verfehlt hat ...
Auch seriose Kompositionen hat Wagenaar geschaffen: Ouvertiiren fiir Orchester:
„Cyrano de Bergerac" (Bostand) und „The Taming of the Shrew" (Shakespeare); eine
Sinfonietta, ein Trauermarsch, Chore, Lieder, symphonische Dichtungen und kleinere
Arbeiten. Seine Eigenart liegt hauptsachlich in seinem Kolorit. Es lassen sich gewisse
Einfliisse nachweisen: Berlioz, Rich. Straufi und spater auch Mahler. Aber ein Werk
von Wagenaar hat dennoch immer einen eigenen Ton : Pragnanz und weise Beschrankung
in der Behandlung des gewahlten Stoffes dringen immer vor. Ein Erneuerer wie
Diepenbrock war ist Wagenaar nicht, auch er ist im gewissen Sinne Tradionalist. In
anderm Sinne als Zweers jedoch. Seine Kritik gestattete ihm nicht die alternde Bomantik
wieder zu beleben : lieber spottete er ein wenig, wissend, dafi man nur verspotten kann,
was man selbst geliebt hat.
Alphons Diepenbrock war der am wenigsten musikantische Musiker der drei.
Diepenbrock war Philolog und ein bedeutender Schriftsteller iiber musikalische, philo-
logische und theologische Gegenstande. Er hat etwa 80 Werke geschrieben, zum
ubergrofiten Teil Vokalwerke mit Orchester. Anfangs erschienen seine Melodik und
seine Harmonik ziemlich beeinllufit von Bich. Wagner — er hat 1880 — 1890 viel fur
die Verbreitung von Wagners Musik in Holland getan ; spater kamen andere Kontakte dazu.
432 WILL EM PIJPER UND PAUL F. SANDERS
Diepenbrock war einer der ersten, die Mahler's Bedeutung fiir die Musik von
1900-1915 recht verstanden hat.
Er hat sich zu Mahler angezogen gefiihlt, er hat personlichen Verkehr mit ihm
gepflegt, aber er hat auch Mahler's Begrenzheit erkannt. Diepenbrock hat, besser als
Mahler, das Ende von Dur und Moll vorempfunden und hat bis zu seinem Tode
Interesse fiir alle ,Neuerungen welche in den Werken der Modernen und Modernsten
an den Tag treten, gezeigt. Er hat sich mit Schonberg auseinandergesetzt und
Debussys „Pelleas und Melisande" kannte er fast auswendig. Diepenbrocks Geist hat
ungemein befruchtend auf alle Musikern unseres Landes gewirkt; mit ihm hat das
verstandnislose pseudoromantische Liedchenkomponieren ein Ende genommen. Ihm war
die poetische Idee vor allem heilig; er komponierte nur die bedeutendsten Texte und
Dramen. So z. B. Hymnen fiir eine Stimme mit Orchester von Holderlin, Novalis,
Nietzsche, Alberdinghk-Thym ; „Elektra" von Sophokles, „Die Vogel" von Aristophanes
etc. Lieder komponierte er auf Worte von Verlaine, Baudelaire, Goethe, Heine, Verhagen
van Lerberghe.
Diepenbrocks Musik hat immer etwas von der ekstasischen Hymnik der katholischen
Kirchenmusik. Es ist wie ein wogendes Meer von Klangfarbe. Ironie, Witzigkeit waren
ihm fremd. Oft ist es breit ausgesponnen, langsam steigernd, wie Wagner das liebte.
Spater^wird es pragnanter, exakter — doch immer bleibt er der ruhige Verkunder seiner
Wahrheiten. Er war weder Pessimist-Optimist noch Stoiker, er bekannte sich zu seinen
Wahrheiten mit derselben Inbrunst, welche Bruckner zu dessen gigantischen sinfonischen
Gebilden trieb. Er arbeitete und schliff an seinen Arbeiten wie die weisen Monche
des Mittelalters es verstanden. Und sein Lebenswerk — bei seinen Lebzeiten Manus-
kript und unbekannt, wie es nun einmal der Brauch war in dem Holland der trocknen
und selbstgentigsamen Vorkriegsjahre — liegt jetzt vor, in einer schonen Ausstattung
herausgegeben von dem eigens dafiir errichteten Diepenbrock-Fonds; Chore, Lieder,
Partituren und Klavierausziige, und man kann nun erwarten, dafi Europa jetzt noch
erfahrt wie grofi einen Meister wir in Diepenbrock verloren haben. Nach seinem
Tode wird ihm die Anerkennung noch kommen, worauf er bei seinem Leben hatte
und verzichten miissen. . W. P.
II.
Der Hollander ist, seiner Art nach, Individualist. Es gibt wohl Tonkunstlervereine.
die von Zeit zu Zeit Musikfeste veranstalten, und ihre Mitgliedef an's Wort lassen.
Aber nach[dem Geist ihrer Werke und ihrer Bestrebungen, kann man den hollandischen
schaffenden Musiker nicht gruppieren. Er lebt im allgemeinen ziemlich zuriickgezogen,
soweit er nicht als iiachschaffender Kiinstler an dem offentlichen Musikleben teilnimmt.
Eine andere Eigentiimlichkeit. welche bei der Betrachtung der hollandischen
Musik auffallt, ist wohl diese, dafi sie als Gesamtes keinen spezifischen hollandischen''
Eindruck^ macht. Wir hatten vor kurzem noch keinen, oder — wenn man an die
Bliitezeit der alten Niederlander denkt — keinen nationalen Musikstil mehr. Im
schroffen Gegensatz mit unserer Architektur, bildender Kunst und . Kunstgewerbe, die
ihren spezifisch hollandischen Stil beibehalten haben. Der Grund ware wohl dieser,
n
HOLLANDISCHE MUSIK VON 1900-1925 433
dafi unsere bekanntesten, alteren Musikpadagogen im Ausland, und namentlich in
Deutschland geschult wurden. Wir besitzen dann audi eine grofie Anzahl serioser
Komponisten, Manner vom Fach, die eine gediegene, gut konstruierte Musik schreiben,
jedoch ohne eigenen personlichen Charakter. Eine Musik, in welcher man unaufhorlich
die um so Vieles genialere Beispiele eines Brahms, Wagner, Straufi oder Franck, zu-
weilen auch eines Mahler und Debussy wiedererkennt ; eine bessere Art Kapellmeister-
musik konnte man vielleicht sagen. Die meisten Komponisten dieser Art, deren fach-
technischen Wert man nicht zu unterschatzen braucht, aber deren Erscheinung doch nur
lokaler Bedeutung ist, werde ich hier ubergehen konnen. An sich weist ihre ziemlich
grofie Zahl auf die erfreuliche Tatsache, dafi die lange Periode musikalischer Impotenz,
welche in der Musikgeschichte unseres Landes zwischen Sweelinck und Zweers eine so
tiefe Kluft geschlagen hat, abgeschlossen ist.
Erwahnung verdienen Julius Rontgen (1855), ein Komponist von ganz grofier
Produktivitat, dem kein Gebiet der Musikliteratur fremd ist. Besonders hervorzuheben
sind seine Bearbeitungen und Neu-Ausgaben alter hollandischer Volklieder und -Tanze.
G. H. G. van Bracken F o c k (1 859), der auch viele Werke schrieb, hat sein grofites
Verdienst als Klavierkomponist. Anton Averkamp (1861) und G. Oberstadt (1871)
sind, wie die beiden vorhergenannten, Reprasentanten einer alteren Richtung in der
Musik und arbeiten hauptsachlich nach deutschen Beispielen. Jan Brandts Buys (1868)
hat sich schon friihzeitig in Wien niedergelassen. Er komponierte viele und flotte
Musik: Kammermusik, Orchesterwerke, Opern. Kor Kuiler (1877) und P. von
Anrooy (1879) waren beide vielversprechende Talente, die den Schwerpunkt ihrer
Arbeit jedoch spiiter mehr in ihre Dirigententatigkeit gelegt haben; dieser im Haag beim
„Residentie orkest", jener in der Provinzstadt Groningen.
Ein fruchtbarer Komponist ist C. Dopper (1870), ein Mann des derben Humors.
In seinen spateren Werken sucht er sich von deutscher Tradition zu befreien, zumal
durch Benutzung vorklassischer Formen und Tonarten. Indessen bewundert man in
seiner Musik am meisten die hervorragende Instrumentationskunst. Hubert Cuypers
(1873) schrieb, neben vielen anderen Werken (Oratorien, Opern, sogar eine Operette,
Messen, Chore, Lieder) einige Deklamatorien. W. Landre (1874) sucht in seinen
Werken die Brucke zwischen dem pseudoklassizistischen Stil des vorigen Jahrhunderts
und den Bestrebungen der spateren Generationen zu schlagen.
Von grofierer Bedeutung sind die drei Komponisten Dirk Schafer (1873),
Jan Ingenhoven (1876) und Jan van Gilse (1881).
Schafer ist ein Klavierspieler von intern ationalem Bang, dessen Bedeutung als
soldier ich hier nicht naher auseinandersetzen kann, wie gerne ich das mochte. Er
schrieb viele Klavierwerke (Sonaten, Stticke) von grofier Feinheit, elegantem Stil und
stark pianistischer Wirkung, in den en sich jedoch oft fremde Einfliisse erkennen lassen.
Als schaffender Kiinstler erreichte er bisher das Hochste in seinem Klavierquintett und
Streichquartett (vom Bohmischen Streichquartett ofters gespielt). Er schrieb auch zwei
Sonaten f'iir Violine und Klavier, eine Son ate fiir Cello und Klavier, ein Klavier-
konzert, viele Lieder und zwei sehr wirkungsvolle Orchesterstiicke (Suite Pastorale,
Javanische Bhapsodie).
434 W.ILLEM PIJPER DND PAUL F. SANDERS
Ingenhoven zeigte sich in seiner Kammermusik (Streichquartette, Blasersextette)
und Chorwerken (z.B. : „4 Chansons") inehr als in seinen grofieren Werken fiir Orchester
oder Gesang mit Orchester, ein Meister* des subtilen Raffinement.
Van Gilse komponiert© einige Symphonien, „Eine Lebensmesse" fur Orchester, Soli
und Chor, und viele Lieder mit Orchester. Es ist zu bedauern, dafi er sich, bei seiner
grofien Begabung, von der aufierlichen Expansion grofierer auslandischen Beispiele nicht
hat lossagen konnen. i . '
Henri Zagwyn (1878) 1st von dieser Generation der modernste. Seine Musik
hat etwas griibemdes, aber daneben die Anziehungskraft des Bescheidenen. Er schrieb
Orchesterwerke und Kammermusik (u. . a. ein Streichquartett, eine Nocturne fiir Blaser,
Harfe und Celesta;' ein Klaviertrio), viele Lieder, Klavierstiicke und a capella Chore.
Es gibt in Holland eine Beihe von Komponistinnen. Von ihneh haben
Hendrika van Tusschenbro ek (1854) und Cath; van Bennes erne gewisse
Bedeutung als Komponisten von Kinderliedern und -Choren. Anna Lambrechts-
Vos (1876) schrieb hervorragende Kammermusikwerke. Cornelie v. Oosterzee (1863),
Elisabeth Kuyper (1877) gediegene Orchesterwerke. Moderner orientiert sind
Anna Mesritz v. Velthuysen (1887) und Jeanne Bey erman-Valraven (1878).
Von den drei eigentlichen Grundlegern unserer neuen hollandisch en Musik (Zweers^
Wagenaar und Diepenbr o ck) hat der zuletzt Genannte vielleicht 'wohl den
grofiten Einflufi auf die Jiingeren, aber keine . eigentlichen Schiiler gehabt Die beiden
anderen dagegen ziihlten die besten unserer heutigen Komponisten unter ihren Schiilern.
Der bedeutendste ZVeers-Schuler ist zweifelsohne Sem Dresden (1881), der
neben seiner scbaffenden Arbeit als Direktor des Amsrerdamer Konservatoriums, als
Musikschriftsteller (er schrieb 1923 ein bedeutendes Werk „Das Musikleben in den
Niederlanden seit .1880"), Musikkritiker und L|eiter des Madrigalvereins, eine fiihrende
Stellung in unserem Musikleben einnimmt. Er schrieb hanptsachlich Kammermusik:
Sonaten fiir Violine, Violoncello, Flote und Harfe; ein Trio fiir zwei Oboen und
Englisch Horn, Streichquartett; drei Sextette fiir Blaser; mehrere Klavierstiicke; ein Duo
fiir zwei Klaviere; viele Lieder und a capella Chore (worunter auch Bearbeitungen
alter niedeiiandischer Volkslieder) ; Variationen fiir Orchester u. a. Auch instrumentierte
er Stiicke von Bameau zu einer Suite fiir Blaser-Sextett. Seine Instrumentalwerke,
zumal die aus jiingster Zeit (das Streichquartett und die Sonate fiir Flote und Harfe)
sind von klarer Konstruktion ; scharf konzentrierte Gebilde im Sinne aufierster Intensitats-
steigerung, von kiihner Harmonik, starker dynamischen Kraft, reif. und zielbewufit. Der
Komponist hat nicht sehr viel veroffentlicht, aber schafft dennoch leicht und zeigt mit
jedem Werke eine allumfassende Beherrschung, ein gediegenes Konnen. Die Gediegen-
heit ist bei ihm jedoch nicht, wie bei so vielen Hollandern, zu einer gewissen Steife
oder Schwere geworden. Im Gegenteil, es spricht aus seinen Werken oft eiri fast
gallischer Esprit. Von grofier Klangsclionheit sind seine im reinen polyphonischen
Std geschriebenen, Vokalwerke, unter denen ich als schonstes das „Wachterlied" er-
wahnen mochte.
Der hervorragendste Wagenaar-Schiiler istWillem Pijper (1894), dessen Werke
schon sehr viele sind, und der in kurzer Zeit einen iiberhaupt grofien Entwicklungsgang
durchmachte. Er ist weitaus der radikalste unserer heutigen Komponisten und hat
HOLLANDISCHE MUSIK VON 1900-1925 435
sich, unabhangig von den weit-fortgeschrittensten auslandischen Komponisten (Schonberg-
Milhaud-Strawinsky) eine vollkommene eigene Tonsprache angeeignet. Seine ersten
symphonischen Werke zeigten nocb die expansiv gerichtete Architektur des spaten
19. Jahrhunderts. Allmahlich hat sich eine zusammenziehende Tendenz in semen
Werken vollzogen. Die Kompositionen der letzten Jahre, nach 1920 (Sonatinen Nr. 2
und 3 fur Klavier, Sonate Nr. 2 fur Cello und Klavier, Sonate fur Flote und Klavier,
die zweite und dritte Symphonie, das zweite Klavierkonzert) zeigen die grofite Priignanz
im Ausdruck. Seine poly-melodische und poly-rhythmische Schreibart sind von tiber-
raschender, aber durchaus logischer Findung. Harmonisch schliefit er sich den poly-
und atonalen Bestrebungen unsrer Zeit an. Man findet bei ihm jedoch keine Experi-
mente. Seine Tonsprache ist klar, sei es auch fur das traditionell geubte Ohr weniger
leicht verstandlich. Jedes seiner Werke ist ein ganzes, in sich abgerundetes, logisches
Gebilde. Stent Pijper mit semen Schopfungen in der ersten Reihe der 'modernen Musik,
und kann man ihn, in dem guten Sinne des Wortes, einen Kosmopoliten nennen, seine
hollandische Eigenart findet man in seinen zahlreichen Bearbeitungen fur Gesang und
Klavier alter niederlandischer Volksmelodien. Auch in seinen beiden a capella Choren
auf alrniedeiiandischen Text: „Heer Halewijn" und „Heer Danielken" die zu den besten
Specimina moderner polyphoner Schreibart gerechnet werden miissen.
Von seiner Kammermusik seien hier noch vier Streichquartette, zwei Klaviertrios,
zwei Violinsonaten, ein Blasersextett, ein Blasersextett mit Klavier, ein Septett fur Blaser,
Kontrabass und Klavier erwahnt.
Von grofier Urspriinglichkeit zeugt auch die Musik, welche er zu den klassischen
Trauerspielen Sophokles' und Euripides' schrieb : „Antigone' : , „Die Bacchantinnen"
und „Der Cyclop". In diesen "Werken lafit er den Text auf vorgeschriebener Tonhbhe
und rhythmisch sehr sorgfaltig ausgearbeitet sagen, wobei das Wort zu moglichst reinem
Ausdruck gelangt. Bei praziser Ausfiihrung spurt man nicht den geringsten Zwang.
Pijper ist in Amsterdam als Musikschriftsteller und Lehrer in der Komposition
am Konservatorium tatig. Von Dresden erschienen die ersten Werke in Holland, die
letzten aber bei Senart in Paris. Pijpers Werke erschienen tedweise bei Chester, ted-
weise bei The Oxford University Press, beide in London.
Neben diesen beiden ist unter den Jiingeren die interessanteste Erscheinung:
Matthijs Vermeulen (1888), der als Musikkritiker einen groJSen und giinstigen Ein-
flufi auf die Entwicklung unserer Musik ausgeubt hat. Seit 1921 wohnt er bei Paris
und widmet sich ganz der Komposition. Er ist Autodidakt und zeigt auch in seinen
Werken eine tiefe Abneigung gegen Schulweisheit. Seine Werke (Vier Symphonien,
eine Sonate fiir Cello und Klavier, und fur Violine und Klavier, ein Klaviertrio und
Lieder) sind kompliziert und stellen an den Interpreten grofte Anforderungen, sowohl
techniscli wie musikahsch. Nur eignen Wegen folgend, ist dieser Komponist zu wirklich
neuen und ganz interessanten Restdtaten gekommen.
B. van Dieren (1884) hat in England seine zweite Heimat. Er hat mit seiner
Kammermusik (,.Sketches" fiir Klavier, 4 Streichquartette, einer Ouvertiire fiir Kammer-
orchester, Liedern, einer Opera buffa „The Taylor" usw.) einen Platz unter den modernen
Komponisten unserer Zeit erobert.
436 ERNST LATZKO
Ebenso D. Ruyneman (1886), der mit seinen Liedern, Klavierstiicken, Sonaten
(Soloklavier und Sologeige) eine lebendige Fantasie, aber leider nicht immer genugende
Selbstdisziplin, zeigte. Zu seinen besten Werken zahlen ein vierstimmiger a capella Chor
auf Vokalen „Der Ruf" („De Roep") und „Hieroglyphen" fiir 2 Flo ten, 2 Mandolinen,
Guitarre, Klavier, Harfe, Celesta und Cup-bells, ein in seiner Zusammenstellung unge-
wohnliches, aber klanglich sehr gelungenes Kammerorchester.
H. Franco Mendes (1890) und J. van Domselaer (1890) schrieben haupt-
sachlich Klavierwerke. R. van den Sigtenhorst Meyer (1888) und Alex Voor-
niolen (1895) sind in ihren Werken ein wenig einseitig franzosisch orientiert. Letzerer
ist zweifelsohne der Regabteste. Seine Musik (viele Klavierstiicke, Lieder, eine Ouver-
ture fiir Orchester „Raron Hop", eine Symphonietta, Ballettmusik u. a.) ist klangvoll,
koloristisch interessant und angenehm leichtfufiig. Hendrik Andriessen (1892) zeigt
in seinen besten Werken (religioser Art) den Einflufi Diepenbrocks. H. D. van Goudoever
(1898) sclirieb bereits mehrere Orchesterwerke von grofier Eleganz, gut geschrieben,
aber vielleicht etwas all zu sehr „a la mode".
Ich bin mir bewufit hiermit nur ein oberflachliches Bild unsrer heutigen Musik
gegeben zu haben. Es arbeiten noch einige ganz junge Talente, die womoglich die
Zukunft unsrer Musik in sich tragen, aber von der en Entwickelung sich noch wenig
sagen lafit. Man irrt sich wohl nicht, wenn man behauptet, dafi der hollandischen
Musik eine neue, grofie Epoche bevorsteht. Es wird mit Talent und mit Fleifi allent-
halben gearbeitet. HofFen wir, dafi die Musik im Allgemeinen, davon die Friichte
ernten wird. P. F. S.
UMSCHAU
Ernst Latzko (Leipzig)
HANDELRENAISSANCE UND OPERNREGIE
Remerkungen zur Deutschen UraufFiihrung von Handels „Alcina" in der Ubersetzung von
Hermann Roth am Neuen Theater in Leipzig
Immer deutlicher tritt es zutage, dafi die Wiederbelebung der Handelschen Oper,
die eben erst so vielversprechende Anlaufe genommen hat, und mehr in eine Sack-
gasse gerat. Das zeigt sich zunachst an der verminderten Auff iihrungszahl ; denn wir
sind heute weit entfernt von den vor etwa drei Jahren besteheriden Verhaltnissen, da
jedes bessere Theater seinen Ehrgeiz daran setzte, eine Handeloper im Spielplan zu
fiihren. Das offenbart sich aber auch — und fur den Eingeweihten, dem die Sache
Handels am Herzen liegt, noch viel drohender als in dem ersten aufierlichen Moment —
darin, dafi die Interpretation der Handeloper gegenuber die Unbefangenheit einbiifit und
sich immer starker in ein unfruchtbares Experimentieren' verliert. Einen ganz eigen-
tiimlichen Reiz gewahrt dabei die Reobachtung, wie gerade entgegengesetzte Wege hier
Musik und Szene gehen. Je strenger man auf der einen Seite wird, desto willkurlicher
HANDELRENAISSANCE UND OPERNREGIE 437
auf der anderen. Kein verantwortungsbewufiter / und mit der Materie vertrauter Diri-
gent wtirde beispielsweise heute die Eingriffe der Hagenschen Bearbeitungen vertreten
wollen, aber der Regisseur sieht in der Handeloper ein besonders dankbares Feld fur
seine weder im Werk noch in irgendeiner Tradition begriindeten Individualitatsbestre-
bungen. Diese Erwagungen muGten sich bei der „Alcina ; '-Auffuhrung der Leipziger Oper
jedem unvoreingenommenen Horer mit besonderer Scharfe aufdrangen.
Fiir dieses Werk hat Antonio Marchi als Stoff die Alcina-Episode aus dem 6. — 8.
Gesang des „Orlando furioso" genommen und daraus ein fur unsere Anschauungen
ziemlich verworrenes, den Empfmdungen des Barock und der Kunst Handels aber sehr
entgegenkommendes Libretto geschaffen. Alcina ist ein Gegenstiick zur Circe der Odys-
see, die Zauberin, die die Manner anlockt und, wenn sie ihrer iiberdriissig geworden ist,
in Tiere, Baume, Felsen verwandelt. Auch Ruggiero ist ihren Zauberkiinsten erlegen und
Bradamante, seine Braut, eilt als Mann verkleidet zu seiner Rettung herbei und die
Abenteuer, dies zu einer Befreiung und zur Entzauberung der ubrigen Opfer fiihren, bilden
die Haupthandlung des Buches. Dazu eine mit leichten Buffoelementen durchsetzte Neben-
handlung • zwischen Alcinens Schwester Morgana und ihrem Liebhaber Orontes und eine
aufierhalb der Handlung stehende Episode des Knaben Oberto, der seinen auch von Alcina
verzauberten Vater sucht.
In der Musik muli in formaler Beziehung die reichere Verwendung des Chores und
des Balletts auffallen, ein Abweichen von dem starren Schema der opera seria, in dem
sich Einflusse der franzosischen Oper deutlich wiederspiegeln. Im ubrigen beherrscht der
Wechsel zwischen Rezitativ und Arie — nur einmal durch das Terzett der drei Haupt-
personen unterbrochen — den musikalischen Ablauf. Ist demnach — gegeniiber der so
verwickelten Handlung — die musikalische Form noch immer eine denkbar einfache,
so wird sie aber durch den Inhalt in unerhorter Weise belebt und die Intensitat dieser
Musik spottet aller zeitgebundenen, unwesentlichen, zufalligen Momente und macht aus
dem Werk einen lebendigen, einheitlichen Organismus. Mufi ihr Grundzug — der Haupt-
handlung entsprechend — ein leidenschaftlich-pathetischer sein, so bringt die Nebenhand-
lung voriibergehend auch eine leichtere Note zum Erklingen. Und halt man die von
echtem Buffogeist erfullte G-dur-Arie des Orontes gegen die an Shakespearesche Grofie
gemahnende Hexenszene der Alcina (hier das einzige, von grofiartiger Wucht erfullte
Accompagnato des Werkes), so hat man die beiden Pole, zwischen deren weitgespannten
Ausdrucksgrenzen diese Musik stromt.
Diesem Werk hatte nun die Leipziger Auffuhrung gerecht zu werden. Nichts be-
leuchtet die durchaus ungesunde Verschiebung in dem Verhaltnis zwischen musikalischer
und szenischer Interpretation drastischer als die Tatsache, dafi fast nur von dieser die
Rede war. Und das mit Recht. Denn in musikalischer Hinsicht konnte man wohl Einzel-
leistungen aber nicht im Geringsten — weder positiv noch negativ — eine durchgehende
interpretatorische Linie wahrnehmen, es sei denn den Mangel an rhythmischer und
dynamischer Prazision und als Ersatz ein hier ganz unangebrachtes, die strengen Linien
Handelscher Architektonik verfalschendes Espressivo.
Umso gebieterischer zwingt die Inszenierung zu einer Stellungnahme. Hier mufite
man mit Schrecken erkennen, wohin eine Opernregie steuert, die ihre Triebkrafte ein-
seitig vom Textbuch statt aus der Partitur empfangt. Walter Briigmann, dessen Reich-
438 ERNST LATZKO
turn an Einfallen, dessen hervorragender Begabung in der Herausarbeitung dramatischer
Situationen Leipzig eine Fulle von wirklich richtunggebenden Operninszenierungen ver-
dankt, siebt seine Aufgabe in der Erzielung einer sich aus dem Zauberspuk des Libret-
tos ergebenden Phantastik, ohne sich dariiber klar zu sein, dafi in der Musik Handels,
die jeden Stoff in eine hohere Sphare allgemeiner Giiltigkeit emporhebt (so ist auch
seine Alcina vielmehr liebendes Weib als Zauberin), niclits von dieser Phantastik zu
finden ist, ja, dafi sie in ihrer strengen Formgebundenheit ihr geradezu entgegenstrebt.
Ist darin ein Grundfehler der Inszenierung zu erblicken, so ergibt sich der zweite aus
einer volligen Umkehrung des Verhaltnisses zvvischen den in der Musik enthaltenen
Elementen. Dem Stoff, und vor allem dem hohen Menschentum Handels entsprechend,
ist der Grundcharakter der Musik ein herber, durchaus ethischer. Dieser ernsten Grund-
stimmung gegenuber wirken die leisen Andeutungen einer ganz diskreten Buffonik rein
accidentiell. Die Leipziger Inszenierung stellt aber dieses Verhaltnis ganz und gar auf
den Kopf, indem sie diese nebensiichlichen Andeutungen zur Hauptsache macht und noch
obendrein zur Karikatur verzerrt.
Diese beiden Grundfehler wirken sich nun in der gefahrlichsten Weise aus. Dabei
mufi anerkannt werden, dafi die dekorative Frage teilweise sehr gliicldich gelost ist,
Denn hier begntigt sich der Inszenator mit Andeutungen und der fast vollige Verzicht
auf Naturalismus in Rulisse und Bequisit, die Beschrankung auf die Urstoffe derBiihne:
Baum, Farbe, Licht und Treppe kflnnte wirklich als eine aus der Musik heraus gefundene
Losung wirken. Wenn nicht die Personen, die sich in dieser Dekoration bewegen, diesen
Eindruck ins gerade Gegenteil verkehrten. Hier ist auf Einheitlichkeit, audi nur
auf die entfernteste Andeutung einer stilistischen Linie absichtlich Verzicht geleistet und
die Phantastik des Textbuches durch bewufite Anhaufung von Gegensatzen und Sinn-
losigkeiten angestrebt. Die einzige Figur, die von diesen Experimenten verschont geblieben
ist, ist die Titelheldin. Sie erscheint zeitlos in ihrer Tracht wie in ihrer Mimik und
Gestik. Umso zeitgebundener alle Ubrigen. Buggiero teils im Bussenkittel, teils ini
Fliegeranzug, Bradamante und ihr Begleiter Melisso als Stahlhelmleute und das heitere
Paar als mondanes Girl in Plisseroclc und seidener Hemdblouse und als Gardeleutnant
in weifier Galauniform mit deutlichen Wilhelm n.-Beminiscencen. Am unbegreiflichsten
aber die Gestaltung des Knaben Oberto. Denn hier hatte das „Aufierhalb der Hand-
lung Stehen" zu allererst eine vollige Neutralitat erfordert. Statt dessen mufi dieser
Oberto seine beiden von Kindesliebe und Hofmungsfreude erfullten Arien in Knicker-
bockers und Seidenweste singen. Und dieser Uneinheitlichkeit des Kostiims mufi die
vollige Stillosigkeit der Gebarde entsprechen und man erlebt es, dafi die Vor- und
Nachspiele Handelscher Arien ebensogut mit stilisierten, rhythmischen, ganz der Musik
angepafiten Schritten und Armbewegungen ausgefullt werden wie mit dem Zwirbeln
eines „Es ist erreiclit"-Schnurrbartes.
Endlich ist die Inszenierung noch mit einem dritten Elementarfehler belastet, indem
sie den Chor ganzlich von der Buhne verbannt und in den Orchesterraum verlegt. Das
ist bei der fur Handel ungewohlich grofien Bolle, die der Chor gerade in dieser Oper
spielt, einmal ein Stilfehler in musikhistorischer Beziehung. Denn eine stilbewufite
Inszenierung miifite dieses Moment unterstreichen statt es zu unterdrucken. Aber ijoch
schlimmer wird der Widerspruch am Schlufi der Oper, wenn dieser Chor die ent-
DER ZWEITE TANZERKON GRESS IN ESSEN 439
zauberten Opfer der Alcina darstellt, die ihre Freude iiber die Wiederkehr zu mensch-
lichem Leben Ausdruck geben. Hier tritt also der Chor aus seiner passiven Rolle als
„kedeiites apraktos" heraus und. gewinnt als Handlungsfaktor Bedeutung. Doppelt falsch
also, ihn zu einer blofien Konzerttatigkeit zu verdammen und seine dramatisclie Tatig-
keit dem Balled: zu iibertragen, das durch Gesten und Sprechbewegungen der Lippen
den Gesang illustriert. Man sieht, wohin man bei dieser Inszenierung gelangt: was
Drama sein sollte, wird Konzert und Marion ettentheater und wenn schliefilich wahrend
der letzten Szene, die den Hohepunkt in musikalischer wie dramatischer, akustiscber wie
optischer Hinsicht bildet, der Vorhang fallt und das Geschehen sich nur noch auf Or-
chester und unsichtbaren Chor beschrankt, dann endet dieses als ganze Oper gedachte
Werk als reines Oratorium.
Fur Jeden, der Augen zum Sehen und Ohren zum HOren hatte, war das Experiment
qualvoll, aber trotzdem lehrreich. Denn es zeigt unsere Opernregie an einem ent-
scheidenden Wendepunkt. Die Frage „Modern oder Barock?", „Zeitlos oder Zeit-
gebunden?" iiber die jetzt soviel diskutiert wird, ist aber dabei nicht die Hauptsache.
Sie tritt zuriiclc hinter der viel wichtigeren : „Form oder Formlosigkeit?'", „Stil oder
Chaos ?" Kann eine Oper, deren Musik in architektonische Formen gebannt ist und
hochste Stilkraft atmet, in einer Inszenierung gegeben werden, die den Stil und die Form
verleugnet oder — richtiger gesagt — verspottet? Die Stilelemente der verschiedensten
Jahrhunderte, Epochen und Kunstformen durcheinanderwiirfelt? Sicher ist die Barock-
inszenierung nicht die einzige Moglichkeit fur die Handeloper, vielleicht kann sogar der
Bauhausstil dafiir verwertet werden. Aber alle die zahllosen Moglichkeiten, die noch der
Verwirklichung durch einen schopferischen Inszenator harren, miissen von dem einen
Grundsatz ausgehen: die Handeloper will nichts sein als Musik, sie weifi nichts vom
Zusammenwirken aller Kiinste und sowie das Textbuch fur Handel nichts anderes war
als eine Veranlassung, Musik zu machen, so mufi die Inszenierung der Handeloper alles
tun, dieser Musik auf der Buhne zu moglichst grofier Wirkung zu verhelfen.
Besonders wichtig wird das Problem deshalb, weil das Opernschaffen der Gegen-
wart so viele der Oper des 18. Jahrhunderts wesensverwandte Ziige aufweist. Auch
hier die Loslosung vom Musikdrama und das Streben nach hochster Sublimierung der
Musik. So konnte eine richtig verstandene Handelrenaissance zur Gesundung der Opern-
regie unendlijh viel beitragen und uns vielleicht eine Wiedergeburt der Oper aus dem
Geist der Musik bringen.
Hans Kuznitzky (Berlin)
DER ZWEITE TANZERKONGRESS IN ESSEN
Tatsachen und Ausblicke
Bei dem vorjahrigen ersten Tanzerkongrefi in Magdeburg zahlte man 250 Teil-
nehmer; in Essen stromten uber tausend zusammen. Was hat das zu bedeuten ? Ist in-
zwischen der Zwiespalt zwischen Ballett und neuem Tanz verkittet? Sind die Gegen-
satze zwischen dem Deutschen Chorsangerverband und Tanzerbund und der Deutschen
440 HANS KUZNITZKY
Tanzgemeinschaft beseitigt? 1st die Frage der padagogischen Vorbereitung des Nach-
wuchses. besonders hinsichtlich der einander widersprechenden Anforderungen von
Theatertanz und Podiumtanz geklart ? 1st das Problem der Tanzschrift gelost ? — Nichts
von alledem. Aber eine soziologisch unendlich weitschichtige Bewegung wdl sich er-
fiillen: der Durchbruch des tanzerischen Menschen aus beruflich-fachlicher Einengung,
deren Eigengesetze zu formen -er bislang getrachtet hat, zur Teilnahme am Continuum
menschlichen Seins als gleichgerichteter und ebenbiirtiger Kraft- und Bewegungszug. Da
kann es denn nicht fehlen, dafi schwere Kampfe ortlich und zeitlich begrenzter Art sich
ubergrofi in das Blickfeld schieben und nicht eben dazu helfen, die Situation als Ganzes
sich zu verdeutlichen. Diese Kampfe losen aber Kraftaufierungen aus, sie lassen Energien
freiwerden und sie wirken so mit zu der Tat, die einzig dem Tanze frommen kann:
•aus sich selbst zu sich selbst zu gelangen und dergestalt gelautert mit den verwandten
Kunsten zusammenzuwirken. In diesem Sinne miissen die Kampfe, die der Tanz von
heute in seinen eigenen Beihen zum Austrag zu bringen sich bemiiht, gewertet werden,
in diesem Sinne ist es audi zu verstehen, dafi sie sich in der konzentrierten Atmosphare
desEssenerKongresses wie in einem Brennspiegel sammelten. Nach dem vorjahrigenMagde-
burger Kongrefi unterblieb an dieser Stelle ') mit Vorsatz das Eingehen auf den auch
damals schon erkennbaren Zwiespalt; schon in der heutigen Situation ist der Tanz so
stark, dafi er dieser Schonung entraten kann.
Gleich der erste Verhandlungstag war dem Theatertanz gewidmet. Nachdem der
Verhandlungsleiter Kurt Joofi in knappen Umrissen die Grundziige der gegenwartigen
Arbeitspraxis aufgerissen hatte und bei dieser Gelegenheit sein Bekenntnis zum Wunsch-
bild kiinftiger tanzerischer Betatigung, zum Tanztheater als dem Theatertanz tiberge-
ordneter Begriff abgelegt hatte, ergriff Mary Wigman das Wort. Sie legte die Sonde
an die schmerzlichste Wunde: „Der moderne Tanz und das Theater." Unerbittlich klar
formulierte sie das Problem: das Ballett geniigt dem Theater nicht mehr, der moderne
Tanz fiigt sich ihm nicht ein, die Zusammenfassung beider Prinzipien erweist sich als
Wurzel von Unklarheiten. So steht den auch die Arbeit des jungen Tanzers am Theater
„im Zeichen skeptischer Besignation". Das padagogische Hedmittel fiir die griindlich
verfahrene Situation besteht darin, die Ausbddung des Theatertanzers mehr den realen
Gegebenheiten der Biihne und ihres Wirkungsraumes anzupassen. In dieser Hinsicht
kann der Tanz also nur angewandte Kunst sein, mufi demnach die Beziehung zu den
anderen an der Buhne wirkenden Kunsten anzubahnen suchen und sich bemiihen, auf
dem Wege 'iiber die fiir die Biihne allgemein wesentliche Gebardensprache den ganzen
Menschen zu erfassen. 2 ) Weil nun dem Theater gegenwartig die Fahigkeit abzuerkennen
ist, in diesem Sinne Arbeits- und Erziehungsstatte sein zu konnen (wir neigen zu der
Meinung, dafi sein Arbeitsplan viel zu zweckhaft gerichtet sogar notwendigerweise sein
mufi, als dafi sich darin wesentliches andern sollte), mufi diese Einwirkung den grofien
Tanzschulen vorbehalten bleiben, fiir die aber die Moglichkeit dazu seit allzu kurzer
Zeit gegeben ist, um schon einen in die Breite gehenden Erfolg zu erwarten. Unter
diesen Gesichtspunkten wurden zwei grundlegende Forderungen aufgestellt: Bildung und
!) Jahrgang VI, Heft 8/9.
2 ) Wir denken an die aus diesem Geiste geborenen Bewegungsinszenierungen des mutigen Hanns
Niedecken-Gebhard, deren erste Ansatze fast durchweg griindlich mifiverstanden worden sind.
DER ZWEITE TANZERKONGRESS IN ESSEN 441
Forderung der Gruppen am Theater und Erziehnng des Regisseurs. Der Tanzregisseur
mufi mehrere Jahre als Tiinzer tatig gewesen sein, bevor er zum Fuhrer aufriickt und
dai'f vor allem nicht unreife Tanzer verpflichten, was infolge der behordlich nicht ge-
regelten Ausbildungszeit ausschliefilich. in seiner Hand liegt. — Als letzte Zielsetzung
wird ein rhythmisch beschwingtes und beschwingendes Theater begriffen, das nur vom
modernen Tanz erfullt werden kann, deni sein eigenes Wesen wieder Lebenssymbol ist.
Damit erfullt die tanzerische Geste das Theater bis in seine letzten Wesensaufierungen.
In ihren Schlufiworten, aus denen die Flamme des Bekenntnisses elemental - heraus-
schlug, weihte die grofie Frau in damonischer Besessenheit die heutige Tanzgeneration
als Trager und Opfer der in die Zukunft weisenden Idee. Hier offenbarte sich ein
Fiihrertum, das die Jugend zu hochster Ekstase aufrifi, zu einer Ekstase, der im Grunde
genommen der ganze ubrige Kongrefiablauf nicht mehr entsprechen konnte, woraus ihm
allerdings kein Vorwurf zu macheii ist.
Eine undankbare Aufgabe war es denn auch, im unmittelbaren Anschlufi an das
eben Erlebte ,,Das Prinzip des klassischen Biihiientanzes" zu erortern. Professor Andrei
Levinson (Paris) unterzog sich ihr mit umfassender Sacbkenntnis und feinem Geschmack,
aUerdings in einer phdosophisch-wissenschaftlich belasteten Art, die nicht eben geeignet
war, die ohnehin mafiige Teilnahme der jungen Tanzer am Gegenstand zu steigern.
Wie beziehungslos diese Kunst doch in unserer Zeit stent, bewiesen Darbietungen der
Pariser Tanzerin Lucienne Lamballe, die gepflegteste Ballerinatradition aufwiesen und
dennoch eine geradezu hoffnuugslose Leere enthiillten.
Der zweite Verhandlungstag war der Choreologie und Tanzschrift gewidmet. Fritz
Boehme stellte in seinem einfuhrenden Vortrage sehr gliicklich zwei Gesichtspunkte ein-
ander gegeniiber. Einerseits konnte die durch Niederschrift bedingte BewuStmachung
der Vorgange den schopferischen Damon toten, auderseits ermoglichte die Schrdt aber
geforderte Ausdruckwerdung aus der Sphare privater Emanation heraus zur Allgemein-
verbindlichkeit. Die beiden Schriften, urn die es nach wie vor geht, sind diejenigen
von Rudolf von Laban und Jo Vischer-Klamt. Der Weg des Vergleichens zwischeu
ihnen ware vollig ungangbar, denn sie gehen von verschiedenen Voraussetzungen aus
und verfolgen auch nicht durchaus die gleichen Absichten. Laban hat seine Typen-
schrift noch vereinfacht. Er zerlegt die Bewegungsfolgen in Grundbewegungen, fiir die
eine verhaltnisma&ig geringe Anzahl von Zeichen bestimmt ist (unten, oben, vorwarts,
riickwarts, links, rechts, Mitte) ; aus ihnen ergeben sich schon dem graphischen Bild
nach die ubrigen Zeichen.') Die Schrift ist in ihrer A'ereinfachten Form womoglich
noch gegenstandlicher und system atischer als bisher; sie gibt auf das Was tanzerischer
Bewegungen nahezu erschopfende Auskunft. Ihre praktische Anwendbarkeit mufi einst-
weilen skeptisch beurteilt werden : der Choreologe und Choreograph selbst besitzt in
ihr zweifellos ein Instrument, dessen exakte Funktion fiir Forschungen und wissen-
schaftliche Untersuchungen er zu schatzen haben wird; der Tanzer, dem der Korper
selbst und seine Bildung im Vordergrund des ihn Bewegenden steht, wird, selbst bei
') Vgl. Schrifttanz, Methodik, Orthograpliie, Erlauteriingen. Wien, Leipzig. Universal-Edition. — Hier
ist in gedrangter Kiirze die gesamte Laban'schs Tanzschrift gebnten. (Er nennt das bezeichnenderweise
nicht „Tanzschrift", sondern ..Schrifttanz"; die Folgsn dieser unmoglichen ■ Urawertuhg haben sich schon ge-
zeigt und werden sich noch mehr zeigen.)
Voraussetzung des guten Willens; kaum jemals die Zeit aufbringen, die zur fehlerlosen
Erlernung und Anwendung selbst dieser vereinfachten Schrift vonnoten ist; er wird ja
nicht einmal wahrend seines Lehrganges mit seiner rein tanzerischen Ausbildung fertig.
Wozu auch, da man ja Sangern und Orchestermusikern das Beherrschen der Partitur
gleichfalls nicht zumutet und ihnen den Auszug in die Hand gibt. Diesen Auszug, der
dann eben auf Wiedergabe jeder allerkleinsten Bewegung bewufit Verzicht leisten
miifite, gilt es, den jungen Tanzern zu bieten. Zur genauen Kenntnis der Tanzpartitur
geniigt der Tanzregisseur (und allenfalls sein Assistent); er hat von Fall zu Fall fur die
korrekte Wiedergabe zu sorgen. Der moderne Tanz zeichnet sich durch hochst kom-
plizierte Bewegungsfolgen aus: bewahren wir den Nachwuchs vor gedanklichem Ballast,
den ihre geistige Ubersetzung in die Schrift notwendigerweise mit sich bringt. —
Vischer-Klamts Schrift bezieht sich mehr auf das Wie und Warum der Vorgange. Mit
Hdfe einer allerdings nicht unanfechtbaren Beduktion aller Bewegungen auf drei psycho-
logische Normaltypen, den Materiellen, den Intelektuellen und den Spirituellen schreibt
sie jede Bewegung schlechthin nieder, also nicht nur die tanzerische Bewegung: fur die
psych ologische Forschung, z. B. die Erklarung und rationelle Ausniitzung der rhyth-
mischen Gesetze von Arbeitsvorgangen und auch fur padagogische Forschungen kann sie
sehr wesentlich sein, vorausgesetzt, dafi es gelingt, sich innerhalb der Psychologie iiber
die grundlegenden Bewegungsnormaltypen zu einigen.
Am dritten Verhandlungstag wurden Fragen der Tanzpadagogik erortert. Hier
zeigte es sich denn endgultig, dafi nahe?u alles was an fruchtbaren Gedanken und aus-
gearbeiteten Planen beigebracht werden konnte, unmittelbar oder mittelbar dem Kreise
um Mary Wigman entstammte. Will Gotze, ihr musikalischer Berater, sprach iiber die
Beziehung zwischen Musikpadagogik und tanzerischer Erziehung. Er tat das, indem
er die Grundsatze darlegte, nach denen in der Dresdner Wigmanschule vorgegangen
wird. Man will hier bewufit die Musik als gleichgeordnete Teilhaberin. Der padago-
gische Weg unterscheidet Untersuchen als Vorstufe und Einleben als Zielsetzung. Das
Untersuchen setzt sich aus einem theoretisch-praktischen Uberblick xiber die Gestaltung
der Musik und aus einer Einfuhrung in die Grundlagen der Harmonik zusammen. Das
Einleben erfolgt durch Versuche musikalischer Kompositionen und durch Klavierunter-
richt, der die tanzerischen Formen besonders berucksichtigt Dieser aufierordentlich
klar gegliederte und zweckentsprechende Lehrplan setzt erst ein, wenn die tanzerische
Ausbildung bereits begonnen hat, damit der Tanzer anfangs bei sich selbst bleiben
kann und seine Aufnahmefahigkeit nicht gleich von vornherein geteilt wird. Wie
griindlich ernst die Dinge aber dann spater angefafit werden, geht aus der Tatsache
hervor, dafi 20 — 30 Vorlesungen der Musik gewidmet sind, die auch unter den Priifungs-
aufgaben ihre ebenbiirtige Stelle hat. Dennoch wird ihre Pflege im gegebenen Bahmen
lediglich als personliche Auseinandersetzung des Tanzers mit dem verwandten Erlebnis-
gebiet aufgefafit. Sonst war die Leiterin der Berliner Wigmanschule, Margarethe Wall-
mann, die einzige Bednerin, die wirklich zum Thema sprach. 1 ) Gegenuber den gutge-
meinten, aber am Wesentlichen vorbeisehenden Versuchen, zwischen Ballettschulung und
l ) Es mufi betont werden, dafi teilweise auch sonst gute Gedanken ausgesprochen wurden, die jedoch
allzu beziehungslos in der Luft schwebten, z. B. durch Berthe Triimpy, schliefilich auch durch Max Terpis
der leider allzu willfahrig sich dem Theaterbetrieb in letzter Zeit einfugt.
DER ZWEITE TANZERKONGRES S IN ESSEN 443
neuzeitlicher Tanzausbildung einen Ausgleich zu finden, betonte sie sehr richtig, dafi es
einen solchen infolge der ganzlich andersartigen Existenzbedingungen garnicht geben
kann (worin die durch Minderwertigkeitskomplexe offenbar sehr belasteten Ballettleute
argwohnisch ein Werturteil witterten), dafi die Differenz der Zeiteinstellung gegenuber
dem Ballett beim modernen Tanz die Technik als eine Funktion des Menschlichen sich
aufiern lafit, da^ der Korper erst einmal vom Leib zum Instrument gewandelt sein
mufi, bevor iiberhaupt die eigentliche kiinstlerische Arbeit beginnt. Wie recht sie mit
dem daraus folgenden padagogischen Bedenken hatte, allzufriih choreographisches Ar-
beiten dem menschlich-kunstlerischen Wachstumsprozeft vorzuschalten, ergab sicb contrario
motu in geradezu erschreckender Weise aus Vorfiihrungen des choreographischen In-
stituts Laban. Diese armen Menschen beherrschen die Lehre ihres Meisters so gut, dafi
ihre Korper vor lauter gedanklicher Uberarbeitung absolut untanzerisch sind und zum
Teil den primitivsten Muskelstrebungen nicht gehorchen. (Vergessen wir nicht die
Lehre, die wir daraus fur die Musikpiidagogik ziehen miissen, mit dem Musikdiktat
nicht zu zeitig zu beginnen!)
Das Problem des Laientanzes, der Sprech- und Bewegungschore, um das man
sich am letzten Verhandlungstage mxihte, liegt so sehr in der gesellschaftlichen, ja
sogar der politischen Sphare verankert, dafi seine Loslosurig aus diesem sein em gegebenen
Nahrboden und seine Wertung unter dem Gesichtswinkel von Tanz, Gymnastik, Sprech-
und Tonkunst, wie es hier auf alle mogliche Art versucht wurde als dem Phanomen
unangemessen erscheinen mufi. Einzig der temperamentvoUe Diskussionsredner, Otto
Zimmermann, Leiter eines proletarischen Bewegungschores in Plauen wufite hier die
Tatsache zu erharten, dafi es dabei um anderes geht, als was er etwas unkonzdiant
,.berufskunstlerische Arroganz" nannte, die sich ein weiteres Betatigungsfeld schafFen
wolle. Innere Spannungen des von gemeinschaftlicher Not getriebenen Menschen in
tanzerische Bewegtheit umzusetzen ist ihm der Sinn des Bewegungschores, der sich nur
in bewufiter Tendenz manifestieren kann. Das ist objektiv unbedingt zutreifend und
der junge Tanz als in der Pragung begrilTene Kunstform halt sich wohl besser von
einem Phanomen fern, das unter einem anderen Gesetze steht, als er: auch hat er
einstweilen noch viel mit sich selbst zu tun, wie nicht ganz verborgen bleiben konnte.
In der unubersehbaren Beihe von tanzerischen Darbietungen zog so ziemlich alles
voriiber was an tanzerischem Nachwuchs in Deutschland und Oesterreich, teilweise auch
in der Schweiz iiberhaupt in Frage kommt. Das Ergebnis war, man mufi es schon
aussprechen, vernichtend und zeigt seinerseits, wie brennend die Klarung der padago-
gischen Voraussetzungen geworden ist. Man entdeckte nur ein junges Tanzerpaar der
Berliner stadtischen Oper, Ruth Abramowitsch und Georg Grocke : diese kommen aber
aus dem Wigmankreis. Was sich sonst in Solodarbietungen bewahrte, gehort wie Vera
Skoronel, Gret Palucca, Yvonne Georgi, Harald Kreutzberg ebenfalls dem Wigmankreise
an. — Die Gruppendarbietungen brachten mit der Groteske „Die griinen Clowns'"
(Kammertanzbuhne Laban unter Leitung von Dussia Bereska) einen typischen Beweis
fur die im Grunde untanzerische Hirnarbeit, die hier jetzt geleistet wird, vor allem
aber zum letzten Male (denn die Gruppe lost sich wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten
auf). Mary Wigmans „Feier". Wenn es heute schon so steht, dafi ein Publikum, von
dem reichlich die Halfte durch Essener Burger gestellt wurde, das Ungemeine so er-
444 HANS KUZNITZKY
fassen kann, so spiiren wir, wo die Fiihrung des neuen Tanzes zu such en ist. Als Ab-
schiedsvorstellung fur seinen fahigen, jetzt an die Berliner Staatsoper verpflichteten
Tanzregisseur Jens Keith hot das Essener Stadttheater Albert Flament's „Salat" mit der
Musik von Milhaud. Unter bewufiter Weiterbildung der commedia dell' Arte ist hier
ein „gesungenes. Ballett" geschaffen worden. das wie Strawinskys „Fuchs" die Nachbar-
kiinste vereinigt; hier tritt sogaj' noch mit hervorragend komischer Wirkung streng
rhythmisiertes „Sprechgeschrei" hinzu, das der Musik rhythmisch gleichgeordnet ist und von
den Tanzern auf der Biihne mit besorgt wird (die Sanger sitzen im Orchester). Die
altehrwiirdige Verkleidungsintrige liegt als Handlung zugrunde; die Musik, voller spru-
d ein der Einfalle, geistreich, frecli, dem Ohre eingehend, tongewordene Bhythmusbereit-
schaft, tollt bluhend voriiber. Das Schlagzeug dient der feinen rhythmischen Unter-
teilung. liefert auch das Gerippe der ausgelassenen Sprechszenen. Gegeniiber der Ein-
heit in Wort, Ton, Bild und Gebarde, mit der sich dieses Werk darstellt, fiel der
vorangegangene ,,siegreiche Horatier" von Honegger doch merklich ab. (Die Musik ist
in Berlin bereits bekanut, daher wird auf weiteres Eingehen Verzicht geleistet).
Die Tanzfestspiele brachten auch Nationaltanze und hier waren die kultischen
Tanze, die der aus uraltem javanischen Prinzengeschlecht stammende Dozcnt an der
Leydener Universilat Baden Mas Jodjana mit Begleitimg eines Gamelanorchesters darbot
ein Erlebnis hochster Weihe. Eine aivfierst verfeinerte Tradition wirkt hier immer noch
das elementare Wunder der Verldarung des Menschen im ekstatischen Rausch, im Bausch,
der dennoch bis in die letztcn Bewegimgen der uuerhort ausdrucksvollen Hande eine
durchsichtige Plastik bewahrt und damit auch dem Fernerstehenden die heilige Be-
wandtnis dieser Feier des Leibes vermittelt. Hier schliefien sich auch die Nationaltanze
der englischen Morristanzer an. Alte Kriegs- und Waffentanze, die in abgebogener
Bedeutung wahrend der christlichen Zeit weiterbestanden haben und deren komposi-
torische Grundibrm immer wieder auf den Kreis als ehrwiirdiger Kult- und Opferform
zuriickgeht, wurden in mehreren bezeichnenden Proben vorgefiihrt. Die dazu auf einer
Violin e gespielten Weisen machen in der Tat in ihrer pentatonischen, tonalen Bezug
moglichst vermeidenden Melodiefuhrung einen sehr alten Eindruck. Hierher gehort
auch ein Filmvortrag. den Prof. Dr. Franz Pospisil von der volkskundlichen Abteilung
des mahrischen Landesmuseums in Briinn hielt. Die Vorfiihrung einer Beihe von mittel-
europaischen Tanzen lieft weitgehende Schliisse auf die gemeinsame Wurzel der kultischen
Begehungen zu. Besonders dankenswert war die Vorfiihrung einer Moreske von der
dalmatinischen Insel Curcola, wo also dieser in der Ballettgeschichte des 16. und 17.
Jahrhunderts so wichtige Tanz noch lebt. Es ware eine dringende Aufgabe unserer
Ethnographen, auch in Deutschland in Bild und Weise auf diesem Wege festzuhalten,
was an sparlichen Besten sich noch erhalten hat : viel Zeit ist nicht mehr zu verlieren.
Der Kongrefi hat in seinem Verlaufe in Theorie und Praxis ein Material ausge-
breitet, dessen Umfang die gewohnten Begleiterscheinungen zeitigte : Uberburdung, Uber-
hetzung, Ubermudung. Man hat gelernt; im nachsten Jahre wird man weniger Stoff
bieten, dafiir aber griindlicher bei den einzelnen Gebieten verweilen. — Die beiden feind-
lichen Berufsgruppen, Tanzerbund und Tanzgemeinschaft wollen sich an den Ver-
handlungstisch setzen. Sehr schon, aber was wird dabei herauskommen? Man denkt
unwillkiirlich an den KompromiU zwischeii Allgemeinem Deutschen Musikverein und
JOH. SEB. BACKS „ MUSIKALISCHES OPFEB" 445
Internationaler Gesellschaft fur Neue Musik beim diesjahrigen Tonkiinstlerfest. Die Ver-
haltnisse gleichen sich sprechend audi insofern, als ein Heil fur die Beteiligten in
keinem Falle daraus entstehen wird; Burgfriede ist doch nur eine aufschiebende Zwischen-
losung. Hier liegt audi allerdiiigs das Problem der staatlidi zu subventionierenden
Tanzhodischule : vorsichtig winkte Minis terialrat Dr. Haslinde als Vertreter des Kultus-
ministeriums ab. Solange ein so weitgehender Zwiespalt zwischen den Fachverbanden
herrsdit, will der Staat dem Projekt augenscheinlich nidit naher treten. Dieses Ver-
halten ist nidit frei von Einseitigkeit ; audi in der Musik bestehen ahnliche Verhaltnisse
ohne dafi der Staat (Gott sei Dank!) sich hat abschrecken lassen, in der Musikpadagogik
sehr merklich die Initiative zu ergreifen.
Fur den nachstjahrigen Kongrefi werden die Tanzer, die in diesem Jahre es mit
Essen wirklich ausgezeicbnet getrofl'en hatten, von Berlin, Wien, Frankfurt a. M. und
Stuttgart begehrt, ein Beweis dafiir, welche Besonanz die alte junge Kunst findet. Ihr
Weg wird, trotz im Grunde ganz gesunder Auseinaudersetzungen aufwarts fidiren.
Ernst Latzko (Leipzig)
JOH. SEB. BACHS „MUSIKALISCHES OPFEB"
ErstaufTuhruiig in der Anordnung und Instrumentenbezeiclmung von
Hans David im Balimen der Badifeier der Stadt Leipzig am 1. Juli 1928.
Diese Auffuhrung wirkte nach der vorjiihrigen der ,,Kunst der Fuge" wie cineDuplizi-
tat der Ereignisse, umsomehr als der unmittelbar vorhergeliende tragische Tod Wolfgang
GrJisers eben wieder die Erinnerung auf jenes Ereignis gelenkt hatte. Aualogien zwischen
den beiden Werken lassen sich unmoglich ubersehen; vor ahem die gemeinsame Idee,
aus einem einzigen Thema durch Anwendung aller Mittel des strengen Kontrapunkts ein
grofies, vielgliedriges Kunstwerk zu entwickeln. In der „Kunst der Fuge" deutet schon
der Titel an, daB Bach hier im wesentlichen alle Moglichkeiten der Fuge darstellen
woUte, das „Musikalische Opfer" war dagegen fiir ihn hauptsachlich ein Versuch, einem
Thema durch alle nur denkbaren Arten kanonischer Behandlung beizukommen, also ge-
wissermafien eine „Kunst des Kanons." Diese Analogie in der Entstehung setzt sich
dann audi im Schicksal der beiden Werke fort. Sie bleiben als Ganzes unaufgefuhrt,
der lehrhafte Zweck gilt bei beiden als der primare, das schopferische Moment tritt
hinter dem technischen zuriick, die Art der Ausfiihrung ist strittig. Bis endlich die
Jugend einer um fast 200 Jahre alter gewordenen Menschheit ihre wahre Bedeutung
erkennt, sich tiber alle Bedenken philologischer Art hinwegsetzt und beide Werke fiir
die Gegenwart rettet.
Besonders beim „Musikalischen Opfer" geniigte der Anlafi seiner Entstehung fin-
die Nachwelt, in ihm ein blofies Gelegenheitswerk zu sehen. Es lafit sich audi nidit
besti - eiten, dafi bei Iluchtiger Priifung das Werk durch die Verschiedenartigkeit seiner
Bestandteile (es umfafit neun Kanons, zwei Fugen (Bicercare), eine kanonische Fuge
und eine Trio-Sonate) den Eindruck der Zufalligkeit und Uneinheitlichkeit macht, ein
Eindrudc, der sicher durch die Kenntnis des Historikers verstarkt wird. dafi es in drei
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446 ERNST LATZKO
zeitlich getrennten Teilen entstanden ist. Die aller Schwierigkeiten spottenden Experi-
mente, die Bach vor allem in den Kanons macht (Umkehrung, Vergrofierung, Krebs,
Zirkel) lassen die Meinung begreiflich erscheinen, dafi dieses rein spekulative Moment
hier fur ihn die Hauptsache war, umsomehv als dem Spiel mit den Noten noch ein
Spiel mit Gedanken und Worten hinzugefiigt ist. Die Kanons sind fast durchwegs als
Ratselkanons notiert, bei zweien fehlt sogar jede Andeutung einer Auflosung (Quaerendo
invenietis). Bei zwei anderen wieder treibt er Tonsymbolik und setzt zu dem Kanon,
der sich in vergrofierter Gegenbewegung entwickelt, als Motto: Notulis crescentibus
crescat fortuna regis, zu dem in aufsteigenden ganzen Tonen, modulierenden Zirkel-
kanon den Satz: Ascendenteque modulatione ascendat gloria regis. Schliefilich versieht
er noch fiinf nebst der kanonischen Fuge auf einem Bogen geschriebene Kanons mit der
spielerischen, als Akrostichon gedachten Inhaltsangabe : Regis Jussu Cantio Et Reliqua
Canonica Arte Resoluta (Ricercar). So ist das Werk wirklich nicht frei von spekulativen
Tendenzen, die neben der sclion erwahnten scheinbaren Uneinheitlichkeit leider bis heute
die Welt nicht zum vollen Genufi der hier enthaltenen Kostbarkeiten hatten kommen
lassen. Die Trio-Sonate, ein besonders wertvolles Stiick, ist durch Einzelauffiihrungen
ziemlich bekannt, vielleicht audi die beiden Ricercare, von denen das sechsstimmige,
ein Wunderwerk polyphoner Gestaltung, in einer Bearbeitung fiir Streicliorchester von
Lenzewski erst kiirzfich im Leipziger Bundfunk gespielt wurde, alles tlbrige ist aber dem
Publikum so gut wie fremd und eine Benaissance im wahrsten Sinn des Wortes ware
es, wenn die Davidsche Einrichtung das Werk als Ganzes fiir Konzertsaal und Haus-
musik erobert hat.
Ihr Hauptverdienst ist es, die verschiedenartigen Teile, die bisher als zufallige An-
haufung inkohaerenter Bruchstiicke gegolten hatten, in eine Beihenfolge zu bringen, die
dem Ganzen eine streng symmetrische Architektur und damit den Charakter zwingender
Logik verleiht. David erblickt in der Trio-Sonate, dem einzigen mehrsatzigen Stiick der
Sammlung, das natiirliche Zentrum des Werkes. Ebenso wahrt er die Symmetrie, wenn
er die beiden Ricercare als Pole ansieht und mit dem dreistimmigen das Opfer beginnt,
mit dem sechsstimmigen in prachtvoller Steigerung beschliefit. Zwischen diese drei ge-
gebenen Punkte waren nun die iibrigen Teile zu gruppieren. David ordnet die kanonische
Fuge bei den neun Kanons ein und bildet aus ihnen zwei fiinfteilige Gruppen, je nach-
dem das konigliche Thema selbst oder der Kontrapunkt dazu kanonisch verwertet ist.
Diese Gruppe wird zwischen die dreistimmige Fuge und die Trio-Sonate, jene zwischen
Sonate und sechsstimmige Fuge gestellt und damit wird eine funfgliederige Symmetrie
erreicht, „ergibt sich die Moglichkeit, das Werk als ein Ganzes aufzunehmen, Anlafi und
tiefste Reclitfertigung der Gesamtauffuhrung" (David).
Weniger gliicklich erscheint der zweite Teil von des Rearbeiters Tatigkeit, die In-
strumentation. Gern sei anerkannt, dafi die theoretische Erlauterung, mit der David
seine in dieser Richtung geleistete Arbeit begriindet, durch ihre strenge Sachlichkeit fiir
sich einnimmt, aber die praktische Ausfiihrung konnte diesen Eindruck nicht bestatigen.
Und es ergibt sich die sonderbare Tatsache, dafi die Einheitlichkeit, die David durch
seine Anordnung zweifellos erreicht, durch seine Instrumentation bis zu einem gewissen
Grade wieder aufgegeben wird. Bekanntlich sind von Bach selbst herriihrende Bicht-
linien fiir die Instrumentation vorhanden : die Besetzung der Trio-Sonate (Flote, Violine,
JOH. SEB. BACHS „MUSIKALISCHES OPFER'
447
Continuo) und die Angabe ,.a 2 Violini" bei einem der Kanons. Diese Richtlinien sind
audi — erweitert interpretiert — bei der zweiten Kanongruppe vom Bearbeiter einge-
halten worden. Audi dariiber, dafi die dreistimmige Fuge — ihrer urspriinglichen Re-
stimmung gemafi — auf dem Cembalo gespielt werden muG, kann kein Zweifel be-
stehen. Von diesen, in ihrer Klangfarbe durcli Bach beeinflufiten, drei Teilen heben
sich aber die beiden andern in ihrer jetzigen Instrumentation als Fremdkorper ab. Um
die erste Kanongruppe aucb klanglicli der zweiten gegeniiberzustellen, verwendet hier
David prinzipiell fur das konigliche Thema ein Rohrblattinstrument, fur die beiden
kanonischen Gegenstimmen Streicher. Damit wird sicher eine sehr eindringliche Plastik
erreicht. aber da in diesen ftinf Kanons drei verschiedene Holzblaser (Oboe, Oboe da
caccia, Fagott) und vier verschiedene Streicherkombinationen abwechseln, mufi schon
hier jener Eindruck der Buntheit und Uneinheitlichkeit entstehen, der von der Buhe
empfindlich absticht, die die von Bach instrumentierten Teile verklart. Und leider noch
verstarkt wird er in dem Schlufiteil, dem sechsstimmigen Ricercare. Nach dem von
David so uberzeugend dargelegten Grundsatz der durch das ganze Werk fuhlbaren
Symmetrie mufite — unbeschadet einer durch die reichere Polyphonie und durch die
SteLlung am Schlufi begriindeten Steigerung — audi ein gewisses klangliches Gleichge-
wicht zwischen den beiden Ecksatzen herrschen. Statt dessen besetzt er die sechs
Stimmen mit Oboe, Violine, Oboe da caccia, Bratsche, Fagott und Cello und verstarkt
noch die beiden Unterstimmen durch ein zweites Cello und einen Kontrabafi. Zweifel-
los wird durch diese Methode „Durchsichtigkeit des kontrapunktischen Gewebes erzielt",
aber es ist die Durchsichtigkeit einer Rontgenaufnahme, gewifiermafien eine Skelettierung
der verschlungenen Polyphonie, die kaum im Sinne des Schopfers liegt. Aufierdem
wird durch diesen Vorteil die in das Werk durch die Instrumentation hineingetragene
Unruhe nicht aufgewogen. Und halt man dem vom Cembalo gezupften dreistimmigen
Ricercare nun das sechsstimmige gegeniiber, das, von adit Insti'umenten vorgetragen,
einen fast orchestralen Eindruck macht, dann steht die Symmetrie der Anordnung mit
der klanglichen Verschiedenheit in starkstem Widerspruch. Hoffentlich ist hier das
letzte Wort noch nicht gesprochen. Eine Losung aus dem Stil des Werkes, die ungefahr
der Absicht des Schopfers entsprache und gleichzeitig der von David enthuUten Architektur
des Gesamtplanes wie auch der polyphonen Deutlidikeit gerecht werden konnte, ware
vielleicht die Ausfiihrung des sechsstimmigen Ricercares durch zwei Cembali.
Doch das sind Kleinigkeiten im Vergleich zu der begliickenden Tatsache, dafi hier
ein Jahrhunderte lang in Archiven vergrabenes Werk zu lebendigem Klang erweckt
wurde, dafi angeblich rein kontrapunktische Spitzfindigkeit und Spielerei sich als Musik
erwies, die, unabhangig von jeder abstrakten Rindung, rein durcli die in ihr enthaltene
Intensitat allerstarkste Wirkung ausiibte. Und die Regeisterung des in Scharen herbei-
geeilten Publikums hat hoffentlich wieder manchem dariiber die Augen geoffnet, welche
dichten Faden die Gegenwart mit der Kunst des 18. Jahrhunderts verkniipfen.
448 HANS MERSMANN
Hans Mersmann (Berlin)
ZEITSCHRIFTENSCHAU
1.
Wenn man in den deutschen Musikzeitschriften blattert, die in den letzten Monaten
erscliienen, so fallt aufierlick die wachsende Rolle des Rundfunk auf. Mehrere Zeitscliriften
widmen ihm selbstandige Teile; doch man spurt mehr die Anerkennung einer aufieren
Maclit, der Rechnung getragen werden mufi, als den Versuch, in die einstweilen nocli
sehr komplizierten Probleme und Voraussetzungen einer Rundfnnkniusik eitizudrhigen.
Sonst interessieren vor allem die Portraitskizzen lebender Musiker, die sich hier
und dort linden. Die „Neue Musikzeitung" beschaftigt sicb mit Othmar Schoek in
mehreren Aufsatzen, dessen harmoniscben Stil W. Schuh feinfuhlig untersucbt. Auch
Petyrek wird in dieser Zeitscbrift ausftihrlich behandelt.
Dieselbe Zeitscbrift widmet Wagner ein Sonderheft, welches versucht, das Problem
Bayreuth mit dem Auge unserer Zeit zu sehen. Wilhelm Pinder, Hausegger, Richard
Benz, H. H. Stuckenschmidt u. a. beteiligen sich an der Aussprache. Der Wert soldier
Versuch e erscheint problematisch, wemi so viele Standpunkte nebeneinandergestellt werden,
wie hier. Es bleibt nur festzustellen, dafi zwischen Richard Benz. der iiber „Wille und
Werk bei Richard Wagner" schreibt, und Stuckenschmidts ,,Gestorbenem Bayreuth" keine
Briicke besteht. dafi hier zwei Generationen aneinander vorbeireden. Die feinste und
personlichste Deutung gibt der Kunsthistoriker Wilhelm Pinder in einem Brief. Sonst
finden sich auf der anderen Seite nur Satze, wie die folgenden, von Hausegger gepragten :
Alle die Eigenschaften, welche Wagners Kunstwerk, welche seine AVeltanschauung auszeichnen,
stehen in krassestem Widorspruch zu dem, was sich heute ,, Zeitgeist" neniit. Wer dieseni dienen
will, der wende sich' von Bayreuth ab, um dem ,,Jonny" von Niggers Cnadeii zuzujubeln. Wer
ilin aber bekampft, wer in ilim den fluchwiirdigen Geist der Verneinung, den Bankrott sterilen
Wesens sielit, der stehe zu BajTeulh als einem Bollwerk, das nicbt nur bestimmt ist, Vergangenes
zu wahren, sondern auch in eine Zukunft zu weisen, deren Rauschen, trotz all dem aufdringlichen
Tagesgeschvei, schon da und dort zu vernehmen ist, um sich endlich zum Sturmwind zu steigern,
der alles Gemeine und Erlogene hinwegfegen wird, um einen neiui Tag zu bereiten.
Diese Siitze, von weithin sichtbarer, verantwordicher Stelle aus gesprochen, haben
wohl den Wert eines Zeitdokumentes.
Zusammenstellung gegensatzlicher Meinungen ist auch das notwendige Ergebnis von
Umfragen, wie sie von mehreren in- und auslandischen Zeitscliriften gemacht wurden.
So veranstaltet die „Szene" ein Sonderheft „Kapellmeister und Opernregie", in dem Ant-
worten auf die Frage gesammelt werden, ob Kapellmeister und Opernregisseur in einer
Person zu vereinigen seien. Die Antworten fallen naturgemaC sehr verschieden aus.
Die Begisseure lehnen die „Kapellmeisterregie" meist grundsatzlich ab, wahrend manche
eine allgemeine Beantwortung der Frage verneinen und sie mehr individuell entschieden
haben mochten.
Einer lieu erschienenen internationalen Zeitschrift ist noch zu gedenken: „Die
B6 ttcherstrafie", die von dem bekannten Bremer Grofiindustriellen Ludwig Roselius
unter Mitwirkung von Prof. Rernard Hoetger und Georg Eltzschig herausgegeben
wird. Auch musikalische Fragen werden gesti - eift, tedweise in selbststandigen Aufsatzen
(im zweiten Heft schreibt Oskar Rie iiber Architektur in der Musik), sonst durch kurze
ZEITSCHRIFTENSCHAU 449
Berichte und Mitteilungen. Die Zeitschrift gibt sich als ein Weltmagazin. Sie streift
eine Fulle von Inhalten, ohne auf den einzelnen einzugehen. Ihr Schwergewicht liegt
in ihrer aufieren Erscheinung : Reproduktionen jeder Art, Faksimiledrucke, Graphik,
Photographie stellen das Beste dar, was wohl in dieser Richtung gegenwartig iiber-
haupt geleistet werden kann, und machen jedes einzelne Heft zu einer bibliophilen An-
gelegenheit. Dire Verbreitung im Ausland konnte einen Hohepunkt deutscher Technik
und Zeitschriftenkultur bezeichnen.
2.
Unter den franzosischen Zeitschriften steht die „Musique", die im ersten Jahre
erscheint, auf einer besonderen H6he. In ihren letzten Heften gibt Roland Manuel
eine ausfuhrliche Wiirdigung des Komponisten Manuel de Falla. Auch hier begegnen
wir einer Umfrage, welche durch ihre Problemstellung in eine bedenkliche Tiefe weist.
Sie stelll: an einer Reihe lebender Komponisten die beiden Fragen : Quels sont vos modeles
et vos maitres ? Vos directions: fondements et les dogmes de votre esthetique; poles
d' attraction et de repulsion de votre art?
Eine erste Reihe von Antworten liegt vor. Nur wenige Namen der Einsender
klingen bei uns. Psych ologisch interessant bleibt, in wie verschiedener Weise die
Kunstler sich ihrer Verpflichtung entledigen. Einige (wohl die besseren unter ihnen)
lehnen es ab, die Tiir zu ihrem Kammerlein aufzumachen; andere liefern weitschweifige
Ergusse. Nicht ohne Interesse erscheint mir die Antwort, die ein Komponist Maxime
Jacob gibt, weil die Namen, die er an den einzelnen Stellen nennt oder zusammenstellt,
fur eine Richtung franzosischer Musikanschauung doch irgendwie typisch sind. Seine
Antwort lautet:
Mon modele, c'est moi-meme. Mes maitres sont Bach, Mozart, Debussy et Erik Satie. Je
n'ai d'autres directions que celles de ma fantaisie ; d'autres dogmes artistiques que ceux dictes
par mon caprice. Pole d'attraction : Gounod. Pole de repulsion: Schonberg, Honegger, Florent-
Schmitt, et, helas, beancoup d'autres.
Unter den deutschen Komponisten benuihen sich Schonberg und Kaminski, Bekenntnisse
zu formulieren.
Eine andere Umfrage, die auch hier im weiteren Sinne aufzufassen ist, enthalt
das Juliheft des „Courrier musical", das der Vokalmusik gewidmet ist. Es
stellt an eine Anzahl von Fachleuten die Frage, ob eine Krise des Gesanges bestehe,
wo ihre Wurzeln lagen, wie weit sie mit gegenwartigen Kompostionen zusammenhingen
und ob eine Riickkehr zum „bel canto" wunschenswert sei. Das Heft enthalt aufier-
dem Studien uber mittelalterliche Vokalmusik und einen grundlegenden Aufsatz, betitelt
„La chanson et le lied".
In den aktuellen Aufsatzen. auch in den Zeitschriften der anderen Lander, spielt
die wiederentdeckte Urfassung des „Boris Godunow" eine grofie Rolle. Das ganze Pro-
blem der Instrumentation dieser Oper durch Rimsky-Korssakow erfahrt dabei eine
eingehende Kritik. Die Intensitat der Diskussion bezeichnet die Bedeutung, die
Mussorgsky fur die Musik aller europaischen Lander hat. Mit neuerer deutscher Musik
beschaftigen sich die Zeitschriften der anderen Lander wenig, Die ausgezeichneten
aber nicht speziell musikalisch eingestellten .,Cahiers de Belgique" bringen noch einmal
eine umfassende Wertung Schonbergs. Der „Courrier Musical" hat im Juniheft einen
450 HEINRICH STROBEL
Leitaufsatz iiber Richard Straufi, dem ich folgende fur die Einstellung eines Franzosen
bezeichnende, aber unserm Empfinden stark widersprechende Satze entnehme:
Les heros de Strauss sentent un peu la Deutsche Kneipe ; ils sont germaniques jusqu'au bout
des ongles; «bouffis de biere et de theologies ; ils font songer a Hans Sachs, aux bourgeois
frondeurs des fabliaux, aux maisons a pignons et au XVe siecle allemand, turbulent moyen age
des villes a son declin.
Allemand, il (Straufi) Test encore dans la technique meme : cet amour du fortissimo perpetuel, ce souci
de paroxysme, ce constant employ des cordes, soit comme une mer bruyante d'oii emergera le
theme des cuivres : soit, le plus souvent, parce qu'elles-memes ont le theme ; ont peut relever
ici une preference pouv la melodie, et c'est en quoi le Midi, les sejours italiens ont influence
Strauss ; melodie accusee, volontiers vulgaire : il n'est pas loin des veristes.
Enter den italieniscben Zeitschriften beruhrt die „Rassegna musicale" (die neue
Erscheinungsform des ,,Pianoforte") sympathiscb durch ihr gleichmafiig hohes Niveau-
Ihr gelingt, wie audi der „Musique", die Verschmelzung alter und neuer Musik in einem
literarischen Rahmen. Ausfuhrliche Studien beschaftigen sich mit Busoni und Strawinsky.
England hat in der von Edwin E vans geleiteten „ Dominant" eine Zeitschrift
von starkster Lebendigkeit, grofier Konzentration und fortschrittlicher Gesinnung. Der
Schriftleiter ubt im Maiheft in . einem Aufsatz „Festivalia" freimutige Kritik an dem
Sienaprogramm der Internationalen Gesellschaft fiir Neue Musik. In der Zeitschrift
„The Sackbut", die von Ursula Greville mit impulsiver Vitalitat redigiert und in
jedem Heft eingeleitet wird, schreibt Cyril Scott iiber „Musikalitat".
MUSIKLEBEN
Heinrich Strobel (Berlin)
ZEITSCHAU
Am 12. August ist Leos Janacek gestorben. Auf dem Transport zum Kranken-
haus hat ihn der Tod ereilt, ihn, der in einer wahrhaft erstaunlichen Entwicklung sich
dauernd zu verjiingen schien, der in einem Alter, in dem sonst die Produktion zu er-
lahmen oder doch wenigstens zu erstarren pflegt, immer wieder zu neuen Werten ge-
langte. Eben erst wurde die letzte Oper „Aus einem Totenhaus (nach Dostojewsky)
und eine Messe vollendet. Janacek war eine der grossen schopferischen Naturen, welche
gegen die Stilverwirrung, dank ihrer starken Volksverbundenheit, elementare und auf-
bauende Krafte herantrugen — nicht von der umfassenden Gewalt und Reichweite eines
Strawinsky oder Bart ok, aber bestimmt an Urspriinglichkeit der Begabung und
Kraft des nationalen Temperaments ihnen ebenbxirtig. In Vielem ist er Bartok ver-
gleichbar. Auch fiir ihn ist die Lied- und Tanzmusik seines Volkes Fundament des
Schaffens, auch er erforscht ihre Gesetze, veroffentlicht wissenschaftliche Arbeiten. Mehr
noch: er leitet die melodische und rhythmische Gestalt seiner Vokalstimme aus der
tschechischen Sprachmelodie ab. (Das ist der Grund, warum man das Wesen von
Janaceks Dramatik erst bei der Auffiihrung in der Originalsprache ganz begrirT).
ZEITSCHAU
451
Ganz von selber mufite dieser Kiinstler, vom Lied ausgehend, zum Theater komnien.
„Jenufa", seine zweite Oper, 1901 geschrieben, wird mehr als anderthalb Dezennien
spater der grosse Erfolg. Das naturalistisch-buhnenstarke Textbuch tragt viel dazu bei.
Es bleibt der einzige wirkliche Erfolg. Der Naturalismus der „Katja Kabanowa", der
wieder in seiner Elementaritat an Moussorgsky erinnernd, schlagt nicht mehr so durch.
Dann weiten sich die Kreise, unter deni EinfluS des franzosischen Impressionismus, die
Harmonik zerspaltet sich, die Sprache wird noch differenzierter. Das „Listige
Fiichslein" erreicht eine Transparenz und Geistigkeit, die freilich der Theaterwirkung
nicht forderlich ist. Inzwischen wird das Instrumentale in das Schaffen einbezogen,
wesentlich von der dramatischen Technik bestimmt, improvisatorisch fliefiend, manch-
mal sprunghaft, doch stets bestrickend durch die innere Ftille, durch die Echtheit des
Materials. So weit es seine festumrissene Personlichkeit erlaubt, nimmt Janacek auch
modernste Elemente auf. Er] wachst immer tiefer in die Zeit hinein, er wird, der
Generation zugehorig, gegen welche die Jugend sich auflehnte, zum geistigen Fiihrer
ebendieser Jugend. Nicht nur die Nation trauert um ihn, deren Musikalitat in der Ge-
stalt Janaceks ihre edelste Inkarnation fand — es trauert die ganze musikalische Welt
um einen der Besten in dieser Zeit
Diesen Sommer trafen sich in Wien die deutschen Sanger zu ihrem 10. Bundes-
i es t. Es war eine stark besuchte Zusammenkunft, mit viel Gesang, Alkohol und Patriotismus,
mit lauten Beden, eitel Begeisterung und respektabler Besonanz in bestimmten Kreisen.
Eine politische Kundgebung nicht zuletzt — Beweis dafiir, dafi gerade in einem Lager,
das Andersdenkende nur allzuoft der leichtfertigen Verquickung kiinstlerischer oder
politischer Faktoren bezichtigen will, diese Verquickung in bestem Schwange ist. Man
kann sich freilich auf eine Tradition in dieser Hinsicht berufen. Der deutsche Manner-
gesang war seit Bestehen an eine bestimmte politische Idee gebunden. Aber die Zeiten
haben sich geandert, neue Krafte, neue Machte beherrschen die Gegenwart — die
Mentalitat der Sanger ist die gleiche geblieben, ist eher noch begrenzter geworden. Es
entbehrt nicht der Lacherlichkeit, wenn in Jagerhemd und Loden eine aus der ver-
hangnisvollsten Kriegspsychose bekannte Parole hervorgezerrt wird, wie „am deutschen
Weaen mxisse die Welt genesen", wenn eine hohe Personlichkeit bei offizieller Gelegen-
heit das Wien zur^Zeit des Sangerfestes als den geistigen Mittelpunkt Deutschlands nennt.
Dieses Programm, das, ein paar Werke von Schubert, die „Tageszeiten" yon
Strauss und einiges Verstreute ausgenommen, in der Hauptsache teils belanglose, teils
schlechte Liedertafelei umfafite — Symbol deutschen Wesens, deutscher Kunst? Die
Sanger Beprasentanten deutscher Geistigkeit? Hier mufi man protestieren. Mit Kunst,
mit Geistigkeit, mit Gegenwart hat das alles nichts zu tun. Nur durch Herauslosung
der aktivierungsfiihigen Elemente, durch systematische kiinstlerische Erziehung im Geist
dieser Zeit ware die Bewegung zu retten (ebenso wie die Arbeiterchore). Das haben
selbst einsichtige Beurteiler aus diesen Kreisen langst zugegeben.
452
MUSIKLEBEN
NACHRICHTEN
KLEINE BERICHTE
Die Berliner Ortsgruppe der Internationalen Ge-
sellschaft fiir Neue Musik hat in ihrer Generalver-
sammlung Neuwahlen des Vorstandes vorgenommen.
Diese ergaben eine Wiederwahl samtlicher bisheriger
Vorstandsmitglieder. Der Vorstand setzt sich also
wie folgt zusammen : Erster Vorsitzender : Prof.
Artur Schnabel ; Zweiter Vorsitzender : Max Butting ;
Schatzmeister : Dir. Ludwig Berliner; Schriftfiihrer :
Hanns Gutman ; Beisitzer : Dr. Berta Geismar, Ernst
Henschel ; Musikausschufi : Paul Hoffer, Dr. Karol
Rathaus, Vladimir Vogel; Adresse des Schriftfiihrers:
Berlin-Wilmersdorf, Jenaerstr. 5.
In Freiburg i. Br. fand die Griindungsfeier eines
badischen Bruckner-Bundes unter Beteiligung einer
grofien Anzahl fiihrender Musiker aus Siidwest-
deutschland statt.
Max von Schillings hat den Meldungen einer
amerikanischen Zeitung zufolge im Verein mit dem
Direktor einer amerikanischen Grammophon-Gesell-
schaft, Frederik Sard, die Statuten fur die Grundung
eines internationalen Musikparlaments entworfen. Die
frankfurter Zeitung" berichtet iiber den Inhalt der
Statuten : „Wir erstreben eine AnnSherung zwischen
den Musikern aller Lander, die unbedingt friedens-
fordernd wirken mufi. . . . Die Venvirklichung des
Planes konnte eine Liicke im Nobelpreis ausfiillen,
der bekanntlich keinen Musikpreis einbegreift. Audi
ware es nur zu wiinschenswert, eine internationale
musikalischeKulturgemeinschaft zu schaffen, die jedoch
die nationale Musik keinesfalls bekampfen oder tiber-
fliissig machen soil. . . . Die grofite Grammophon-
gesellschaft der Welt beabsichtigtzunachsteineStiftung
von mindestens 50000 Dollar zu errichten, die im
Laufe von zehn Jahren jahrlich verteilt werden soil,
und zwar fiir ein bestimmtes Musikstiick oder fiir
das gesamte Schaffen eines Kiinstlers; aber auch
Gruppen, Vereine oder Gesellschaften, die sich um
die Forderung der Musik ihres Landes besonders
verdient gemacht haben, konnen den Preis erhalten,
der auch unter mehrere Bewerber geteilt werden
kann. Es sollen voraussichtlich zehn internationale
Zonen gebildet werden, aus denen drei Mitglieder
in den Obersten Rat gewahlt werden. Aus dem Rat
wird ein Komitee aus bedeutenden Musikern fiinf
verschiedener Lander ernannt, das sich abwechselnd in
den verschiedenen Liindern versammelt, um Vorschlage
fiir die Preisverteilung zu machen. Ende des Jahres
1929 soil die erste Zusammenkunft, wahrscheinlich
in Wien, stattfinden. Ein Hauptzweclc der neuen
Organisation ist die Forderung des Verstandnisses
fiir zeitgenossische Musik unter den verschiedenen
Volkern, das bis jetzt nur sehr mangelhaft entwickelt
ist. Die 1921 in London gegriindete „Internationale
Gesellschaft fiir zeitgenossische Musik" pflegt aus-
schliefilich extrem moderne Musik, das Musikparlament
soil vor allem die ideelle Verstandigung herbei-
fiihren, (DieBemerkung iiber die international Society
for Contemporary Music" entspricht nicht den Tat-
sachen. Es ware sehr zu bedauern, wenn die vor-
bildliche Pionierarbeit der Gesellschaft fiir das geplante
Unternehmen ungenutzt bliebe. Die simpelste Ein-
siclit in die kulturelle Situation spricht doch vielmehr
fiir ein moglichst enges Zusammengehen beider Unter-
nehmen. D. Red.)."
In Basel haben sich junge Musiker und Musik-
wissenscbaftler zu einer Gruppe „Gruppe der Fiinf"
zusammengesclilossen, die sich bereits durch eigene
Veranstaltungen als bedeutsamer Faktor im Basler
Musikleben, insbesondere fiir Pflege neuer Musik
erwiesen hat.
Das nachste ,,Schweizerische Tonkiinstlerfest"
wird im Friihsommer 1929 in Baden (Aargau) statt-
finden.
AUFFUHBUNGEN
Am 20. September wird Tscherepnin's op. 33
Konzert fiir Flote, Violine und kleines Orchester in
Breslau aufgefiihrt.
Das Opernhaus in Konigsberg wird unter der
neuen Leitung (Intendant Dr. Schiiler) am 9. Sep-
tember die Spielzeit mit Mozarts „Don Giovanni"
eroffhen. Zur deutschen szenischen Urauflfiihrung
wurde Strawinsky's „Les Noces" erworben, welches
zusammen mit Strawinsky's „Feuervogel" und Mozarts
„Les petits riens" zur Auffuhrung gelangt. Fur den
September ist weiter die Erstauffiibrung von Hinde-
mith's „Cardillac" vorgesehen. Walter Frey spielt
am 21. September das Klavierkonzert von To ch op. 38.
Hindemith's Bratschenkonzert gelangt am
9. Oktober in Magdeburg und am 19. Oktober in
Danzig zur Auffuhrung.
Das Stadttheater Hagen bringt am 23. September
die tanzerische Urauffiihrung von Wiener's „Franco
americain".
Am 21. Oktober wird in Mannheim" die neue
Kurzoper von Toch „Egon und Emilie" (Buch von
Christian Morgenstern) uraufgefuhrt.
Mitte Oktober wird inMiinchen-Gladbach Pi erne's
„Impressions de Music Hall" zur Auffuhrung gebracht.
Im Spielplan 1928/29 der drei Berliner Opern-
haus e r stehen f olgende Neuheiten u. Erstaufftihrungen :
in der Staatsoper Unter den Linden: „Agyptische
Helena" (Strauss), „Der singende Teufel" (Schreker),
„Orpheus und Eurydike" (Krenek), „Andre Chenier"
(Giordano), „Die Trojaner" (Berlioz) ; am Platz der
Republik : „Heimliche Ehe" (Cimarosa), die drei
Einakter „Diktator", „K6nigreicli", „Meisterboxer"
(Krenek), „Mahagonny" (Weill), eine neue komische
Oper von Hindemith, „Spanische Stunde" (Ravel) >
NACHRICHTEN
453
„Memoiren aus einem Totenhause" (Janacek) ; in der
Stadtischen Oper: „Don Carlos" (Verdi), „Mond-
nacht" (Bittner), „Sly" (Wolff-Ferrari), „Irrelohe"
(Schreker), „Josefslegende" (Strauss), „Simone Boc-
canegra" (Verdi), „Der Zar lafit sich photographieren - '
(Weill), „Weiberverschw6rung" und ein Ballet rait
der Musik zu „Rosamunde" (Schubert).
Das Frankfurter Opernhaus hat Jana-
cek s letzte Oper „Die SacheMakropulos" zur
alleinigen deutschen Urauffiihrung angenom-
men, die in den ersten Novembertagen stattfindet.
In Baden-Baden fand anfangs September ein
klassisches Kammermusikfest unter Mitwirkung der
Herren Professoren Flesch, Friedberg und Piatigorsky
statt.
Am 30. September wird das Leipziger Sin-
fonie-Orchester ohne Dirigenten zum ersten Male
in Berlin konzertieren.
In der Zeit vom 20. — 23. September findet in
Kassel das 16. deutsche Bachfest statt. Das Pro-
gramm umfafit einen Heinrich Schiitz-Abend (Auf-
fiihrung der Musikalischen Exequien), Kammermusik-
konzert, Kantatenabend,] Orchesterkonzert, die h moll-
Messe, Festgottesdienst und Auffiihrung der Kunst
der Fuge.
PERSONALIEN
Licco Amar, Frankfurt a. M., wurde von den
Folkwang-Schulen, Essen, als Gastlehrer zu einem
Kammermusik-Kurs berufen. Weiter wurde die
Miinchner Kammersangerin Anna Erler-Schnaudt
und Inga Torshof, Essen, verpflichtet.
Am 12. August starb der tschechische Komponist
Leos Janacek.
Leopold Premyslav, der friihere langjahrige
Konzertmeister der Berliner Staatsoper wurde als
erster Konzertmeister an das Opernhaus in Konigs-
berg verpflichtet.
Der Pianist Franz Osborn wurde als Lehrer an
das Klindworth-Scharwenka-Konservatorium, Berlin,
berufen.
Kapellmeister Fritz Mahler wurde als musika-
lischer Leiter an das Stadttheater Stendal verpflichtet.
Intendant Ernst Legal wird die verantwortliche
Leitung des Stadttheaters in Kassel neben der Leitung
der Berliner Staatsoper Unter den Linden in der
nachsten Spielzeit beibehalten. Zu seinem Stellver-
treter wurde der friihere Oberregisseur und derzeitige
Leiter der Berliner Stadt. Oper in Charlottenburg,
Dr. Georg Pauly, ernannt.
Dr. Albert Schweitzer, dem hervorragenden
Bach-Forscher u. grossen Philanthropen, wurde der dies-
jahrige Goethe-Preis der Stadt Frankfurt verliehen.
Carl Perron, der beriihmte Heldenbariton der
fruheren Dresdener Hofoper, der erste Darsteller ver-
schiedener Straufirollen, ist im Alter von 70 Jahren
verstorben.
Die Nachfolge Furtw anglers im Gewandhaus
wird in diesem Winter noch nicht entschieden.
FurtwSngler wird das Konzert fiir das Nikisch-Denkmal
dirigieren; sonst werden Bruno Walter, Fritz Busch,
Carl Schuricht die) Mehrzahl der Konzerte leiten. je
eines entfallt auf Gustav Brecher, Clemens Kraufi
und Hans Pfitzner. Die Chorkonzerte wird Karl
Straube dirigieren.
Ernennungen: PrivatdozentDr.ArnoldSchmitz
zum a. o. Professor an der Universitat Bonn. Privat-
dozent Dr. Oskar Kaul zum a. o. Professor an der
Universitat Wiirzburg. Universitats-Musikdirektor
Rudolf Volkmann, Jena, zum Professor. Prof. Dr.
Fischer, Wien, zum o. Professor an der Universitat
Innsbruck.
VERSCHIEDENES
I. Kongrefi fur das Deutsche Chorgesang-
wesen in Essen vom 8. — 10. Oktober 1928. Um die
wirtschaftlichen Forderungen der deutschen Chorver-
bande vor der Oeffentlichkeit zu vertreten, ist die Ar-
beitsgemeinschaft fiir das deutsche Chorgesangwesen in
Berlin begriindet worden. Sie umfafit die drei Ver-
biinde: den Deutschen Sangerbund, den Deutschen
Arbeiter-Sangerbund und den Reichsverband der ge-
mischten Chore Deutschlands. Um die breite Offent-
lichkeit von den organisatorischen und wirtschaftlichen
Wiinschen und Zielen der deutschen Chorverbande
zu unterrichten, ladet die Arbeitsgemeinschaft fur das
Deutsche Chorgesangwesen in Gemeinschaft mit dem
Zentralinstitut fiir Erziehung und Unterricht und der
Stadt Essen zum I. Kongrefi fiir das Deutsche Chor-
gesangwesen vom 8. — 10. Oktober 1928 nach Essen
ein. — Anmeldungen und Auskunfte iiber Wohnungs-
gelegenheit sind zu richten an das Stadtische Verkehrs-
und Presseamt, Essen, Rathaus. Die Teilnehmergebuhr
betragt fiir samtliche Vortrage und das Festkonzert
der Stadt Essen RM. 10. — . Dieser Betrag ist glelch-
zeitig mit der Anmeldung dem Verkehrsamt Essen
einzusenden.
Eine Schulungswoche fiir Musik-
lehrende und -studierende veranstaltet der
P.-V. Rheinland des R. D. T. M. in der Zeit vom
24. — 30. September auf Haus Hoheneck a. d. Ruhr,
Leiter ist Herr Prof. E. J. Miiller, Koln. Es handelt
sich hier um einen erstmaligen Versuch, in die
Musikerziehung auf Grund gemeinsamer praktischer
Arbeit auf neuen Wegen einzufiihren.
Das amerikanische Schubert-Preisaus-
schreiben im Betrage von 20000 Dollar, das fiir
eine Sinfonie im Geiste Schuberts erlassen worden
war, hatte als E r g e b n i s rund 500 Werke aus 28
Landern. Den Hauptpreis von 10 000 Dollar erhielt
Kiirt Attenberg in Scfiweden fiir eine Sinfonie in
Cdur.
454
Srans (3d?ukrf
3aMunt>erffeier
#=0»C^®==3«<^S^«<y^i' :- 0«c^<S=a«c^©^a«e' ! »«=^4e=»fi^^^
Neuersclieinung
SCHUBERTS LIED
VON FELIX GUNTHER
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In Ballonleinen gebunden . . . M. 8.50
Die Warme und Begeisterung, die Liebe und Achtung, wie der Ver-
fasser seine Aufgabe behandelt, konnen unmittelbar fur den Unterricht
vorbildlich werden. An einer zielbewufit ausgewahlten Reihe von
Liedern werden das Musikantische, das Geisrige, das Ubermusikalische,
das Transzendente, das Personliche im Schaffen Schuberts herausge-
stellt, um daran die letzten Forderungen fur eine sinngemafie Wieder-
gabe abzuleiten. (Halbmonatsschrift fiir Schulmusikpflege, Essen.)
Neuauflage
SCHUBERT
VON WALTER DAHMS
21. und 22. Tausend. In Leinen gebunden M. 10. —
Reihe »Klassiker der Musik«
Das Werk von Dahms ist das beste fiber Schubert. Dahms ist ein
Kritiker, der sidi nodi die voile Urspriinglichkeit des kfinstlerischen
Genusses erhalten hat, und der Schubert ganz verstand. Er ist fiber-
all sachlich und anregend, so anregend, dafi man von ihm sofort
zu Schubert eilen mu6 und Schubert von neuem geniefit : inniger,
tiefer, berauschender. (Pester Lloyd.)
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Beethovens und seiner Klavierwerke einzudringen I"
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herrschung eines Streichinstrumentes (gutes Kammer-
musikspiel) und Befahigung zur Schulung der Streich-
instrumente im Einzelunterricht und chorischen Zu-
sammenspiel. Erwiinscht ist Beherrschung eines Blas-
instrumentes. Fiir die Stellung eines Mitarbeiters ist
ausserdem Voraussetzung eine allgemeine und theore-
tische Vorbildung, die zur Uebernahme eines Teiles des
lehrplanma&igen Musikunterrichtes befahigt. Antritt der
Tatigkeit ist sofort moglich. Bewerbungen mit Zeug-
nissen, selbstgeschriebenem Lebenslauf und Lichtbild
an Ednard Zuckmayer, Schule am Meer, Juist.
Die schoBste und grundlegende Darstellung der musik alisch en Kultur aller Zeiten und Volker ist das
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grofien Anzahl von Musikgelehrten.
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und etwa 1200 Bilder ] Teilzahlungen von ^^^^^^^
Urteile der Pressei „Eine Kulturgeschiclite der Musik im beaten Sinne des fortes" (Deutsche Muaiker-Zeitung) — „Ein ganz
prachtiges und gediegenes Werk" (Das Orchester) — „Ein Werk, das das Herz jedes Musikfreundes hSher schlagen'laaaen mufi"
(Blatter der Staatsoper) — „Etwas Shnlichea war bisher in der Muaikliteratur nodi nicht vorhanden" (Weserzeitung, Bremen).
Man iiberzeuge sich durch Augenschein und verlange unyerbindliche Ansichtsendung M Nr. 4 von
ARTIBUS ET UTERIS, Gesellschaft fur Kunst- und Literaturwissenschaft m. b. H., POTSDAM
456
NEUE CELLOWERKE
ITALIENISCHER MEISTER
U. E. Nr. 8533
FRANCO
ALFANO
SONATE
Fiir Cello und Klavier
Mk. 9-
„Klangfulle, Prunk, intensivea Leben des Friihlingawaldea,
der sich unter einer liebevollen Brise neigt, deutlichste Sym-
bole, gliihendater Schwung: dies allea glfinzt in der Sonote
von Alfano — ein im gunstigaten und wahrsten Augen-
blicke erfafitea Gedicht." (Bollettino bibliographico musicale.)
ALFREDO
CASELLA
SONATE Cdur
U. E. Nr. 9478 Fiir Cello und Klavier M. 7.50
Die Klangpracht, die stidlich, melodienreiche Gestaltunga-
kraft Caaellas ist in diesem reizvollen, frohcn Werke aufs
hfichste geateieert. Preludio, Bounce, Largo und Rondo
betiteln sich die Sfitze, der Sonate die ganz aus dem Geist
des Inatrumenta erfunden, die Celloliteratur um ein ebenso
wertvollea Tvie dankbares Stuck bereichert.
MARIO
CASTELNUOVO-TEDESCO
I NOTTAMRULI
U. E. Nr. 8992 Fur Cello und Klavier Mk. 5. -
Caatelnuovo-Tedesco, desaen echt italienische, melodien-
reiche Kompositionen steigende Verbreitune finden, gibt
mit seinem neuen Werk dem Cellisten eine ziindende
Kompoaition, bei der sich hohe kunatlerische Quality t mit
blendender Wirkung vereint.
G. FRANCESCO
MALIPIERO
SONATA A TRE
U. E. Nr. 9515 Fur Cello, Violine und Klavier . Mk. 7.50
Die Sonata a Tre ist in den Konzerten der Frau Elisabeth
S. Coolidge wiederholt mit starkem Erfo]g gespielt worden.
Der erste Satz dea Stiickea ist fiir Cello und Klavier, der
zweite fiir Violine und Klavier, im dritten vereinigen aicli
die drei Instrumente. Ein ungemein originelles Stuck von
starkatem Personliclikeitswert.
Durch jede Musikalienhandlung zu beziehen.
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DAS LIEDSCHAFFEN VON
WILHELM GROSZ
Soeben erschienen:
OP. 22 LIERESLIEDER (it folge)
nach ostjudischen Volksliedertexten
U. E. Nr. 9502 fiir hohe Stimme und Klavier Mk. 2.50
D. E. Nr. Mk.
6320 op. 3 FUNF GED1CHTE aus dem „Japanischen Friihling" Mr mittlere Stimme u. Klavier 3. -
7513 op. 10 LIEBESLIEDER. Fur hohe Stimme und Kammerorchester, Partitur 20.-
6803 Ausgabe fiir Gesang und Klavier 2.50
7275 op. 11 RONDELS. Fiir tiefe Stimme und Kammerorchester, Partitur 10. -
6804 Ausgabe fiir Gesang und Klavier 1.50
7169 op. 13 KINDERLIEDER nach Texten von Christian Morgenstern, fiir Gesang und Klavier 2.50
7503 op. 18 LIEDER AN DIE GELIEBTE. Fiir hohe Stimme und Klavier 1.50
Als Liederkomponist steht Grosz in der ersten Reihe der Schaffenden. Einer der wenigen, die heute dem
Liede noch neuen Inhalt zu verleihen wissen. Seine Lieder erscheinen immer haufiger auf den Programmen.
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UNIVERSAL- EDITION A. G., WIEN- LEIPZIG
457
SCHRIFTTANZ
fiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiriiiiiiiiiiiKiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiEiiiiiiiiriiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiriifiisiiiiiiiiiiiiJiiitii[iiiiiiiciiiiiiiiiiiitiiiiiiiiiiiiiiiviiiiiiiiitiiiiiiiiiriiBiiiiiiiiitiiiiiiiiiJiii»iiiiiiiiiii^
R U D O L F V O N L A B A N
iiiiii imimi linilMliirill in in ill llMllilliillliiiillii illllilirilli lliirillllliillilll nrilliili mi lilur urn linn in in iiiiiiiiiriiiiii in niii iiiiiniii iiim in i imiiiiiki i
Die neuen Publikationen der Universal-Edition
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KLAVIERMUSIK
Klavier zu 2 Handen
u. e. Nr. Sonaten, Sonatinen Mk.
9065 A. Abramsky, Sonate 5. -
9052 O. Eiges, op. 5 Sonate 4.20
8925 B. Goldscbmidt, op. 10 Sonate . . 5. -
9487 T. Harsanyi, Sonate 2.50
9501 V. Mortari, Sonatine 2. -
9026 A. Mo8Solow, op. 4 Sonate . . . 6.50
9558 K. Rathaus, op. 20 Sonate . . . 5. -
9078 B. Schechter, op. 5 Sonate . . . 3.40
8926 E. Schulhoff, Sonate I 5. -
U.E.Nr.
9489
9557
9551
9484
9431
9571
Kurzere Stilcke
Mk.
M. Butting, op. 33 Kurze Stucke . 2.50
F. Delius, 3 Preludes . . . . . 2. -
B. Goldschmidt, op. 11 Capriccio . 1.50
Jul. Krcin, op. 9 Acht Klavier-
stuclce 3. —
N. Mjaskowsky,
op. 29 Erinnerungen . . . . 3. -
A. Mossolow, op. 15 Zwei Nacht-
stucke 1 .50
9507 W. Grosz, Tango aus „Baby in
der Bar" 1.50
9562 - Shimmy aus „Baby« . . . .1.50
Tanz-Rhythmen
8954/8 E. Schulhoff, Cinq Etudes de
Jazz a 1.20
9504 — Esquisses de Jazz 2. —
Durch jede Musikalienhandlung zu beziehen.
UNIVERSAL -EDITION A. G., WIEN- LEIPZIG
458
1
Die Werke
William Waltons
William Walton ist einer der vielversprechendsten
englischen Komponisten, dem man Interesse und
Bewunderung, weit iiber die Grenzen seines
Landes entgegenbringt.
Seine Werke, immer klar und prazise gearbeitet,
voll Vitalitat und Fantasie in Melodie und,
Rhvthmus, erringen standig immer weitere inter-
nationale Anerkennung.
FACADE
Suite fur Orchester nach Gedichten von
Editb Sitwell.
Eines der zwei englischen Werke, die fur das
Internationale Kammermusikfest in Sienna 1928
zur Auffiihrung ausgewahlt wurden. Es bietet
ein glanzendes Beispiel fiir Anwendung der Satire
in der Musik. Die Titel der einzelnen Satze
dieser Suite sind bezeichnet :
Polka, Walzer, Schweizer Jodellied, Tango,
Pasdoble, Tarantella, Sevillana.
Fiir Klavier zu vier Handen, bearbeitet von
Constant Lambert. Mk, 6.50.
Der „Walzer" aus „Faeade" wird in Kiirze, fiir
Klavier zu zwei Handen vom Komponisten
selbst bearbeitet, erscheinen.
Portsmouth Point, Ouvertxire
Nach einem Druck von Thomas Rowlandson.
Ein durch keinerlei konservative Reflektionen
gehemmtes Werk von sprudelnder Frohlichkeit.
Fiir Klav. zu vier Handen Mk. 6.50, Part. Mk. 15.-
Siesta
Ein reizvolles und geistreiches Werk
fiir kleines Orchester.
Fiir Klavier zu vier Handen bearbeitet Mk. 5.-.
In Kiirze erscheint :
Sinfonia Concertante
fiir Orchester und Klavier.
Diesneueste Werk William Waltons wurde kiirzlich
in New- York, Boston und London, unter der
Leitung Serge Kussevitsky's und M. E. Ansermet,
mit grossem Erfolg aufgefiihrt.
Fiir 2 Klaviere zu 4 Handen
bearbeitet vom Komponisten
Ausfiihuiiigsmateriale samtliclier ongezeigten Werke leih-
weiae von den Verlegern. Prci9e nach Vereinbarung.
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DER MUSIK
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mit Bildniasen beruhmter Musiker. Erganzt und her-
ausgegeben von Dr. Julius Maurer. Mustergultige
buditeclinische Ausstattung: Bestes holzfreies Papier,
Satz in der Ungerfraktur, Einbande mit Echtgold-Pra-
gung nach einem Entwurf von Professor Walter Tie-
mann-Leipzig / 2 Bande in Ganzleinen gebunden (974
Seiten Umfang) und in dauerhaftem Scliutzkarton
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Die Neuauflage der Musikgeschiclite von Karl Storck
kann ich nur aufs wtirmste begriiCen, weifi ich dodi
aus langer Erfahrung wieviel dies echte musikalische
Hausbuch seit seinem ersten Erscheinen zum Ver-
standnis der groficn Meister, zur Vertiefung des Mu-
sikverstehens uberhaupt beigetragen hat. Dafi grofie
Zusammenhange geschen und dargestellt sind, macht
das Bucli zeitgemaG, dofi die Entwicklung der Musik
mit wirklicher Liebe urtd Ehrfurclit dargestellt ist,
macht jenseits der blofien Belehrung seinen erziehe-
rischen Wert aus. Moge also auCh die Neuauflage
ihren Weg in weiteste Kreise def Kenner und „Lieb-
haber" der Musik finden
Dr. J. M. Miiller-Blattau, Privatdozent fur Musik-
wisscnsclioft an der Un i vers itat Konlgsb erg
J. B. METZLERSCHE VERLAGS-
BUCHHANDLUNG / STUTTGART
459
A. GLAS
DAS SPEZIALHAUS
FUR GUTE MUSIK
weist erneut darauf hin, dafi es
samtliche Werke des Verlages
B. Schott's Sohne, Mainz
vorratig halt.
Besonderer Beachtung bedilrfen die Werke der zeitgenossischen
Komponisten Butting, de Falla, Grainger, Gretchaninoff,
Haas, Hindemith, Jarnach, Korngold, Kfeisler,
Milhaud, Ravel,' Scott, Stravinsky, Toch,
Weigl, Windsperger usw., die jederzeit
unverbindlich eingesehen werden konnen
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Inhalt: Voriibungen ;
21 Etuden von Clementi, Czerny, Martin Frey, Theod. Kullak, Jos. Low, Joh. Raff,
Rob. Schwalm, Uso Seifert, Stamaty, Jos. Weiss, Zilcher ;
120 Zitate aus Werken von d'Albert, Balakirew, Beethoven, Brahms, von Biilow,
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Rimsky-Korsakow, Saint-Saens, Scharwenka, Stojowski, Toch, Weifi u. a.
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Heft 1: Voriibungen und 21 Etuden Ed.-Nr. 22 a M. 3.-
Heft 2: 120 Zitate ... ...... Ed.-Nr. 22b M. 3.-
Aiis deni Vorwort: Dj e Oktaventechnik von Merkte stellt eine Art padagogische Enzyklopadie dar und hat sich
™ ausgezeichnet bewahrt, was ja auch der steigende Erfolg seit der Herausgabe beweist. Wenn ich es trotzdem
unternehme, eine Neuausgabe zu veranstalten, ho verfolge ich damit nur den Zweck einer Neugestaltung auf
der Gruridlage moderner Auffassung. Ich habe einige Etuden von geringem musikalischen Wert ausgcschieden
und durch interessantere ersetzt, die mir zudem vom padagogischen Standpunkt aus wertvoller erschienen.
Ebenso "wurden Zitate und Beispiele aus anerkannten Werken der neueren Komponisten-Generation hinzufiigt,
wofiir altere und weniger bedeutende Werke in Wegfall kamen. ,
Eine wertvolle Erganzung zu vorstehendem Werk ist die
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460
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ZEITGENOSSISCHER MUSIK
TRIO
P. Hindemith
Trio fur Violine, Viola u. Violon-
cello, op. 34 M. 2.-
W. Schultliess
Serenade Edur, f. Violine, Viola
und Violoncello, op. 6 . . M. 2.-
QUARTETT
(2 Violineu, Viola, Violoncello)
C. Beck
Quartett No. 3 ...
. . M. 2.-
M. Butting
10 kleine Stucke, op. 26 . M. 2 —
P. Hindemith
I. Quartett, op. 10 .
. . M. 3.—
II. Quartett, op. 16 .
. . M. 3.—
III. Quartett, op. 22 .
. . M. 3.-
IV. Quartett, op. 32 .
. . M. 3 —
Ph. Jarnaclt
Quartett, op. 16 . . .
. . M. 2.—
E. W. Korngold
Qartelt Adur, op. 16 .
. . M. 2.—
H, Krasa
Quartett
. . M. 3.20
F> Kreisler
Quartett a moll . . .
. . M. 3.—
E, Moritz
Quartett op. 10, m.Sopra
nsolo M. 2. —
H. K. Schmid
Quartett Gdur op. 26 .
. . M. 2.—
E. Schnlhoff
. . M. 2 —
B. Sekles
Quartett, op. 31 . . .
. . M. 2 —
J. Slavenski
Quartett, op. 3 . . .
. . M. 2 —
E. Toch
Quartett, op. 34 . . .
. i M. 2.—
A. Tscherepnin
Quartett, op. 36 . . .
. . M. 1.50
J. Tnrina
Quartett
. . M. 3 —
L. Vycpalek
Quartett Cdur, op. 3 .
. . M. 3.50
L. Windsperger
Quartett gmoll, op. 21
. . M. 2.—
QUINTETT
M. Reger
Quintett cmoll, fur 2 Violinen,
Viola, Violoncello u. Klavier M. 2.-
(Nachgelasaenes "Werk)
J. Slavenski
Aus dem Dorfe. Quintetl f<ir
Flote, Klarinette, Viol., Bratsche
und Kontrabai, op. 6.
Partitur (Quart-Format) . . M. 3.-
SEXTETT
E. W. Korngold
Sextett Ddur.A fiir 2 Violinen,
2Violenu.2Violoncelli,op.lO M. 3.-
KAMMERMUSIK
FUR B LASER
P. A. Graii gei'
Wanderlied, fiirFloie,' Oboe,
Klarineite, Horn, Fagott . M. 2.50
P. Hindemith
Kleine Kammermusik fiir
5Blaser(FI6te, Oboe, Klarinette,
Horn u. Fagoit) op. 24 No. 2 M. 2.—
H. K. Schmid
Quintett Bdur, fiir Flote, Oboe,
Klarin., Horn, Fagott, op. 28 M. 2 —
H. Villa-Lobus
Ch6ros Nr. 4, fiir 3 Horner und
Posaune M. 1.20
KAMMERORCHESTER
P. Dessan
Concertino liir Solo-Violine mit
Flote, Klarinette und Horn
(Schollpreis 19Z5) .... M. 2.—
P. Hindemith
Kammermusik No. 1, op. 24 No. 1
(mit Finale 1921) .... M. 4.—
Kammermusik No. 2 (Klavier-
Konzert) op. 36 No. 1, fiir oblig.
Klavier u. 12 Soloinstrumente M. 4. —
Kammermusik No. 3 (Cello-Kon-
zert) op. 36 No. 2, fiir oblig. Vio-
loncello u. 10 Soloinstrum. M. 4. —
Kammermusik No. 4 (Viol.-Konz.)
op. 36 No. 3 fiir Solo-Violine u.
grofieres Kammerorchester M. 4. —
Kammerorchester No. 5 (Bratschen-
Konzert) op 36 No. 4 fiir Solo-
Bratsche und Kammerorch. M. 4. —
A. Merlkanto
Konzert fiir Violine, Klarinette,
Horn u*nd Strei'chsextett
rSchotlpreis 1925) .... M. 2.—
R. Stephan
Musik fiir sieben Saiteninstrum.
(Streichquint., Harfeu. Klav.) M..3.—
1. Strawinsky
Ragtime fiir 11 Instrumente M. 2. —
B. Sturmer
Suite gmoll f. 9 Soloinstrumente,
op. 9 M. 6.—
E. Toch
Tanz-Suile, op. 30 . . . . M.20.-
Fiinf Stucke, op. 33 . . . M. 2 —
Konzert fiir Violoncello und
Kammerorchester, op. 35
(Schottpreis 1925) . . . . M. 4.—
A. Tscherepnin
Konzert fiir Flote u. Violine mit
kl. Orchester, op. 33 (Schotlr
preis 1925) . M. 1.50
H. Wnnsch
Konzert fiir Klavier und kl. Or-
chester (Schottpreis 1925) . M. 3.—
OESANG UND
KAMMERORCHESTER
P. Hindemith
Die junge Magd. Sechs Gedichte
von Georg Trakl fiir eine Alt-
stimme mit Flote, Klarinette u.
Streirhquartett, op. 23 No. 2 M. 3 —
Die Serenaden. Kl. Kantate nach
j omantischen Texten f. Sopran,
Oboe, Bratsche und Violoncello,
op. 35 M. 4 —
I. Straw! n sky
Pribaoutki. Scherzlieder fiir eine
Singstimme (mittel) mit Beglei-
tung von 8 Instrumenten . M. 2. —
Wiegenlieder der Kalze, liir eine.
Frauenhtimme (tieQ und 3 Kla-
rinetten M. 1.50
E. Toch
Die chinesische Flote. Kammer-
symphonie fiir Sopran und 14
Solo-instrumente, op. 29 . M. 3. —
ORCHESTER
1. Albeniz
Iberia, Suite (Ubertr. f Orch. von
E. F. Arb6s); daraus: Nr. 2 Fete
Diuu aSeville - Nr.3Triana je M. 2.50
A. Casella
Pupazetti M. 3 —
M. de Falla
Nachte in spanischen Garten
(Nuit>danslesJardinsd'Espagne).
Symphon. Impressionen fiir Kla-
vier und Orchester . ' . . M. 5. —
E. Halffter
Sinfonietta Ddur . . . . M, 2 —
P. Hindemith
Konzert fiir Orchester, op. 38 M. 4. —
E. W. Korngold
Sinfonietta, op. 5 . . . . M. 4.—
G. F. Malipier6
Impressioni del Vero II . . M. 4. —
M. Ravel
Pavane zum GedSchtnis einer
Infaniin M. 1.20
R. Stephan
Musik f. Orch. in einem Satz M. 3. —
I. Strawinsky
Feuerwerk, Brillante Fant. Al. 2. —
Suite 1 fiir kl. Orchest. (Andante,
Napolitana,Espanola,Balalaika)M.2.50
Suite II fiir kl. Orchesi. (Marsch,
Polka, Walzer, Galopp). . M. 2.50
Der Feuervogel, Suile . . M. 8. —
BUHNENWERKE
M. de Falla
Meister Pedros Puppenspiel.
Oner in 1 Akt n. Cervantes M. 8.—
Liebeszauber. Ballett mit Ge-
sang von G. M. Sierra. . . M. 6. —
3 Tanze aus B Der Dreispitz" M. 6. —
P. Hindemith
Sancta Susanna. Oper in 1 Akt
von A. Stramm, op. 21 . . M. 6.—
I. Strawinsky
Die Geschichte vom Soldaten,
gelesen, gespielt u. getanzt M. 4. —
Pribaoutki M. 2.—
Wiegenlieder der Katze . M. 3. —
B. SC'HOTT'S SOHNE / MAINZ UND LEIPZIG
Notenbeispiele zu dem Aufsatz
Schmid: ,, Interpretation von Beethovens Streichquartetten"
LNoienbeispiel.
j. s>n j n r^J* jj/ mm
£.Notenbeispiel.
Notenbeispiele zu dem Aufsatz
Iwanow=Boretzky: „Ein Moskauer Skizzenbuch von Beethoven"
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Beilage zu MELOS August/ September 1928
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9. Beispiet
10. Beispief
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1 .UtitfloUt
Notenbeispiele zur Meloskritik
.5
MELOS
ZEITSCHRIFT FDR MUSIK
SCHRIFTLEITUNG: P[lR0F. DR. HANS MERSMANN
AHe Sendungen fur die Scliriftleitung und Besprechungaatiicke nacli Berlin-Grunewald, Neufertnllce 5 (Fernapr. Uhland 3785) erbeten.
Die Schriftleitung bittet vor Zusendung von Manuskripten um Anfrage mit Riickporto. AlleReclite fiir sam 1.1 idle Beitrage vorbehalten.
Verantwortlich fur den Teil „Mii3ikleben": Dr. Hcinrich Strobel, Berlin; fur den Verlag und den Anzeigenteil: Dr. Johannes Petschull,
Mainz / Verlag: MELOSVERLAG (B. Schott'a Sohne) MAINZ, Weihergarten 5; Fernaprecher 529, 530; Telegr.: MELOSVERLAG;
Postsclieck nnr Berlin 19425 / Ausliefcrung in Leipzig: LindenatraKe 16/18 (B. Schott's Sohne) Druck: B. Sdiott'a Sohne, Mainz
Die Zeitschrift ersclieint am 15. jeden Monats. — Zu beziehen durdi nlle Budi- und Musikalienhandlungen oder direkt vom Verlag.
Das Einzelheft koatetl. - Mk., daa Abonnement jfilu-1.8. - Mk., lrnlbj. 4.50 Mk, viertelj..2.50 Mk. (zuziigl. 15Pf. Porto p.H., Ausland 20 Pf. p. H.)
Anzeigenpreise : '/i Seite 100.- Mk. 1 j a Seite 60.- Mk. */* Seite 35.— Mk. Bei Wiederholungen Rabatte. Auftroge an den Verlag.
ZUM INHALT
Die Oper ist in den letzten fiinf Jahren zum Trager starkster und gegenwartigster
Stromungen tmseres Musiklebens geworden. Sie muBte audi in dieser Zeitschrift immer
wieder in den Mittelpunkt riicken. Wenn das in diesem Hefte wieder geschieht, so
handelt es sich diesmal nicht um die heute von schaffenden Musikern angesti'ebten
Losungen des Opernproblems, sondern um die Bewegungen, die man unter deni Schlag-
wort einer Renaissance zusammenzuf'assen pflegt. Die gesteigerte Bedeutung Handels
und Verdis fiir unsere Zeit, mit grundsatzlicher Zustimmung begi'iifit, bedarf einer
kritischen Abgrenzung. Sie verbindet sich mit neuen Vorschlagen fur die Umgestaltung
des Wagnerschen Kunstwerks.
Wir fiihren mit diesem Hefte die Arbeit der MELOSKRITIK, die weit ixber den
Kreis unserer Leser hinaus Beachtung gefunden hat, in einer neuen und erweiterten
Form durch. Die Kommission fur Werkbesprechung wird sicli nicht nur mit einzelnen
Ausschnitten des gegenwartigen Schaffens, sondern auch mit dem Schrifttum tiber Musik
und alien wesentlichen musikalischen Neuerscheinungen auseinandersetzen. Sie fuhlt
sich fiir die Haltung der Zeitschrift im engeren Sinne verantwortlich und wird, wenn
notig, auch die gegen die Zeitschrift gerichteten Angriffe vertreten. Aus der Forderung
dauernden intensiven Zusammenarbeitens ergab sich leider die Notwensligkeit des Aus-
scheidens fiir unseren in Wiesbaden lebenden Mitarbeiter Lothar Windsperger. Die
Meloskritik selbst wird auf eine kleine Anzahl von Personliclikeiten erweitert, die dem
engeren Kreise der Werkbesprechungskommission nicht angehoren und zu einzelnen Be-
urteilungen herangezogen werden. Dafiir wurde der Gedanke einer Kollektivbesprechung
der Berliner Musik fallen gelassen. Die erweiterte Form unseres MUSDCLEBEN, die
in ihrer neuen Gestalt in diesem Heft erstmalig vorliegt, erstrebt eine kritisch informierende
Spiegelung der gesamten europaischen Musik.
Die Scliriftleitung.
MUSIK
Hans Curjel (Berlin)
ZUR RENAISSANCE DER HANDEL-OPER
Nicht urn Handel als musikalische Personlichkeit handelt es sich bei der in den
letzten Jahren entstandenen Handel-Bewegung — der Schopfer der Oratorien und der
Orchesterwerke war ja nie vergessen worden — sondern um die Frage der Wieder-
belebung der Barock-Oper, die in den Opernwerken Handels ihre reinste und zugleich
qualitativ hochste Auspragung erfahrt. Dem kiinftigen Historiker der Theatergescliichte
wird es vorbehalten bleiben. die tieferen Grunde im einzelnen aufzudecken, ' k die zu
diesen Bestrebungen fuhrten. Gewifi ist einer der Grunde das Bestreben, dem totge-
lauf'enen Opernspielplan unsrer Tage neue Elemente zuzufiihren, und gewifi ist die
ganz allgemein neu-erwachte historische Entdeckerfreude mit eine der Ursachen, die die
praktische Wiedererweckung von Handel-Opern hervorriefen.
Die Bewegung selbst, die vor rund acht Jahren praktische Bedeutung gewann, hat
ihre Vorstufen, die allerdings im wesentlichen von philologischen Beweggriinden bestimmt
waren. So wurde, offenbar aus rein gedenk-historischen Erwagungen heraus, im Jahr
1878 bei der Zweihundertjahrfeier der Hamburger Oper Handels „Almira" (in Hamburg
1705 aufgefiihrt) in der Bearbeitung von J. N. Fuchs wieder auf die Biihne gebracht.
Im Jahr 1906 erschien als Privatdruck eine Neubearbeitung des Handel'schen „Admet"
von Hans Dutschke besorgt; diese Bearbeitung ist iibrigens im vergangenen Jahr einer
Auffiihrung dieses Werkes zu Grund gelegt worden. Gegen diese gelegentlichen Ver-
suche philologisch-begeisterter Historiker stand das Urteil der Wortfuhrer der Musik-
geschichte (Kretzschmars vor allem) und das der Theaterleiter : die Handel-Oper, so
grofiartige Stiicke sie im einzelnen in musikalischer Hinsicht bergen mag, sei als dra-
matische Gestalt auf der modemen Opernbiihne nicht moglich; sie sei ein „Arienbundel"
dem die dramatische Bewegung und Schlagkraft fehle; die Gestalten seien Figuren ohne
Fleisch und Blut und ohne pyschologische Entwicklung, wie sie fur eine fesselnde Biihnen-
wirkung unerlafilich sei; endlich das stereotype Nebeneinander von Becitativ und Arie,
man bezeichnete und deutete es als eine primitive Gleichform, die den differenzierten
Bediirfnissen des durcli Wagner und Straufi gegangenen Opernbesuchers nicht geniigen
konne.
Im Jahre 1920 geschah dann der entscheidene Schritt fur die Wiederbelebung der
Handel-Oper. Auf Initiative und unter Leitung des Kunsthistorikers Oskar Ha gen
fand in Gottingen eine Auffiihrung von Handels .Jlodelmde" statt. Die Absicht, die
Hagen mit dieser prononcierten Auffiihrung verband, war, die kunstlerische Lebensfahig-
keit der Handel-Oper nachzuweisen. Typische Ironie der Geschichte, dafi weder ein
ziinftiger Musikhistoriker noch ein Theaterpraktiker, sondern ein Aufienseiter den
Mut und die Uberzeugung zu dieser programmatischen Tat aufbrachte! Aus dieser
Auffiihrung der „Rodelinde" entwickelten sich die bisher alljahrlich abgehaltenen
Gottinger Handelfestspiele, in denen immer neue Biihnenwerke Handels aim Leben er-
ZUR RENAISSANCE DER HANDEL-OPER 463
weckt wurden. An sie schlossen sich eine Reihe weiterer Erweckungen von Handelopern
an („Orlando" in Bearbeitung von Hans Joachim Moser, „Ariodante" in Bearbeitung von
Anton Rudolph, „Tamerlano" und „Alcina" in Einrichtung von Hermann Roth); vor allem
das Gottinger Vorbild fuhrte endlich zu einer temporaren Aufnahme von Handel-Opern
in den Spielplan vieler deutscher Buhnen. In einer Menge von programmatischen
Manifesten hat Hagen selbst und nach ihm Abert und eine Reihe von Historikern auf
die kunstlerische Aktualitat und Lebensfahigkeit der Handel-Oper hingewiesen.
Trotzdem mufi festgestellt werden, dafi die Bestrebungen urn dauernde Wieder-
aufnahme von Handel-Opern in den Biihnenspielplan zunachst mifilungen oder mindestens
ins Stocken geraten sind. Die Zahl der Handel-Opernauffuhrungen ist in den letzten
Jahren immer geringer geworden. Die mit ungeheurem Enthusiasmus eingeleitete Be-
wegung beschrankt sich heute im wesentlichen auf die eine oder andere kurzbefristete
Wiederaufhahme der oder jener Handel-Oper, die unter dem Gesichtspunkt der „kunst-
lerischen Ehrenpflicht", bestenfalls mit der Absicht eines kunstlerischen Experimentes
unternommen wird.
Was ist die Ursache? Ist sie in der allgemeinen Opernkrise zu suchen, die sich
im starken Nachlassen des Interesses fur die Oper xiberhaupt bemerkbar macht? Liegt
sie im Wesen der Barockoper begriindet, wie die Historiker und Kritiker des 19. Jahr-
hunderts glaubten? Oder liegt sie vielleicht in der Art der praktischen Methode der
Wiedererweckungs-Bestrebungen ?
Die Anfange der Handel-Bestrebungen Hagens, dessen Weitblick und Mut nicht
hoch genug gepriesen werden kann, sind zeitlich verbunden mit der Bewegung des Ex-
pressionismus. Mit einem Bereich seiner geistigen Konstitution steht sie in Parallele:
mit der Zielsetzung, Ausdruck an sich zu gestalten, der beispielsweise in der Malerei zu
der Losung „los von der malenden Malerei, los vom Gegenstand" und damit zu der
reinen Abstraktion, d. h. zur Gestaltung des Ausdrucks reiner Formen gefuhrt hat.
Unter solchem Aspekt sah der entfaltete Expressionismus alle klassische Kunst und von
hier aus hat er die Wendung zu der sogenannten „Neuen Klassizitat" genommen. Und
von hier aus mag auch Hagen zur Handel-Oper gekommen sein. Wie sehr er andrer-
seits im Expressionismus, in der Geistesbewegung des Uberathmospharendruckes befangen
war, geht aus seinen Methoden der Bearbeitung hervor, in denen er auf dramatische
Spannung, auf dramatischen Aufbau und dramatische Steigerung im Sinne des modernen
Musikdramas ausgeht. Hagen und nach ihm fast alle Handel-Bearbeiter (mit Ausnahme
von Herman Roth, der sich in seiner letzten Handel-Einrichtung, der „Alcina", grund-
satzlich von dieser Auffassung gelost hat) gehen also von der Auffassung aus, dafi der
Oper Handels eine handlungsmassige und auch psychologische Straffung nottue, die, wie
immer wieder gesagt wird, vom Publikum des heutigen Operntheaters (also vom Wagner-
gesattigten Publikum!) verlangt wird. Unwiltkurlich treten Hagen und seine Nachfolger
mit dieser Forderung den Historikern und Theaterpraktikern des 19. Jahrhunderts bei,
die eine Aufnahme der Handel-Oper wegen ihres angeblich undramatischen und schemen-
haften Charakters als unangebracht bezeichnet haben. Der Unterschied zwischen Hagen
und den fruheren „Kennern" liegt allein darin, dafi Hagen deren von vornherein ablehnende
Skepsis durch den enthusiastischen Willen zum Experiment ersetzt hat. Aber gerade
darin, dafi auch Hagen nicht primar vom Wesen der Barock-Oper ausging, sondern dafi
464 HANS CURJEL
f
er sie unter dem Gesichtswinkel der Oper des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts
betrachtete, und deshalb ihr Wesen im Kern umzubiegen trachtete, darin scbeint mir
die wesentliche Ursache dafiir zu liegen, dafi die weitangelegte Hiindel-Bewegung zu-
ntichst mifilungen ist.
Zwei grundsatzlich verscbiedene Einstellungen waren also bisher fast ausscbliefilicb
bei den Bemuhungen urn die Handel-Oper mafigebend : philologische Gelegenheits-
Sympathie, bzw. das Bestreben kixhler wissenschaftlicher Genauigkeit (wie bei Chrysanders
Gesamtausgabe) einerseits und das Bestreben um kunstlerische Aktualisierung d. h. Um-
gestaltung im Sinn der Oper des 19. Jahrhunderts andrerseits. Beide Einstellungen
haben ihre Verdienste, die fiir die Frage der heutigen Auffuhrung vorliegenden Pro-
bleme sind jedoch der Losung nicht zugefiihrt worden. Dafi solche Probleme, und zwar
Probleme sehr vielgestalteter Art, vorliegen, steht fest.
Auffiihrungen genau in der Originalgestalt sind nicht moglich : Ubersetzung des
italienischen Textes muK hergestellt werden, die Kastraten-Partien mussen einer anderen
Stimmlage (meist entweder Sopran oder Tenor) zugeschrieben werden, aus den oft vor-
liegenden Varianten mufi eine bestimmte Fassung ausgewahlt werden. Es ist also schon
von diesen Punkten wenn nicht eine Bearbeitung so doch mindestens eine Einrichtung
der Werke notwendig. Zu diesen schon vor der praktischen Auffiihrung zu losenden
Fragen treten die Probleme der unmittelbaren Auffuhrungspraxis : die Fragen der Tempi
und der Dynamik, die Fragen der Kurzungen und vor allem die Frage des Biihnen-
bildes, der Kostiime und der Begie, die unmoglich durch eine glatte Anlehnung an
originale Anhalte, wie sie etwa in alten Kupferstichen oder dergleichen vorliegen, gelost
werden kann.
So grofi und problematisch diese Vieldeutigkeit des gleichsam materiellen Bestandes
der Handel-Oper auch sein mag, so klar und absolut fafibar erscheint die zentrale Ein-
deutigkeit ihrer Gesamtstruktur; eben das System der Barockoper, deren Wesen im
Typisieren (nicht im individuell Psychologisierten) und im Architektonischen (nicht im
bewegungsmafiig dramatisch Gesteigerten und Geballten) liegt. Wird diese Struktur
angegriffen, wie dies durch die Hagen'sche Bearbeitungsmethode geschehen ist, so wird
der Lebenskern erscbiittert; das Gefiige mufi sich verzerren, die ausstrahlende und mit-
reifiende Kraft, von denen die Werke urspriinglich erfidlt sind, mufi verloren gehen.
Ein Teil der Fachkritik hat von ahnlichen Gesichtspunkten aus die Gottinger
Bearbeitungen abgelehnt. Steglich vor alien hat auf das zuweilen sogar in Bezug auf die Ton-
artenfolge unantastbar logische Gefiige der Handeloper aufarerksam gemacht und die
Wiederherstellung der originalen Form verlangt. Both hat aus soldier Einstellung die
praktischen Folgerungen gezogen und erst kiirzlich mit einer in Leipzig zur Auffuhrung
gebrachten Einrichtung der „Alcina" den Beweis fiir ihre Bichtigkeit erbracht, nachdem
er in fruheren Bearbeitungen des „Tamerlano" noch im Bann der Aktualisierungsbe-
strebungen gestanden hatte.
E i n r i ch t u n g — n i ch t B e a r b e i t u n g ; dies ist die Forderung, die bei heutigen Auf-
fiihrungen von Handelopern erfiillt werden muss. Die wichtigsten Fragen, die hierbei zu
losen sind, seien wenigstens augedeutet:
Frage der Ubersetzung: sie hat ein HochstmaB von Wordichkeit zu wahren; ins-
besondere mufi den wesentlichen musikalischen Phrasen gegeniiber der originale Text-
ZUR RENAISSANCE DER HANDEL-OPER 465
inhalt entsprechen. Beispielsweise mufi etwa einem musikalischen Vordersatz der inhaltlich
zugehorige textliche Vordersatz unterlegt bleiben; Umstellungen von textlichen Vorder-
und Nachsatzen fuhrt zu unheilbaren kiinstlerischen Diskrepanzen. Kann der Reim ohne
Zwang und ohne textliche Umdeutung erhalten bleiben, so bleibe er erhalten; ist dies
nicht moglich, so kann er, der durchaus kein integrierender Bestandteil des barocken
Operntextes ist, ohne weiteres fallen. Die TJbersetzung selbst (auch besonders im Secco)
mufi den Inhalt verstandlich machen; expressive Wendungen und Stimmung erzeugende
Aphoristik widersprechen dem Wesen des Barock-Textes wie natiirlich auch der barocken
Musik.
Frage der Stimmlage : in Bezug auf die Frage der Ubertragung der Kastratenpartie
rniiK die Entscheidung ob Sopran oder Tenor bezw. Alt oder Bariton den jeweiligen
Besetzungsmoglichkeiten untergeordnet werden. Grundsatzlich wird jedoch etwa dem
Tenor der Sopran vorzuziehen sein, weil dadurch das abstrakte Element gewahrt bleibt,
das dem Kastratensopran innewohnt.
Frage der Gesamtstruktur : wenn auch Steglichs Auffassung von dem festen ton-
artlichen Gefuge nicht grundsatzlich fur alle Handel (bezw. Barock)-Opern gilt, so ist
doch die Gesamtstruktur von solch absoluter architektonischer Logik erfiillt, sodafi im
allgemeinen keine Umstellungen in der Folge der Recitative und Arien moglich sind.
Auch das da Capo ist grundsatzlich zu wahren ; durch seinen Wegfall verliert die Arie
ihre Proportion. Wo Handel selbst auf das da Capo verzichtet, ist die Arie von vorne-
herein anders angelegt als bei der tiblichen da Capo-Arie. Allerdings wird es gelegentlich
Grenzfalle geben, in denen eine Streichung des da Capo moglich sein kann; es sind
diejenigen Arien, deren Struktur den da Capo-losen Arien verwandt ist. Streichung
von ganzen Arien oder Becitativ-Teilen kann nur unter dem Gesetz der Gesamtpro-
portion erfolgen. Es ist bekannt, dafi Handel selbst gelegentlich einzelne Teile gestrichen
hat. Werden heute Striche durchgefiihrt, so mufi sich an ihnen sowohl das historische
Wissen desjenigen, der die Oper einrichtet, wie auch seine Intuition und sein Qualitats-
empnnden bewahren, denn falsche Sti'iche konnen eine vollige Vernichtung der "Werk'e
zur Folge haben.
Diese Forderungen mogen zuniichst als Ergebnisse der musikalischen Philologie
erscheinen. Im positiven Sinn sind sie es gewifi. Dariiber hinaus sind sie Ergebnisse
einer lebendigen historischen Anschauung, die in dem gegebenen historischen Tatbestand
die wahre Quelle fur die Wiederbelebung von Werken historischer Kunst sieht. Der
historische Tatbestand vermag dann am starksten lebendig zu werden, wenn sein Wesen
in ungebrochener Weise dargestellt wird.
Dies gilt in erster Linie natviiiich auch fiir die Musik selbst und ihre Auffuhrung.
Auch hier wird dann die starkste Lebendigkeit erzielt werden, wenn der originale
Orchesterldang gewahrt bleibt. Also weder dynamische Ausdeutung (von uneilaubten
Uminstrumentierungen ganz zu schweigen!) noch rhythmische Differenzierung! Allerdings
verlangt eine solche Wiedergabe, die von aUer kiinstlichen „Belebung" absieht, eine umso
grofiere Intensitat latenter musikalischer Spennung und rhythmischen Atems, sodafi ge-
rade die Forderung nach gewisser monumentaler Uniformitat, unter der man friiher
lederne Schulmeisterei vermutete, ein Hochstmafi unmittelbarer musikalischer Vitalitat
und Beseelungskraft voraussetzt.
466 HANS SCHULTZE-RITTER
Die Frage der szenischen Realisierung der Handel-Oper birgt die allerschwierigsten
Probleme. Nachdem von vornherein formaler Anschlufi an das originale Biihnenbild
ausscheidet, erhebt sich hier von neuer Seite her die Frage der Aktualisierung : konnen
die bildkiinstlerischen Gestaltungsprinzipien und Gestaltungsformen der jeweiligen Gegen-
wart angewendet werden ? Die Frage wird bejahend beantwortet werden konnen, sofern
die Anwendung zeitgemafier Formprinzipien unter der Gesetzlichkeit barocken Szenen-
aufbaus geschieht. Die barocke Raumspannung und Raumstruktur mufi also erhalten
bleiben; sie kann als absolutes Gestaltungsprinzip ohne weiteres erhalten bleiben, selbst
wenn die Formen im einzelnen beispielsweise aus dem kubischen Formenvorrat der
Gegenwart genommen sind. Was die Regie betrifft, so wird eine einfache Stilisierung
das Gegebene sein. Die gestische und tanzerische Ausdeutung der Musik, wie sie im
Anschlufi an Gottingen in Gebrauch gekommen ist, wird dagegen als eine Aufpulverung
abzulehnen sein, deren die Handel-Oper durchaus nicht bedarf. Gerade diese Methode,
die allzu rasch zur Manier geworden ist, mag zu gutem Teil die Schuld daran tragen,
dafi Handelauffiihrungen in einen gewissen Mifikredit geraten sind.
Andrerseits weisen gerade die Probleme der Biihnengestaltung und der Regie auf den
Kernpunkt der Frage, ob eine Wiederaufnahme der Handel-Oper moglich sie. Die barocke
Raumstruktur liegt ebenso weit jenseits alles zeitlich Gebundenen wie die musikalische
und dramatische Struktur der Barock-Oper. Dieses Absolute, das selbstverstandlich im
Gewand des Zeitlichen (also im Gewand der barocken Musik und des barocken szenischen
Rahmens) auftritt, ist die Keimzelle der ungebrochenen und ewigen kiinstlerischen
Lebendigkeit, die von der Barock-Oper grundsatzlich ausgeht. Handelt es sich nun
obendrein wie bei Handels Werk urn Schopfungen hochster, individuell bestimmter
Qualitat, so ist damit die Frage doppelt bejahend zu beantwprten.
Allerdings miissen die zwei wesentlichen Voraussetzungen erfiillt werden: die
kiinstlerische Struktur der Werke mufi bestehen bleiben und ebenso miissen musikalische
und szenische Realisierung dem Absoluten des kiinstlerischen Kerns der Werke entsprechen.
Insofern handelt es sich hier in erster Linie um ein Auffiihrungsproblem. Und deshalb
nur um einen Sonderfall des allgemeinen Opernproblemes, da dessen Losung allein in
der Frage des Wie der Auffiihrungen gefunden werden kann.
Hans Schultze-Ritter (Berlin)
VERDI-RENAISSANCE
Verdis Opern stehen seit jeher im Spielplan der deutschen Biihnen mit an erster
Stelle. Dire Zugkraft auf das Opernpublikum hat im Laufe der Jahrzehnte nicht nach-
gelassen. Selbst dem machtigen Gegendruck der Wagnerschen Musikdramen haben sie
standgehalten. Und jetzt erleben wir eine weitgehende neue Belebung von solchen Werken
Verdis, die bisher in Deutschland entweder vergessen oder nur bruchstiickweise bekannt
waren. Luisa Miller, Don Carlos, Die Rauber, Macbeth und andere kommen an grofien
Biihnen heraus. „Die Macht des Schicksals" erzielte bei glanzender Auffiihrung in Berlin
und Dresden einen durchschlagenden Erfolg und wurde zu einem ausgesprochenen
Kassenstiick.
VERDI-RENAISSANCE , 467
All dies ist aus der augenblicklichen Lage der Oper durchaus begreiflich. Der
machtige Zauber Wagners hat an Wirkung verloren. Er mufite an Wirkung verlieren
bei einer Generation, die der Symbolistik eines romantischen Idealismus entwachsen ist,
die auf knappe und prazise Gestaltung halt und lieber das Triviale in Kauf nimmt, als
dem Vagen und Verstiegenen sich hinzugeben. Und gerade heute ist in der Tat eine
Neuinszenierung Wagnerscher Musikdramen in solchem zeitgemafien Sinne ein hochst
problematisches Unternehmen. Gerade die eminente theatertechnische Fantasie Wagners
hat Dichtung, Musik, Mimik und Biihnenbild in einen einmaligen und festen Rahmen
geprefit. den man nicht irgendwo lockern kann, ohne die Wirkung des Ganzen zu
gefahrden.
Die Nachfolge Wagners, soweit sie produktiv war, hat sich zwar von philosophisch-
asthetischen Bindungen des Gesamt-Kunstwerkes befreit und ist sogar bis zum stilisierten,
selbst ironisierenden Spiel gelangt. Desto mehr aber hat sie sich an die psychologisierende
Ausdeutung komplizierter seelischer Vorgange verloren. Damit wurde das Gleichgewicht
der Krafte gefahrlich verschoben. Die Musik als Dienerin des Wortes gewann zwar un-
erhort an illustrativen Ausdrucksmitteln, verlor aber umsomehr an eigener Kraft und
Bedeutung.
Ein Umschwung ist eingetreten, der die Oper aus einem neuen Verhaltnis ihrer
Elemente regenerieren will. „Oedipus rex" und „Cardillac" sind seine Marksteine. Hier
bestimmt eine formal streng gebundene Musik entscheidend das Geschehen auf der
Biihne. Die Oper eben als „Oper", nicht mehr oder minder als verkapptes Musikdrama,
steht wieder neu zur Diskussion.
Es ist entwicklungsgeschichtlich leicht einzusehen, dafi in dieser Situation gerade
die fruheren Opern Verdis neues Interesse erregen konnten. Dem veranderten Blkk>
punkt entspricht ein neues Bild. Man erkennt die btihnensichere Schlagkraft dieser
Musik, die tanz- und liedm&fiig geschlossene Formen zu weitgespannten Ablaufen voll
intensiver Lebendigkeit zusammenschweifit. Der dramatische Affekt ist mit unmittel-
barer Verve hingesetzt, die Situation mit scharfster Prazision erfafit und musikalisch
knapp und treffsicher gestaltet. Das Zusammenwirken realistischer Kraft und formaler
Geschlossenheit erzeugt Momente von starkster Buhnenwirksamkeit, wie sie in dieser
Weise nur der Oper eigentiimlich sind. Man denke etwa an den leidenschaftlichen
Abschied Rene's und Amelia's zu der kontrastierend stilisierten Menuettmusik des
„Maskenballes". Gerade die formbildende Kraft der Musik strafft an solchen Stellen die
theatralischen Vorgange, durchleuchtet sie gleichsam von innen heraus und verleiht
ihnen dadurch eine ungeahnte Plastik.
Es ist klar, dafi hier das Wort zu peripherer Bedeutung herabgedrtickt wird. Nicht
eine Dichtung, sondern ein Libretto wird vertont. Unbeschwert von literarischer und
philosophischer Belastung wird der Opernbiihne gegeben, was sie braucht. Das literarische
Niveau etwa der Schillerschen „Rauber" oder des Shakespeare'schen „Macbeth" wird in
den entsprechenden Opern gewiS nicht erreicht. Dazu ist auch hier vieles noch zu
schablonenhaft, zu aufierlich. Erst in spater Reife gelingt ein „Othello" und ein
,.Falstaff", in denen seelische Differenziertheit und ungebrochene musikalische Kraft zu
einer geistigen Hohe zusammenwachsen, die der Shakespeareschen nichts nachgibt.
468 HANS SCHULTZE-RITTER
Der junge Verdi lafit oft noch einem elementaren Musiziertrieb die Ziigel
schiefien. Seine Musik ergeht sich dann leioht in schematischen Wiederholungen oder
allzu billigen Effekten, die unnotig die Gesamtentwicklung aufhalten. Man hat von
jeher versuclit, durch Striche, ja sogar Umstellungen Abhilfe zu schaffen, aber mit zu-
nehmender Erkenntnis der architektonischen Kraft Verdis ist man audi hier vorsichtiger
geworden. Denn im grofien Zug der dramatischen Entwicklung und in der musika-
lischen Gliederung ihres Verlaufes ist er Meister. Die simple Gradlinigkeit seiner
literariscli verponten Textbiicher verhilft ihm zu iibersichtlicher Geschlossenheit des
musikalischen Aufbaues. Sie bewahrt ihn vor der Gefahr, sich ins psychologisierende
Detail zu verlieren und bietet ihm doch Gelegenheit zu eindringlicher, individueller
Pragung. Man vergleiche etwa die Arien des Prasidenten (Luisa Miller), Rigolettos und
Philipps (Don Carlos), die die jeweilige theatralische Situation und Personlichkeit aufs
Scharfste individuell charakterisieren und doch dabei musikalisch in sich vollkommen
geschlossen sind.
In Deutschland konnte erst mit einem gewifien Verebben der Wagnerschen Epoche
der Blick fur die starken und echten Buhnenqualitaten Verdis frei werden. Dement-
sprechend hat sich auch ein Wandel in der musikalischen Beurteilung vollzogen. Vor-
iiber ist jene Zeit, da gerade der deutsche Musiker mit einem gewissen vornehmen
Dvinkel die Opern Verdi's abtat wegen ihrer oft primitiven Begleitung und der allzu-
kantablen Melodietiseligkeit. Mit ganz neuen Augen sieht man jetzt diese Musik, die
fruher nicht gelehrt, nicht kontrapunktisch genug erschien. Man bewundert heute die
kunstvolle Sparsamkeit und subtile Behandlung des Orchesterparts, der unter bewufitem
Verzicht auf polyphon-sinfonische Haltung sich stets der Buhne unterordnet. Man hat
ein Ohr bekommen fiir den reinen ungemischten Klang der Instrumentierung, die bei
allem Glanz der Farben stets durchsichtig ist und den Sanger, tragt statt ihn zu er-
driicken. Denn im vokalen Part liegt der Schwerpunkt dieser Musik. Die menschliche
Stimme schwingt in der Unmittelbarkeit ihres sinnlichen Wohlklangs. Ihre Eigenart
bestimmt auch die echt gesangsmafiige und charaktervolle Melodik, die in der organischen
Gliederung ihres Wachstums zugleich die Formgebung entscheidend beeinflufit und im
Gegensatz zur „unendlichen Melodie" klare Gestalt und prazise Abgrenzung schafft. Im
Aufbau der Solo-Szenen wie in der Entwicklung der plastischen Ensembles. So ist auf
naturlichste Weise die Buhne selbst in den Mittelpunkt des Interesses gestellt. Hier und
nicht im Orchester ist der Ausgangspunkt der Triebkrafte zu dramatischer und musika-
lischer Entwicklung.
Dieser Typ der italienischen Gesangsoper gelangt durch die gluckliche Struktur seiner
Elemente zu einer Schlagkraft der Biihnenwirkung, wie sie in der instrumental bedingten
Oper Deutschlands selten ist. Er verwendet alle Mittel in ihrer starksten Stofflichkeit : eine
auf Spannung gestellte Handlung paart sich mit Musik von intensivem, sinnlichem Beiz.
Im Gegensatz zum Musikdrama gibt es hier kein Problem als nur das der Oper selbst. Verdi
hat es gelost in den verschiedenen Epochen seines langen Lebens auf verschiedene Weise und
nicht immer mit gleichem Gliick, aber aus einer im Wesentlichen stets gleichen Ein-
stellung. Die Stofflichkeit der Mittel gab ihm die unmittelbare theatralische Sinnfallig-
keit, die er von der Oper verlangte. Aber gerade aus dieser Stofflichkeit heraus wuchsen
ihm die formalen Krafte zu, die den Stoff selbst banden, und das Werk steigerten zu
DER GEKURZTE WAGNER 469
einem kiinstlerisch einheitlichen, durcbaus konkreten Ganzen von hochster stilistischer
Noblesse, gleich weit entfernt von reisserischem Verismus wie von abstraktem Musizieren.
Verdi ist stets popular gewesen. Aber das breite Publikum liebte ihn meist aus
anderen als kunstlerischen Motiven und oft mit etwas schlecbtem Gewissen. Im Grunde
sah man iu ihm doch mehr den skrupellosen, oberflachlichen Musikanten, dessen Melodien
dem Ohr schmeichelten, dessen Personen leere, phrasenhafte Attrappen waren. Erst jetzt
erkennt man den hohen Ernst und die innere Fiille seines ScbafFens. Ein Rigoletto,
eine Traviata erscheinen uns jetzt aus neuer Einstellung wahr nnd echt.
Die Verdi-Renaissance vermittelt uns die Kenntnis von unbekannten Werken
Verdis fruher und mittlerer Periode. Sie hat schon positive Erfolge erzielt. Ob alles,
was sie wieder ans Licbt bringt, zum dauernden Gewinn fiir die Opernbiihne wird,
bleibt abzuwarten. Jedenfalls ist zu bedenken, dafi Verdi erst allmahlich zur Meister-
scliaft gereift ist und in seiner Friihzeit noch manches mit allzuleichter Hand hinge-
worfen hat. Hier steht oft das Geniale neben dem Trivialen, Unvergangliches neberi
Alltaglichem. Nicht immer wird es gelingen, durch Bearbeitung einen Ausgleich zu
schaffen. Und es steht zu befiirchten, dafi nach den ersten Erfolgen die- Neuauffuhrung
Verdischer Opern zu einer Konjunkturangelegenheit herabsinken kann, bei der man auf
ein Publikum spekuliert, das alle Sensation einer Erstauffuhrung erleben will, ohne
sich dabei mit schwierigen Problemen herumschlagen zu miissen. Denn naturlich geht
etwa ein „Macbeth" leichter ein als ein „Oedipus rex". So wurde ein „Dienst am
Publikum" geleistet, der ohne grofies Risiko wohl guten materiellen Ertrag bringen
mag, aber neuer Entwicklung den Weg verbaute. Man konnte auf diese bequeme
Weise „zeitgemafi" sein, ohne den wichtigeren und schwierigeren Forderungen der Stunde
gerecht zu werden. Dann konnte die „Verdi-Renaissance", so sehr sie den kiinstlerischen
Zielen unserer Tage gemafi ist, zu einer Reaktion umschlagen.
Roger de Campagnolle (Miinchen)
DER GEKURZTE WAGNER
Eine beinahe arztliche Anregung *).
1.
Nicht der durch gelegentliche, mehr oder weniger willkurliche „Striche", sondern
der nach einem bestimmten Gesichtspunkt planvoll und durchgreifend gekxirzte Wagner —
davon soil hier die Rede sein.
Trifft mich Frevler kein Blitz? Nein, hochstens der stumpfe Dolch eines Wag-
nerianers. So sind die Zeiten gewandelt.
Einer in Sachen der Kunst nie dagewesenen Reklame, fur die Wagner selbst in
vielen Schriften die Stich- und Schlagworte ausgegeben hatte, war es gehmgen, die
Massensuggestion zu erzeugen, sein Musikdrama sei etwas unvergleichlich Vollendetes
(und unvergleichlich Deutsches). Sie wahrte dreifiig Jahre.
1 )Wir geben diesen Aiiregungen eines Nichtmusikers gern Raum. Der Verfasser, ein Arzt, ist den Ver-
ehrern Richard Dehmels vielleicht als Freund des Dicliters nicht unbekannt. Die Schriftleitung.
470 ROGER DE CAMPAGNOLLE
Das erste weithin sichtbare Zeichen der Erniichterung war: Parsifal auf profanen
Opernbuhnen. Wider des Meisters ausdriicklichen Wunsch und Willen ! Da sahen schon
Manche: Wagner war also kein Gott . . .
Hier denkt jeder an Nielzsches „Fall Wagner"; aber es sei auch eines Buches
gedacbt, das als erstes dieser Ernuchterung starken Ausdruck verlieh und zwar schon
1913, als nocb Kiihnheit dazu gehorte: Emil Ludwigs „Wagner oder die Entzauberten".
Zusammen mit Nietzsches Vanning und einigen wenigen anderen Schriften (darunter Jul.
B a b s Romantikerbuch „Fortinbras") erfiillt es eine wahrhafte Kulturaufgabe : demAugiaswust
der Wagnerliteratur, der im edlen deutschen Buchertempel Sale fullt (und nicht die
ruhmlichsten), die Wage zu halten. Sein beissender Ton ist herausgefordert durch die
anmafiende Unduldsamkeit, mit der Wagner seine Anschauungen, die seinem Konnen
(und Nichtkonnen) entsprangen, als Gesetze verkundete; sein Radikalismus ist verzeih-
lich, ja fruchtbar einem Geiste gegeniiber, der auch heute noch nicht klar genug er-
kannt ist: als f ormenzerstor ender Ungeist, umso gefahrlicher, als er von einem
musikalischen Genie getragen war.
Ludwig macht uns bewusst, warum unser Inneres sich von Wagner abkehren
mufite, von dieser sinnlichen Schwiile, krampfigen Ubersteigerung, tiefen Unwahrhaftig-
keit des Ideals; er zeigt uns, wer sich in diesen Werken spiegelt, welch er Mensch
hinter ihnen steht . . .
2.
Aber von einer geliebten Person, die unser Herz betrog, fallen wir (leider) erst
ab, wenn sie anfangt, auch unsere Sinne zu beleidigen: was hat unser Ohr und Auge
so wagnerunlustig und -mude gemacht?
„Wagner hat erhabene Augenblicke, aber fiirchterliche Viertelstunden . . ." dieser
Seufzer entfuhr schon einem der ersten franzosischen Wagnerverehrer. Es ist das un-
geheuerliche Ausmafi der spateren Werke, das unsere aus der Hypnose erwachten
Nerven foltert, es sind die furchtbaren Steppen des Sprechgesangs, die wir urn der
Oasen der musikalischen Kernstuclce willen durchschmachten mussen; diese endlosen
Strecken eines halb gesprochenen, zumeist geschrieenen Singens, dessen Worte — das
vor allem peinigt — man nur halb versteht, weil ununterbrochen ein hunderstimmiges
Orchester sie begleitet. Begleitet? Manchmal gewiss, und wundervoll die Worte unter-
streichend; aber sonst begleiten eher die Sanger das Orchester und dieses spielt das
ganze Stuck hindurch, fiinf Stunden lang, ein seltsames Sinfoniekonzert ... Es spielt die
beriihmt-beruchtigte Unendliche Melodie, ein Tongewebe, worin Melodienbruchstucke,
die etwas besonderes auszudriicken haben, in immer neuen Farbungen und Ver-
schlingungen wiederkehren ; ein Tonfluten, worin Form und Rhythmus absichtsvoll ver-
schwimmen und wie Kristalle die sich verflussigen, ineinander uberiliefien; ein Ton-
gewoge, trotz den hin und wieder auftauchenden „5 bis 15 Takten", die Nietzsche als
Wagners intimste und kostbarste Worte rtihmt, eintonig wie das Meer.
Was will diese Orchestermusik ? Sie soil nach Wagners Willen die Handlung
unserem Gefiihle naher bringen und so in ihrer tiefen Bedeutung erst verstandlich machen.
Welch tragikomischer Widerspruch! Damit sie das konne, miifite man ja vor allem die
Worte des Sangers verstehen! Man wende nicht ein, daft man dazu ja das Textbuch
habe: am allerwenigsten darf sich auf diese Kruppelbriicke Wagner berufen, der sein
DER GEKTJRZTE WAGNER 471
Wort-Ton-Drama das „Gesamtkunstwerk der Zukunft" hiefi. dazu bestimmt, audi das
Schauspiel, das gesprochene Drama zu ersetzen . . .
Gequalt hangen wir viertel-, halbe Stunden lang zwischen Schreigesang und
Orchestergewoge, bis wir wiedereinmal, erfreut und erfrischt, eine Kette von Worten
verstehen, eine Szene uns fesselt und uns unser Elend vergessen macht, ein „gottlicher
Augenblick", ein musikalisches Kernstiick uns aufatmend emporreifit . . . ran wieder zu
versinken im bi'odelnden Sumpfe. Und dies durch viele Stunden, bis der Wagnerabend
gefiillt ist, bis wir uns, die Nerven in der zitternden Erregung der Ubermiidung, er-
heben, erscblagen, kleingemacht. . . . Eigentlich hatte man ja grade morgen ein aus-
geruhtes Hirn gehraucht (und welchen Tag nicht? !)j aber [immerhin: wie fabelhaft
wohlfeil man solcb schweren Abend kauft, soldi schwere Musikermuh'! Nur wenig
teurer wie so was Leichtes, Halbsolanges : Figaro, Freischxitz, Troubadour.
3.
Was ist eine Oper? Was war sie vor Wagner, neb en Wagner, was wird
sie fur alle Zeiten sein ? Im AVesenskern : ein Kranz von Gesangen, in ihrer Wirkung
dadurch wunderbar gehoben, dafi ihre Sanger in ein aufierordentliches Schiclc i
gestellt sind: in einem Drama handeln und leiden.
Man denke sich: im Konzertsaal wird ein Liebeslied gesungen; um wieviel mehr
wird dies Lied uns ergreifen, wenn wir eben von diesem Sanger (ausjseinem Privat-
leben) gehort haben, dafi er in einem schweren Liebesschicksal steht . . . oder unhedbar
erkrankt ist . . . Das ist das Geheimnis der Oper.
Die in ihren Tiefen geoffnete, aufgebrochene Menschenseele, die in Gesang aus-
briclit vor dem Throne des Schicksals — das ist Oper, in ihren Gipfeln eines der er-
habensten Gebilde der Musik.
Und damit sind ihre Gesetze von selbst gegeben :
1. dafi den Gesangen als Entladiingen eine (hier ist das Modewort geboten) geballte
scharf umrissene, sich ab- und heraushebende Formung eignet;
2. dafi das Drama aufwuhlen und durch vielerlei menschliclie Empfindungen hindurch-
fiihren mufi, damit unsere tiefe Teilnahme erweckt und erhalten werde :
3. dafi die Sanger sich als Personen des Dramas zu fiihlen haben, nicht als grofier
Tenor und Primadonna sich selbst in Szene setzen diirfen;
4. dafi die Inszenierung nicht die Aufmerksamkeit auf sich ablenken darf, weder durch
Pracht noch durch auffallende historische Treue noch durch auffallende, wenn auch
Vereinfachung erstrebende Stilisierungsversuche ;
5. dafi die Worte des Dialogs als des Tragers der Handlung verstandlich
sein muss en, d. h. dafi, ob er gesprochen, halb oder voll gesungen werde, die
Orchesterbegleitung sich Zuriickhaltung aufzuerlegen hat, denn besonders die Sanger
versteht man meist selbst aus der Nahe schlecht.
Im iibrigen gelten auch fur die Oper die ewigen Grundgesetze aller Kunst: der
Form, des Mafies, des Gliederspiels und des Kontrastes — Gesetze, die unzerstorbar und
unzerschwatzbar sind, weil sie nicht auf Willkiir, sondern auf den natiirlichen Reizgesetzen
der menschlichen Sinne beruhen.
Dem Ideale der Oper ist unser grofier Gluck als Erster nahe gekommen. Es ist
dann wieder viele Male mifiverstanden und entstellt worden; wir sehen bald, von wem
472 ROGER DE CAMPAGNOLLE
am schlimmsten. Kein Wunder, derin zum Zauber dieses Kunstgebildes gehort, dafi es
eines der ktinstlichsten, der Wirklichkeit fremdesten, entriicktesten ist. Es ist aufgebaut
aus lauter Widerspriichen zur Bealitat (eine schone Darstellung dieser Paradoxien gibt
Oskar Bie in seinem Opernbuch), die nur dann sich aufheben und zur hflheren
Wahrheit werden, wenn ein hohes Stilgefiihl sie gegen einander auswagt. Bis heute hat —
sehr wahr sagt das Alfred Einstein in seiner Musikgeschichte — Gluck einen wirk-
lichen Nachfolger noch nicht gefunden.
4.
Und was will nun Wagner mit seinem Musikdrama anderes als die Oper, gegen
die er immer so vornehm tat ? Worin liegt die grofie Beform ?
Das Drama sei das Erste und das Letzte, sagt Wagner; Dichtung und Musik
seien dazu da, es zu verklaren.
Eine grofie Frage, deren Schwierigkeit ich vielleicht damit klarmache, dafi ich die
Oper mit einem schonen Weib vergleiche : was ist da das Erste und Letzte, das Skelett
als Drama) oder Umrifi, Auge, Stimme (als Musik) ?
Und dann: wieweit darf Musik — Dienerin sein?
Wohl nannten sich die ersten Opernversuche „dramma per musica", aber sie waren
gedacht als Neubelebung des antiken Dramas, Und das griechische Wort „drama" be-
deutete, worauf Nietzsche hinweist, ganz und gar nicht „Handlung" : das antike Drama
hatte grofie Pathosszenen im Auge, schlofi die Handlung geradezu aus, verlegte sie vor
den Anfang oder hinter die Szene. . . .
Jedenfalls, seine Theorie fiihrte Wagner dazu, zu fordern:
die grofien geschlossenen Gesange, die lyrischen Gefuhlsausbrtiche, besonders auch
die zwei- oder mehrstimmigen Gesange sind — als „Nummern" — zu verponen; sie
sind undramatisch, sie halten die Handlung auf;
die Handlung ist {iberall gleich wichtig. Sie liberal! aufs eindringlichste nicht nur
zu untermalen und zu betonen, sondern geradezu auszudeuten, das eben sei die Auf-
gabe des mit hundert Zungen mitredenden Orchesters; und dafi es das vermoge, weil
namlich der Musik innerstes Wesen dramatisch sei, dafi sei seine, Wagners Entdeckung,
sei die grofite kiinstlerische Errungenschaft unserer Zeit.
Alles zugunsten des Dramas. Und das Ergebnis ? Haben wir schon beleuchtet :
die Handlung ist schwer verstandlich durch die Uberschleierung und Uber-
tonung der Worte;
die Handlung ist, da die Worte der Sanger auf den breiten Wogen des Orchesters nur
langsam vorwartschwimmen, ungemein in die Lange gezogen;
die Handlung wird nivelliert, wed die banalsten Dialogstellen, wie die erhabensten,
mit gleich er Gewichtigkeit untermalt werden;
die Handlung wird, wenn wirklich das Orchester imstande ist, die innersten, sei
es verschwiegenen, sei es noch unbewussten Gefxihle der Handelnden zu verraten,
der Spannung beraubt; abgesehen sei hier von den herrlichen Kundungen keimender
Liebe. Vergleicht Wagner sein Orchester mit dem antiken Chor, so beruht dies
wieder auf jenem Mifiverstandnis ; was wir seit Shakespeare Drama heifien, vertragt
leinen allwissenden Dritten, der moralisierend mitspricht, voraussagt, stankert. . . .
DER GEKURZTE WAGNER 473
Bedenkt man noch, dafi Wagner durch seine iibertriebene Bewertung der Deko-
ration — das Musikdrama als Gesamtkunstwerk ; Parsifals Blumen sollten von Bocklin
gemalt werden! — auch noch die Aufmerksamkeit von der Handlung ablenkt, so mufi
man sagen, dafi gerade Wagner alles mogliche getan hat, um das Drama in der Oper
totzuschlagen.
5.
Was an Wagners Werken stark wirkt, ist nicht das Drama in ihnen — Ludwig
nennt mit Recht Wagners Begabung episch — sondern es sind die theatralischen Schon-
heiten und die lyrisch-musikalischen Kernstiicke, die all seiner Theorie zum Trotz als
echte „Nummen", als Juwelen aus dem Sande funkeln.
Dafi dieser Sand, das unendliche Orchester, sie nicht verschiittet, ist einem physio-
logischen Vorgang zu danken: man hort dieses Tongewoge allmahlich gar nicht mehr,
so sehr es ermudet, als Musik. . . .
Nicht deshalb nur, weil dieses Spiel der Motive, so geistvoll es sein mag, doch
eben eher gemacht als empfunden ist, sondern weil dieses vielstundige form- und rhythmus-
lose Tonen gegen die Grundgesetze der Kunst, die physiologische Reizgesetze der Sinne
sind, verstofit: die der begrenzten Form und des Kontrastes.
„Unendliche Melodie" — ist das nicht ein Widerspruch in sich selbst? Was keinen
Anfang und kein Ende hat, wo das Ohr immer wieder um die Wohltat des festen
Schreitens und der Kadenz betrogen wird (aber gerade darauf, auf seine „feinste Kunst
des Ubergangs" war Wagner stolz), dieses uferlose Musizieren — hat es noch den
Zauber der Musik?
Un endliche Melodie — das ist, als wiirden wir fiinf Stunden lang an einer Mauer
entlang gefuhrt, die fortlaufend mit Malereien bedeckt ist; und waren sie von Tizians
Hand — war' das noch Kunst, die uns ergriffe?
6.
Es ist erstaunlich, dafi weder Musikseele noch Geschmack einen so grofien Musiker
vor dem monstrosen Irrweg des Musikdramas bewahrte.
Wagner ist grofi. Den Ernuchterten, die geneigt sind mit dem Musikdrama
Wagners Musik, mit dem Bade ein seltsam schones Kind auszuschutten, geniigt es, eine
einzige Stimme entgegenzuhabten, die seines musikalischen Gegenpols, seines grofien
schweigenden ^ivalen, des andern Opernriesen des XIX. Jahrhunderts, Verdis. Er,
der Feind der Instrumentalmusik, der in seinem neidlosen, stumm nach Vollendung
ringenden Schaffen auch ohne Samtbarett so altmeisterlich-edle Verdi bekennt bei
Wagners Tod seinem Verleger Ricordi seine erschutterte Trauer: „Keine Erorterungen !
Es ist eine grofie Personlichkeit, die uns entschwindet ! Ein Name, der eine machtige,
machtigste Spur in der Geschichte der Musik hinterlassen wird!"
Wagners S p r a c h e war neu, sagt W e r f e 1. Jawohl, sein Klang war, wo Musik erscholl,
etwas sofort zu Erkennendes. Seine Grofie war die eines Bahnbrechers, der, etwa gleich
den ersten impressionistisclien Malern, ein neues Ausdrucksmittel in der Kunst erfand.
Seine Grofie liegt in der Harmonic Ihr Reich hat er erweitert, vor allem hinunter,
in die tiefen Bezirke des Leidens. Er hat nie gehorte Akkorde und Akkordfolgen ent-
deckt und damit seinen Melodieen, die selten in quellendem Strom seinem Herzen ent-
474 ROGER DE CAMPAGNOLLE
sprangen, vielmals sogar aus fremden Herzen stammten, als Ersatz gleichsam eine so
neuartige Farbung und Stimmungsfulligkeit verliehen, dafi uns unmittelbar danach selbst
eine Beethovensche Cavatine dunn und leer erscheinen kann. Als ob diese von einem
Mund gesungen ware, Wagners Weise aber gleich von einem Chor! Und das ist kein
blofier Schein. War fruher die Melodie von Akkorden gestiitzt, die in ihr selbst natiir-
lich ruhten, ja fast von selbst mitklangen, so begleitete sie Wagner mit fremden,
dissonierenden Harmonieen ; das bedeutet: es gehen seinem Gesang Stimmen zur Seite,
die erst nach Zweifel und schneidendem Widerspruch sich ihm fur einen Augenblick
vereinigen — eine neue Bekraftigung von Ludwigs Darstellung des innersten Wesen
Wagners: nur in einer mittendurchgespaltenen, nach Einheit, nach Erlosung zeitlebens
sehnenden Seele konnten solche Klange erwachen (und nur aus ihr heraus ldingen sie
ejht). Daher das ewig Fragende, das Unbestimmte und Spannende, der Ratselreiz, das
Hintergriindige dieser Musik.
Daher aber auch ihre Grenzen und ihre Schwache. Julius Bab mahnt ihre
Verhimmeler : „Was ware das fur eine Musik, die sich ihrem inner en Wesen
nach abscheiden liefie von a 11 em Andern, was dieser Mann sonst gelebt,
gelehrt und gedichtet hat?" Wirklich, das Genie dieser neuen Klange scheint, fruher
hatte man gesagt: von Gott nicht eingegeben. Wieder zitiere ich ein Wort des alten
Verdi, der 1896 uber die neue Musik (im allgemeinen) in einem Briefe schreibt: „Der
grofie Mann von morgen kommt sicherlich, aber das hat noch Zeit! In der Richtung
und aus den Tendenzen des Heute mufi noch vielerlei geschehen, ehe man eine Musik
satt bekommt, die eine grobe, geschwollene Sprache fuhrt, eine Musik, die aufplatzt und
nicht befruchtet." Ja, trotz ihrer sehrender Akkorde, trotz ihrer Schwermut (die ist ihr
Grundcharakter), trotz ihres hochgeschwenkten Paniers der Weltentsagung spricht Wagners
Musik seltsamerweise mehr zu den Sinnen als zum Gefuhl ; wohl weil er — ganz anders
wie Beethoven — doch mehr im Schmerze schwelgt als dafi er sich daraus emporringt.
Seine Musik erregt tief, aber sie befriedigt und befriedet nicht; sie reizt tief auf wie
ein selten kundiges Liebesspiel, aber sie befruchtet nicht. Und liegt die besondere
Gefahr fur die grofien Melodiker im banalen Singsang, so die fur Wagner im innerlich
ebenso leeren Orchesterkracheffekt und in der, Gewohnheit gewordenen, harmonischen
Uberwiirzung, die zur Phrase wird.
Wagner sprach einer Zeit aus der Seele, die versunken ist, einer angsdich griib-
lerischen, noch dogmenbeladenen, noch gewissensunfreien Zeit. Und was da, Stunden
um Stunden, unter den Wasserfallen eines bald donnernden, bald streichelnden Or-
chesters geduldig safi, war ein behaglich verdauendes, gut verdienendes Burgertum, das
im Heucheln geiibt war. . . .
Wir suchen auch, erst recht noch, hoffhungsloser vielleicht, aber mit entlastetem
Gewissen. Wir suchen, auf die Gefahr hin, ungeistig zu scheinen, den ersten neuen
Lebenshalt in der Ehrung des so lange christlich verachteten Leibes. Darum : Mafi und
Vernunft audi in unseren Genussen! Keine Raubwirtschaft an unserer Nervenkraft!
Die brauchen wir am Tage, wie es scheint. . . .
Und was wir nicht horen wollen, ist die Stimme der Gebrochenheit. Es gibt
einen Zeitpunkt, wo der Kranke aufhort sich mit seinem Schmerz zu zieren — wenn
er merkt, dafi es ans Leben geht.
DER GEKURZTE WAGNER 475
Es hat schon seine Bedeutung, dafi man heute nach Verdi's Stimme lechzt, nach
Handel's Stimme, aus ihren verstaubtesten Opern heraus; das ist nicht, wie Manche
meinen, blofi Widerspruch gegen die atonale Musik, die ja entweder etwas ganz anderes
wdl als man bisher unter Musik begriff, oder ein pionierkuhnes Zuriick zur mittel-
alterlichen Homophonie bedeutet. Und erst recbt kein Widerspruch, wenn sie, wie
W erf el meint, ein krampfiger Versuch ist, durch ein kiinstliches Fieber die Wagner-
sprache aus dem Blut zu sclieiden. . . .
Und Mozart's Ton ? Der ist fur uns zu unbescliwert noch und zu pathosfern. . . .
Trotz alledem: man wird Wagner noch lange auffuhren, aber — seine spateren
Werke nicht in der ursprunglichen Gestalt.
Man wird nicht davor zuriickschrecken, sie zu kiirzen.
„Kiirzen"? Wie denn?
Es ist Zeit, dariiber zu beraten, damit nicht spatere, noch wagnerfremdere Ge-
schlechter es machen wie die Biihnen des Auslands : die Werke kurzerhand „zusammen-
streichen" und verstiimmeln.
Die Frage ist ebenso schwierig wie fesselnd ; berufene Musik er werden sie losen;
meine Aufgabe sei lediglich, sie in die offentliche Debatte zu werfen; nur Anregungen
seien gewagt.
Die Fehler der Musikdramentheorie lasten am schwersten auf den Meistersingern
und dem Ring.
Die schwelgerischen Langen des Tristan sind bedingt durch die Verinnerlichung
seiner Handlung. Er gilt mit gutem Grund als Wagners Meisterwerk; aber den besten
Grund fur diese Schatzung zeigt Ludwig auf: im Tristan ergreift Wagner, weil ihm
diese Dichtung erlaubt, wahr zu sein. Hier sehnt die Zerrissenheit seiner eigenen
Seele und zugleich die einer ganzen Epoche; aus dieser Musik, die Schumann (aus dem
sie manchen ihrer schonsten Beize zieht) noch ubergipfelt, aus diesen sii6 schneidenden
Akkorden klagen alle lebens- und sehnsuchtskranken Romantikerstimmen von Novalis,
Brentano bis Wagner und finden in dieser Dichtung eine Art Erlosung; den Ausdruck,
das Wort fur ihre stammelnde Qual. Tristan ist der Schlufistein einer Epoche, eines
gefahrlichen Seelenzustandes.
Und bezeichnenderweise : hier, wo Wagner aus seiner Tiefe singt, hier fehlt fast
vollig das erkliigelte Spiel der Leitmotive.
An Tristan ist nichts zu beschneiden und zu andern. Zudem — ich glaube an die
Tragik, dafi dieses vollendetste und echteste Werk Wagners als erstes von der Buhne
verschwinden wird.
8.
Auch vom Parsifal heifit es: Hande weg! Nicht etwa wegen seiner religiosen Er-
habenheit, die eine kirchliche ist — hieriiber ist wohl kein Wort mehr zu verlieren;
sondern weil es unter den Musikdramen mit Motivgetriebe das knappest gefafite, das
angenehmst zu horende ist. Obwohl der Glanz der Musik verblich, wenn aucb
Mahlers Wort, der Parsifal sei von einem Wagnerianer geschrieben, denkt man
blofi an die Schmerzensharmonien des Amfortas, Ubertreibung scheint. Hat Wagner
476 ROGER DE CAMPAGNOLLE
gelernt ? Wodurch ? Icli mochte an einen EinfluS der Aida J ) mit ilirem neuartigen,
dramatiscli wie musikalisch uniibertroffenen Rezitativ glauben; diesem Rezitativ, das
Verdi selbst (in Prosa) gedicbtet hat und das unter Ausschlufi alles episch Erzahlenden
darauf ausgeht, das Wort sichtbar und fiihlbar, also musikalisch und singbar zu
machen — man lese hieruber die wichtigen Seiten in Adolf Weifimanns Verdibuch.
Unter soldi ausdrucksvollem Rezitativ verliert das selbstherrliche Orchester Sinn mid
Zweck (und Raum), und tatsachlich tritt es im Parsifal verhaltnismiifiig bescheiden
zuriick; die Abwandlung der Motive besonders ist auffallend sparlich geworden.
Ein Seitenblick. Es ist merkwixrdig und wohl in der romantisclien Zeitseele be-
griindet, da6 der musikalische Gegenpol Wagners, Verdi, gleichfalls von dem Willen,
das Drama in der Oper herauszuheben, getrieben scbeint. (Ubrigens : vergleichbar sind
diese beiden Gewaltigen nur in der Einzelbeit, nicht als Ganzes, so wenig wie etwa
Rembrandt und Rubens oder, es mag seltsam klingen, ein Raum mit einem Wagen . . .).
Aber wozu Wagner die komplizierteste Orcbestersinfonie in das Theater zog, das erreicht
Verdi ganz allein durch die Ausdruckskraft seines Melos und der Menscbenstimme ■,
leider vertraut er spater — in diesem Punkte ein Verfiihrter — immer weniger diesem
gottlichen Vermogen. Und so sind Aida und Othello erne schlagende Widerlegung des
Wagner 'schen Irrwegs; mehr noch: indem Verdi gleiclizeitig das von Wagner iibernahm,
was in der Linie seines eigenen Wollens lag: die Veredelung des Stoffes, die Ver-
wiscliung der ,,Nummer" und die dramatisclie Durchkomponierung — die vollendete
Gestaltung dessen, was Wagner (nach Lohengrin mit falschen Mitteln) erstrebte. . . .
Es gibt auch eine Ironie der Musikgeschichte.
Aida und zumal Othello — das Musikdrama in den Grenzen, die von Stilgefiihl
und Geschmack gezogen werden. Dennoch — wird- der wahre Nachfolger Gluck's,
wird die Weiterentwicklung der Oper hier ankniipfen ? Ich bezweifle es. Weil die
Oper nie und nimmer ein in Musik gesetztes Drama ist; weil mit der Verwischung
der geschlossenen lyrischen Hohepunkte und der Emanzipation des Orchesters die Formen
und Kontraste fallen; weil es ein romantischer Grundirrtum ist, zu glauben, je auf-
geregter es im Orchester zugehe, desto tiefer, „dramatischer" miisse die Wirkung sein. Es
ist, als glaubte ein Schauspieldichter, den Eindruck seines Stiickes zu steigern, wenn er jedes
Wort und jede Geste von Statisten mit Lachen, Applaus oder Weinen begleiten lasse. . . .
9.
Bleiben die Meistersinger und der Ring, also die Riesenwerke mit den grofien
„Motivtafeln" vorn in den Klavierausziigen.
Aber nun endlich: wie denn „kiirzen" ?
„Striche" sind ausgeschlossen. In dem Umfang, der nfltig ware, diese Werke
menschlicher Aufnahme- und Genufifahigkeit anzupassen, kamen sie einer Verstiimmelung
gleich. Schon der Respekt vor Wagners Wollen, wenn es auch irrte, und vor seiner
Dichtung wird uns davon abhalten.
Betrachten wir die Meistersinger, so scheint mir, kann nur eines infrage kommen :
bei voller Erhaltung des Textes (und selbstverstandlich der musikalischen Kernstiicke)
') Dafi Aufierungen Wagners iiber Verdi und die „Aida" nicht iiberliefert sind, ist kein Einwand.
Selbstverstandlich hat er eine Musik mit solchem Welterfolg, der man uberdies laut Wagnerei vorwarf,
zeitig kennengelernt.
DER GEKURZTE WAGNER 477
Ersatz des Sprechgesangs durcli gesprochenen Dialog und damit Verschwinden der
Orchestersinfonie bis auf die Vor- und Zwischenspiele und einzelne Stellen, die nun
die gesprochene Rede melodramatisch untermalen.
Entriisteter Widerspruch, zumal aus grauen Barten, schlagt mir entgegen :
„Unverschamtheit ! Entweihung! Und das will ein Deutscher sein ! Musik-
bolschewik! Das heifit ja schlechthin, aus des Meisters Musikdrama eine *j**j"j* Oper machen!"
Jawohl, genau das heifit es; nichts anderes kann retten.
Ich ringe, zu Wort zu kommen ; endlich gelingt's mir, drei Nanien in die Brandung
zu schleudern: „Zaub erflo te! Fidelio! Freischiitz!" Und zu den franzosischen
Wagnerianern hin: ,, Josef in Egypt en!"
Und wie die Wogen sich legen : „Und das sind ernste, stellenweise feierliche Texte
und werden gesprochen, kein burgerlich-gemutlicher Lustspielschwank wie die Meister-
singer! Und die sind ja trotz aller Theorie schon opernhaft angelegt mit ihren vielen
Liedern, einem uuverhullten Quintett. . . ."
„Stillosigkeit !" faucbt's weiter, „halb Schauspiel also, halb Oper!"
Und, meine Herren, das Stilgefuhl Mozart's und Beethoven's? Und wurden jene
Opern nicht nach Orpheus und Armida, nach Figaro und Don Juan geschrieben ?
Wer von Ihnen, Hand aufs Herz, hat sie je als stillos empfunden? War's nicht einer
der letzten Wiinsche Wagner's, noch einmal den Freischiitz zu dirigieren ? Die Oper
mit gesprochenem Dialog als minderwertige Gattung geringzuschatzen, ist nichts als Vor-
urteil der Schulen; man vergifit, dafi Oper iiberhaupt etwas Wirklichkeitsentriicktes,
ein Kunstgebilde ist. Das unmittelbare Nebeneinander von Rede (es mufi gar nicht
gebundene sein) und Gesang ist im Gegenteil ein ergreifendes Sinnbild des mensch-
lichen Lebens, wo iiber dem Alltag das Reich der Seele thront: in dieses empor er-
heben sich die Stimmen zum Gesang an den lyrischen Hohepunkten, in denen alle
Handlung gipfelt. Wie zauberisch wirkt dann jedesmal der Aufklang der Musik in das
unermiidete Ohr!
In das unermiidete! Dagegen in den Meistersingern ! Fiinf Stunden, nur mit den
Unterbrechungen der Pausen, ein Massenangriff von Tonen, von Schreilauten gefuhrt,
dick polyphon geballt, wie von Maschinen getrieben. Werden kiinftige Zeiten diesen
Geschmack begreifen ? Werden sie ihn nicht anderen Monstredarbietungen der Gegen-
wart zurseite stellen: der Massenschau jeden Genres von der Siegesallee bis zur Revue,
den Sechstagerennen, der Art, wie man heute den Schlufi der DX. Sinfonie iiberwaltigend
macht: durch Massenchore, ein Barbarengebriill . . .
„Aber ihr Vorschlag, das heifit ja, ein Drittel des Werks wegschneiden . . . ! Wie-
viel Schonheiten gehen damit verloren!"
Allerdings; aber das sind grofitenteils solche fiir den Musiker: kontrapunktische,
kammermusikalische Feinheiten der Partitur; ergreiiend schone Takte kehren bei
Wagner immer wieder. Und gingen auch solche unter: die Hauptstiicke und damit
das Ganze gewannen dafiir unendlich an Reiz, weil jetzt ein gescliontes Ohr sie auf-
nimmt, weil die melodische Uberraschung niclit im unendlichen Motivspiel vorweg -
genommen ist.
„Aber" — halten mir Musiker ruhig entgegen — „was Sie da wollen, ist doch
ein ander Ding als wenn umgekehrt z. B. Berlioz den Prosadialog des Freischiitz fiir
M
478 ROGER DE GOMPAGNOLE
die grofie Oper in Musik setzt. ... Es wird ungeheuer schwierig sein, aas einem
Musikdrama, wo Wagners Gabe, „dramatische" Musik zu machen, Nebensachlidiem wie
Erhabenem in gleicher Passion zuteil wird, die musikalischen Goldadern abzugreizen. . . .
Was soil vom Dialog gesungen, was gesprocben werden? Diese Stelle z. B. ist musika-
lisch wertvoll, aber sie ist fur das Verstandnis der Handlung so wicbtig und gesungen
hat sie nocb kein Mensch verstanden. ..."
Freilich, das ist manchenorts schwer, so schwer, dafi sich nur ein meisterlicher
Musiker an diese Aufgabe wagen darf; es gilt mit hochstem Kunstverstand, wie mit
einem Saugapparat aus einem Teppich, den morschen verganglichen Tonstaub aus-
zuziehen, unter Schonung niclit nur der Goldfaden, sondern aucb des Musters. . . .
Aber an vielen Stellen wieder ist es uberraschend leicht, dort wo der Geist der Oper
den Abtriinnigen uberwaltigt hat. Ich verkenne auch nicht, dafi in solch neuem.
knappen Gewand die Meistersinger etwas anders aussehen werden wie jene alten Spiel-
opern, wegen des viel haufigeren und unvermittelteren Wechsels von Wort und Gesang;
auch die Chore werden teilweise zum Sprechchor, bevor sie sich, wie z. B. wiihrend der
letzten Strophe von Walthers Werbegesang aus wirrem Gemurmel heraus, in Gesang
aufschwingen. Doch das gerade wird einen Meister reizen: es wird ein neues Ding
von neuem Stil entstehen.
10.
Aber das Hauptwerk, das Viertagedrama, die Tetralogie?
Der ungliickselige „Bing"! Seine tief- und grofigewollte Diclitung — wer seit 1876
hat sie wirklich kennengelernt und genossen, es sei denn aus dem Studium der Text-
bucher ? Ein Drama soil das sein ? Nein, ein Geschehnis, in zwei oder gar drei, vier Stucke
auseinandergezogen statt in einem verdichtet, ist — trotz dem „Faust" — ein Epos.
Der ungluckliche Bing! Wer hat seine vier Teile nacheinander angehort, es sei
denn bei Festspielen, auf Urlaubreisen ? Und selbst da, in nervengestarkter Ferien-
laune, wem, trotz alien musikalischen und szenischen Herrlichkeiten, haben sich nicht
bchon im Siegfried die Eingeweide umgekehrt unter diesen hundertfachen Wieder-
holungen der Motive?
Kann man beim Ring an eine Kurzung, Beinigung, Lxiftung denken wie sie mir
fiir die Meistersinger vorschwebt ?
Niemals naturlich; es ware lacherlich, diese Gottergesellschaft teilweise sprechen
zu lassen; das sind ja keine Menschen, blofi Halbmenschen, fur die das Leben keine
doppelte Ebene hat. Auch vermochte die Inszenierung dem rasch gesprochenen Dialog
an manchen Stellen ja gar nicht zu folgen.
Ich glaube, es steht nur ein Weg offen, den Bing in einer pietatvollen Weise auf
zwei (geniefibare) Abende zu verdichten: man lasse der Biihne nur die grofien musikalischen
Hauptszenen; alles Ubrige, einschliefilich der vielen Erzahlungen, wird aufierhalb der
Biihne, etwa im unsichtbaren Orchesterraum — rezitiert. Nicht notwendig von den
Sangern selber; stellenweise mit Orchesterbegleitung.
Aber nun habe ich, als Nichtmusiker, zu schweigen. Die Musiker mogen sprechen,
wenn sie meine Anregungen einer Erwagung fiir wiirdig halten. Und iiberdies —
es ist hohe Zeit, mich vor den Wagnerianern (die gibt es noch!) zu retten, die mich
verstandnislos, wortlos, aber drohend bestarren. Ich rufe ihnen noch zu: „Endlich kame
NEUE MUSIK AUS DEM SCHDNBERGKREISE 479
doch Wagner auch als Dichter, kamen seine Verse auch einmal zur Geltung. . . . Es'.
handek sich, meine Herren, um eine Rettung oder, wed Sie das besser verstelien und
es sich fbei Ihrem Meister docli immer einzig um das handelt: um eine endliche letzte
Er losing Wagners - namlich von sich selbst, seinem musikdramatischen ¥ahn und
aus dear <Gefahr, trotz aller Gewaltigkeit mit ihm verworfen zu werden."
MELO SKRITIK
Die neue, hier angestrebte Form der Kritik beruht darauf, da6 •
sie von mehreren ausgeiibt wird. Dadurch soil ihre Wertung von
alien Zufalligkeiten und Hemmungen abgelost werden, denen der '
Einzelne ausgesetzt ist. Langsam gewonnene, gemeinsame Formu—
lierung, aus gleicher Gesinnung entstanden, erstrebt einen hoheren
Grad von Verbindlichkeit. So ist jede der vorgelegten Bespre-
cliungen ein Produkt gemeinsamer Arbeit der Unterzeichneten.
I.
NEUE MUSIK AUS DEM SCHDNBERGKREISE
1.
In dem Kreise Schonbergs erscheinen Alban Berg und Anton Webern als die
starksten Individualitaten. Wahrend manche sich mit einer blofien Nachahmung der
Sprache Schonbergs begnugten und sich in andern Richtungen weiterentwickelten,
drangen diese beiden Musiker tief in die geistige Welt Schonbergs ein. Sie erlitten die
ganze Problematik dieser Entwicklung, ohne sich an sie zu verlieren. Schonbergs Ethos
ist die Basis ihres Schaffens, auf der sie zu neuen, personlichen Losungen gelangen.
Wabern fiihrt den Zersetzungsprozefi der Ton- und Formsprache Schonbergs bis zur
letzten Konsequenz durch. Alban Berg steht den Quellen der Musik naher und setzt
dem Zerfall der Elemente ordnende und gestaltende Krafte entgegen.
Alban Bergs Hauptwerk „Wozzek" vereinte zwei aus Schonberg herauswachsende
Stilkomplexe, die nun in gegensatzlichen Werken eigene Gestalt gewinn'en. Das Kammer-
konzert fur Klavier und Geige mit dreizehn Blasern steigert den Konstruktivismus in
Substanz und Form zu einer Hohe, fiir die wohl die waghalsige Verkoppelung der drei
Einzelsatze zu einem gleichzeitigen Tongeschehen ain bezeichnendsten ist. Man konnte
annehmen, dafi nun alle urspriinglichen Quellen versiegt seien. Um so erstaunlicher
ist es, als nachstem Kammermusikwerk einer „Lyrischen Suite" fur Streichquartett zu
begegnen.
Hier steht dem Konstruktivismus eine reine Ausdrucksmusik gegeniiber zu deren
Symbol schon die Satzixberschriften werden, die der Komponist gibt: Allegi'etto gioviale —
480 MELOSKRITIK
Andante amoroso — Allegro misterioso — Trio estatico — Adagio appassionato —
Presto delirando — Tenebroso — Largo desolate Es ist selbstverstandlich, dafi audi
dieses Werk, das die Zwolftontechnik und alle Riinste des Kanons verwendet,
konstruktiv stark unterbaut ist, wie ja auch nacb des Komponisten eigenen Worten
im Kammerkonzert ein stark subjektives Erleben mitschwingt.
In der Lyriscben Suite haben alle Elemente ihre fruhere Konzentration verloren.
Wahrend eine sprode Melodik und eine fast mathematische Harmonik vorher bis zur
Essenz, ja, bis zur Formel erstarrten, fliefit hier melodische Linie oft in geloster
Kantabilitat und weit ausladenden Bogen. Die Harmonik ist weich und gelockert. Die
starksten stilistischen Eigenwerte liegen in einer Farbigkeit, deren Herkunft von Schon-
berg nocb erkennbar ist, die aber die Parbe selbst als Reiz, wenn auch in letzter
Vergeistigung, wiederherstellt. Es ist eine Btickbesinnung auf den Impressionismus, die
am Anfang des dritten Satzes, in der Bezeicbnung „misterioso' - an Skrjabin gemahnt
(Notenbeispiel l).. 1 )
Dieses Prinzip der zergleitenden Farben gibt die Entwicklungslinie an wesentlichen
Punkten preis, die Schonberg vorgezeichnet hatte. An die Stelle seiner Abstraktion
des Klangs tritt nun dessen neue Versinnlichung. Ihr entspricht eine substanzielle
Melodik, die wieder fahig wird, intensive und gegensatzliche Ausdrucksregungen zu
spiegeln. Und es ist kein Zufall, wenn der Komponist sich an einer entscheidenden
Stellein der Form eines wortlichen Zitats zum Tristan bekennt. Fixr den Ausdruckswillen
seiner Melodik sind folgende Takte des vierten Satzes bezeichnend (Notenbeispiel 2) ] ).
2.
Wahrend Alban Berg in einem gewissen Sinn sich zurtickgewendet hat, fiihrt
Anton Webern die gedankliche Abstraktion Schonbergs bis an die aufierste Grenze.
Er kniipft an die aphoristische, expressiv verdichtete Schreibweise des mitderen Schon-
berg an. Diese nur vom Geistigen her zu begreifende Musik gelangt zur volligen Auf-
losung der rhythmischen und melodischen Bindungen und prefit in einzelne, frei im
Raum schwebende Klanggebilde alle inneren Spannungen. Sie endet in einer Negation
und hebt gleichsam Musik iiberhaupt auf. Sie wirkt als eine zerfaserte Klanglichkeit,
die wie letzter Impressionismus anmutet. Webern hat eine Entwicklungsphase Schon-
bergs, und vielleicht die radikalste, unerbittlich zu Ende geftihrt. Darin liegt seine
Einmaligkeit, aber auch seine Grenze.
Das neue Trio fur Geige, Bratsche und Violoncello uberrascht zunachst durch
seine grofieren Dimensionen. Webern versucbt jetzt seine aphoristische Tonsprache
durch motivische Kleinarbeit zu unterbauen, urn auf diese Weise einen langeren Form-
verlauf zu umspannen. Aber hier zeigt sich das Tragische seiner Situation, er selbst
hat die Elemente der Musik so zerspalten, dafi sie keiner nachtraglichen Bindung mehr
fahig sind. Der Klang der Streichinstrumente wird durch fortwahrende Verwendung
von Pizzicato, Flageolett und Sordino vollig entmaterialisiert. Die weiten Intervallsprunge
Schonbergscher Herkunft haben auch da, wo sie motivisch zusammengehalten werden, keine
konstruktive Kraft und wirken nur nocb als Arabeske. Es bleibt der Eindruck einer kontur-
losen Abfolge, der das Suggestive der friiheren, mehr gedrungenen Werke Weberns fehlt.
*) Siehe Notenbeilage.
KURT WESTPHAL: DIE MODERN! MUSIK 481
n.
KURT WESTPHAL: DIE MODERNE MUSIK
In der Sammlung „Aus Natur und Geisteswelt" in der die Musik hauptsachlich
durcli Einsteins ausgezeichnete kleine Musikgeschichte vertreten ist, erscliien ein neuer
Band „Die moderne Musik" von Kurt Westphal. Gerade die weite Verbreitung mid
der populare Charakter der Sammlung lassen ein ausfuhrlicheres Eingehen auf diese
VerofFentlichung als notwendig erscheinen. Westphal begriindet den Begriff der musika-
liscben ,,Moderne" und versucht, auf der Basis von Mahler, Beger, Straufi und Debussy
die Entwicklungslinien der gegenwartigen Musik zu ziehen.
Der erste Eindruck einer unparteiischen, iiber der Sache stehenden Darstellung
wird durch gelegentliche gluckliche Formulierungen noch verstarkt. Aber sobald man
beginnt, den Gedankengangen im einzelnen nachzugehen, wird man stutzig. Schon der
anfangs gepragte glatte Dualismus von Trieb und Gesetz fiihrt zu der schematischen
Gegeniiberstellung von Kunst als „Ausdruck der Vitalitat" und als „Ausdruck konstruk-
tiver Fantasie." Derartige Verallgemeinerungen Diltheyscher Geistesrichtung konnten
vielleicht fruchtbar werden, wenn sie zur Basis einer sorgfaltigen und reinlichen analy-
tischen Arbeit wiirden. Statt dessen geht der Verfasser iiber diese Gedanken schnell
hinweg, um angeblich iiber die „musikalisch-technische" Seite der neuen Musik zu reden.
Aber auch die hier gegebenen Begriindungen sind ohne tieferes Fundament, zumeist nur
willkurlich aneinandergereihte Ausschnitte, deren Verallgemeinerung zu schiefen Ent-
wicklungslinien fiihrt. Dahin gehort z. B die Uberschatzung der parallelen Akkordik
bei Debussy, dessen Bedeutung fur die Entwicklung der gegenwartigen Musik vollig
mifiverstanden wird.
Wenn sich zuweilen die „musikalisch-technische" Seite als nicht ergibig genug er-
weist, rettet sich Westphal in die „seelische Atmosphare - ', um schliefilich zu einer Fest-
stellung zu gelangen wie : „Strawinsky erfiillt die Sehnsucht der Moderne nach neuer
Sachlichkeit." Eine derartig oberflachliche Verwendung der aktuellen Schlagworte ent-
hiillt sich vollig, wenn der „Geist der , Maschine" in unserer heutigen Musik durch ein
rein impressionistisches Werk wie Delius' ,^aris" belegt wird. Fatal wirkt es auch,
wenn man als stilistisches Vorbild des Busonischen Klavierkonzerts Brahms' f-moll Sonate
angegeben findet. Fiir Strawinsky stellt der Verfasser summarisch fest: „das Volkslied
befruclitet die Melodik und der Jazz die Bhythmik". Etwas spater: „Nur das Zusammen-
treffen des Jazz mit einer durch Volksmusik gestarkten Personlichkeit konnte Werke
zeitigen wie Petruschka, Sacre und Noces". Die beiden erstgenannten Werke entstanden
1911 und 1913, — zu einer Zeit also, als Europa vom Jazz noch niclits wufite.
Man konnte derartige Zitate beliebig vermehrcn. Sie zeigen die Gefahr eines
Buches, das sich an einen grofien und unkritischen Leserki-eis wendet, um ihn iiber die
komplizierten Zusammenhange der gegenwartigen Musik aufzuklaren. Um eine solche
Aufgabe zu losen, bediirfte es nicht nur eines starkeren Fundaments, sondern auch eines
grofieren Verantwortungsgefiihls.
482 MELOSKRITIK
in.
ABWEHR
1.
Wir haben bisher die Zeitschrift von personlicher Polemik fern gehalten, da uns
jede unterhalb eines sachlichen Niveaus liegende Auseinandersetzung unfruchtbar er-
scheint. Wir haben aus diesem Grunde auch auf mehrfache Anrempehmgen, die
Dr. Alfred Heufi in der „Zeitschrift fiir Musik" gegen einzelne von uns ricbtete, ab-
sichtlich nicht reagiert. Die Beschimpfungen aber, die Heufi in seiner Besprechung des
Schweriner Tonkiinstlerfests (im Juli-Augustheft der „Zeitschrift fiir Musik") gegen Melos
erhebt, lassen es ratsam erscheinen, sich mit ihm zu beschaftigen.
Schon der Anlafi ist einigermafien befremdlich. Heufi setzt zu einer Besprechung
des Streichtrios op. 20 von Anton Webern an, kommt aber nicht iiber die Feststellung
hinaus, dafi das Werk „zur Schau gestellt wurde und naturlich durchfiel". Jede sach-
liche Begriindung fehlt. Statt dessen fallt er iiber eine „Meute entgleister Gesellen" her,
die „derartigen Wahnwitz . . . als hochste Offenbarungen modernen Geistes anpriesen."
Man ist bald dahingehend aufgeklart, dafi unter diesen entgleisten Gesellen die „Melos-
leute" zu verstehen sind. Herr Dr. Heufi fahrt dann fort: „Nie ist schamloser, gesinnungs-
gemeiner iiber deutsche Musik geschrieben worden, wie in diesen traurigen Blattern,
iiber die man sich bereits vor dem Ausland schamen mufi, das — man lese die paar
Bemerkungen in der Mainummer der Musica d'oggi — den Kopf iiber einen dieser
jammerlichen Helden schuttelt."
Das Niveau dieser Beschimpfungen schliefit jede sachliche Auseinandersetzung aus.
Nur iiber die Methoden, die hier angewandt werden, sind ein paar Worte zu sagen.
Dafi Weberns Trio fiir diese vollig aus der Luft gegriffene Polemik wohl der ungliick-
lichste Ankmipfungspunkt ist, den es hatte geben konnen, geht aus unserer, gerade in
diesem Heft wieder fbcierten Einstellung hervor. Der Hinweis auf das Zitat in der
„Musica d'oggi" wird in der Absicht gebracht, dafi- es an dieser entlegenen Stelle von
niemandem kontrolliert werden konne. Es ist lediglich eine redaktionelle Fufinote:
„0 mani di Ricardo Wagner", die sich auf die lnhaltsangabe einer Besprechung des
„Oedipus rex" von Strawinsky durch einen unserer Mitarbeiter bezieht — verstandliche
Reaktion eines Italieners. Die Bekampfung einer kiinstlerischen Gesinnung durch natio-
nalistische Hetzmittel aber ist die von Pfitzner erfolgreich eingefiihrte Methode, an der
sich auch kleinere Formate gern den Mat starken. Dieser Methode entspricht auch eine
andere, die in dieser Zeitschrift in letzter Zeit haufig begegnet: am Schlufi einer Pole-
mik schon in sensationeller Weise die Opfer der nachsten zu annoncieren, wie es in
dunklen Blattern zur Steigerung des Umsatzes zuweilen geschieht.
2.
Eigentlich bleibt niclits mehr zu sagen. Aber es fallt uns doch schwer, uns so
schnell von Herrn Heufi zu trennen, der uns schon so viele Seiten seiner Zeitschrift
gewidmet hat. Jungst lasen wir bei ihm, es gebe jetzt auch eine humoristische Musikzeitschrift
(womit „Melos" gemeint war). Naturlich beeilen wir uns, diese Behauptung auch gegen-
iiber unsern Lesern zu rechtfertigen, indem wir einiges aus der Kritik von Alfred Heufi
ABWEHR 483
iiber Hindemiths Erste Kammermusik (Zeitschrift fiir Musik, Jahrg. 90, Seite 54)
zum Besten geben:
Es ist erreicht ! Der modernen deutschen Musik ist es endlich gelungen, das heutige Leljen
dort zu fassen, wo es sich am frivolsten und gemeinsten austobt, wo sexuelle Perversitatsorgien
sich abspielen und die fvanzosische Sentenz : Apres nous le deluge audi zum deutschen Sinnspruch
geworden ist, Der dieses „Wunder" zustande brachte, ist der Komponist Paul Hindemith in
seiner Kammermusik Nr. 1 (op. 24 Nr. 1) fiir kleines Orchester, und zur klanglichen Erscheinung
brachte man es im elften Gewandhauskonzert unter W. Furtwangler. Man steht einer Musik
gegeniiber, wie sie zu denken, geschweige zu schreiben noch nie ein deutscher Komponist von
kvinstlerischer Haltung gewagt hat, einer Musik von einer Laszivitat und Frivolitat . . . die nur
einem ganz besonders gearteten Komponisten moglich sein kann.
Es hebt da ein Zischen und Brodeln, ein Reifien, Stofien und Drangen an, Gekreische und
Schreien dringen an unser Ohr, man sieht sinnlich verzerrte, gemeine Gesichter, hort Peitschen
und Schlagen, Lachen und Schreien, Gestohn und Jauchzen, Pfeifen und Johlen, in laszivster Art
mengen sich Paare auf buchstabliche Foxtrottmelodien, barbarische Laute halb vertierter, im
Taumel sich ergehender Menschen machen sich Luft, zum Schlufi ein langer, alles durchdringender
Pfiff, wohl ein Warnungspfiff, im Nu ist dann das Stuck zu Ende. Es ist die lasterhafteste,
frivolste und dabei gegenstandlichste Musik, die man sich denken kann . . . Mit dieser Kammer-
musik, die das ebenfalls frivole Blfiserquintett Hindemiths . . . bei weitem an Intensitat und ge-
steigerter Laszivitat in Schatten stellt, diirften wir in Deutschland wieder an der Spitze der
Musiknationen marschieren, und dasjenige Volk, das dieser Musik einmal das starkste Verstandnis
entgegenbringen wird, werden die Franzosen sein, die ihre Schule in Sadismus und Perversitat
schon lange hinter sich haben und diese Seiten ihres Wesens gerade auch jetzt wieder im offent-
lich politischen Leben betatigen . . . Man halte die entsprechenden Orgienpartien in Schrekers
Werken mit dieser Kammermusik zusammen I
Hindemith besitzt jenes kalte Feuer rucksichtsloser Naturen, die nur eines, sich selbst, kennen,
vor nichts schreckt er zuriiclc, seine Fantasie ist dort am starksten zu Hause und findet dort
ihren fruchtbarsten Untergrund, wo das moderne Leben menschliche Wesensseiten ans Licht stellt,
die von heutigen Kloaken-Geschlechtsdramatikern an die vorderste Stelle gesetzt werden, und von
denen nur eines bedauert wird, dafi sie nicht noch weiter in ihren Darstellungen gehen diirfen . . .
Bei Hindemiths Kammermusik stellt sich aber zwischen Kiinstler und Publikum jener Zusammen-
hang her, den schon Heinrich Heine so malitios richtig gekennzeichnet hat, dafi, wenn wir uns im
Kote fanden, wir uns sofort verstanden.
Dem Kiiiistler braucht nichts MenschUches verschlossen zu sein, wehe aber einer Kunst, wenn
sie ihre natiirlichen menschlichen Bezugsquellen im Sumpfe und den Kloaken des Lebens hat.
Welche Aussichten eroffnen sich da fiir den heutigen und kommenden geistigen und sittlichen
Wiederaufbau Deutschlands. Welche Aufmunterung liegt darin, wenn ein derartiger Kiinstler Er-
folg hat, weil er in der Zeit, die nun doch einmal die gemeinen Instinkte offen zur Schau tragt
und sie in „Form" zu bringen vermag, auch unmittelbar verstanden werden mufi. Wie ver-
blichen, altmodisch und abgetan mutet da ein Schiller mit seiner Auflassung des Kunstlers an, dafi
die Wiirde der Kunst in die Hande des Kunstlers gegeben sei. Ob ein Hindemith noch etwas
wie Schamgefiihl empfindet, wenn er an diese Worte Schillers, die nodi die jedes echten, grofien
Kunstlers gewesen sind, denkt? Wir glauben es nicht! Wer den Foxtrott und was mit ihm alles
zusammenhfingt, in den Konzertsaal hineinpeitscht, hat die idealisdien Gefilde einer begliickenden
Kunst nie geschatit.
Wir glaubten, unsern Lesern diese Satze nicht vorenthalten zu diirfen; sie spiegeln
die Atmosphare, in welche die Zeitschrift Robert Schumanns heute geraten ist. „Nie
ist schamloser, gesinnungsgemeiner viber deutsche Musik geschrieben worden, wie in
diesen traurigen Blattern" (Alfred Heufi).
Hans Mersmann, Hans Schultze-Ritter
und Heinrich Strobel
484 ERNST LATZK|0
RUN!) FUNK
Ernst Latzko (Leipzig)
RUNDFUNK-UMSCHAU
(Juni, Juli, August, September)
Der Sommer ist nicht die Jahreszeit des Rundfunks. Zu den allgemeinen kunst-
feindlichen Momenten, die sich schon bei Theater und Konzert auswirken, kommt hier
noch ein spezielles, technisches: die Qualitatsminderung der Ubertragung bei hohen
Temperaturen, ihre Gefahrdung und Storung durch Gewitter. Der Kopfhorer, auf den
ein grofier Teil der Horerschaft angewiesen ist, macbt sich bei grofier Hitze auch nicht
gerade im Sinn einer GenuGsteigerung bemerkbar, kurz: der Zug nach Leichtigkeit und
Knappheit, der das Rundfunkprogramm ja dauernd beherrscht, wird im Sommer ganz
besonders deutlich und die wirklich gehaltvollen Veraustaltungen werden immer mehr
zur Seltenheit.
Priift man im allgemeinen, wie die Programmbildung sich in der abgelaufenen
Saison entwickelt habe, so ist zweifellos ein erfreuliches Moment festzustellen : die eifrige
Pflege alter Musik. Durch die verschiedenen historischen Zylden, durch die sonntag-
lichen Morgenfeiern, durch Hausmusiken aller Art, durch die hervorragende Eignung des
Cembalos und anderer historischer Instrumente fur die Rundfunkiibertragung ist die
vorklassische Musik ein gar nicht mehr wegzudenkender Bestandteil des Rundfunk-
programmes geworden. So sehr, dafi von diesen historischen Veranstaltungen hier nur
mehr die pragnantesten erwahnt werden sollen. Dazu gehort in dem dieser Betrachtung
unter^iegenden Zeitraum Purcells Kantate „Die Temperamente der Liebe" und Kuhnaus
biblische Cembalo-Sonate „David und Saul", die der Stuttgarter Sender von der Stxd-
deutschen Tagung fiir Musikerziehung aus iibertrug. Berlin und Stuttgart brachten
„Alte Kammermusik" auf Altviola. Knickhalslaute, Blockflote, Clavichord, Pochette und
Viola d'amore. Miinchen bringt Kantaten von Buxtehude, Stuttgart „Elsassische Musik
des 18. Jahrhunderts" und den Vogel schiefk Konigsberg ab mit der Auffiihrung von
Bachs „Musikalischem Opfer" in der Bearbeitung von David.
In der neuen Musik behauptet Hindemith unentwegt seinen Primat, Beweis nicht
nur fiir die Bedeutung seines Schaffens sondern auch fiir dessen Bundfunkeignung. Das
Violinkonzert wird von Miinchen gebracht, das Streichquartett op. 22 von Frankfurt,
„Die Serenaden" von Hamburg, die Sonate fiir Klavier und Geige op. 11 Nr. 1 wird in
Briinn gespielt, die fiir Klavier und Cello op. 1 1 Nr. 3 in Berlin, Frankfurt und Zagreb,
wahrend Miiiichen die Solosonaten fiir Violine und Cello sender. Stravinsky war mit
dem in Paris gebrachten „Feuervogel", der in Berlin gespielten „Pulcinella"-Suite und
der in Konigsberg aufgefiihrten „Geschichte vom Soldaten" vertreten, Honegger mit
seinem ,,Pacific 231", gespielt in Breslau, der „Konig David"-Suite, aufgefiihrt in Briinn,
ferner mit „Pastorale d'ete" und „Drei Kontrapunkte", gesendet von Kopenhagen.
Schonberg erschien im Kiilner Programm mit seiner „Verklarten Nacht" in der Bear-
beitung fiir Streichorchester, Weill mit seinem „Frauentanz" und Kodaly mit dem Duo
fiir Violine und Cello in Stuttgart, Jarnach mit der Sonatine fiir Klavier und drei
RUNDFUNK-UMSCHAU 485
Rhapsodien fiir Klavier und Violine in Frankfurt. Kaminskis Quartett fur Klavier,
Klarinette, Bratsche und Cello wird in Stuttgart gespielt, sein Quintett fiir Klarinette,
Horn, Violine, Bratsche und Cello in Hamburg. Im Leipziger Sender gelangt das C-dur-
Streichquartett op. 9 von Giinther Raphael zur Auffiihrung. Tscherepnin ist mit seinem
Kammerkonzert fiir Flote und Klavier im Miinchener Sender vertreten, mit dem Trio
op. 34 in Frankfurt, Prokofieff mit Klavierstiicken in Breslau, wahrend seine „Sinfonie
classique" in Wien aufgefiihrt wird zusammen mit Wladigeroffs Klavierkonzert. Die
Impressionisten kommen vorwiegend im Ausland zu Wort: Ravel mit „Ma mere l'oye"
in Stuttgart und Mailand, mit .,Daphnis et Cloe" in Paris und Klavierstiicken in Breslau,
Debussy mit dem Streichquartett in Hilversum, mit der Rhapsodie fiir Klarinette und
der Sonate fiir Cello und Klavier in Briissel und der Sonate fiir Violine und Klavier
in Frankfurt. Ein Schweizer Abend, von alien Sendern veranstaltet, lafit den Namen
Othmar Schoecks an verschiedenen Orten auftauchen. Leipzig bringt die D-dur-Sonate
fiir Klavier und Violine, Miinchen Lieder, Konigsberg sein Violinkonzert und Kopen-
hagen die Serenade op. 1.
Wenden wir nun die Aufmerksamkeit den zyklischen Veranstaltungen zu, so ver-
dient der 10. Abend in der von Miinchen gebrachten Beihe „Die Entwicklung der
Orgelkomposition" mit Werken von Zachau, Pachelbel, Heinrich und Joh. Christ. Bach
Erwahnung. Leipzig beschliefit seine „Tonende Operngeschichte" mit dem „Ernani".
Stuttgart bringt am letzten Abend eines Zyklus „Das deutsche Gedicht und die deutsche
Prosa der letzten 100 Jahre" verdienstvoller Weise Teile aus Schonberg-Georges „Hangende
Garten" und Hindemith-Rilkes „Marienleben". Kciln fiihrt an mehreren Abenden die
Entwicklung der Cellosonate vom 17. bis zum 20. Jahrhundert vor und erregt das
meiste lnteresse mit alten Werken von Pasqualini und Marcello.
Die Oper war mit einigen selten gehorten Werken vertreten. Cimarosas „Heim-
liche Ehe" wird von Langenberg und vom Mailander Sender iibertragen. Janaceks „Aus-
fliige des Herrn Broucek" iibernimmt der Briinner Sender vom dortigen Stadttheater.
„Euryanthe" erscheint in Leipzig, iibertragen von Weimar und in Konigsberg in einer
funkdramaturgischen Bearbeitung von Scherchen. Ein besonderes Verdienst erwirbt sich
Frankfurt mit der Ubertragung der beiden Weillschen Opern „Protagonist" und „Der Zar
lafit sich photographieren" aus dem Stadttheater. Der Berliner Sender iibertragt eine Auf-
fiihrung von Glucks „L'ivrogne corrige" in Swinemiinde, der Mailander Montemezzis
„Liebe der drei Konige" und Wolf-Ferraris „Vier Grobiane". Den Preis verdient aber
Konigsberg fiir die Auffiihrung des Busonischen „Dr. Faust" (auch in Scherchens funk-
dramaturgischer Bearbeitung).
Ist der Sommer auch nicht die Zeit grofier Begsamkeit in den Sendeleitungen, so
ist er doch die Zeit der Musikfeste und legt so indirekt dem Bundfunk Verpflichtungen
auf, die er zum Teil auch eingelost hat. Von den unzahligen Schubert- Veranstaltungen
verdient die Ubertragung der Serenade auf dem Josefsplatz in Wien Erwahnung. Vom
1. Arbeitersanger-Bundesfest in Hannover wurde Handels „Judas Maccabaus" durch
Hamburg und Miinchen iibertragen. Frankfurt verbreitet den Kantaten-Abend der
Handel-Festspiele in Gottingen, auf dem Handels „Apollo und Daphne" und „Lucrezia"
und Bachs „Streit zwischen Phobus und Pan" zu szenischer Auffiihrung gelangten. Das
wichtigste musikalische Ereignis des Sommers war wohl die „Deutsche Kammermusik in
486 ERNST LATZKO
Baden-Baden" und mit Genugtuung darf festgestellt werden, dafi sieben deutsche Sende-
gesellschaften davon Notiz genommen haben, einige sogar von mehreren Veranstaltungeri.
Das erste Programm mit Orgelwerken von Finke und Humpert, ■ Milh'auds „Ruckkehr
des verlorenen Sohnes" und Hermanns „Galgenlieder" wurden durch den Munchener
Sender verbreitet, das zweite mit Orgelwerken von Jarnach und Pepping, Hauers
„Wandlungen" und Roters „Reisebriefen eines Artisten" wird von Frankfurt, Hamburg,
Konigsberg und Stuttgart ubertragen und das dritte mit den Kurzoperft von Reutter,
Kneip, Gronostay und Mossolow von Berlin, Frankfurt, Langenberg und Stuttgart. Hier
ist also ein entscbiedener Fortschritt zu verzeichnen. Schliefilich muii nocb der Uber-
tragung des Kantaten abends des 16. Deutscben Bachfestes in Kassel gedacht werden,
mit der sich der Frankfurter Sender ein Verdienst erwarb.
Am 2. Juli jahrte sich zum 150. Male Rousseaus Todestag. Hier hatte der Rund-
unk die dankbare Aufgabe gehabt, die Erinnerung an den Musiker Rousseau wachzu-
rufen nnd Kompositionen von ihm aufzufuhren. Es gibt wenige Gelegenheiten, bei
denen der Rundfunk so schlagend seine Daseinsberechtigung nachweisen kann, wie da,
wo Theater und Konzert durch materielle Widerstande gehindert werden, ihre kulrurelleii
Verpflichtungen zu erfullen. Leider war Leipzig die einzige Station, die sich in diesem
Falle ihrer Aufgabe bewufit war und Rousseaus liebenswiirdiges Intermezzo „Le devin
du village" auffiihrte. Auch das Ereignis von Janaceks Tod fand im Rundfunk ganz
und garnicht den gebiihrenden Widerhall. Wenn die Sendeleitungen seine kunstlerische
Bedeutung unterschatzten, so hatte doch mindestens das Moment der Aktualitat, das
Vom Rundfunk stets so sehr betont wird, eine entsprechende Wtirdigung veranlassen
miissen. Statt dessen fanden es nur zwei deutsche Sender der Muhe wert, des Ereignisses
zu gedenken und der eine von ihnen, Berlin, machte es sich noch mit der Sonate fur
Violine und Klavier reichlich leicht. Leipzig brachte aufier einer Szene aus „Jenufa"
das Concertino und die Sinfonietta. In Prag erschien die Ballade fiir Orchester „Das
Kind des Dorfmusikanten" und die sinfonische Dichtung „Taras Bulba", in Briinn die
ursprungliche Ouvertiire zu „Jenufa", der Mittelsatz aus der Klaviersonate, „Der Tod"
iiherschrieben, Lieder, mahrische und slavische Tanze und die Suite op. 3.
Mit Aufmerksamkeit miissen die Bestrebungen verfolgt werden, die sich am besten
unter dem Schlagwort „Rundfunk und Schule" zusammenfassen lassen. Uber Ansatze
ist die Bewegung bisher nicht herausgekommen, sie verlauft auch nicht uberall gleich-
mafiig und gehort natiirlich nur zu einem Teil dem Gebiet der Musik an. In dem
dieser Betrachtung unterliegenden Zeitraum verdient ein Schulfunk-Programm aus Koln
Erwahnung: „Musik aus der Zeit Friedrichs des Grofien" mit Werken Friedrichs, Phil.
Em. Bachs, Grauns und Joh. Chr. Baclis. In diesen Zusammenhang gehoren auch die
Singstunden des Hamburger Senders, die teilweise auch von Frankfurt ubernommen
wurden.
Seit einigen Wochen fallt der Konigsberger Sender durch besondere Aktivitat auf.
Deutlich tritt — was hier immer vertreten wurde — das Bestreben hervor, im Rund-
funk diejenigen Richtungen zu bevorzugen, denen er seinen technischen Voraussetzungen
nach am besten gerecht werden kann und Liicken auszufiillen, die der Opern- und
Konzertbetrieb offen lafit. Also Musik, hinter der die Persflnlichkeit des Interpreten
moglichst zuriicktreten mufi, Musik mit ausgepragten formalen Elementen, denen gegen-
LEO TOLSTOI UND DIE MUSIK 487
uber das Moment der Klangfarbe unwesentlich ist, Musik, die durch ihre Stellung ab-
seits von der Heerstrafie des Gewohnlichen die Einmaligkeit der Auffiihrung rechtfertigt.
„Das musikaliscbe Opfer", „Die Geschichte* vom Soldaten", „Dr. Faust", diese drei Werke
reden eine deutliche Sprache, die hoffentlich em Programm bedeutet und die hoffentlich
auch von den anderen Sendeleitungen verstanden werden wird;
In den Rundfunkprogrammen findet sich bisweilen in den spaten Abendstunden
eine Sendung, „Funkpranger" betitelt, in der die verschiedenartigsten Vergeben gegen
den Rundfunkbetrieb bekanntgegeben und verurteilt werden. Nach diesem Reispiel sollen
auch hier die schlimmsten Siinden des Rundfunk festgehalten werden. Ubertragungen
von Scballplatten konnen unter Umstanden eine willkommene Bereicherung des Programme
bilden, aber eine solche Sendung mit der Uberschrift zu versehen: „Ist der Leib in Staub
zerfallen, lebt der grofie Name noch", wie das Breslau tut, zeugt doch von einer Ver-
kennung der Tatsachen. Ahnlichen Geist atmet folgendes Programm aus Wien : ,,Aus
der himmelblauen klassischen Musikepoche": Mozarts „Schauspieldirektor", Schuberts
„Hausliclaer Krieg" und Beethovens „Adelaide", von Hugo Miiller zu einem Genrebild
verarbeitet! Hoch anzurechnen ist es, wenn Berlin Bruckners f-moll-Messe aufTuhrt.
Wenn aber anschliefiend drei Stiicke von Grieg gespielt werden, so wird damit das
Verdienst in sein Gegenteil verlcehrt. Dieselbe Sendeleitung hat ja iibrigens auch ein
Programm unter dem gefahrlich-ironischen Titel angezeigt: Wer vieles bringt . . ." Ob
Goethes Theaterdirektor etwa Rundfunkintendant werden wollte ?
UMS GHAU
Eugen Braudo (Moskau)
LEO TOLSTOI UND DIE MUSIK
(Zum hundertsten Geburtstag des Dichters)
In Alexander Goldenweisers (eines bekannten Moskauer Pianisten) ,^Erinnerurigen
an Tolstoi" finden wir ein hochst bedeutsames Gesprach mit Tolstoi aus. dem letzten
Jahre seines Lebens verzeichnet. Der grofie Denker und Dichter behauptete, am
schwersten wurde ihm j,die Trennung mit Musik fallen". Mit der Tonkunst sei er durch
lange Jahre vollstandig verwachsen, und keine der Kiinste wirke auf ihn so tief ein,
als die Musik. <■.■■■ '
Die mannigfaltigen ■ Beziehungen Leo Tolstois zur Musik wiirden ein ausgibiges
Them a einer grofieren , Forschungsarbeit ergeben. Eine derartige Arbeit gibt es in der
einschlfigigen wissenschaftlichen Literatur unseres Wissens noch nicht. Ohne Anspruch
auf Vollstandigkeit, machen wireinen vorlaufigen Versuch, ganz kurz den Zusammen-
hang des literarischen und philosophischen Schaffens Tolstois mit dem Musikleben seiner
Zeit zu entwerfen. Auch interessiert uns durchaus die Einwirkung musikalischer Vor-
stellung auf seine Kunstanschauung als Ganzes.
Leo Tolstoi war bekanntlich Musikdilettant und mittelmafiiger Klavierspieler „fiir
den hauslichen Gebrauch." Mehr als irgend ein anderer russischer Dicliter liebte er die
488 EUGEN BRAUDO
Tonkunst und widmete sich musikalischen Interessen. Auch kniipfte er personliche Be-
ziehungen zu den groftten russischen Komponisten der zweiten Halfte des 19. Jahr-
hunderts an. Wahrend eines mehr als halben Jahrhunderts seiner schriftstellerischen
Tatigkeit war Tolstoi Zeuge einer unerhorten Entwicklung der neuen russischen Musik-
schule undVihrer Verwurzelung in einer eigenartigen Wirklichkeitsasthetik.
Und doch — wir gehen kaum fehl, wenn wir die von Tolstoi in seiner Jugend
und fruhem Mannesalter empfangene Musikeindriicke als tiefste und bestandig bis an
sein Lebensende auswirkende bezeichnen. Seine Sympathien auf dem Gebiete der Ton-
kunst neigten sich stets den westlichen, hauptsachlich deutschen Klassikern und Roman-
tikern zu. Noch in seinem letzten Lebensjahr horte Tolstoi besonders gern Beethoven, wie
das von Goldenweiser, seinem musikalischen Eckermann, bezeugt wird. Auch fur
Schumann interessierte er sich lebhaft. Die letzte Musik, die ihm das Schicksal zu
horen vergonnte, war Chopin. Eine Tschaikowsky-Biographie war das letzte Musikbuch,
welches in seinen Gesichtskreis kam.
Seiner Geschmacksrichtung nach miissen wir Tolstoi als einen typischen Vertreter
der hoheren russischen Intelligenz bezeichnen, welche bis an die letzte Zeit der einzige
Konsumentenkreis hoher Musikkunst in RuGland war. Von diesem Standpunkt aus
verwarf Tolstoi die Tonkunst, als Mittel gesellschaftlicher Erziehung der Volksmassen.
Die Tonkunst war fiir ihn genau wie seine eigene dichterische Tatigkeit „ein schleichen-
des Gift, welches die gesunde Natur des Menschen zersetzt". Er empfand es scharf,
dafi Beethovens Sonaten, Mozartsche Quartette und Ghopins Klavierwerke ebenso wie
Tschaikowskys Kammermusik und Skriabinsche Kleinigkeiten, welche er in seinen letzten
Tagen kennen lernte — ein Buch mit sieben Siegelil fiir das Volk seien. Eine zweck-
lose Verschleuderung von Staatsmitteln sei die Organisation offentlicher Konzerte und
Opernvorstellungen. Das Volk geht seine eigenen "Wege abseits dieser Scheinkultur und
kummert sich iiberhaupt nicht um den ganzen staatlichen Musikbetrieb.
Durch diesen Gedankengang entstand eine gewisse Zwiespaltigkeit Tolstois in der
Bewertung der Tonkunst als einer Quelle hohen Genusses fiir ihn selbst und etwas
den grofien Volksmassen absolut Unzuganglichen. Jedem Tolstoikenner wird wohl die
hochst ironische Beschreibung einer Siegfriedprobe im grofien Moskauer Operntheater in
seiner Abhandlung „Was ist Kunst?" erinnerlich sein. An diesem Beispiel zeigt Tolstoi
mit unerbittlicher Scharfe, wieviel Lug und Trug der ganzen Aufmachung einer grofien
Oper anhaftet und welche negative soziale Auswirkung eine derartige Verschleuderung
grofier Geldsummen in einem bitteren Hunger] ahre birgt. Tolstoi brandmarkt ferner
die ziinftige Vergroberung Aller, welche gewerbsmafiig Kunst betreiben, das rucksicht-
lose Gebahren der Regisseure, des Kapellmeisters, die entwiirdigende Behandlung des
Orchester- und Choristenpersonals ... und doch finden wir in der ganzen russischen
Literatur kaum glanzendere, tiefer mit Liebe zur Musik durchdrungene Seiten, als bei
Tolstoi. Seine Anfeindungen des musikalischen Betriebs seiner Zeit werfen ein merk-
wiirdig grelles Licht auf die widernatiirliche und antisoziale Lage einer Massenkunst,
deren Benutzer kiinstlich auf einen kleinen Kreis Intellektueller begrenzt ist. Dieser
Kreis ist aufierstande sich das Wahre der Kunst aktiv anzueignen.
Der Musikkultur der hoheren Kreise stellt Tolstoi die Volkskunst entgegen. Uber
die Bedeutung dieser Kunst, fiir welche der Massenmensch unmittelbar empfanglich ist,
UBER DIE KULTMUSIK IN DEUTSCHLAND 489
spricht Tolstoi mit grofiter Varme, doch stellenweise abstrakt und nicht geniigend sach-
gemafi. Die Volkskunst erscheint als etwas viel Wichtigeres, als die hohe musikalische
Production, denn nur in derartiger Musikiibung sei ein wahres Mittel Gefiihle in der
Allgemeinheit zu verbreiten. Die Musik, als jegliche andere Kunst „ist nur dann
existenzberechtigt, wenn sie Gefiihle, welch e der Allgemeinheit niitzlich sind, verbreitet"
dieser Ausspruch kront sein Essay iiber Kunst. Wenn die moderne Musik, welche nur
auf einen kleinen Gonnerkreis berechnet ist, nur ein Mittel der moralischen Zersetzung
ist, so birgt gerade die Volkskunst allgemeinmenschliche Werte. So finden wir in ver-
schiedenen Werken Tolstois, wie etwa im „Krieg und Frieden" direkte Verherrlichungen
des russischen Volkslieds, des volkstiimlichen Tanzes usw.
Die scharfe Kritik, welche Tolstoi an der zeitgenossischen Kunst ubt enthalt eine
Anzahl grofiartiger Gedanken. Docli sclieint Tolstoi die Moglichkeit tieferer Auswirkung
der Kunst durch Erweiterung seines Benutzerkreises nicht vorausgesehen zu haben. Die
„Kreutzersonate" blieb fur ihn in einem erotisch tiberhitzten Milieu eingekerkert. Doch
unsere Zeit schuf hier einen Wandel, welcher dem grofien Dichter in seiner ethischen
Abgeschlossenheit als eine Unmoglichkeit erschien.
OSKAR GUTTMANN (Breslau)
UBER DIE KULTMUSIK IN DEUTSCHLAND
Bemerkungen zur kirchenmusikalischen Woche in Breslau.
1.
Vom 16. bis 22. April 1928 wurde in einer „kirchenmusikalischen Wdche" in zehn
Kirchenkonzerten gezeigt, wie reich der Besitz an deutscher, protestantischer Kirchen-
musik aus der Zeit vor Bach ist. Der Breslauer Ordinarius fiir Musikwissenschaft Max
Schneider sei hier aus seiner Einfuhrung angefiihrt, die dem Programmbuch den wissen-
schaftlichen Boden gab:
„Die Geschichte der protestantischen Kirchenmusik umfafit jetzt vier Jahrhunderte.
Nur wenig mehr als die Halfte davon bedeutet Aufstieg . . . Das iibrige ist Stillstand und
Niedergang. Dem zeitweise recht steilen Aufstieg entspricht ein Verfall, iiber dessen
vielfach erschreckende Folgen . . . nichts langer hinwegtauschen kann. Und dem
einstigen schier unerschopflichen Musikreichtum der Kirch e Luthers steht im zwanzigsten
Jahrhundert eine wohl beispiellose Verarmung gegeniiber, eine Verarmung, die heute
weiten evangelischen Kreisen Entschlufikraft aufzwingt zum Wiedergewinnen des Ver-
lorenen ....,"
Der Verfall ist festgestellt; und seine Griinde? — Ihnen soil, um einen unter-
richtenden Uberblick iiber den Stand der Kultusmusik in Deutschland, wenigstens in
der Skizze, zu bekommen, in der protestantischen Kirche und auch kurz in der katho-
lischen Kirche und in der Synagoge nachgegangen werden, angefangen bei der als letzte
Genannten.
490 OSKAR GUTTMANN
2.
Die Synagogenmtisik ist im Begriff am Ubermafi von Tradition zu Grunde zu
gehen oder dem, was man ganz falsch dafiir halt; denn diese Tradition ist vielleicht
hundert bis . hundertfiinfzig Jahre alt (nicht Jahrtausende, wie man wahnt,) also
uberhaupt keine, sondern besten Falles eine Gewohnheit, die heute durch nichts mehr
zu rechtfertigen ist. In dieser Gewohnheit ist man erstarrt; die sonst so kritischen
Horer der Synagoge sind ihrer Musik gegeniiber von einer gefahrlichen Toleranz. Jede
Neuerung wird abgelehnt, man will nichts anderes als die Melodien der Vater und
wird dabei nicht gewahr, wie ihre inn ere Kraft immer mehr abnimmt, weil sie mu-
sikalisch verbraucht sind. (Das Psychologische bleibe aufier Betracht.) Wenn hier nicht
sehr bald, hoffentlich von einer interessierten Jugend, neues Blut und neue Kraft in
die synagogale Musik stromen, wird sie als Kunsterscheinung zu Grunde gehen.
3.
Der Verfall der protestantischen Kultmusik hat den gegenteiligen Grund. Nicht
Ubermafi, sondern Fehlen, Aufhoren, Abreifien der Tradition hat diese „beispiellose
Verarmung" bewirkt. Die Schuld an dem Verfall aber tragen die ausfuhrenden Ver-
mittler ebenso wie die auch hier kritiklosen Horer.
Die Leistungen der musikalischen Organe in den zehn Breslauer Kirch en (zu denen
noch eine elfte kam, die an einem Klughardtschen Oratorium das mit erwies, was im
Folgenden ausgefiihrt ist. Die Wahl des Werkes zeigt ubrigens, was man in der Kirche
noch der Galvanisierung fur wert halt; aber was tot ist, ist ganz tot.) diirfen wohl als
gehobener Durchschnitt betrachtet werden; man wird in eine Grofistadt sicherlich nur
Organisten und Chordirektoren berufen, die musikalisch ein Gesicht haben und ein
bestimmtes Niveau halten. Da ware also zu sagen: Ein grofier Teil der Organisten ist
fiir Dirigieren wenig begabt. Sowie die Herren vor einem Chor stehen, versagen sie,
ihr Dirigieren oder ihre, oft ganz falsch verstandene, Chironomie sind ohne Wirkung.
Eine kiinstlerische Leistung kann nicht zustande kommen. Wie soil bei solcher Be-
hinderung noch auf eine stilgemafie Ausfuhrung geachtet werden, wenn man froh sein
mufi, dafi alle zusammen aufhoren? Eine erste Forderung zur Hebung der protestan-
tischen Kirchenmusik ist also die Trennung des Amtes des Organisten von dem des
Chordirektors. Das darf nicht Ausnahme, das mufi ausnahmslos die Begel sein. Nur
so werden die Chore allmahlich wieder leistungsfahige Instrumente der Kirchenmusik
werden und die Forderungen erfiillen konnen, die man an sie stellen mufi.
Auffallend war, dafi nicht alle Organisten als Orgelspieler befriedigten. Wie soil
die riesenhafte Orgelliteratur lebendig gemacht werden, wenn schon das aufiere Er-
fordernis, die Spieltechnik, nicht hinreicht?
Endlich haben leider nicht alle beamteten Kirch en musiker das Bestreben, die An-
regungen, die sie auf den Ausbddungsinstituten bekommen, weiter so auszubauen, wie
es unbedingt notwendig ist. Das Erstrebte, ein Amt, ist erreicht, der Dienst wird
versehen, im iibrigen aber herrscht eine gefahrliche Gleichgultigkeit.
. 4.
Mit diesen Mitteln ist also heute dem Verfall nicht abzuhelfen, eine neue Bhite
der protestantischen Kirchenmusik nicht heraufzufiihren, nachdem die Tradition verloren
UBER DIE KULTMUSIK IN DEUTSCHLAND 491
gegangen ist. Der Bationalisiiius der zweiten Halfte des achtzehnten Jahrhunderts, der
sie mit vernichtet hat, wirkt bis heute noch verderblicli nach. Denn hieraus resultiert
ja , zuletzt der Indifferentismus der verantwortlichen Organe, der aber freilich wieder
gestiitzt oder wenigstens nicht gestort wird durch die geringe Anteilnahme der kirchlichen
Horer; denn diese nehmen die Kirchenmusik, wie sie ihnen heute geboten wird, kritik-
los hin.
„Die Dauer der Religionen war immer davon abhangig, ob war ihrer noch be-
durften", steht in Heines „Geschichte der Religion und Pliilosdphie in Deutschland".
Die Dauer der Musik dieser Religionen ebenfalls, konnte man variieren. In einem Re-
ferat iiber musikalische Erziehung hier wurde erwahnt, dafi ein Organist als Nachspiel
bei einer Training das zweite (lyrische) Thema der Tschaikowskyschen Sinfonie pathe-
tique spielte, sogar in eigener Harmonisierung. Kein Mensch habe sich dariiber
aufgehalten . . . Dies ist kein Ausnahmefall. Gewifi singt man beim Gottesdienst die
alten schonen Chorale noch mit, aber nicht aus dem Redurfnis heraus zu singen und
nicht aus Anteilnahme an der musikalischen Gestaltung des Gottesdienstes, sondern aus
Gewohnheit. Und auf das, was der Kirchenchor singt, hort kaum einmal jemand. Die
Organisten und Chordirektoren finden ja selbst fur Kunstleistungen wenig Resonanz bei
der Gemeinde oder bei der Gemeindevertretung, selten einmal bei einem musikinteres-
sierten Geistlichen. (Da iibrigens am ehesten.) Also: bedarf man denn eigentlich noch
in der protestantischen Kirche heute der Musik, ist man durchaus versucht zu fragen ?
5.
Wenn sich also wirklich der fur die Musik verantwortliche Beamte (das heifit, er
sell eben kein Beaniter, sondern ein Kiinstler sein und ein Vorkampfer fur die Musik
seiner Kirche) bemiiht alte Musik zu bringen, eine Tradition zu schaffen, die Horer zu
erziehen, ihre Herzen und Ohren wieder fiir die alte a-capella Kuhst zu offnen — er
stoftt auf zu wenig Verstandnis; denn es fehlt den Horern zu allem noch die Tradition
des Horens. Dies erwies die kirchenmusikaliche Woche am deutlichsten. Es wurde da
einmal ein Gottesdienst gehalten wie zur Zeit des 16. Jahrhunderts mit der alten Li-
turgie, psalmodierend, den Wechselgesangen der Gemeinde, herrlichen Motetten und
Choren von Joh. Walther, Stobaus, Eccard imd Vulpius. Die Horer langweilten sich,
sobald sie aufgehort hatten sich zu wundern oder zu lacheln, seien wir doch ehrlich.
Genau so innerlich unberiihrt stand man den anderen alten Meistern (ich nenne ein
Paar: Tunder, Scheidt, Weickmann, Handl) und ihrer unbegleiteten Chormusik gegenuber.
Man machte sich doch nichts vor.
Es wurde die Matthaus-Passion von Schiitz gesungen, in ihrer urspriinglichen
Form, unbearbeitet, ohne Begleitung, iibrigens in einer vortrefflichen Wiedergabe.
Es war dasselbe. Eine kleine Weile fesselte die Art, dann wurde kein Eindruck
mehr erzielt, nur die Worte des Evangeliums riihrten noch an der Seele der
Horer. Dies hatte aber der Text ohne musikalische Rezitation audi getan. Fiinf-
viertelstundenlang diese Musik war schon viel zu viel. Dazu kommt, dafi man das
Bachsche Werk iiberall durchklingen hort. Das magsehr unhistorisch und falsch sein,
aber Kirchenmusik ist kein musikgeschichtliches Kolleg. Gegen ihre Gefiihle konnen
die Menschen nicht. Denn — und das ist ja uberhaupt der erste Grund — unser Ge-
hor ist durch Orchester und Orgel (und Joh. Seb. Bach natiirlich) fiir die Musik dieser
492 HEINRICH STROBEL
Art vor aufig verdorben wie es durch Orchester und den modernen Eltigel fur das
wundersame Cembalo verdorben ist Schon die Orgelmusik um 1600 spricht aus diesem
Grunde mehr an als die a-capella-Chormusik, weil das Instrument an sich auf uns be-
lebend wirkt. Auch hier wird der Masse die moderne Orgel stets mehr geben als die
a te Pratorius-Orgel mit ihren rekonstruierten Barockregistern und den ungewohnten
Klangfarben, so sehr diese auch die Kundigen entzucken. (Das tut ja das Cembalo
auch.) Unsere Ohren sind ja so verdorben (andere sagen: verwohnt), dafi diese ganze
wundervolle Kunst als primitiv empfunden wird, primitiv gleich entwicklungsunffihig.
Dazu hort man nur alle Jubeljahre ein paar Kostproben — denn von einer Pflege
kann keine Rede sein — in nicht zureichender Wiedergabe, wo soil die Bliite herkommen?
Wenn man die Masse der Horer in den protestantischen Kirch en iiberhaupt nicht von
vornherein endgiiltig abschrecken will, darf man ihnen diese alte Kunst nur in hochster Voll-
kommenheit vorfuhren. Dafi dies geschieht, ist Sadie derer, in deren Hande die protestan-
tisclie Kirchenmusik gegeben ist. Hier sollte nur einmal ganz klar gesagt werden, was ist.
6.
Die Synagogenmusik geht am Ubermafi, die protestantische Kirchenmusik am
Fehlen der Tradition zn Grunde. Dafi die katholische Kirchenmusik nicht so stagniert,
e » da ran, dafi die katholische Kirche stets so klug ist, sich neuen kimstlerischen Bestrebungen
niemals zu verschliefien. . Sie versucht stets die hier wirklich uralte Tradition mit der
Gegenwart zu verbinden. Von oben herunter wird dies gefordert, und die Glaubigen
sind viel zu diszipliniert als dafi sie auch nur ein einziges Wort dagegen zu sagen
wagten. Die Musik, die hier die Kirche bietet, und sei sie noch so modern, kommt
eben von der Kirche und wird ebenso glaubig hingenommen wie alles andere. Daher
kann man in katholischen Gegenden in den Kirchen modernste Musik horen, eine Messe
von Joseph Messner, Psalmen oder ein Magnificat von Heinrich Kaminski werden ge-
bracht Werke, die „berechtigten" Anstofi bei den Musikreaktionaren erregen, wenn
sie, wie dies letztgenannte, beispielsmafien in Breslau im Konzertsaal aufgefiihrt werden . . .
Man sehe, wie die ganze a-capella-Zeit lebt, in jeder italienischen Kirche hort man
meisterhafte, stilvolle Wiedergaben, weil die Tradition nie abrifi, man vergleiche die
Aktivitat des „Cacilienvereins" mit der des „Evangelischen Kirchen-Gesangvereins fiir
Deutschland", man denke an den letzten Gipfel katholischer Kirchenmusik, an Bruckner,
und man wird, alles das hier Gesagte nachdenklich betrachtet, nicht im Unklaren sein
konnen, wie dem Verfall der protestantischen Kultmusik Einhalt geboten werden kann.
MUSIKLEBEN*)
Heinrich Strobel (Berlin)
ZEITSCHAU
Man erinnert sich jenes Preisausschreibens der Columbia-Grammophon-
Gesellschaf t, von dem auch an dieser Stelle schon die Rede war. Zuerst wurde
*) Der Teil ,,Musikleben" steht Vein diesem Heft an unter der verantwortlichen Sclinftleitung von
Dr. Heinrich Strobel. ■ ■ ■ ■
ZEITSCHAU 493
eine stilvolle Vollendung der h-moll Symphonie verlangt, dann einigte man sich auf
Kompositionen im Geist Schuberts. Nun liegen die Preistrager vov: fiir Deutschland-
Holland sind es Hermann Wunsch (750 Dollar fiir eine Symphonie), Kurt von Wblfurt
(50 Dollar fiir Variationen iiber ein Thema von Mozart) und Johann C. Berghout
(Ehrenzeugnis). Den internationalen Hauptpreis von 10000 Dollar erhielt Kurt Atter-
berg fiir eine Sinfonie. Uber die Unproduktivitat der ganzen Angelegenheit ist kein
Wort mehr zu verlieren. Aber iiber die Bemerkungen, welche die Genossenschaft
deutscher Tonsetzer, als Beauftragte fiir die Zone Deutschland-Holland, zu dem
Ergebnis des Preisausschreibens macht, sind noch ein paar Worte zu sagen. Sie wundert
sich, dafi im ganzen „nur etwa 100 Partituren eingegangen sind, woraus sich der Riick-
schlufi ergibt, dafi die schopferische Kraft unserer Komponistengeneration stark gehemmt
ist, und das grofiziigige Preisausschreiben wie das eben durchgefiihrte sich da vielleicht
anregend auswirken konnten".
Uns scheint ein anderer Schlufi zutreffender. Die geringe Beteiligung an dem
amerikanischen Unternehmen spricht fiir den gesunden Sinn der jungen Komponisten-
generation. Sie lafit sich nicht durch unsinnige Preisausschreiben hemmen. Sie hat
Wichtigeres zu tun, als Symphonien im Geist Schuberts zu schreiben. Auch wird sie sich
hiiten, ihre Arbeiten einer Jury zu unterwerfen, in der Manner so ausgesprochen gegnerischer
Einstellung zur neuen Musik sitzen, wie Schillings, Alfano oder Schalk. Man komme
mit einer fruchtbaren Idee zu den jungen Musikern — und sie werden sie aufnehmen.
Das ganze Preisausschreiben ist nicht nur bezeichnend fiir das kulturelle Parvenii-
tum, fiir das bigotte, aufierliche Pietatsgetue der Amerikaner — es ist leider auch
symptomatisch fiir die Einstellung der gesamten Grammophonindustrie. Die grofiartigen
neuen technischen Mittel hangen im Schlepptau verblasener Ideologieh. Sie sind, nimmt
man einige besonders verdienstiiche Platten der Deutschen Grammophon aus, Hort
des Unlebendigen, der Kaminbequemlichkeit, des Kitsches, und konnten doch, richtig
angewendet zu Tragern des Heutigen, Jungen werden. Man redet sich immer auf den
Geschmack des Publikums heraus. Aber man front ihm nicht nur da, wo es aus ge-
schaftlichen Griinden noch verstandlich erscheinen mag, sondern auch da, wo man freies
Verfiigungsrecht hatte. Die Zehntausende von Dollars fiir eine produktive Idee auszu-
setzen — daran denkt man leider nicht. Der Preis soil nun in Zukunft jahrlich ver-
geben werden. Hoffentlich wird man einsichtig.
Man konnte sich ein Beispiel nehmen am Frankfurter Rundfunk, der nun
schon zum zweiten Mai bei einem fiihrenden jungen Musiker eine Arbeit zu seiner
ausschliefilichen Verwendung bestellt hat. Im vorigen Jahr bei Hindemith ein Konzert
fiir Orgel und Kammerorchester, in diesem bei Weill eine Kantate fiir vier Sanger und
kleines Orchester: „Gedenktafeln, Grabschriften und Totenlieder". Es ist der erste
Vorstofi, die musikalischen Mittel der Zeit den spezifischen Bedingtheiten des Rundfunks
anzupassen. Von hier aus lafit sich allmahlich der neue Typus des musikalischen Send-
spiels schaffen. Der Einbruch lebendiger Krafte in den Rundfunk ist inzwischen auch
an anderen Stellen erfolgt. Der ostpreufiische Rundfunk hat zum ersten Mai einen be-
deutenden modernen Musiker als Leiter berufen : Hermann Scherchen, und am Klind-
worth-Scharwenka Konservatorium in Berlin hat Max Butting e n Studio fiir Badio-
musik eingerichtet. ,
494 HEINRICH STROBEL
Der Kampf um die Auffuhrungsgebuhren erregt augenblicklich die Gemtiter.
Man wei6, dafi bei der Gem a Ungenauigkeiten vorgekommen sind. Inzwischen ist
der belastete Hofrat Bryk aus der Gema ausgeschieden. ,.. Die Angelegenheil
wird gerichtlich weiter verfolgt. Uber diesen Einzelfall hinaus interessiert die Frage der
Auffuhrungsgebuhren ganz allgemein. Die Umwalzung ,des Musikverbrauches, die durch
das Aufkommen des Rundfunks, durcb die gesteigerte Bedeutung der Filmmusik her-
vorgerufen wurde, -mufi zu einer bedeutenden Erweiterung des Aufgabenkreises der Auf-
fuhrungsrechts-Gesellschaften fiihren. Es bestehen nach den neuesten Verlautbarungen
Moglichkeiten, dafi sich die verschiedenen Gesellscliaften . zu gemeinsamer Arbeit
zusammennnden. Die Erreichung dieses Zieles ware nur zu wiinschen, damit
endlich Klarheit gesehaffen und der Stoff zu standige.n, Konflikten beseitigt wird, bevor
durcb die Griindung einer Verbraucber-Organisation erueut Reibungsflachen entstehen.
Die Theater- und Konzertsa is on hat ungewohnlich stark eingesetzt. Schon
im Oktober gibt es eine Reihe beach tlicher Urauffiihrungen. Die beiden wiclitigsten
modernen Werke dieser Spielzeit werden aber erst in der zweiten Halfte der Saison
herauskommen : Hindemiths neue Oper und Weills „Mahagonny". Reide unter
Klemperers Leitung in der Berliner Staatsoper am, Platz der Republik. Wir ergiinzen
unsere friiher bereits gegebene Uberschau uber die Urauffuhrungen durch die folgende
Zusammenstellung, auf Grund der neuen Spielplane. Berlin bringt aufier den beiden ge-
nannten Werken in der Oper Unter den Linden Anfang Dezember Schrekers „Singen-
den Teufel", in der Stadtischen Oper Bittners „Mondnaclit" und bei Klemperer
Janaceks „Memorien aus einem Totenhaus". „Sache Makropulos" erscheint in Frank-
furt. Kassel kiindigt eine neue Oper von Dress el an: „Kuchentanz". Leipzig hat sich
diesmal auf d'Albert („Schwarze Orchidee") und Wetzler („Raskische Venus") festgelegt.
Darmstadt bringt die „Rettler-Oper" in historischer Fassung, Dusseldorf Reutters
„Saul" in neuer Gestalt und „Der verlorene Sohn" und spater Windsp er gers Requiem".
Dann eine Reihe neuer Namen: Rosenberg („Was Ihr wollt", Aachen), Scholz (,,Dpn
Diego", Braunschweig), Wagner-Regeny („Moschopulos und der nackte Konig", Gera)
Lothar („TyU", Weimar).
Heinrich Strobel (Rerlin)
DIE INTERNATIONALE IN SIENA
l.
Man mufite von dieser phantastischen Stadt erzahleh — von dem strengen, wehr-
haften Mittelalter, das heute noch aus diesem Gewirr von engeri Gassen und dusteren
Palasten, aus diesen gewaltigen Mauern und Toren, rings uni das nackte Felsfundameht,
mit einzigartiger Unmittelbarkeit entgegenblickt. Man mtifite erzahlen von dieser
wundervollen toskanischen Landschaft, sanft gewellt, in der tropischen Hitze dampfend,
DIE INTERNATIONALE IN SIENA 495
alii Abend, ' wenn die vereinzelten Cypressen, die verstreuten Gehofte sich dunkel ab-
heben und die untergehende Sonne die Schatten scharf heraushebt, in stetig wechseln-
den Farben schimmernd, — von San Gimigniano, dessen dreizehn alte Wehrtiirme sich
vori der Hohe des Hugels in den blauen Himinel bohren: wundervolle Kronung des
Landschaftsbildes, einer der unvergefilichsten Eindrucke, die Italieri, abseits vom plump
industrialisierten Fremdeiibetrieb, bieten kann: Aber schliefilich sind wir der Musik
wegen hier zusammengekommen. Um es vorauszuschicken : Man hat es an freigebiger
Gastfreundscbaft, an grofizugiger Organisation nicht fehlen lassen. Die Empiange bei
der Stadt. im herrlichen Palazzo Pubblico, beim senesiscben Mazen Conte Chigi-
Sar acini hatten grofies Format, und die Sonderveranstaltung des Palio, eines farben-
frohen Schauspiels auf dem Campo, das in einem hinreissenden Pferderennen kulminiert,
liess das Sechste Fest der Internationalen Gesellschaft fur Neue Musik fur einen Nach-
mittag wenigstens wirklich zum Volksfest werden.
Das mag dem Presidium nicbt angenehm gewesen sein. Denn man wollte unter
sich bleiben. In seiner Eroffnungsansprache betonte Professor Dent ausdriicklich, man
habe Siena deshalb zum internationalen Festort gewahlt, weil seine Lage abseits vom
grofien Verkehr, sein aristokratiscbes Geprage jene Intimitat und Exklusivitat garantieren
wiirde, auf welch e es der I. G. N. M. ankame. Hier liegt das Problem offen. Was
Frankfurt ahnen lie£, bestatigte Siena : die zunehmende Isolierung der I. G. N. M. Aus
einer jungen Organisation, die unmittelbar nach dem Krieg die vorwartsdrangenden
Krafte aller Nationen zu produktiver Arbeit sammelte, ist eine unproduktive Vereinigung
geworden, die gewohnheitsmafiig Musikfeste veranstaltet — unbeschadet um das, was
an Wesentlichem und Zukunftweisenden in der gegenwartigen Musik sich ereignet. Es
gab in Siena wenig, was aufierbalb jenes engen Kreises von „Fachleuten' - inter-
essiert hatte. Die Horer langweilen sich. Aufierdem bekommen sie zum Teil alte,
langst abgespielte Arbeiten zu horen. Die deutsche Sektion beschliefit einen Protest
„gegen die Abhaltung eines Musikfestes im Jahre 1929, falls nach Ansicht des Delegierten
und der in Siena anwesenden Deutschen das dortige Programm den deutschen An-
spriiclien wieder nicht geniigt". Der Protest unterbleibt, obwohl das Sienesische
Programm noch erheblich hinter dem Frankfurter zuriicksteht. So wird man sich also
im nachsten Jahre in Genf treffen und im iibernachsten in Ltittich.
2.
Man mufi nach dem Sinn derartiger Veranstaltungen fragen, xiber das Gesell-
schaftliche hinaus. Im besten Fall konnten sie eine tlberscbau bieten tiber die richtung-
gebende internationale Produktion. Freilich miifite da der enge Rahmen des Konzerts
gesprengt, miifiten andere, inzwischen gewonnene Gebiete einbezogen werden. Das
Wesentliche, Typische ware herauszustellen. Gerade aber die Nationen, welche die
moderne Entwicldung fuhrend bestimmen, waren diesmal ganz ungeniigend verti-eten.
Hindemiths Reihe kleiner Stiicke deutet, an der Grenze zwischen Konzert und neuer
Hausmusik stehend und von Franz O shorn ganz vortrefflich gespielt, wenigstens die
sachlich strenge Haltung der jungen deutschen Musik an. Aber schon Tiessens Duo fur
Geige und Klavier, dann die .magere, den strawinskyschen Klassizismus zur leeren
Spielerei verdiinnende Cellosonate von Casella, eine andere Gellosonate von Franco
Alfano in ihrer peinlichen Opernhaftigkeit, das fade, akademisch sterile Quartett von
496 HEINRICH STROBEL
To m as sin i, das vollends gestaltlose Quartett von Frank Bridge: ist das irgendwie
typisch? Selbst die schone Geigensonate von Ravel war hier niclit am Platz, wo man
junge franzosische Musik erwarten mochte. (Man hatte sie unfranzosischer, kaum
derber interpretieren konnen als diesmal.) Ernest Blochs aufdringliclies Klavier-
quartett mufite auch wieder ertragen werden. Dafiir blieb unbegreiflicherweise das
einzig neue Stiick des Schlufikonzerts, das Quintett von Prokofieff, im letzten Augen-
blick weg — angeblich weil die Stimmen zu spat eingetroffen waren.
Die wenigen wichtigeren Arbeiten sind schnell aufgezahlt. Martinus Quartett
kennen wir scbon von Baden-Baden her. Ein klar geformtes Stiick von ursprtinglicher
Musikalitat und stiirkster Volksverbundenheit. Der Schweizer Bobert Blum bekennt
sich zu deutscher Polyphonic. Seine Musica per 8 stromenti fallt durch ihren gleichmafiigen
melodischen Flufi, durch die saubere Haltung auf. Nicht alles ist so originell wie
die Fuge, der Formbau sitzt noch nicht. Aber hier ist Talent.
Manuel de Fallas Konzert fur Cembalo und einige Instrumente projiziert den
neuen spielfrohen Konzerttyp ins Spanisch-Impressionistische. Ein reif'es und bezaubernd
klingendes Werk mit einem kirchentonal archaisierenden Mittelsatz, gerade noch knapp
genug, ran bei der relativ geringen thematischen Kontrastierung zu fesseln.
Auch Anton Web ems neues Streichtrio, das an die Grenzen der Musik f'uhrt, ohne
die suggestive Wirkung friiherer Arbeiten desselben Komponisten zu erreichen, erschien
in Siena. Es gab den obligaten Tumult, in dessen Verlauf ein italienischer Kritiker sich
ohne jeden Anlafi hatte beinahe zu Tatlichkeiten gegen eine fuhrende Personlichkeit
der deutschen Musikkritik hinreifien lassen.
Mochte die Idee eirjes Kammermusikfestes an sich schon bedenldich sein in einem
Augenblick, wo sich die gesamte junge Musik von der reinen Kammermusik abwendet,
so schien die iiberstrenge Fassung dieses Begriffs vollig unverstandlich. Bezeichnend
genug fur die Tendenz der I. G. N. M., dafi die beiden Stiicke, welche die Briicke zur
Gebrauchsmusik schlugen, nicht im Rahmen der offiziellen Konzerte zu horen waren.
Es handelt sich in beiden Fallen urn geistreiche Stilisierungen des Jazz. Der Prager
E. F. Burian stellt seine Voice-Band vor, ein Ensemble, das in. raffinierten Ubergangen
vom rhythmischen Gerausch zum angedeuteten Gesang Dichtungen vortragt, oder Im-
pressionen festhalt. Am besten ist das Parodistische — etwa das „Week-end" mit
Bahnhofslarm und franzosisch-englischem Durcheinander oder die erregende Gestaltung
moderner Tanztypen. Der Euglander Walton lafit in seiner „Facade" einen Sprecher
durch das Megaphon rezitieren und macht dazu allerhand lustige, ausgezeichnet klingende
Jazzmusik. Auch er ist am gliicklichsten, wenn er (nach Strawinskys Vorbild) parodiert.
Die Italiener gaben drei Sonderkonzerte. Hatten sie die Diirftigkeit des offiziellen
Programms eingesehen? Zweimal alte Musik: bei Molinari mit seinem klanglich
einzigartigen Augusteo-Orchester und bei Casimiri mit seiner auch in Deutschland
bekannten Polifonica Bomana. Beide Male war es alte Musik im Stile der expressiven,
farbigen Musik des 19. Jahrhunderts. Dann dirigierte Casella die grandiosen „Noces"
von Strawinsky. Trotz einer ungenauen, die wundervolle Harte Strawinskys
nivellierenden Wiedergabe der starkeste Eindruck des Festes. Es ist das russisch-nationalste
Werk des grofien Musikers, zukunftweisend wie kaum ein anderes aus seiner zweiten
r
MELOSBERICHTE
497
Schaffensperiode, noch von der hinreifienden Vitalitat der vorausgehenden grofien
Ballette, aber auch schon von der Strenge und formalen Konzentration der spfitereii
Arbeiten. Unbegreiflich, dafi es in Deutschland noch kaum gespielt wurde.
3.
Siena war das Fest der Belanglosigkeiten. Die I. G. N. M. hat daran gewifi selber
viel Schuld. Doch ware es falsch, in i'hrer Isolierung allein die Ursachen fur das Mifi-
lingen zu suchen. Sie liegen tiefer. Die Idee des Musikfestes ist iiberlebt. Was heute
an wichtigen musikalischen Werken gutsteht, gehort nicht vor das Forum eines gesell-
schaftlich-fesdichen Horerkreises. Die Grundlagen haben sich verschoben. Damit er-
wachsen auch fur die I. G. N. M. neue praktische Aufgaben : intensive Pflege der Organi-
tation, Forderung der internationalen Zusammenarbeit. Die I. G. N. IVI. als representative
Vereinigung der modernen Musiker mufite einen kunstpolitischen Machtfaktor darstellen.
Dazu ware allerdings erforderlich, dafi sie auch wirklich alle schopferischen Krafte neuer
Musik umfafit.
MELOSBERICHTE
„A'gyptische Helena"
u. „Dreigrosclienoper"
in
Berlin
Die Arbeitsgebiete
der Berliner Oper
haben sich deutlich
gegeneinander abge-
grenzt. Das Haus
Unter den Linden dient der reprasentativen
Oper grofien Stils mit einer Elite grofier
Namen. Die Stadtische Oper spielt fiir den
bequemenMittelstandsabonnenten ein durch-
schnittliches Provinzrepertoire. Nur wenn
Walter am Pult ist, gibt es aufierordent-
liche Leistungen. Die lebendigen Krafte
sammehi sich bei Klemperei; der Legal
iiber sich als Intendanten gesetzt hat. Die
beiden entscheidenden Urauffuhrungen
dieses Winters finden bei ihm statt. Meister-
werke der Vergangenheit werden von einer
muffig gewordenen Tradition gereinigt.
HofFen wir, dafi man das hohere Ziel er-
reiche : Schaffung der neuen Volksoper, in
der „Volk" nicht eine dumpfe, gesti'igen
Bildungsidealen nachhaogende Masse ist,
sondern Leben in sich tragende, aktive
Gemeinschaft.
Unter den Linden konnte man nicht
umhin, die „A'gyptische Helena" herauszu-
bringen, obwohl man gegen den neuen
Straufi von vorneherein etwas skeptisch
war. Aber representative Verpflichtungen
wiegen schwerer als die Qualitaten eines
Kunstwerkes. Es ist nichts anderes iiber
diese Oper zu sagen, als was nach der
Dresdener Auffuhrung an dieser Stelle be-
reits gesagt worden ist. Im Text sind
Antike, Zauberoper und Wienerische Ge-
schmaclderei miteinander vermengt und
mit einer theaterferner Symbolik iiberladen.
Die Musik, von ausgesprochen lyrisch-kan-
tabler Haltung, zehrt von Erinnerungen an
Wagner und an die eigne, heute auf ferner
Hohe liegende ,,Ariadne". Die Substanz ist
zusammengeschrumpft - die reicheKoloristik,
friiher als Exponent des SubstanzieUen zu
verstehen, ist Sache der Boutine geworden.
Natxirlich kann man die Meisterschaft be-
wundern, mit der alles gemacht ist. Aber
wird das ein Lob bedeuten bei einem
Kiinstler, der in der Vollkraft seines Genies
einmal Werke wie „Elektra" und „Ariadne"
geschrieben hat?
Die Berliner Auffuhrung ist ein Triumph
des klarenden, iiberlegenen Dirigen ten turns
von Leo BlecJi und der phantastischen
Szene, die Aravantinos schuf: eine reiche
Marchenpracht, aufierst geschmackvoU ab-
getont und mannigfaltig bewegt — wobei
sich auch Gelegenheit bietet, die tech-
nischen Million enwun der der Biihne vor-
zufiihren. Es ist weiter ein Triumph zweier
prachtvoller Sopranstimmen : Maria Midler
498
MUSIKLEBEN
(Helena) und Maria Raj dl (Aithra). Kraft
und vollendete Schonheit im Gesang der
M tiller, die in der Erscheinung freilicli nur
jenen hausfraulichen Helenatyp verkorpert,
den StrauS und Hofmannsthal am Schhifi
glorifizieren. Beweglichkeit und feinste
Charakteristik bei der Rajdl, deren hohe
Kunst man schon in Dresden bewunderte.
Wie konnte man aber den hSlzerneti, ge-
prefit singenden Laubenthal gerade ftir die
Rolle des Menelas aus Amerika hertiberholen ?
Das entscheidende musikalische Eveignis
der Vorsaison war die Aufftihrung der
„Dreigrosche7ioper" von Breclit und Weill.
Nichts ist bezeichnender fur die augenblick-
licbe Situation, als daft dieser gewaltige
Erfolg eines neuen musikalischen Spiels sich
aufierhalb des tradition ellen Operntheaters
ereignete. Man kann diesen Erfolg nicht
wichtig genug nehmen — gerade in einem
Augenblick, wo sich Geftililskitsch in so
fragwtirdiger Gestalt wie „I< riederike" von
Lehdr wieder aufreckt. Mit der Dreigroschen-
oper erfolgte der Einbruch eines neuen
unterhaltenden Theaters, jenseits vom durch-
schnittlichen Amusier- und Rtihrbetrieb, in
die grofie Masse der Horer. Die seit Jahren
verschimmelnde Operette ist uberwunden.
Aus der alten englischen „Beggars Opera",
selber schon ein aggressiv parodierendes
Werk, entstand unter den Handeh von
Brecht und Weill ein leichtes Zeitstuck, in
dem Rauberromantik und Verbrechertum,
Operette und Variete auf einer neuen Ebene
zur hinreifienden Einheit gebunden wird.
Ein gelostes Spiel mit nestroyschen Ztigen:
Kampf zwischen einer Einbrecherbande
und einer Bettlerorganisation. Sauber-
keit, Klarheit anstelle klebriger Erotik und
abgenutzter Handlungsklischees. Lebensnahe,
Offenheit anstelle verblasener Operetten-
ideologie. Und hinter diesem von jeder
plumpen Bequisitenaktualitat freien Ge-
schehen als aktive Macht die um ikre
nackte Existenz ringende Masse mit ihrer
antiidealistischen These : „Zuerst das Fressen
und dann die Moral".
Ahnlich wie in Strawinskys richtung-
gebender „Geschichte vom Soldaten" wachsen
gesprochene Handlung und Musiknummern
vollig ineinander. Wort und Gesang stutzen,
steigern sich gegenseitig. Weill ist den
Weg seines „Mahagonny" konsequent weiter-
geschritten. Auch der Musiker setzt aufier-
halb der Oper an. Aus. den Elementen
des Jazz hat er eine hochst personliche,
mit polyphonen Gestaltungswerten durch-
drungene Tonsprache gewonnen. Die alte
opernhafte Grofiform ist durch Lied, Couplet
und Ballade verdrangt. Musik von leich-
tester Greifbarkeit bei hoher Qualitat —
flie£ende, eindringliche, an vielen Stellen
erregende Melodik, ungemein lebendige,
wiederum weit tiber den Jazz hinaus-
stofiende Harmoriik. Welche Ftille der
Einfalle — immer in unmittelbarer Be-
ziehung zur Szene. Welche Farbigkeit im
Klang der paar Jazzinstrumente, zu denen
— ein glanzender Effekt — einige Male
die Orgel tritt. Zwischenspiele greifen die
Gesangsmelodien auf, stellen sie in neues
Licht, geben ihnen wechselnden Hinter-
grund durch geistvolle Kontrapunktierung,
An dem garnicht zu uberschatzenden Er-
folg hat die wundervoll leichte Aufftihrung
mit Rosa Valetti, Charlotte A nder, Erich Ponto,
Harold Paulsen und der ausgezeichneten
Ruth Lewis Band hervorragenden Anted.
Heinrich Strobel (Berlin)
Honeggers „Judith" Honeggers szenische
in Darmstadt Oratorien, als Proto-
typ ihrer Art ge-
nommen, geben in ihrer Stellung in der Zeit
eine Reihe schwerwiegender, asthetischer
Fragen zu losen. Die beiden allgemeinsten
lauten wohl: Wie ist dramatisch und wie ist
musikalisch das Bestehen dieser Werke zu
deuten, von denen ja nur eines hatte ge-
schaffen zu werden brauchen, um sogleich
als Beispiel einer Gattung dazustehen.
Welches religiose oder zumindest festliche
Feierbegehren hat den Autor zur Wahl
seines Stoffes bewegt ? Wo lebt unter
uns eine kultische Stimmung, die bereit
ware, solchem Gegenstand Aufnahme zu
gewahren ? Ist sie etwa in der Gesamt-
heit jedes musikalischen Auditoriums mit-
enthalten? Ist es vieHeicht die Wirkung
des allgemeinenVerlangens nachErneuerung
der Opernform, die den Komponisten auf
das Oratorium als einen neuen Anfang
zurtickgreifen lafit ? Ubt schliefilich die Fest-
spieltradition seines Volkes, jene standige
nationale Feierstimmung, die sicherlich am
Grunde der freskohaften Gestaltungsweise
MELOSBERICHTE
499
eines Hodler, eines Spitteler, eines Ramuz
und Amiet steht, ihren enlscheidenden Ein-
fluG auf' das konzeptive Verhalten auch dieses
Kiinsders aus ?
Denn auch im Musikalischen sclieint
una die grofie, andeutende Alfreskolinie
auffallend und bestimmend in diesen
Werken Honeggers zu sein. Die Begriindung
der musikalischen Gedanken und ihre
Entwickhing begniigt sich so durchaus
mit der Aufgabe sinnfalliger Beschreibung
des Einzelvorgangs, dafi man geneigt ware,
an eine blofie Biihnenmusik zu glauben,
welche die eigentliclisten, tiefsten drama-
tischen Wirkungen einem gesprochenem
Dialog uberliefie, dem gegeniiber sie nur
Begleiterscheinung ware. Da es sich doch
aber bei der „Judith" sowohl wie auch bei
dem theatralischer,farbiger angelegten Fresko
des „Konig David", um ein rein musika-
lisches Kunstwerk handelt, kann ein drama-
tischer Tiefenakzent, der aufierhalb der
Musik lage, nicht beabsichtigt sein, sondern
nur die musikalisch-formale Wirkung des
reinen Oratoriums. Hier aber liegt das
Problematische in Honeggers Leistung. Denn
als Trager eines Gebaudes absoluter Musik,
dessen Wirkung iiber seinen literarischen
Gegenstand weit hinausgehen miifite, sind
die kargen Melismen weder in den Solo-
noch in den Chorstiicken stark genug.
All diese Folgerungen liefien sich dem
mit der Darmstadter Buhnenauffiihrung an-
gestellten Versuch klar entnehmen. Die
Spannung dramatischen Geheimnisses wiirde
vielleicht noch gewonnen haben, wenn
Sanger und Chor (wie es so weise die
Regieanordnung in Strawinskys „Odipus"
verlangt) auf einer Ebene zweidimenssional
und statuarisch sich geaufiert hatten. Die
herausfordernde Vieldimension der Buhne
aber und ihre peinliche Akzentuierung durch
fadenscheinige Dekorationsideen und faden-
scheinigeres „Tanzkongrefi"-Kunstgewerbe
umgaben erst das sparsam niichterne Pathos
der Honeggersch en Musik mit einem Plunder-
kram, der als Auldringlichkeit eines Bettlers
wirken mufite. Um wieviel dramatischer,
um wieviel echter kam da doch letztes Jahr
der „K6nig David" in Schercheus pracht-
voller Konzertauffiihrung zum Leben trotz
aller kleinen Bluffs wie des Hexenrufs aus
Orchestertiefen.
Die Darmstadter Auffuhrung stand unter
Leitung von Dr. Karl Bohm, dem Orchester
und vor allem Chor nicht restlos folgten.
Als Solisten gaben ihr Bestes Elsa Varena
(Judith), Regina Harre (Magd), Maria Kienzl
(Klagende), Hans Komregg(li<Aoievne,s), Theo
Herrmann (Osias) und Eugen Vogt (Bagoas).
Ernst Schoen (Frankfurt a. M.J
Neuer Geist
in Konigsberg
Seiner voriibergehen-
den Belanglosigkeit
wegen hatte man
keinen Anlafi, von
Konigsberg Notiz zu nehmen. Das ist seit
einem Monat anders geworden. Die Oper trat
aus volliger Stagnation unter der neuen In-
tendanz Hans ScJiiilers mit einer meister-
haften Inszenierung des „Don Giovanni"
in ein neues Stadium. Vortreffliche Sanger
(Nina Liltzow, eine Sopranistin von Rang,
der Tenor Josef Poerner, der Bariton Carl
Stralendorf) und die ausgezeichnete Person-
lichkeit Werner Ladwigs, des musikalischen
Oberleiters der Oper, schufen eine Muster-
auffuhrung.
Ein Ereignis fur das musikalisch recht
riickstandige Konigsberg aber wurde die
deutsche szenische Urauffuhrung von Stra-
winskys Ballett „Rnssisclie Bauej-nhochzeit"
(Les noces). Der durchschlagende Erfolg
ist in erster Linie Ladwigs glanzender
musikalischer und Marion Herrmanns eben-
biirtiger tanzerischer Leitung zu verdanken.
Das Werk mufite in seiner eigenartigen
Klangwirkung (das Orchester besteht ledig-
lich aus vier Klavieren und Schlagzeug)
und in der Frische seiner elementaren
Rhythmik mitreifien.
Das Konzertwesen hat in Hermann
Scherchen, der soeben zum stadtischen
Generalmusikdirektor ernannt ist, einen
idealen Fiihrer gefunden. Im Rahmen der
Abonnementskonzerte wird die Moderne
im engeren Sinne zuriicktreten. Das Klavier-
konzert von TocJi fand n^it Walter Frey
als Solist begeisterte Aufnahme. Man ist
in solchen Fallen erstaunt iiber ein Pu-
blikum, das man so lange fur unbildsam
halten mufite, als nicht die rechten Manner
an der Spitze des Musiklebens standen.
Der Rundfunk hat unter Hermann
Scherchens musikalischer Oberleitung einen
500
MUSIKLEBEN
ungeahnten Aufschwung genommen. Inner-
lialb weniger Wochen erlebten wir Auf-
fuhrungen von Strawinskys „Geschichte vo.rn
Soldaten", Webers „Euiyanthe", Purcells
,Dido und Aeneas". Dazu kommen ein
Schweizer Komponistenabend und klassische
Musik. Schercben setzt seine ganze produk-
tive Personlichkeit an die dankbare Auf-
gabe ein vorbildliches Rundfunkprogramm
zu schaffen. Dafi mancbe Probleme dabei
erst aufgeworfen werden, wie beispielsweise
das der Sendeoper, ohne dafi sie ini Augen-
bliclc einer Losung entgegengefuhrt werden
konnen, liegt irn Wesen der Sacbe. Fur
die nachsten Wochen plant Scherchen als
Wichtigstes Strawinskys „Odipus Rex",
Busonis „Faust" und Backs „Musikaliscbes
Opfer".
Herbert Gerigk (Konigsberg)
Wellesz
in Mannheim
Eines ist klar: die
Oper verlangt nach
einer Umformung.
Wie diese Transfor-
mation geschehen soil, wohin der Weg geht,
steht noch nicht fest, kann noch nicht fest-
stehen, in einer Zeit, die das Feststehende ini
Grande garnicht will. So sehen wir zwei
Richtungen: Die eine heifit Kurzoper und
scheut sich nicht, sich zum Amusement zu
bekennen. Die andere heifit Kultoper und
glaubt an die Gottlichkeit der Musik.
Egon Wellesz' Oper „Die Prinzessin
Girnara" ist eine solche Oper der Gesinnung.
Der Textdichter, kein geringerer als Jakob
Wasserniann, entnimmt der indischen Le-
gende, die er schon einmal, in dem Roman
„Christia n Wahnschaffe" benutzt hatte, einen
seelischen Vorgang. Die Prinzessin ver-
wandelt durch ihre Seelenreinheit sich
selbst und die Menschen nm sich. Im
Augenblick des grofien Liebeserlebens finden
sich zwei Menschen, Girnara und Prinz
Siho, und werden ineinander und mitein-
ander verwandelt — Idee der Ehe. Psycho-
logisch bleibt manches unverstandlich. Da-
rauf aber kommt es nicht an. Wie in der
antiken Tragodie, die Wellesz erneuern
will, ist es ein stilisiertes Geschehen, ist es
das Schicksal als Idee, das sich erfullen soil.
Die knappen Formulierungen Wasser-
manns kommen dem Komponisten ent-
gegen. Er entwickelt aus einem Ureinfall,
aus einem musikalischen Motiv das musi-
kalische Rild. Noch ist es ein glanzendes,
schillerndes symphoiaisches Gewebe mit
eiiiem Reichtum von thematischen, har-
monischen, orchestralen Feinheiten, denen
Kiihnheiten von erstaunlicher Pragnanz
gegenuberstehen. Noch ist nicht die grofie
Linie erreicht (das Werk liegt seiner Ent-
stehung nach einige Jahre zuriick und ge-
wisse Anderungen bezogen sich nur auf
spezieUe Mannheimer AufFuhrungsbediirf-
nisse). die Wellesz spater in seiner Oper
„Alkestis", die 1924 in Mannheim urauf-
gefuhrt wurde, herausgearbeitet hat. Aber
schon fiihlt man den When zur Gestalt,
die liber das individualistische Detail obsiegt.
Die ausgezeichnete Wiedergabe war fur
WeUesz ein voller Erfolg, der den Rlick
auf das fast vergessene Werk lenkt. General-
musikdirektor EricJi Ortlimann, der friihere
erste Kapellmeister, Nachfolger des nach
Breslau tibersiedelten Richard Le/t, bekannte
sich mit solchem Spielzeitbeginn zur neuen
Zeit; ein Bekenntnis, das er mit dem General-
programm der Oper und dem der ihm
unterstellten musikalischen Akademien des
Nationaltheaterorchesters unterstrich. Noch
ist alles Plan und Intention eines neuen
Mannes. Man wird eine Bewahrungsfrist
abwarten miissen.
Die Akademiekonzerte kann man das
Herzsttick des musikalisclien Lebens in
Mannheim nennen. Zum erstenmal wird
nun der Biihnenvolksbund eine Parallelreihe
mit dem Frankfurter Symphonieorchester
unter dem Mannheimer Max Sinzheimer
veranstalten. Was wichtig ist: zu niedrigeren
Preisen. Rechnet man dazu noch die Or-
chesterkonzertedesPhilharmonischenVereins
und die unubersehbare Fiille von Solisten-
und Chorkonzerten, so steht man vor einer
Konzert-Inflation, die in wirtschaftlicher
Hinsicht bedenklich stimmt. Auf der anderen
Seite mochte man dieRivalitat als aneiferndes
Moment nicht ausgeschaltet wissen. Sie wird
besonders der neuen Musik, die in Orchester-
konzerten bisher sehr stiefmutterlich be-
handelt wurde, zugute kommen.
Zu bedenken ist in diesem Zusammen-
hang weiterhin, dafi das benachbarte
MELOSBERICHTE
501
Ludwigshafen, bisher Grofiabnehmer fur
Mannheimer Kunst, seit einigen Jahren ein
eigenes, das Pfalzorchester, besitzt und am
29. September ein grofies modernes Haus,
den „Pfalzbau" , mit Theater- und Konzert-
saal und Gesellschaftsraurnen feierlich ein-
geweiht hat. Karl Laux (Mannheim)
Die musikalische Die Massiemng d er
Gi'oiSstadte mi rhem.-
Situation im
Rulirrevier
westfalischen In-
dustriebezirk, die zu
den scharfsten Kon-
kurrenzkampfen Anlafi gibt, hat eine Mas-
sierung von Orchestern und Opern zur Folge
gehabt, deren wirtschaftliche Tragbarkeit
um so fragwiirdiger ist, als entscheidende
Impulse bislang von hier nicht ausgegangen
sind. Wenn man bedenkt, dafi ein Gebiet,
wo in Abstanden von 20 Bahnminuten
sechs Grofistadte mit zusammen zwei Mil-
lionen Einwohnern Hegen, nicht weniger
als fiinf grofie Orchester und vier leistungs-
fahige Operntheater aufweist; wenn man
bedenkt, dafi dieses Gebiet ungeheuere
Entwicklungsmoglichkeiten in unerschlos-
senen Publikumsmassen hat: so mu(! man
sich wundern, wie wenig hier an Doku-
menten der Zeit aufgefangen wird, wie
wenig Anregungen von hier in das musi-
kalische Schaffen der Zeit iibergehen.
Die beiden Fiktionen : des musiklieben-
den Rheinlands und einer Gesellschafts-
schicht, die sich aus der Welt der Arbeit
in die pathetische Feierlichkeit und den
Gehihlsrausch romantischer Tonmalerei
sehne, haben es verursacht, dafi ein plan-
loser Musikbetrieb einrifi, an dem die
musikalische Entwicklung spurlos voriiber-
ging. Die Machte, die unter der epigo-
gonalen Devise „gesunder Fortschritt" die
akademische Reaktion zu fordern suchten,
schwommen munter mit. Die Krafte, die
sich den zu aktiven Energien der Zeit, der
wirklichen Umwelt bekannten, standen iso-
liert. Eine Personlichkeit von Charakter,
die das Neue, das Wesentliche stiitzte:
Rudolf Schulz-Dornburg sah man vor
Jahren beruhigt aus Bochum scheiden.
Selbst eine so gemafiigte Natur wie Paul
Scheinjjflug, die immerhin Initiative und
Verantwortung genug besafi, um den Kon-
zertbetrieb nicht vollig der neuromantischen
Verwaschenheit auszuliefern, versuchte man
in Duisburg nicht zu halten. Sj'mptomatisch
bei solchem Personenwechsel ist immer die
Art, wie der Nachfolger ausgewahlt wird.
Duisburg hat fur den kommenden Musik-
winter eine Liste von dreizehn Gastdiri-
genten aufgestellt, die die heterogensten
Namen enthalt. Neben ein paar Stardiri-
genten befinden sich darunter offenbar die
Kandidaten fiir den Generalmusikdirektors
posten. Ein merkwiirdiges Verfahren, da-
zu nichts fiihren kann, das aber mit seiner
Schein-Objektivitat, hinter der sichSchwache
und Unsachlichkeit verbergen, die Unent-
schlossenheit, die Ziellosigkeit des kiinst-
lerischen Lebens im Westen charakterisiert.
Besonders auffallend: da6 Hermann
Scherchen, der unbedingt an eine fiihrende
Stelle gehorte, der im Ruhrgebiet den von
ihm oft geforderten Typ der Studienkon-
zerte verwirklichen konnte, zwar auf der
Liste steht, sein Konzert aber mit Beet-
hoven und Bruckner nicht in Duisburg
selbst, sondern in dem benachbarten, durch
Vertrag an das Duisburger Orchester ge-
bundenen Miilheim absolvieren soil.
Die Programme? — Man hofft, dafi
sich nach Uberwindung technischer Schwie-
rigkeiten aus der Zusammenarbeit des In-
tendanten Gsell mit dem Musikdirektor
Sieben fur Dortmund ein neuer Auftrieb
ergeben wird. Wenn man die neuen Pro-
gramme von zwei, drei Stadten hinter-
einander liest, erschrickt man. Sie sehen
aus, als waren sie voneinander abgeschrieben.
Alles sturzt sich auf Bruckner. Beethoven
und Brahms werden in Serienauffuhrungen
hineingezerrt, die ihr Bild zerstoren und
ihre Besonanz schadigen miissen. Bezeich-
nend die Seltenheit von Mozart. Mit Bach
wird kokettiert. Eine Mode : kein bewufites
Hindeuten auf einen Gegenpol. Hindemith
erscheint an zwei Abenden — in Diissel-
dorf und Essen. Was sonst sporadisch an
zeitgenossischer Musik auftaucht, gehort
fast durch weg der sogenannten „Neuro-
mantik" oder dem Leipziger Akademis-
mus an. Auch in Diisseldorf, wo Hans
Weisbach immerhin ein Programm mit
neuen Namen und weniger als sieben Ur-
auffiihrungen aufgestellt hat, ist die Bevor-
zugung des Unverbindlichen unverkennbar.
Dennoch bleibt Diisseldorf die lebendigste
502
MUSIKLEBEN
Musikstadt des Reviers, die nicht daran
denkt, sich hinter der „Tradition" zu ver-
schanzen, sondern den Willen hat, klarend
zu wirken. Der bewegliche Typ Weisbach
bildet einen wohltuenden Gegensatz zu
jenen Sattelfesten, die von der gestrafften,
klaren Kunst des Heute keine Vorstellung
habenundsichinihrerVerlegenheitdesTricks
bedienen, dem Publikum das als „ver\vorrene"
Gegenwart vorzufiihren, was einmal der An-
fang dieser Gegenwart war : sie kontrastieren
sinnlos Symphonisches und Antisympho-
nisclies, urn zu verwirren und ihre eigene
Beziehungslosigkeit zur Zeit zu rechtfertigen.
In diese Situation hinein kommt nun
im nachsten Jahr der Allgemeine Deutsche
Musikverein, mit dessen Fest zum ersten
Mai — in Duisburg — eine Opernwoche
verbunden werden soil. Unter den drei
Urauffuhrungen („Konig Roger" von Szy-
manowski, „Troerinnen" von Peeters,
„Mascliinist Hopkins" von Brand) sieht
man vornehmlich der letzten mit Interesse
entgegen. Schon die blofie Ankundigung
einer Oper, die irgendwie auf die Zeit Be-
zug nimmt, hat eine nicht zu unter-
schatzende Wirkung gehabt. Der Kapell-
meister Drach und noch deutlicher der Re-
gisseur Schum von der Duisburger Oper
haben sie zum Anlafi zu offentlichen
AuGerungen genommen, die einem Protest
gegen die Zeitabgeschnittenheit der Duis-
burger Spielplane (auf die sie also offenbar
wenig Einflufi haben) gleichkommen.
In der Jury des A. D. M., die diese Stiicke
auswahlte, sitzt (neben Alban Berg und
Joseph Haas) bekanntlich Budolf Schulz-
Dornburg, den ins Ruhrgebiet zurtick-
gerufen und zum Operndirektor von Essen
gemacht zu haben, ein unbestreitbares Ver-
dienst des Oberburgermeisters Bracht bleibt.
Die Arbeit, die Schulz-Dornburg im vorigen
Herbst mit Mozarts ,,Idomeneo" begann,
und die dann in planvollem Aufbau iiber
den ,.Boris" zur deutschen Uraufftihrung
von Honeggers ,, Antigone" fiihrte, erlitt
durch eirie mit offenen und versteckten
Skandalen arbeitende reaktionare Hetze
einen empfindlichen Riickschlag. Dieses
Jahr versuclit er es, die Auseinandersetzung
mit neuen Stromungen unter grofierem
Entgegenkommen auf dem Gebiet der
Publikumsopern (die natihiich entstaubt
werden sollen) durchzufiihren. Um so not-
wendiger ware es, die Folkwangs chide fur
Musik, Tanz und Sprache aus dem ziemlich
isolierten Schulbetrieb herauszuziehen und
zu einem geistige Bewegung schaffenden
und beeinflussenden Faktor zu machen. Es
wirken — nach innen — eine Reihe aus-
gezeichneter Lehrkrafte an dieser Schule;
darunter Fritz Jocle, der Fiihrer der deutschen
Jugendmusikbewegung. Sie mtifiten auch
nach aufien wirken: iiber die Fachkreise
hinaus Resonanz bekommen. Schulz-Dorn-
burg miifite also die latenten Krafte seiner
Schule mobilisieren und eine aktive Front
schaffen: die Probleme der Zeit aufgreifen,
ihre Diskussion erzwingen. Nachstes Ziel:
Verbindung zwischen Schule und Theater;
allmahlicher Aufbau eines Opernensembles
aus den Zoglingen der Folkwangschule ;
zentraler Einsatz der neuen Truppe im Sinne
der an ihr geleisteten Erziehung. Nicht:
Organisation. Sondern: Organismus. Atmo-
sphare schaffen: unerlafiliche Voraussetzung
eines fruchtbaren Kampfes, der Widerspruch
aus Uberzeugung heraus fordert und den
Widerspruch aus Bequemlichkeit zum
Schweigen bringt.
Generalintendant Iltz hat das erste Jahr
seiner Dusseldorfer Tatigkeit darauf ver-
wandt, den gesamten Spielkorper zu er-
neuern und durch kluges, zielbewufites
Vorgehen Boden zu gewinnen. Er hatte
mit Strawinskys „Oedipus Rex" und Weills
„Der Zar lafit sich photographieren" einen
ausgesprochenen Erfolg. Die diesjahrige
Saison begann mit einer von Iltz unter dem
Stigma der kiinstlerischen Wahrhaftigkeit
besorgtenNeuinszenierung der „Zauberflote",
in der die Arien von der Spielhandlung
abstrahiert und auf einer Art Konzert-
podium gesungen wurden. Ein vorziiglicher
Auftakt. Neben fltz wirkt der vom letzten
, Baden-Badener Kammermusikfest in bester
Erinnerung stehende Regisseur Friedrich
Schramm. Auch der Ubergang Jascha
Horensteins vom Konzert- zum Opernpult
ist durchaus gelungen. Die Aspekte sind
giinstig. Die nachsten Monate werden
dariiber Aufschlufi zu geben haben, wie sie
Bruno Iltz zu nutzen gedenkt. Wich tiger als
alle momentanen Erfolge und Mifierfolge, ist
der Geist, aus dem sie entstehen.
Erik Regei
NOTIZEN
503
NOTIZEN
OPER UND KONZERT
„Debora und Jacl", eine neue Oper von Ilde-
brando Pizzetti gelangte am Opernhaus in Hamburg
zur deutschen Urauffiihrung.
Alban Bergs „]Vozzeck" gelangt in dieser Spiel-
zeit am Landestheater zu Oldenburg und am deutschen
Nationaltheater zu Weimar zur Auffiihrung.
Bila Bartok hat ein neues Streichquartett ge-
schrieben.
/. M. Hauer hat ein Klavierkonzert fiir Eduard
Steuermann und ein Violinkonzert fur Stefan Frenkel
komponiert. Neue Orchesterstiicke von Hauer bringt
Klemperer diesen Winter zur Urauffiihrung.
Die Orchestersuite op. 3 von Hans Wedig wird
im Oktober in Aaclien (Peter Raabe) uraufgefiihrt.
Weitere Auffuhrungen sind in Berlin (Kleiber), Bonn,
Dortmund und Miinster.
Aus Anlass der Veranstaltung „Berlin im Liclit"
finden Promenadekonzerte statt, fiir die Kompositionen
bei Butting, Tiessen und Weill bestellt wurden. Ein
erfreulicher Vorstoss, die Musik aus ihrer Isolierung
zu befreien.
Generalmusikdirektor Albert Bing wird in einem
Orchesterkonzert mit dem Berliner Sinfonie-Ordiester
im Dezember in Berlin u. a. Conrad Beck's Sinfonie
Nr. 3 fur- Streicher zur Erstauffiihrung bringen.
Kapellmeister Robert F. Denzler von der Stadt.
Oper in Berlin wird in der kommenden Saison 20
Konzerte in der Schweiz dirigieren und u. a. in Genf
als Erstauffiihrungen bringen: Beck, „Sinfonie No. 3",
Tocli, „Kom6die fiir Orchester" und Hindemith,
„Nusch-Nuschi-Tanze".
PERSONA LNACHBICHTEN
In Miinchen starb im Alter von 60 Jahren der
als Wagnersanger viel genannte Tenor Enjar Forch-
hammer. Er war an den Opern von Dresden, Frank-
furt und Wiesbaden, tatig.
Zum Leiter des Hochschulchores ist als Nach-
folger von Professor Siegfried Ochs Generalmusik-
direktor Carl Sdiuriclit aus Wiesbaden berufen worden.
Schuricht svird seine neue Berliner Tatigkeit in vollem
Umfang bereits im Oktober beginnen.
Bertold Goldschmidt wird von jetzt ab auch als
Dramaturg am Landestheater in Darmstadt tatig sein.
Der Geiger Hans Bassermann wurde als Nach-
folger von Henri Marteau an das Landes-Konserva-
torium in Leipzig berufen.
Franz Osborn wurde an das Klindworth-Schar-
wenka-Konservatorkim in Berlin als Lehrer fiir Klavier
berufen.
In Frankfurt am Main wurde eine Ortsgruppe
der „Internationalen Gesellschaft fiir Neue Musik"
gegriindet. Vorsitzender ist Licco Amar.
MUSIKPADAGOGIK
Auf Anregung von Musikern und Musikfreunden
des In- und Auslandes wird im nachsten Friihjahr in
Berlin eine „Deutsdie Musikakademie fiir Auslander"
eroffnet werden. Der preufiische Minister fiir Wissen-
schaft, Kunst und Volksbildung hat fiir diesen Zweck
geeignete Raume im Schlofl Charlottenburg zur Ver-
fiigung gestellt. Wilhelm Furtwangler hat sich be-
reit erklart, die kiinstlerische Oberleitung zu iiber-
nehmen. Fiir die Geschaftsfiihrung ist H. W.Draber
verpflichtet worden. Die Leitung steht mit einer
Anzahl von Kiinstlern, die fiir den ersten Zyklus
von Unterrichtskursea im Sommer 1929 gewonnen
werden sollen, in Unterhandlungen. Die Mittel zur
Errichtung der Deutschen Musikakademie sind im
wesentlichen von privater Seite gestellt worden.
In Frankfurt a. d. O. ist dieser Tage feierlich
der Grundstein gelegt worden fiir ein „Musikheim",
eine Zentralstatte und Heimat fiir die deutsche
Volksmusik-Bewegung und ihre im Reiche verstreut
wirkenden, verschiedenartigen Mitarbeiter-Bunde-Ver-
einigungen. Die Leitung des zukiinftigen Institutes
wird der bisherige Dozent an der Charlottenburger
Musikhochschule und Fiihrer der „Markischen Spiel-
gemeinde" Georg Gotscli erhalten. Zwei standige
Lehrkrafte und wechselnde Gastdozenten werden ihm
zur Seite stehen, Das Musikheim soil in enger
Fiihlungnahme mit der Akademie fur Kirchen- und
Schulmusik in Charlottenburg arbeiten.
Die 7. Reiclisschulmusikwoche, die vom Zentral-
institut fiir Erziehung und Unterricht in Gemeinschaft
mit der bayerischen Begierung veranstaltet wird,
findet vom 15.— 20. Oktober in Miinchen statt. —
Der erste Kongrefi fiir Chorgesangwesen tagte vom
8. — 10. Oktober in Essen.
SCHRIFTTUM
Musik und Kirche. Unter diesem Titel wird
eine grofiangelegte Kirchenmusik - Zeitschrift ab
Dezember 1928 achtmal jahrlidi mit vier grijfieren
Notenbeilagen erscheinen. Herausgeber Dr. Christhard
Mahrenholz, Giittingen, Prof. Wolfgang Reimann,
Berlin, Dr. Johannes Wolgast, Leipzig. Der Plan
geht im Wesentlichen auf Anregung der Herren Prof.
H. J. Moser, Prof. D. Dr. K. Straube und des Baren-
reiter-Verlages zu Kassel zuriick.
Die „Jiidische Rundschau", Berlin, hat sich eine
Beilage „ Von jiidisclier Musik" angegliedert, die in
unregelmafiiger Folge erscheint und von Alice Jacob-
Loewenson redigiert w r ird.
VERSCHIEDENES
Die frankfurter Zeitung" meldet : Die Genossen-
schaft Deutscher Tonsetzer hat in einer Sitzung ihres
erweiterten Vorstandes unter dem Vorsitz von
Dr. Richard Straufi den bemerkenswerten Ent-
schluss gefafit, die Frage der Abgaben fiir musikalische
504
MUSIKLEBEN
1
Auffiihrungen zukimftig grundsatzlich durch Kollektiv-
Vertriige mit den Verbraucher-Organisationen (Gast-
wirtsgewerbe, Kaffeehausbesitzer, Filmtheater, Variete-
Direktoren usw.) zu regeln und mit diesen Organi-
sationen paritatische Ausschtisse einzurichten, die die
fur die Tarifbildung mafigebenden wirtschafl lichen
Voraussetzungen zu priifen und zu begutacbten
haben. Gleicbzeitig hat sicb die Genossenschaft
Deutscber Tonsetzer bereit erklart, die Hichtigkeit
ihrer Buchftihrung, sowie die Anwendiing der oben
bezeichneten Tarifgrundsatze staatlich kontrollieren
zu lassen.
Ein langgehcgter Plan Breslaus, die Bildung einer
„Sclilesischen Philharmonie", nimnit jetzt feste Ge-
stalt an. Naclidem iiber die Verteilung der erfordei-
lichen Subventionen zwischen Provinz, Staat und
Beich erne Einigung erzielt werden konnte, hat der
Niederlandische Provinzialausschufi der Griindung
der „Schlesischen Philharmonie" als G. m. b. H. zu-
gestimmt. Die Provinz Niederschlesien und die Stadt
Breslau gewahren eine Jahressubvention in Hohe von
je 50 000 Mark, wahrend Beich und Staat je 25 000 Mark
aufbringen.
AUSLAND
Rufiland :
Die Direktion der Akadem'schen Theater in
Leningrad hat beschlossen, in der kommenden Saison
neben dem „Bosenkavalier" von Richard Straufi auch
„Ariadne" aufzuftihren. Aufier Kreneks ,Jonny"
wird die Saison an Novitaten bringen: Puccinis
„Turandot" und D. Schostakowitschs neue Oper
„Die Nase" auf den der gleichnamigen Novelle von
Gogol entnommenen Text. Neu einstudiert werden
Gludcs „Orpheus", Verdis „Othello" und Ssjerows
Judith".
Die Leningrader Philharmonie sieht 90 Sympho-
nie-Konzerte vor. in denen u. a. Otto Klemperer,
Fritz Busch, Wilhelm Furtwangler und Ernest Ansermet
dirigieren werden.
Am 17. Juli ist die neue Verordnung iiber die
,,Grundlagen des Urheberrechts" in Kraft getreten.
Wahrend sich die alte Verordnung vom 30. Jan. 1925
mit einer Dauer des Urheberrechts von 25 Jahren
begniigte, gewahrt das neue Gesetz dem Urheber
den Schutz lebenslanglich. Eine verkiirzte Frist von
zehn Jahren ist fiir choreograpbische Schopfungen,
Pantomimen, Filmszenarien und Filme festgesetzt.
Schweiz :
Die General-Programme der schweizerischen
Abonnementskonzerte (Sinfonie- und Kammermusik-
konzerte) lassen in diesem Winter in erhohteiu MaKe
zeitgenossiscben Komponislen das Wort. Man lindet
u. a. folgende Namen : in Zurich (Volkmar Andreae) :
Beck (3. Sinfonie), Hindemith (Bratschenkonzert),
Prokofieff, Tiessen ; in Winterthur (Scherchen u. a.):
Bartok, Bedc (Concertino), Hauer (Bomant. Fantasie),
Hay (Oboenkonzert), Honegger (Concertino), Schon-
berg (Pelleas) ; in St. Gallen (Schoeck) : Hindemith
(Bratschenkonzert), Kaminski (Concerto grosso),
Schoeck (Lebendig begraben), Wehrli (Orch. variat.) ;
in Genf (Ansermet und Gastdir.) : Bedc, Casella,
de Falla, Hindemith, Prokofieff, Bavel, Boussel,
Schulthess, Strawinsky, Toch.
Othmar Schoeck, dessen „Penthesilea" auch in
dieser Spielzeit an der' Ziiricher Oper stSrksten Er-
folg hat, hat soeben ein neues Werk vollendet;
„Wanderspruche" , Liederfolge nach Gedichten von
Eicliendorff fiir eine Singstimme (Tenor od. Sopran)
mit Clarinette, Horn, Klavier und Schlagzeug, Op. 42.
Frankreich :
In Paris wurde ein neues Orchester, das „Orchestre
Symphonique de Paris", gegriindet. Es ist 80 Mann
stark und wird von Ernest Ansermet, Alfred Cortot
und Louis Fourestier geleitet. Zunachst spielt es im
Theatre des Champs-Elysees. aber nach der Wieder-
herstellung des abgebrannten Salle Pleyel wird es
dort musizieren. Zahlreidie moderne Werke ge-
langen diesen Winter zur Auffuhrung. Namhafte
auslandische Dirigenten werden zu Gastkonzerten
eingeladen.
Das erste neue Werk, das in der Grofien Oper
herauskommt, ist wahrscheinlich „Les Mas" von
Joseph Canteloube. Die Opera comique kflndigt als
erste Premieren „Die verkaufte Braut" von Smetana
und „Riquet a la Houppe" von George Hue an.
Dieser Nummer liegt ein Prospekt viber das neue prachtvolle „Handbucli der Musik-
wissenschaft", herausgegeben von Prof. Dr. Biicken, K6ln nnter Mitwirkung einer Zahl
von fiihrenden Musikgelehrten, bei; eine moderne Veroffentlicbung, die neben dem aus-
gezeicbneten Text durcli ihre 1 300 Musikbeispiele und 1 200 Abbildungen sich den Ruf
eines einzigartigen Hausschatzes fiir Freunde und Ausiibende der Musik erworben hat.
VERLAGSNACHRICHTEN
505
NACHRICHTEN DES VERLAGES B. SCHOTT'S SOHNE
NEUE AUFFDHRUNGEN
Die „Missa symphonica" von Lothar Winds-
perger wird vom Michaelis-Chor in Hamburg unter
Professor Sittard am 30. Oktober zur Auffiihrung
gebracht. Derselbe Chor wird das ki'mstlerisch Auf-
sehen erregende Werk dann erstmalig in Berlin
(Hochschule fur Musik) am 10. November auffiihren,
von wo eine Ubertragung durch den Berliner Bund-
funksender erl'olgt. Weitere Auflulirtingen in dieser
Saison: Wiesbaden, Goth a, Bottrop und Mainz.
Am Landestheater in Karlsruhe wird der neue
Ballcttmeister Harald J. Fiirstenau das Ballett „Pantea"
von F. Malipiero zur Uraufl'iihrung bringen.
Strawinsky's „Les Noces" wurden in Ko'nigsberg
in szenischer Darstellung zum ersten Mai aufgefiihrt.
Eine Konzertaufluhrung bereitet Generalmusikdirektor
Klemperer an der Staatsoper am Platze der Republik
in Berlin vor.
Paul Hindemith wird sein Bratschenkonzert in
dieser Saison in etwa 20 Stadten spielen.
Ernst Toch arbeitet an einem neuen Klavier-
konzert, das Hermann Scherchen aus der Taufe
heben wird.
Von E. IV. Korngold's Oper „Das Wunder der
Heliane", die in Hamburg bereits 25 Auffiihrungen,
in Wien bisher 16 Auffiihrungen erlebte, findet die
nachste Auffiihrung am Landestheater in Schwerin
statt. Weiter folgen zunachst : Koln, Darmstadt,
Gotha. — „Die tote Stadt" kommt in dieser Spiel-
zeit in Amsterdam, Rostock und Trier zur ersten
Auffiihrung.
Das neue Orchesterwerk „Der Dybuh' von
B. Sekles wird am 30. Oktober in Mainz von
Direktor H. Rosbaud uraufgefiihrt. Es folgen Frank-
furt a. M., Bremen, Berlin, Leipzig, Mannheim,
Plauen, Saarbriicken und Wiesbaden.
In der kommenden Saison linden mehrere Todfi-
Abende statt: zuerst Mannheim, dann Koln (Neue
Musikgesellschaft) und zuletzt Konigsberg.
Wilhelm Furtwdngler wird am 28J29. Oktober
die ,JS[uscli-Nuschi-T6nze" von Paul Hindemith in
Berlin zur Auffiihrung bringen.
Joseph Haas-Ahende werden auch in dieser Kon-
zertsaison in verschiedenen Stadten stattfinden, u. a.
in Wiirzburg, Mannheim, Heilbronn, Flensburg uud
Berlin. In Miinchen sind zwei Haas-Abende und
zwar ein Liederabend und ein Chorabend vorge-
sehen. Zur Auffiihrung gelangen aufier Orchester-
werken die „Deutsche Singmesse" und die „Deutsche
Vesper" sowie Lieder mit Klavier.
Am 5. Dezember werden die „Russischen Lieder"
Hermann Reutter's durch Paul Lohmann in Berlin
ers ta uf gefiihr t.
NEUERSCHEINUN GEN
Leo Artok
M.
— „Junge Tanze". Ein neues Klavierbuch mit 10 kurzen,
modern. Tanzen in leicht. Spielbarkeit (Ed. Nr. 1707) 2. —
Conrad Beck
— Sonatine fur Klavier (Ed. Nr. 2072) 3.50
— Zwei Tanzstiicke fur Klavier (Ed. Nr. 2073) .... 2.—
— Sonaline fur Violine und Klavier (Ed. Nr. 206?) . . 5.—
— Concertino fur Klavier und Orchester
Part. 4" (Ed. Nr. 3393) M. 20— Kl.-A. (Ed. Nr. 2068) 6.—
Arthur Benjamin j\[_
— Concertino fur Klavier und Orchester
Part. 4» (Ed. Nr. 3350) M. 20.— Kl.-A. (Ed. Nr. 1301) 6.—
David Dushkin
— Das Buch des jungen Pianisten. 10 leichte moderne
Stiicke fiir Klavier mit lectin. Spezialsludien fur das
Ueben (Ed. Nr. 1308) 2.50
M. de Falla
— Tanz des Schreckens (aus ,,Liebcszauber) filr Klavier
(Ed. Nr. 2066) 2.—
Gay-Pepnsch
— „Die Bettler-Oper", Kl.-Ausz. (Ed. Schott Nr. 1071) . 12.—
Hieliu nuch Aiizoige Seite 520
A. Gretcliauiuoff
— Drei Stiicke l'Qr Klavier, op. 116 (Ed. Nr. 1310) . . 1.50
(Prelude — Meditation — Mazurka)
Joseph Haas
— Lieder vom Leben, op. 76, f. eine Singstimmeu. Klav.
Nach Gedichten v. Ruth Schaumann (Ed. Nr. 2022) 2.50
Unter dein Zidtducli — Kommt ein Kindle. n — Gloria — Dua
Lihnmlein — Der G-llnsehirt — Im Meur
Paul HindemiUi
— Tanzstucke ftir Klavier, op. 19 (Ed. Nr. 1418) . . . 3.50
— Kammermusik Nr. 5 (Bratschen-Konzert) fur Solo-
Bratsche undgrosseresKammerorchester, op. 36 Nr. 4.
Part. 16° (Ed. Nr. 344^) M. 4.— KJ.-A. (Ed. Nr. 1977) 8.—
(AuffUbi'ungsmatcrial uucli Vereinbaruiiff)
— Sing- u. Siiielmusiken f. JLiebhab. u. Musikfreunde, np. 45
Nr. 1 Frau Musica. Musik zum Singen und Spielen
auf Instrumenten nach einem Text von Luther
Nr. 2 AchtKanons f'ir 2 Singstimmenm. instrumenten
Nr. 3 Ein Jager aus Kurpfalz. Spielmusik f. Slreicher
und Blaser
— Konzert fur Orgel und Kammerorchester, op. 46 Nr. 2
Part. (Ed. Nr. 3361) M. 30.— Solost. (Ed. Nr. 1897) 6 —
(Auffdhi-ungsmateriul nach Vel-einbai-ung)
Plnlipp Jariiacn
— Drei Rhapsodien (Kammerduette fur Violine und
Klavier), op. 20 (Ed. Nr. 1923) 4 —
Fritz Kreislcr
Aus der Sammlung: Transkriptionen f. Violine u. Klav. :
— Nr. 18 Falla, SpanischerTanz (a. „Einkurzes Leben") 2. —
— Nr. 19 Albeniz, Tango (aus „Espana", op. 165) . . . 1.80
— Nr. 20 — Malaguena (aus „Espana", op. 165) . , . 2. —
— Nr. 21 Rachmaninoff, Marguerite (Albumblatt) . . . 1.80
— Nr. 22 Schelling, Irlandais»e 2. —
— Nr. 23 Ravel, Habanera 2.—
— Bach-Kreisler, Partita Edur liir Violine und Klavier
(Ed. Nr. 1448) .... . . 3 —
Kadenzen zu beriihmten Violin-Konzerten:
— zu Beethoven, op. 61 (Ed. Nr. 1446) 2 —
— zu Brahms, op. 77 (Ed. Nr. 1447) 2 —
B. Jlarcollo-Nachez
— Violinkonzert D-dur (Ed. Nr. 1245) Klavier-Auszug 3. —
Ausgabe mit Streichorchester (Stimmen) 8. —
Joh. Palascliko
— Funfzig melodische Etiiden fur die Elementar- und
Mittelstufe fur Violine allein, 3 Hefte. (Ed. Nr. 1421/23)
Heft I/1I a M. 1.50; Heft III 1.80
Wilhelm Rcttich
— Mannerchore, op. 15 : Nr. 1 Requiem (Gerh. Hauptmann)
Nr. 2 Schwalbenbuchlied (Ernst Toller)
Partitur a M. —.60 Stimmen a M. —.20
Franz Schubert
— Neue Lieder-Auswahl v. Joh. Messchaert (herausgegeb.
von Franziska Martienssen I Ausgabe f. hohe Stimme I
2 Bande: Ed. Nr. 120 M. 4.—, Ed. Nr. 121 5 —
Cyril Scott
— Idyll, fiir Violine allein (Ed. Nr. 1950) 1.50
Benihard Sekles
— Erste Suite, op. 34 fiir Klavier (Ed. Nr. 2070) . . . 4.—
Vorspicl — Erates Zwiscbenapiel — Toccntinn. — El'ster
Tanz — Zweiter Tanz — Zwcites Zwischenapiel — Fuga
alia b lirla
— Der Dybuk, Vorspiel fur Orchester, Part. 4«
(Ed. Nr. 3376) 20 —
(AuffUbrungsmaterial nocb Vereinbarung.)
— „Vater Noah", Madrigal fur Mannerchor a cappella
op. 36 Partitur M. 1.50. Stimmen a —.40
506
VERLAGSNACHRICHTEN
Alex. Tansmaii M.
— Mazurka fur Klavier (Ed. Nr. 2069) n. 1.80
Ernst To eh
— Sonate fiir Klavier, op. 47 (Ed. Nr. 2065) . . . . n. 5 —
— Sunate fur Violine u. Klavier, op. 44 (Ed. Nr. 1240) n. 5.—
— Neun Lieder, op. 41 (Ed. Nr. 2055) n. 4.—
Der Abend — Heilige (R. M. Rilke) — Die S trass bur ger
Miinater-Engelchen (O. J. Bierbmim) — BpStuachmittag —
Spruch ''L. Kuckuck) — Kleino Gescbiclite — "Was denkst da
jetzt — Das Haiisclicn an der Bahn (Chr. Slorgenateru) —
Dcr Eael ("W. Busch) ,
— Fanal, op. 45, fiir Orchester und Orgel, Part. 4°
(Ed. Nr. 3387) n. 20 —
— „Egon und Emilie'', op. 46. Kein Familiendrama von
Chr. Morgenstern . . . Part. 4« (Ed. Nr. 3388) n. 20.—
Klavier- Auszug (Ed. Nr. 1419) n. 5.—
Friedrich Wilckena
— Die Rache d. verhohnten Liebhabers. Lustspieloper
in 2 Akten (frei nach einer Geschichte d. Kardinals
Bandello). Text v. Ernst Toller, Kl.-A. (Ed. Nr. 1420) n. 10.—
Lothar Windsperger
— Konzert f. Viol. u. Orch., op. 39. Part. 4° (Ed. Nr. 3391) n. 30.—
Klavier-Auszug (Ed. Nr. 1247) n. 8 —
(Auffilhrungfimaterial nach Vereinbnrung)
Drei Weihnachtsmotetten
f. gem, Chor a cappella, herausgeg. v. Hugo Holle*
— Nr. 1 Joh. Topff, Flirchtet euch nicht, ich ver-
kiindige euch Partitur 1.50
Stimmen (Sopran 1/11/ Alt zusammen,
Tenor/Bass zusammen) a —.40
— Nr. 2 Liebhold, Uns ist ein Kind geboren
Partitur 1.50
Stim ■ en (Sopran /Alt zusammen,
Tenor/Bass zusammen) a — .30
— Nr. 3 F. E. Niedt, Es nriissen sich freuen und
frohlich sein Partitur 1.50
Stimmen (Sopran/Alt zusammen,
Tenor/Bass zusammen) a — .40
,,Das Lied der Volker".
M.
4.—
— Herausgegeben von Dr. Heinrich Moller. Eine Aus-
wahl von fremdlandischen Volksliedern, Band XII.
44 ungarische Volkslieder (Ed. Nr. 560) n,
(Siehe auch Anzeige Seite 509)
IN VORBEREITUNG
Conrad Beck
— Concertino fur Klavier und Orchester, Part Ed. Nr, 3393
Alex. (*r etch anin off
— op. 84, Melodies populaires de la Russie blanche f. Ges. u. Kl.
— op. 91, Chanson populaires de la Grande Russie f. Ges. u. Kl,
Paul Hmdemith
— op. 25b, Kleine Sonate fur Viola d'amore und Klavier
Jean-Marie Leclair
— Trio-Sonate Nr. 8 Ddur, fiir Violine oder Flote, Cello,
Cembalo oder Klavier bearb. v. Dobereiner, Ed. Nr. 1370
— do. fiir Violine od. Flote, Viola da Gamba, Basso cont.
(= Cembalo od. Klavier) bearb. v. Dobereiner, Ed. Nr. 1369
Wilhelm Maler
— Konzert f. Kammerorchester mit Cembalo, Part. Ed. Nr. 3392
H ermann Reuttor
— op. 33, flSaul", Oper in einem Akl, Partitur
— op. 34, „Der verlorene Sohn", Text n. Andre Gide, iiber-
setzt von R. M. Rdke
J osip Slavenski
— Balkanophonia fur Orchester
Joachim Stntschewsky
Studien zu einer neuen Spieltechnik auf dem Violoncello:
II. Teil Zur Forderung und Erhaltung der Bogentechnik
Ed. Nr. 1372
III. Teil Die Kunst des Uebens, Ed. Nr. 1395
Lothar Windsperger
— op. 40, Neue Quintenuhr fiir Klavier, Ed. Nr. 1850
— op. i n , Requiem fiir gemischten Chor, 4 Soli, grosses
Orchester und Org- 1, Partitur
Windsperger -Wolfakehl
— Fremde "Weisen, 12 Europaische Volkslieder, hoch u. tief
Neue Sonaten
von
Ernst Toch
SONATE FUR KLAVIER
op. 47
Ed. Nr. 2065
M. 5.-
SONATE FUR VIOLINE
UND KLAVIER
op. 44
Ed. Nr. 1240 ... . M. 5. -
B. SCHOTT'S SOHNE
MAINZ - LEIPZIG
HIND EMITH
Konzert fiir Orgel
und Kammer-Orchester
op. 46 Nr. 2
Solostimme Ed. Nr. 1897 . . M. 6.-
Partitur Ed. Nr. 3361 . . M. 30.-
(Aiiifiilirungsmaterial nach Vereinbarung)
DasWerkist dem Frankfurter
Sender gewidmet, der es auch
zur Urauffiihrung brachte.
Bevorstehende weitere
Auffiihrungen:
Essen
Berlin
Mainz
B. Schott's Solme, Mainz-Leipzig
507
Wet intetptetiett
Diese erstmalige Zusammenstellung kann keinen \r ^r^& ^^W^^R? *J » ^^^W^9^ w^m^w w
Anspruch auf Vollstandigkeit erheben. Der
MELOSVERLAG bittet die Leser umMitteilung
von Programmen, die nach Mafigabe des zur Ver-
fiigung stehenden Raumes in kurzester Form
kostenlos veroffentlicht werden.
Klavier
Viola
Paul Aron: de Falla, Nachte in spanischen Garten /
Hindemith, Tanzstiicke op. 19, Klavierkonzert
op. 36 Nr. 1, Reihe kleiner Stiicke op. 37 Nr. 2 /
To'h, Klavierstiicke, IVidner, Concerto Franco-
americain
HellmuthBiirwald: deFalla, Nachte in spanischenGarten
Hans Bruch und Lene Bruch- Wciller : Werke von
Hindemith, Toch
Victor v. Frankenberg : de Falla, Nachte in spanischen
Garten
Walther Frey : Beck, Concertino fur Klavier und
Orchester / Toch, Klavierkonzert op. 38
Walter Gieseking : Werke von Hindemith und Toch
Irmgard Grippain-Gorgcs: de Falla, Nachte in span-
ischen Garten
Clara Herstatt: Tscherepnin, Konzert fur Klavier und
Orchester Fdur / Benjamin, Concertino fur Klavier
und Orchester
Lilly Herz : Kodaly, VII. Klavierstiick / Bartok,
Burleske; Danse Romaine Nr. 1
Josef Hirfc: Hindemith, Klavierkonzert op. 36 Nr. 1
Hermann Hoppe: Toch, Klavierkonzert op. 38
Frida Kwast-Hodupp : Werke von Jarnach
Emma Liibbecke-Job : Hindemith, Klavierkonzert
op. 36 Nr. 1 ; Klavierstiicke
Gerda Nette :, Hindemith, Klavierkonzert op. 3"i Nr. 1
Elly Ney: Toch, Klavierkonzert op. 38
Franz Osborn : Hindemith, Klaviersttti ke / Toch, Klavier-
konzert op. <8
San Roma: Toch, Klavierkonzert op. 38
Albert Spalding: Debussy, Minstrels 1 Ravel, Tzigane
Paul Hindemitb: Hindemith, Bratschenkonzert, op. 36
Nr. 4
Winfried und Reinbard Wolf: Hindemith, Sonate
fur Viola und Klavier, op. 11 Nr. 4
Viola d'amore
Paul Hindemitli : Hindemith, Konzert fur Viola d'amore
und Kammerorchester, op. 46 Nr. 1
Violoncello
Emanuel Feuermann: Hindemith, Cellokonzert /
Schulthess, Variaiionen fur Cello u. Orch., op. 14
JIaurits Frank: Hindemith, Cellokonzert
Gesang
Marguerite Babaian: Hindemith, Serenaden
Hildegard von Bnttlar: Hindemith, „Die junge Magd"
Tini Debiiser: Hindemith, ,.Die junge Magd"
Anny Gantzhorn: Lieder von Haas
Gertrude Hepp: Lieder von Haas
Rose Herrlinger : Hindemith, „Die junge Magd"
Lotte Kreisler: Lieder von Haas
Felix Loffel: Othmar Schoeck, Elegie fur eine Sing-
stimme und Kammerorchester
Paul Lohniann : Reutter, Russische Lieder op. 21
Lotte Mader-Woblgemuth : Lendoai, 5 Sonette der
Luize Labe
Grete Merrein-Nikiscli : Hindemith, „Das Marien-
leben"; „Dic Serenaden"
Anny Quistorp: Toch, Die cninesische Flote
Hermann Schey: Stephan, „Liebeszauber"
Bertlie de Vigier: Waller Jesinghaus, Marienlieder
Rose Walter: Haas, „Tag und Nacht" / Hindemith,
r Marienleben u / Hindemith, „Die Serenaden" /
Toch, „Die chinesische Flate"
Reinbold v. Warlicli: Lieder von Haas
Nachdi'uck nur mit besonderer Erlnubnis 1
Violine
Licco Amar: Hindemith, Violinkonzert op. 36 Nr. 3
Eugenie Bertsch : Paul Mutter, Sonate B dur op. S /
Othmar Srhoeck, Sonate Ddur op. 16
HedwigFassbiinder: i/uufo>ni7A,Violinkonz.op.36Nr.3
Stefan Frenkel: Werke von Jarnach
Klein von Giltay: Werke von Jarnach
Bronislaw Huberman : Hindemith, Sonate dmoll op. 11
Walter Kiigi Beck, Sonatine / Toch, Sonate op. 44
Otto Kobin: Stephan, Musik f. Geige u. Orchester
Georg Knlilenkampf-Post, Hindemith, Violinkonzert
°p. 36 Nr. 3
Alma Moodie : Hindemith, Violinkonzert op. 36 Nr, 3
Alexander Sclimuller: Hindemith, Violinkonzert
op. 36 Nr. 3
Max Strub: Windsperger, Violinkonzert op. 39
Bilte bcziehrn Sic sich bei alien Anfraaen arf MELOS
508
MELOSBUCHEREI
EINE SAMMLUNG
MUSIKALISCHER
ZEITFRAGEN
HERAUSGEGEBEN VON
PROF. DR. HANS MERSMANN
Bandchen 1
HANS MERSMANN
Die Tonsprache
der Neuen Musik
Mit zahlreichen
Notenbeispielen
Keiner, der den Weg zur Neuen
Musik sucht, wird an dieser, im
besten Sinne allgemeinverstand-
lichen „Grammatik" vorubergehen
konnen
Bandchen 2
HEINZ TffiSSEN
Zur Geschichte
der
j lings ten Musik
(1913-1918)
Probleme u. Entwicklungen
Mit dem Blick des SchafFenden gibt
der Verfasser eine Ubersicht uber
Gewesenes und Gewordenes in
einem Zeitabschnitt, der trotz
seiner Nahe bereits ein Stuck
..Geschichte" ist
Bandchen 3
HEENRICH STROBEL
Paul Hindemith
Mit zahlreichen Noten-
beispielen im Text,
einem Noten-Anhang
und Faksimilebeilagen
Die erste ■ monographische Zu-
sammenfassung von Hindemith's
Gesamtwerk. Der ganze Entwick-
lungsweg dieses jungen Fiihrers
wird hier an Hand der Noten-
belege gezeigt — zugleich ein
Symbol fur die Entwicklung der
deutschen Musik uberhaupt
Broschiert je Mk. 2.80 / Ganzleinen je Mk. 3.50
Bestellkarte liegt bei
/
MELOSVERLAG / B. SCHOTT'S S HNE / MAINZ
509
Neudrucke
Russischer Musik
Arends, op. 7, Concertina f. Via. u. Pfte. 6. -r
Arensky, op.25Nr.3,EtudeGesdur,2hdg. 1.75
op. 36 Nr. 13, Etude Fisdur, 2hdg. 1.50
op. 56 Nr. 3, Chant triste f. Cello u. Pit. 2. -
Conus, Concerto Emoll fur Viol. u. Pft 5. -
Gliere, op. 34, 24 Pieces caract. f. Pft.
4 Hefte je . 2.50
Koussevitzky, op. 3,^Concerto f. Coritra-
bafi und Pft 5.-
op. 4, Humoreske f. Contrabafi u. Pft. 1.75
Rimsky-Korsakow, Hyrane an dieSonne
f. Klav. bearb. v. Walter Niemann 2.-
Tschaikowsky, op. 20, Schwanensee-
Ballett, Klavier-Auszug 10. —
Suite fur Salon-Orchester .... 8. —
Ferner erschienen Werke von Balakirew,
Borodine, Cui, Glazounow, Kalinikow, Medtner,
Moussorgsky, Pachulski, Prokofiew, Rebikow,
Scriabine, Strawinsky, Taneiew, Tscherepnin,
Wassilenko
Ausfuhrliches Verzeichnis kostenfrei I
ROB. FORBERG, LEIPZIG C 1
DEUTSCHE MUSIKBUCHEREI
Philosophen zur Musik:
Band 1
FRIEDRICH NIETZSCHE
Randglossen zu Bizets Carmen
Im Auftrage des Nietzsche-Archiv herausgegeben
von Dr. Hugo Daffner
In Pappband Mk. 1.50, in Ballonleinen Mk. 3. —
Dr. Erich Steinhord im „Auflakt <( : „Wohl die geistvollste,
knappgte Aesthetik, die zu diesem Werk ersonnen wurde l u
Band 40
ARTHUR SCHOPENHAUER
Schriften iiber Musik
Im Rahmen seiner Aesthetik herausgegeben
von Karl Stabenow
Mit einer Bildnisbeilage
In Pappband Mk. 2.50, in Ballonleinen Mk. 4. -
Die Krltik sagt: ,,Eine hoclist dankenswerte ZusammeQ-
stellung der musikalischen Sell rift en Schopenhauers; hat
er dodi begeiaterte und tiefe Worte iiber die Musik ee-
funden und ihr den letzten und hochsten Rang im Kreise
der Kiinste eingeraumtl"
GUSTAV BOSSE VERLAG
REGENSBURG
Die monumentale Volkslieder-Sammlung
herausgegeben von
Heinrich Moller
„ . . . Wir besitzen keine Volks-
Uedersammlung von dhnlidier Weite
der Anlage, keine zugleich, die das
Wesentliche ahnlich griindlicli und
feinsinnig herausstellt . . ."
Konigsberger Hartungsche Zeitung
D er neue Band:
(Band XII d. Sammlung)
IngariidteVolkslieder
44 Lieder im Urtext und dessert deutscher Uber-
tragung mit wichtigen Ausfuhrungen iiber Ent-
Ed.Nr. 560 Mk. 4. - stehungszeit, Ursprung, seltene Gebrauche usw.
B. SCHOTT'S SOHNE / MAINZ-LEIPZIG
510
1
Srans Cxftukrf
3at>rt?un5erffeier
Neuerscheinung
SCHUBERTS LIED
VON FELIX GUNTHER
Mit 150 Notenbeispielen und 8 Bildern
In Ballonleinen gebunden . , . M. 8.50
Die Warme und Begeisterung, die Liebe und Achtung, wie der Ver-
fasser seine Aufgabe Dehandelt, konnen unmittelbar ftir den Unterricht
vorbildlich werden. An einer zielbewufit ausgewShlten Reihe von
Liedern werden das Musikantische, das Geistige, das Ubermusikalische,
das Transzendente, das Personliche im Schaffen Schuberts herausge-
stellt, um daran die letzten Forderungen fur eine sinngemafie ^ieder-
gabe abzuleiten. (Halbmonatsschrift ftir Schulmusikpflege, Essen.)
Neuauflage
SCHUBERT
VON WALTER DAHMS
21 . und 22. Tausend. In Leinen gebunden M. 10.—
Reihe sKlassiker der Musik«
Das Werk von Dahms ist das beste fiber Schubert. Dahms ist ein
Kritiker, der sich noch die voile Urspriinglichkeit des kunstlerischen
Genusses erhalten hat, und der Schubert ganz verstand. Er ist fiber-
all sachlich und anregend, so anregend, dafi man von ihm sofort
zu Schubert eilen mufi und Schubert von neuem geniefit: inniger,
tiefer, berauschender. (Pester Lloyd.)
Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart, Berlin und Leipzig
511
OXFORD MUSIK
William Walton
William Walton ist einer der vielversprechendsten
englischen Komponisten, dem man tnteresse und
Bewunderung, weit iiber die Grenzen seines
Landes entgegenbringt.
Seine Werke, immer klar und prazise gearbeitet,
voll Vitalitat und Fantasie in Melodie und
Rhvthmus, erringen standig immer weitere inter-
nationale Anerkennung.
FACADE
Suite fiir Orcbester nach Gedichten von
Edith Sitwell.
Eines der zwei englischen Werke, die fiir das
Internationale Kammermusikfest in Sienna 1928
zur Auffiihrung ausgewahlt wurden. Es bietet
ein glanzendes Beispiel fiir Anwendung der Satire
in der Musik. Die Titel der einzelnen Satze
dieser Suite sind bezeichnet:
Polka, Walzer, Schweizer Jodellied, Tango
Pasodoble, Tarantella Sevillana.
Fiir Klavier zu vier Handen, bearbeitet von
Constant Lambert. Mk, 6.50.
Portsmouth Point, Ouvertiire
Nach einem Druck von Thomas Rowlandson.
Ein durch keinerlei konservative Reflektionen
gehemmtes Werk von sprudelnder Frohlichkeit.
Fiir Klav. zu vier Handen Mk. 6.50, Part. Mk. 15.-
Siesta
Fiir kleines Orchester.
Fiir Klavier zu vier Handen bearbeitet Mk. 5.-.
In Kiirze erscheint:
Sinfonia Concertante
fiir Orchester und Klavier.
Fiir 2 Klaviere zu 4 Handen bearbeitet
Auafiihrungsmateriale samtlicher angezeigten Werke leih-
weiae von den Verlegern. Preise nach Vereinbarnng.
ARTHUR RLISS
Quintett fiir Oboe und Streichinstrumente.
Dieses wichtige Werk kam bereits schon mehr-
mals in Venedig, Wien und in Amerika, durch
das Pro Arte-Quartett (mit Leon Goossens) zur
Auffiihrung.
Partitur Mk. 10.50 Stimmen je Mk. 10.50
OXFORD UNIVERSITY PRESS
95 WIMPOLE STREET / LONDON Wl
Alleinige Auslieferung fiir Deutschland :
HOFMEISTER, LEIPZIG
A PARAITRE PROCHAINEMENT:
CEUVRES DE
LAZARE
SAMINSKY
LITANIES PES FEMMES
(mezzo-soprano eleve et orchestre de chambre)
Premieres auditions en 1927 — 1928 a
Paris, Boston, Vienne et
Berlin
(Societe internationale pour la musique moderne)
„Une ceuvre tres impressionante par son
contenu emouvant, son intensite religieuse,
son gout artistique; la meilleure piece qui
nous est venue d'Amerique".
Dr. Hugo Leichtentritt, Berlin
„Une ceuvre individuelle d'emotion et de
forme"
B. de Schloezer (La Revue musicale)
VENISE
(orchestre de chambre)
Premieres auditions a Paris et Berlin
„Une ceuvre tres interessante de M.
Saminsky qui occupe une place des plus
honorables parmi les contemporains".
Stan Golestan (Figaro, Paris)
„Ein farbenreiches Charakter-Stiick"
Dr. Steinhagen (Berlin, Borsenzeitung)
DEJA PUBLIEES:
2eme Symphonie
(„Symphonie des Sommets")
Premieres auditions sous la direction de
Willem Mengelberg a New- York et
Amsterdam
LAMENTATION de Rachel (Ballet)
LA PESTE JOYEUSE
(opera-ballet en un acte)
MAURICE SENART
EDITEUR
20 rue du Dragon, Paris
512
Drei preisgekronte Symphonien
KURT ATTERBERG SYMPHONIE Nr. VI
FRANZ SCHMIDT symphonie Nr. in
CZESEAW MAREK SINFONIA BREVIS
Das grofie Preisausschreiben der Columbia-Grammophon-Gesellschaft hat in 10 Staaten
die zwei besten symphonischen Werke, die im Ceist und zum Gedachtnis Franz
Schuberts geschaflen wurden, mit Preisen ausgezeichnet. Aufierdem wurden die
mit dem ersten Preis gekronten Werke einer internationalen Jury vorgelegt, die die
Symphonien von Kurt Atterbere (Stockholm), Franz Schmidt (Wlen) und
Czeslaw Marek (Polen) in engste wahl gezogen und das Werk von Kurt Atter-
berg mit einem Preis von 10000 Dollar ausgezeichnet hat.
Durch eine Vereinbarung mit der Columbia-Grammophon-Gesellschaft, bei welcher die
Schallplatten dieser drei pr&mierten Werke veroffentliclit werden, und mit den Komponisten
werden diese Symphonien im Verlag der Universal-Edition erscheinen.
Die Urauffiihruiigen dieser drei Werke finden in dieser Saison statt:
KURT ATTERBERG: Giirzenichkonzerte, Koln (Hermann Abendroth)
FRANZ SCHMIDT: Philharmonische Konzerte, Wien (Franz Schalk)
CZESLAW MAREK: Stadthalle, Zurich (Volkmar Andreae)
UNIVERSAL-EDITION A.-G. /WIEN-LEIPZIG
Das Musik-Album des seriosen Klavier-Spielers
MUSIK DER ZEIT
EINE SAMMLUNG ZEITGENOSSISCHER WERKE
FUR KLAVIER
insechsBanden
In den Heften „Musik der Zeit" sind die meisten zeitgenossischen Komponisten mit ausge-
wahlten, bedeutsamen Klavierwerken vertreten, deren geistiges Geprage fur unsere Epoche
charakteristisch ist. Es wird darin das zeitgenossische KlavierschafFen alien Pianisten, die sich
fur moderne Musik interessieren, auf leichte Art zuganglich gemacht.
Preis jedes Bandes (iiber 40 Seiten stark) Mk. 2.50
Der I. Band (U. E. Nr. 9516) soeben erschienen mit Klavierwerken von
Barwinskyj, Braunfels, Dobrowen, Foerster, Friedmann, Kosa, Marx,
Rachmaninoff, Springer, R. Strauss, Szymanowski, N. Tscherepniii,
Jar. Weinberger
Die weiteren Bande folgen in nachster Zeit — Inhaltsverzeichnis der Sammlung gratis
Durch jede Musikalienhandlung zu beziehen
UNIVERSAL-EDITION A.-G., WIEN-LEIPZIG
513
Ph. Dr. LEOS JANACEK
am 12. August 1928 gestorben.
In dem Selbsthilfeverlag tschechoslovakischer Komponisten und Musikschriftsteller
Hudebni Matice Umelecke Besedy,
welcher fast alle seine Werke — aufier den Biihnenwerken — verlegt oder erworben hatte,
ist Folgendes erschienen und vorrfitig :
INSTRUMENTALWERKE
Auf verwachsenem Pfade, kleine Stucke fur Klavier
Ini Nebel, sechs Klavierstiicke. Neue Auflage
Sonate fiir Violine und Klavier. Aufgefiihrt auf dem Internationalen Musikfeste
und bei alien Janacek-Festen in London, Berlin, Wien usw. .
Ein Marchen, fiir Violoncello und Klavier
Streichquartett. Unter dem Einfluse von Tolstoj's Roman „Kreutzer-Sonate" komponiert ;
aufgefiihrt auf dem Internationalen Musikfest . Partitur- GM. 3. — , Stimmen
Jugend, Sextett fiir Blasinstrumente .... Taschenpartitur „ 3. — Stimmen
Bearbeitung fiir Klavier 2hdg.
Dorfgeigers Kind, Ballade fiir Orchester Taschenpartitur
Material leihweise in Abachrift
Taras Bulba, Rhapsodie fiir Ochester . . Partitur GM. 15. — , Klavierauszug 4hdg.
Material leihweise
Lachische Tanze, ein Pendant zu den Slavischen Tanzen von Dvorak
Im Druck, ersclieint im September. Material leihweise.
GM.
2.25
1.80
3.60
4.50
5.40
6.75
2.25
2.25
7.50
VOKALWERKE
I. Gesang und Klavier
Das Tagebuch eines Verschollenen, fur Tenor, Alt und 3 Frauenstimmen, mit
Klavierbegleitung, tschech.-deutsch. unterlegt. Text, franzosische Ubersetzung
Grofie Ausgabe GM. 11.25, Kleine Partitur
26 Volksballaden : I. Sechs Volkslieder, tschech.-deutsch
II. Mannerchore
4 Mannerchore, tschech.-deutsch Stimmen GM. 1.20, Partitur
Der wandernde Wahnsinnige, Mannerchor mit Sopransolo, Vorte von Rabindranath
Tagore Partitur
III. Frauenchore
VoneineraltersgrauenBurg(Hradcansk6pisnicky): 1. Das goldene Gafichen (acappella),
2. Klagende Fontane (mit einer Flote), 3. Belvedere (mit Harfe)
Partitur mit Floten- und Harfenstimme GM. 1.80, Stimmen
Die Ballade von Kaspar Ruzky, tschech.-deutsch Partitur
2.25
1.-
1.20
1.90
1.20
2.25
Interessenten erhalten einen Sonderprospekt Janacek" gratis. Dieser Prospekt (in deutscher
franzbsischer und englischer Sprache) enthfilt einen kurzen Lebenslauf und Photographie nebst
Verzeiclinis der Werke des verstorbenen Meisters.
Verlag Hudebni Matice, Prag ni.-487, Resednf ulice 3
Palais Umelecka Beseda.
514
Jf
(Soeben erfdjienen:
22 ikkx
hi Sot&amer IkhMtfw
in einfad)em brci< obcr Dierfiimmigen ©a^ sum ©ebraud) fur gemifcfjfen (Sftor
ober (Sinselffimme mif obcr ofjne 3nffrumentalbcgtei(ung obcr fur 3n|Trumcnfc
aflein (dewier, ©<rcid)er< ober Sfdfergruppen)
#eraudgegeben oon
^ui>o(f ©fegficf)
2 #effe. (Sb.'^T. 2598/9 a 2J?. 1.25
3nfyalfdangd&e:
#eft l: 3(d) OTelben, bu biel fcfjrnbc pein / M mefn ©ebanfen, bie id) Tjob / SDer 2Binter tuifl
t>intveid)en / 3d? fol>r bafjfn, ba ed mufj fein / 3J?ein jreub' m<Sd)t f(d) tuo^T meljren /
27lcin ijerj, bad iff befUmmerf fel)r / OTein fterj, bad iff eerounbef / 3Jlefn #erj f)at
fange 3eit gewa'ljff / OWnnigfid) 3artTid) gejleref / 27?6d)t id) bein I3egel)ren / Eertangen
fuf mid) franfen / 3arf £ieb, tx>ie fQg bein Sfnfang iff.
#eft 2: Sid) ©oft, tt>a<S OTeiben tut / 2fflm<id)f'ger ©otf, #err 3efu (Stjriff / 0er 2Ba(b fjat fid)
enfiaubet / 3d) bin bei il)r / 3d) tjaff mir autferforen / 3d? faf) efn Sifb / S?ann id) nid)t
Qberwerben / Sflein 2Jluf iff mir betriibef gar / 2Bad) auf, mein #orf / 2Batf id) beginn.
2(u0 berdinfutjrung 3 u bem JBcrfc:
„Sen ffreunben beulfrber OTuflf tolrb f/l«mlt cine Siudtoaf/I Bon ilebern borgelegf aud clncm ber toerteolTlfen Senfrndler
alter beulfdjer Ilebfunfl, bem £od)amer £leberbud), bac! balb nad) ber OJIIffe bed fdnfjebnten 3al)r|)unoerte: Innerijalb be*
fiullurfretfetf ber HelcWffabt Mrnberg nlebergefdjrle&en tourbe — role ti fd)eint, ate JBibmunq an elne Same — unb bad
ftlnen Jlamen nad) bem 23efl&erbermerf elnedJHlrnberger pafrhlerd, „3»olflein »on lodjamer" frd'gl. / Si tourbe erffrebf,
ble tleber In elner Jraffung ju btefen, ble roellen muflfalifrten ffrelfen jugd'n lid) 1(1, ©Ingenben tole ©plelenben In £au$
unb Jamllle tole In grSfieren ©emelnfdiaften, 6efonbertf aud) getnlfdilen Sbilren. Sod) tear oberfted ©ebof, ble OTeloblen
felbft unberdnbert ju ernalten, bedglelcften nad) JDlo'qlldjfeit ble Ileberlejle; benn nur, toenn fie Im tt>efenllld)en unangeiaffel
blelben, erifffnen fie uni ble fflelte bed balblaufenbjabngen £orljontd, ble bem 3<wber biefrr £ieber elne befonbere firafl
gibt. / Surd) ben blnjugeffiglen mebrftlmmigen ©afe, ber fur gemlfdjien ffbor tole fiir ft'lablerfpleler ober fflr eine ©rubpe
oon 3lreld)ern ober 25(d|ern allein ober aW 25egiehung lur aefungenen OTeloble unfdjroer au*f(lbrbar Iff/ follen ll)re ©ebraud)S<
mdglldjfellen erwelfert toerben. S(lierbing« legie ble JKItffltftl auf |o mannigfalle, leidjle Stu^fflbrbarfeil bem (Safe ©djranfen
au 1 , begeanefe anbrerfelte 1 aber gerabe einer ®etoobnb,elf frttberer ^abrbunberte: ber Sefffeung me^rffmmlger ©flltfe burd)
©ingfflmmen unb Jinftrumente getoifTe Srelbelfen ju (affen. / 25el ber Sfnorbnuna ber auSgewa'blten ileber tourbe barauf
gefeben, bap fid) ble rhsjlbmifdjen ©d)Wlerlgfelfen erft allmcibtid) (lelgern. So tolrb ei ben 2Jenub,ern urn fo leidjter feln, fid)
In biefe JBelfen elnjuleberf. &4 tperben 0* ifrtieri banrf nld)t nur f8ftlld)e 3eugnlffe beulfdier ffunff ber ».rgangenben er»
fdjllcfjin; ble grtoeilerung i^red empfinbungSfrelfee; tolrb fie bielleld)! aud) jllr neue TOgildjfelien elner fommenben 3Jlufl(
empfdinglldjer madjen. Dr. 3tub. ©teg (Id).
©ie #effe finb burd) j e be 3J?ufif aifenfjanbtung, aud) sur Sinfidjf, erf)a'(tnd)
@feingrcif)er^er(ag in leipsig
515
Geboren 1896 in Cakovec
in Jugoslawien. Anfangs
Autodidakt; studierte dann
1913 bis 1915 in Budapest
und 1921 bis 1923 in Prag.
Zur Zcit Professor am
BelgraderKonservatorium.
Der in seiner Balkan-
Heimat schon seitlangerer
Zeit als starkste Hoffnung
gewurdigte Komponist trat
1924 in Donaueschingen
mit seinem kraftvollen
Streichquartett zum ersten
Male vor das deutsche
Publikum.Gliihendes Tem-
perament, iiberlegenes
Konnen und eine religios
anmutende Liebe zur
Scholle lassen die Hoff-
nung gerechtfertigt er-
scheinen, es werde in
Slavenski ein „Smetana
des Balkan - ' erstehen.
Die verkorperie Musik des Balkan
DAS SCHAFFEN VON
JOSIP SLAVENSKI
KLAVIER:
Aus dem Balkan, Gesange und Tanze . . M. 2.50
Aus Sxidslawien, Gesange und Tanze . . M. 2. —
Jugoslawische Suite, op. 2 M. 4.—
S o n a t e , op. 4 M. 3. —
Tanze u. Lieder aus dem Balkan, Heft I/E je M. 2.50
VIOLINE UND KLAVIER:
Siidslawisclier Gesang u.Tanz (Improvisation) M. 2. —
Slawische Sonate, op. 5 M. 4. —
VIOLINE UND ORGEL:
Sonata religiosa, op. 7 . . . . . . . M. 4. —
KAMMERMUSIK:
Streichquartett, fur 2 Violine, Viola und
Violoncello, op. 3
Studien-Partitur M. 2.- Stimmen M. 8.-
Aus demDorfe, Quintett f. Mote, Klarinette,
Violine, Bratsche und Kontrabafi, op. 6
Partitur M. 3.- Stimmen M. 8. -
ORCHESTER:
Balkanophonia, Suite fur Orchester . Part. M. 40. —
Auffuhrungsmaterial nadi Vereinbarung
CHOR:
Voglein spricht (L'oiseau dit) fur Frauen-
chor und Klavier Partitur M. 3. —
Sangerpartituren nacri Vereinbarung
Gebet zu den guten Augen fiir gemiscbten
Chor a cappella Partitur M. 1.20
Sangerpartituren nacb Vereinbarung
B. S.CHOTT'S SOHNE, MAINZ - LEIPZIG
516
I Soeben erschienen:
Bernhard Sekles
I
Erste Suite
op. 34
fur Klavier zu zwei Handen
Ed. Nr. 2040 M. 4. -
I n h a 1 1 :
Vorspiel Erstes Zwischen-
spiel / Toccatina / Erster
Tanz / Zweiter Tanz /
ZweitesZ wischenspiel / Fuga
alia burla
Bei dem unbestrittenen
Mangel an geeigneten
Repertoire-Stiicken wird
jeder Pianist gem zu die-
sem reifen Wefke grei-
fen, Von rhythmische r
Pragnanz,abwechslungs-
reich, dankbar, technisch
nicht zu anspruchsvoll.
B. Schott's Sohne / Mainz-Leipzig
„Die
ganz reizende Serenade
eines der Werke Max Regers, die langst Bestandteile unaerer
Hausmusik geworden sind", so schreibt Prof. W. Al tniann
in dcr „Musik", ist im Original fur Flole, Violine und
Bratsclie geschrieben. Statt der Flote konnte man natiirlich
sell on immer eine Geigc nehmen. Jelzt hat Osaip Schnirli n
aber die Bratsche fur Violoncell umgeschrieben so daft das
Werk nunmehr in zwei neuen, bisher nicht ohne wei teres
inogliclien Beselzungen gcspiclt werden kann. Er hat aber
nocTi durch iiberaus genaue Bezeichnung des Fingcraatzes
und der Phrasierung, sowie durch Einsetzung von Stich-
noten in die Pausen die Austtihrung fiir den Einzelnen und
audi fiir cias Zusanimeiispiel ungemeiii- erleichtert.'*
Die ^Serenade" wird in der ncucn, der Musizieifahig-
keil der breiteren Schichtcn angepassten Gestalt zuhlreiche
neue Freunde sich erwerben. (Allgemciiie Musik-Zeitung)
REGER, op. 77a, I. SERENADE,
fiir 2 Violinen und Violoncell
von OSSIP SCHNIRLIN
Stimmen RJM 6. —
In jeder M usikal ienha nd 1 ung erhaltlich
oder v o in V c r I a g
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517
BRUNO
Das unentbehrliche Studienwerk fur jeden, der
sidi eingehend mit Neuer Musik beschaftigt.
HARMONIELEHRE
f E1GL
I. Die Lehre von dcr Hnr-
monik der dintonischeii,
der ganztonigen und dcr
chromatischen Tonreihe.
Umfang: I— XVI und 408
Seiten mit 782 Nolenbei-
spielen und zahlreichen Ta-
bellen.
II. Musferbeispiele zur Lehre
von \cr Harmonik.
Umfang: 120 Seiten
In Ganzlcincn gcbundeii:
Teil I: Mk. 12.—
Toil II: Mk. 8.—
Aus Besprechungen :
. . . eroffnet teilweise harmonische Perspcktiven, die bisher in der Praxis noch
koum beachtet worden sind, aber er gliedert sie sinnvo]! und organisch in den
ganzen Komplcx ein. Hierher gehoren die glanzend geschriebenen Kapitel iiber
dicFunf-, Sechs- und Siebenklange, die aufiertonale (1) Satztechnik und dieThcorie
der alterierten Akkordik, die in dieser Form cbenfalls ganz neu sind . .
Dr. Fischer (Allg. Muaik-Zeitung)
... so darf man sie als die praktisch venvendbarste und in diesem Sinne
als cine der besten Hormonielehren der Gegenwart bezeichnen . . .
Dr. Veidl (Der Auftakt)
B. SCHOTT'S SOHNE / MAINZ - LEIPZIG
©oeben erfd)icnen :
Otto 3o#um / (Sftrttf un& Me SBett
Sine 2Belfmad)f3mufff
fur eine ©ofoffimme, einffimmige S?inber« imb blerftimmigen gemifd)fen Sljor (ober funfffimmigen gem. Gfjor),
©treid)ord)effer, Drget; gffiife, D&oe, (Slarineffe unb #ar(e ab. libitum. Seifjeffe jum 2Jtufifanten III. Jtcifje
SSofattoerfe mft 3nflrumenten £eft 6. 1928. 12. ©effen. Dffab. 1. %\b. J>artitur;fart. 3UPt. 1.50. Besiell-Nr. 281.
©fimmen: ©opran, M, ISenor, Sap, SSiolfne I, II, Sratfd)e, (Mo, ffonfrabajj, Dboe, 5I6te, Sfarineffe,
#arfe, >gef ]e JUR. -.10.
3n ber ^orm t>on Sbor'parabbraferi begegnen »ir filer elnem alien firlppenlleb, bad ble SJugdburger ©Ingftbule 1926 jum erffenmat
aW fflflt>erf6r>ncn(>eS, Innlg blllenbed unt) bod) flraljleno aufleud)fenbe3 Slnale l&reii JBelbnadildfingend bracfofe. Sie Inflrumenlale
Sefefeung in fammermufifallfd) empfunben uno bod) ben ©efang ntdjl (iberwucfiernb, told bod) felbR bat cfiorlfdje 3n|1rument nur a\4
bereld)ernber, ble alien lleben JBelfen unterflreldienbet Jador geraenel feln. fflin|llerird)ed empfinb n litff bier lefete SBerie nld)l aui:
bad grope, tolrflldje Srlebnld bed firippentounberd mug '6m (Iberjeugenb unb toegberellenb jur @eile geOen. ©le Parlllur Iff fo
elngeridjlef, bag aud) ble „l(elne Sefefeung" gut (lingl.
3n 3teuauffage erfdjeinf:
Vincent £ti&ecf / 3ei&nddjfefatitaie
(2Bff(fommeti, fuper iSrfiufigam)
(Singerldjtef bon ^effmufr) OTeijj. 3f(ir tt>eiflimmigen &inber» ober 3frauend)or, jtoei (Sinjeulimmen, jfei
©eigen uunb Safl. iSeifjefte jum 2Jluf(fonten III. !Reil)e BofattDerfe mit 3nfTrumenfen #eff 4. 1927.
16 ©eiten. Qffao. 12-14. Zty. partifur fort. 'KSl. 1.- SSiofine I, II je WW. -.10. Bestell-Nr. 86.
($eorg ^affmeijer 23er(ag / 2Bolfenbuffef*:5er(in
518
Ein neuer Sensationserfolg von
J. M. HAUER
Hauer, der im Vorjnhre mit seiner VII. Suite beim Frankfurter
Musikfest einen groGen, spontanen Publikumserfolg errungen
hat, welcher sich dann in Berlin wiederholte, hat jetzt neuer-
dings mit seinen
fANDLUNGEN, OP. 53
Kammeroratorium fiir-Biihne oder Konzert
nach Worten von Holderlin
den starksten Erfolg beim Baden-Badener Musikfest 1928, erzielt.
EINIGE PRESSESTIMMEN:
Deutsche Allgemeine Zeituug (W. Sclirenk)
. . . der grofie Erfolg des Festea. Hier spurt man den Klang einer~grofien und tiefen Menschlichkeit . . .
ein formal ganz geschlossener mnsikalischer Ban . . . Jeder Takt dieses Werkes ist erfullt von lebendigem,
warmherzigen Auadruck ...
Badisclie Presse, Karlsruhe (Ad. Aber)
. . . dos erste, grofie mit stiirmischem Jubel begriifite Ereignis des Festes . , . Hauer vermochte es zu dieaen
HGlderlinschen Warten eine durcliaus ebenbiirtige Musik zu schreiben, eine Musik, die mit ihrem wie aus
einer anderen Welt kommenden Klang alle Horer vom ersten Takt an in ihren Bann zwingt.
Miinchner Neueste Nachricliten (O. v. Pander)
. . . der Gewalt seines kunstlcrischen Schaifena konnte sicli niemand entzichen, der untcr dem Eindrucke
die8er hocliat originellen und uberzeugenden Scliopfung stand.
Dc Telegraf, Amsterdam
Es war ein unerhorter Jubel; ein Ereignis, wie man ea selten erleben kann , . . Jedes Wort verstummt hier,
Kritik muli vor einem Meister voll Enrerbietung schweigen und Hauer danken, dafi er uns von dem Uber-
flufi der Schonheit so viel schenkt.
DIE UBRIGEN ¥ERKE VON HAUER
KLAVIERMUSIK m.
V. E. Nr.
8380 Klavierstiicke, op. 3, 9, 10, 16
8381a/b Etuden, op. 22, I/H . . .a
KAMM'ERMUSIK
2.50
3.-
8667
9443
8395
3438
Streichquartett VI, op. 47,
Stimmen 4. —
LIEDEH
Holderlin-Lieder, Bd. I,
op. 10 u. 12, fur mittlere
Stimme und Klavier . .
2.-
u. E. Nr. ORCHES|TERVEBKE
Romantische Fantasie, op. 37
Suite VI, op. 47 . . .
9429 Suite VII, op. 48, Part. .
7 sinfon. Stiicke, op. 49
Sinfon. Orchestei'stiicke,
op. 50
Suite VIII, op. 52 . .
Violinkonzert, op. 54 .
Klavierkonzert, op. 55
Mk.
20.-
Theoretische Schriften
Vom Melos zur Pauke. Eine Einftihrung in die Zwolftonmusik ..... 1.—
Zwolftontechnik. Die Lehre von den Tropen 1.-
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I
519
Im April d. J. erschien:
Histor.-Biographisches
Refardt Musiker - Lexikon
der Schweiz
Umfang: 360 S. Lexikonformat
Preis : In Ganzleinen Rm. 20. —
In Halbleder Rm. 24.-
Umfafit die Namen, kurze
Biographien nebst Quel-
lenangaben u. vor allem die
Werke v. 2440 verstorbeu.
u. lebenden Komponisten
u. Musikforschern in der
Scliweiz, von den mittel-
alterlichen Anfongen bis zur
Gegenwart und bildet damit
das um fosse nds te und zu-
verliissigste Material fiir
eine kiinftige schweizer.
Musikgeschichte.
Aufloge 1000 Exemplare.
Interesacnten, namen tlicli
Bibliotheken, mogen bald
beatellen, da eine Neuauf-
lage sehr fraglicli.
Nahezu die Hal fte der Auf-
lage bercits abgesetzt.
Gebriider HUG & Co. / Zurich
Vcrlag gewichtigsler sclnvcizcrischer Komponisten wie
Andreae, Barblau, Brun, David, Hegor, Hans Huber,
Lanber, Schoeck, SdiuHhefi, Suter, Wehrli usw. usw.
L U C A MARENZIO
$tffane((eti
fiir &rci ©timmen
j&erau«(gcge6en t»on &an$ @nget
Bllf lladenlfdjem unt> beutfcfytm Xejjl. iiberfe&ung oon Paul £auemann. 24 @eilen parlllur, 2Jlf. 2.50, BA 96
a(ud) in ber gegenflber bem 3JJabriga( fd)fid)feren ®affung ber 2$fffaneffe l)at 3J?arenjio, ber grbpte
2Jlabrigafiff bed 16. 3al)rl)un&erf$, bie finnoofle Siutfbeufung unb fefnffe ©effamation betf Segtetf
mif anmufiger OTetobif ju oerbinben twffanben. Die feine RfeinfunfT bicfer -Ciebetfd'eber forbert
lebenbigffen 25orfrag. Slud) 3nffrumente fonnen miffpiefen ober bie ©ingffimmen j. Z. erfe&en.
JAKOB REG N ART
©eufftfje £iei>er m flfof <3«mmen / 1580
3u fingen unb ouf 3nflrumenten %u fpieten / ^eraudgegeoen t>on £e(muty Cftfyoff
48 ©eilen Parlllur, JJlf. 3.— BA 256
3n biefen um>ertt>elf(id)en Sriid)fen beuffd)er £iebmuf(f fpfegetn f(d) £eben$gefiif)f unb 2JJufif»
auffaJTung jener 3<*ft. ©ie gefcitfigte ©pradje bfefer 2J?ufif f ff t>ofl fonfrapunffifdjer Jeinljeiten fm
Cftaljmen einer farbigen ftarmonif. S(ud) 3Bi& unb £aune fommen in ber oon 3of?ann ©faben fpdter
ebenfafte oerfonten ©efd)id)fe bom Kutfucf unb ber 3lad)tfgarf gu ffyrem Jtedjt. Sludfufyrfidjetf
2?ortPorf unb frififdjetf 3Jad)morf jeigen bie tt>iffenfd)afflid)e ©runbfage bicfer praffifd)en Sfudgabe.
BARENREITER-VERLAG KASSEL
520
Die hisiorische Fassung
Die Bettfer* Oper
CT ' B e Beggar's O p e r a J
wie sie aufgefiihrt wurde in
dem Koniglidien Theater in
Lincolns «Inn = Fields <1728).
Gesdirieben von
Mr. John Gay
u. Dr. Pepusdi
neu bearbeitet, musikalisdi revidiert
und erganzt von Frederic Austin.
Fiir die deutsdie Biihne unter Be=
nuizung der Uebersetzung von
Georgy Caimus, eingeriditet von
Dr. Otto Erhardt und Dr. Kurt
Eiwenspoefc.
Die vorliegende Fassung der
„Bettler=Oper" ist das Original
Gay's und Pepusdi's in einer fiir
den heutigen praktischen Biihnen=
gebraudi zugesdinittenen Bearbei-
tung von Austin und Piayfair.
Uefoer 1500 Auffuhrungen
hat diese Neuausgabe fiir die
moderne Biihne in den Ietzten Jahren
allein in London erlebr. Diese geist=
spriihende Parodie auf die italie=
nisdie Prunkoper des Rokoko, weldie
seinerzeit die Handel'soSe Oper aus
England verdrangte, ist — wie
der beispiellose Erfolg beweist —
audi heute noch als originelle
Verbindung von Satire, Rauber-
roman, Liebesabenteuer und Krimi-
nalgesdiichte iiberaus wirksam.
Urauffiihrunfj demnadist am
Hessisdien Landestheater in
Darmstadt.
Klavierauszug Ed. 1071 M 12.-
B. ScBott's Sofrne ■ Mainz und Leipzig
Notenbeispiele zur Meloskritik I:
»Neue Musik aus dem Sdionberg«Kreise«
tye.i Ve.z,
&e.4
^f^^ l LlL t " ^W y ^^
ty.l
777oet-o 6LoiA9.i'a
fet»o$»e/rf
JtOCo OreAd.
poeoj norcf.'
Beilage zu MELOS Oktober 1928
i
MELOS
ZEITSCHRIFT FDR MUSIK
SCHRIFTLE1TUNG: PROF. DR. HANS MERSMANN
Alle Sendungen fur die Sclinftleitung und Beapvechungsstiicke nach Berlin-Grunewald, Neufertallee 5 (Fern9pr. Uhland 3785) erbeten.
Die Schriftleitung bittet vor Zuaendung von Manuakripten um Anfrage mit Riickporto. Alle Rechte fur sfimtJiche Beitrage vorbehalten,
Verantwortlich fiir den Teil „Musikleben" : Dr. Heinrich Strobel, Berlin; fiir den Verlag und den Anzeigenteil: Dr. Johannes PetscliuU,
Mainz / Verlag: MELOSVERLAG (B. Schott'a Sohne) MAINZ, Weihergarten 5; Fernsprecher 529, 530; Telegr.: MELOSVERLAGt
Postacheck nur Berlin 19425 • Auslieferung in Leipzig: Linden a trafie 16/18 (B. Schott's StJhne) Druck: B. Schott's Sohne, Mainz
Die Zeitschrift erscheint am 15. jeden Monata. — Zu beziehen durch alle Buch- und Muaikalienhandlungen oder direkt vom Verlag.
Das Einzelheft kostetl. - Mk., das Abonnement jahrl. 8. - Mk., halbj. 4.50 Mk, viertelj..2.50 Mk. (zuziigl. 15Pf. Porto p.H., Ausland 20 Pf. p. H.)
Anzeigenpreise: '/> Seite 100.- Mk. 1 ( i Seite 60.- Mk. 1 j 4 , Seite 35.- Mk. Bei Wiederholungen Rabatte. Auftrfige an den Verlag.
ZUM INHALT
Begriindung und Ausbau musikalischer Gegenwartsfragen fiihren immer wieder
iiber die engeren Kreise der Musik hinaus. Deren Entwicklung als Ted eines grofieren
Ganzen zu sehen, sie einzuoidnen in das Gesamtbild der Zeit, Briicken hinuber zu
schlagen zu den andern Kunsten, ist Forderung, die immer neu und dringlicher erscheint.
Auf sie ist der Hauptteil dieses Heftes eingestellt, nicht im Sinne der Vollstandigkeit,
in der ein Uberblick iiber alle Krafte der Zeit zu geben versucht wiirde. Statt dessen
leitete uns diesmal der Gedanke, einige Personlichkeiten von ausgepragter schopferischer
und kritischer Aktivitat um Aufierungen zu bitten. So sprechen ein literarischer Kritiker,
dessen Werk von starkstem Gegenwartsbewufitsein getragen wird, ein den jiingsten und
zeitbetonten Problemen zugewandter Architekt und ein Maler aus dem Kreise des
Dessauer Bauhauses. Die Einheit der Gesinnung, welche sie bindet, ist die gleiche, die
in dieser Zeitschrift immer zum Ausdruck gebracht wurde.
In der Rubrik AUSLAND wollen wir in einer Reihe von Heften die Beziehung zu
den romanischen Nachbarvolkern, zu Italien und Frankreich ausbauen. Im RUNDFUNK
tritt neben zusammenfassende Berichte die Erorterung aktueller und musikpolitischer
Probleme. Die erweiterte Form unserer MELOSKRITIK nimmt aufier der kollektiven
Wurdigung des jungen siiddeutschen Komponisten Hermann Reutter zu den wichtigsten
Erscheinungen musikalischen Schrifttums Stellung.
Die Schriftleitung.
[ I e r b e r t ,T h e r i n g (Berlin)
ZEITTHEATER
Eine Krise durcbzieht die gauze Kunst. Eine Bewegung, die man in der Diclitung,
in der Malerei, in der Architektur, in der Musik erkennen kaim; eine Bewegung, die
Oper und Drama, also audi Operndarstellung und Schauspielkunst ergreifen mufi. Es
ist die Krise der Gefiihlsbewaltigung, der direkten Wiedergabe der Empfindungen. Nicht
umsonst ist sogar in der deutschen Diclitung, die weniger epische Bestandteile hat als
irgendeine Poesie der Weltliteratur, das Anwachsen der berichtenden, der epischen Ktinst
bemerkbar. Nicht umsonst treten in der Oper die direkten, dramatischen Gefiihlsex-
plosionen zuriick. Nur in die Auffuhrungen der klassischen Schauspiele und Opern
fiiichtet sicb immer wieder das alte Theater.
Neue Stoffkomplexe kommen herauf, die eine andere Art der Verdeutlicbung ver-
langen. Man spiirt Welt und Weite, Volkerschicksal, Erdschicksal — noch nicht geformt,
aber als Material. Die Bereicherung der Biihnenmittel dient einer Bereicherung der
Anschauung, die mechanische Vervollkommnung einer Erweiterung des Erlebnisbezirkes.
Das dramatische Schaffen der Gegenwart: weniger als jemals kann man es lite-
rarisch losgelost und ohne Zusammenhang mit den Biihnenmoglicbkeiten der Zeit be-
tracblen. Es gibt eine Zeitdichtung aus der Zeit. Es gibt eine Zeitdichtung gegen
die Zeit. Der grofie Kiinstler gegen die Zeit ist Ernst Barlach. Adlig und einsam.
AVeltfern und weltnahe, weltzufern und weltzunahe. Deutsch in einem tragischen,
ergreifenden Sinne. Inbriinstig imd schwierig; streng und verschlossen ; priesterlich
und prophetisch. Der Anblick des menschlichen Kampfplatzes ergreift. Das Schlacht-
l'eld ist der Dichter selbst. Ernst Barlach ist der Schauplatz seines Dramas.
Kein grofierer Gegensatz zu Barlach ist denkbar als Bert Brecht. Wenn Barlach
alle individualistischen Spannungen durch Uberirdisches und Gottliches ausgleichen lafit —
clurch das Gottliche im Individuum — so fuhrt Brecht das Individuum in das KoUektivum
zuriick. Er geht dicsen Weg von Jahr zu Jahr klarer. Man sieht es an der "Wandlung,
die von seinen Dramen etwa das „Dickicht" durchgemacbt hat. In keiner dramatischen
Dicbtung des letzten Jahrzelmts war so stark das ausgedriickt, was ich das Anfangsge-
fiihl nennen mochte. Hier ist das Anfangsgefuhl, das die naturfernste Weltstadt wie
eine neue Natur, wie unwegsames, unentdecktes Urland zeigt. Im „Dickicht" waren
die rohesten Elemente einer brutalen, hemmungslosen Zeit angesetzt, urn eine geistige
Schlacht zu schlagen.
Die Atmosphare dieser Schlacht faszinierte. Eine tropische Hitze, eine arktische
Kalte lag wechselnd iiber einer gigantischen, teclmisch-raffinierten, technisch-barbarischen
Stadt. Brechts Zukunft mufite dort liegen, wo er dramatisches Klima auch ohne Exotik
schaffen wiirde. Exotik als Schmuck, als Verlegenheit war iiberwunden. Exotik
auch als formales Prinzip zu iiberwinden, mufite Brechts Entwicklung sein. Brecht
ZEITTHEATER 523
ist den Weg zum Ziele einer wesentlichen Dramatik gegangen. Er hat den Mut gehabt,
die uppige Naturkraft seines Friihwerkes „Baal" zu beschneiden. Er hat aus der Bal-
lade eine dramatische Biographie gemacht. Kontraste sind wesentlich geworden, die
sonst kaum angedeutet waren, wie das Auftauchen der Riesenstadte, das Nahen einer
eisernen, steinernen, mathematischen Zeit hinter der versinkenden Naturwelt des „Baal".
Brecht ist im Drama denselben Weg gegangen, den seine private und lyrische Entwick-
lung genommen hat : den Weg von seiner Heimatstadt Augsburg nach Berlin, von
Bayern nach Ruhrort und^ins Industriegebiet, von den Knabenspielen am Lech zur
Maschinenarbeit am Niederrhein, von den Seerauber-Balladen zum Lesebuch fur Stadte-
bewohner, von farbigen Erfindungen zu gedrungener Sachdarstellung. Das neue ,,Dickicht",
der neue „Baal", die Komodie „Mann ist Mann" sind Ubergangswerke, hinweisend aid'
soziale Stiicke, auf grofie Stadte- und Industrieschauspiele. Langsam die Sinnlosigkeit
der rein asthetischen Wertung aufdeckend und ein anderes Urteil herausfordernd als
„gut oder schlecht". Sie sind das Resultat einer Welt- und Kunstanschauung, die die
Mechanik des Maschinenzeitalters weder feiert noch angreift, sondern selbstverstandlich
nimmt und dadurch tiberwindet. Die Entwicklung geht immer mehr auf Schmucklosig-
keit und Sachlichkeit. Immer mehr werden aromatische und atmospharische Wirkungen
abgestreift. Immer mehr befreit man sich vom Exotischen und Farbigen. Immer mehr
strebt man einer Dichtung zu, die ohne Metapher zu haben, Metapher ist. Man kann
sogar bei Goethe in den Maximen und Reilektionen einen Satz finden, der ahnliches
andeutet: „es gibt eine Poesie ohne Tropen, die ein einziger Tropus ist".
Brecht gehort zu der Theaterbewegung, die auf der einen Seite sich mit Piscator,
auf der anderen mit dem Begisseur Erich Engel beruhrt. Es kann nicht schlecht stehen
um eine Sache, die miihelos mit den Bewegungen auf verschiedensten geistigen Gebieten
zusammenkommt. Starre Formen werden durchbrochen. Selbst die konservativste
Kunstgattung: die Oper wird aufgelockert. Selbst das konservativste Publikum : das
Musikpublikum wird beweglich gemacht. Vom Film fiihrt eine Linie zu Strawinskys
herrlicher „Geschichte vom Soldaten", von der „Geschichte vom Soldaten" zu der spren-
genden, gegenwartigen, beschwingten ,,Dreigroschenoper". Es ist kein exclusiver Kreis,
der literarisch oder musikalisch „reformieren" will. Die Bewegung ergreift die absterbendc
Operette wie die strenge Kunst, sie will die Vergniigungsindustrie treffen wie das Kon-
zertpublikum. Sie beruht sich auf der einen Seite mit dem Ausdruck des Films: Chaplin.
Buster Keaton, auf der anderen mit den versachlichenden Bestrebungen der Musik :
Otto Klemperer, Strawinsky, Paul Hindemith, Kurt Weill, auf der anderen mit Piscator.
Strawinskys „Oedipus Rex", der das Oedipusdrama in lateinischer Sprache, mit Choren
und einem erklarenden, hinweisenden Sprecher fast wie eine Liturgie gibt, in objekti-
vierendem, epischen Ablauf; Brecht, der ein neues Drama plant „Der Untergang des
Egoisten Johann Faszer" modern, mit Sprechchoren, ruhig, einfach, Vorgange episch dar-
stellend; Erwin Piscator, der den Film als chorisches, begleitendes, episches Element
verwendet; Kurt Weill, der JVIahagonnysongs" als episches Songspiel plant; Otto Klemperer,
der aus der Musik jede falsche und verschwommene Gefiihlsdramatik heraustreibt; der
Regisseur Erich Engel, der als Spielleiter die unaufgeregte, klare, verstandliche Darstellung
der Vorgange anstrebt: was bisher getrennt nebeneinander- und auseinander lief, das
verbindet sich. Fruher dichtete jeder willkurlich darauf los. Da deklamierte treuherzig
524 GEORG MUCHE
Schmidtbonn. Da glaubte Herbert Eulenberg den romantischen Philisterschreck auf-
stellen zu konnen. Da liefi Fritz von Unruh seine bombastischen Phrasen los. Selbst
Ernst Toller blieb im losgelost Ideologiscben, und Georg Kaiser, der einen untriiglichen
Zeitinstinkt hat, arbeitete isoliert. Da wurde gegen die Zeit gewettert, da wurde fur
die Zeit Partei genommen. Jeder fur sich, keiner fiir den anderen. Diese Zeit ist end-
giiltig vorbei. Es ist weniger eine Zeit der einzelnen Begabung, als eine Zeit der ge-
meinsamen Kraft und Bewegung. Wie in dem Prinzip des neuen Bauens immer inehr
der Geraeinschaftsgedanke betont wird, wie die Zeit des individualistischen biirgerlichen
Hauses vorbei ist, so hat sich audi das Theater von Grand auf gearidert. Neue Lebens-
formen. Neue Biihnenformen. Es gibt eine Zeitbewegung. Es gibt Kiinstler, die zu-
sammengehoren. Die Zeit der Vereinzelung ist vorbei.
Georg Muche (Berlin)
MALEREI
Im Vergleich zur Popularitat technischer Leistungen, gemessen an dem Interesse
das Sport, Film und Bevue finden ist die Anerkennung, die der modernen Malerei ent-
gegengebracht wird, gering. Dem Glauben an die Zuverlassigkeit wissenschaftlicher Forschung
und der Erkenntnis ihrer offenbaren Bedeutung entspricht fast vollkommene Indolenz den
Phanomenen bildender Kunst gegenuber. Vom Gipfel rationalistischer Anschauung aus
betrachtet, schwindet die Malerei zu einem bedeutungslosen Blickpunkt zusammen und
man mufi sich schon von den geringen Spuren, die sie an der OberflSche der heutigen
Gesellschaftsschichtung bildet, abwenden, um Werte zu finden, die ihrer absoluten
Bedeutung auch heute entsprechen.
Die Duldung, die bildende Kunst immerhin nocli bei Staat und Burger findet, ist
nicht viel mehr als das anerzogene Pflichtgefiihl einer Vergangenheit gegenuber, in
welcher der Begriff Kultur ohne die Kiinste nicht denkbar war. Die Duldung steigert
sich zur Anerkennung dann und wann, aber die Motive sind in den wenigsten] Fallen
geeignet, eine Notwendigkeit der bildenden Kiinste fiir den heutigen Tag zu be-
griinden. Die Bationalisierungs-Bestrebungen haben die Entwicklung der modernen
Malerei im letzten Jahrzehnt stark beeinflufit — so sehr, dafi die spaten Auslaufer der
abstrakten Gestaltung endgiiltig in dem Formalismus der modernen Architektur,
Typographie und Beklame ihr Ende gesucht und gefunden haben.
Das Mafi der Anerkennung ist nicht entscheidend fiir den Wert einer Sache, die
ihre sinnvolle Bedeutung nicht an dem Grad ihrer praktischen Brauchbarkeit, sondern
dort beweisen mufi, wo in tieferen Schichten geistige Prinzipien zur Ordnung und zum
Aufbau drangen.
Die widerspruchsvolle Folge der Entwicklungsreihen innerhalb der Malerei lafit
jede auf eine absolute Bichtigkeit begrenzte Zielsetzung als Irrtum erscheinen, der wie
iiberall auch hier notwendig ist als Voraussetzung fiir den Glauben an den Wert mensch-
lichen Bemiihens iiberhaupt. Die theoretische Begriindung einer kiinsderischen Leistung
wird damit unwichtig. Die Theorie kann rich tig sein immer nur in Bezug auf die vorbe-
MALEREI 525
dachte Absicht und auf die Mittel, die zur Realisierung notig sind - aber nicht als verall-
gemeinerte Wissenschaft. Insofern sind audi die nachtraglich konstruierten Theorien, die in
den Moglichkeiten der abstrakten, gegenstandslosen Gestaltung eine besondere Erweiterung
und Vertiefung der Malerei und die Sprengung ihrer bisherigen Grenzen erwarten, un-
zuverlassig. Letzten Endes entscheidet dasselbe Mafi, mit dem auch die entgegengesetzt
begrtindete Leistung gewertet wird. Im Reiche des Schopferischen koinzidieren die Gegen-
satze. Die Qualitaten des Impressionismus werden durcli die Theorien der modernen
Maler nicht beeintrachtigt, obwohl der Kubismus in direkter Opposition zu ihm entstand
und ihn zeitlich abloste.
Die moderne Malerei — das ist ihre Entwicklung zwischen 1908 und jetzt —
erlebl ihren Hohepunkt am Anfang. Der Beginn ist von elementarem Gestaltungswillen
getragen und die ersten Ausstellungen in Paris und Deutschland wirken sensationell
und tragen Erregung in die breitesten Schichten. Sie zwingen zur allgemeinen Auf-
merksamkeit. Es folgt fast allgemein Verurteilung und Ablehnung. Diese Symptone
sind ein wichtigeres Zeichen fiir den Wert der Malerei, als oberflachliche Anerkennung
und Erfolg es gewesen waren. Die Erorterungen der Probleme der Malerei werden bis
in die Reihen der Behorden getragen. Abgeordnete der franzosischen Deputierten-
kammer stellen Antrage, um Burger und Staat vor den Kubisten zu schiitzen und in
Deutschland bemiiht sich die Kritik zunachst, die modernen Maler in Verruf zu bringen.
Die Manifeste der Futuristen, die Malereien der Kubisten, Expressionisten und abstrakten
Maler wirken aufreizend in der geruhsamen Entwicklung der Vorkriegsjahre.
Und warum dieser Erfolg, der sich zunachst in der Emporung des Publikums
aussert? Es hatte sich das wiederholt, was schon zur Zeit des Impressionismus wenige
Jahrzehnte vorher eingetreten war. Auf einem bestimmten Gebiet wurden die ge-
wohnten Begriffe und Vorstellungen vollstandig aufgehoben. Die Gesetze der Vernunft
schienen verwirrt zu sein. Man konnte seinen Augen nicht mehr trauen und auf der
anderen Seite, bei den Malern wurde behauptet, dafi dies alles im Sinne einer
organischen Gesetzmafiigkeit geschehe, dafi die Moglichkeiten der Malerei wieder un-
endlich bereichert wurden und mehr noch, dafi man nun einer hoheren Ordnung der
Bildgestaltung nahe ware. Von hier an beginnt das Formproblem der modernen Zeit
aktueB zu werden.
Zunachst bleibt die Malerei noch frei von verallgemeinernden Tendenzen. Die
Auseinandersetzung mit den Problemen der Technik bleibt auf das Motivische
beschrankt. Das malerische Problem steht noch allein im Vordergrund. Lediglich die
italienischen Futuristen propagieren durch penetrante Literatur Umsturz auf alien Ge-
bieten. Die Konzentration des Inter esses auf die Malerei bleibt zunachst erhalten und
erst im zweiten Jahrzehnt der Entwicklung beginnt die Verallgemeinerung. Die neue
Form, die im Bild zuerst Gestalt geworden ist scheint in ihren Elementen und Prinzipien
geeignet zurModernisierung auch der technischen Produktion, soweit es sich um Probleme der
Form handelt. Die Grundung und Entwicklung des Bauhauses ist ein Schulbeispiel
dafur. Das Schlagwort seiner ersten Ausstellung heifit: „Kunst und Technik eine neue
Einheit". Es wird der Versuch zur Bationalisierung der Kunst — der Malerei —
gemacht. Die Durchfiihrung ergibt interessante Versuche, auffallende Leistungen und
wesentliche Anregungen bei nach und nach vollstandiger Preisgabe der Malerei als Kunst
526 GEOHG MUCHE
und Ziel. Die Erfahrungen der abstrakten Bildgestaltung werden zu Form- und Farb-
lehren zusammengefafit, sie geben den padagogischen Unterbau fur eine Methode, die
in der Architektur die Aufgaben zu finden glaubt, in der die im teclinischen Zeitalter
iiberflussige Malerei aufzugehen Gelegenheit hat. Es beginnt die Infiltration der Archi-
tektur mit Malerei. Die Malerei fangt an, einen heimtuckischen EinfluG auszuuben.
Die Ideen der abstrakten Gestaltung dringen ein in den formlos gewordenen Organismus
der tradition ellen Bauerei und verursachen eine Verpuppung der Architektur durch
welche die Modernisierung des Hausbaus vorgetauscht wird. Die Durchdringung von
bildender Kunst und Technik hat die Klarung des Problems „Kunstform — Ingenieur-
asthetik" zur Folge.
Die enge Verbindung moderner bildernder Kunst mit der technischen Entwicklung
im 20. Jahrhundert fiihrt nach einer aufierordentlich bedeutungsvollen Zeit schopferischen
Austauschs auf geistig durchaus polar gelagerten Gebieten mit uberraschender Konsequenz
zur gegenseitigen Abstofiung. Die Illusion, dafi die bildende Kunst in der schopferischen
Art technischer Formgestaltung aufzugehen hatte, zerschellt in dem Augenblick, in dem
die ersten Beispiele zustande kommen. Die aus der kiinstlerischen Utopie in das ver-
heifiene Gebiet der technischen Gestaltung herausgefixhrte abstrakte Malerei scheint ganz
plotzlich ihre vorausgesagte Bedeutung als formbestimmendes Element zu verlieren, weil
die Formgestaltung des mit technischen Mitteln erzeugten Industrieproduktes sich nach
einer Gesetzmafiigkeit vollzieht, die nicht von den bildenden Kiinsten abgeleitet werden
kann. Kunst und Technik sind wesensverschieden. Die technische Form entsteht im
Gegensatz zur Kunstform iiberindividuell als Ergebnis einer objektiven Problemstellung.
Die Argumente der Zweckmafiigkeit und der technischen, wirtschaftlichen und organi-
satorischen Rentabilitat werden zu Formbildnern eines in seiner Art erstmaligen Schon-
heitsbegriffs. Das kxinstlerische Formelement ist ein Fremdkorper im Industrieprodukt.
Die technische Bindung macht die Kunst zu einem nutzlosen Etwas — die Kunst, die
allein tiber die Grenze des Gedankens hinaus zur Grofie schopferiscber Ungebundenheit
einen Ausblick geben kann.
Der Einflufi der Malerei bleibt nicht auf die Architektur beschrankt. Die Neigung
zu Formwandlungen ist allgemein.
Foto und Fdm als hochwertige, modern e Darstellungsmittel beunruhigen die Theorien
der Malerei und bedrohen sie am meisten in ihrer Existenz. Sie liefern die Argumente
gegen die Malerei, die neben der Kamera zu einem Handwerk wird, das im Zeitalter
der Technik keine Berechtigung zu haben scheint. Sclion die Erfindungen Daguerres
und die schnelle Vervollkommnung der Fotografie im 19. Jahrhundert hatten die Malerei
in eine Krisis gebracht und die Spekulationen iiber die Kontroverse Malerei — Fotografie
begannen schon damals und fanden ihren Ausgleich in dem Schlagw r ort des Impressionismus
von der „Kunst, die Natur — gesehen durch das Temperament des Kuustlers sei."
Zur Rechtfertigung der Malerei fand man heraus, dafi die Kamera das Temperament
paral) r siere, dafi durch die Zwischenschaltung chemisch-physikalischer Vorgange die
Formel fur die schopferische Leistung nicht mehr stimme. Aber je mehr der Anschlufi
an die Technik und Wissenschaft gesucht wurde, desto griindlicher wurden die Beziehungen
zur Fotografie wieder aufgenommen. Die Experimente moderner Farb-Formgestaltung
bereichern die Moglichkeiten der Kamera (abstrakter Film, Fotogramm und Fotomontage).
B A U E N 527
Die Verbindung optischer und phonetischer Kompositionen wird versucht und in
diesem Bereich beriihrt sich die Malerei am starksten mit der Musik (Farborgel-Farb-
lichtspiele). Nach den bisherigen Versuchen einer Verbindung von Farbe und Ton
beurteilt, bedeutet die Summierung in diesem Fall kein „mehr", sondern es erfolgt
trotz des erhohten Effektes eine Spaltung des Erlebniseindrucks, weil die optischen und
phonetischen Gesetze, soweit sie im Bereicli der sinnlichen Wahrnehmung liegen, nicht
einheitlich sind.
Aufierhalb der Grenzgebiete, in denen der Einflufi der modernen Malerei spiirbar
wird und unberiihrt von aUen Bedenken und Einschrankungen besteht sie in sich weiter.
Obwohl das Wort „Kunst" als Bezeichnung fiir einen Atavismus nur noch ungern
gebraucht wird (an seine Stelle tritt immer mehr das Wort „Gestaltung" oder urn den
Anschein einer grofieren Wissenschaftlichkeit zu erwecken einfach die Bezeichnung „G"),
bleibt die Bildermalerei weiter bestehen. Die rationalistischen Gedankengange beruhen
auf Oberflachenforschung und beriihren das Wesen der Kunst nicht. Die Malerei
bleibt, obwohl sie ein Handwerk ist, ein Mittel kiinstlerischer Gestaltung von hochster
Geeignetheit, weil in ihren Grenzen die Beziehung von Absicht und Darstellung in der
proportionalen Verbundenheit so eminent rich tig ist.
Hans Scharoun (Breslau)
BAUEN
(Schopfung und Betrachtung)
1.
Das Zusammenwirken von Gefiihl und Verstand ist in gleicher Weise Voraussetzung
fur den Schopfer eines Kunstwerks wie fiir den Betrachter. Ein Mehr oder Weniger an
Geliihl oder an Intellekt sowohl im Schopfer als im Betrachter ist mafigebend fiir eine
mehr oder weniger vollkommene Verstandigung zwischen beiden. Notwendig fiir den
Betrachter ist also das „Erkenne Dich selbst", um den Schopfer erkennen zu konnen,
damit er, ist eine Blutsverwandtschaft an Gefuhl und Geist nicht da, die Achtung re-
gulierend einschalten kann. Durch das Kunstwerk wird audi der Betrachtende Kiinstler,
wenn er es in der Betrachtung erschopft.
Im Vorgang der Schopfung erfafit Verstand Zweck, Material, Soziologisches ;
fiihrt Intuition zu umfassenden Erkennen der Aufgabe und des Krafteverhaltnisses des
Schopfers zu seiner Aufgabe. So ergibt sich Ausdruck; Buckkontrolle setzt ein und als
Ergebnis des Wirkens beider Krafte entsteht die Form. (Oberwiegen die Mittel, bleibt
eine Mittel - Mafiigkeit.)
Bein menschlich ausgedriickt : Aus jeder Schopfung, jeder Form spricht das „Sein
und Werden". Das S ein (was ich bin"): das „Verhaltene" ; das „Uberschwengliche" ;
das „Gespannte" usw. usw. d. h. samtliche menschliche Register von Ekstase bis Askese,
von Hingabe an den Makrokosmos oder Mikrokosmos. Das Werden („was ich durch
Erkenntnis erkampfe") d. h. das — korperlich und geistig — an den menschlichen Mafi-
stab Gebundene.
(Keine Giittlichkeit beim Siedlungsbau.)
528 HANS SCHAROUN
Das Werk eines Kunstlers wird dem jeweiligen Krafteverhaltnis von Sein und
Werden entsprechen ; hierbei ist er abhangig von dem Entwicklungsstande der Rasse
oder der Nation, der er angehort. Daraus erhellt die Wichtigkeit der Relation von Sein
und Werden innerhalh der Nation und schliefilich innerhalb der Menschheit. Die Ver-
schiebung des Krafteverhaltnisses zu Gunsten der Erkenntnis, auf Kosten der Intuition
(bei fortschreitender Zivilisation) bringt es mit sich, dafi infolge einer allgemeinen
Verbundenheit mit menschlichem Mafistab Einzelpersonlichkeiten weniger hervorragen.
(die Entwicklung Frankreichsj. Es ist ja so, dafi bei fortschreitender Erkenntnis die
moralische Zwangsbindung durch den Staat abgelost wird von einem Nebeneinander
gleichwertig entwickelter Einzelwesen. (vom Kiinstler her gesehen vollzieht sich die
Wandlung so : statt Einzelmensch im Leben — Einzelleben im Menschen.)
Solange der kunstlerische und kulturelle Wille im Kunstler und im Retrachter
(bewufit oder unbewufit) der Staatsmoral unterworfen ist, wird selbst Sinnliches oder
Revolutionares ineiner der Staatsmoral noch genehmen Form zwangslaufig gestaltet.
Von hier aus gesehen erscheint mir auch die Proklamierung der Sachlichkeit weniger
ein Weg zur Eroberung vom Sachlichen her. als vielmehr ein Einfangen und Regulieren
einer an sich lebendigen und revolutionaren Rewegung durch die „Moral".
Daher ist mir erne „unmoralische" Architektur lieber. (Statt des Regriffes „Staats-
moral" kann auch — leider allzuoft — der Regriff „Schulmoral" — gesetzt werden.)
Die Methodik junger Architektur ist rasch iibersehen und erfafit. Zur Symmetrie
tritt die Asymmetrie, Rhythmisierung gibt Moglichkeiten, ebenso wie Straffung und Auf-
lockerung der Flache, die Verwendung neuen statischen Gesetzen unterworfener Materialien
gestattet die exzentrisch getragene Horizontale, das Material bekommt statt seiner
dekorativen oder schutzenden Funktion den Wert des Eigenlebendigen, die Rehandlung
der Oberflache, von der der sinnliche Reiz fur den Reschauer ausgeht, wird zur Wissen-
schaft par excellence, usw. Kurz, wie auf dem Gebiete der Musik, wird Reiz und Wert
des einzelnen Instruments neu erfafit und verwendet und von selbst stent sich als
Folge eine neue Art orchestraler Vereinigung ein.
Viele Mitspieler sind notwendig, um dem Orchester „Zeitstil" Fiille zu geben.
Leider wird von denen, die Mitspieler sein konnten, gar zu oft der Nachweis der
genialen Einzelpersonlichkeit versucht (auf dem Gebiete der Musik iibrigens haufiger als
auf dem der Architektur).
Addierende Verwendung des 5i Nur" — Methodischen fuhrt zu leerer Monumentalitat
(wie in der Geschichte: Deutschland nach 1870). Ris wir in Deutschland zu einer, die
„Staatsmoral" ablosenden Sphare vorherrschender Erkenntnis vorgedrungen sind, wird
Intution als bewegende Kraft immer und immer wieder wirksam werden mussen.
2.
Statt Theorie ein Reispiel: Reziehungen vom Hausbau zum Schiffsbau. Die Ver-
schiedenheit der Voraussetzungen ist bekannt; aber Materialbestandteile und Konstruk-
tionen, erst jetzt dem Hausbau gewonnen, sind beim Schiffsbau langst erprobt und
benutzt, wenn auch auf anderer Mafistabsgrundlage. Man ersehnt, etwas von der Kuhn-
heit moderner Scliiffskonstruktionen auf die Gestaltung des neuen Hauses iibertragen
zu sehen und hofft, dadurch die Kleinlichkeit und Enge des heutigen Wohnungsbaus
zu iiberwinden. (Selbst bei Musterbauten entzog man sich nicht dem Eindruck einer
B A U E N 529
vorhandenen Muffigkeit.) An derer seits wird der Schiffsbau nicht nur Anregungen
geben sondern auch selbst empfangen. Man spricht von der „schwimmenden Stadt".
1st diese Bezeichnung richtig? Entspricht sie den Tatsachen? Docn wohl nur insofern,
als zwar Einrichtungen zur Befriedigung der Bediirfnisse vieler transportierter Passagiere
vorhanden sein mvissen, wie sie sonst nur eine Stadt aufweist, die Art der raumlichen
Losung jedoch nicht von der Idee der Stadt. sondern heute noch vorwiegend von der
Idee eines schwimmenden Hotels ausgeht. Basis weiterer Entwickelung ware also, die
Bezeichnung „schwimmende Stadt" ihreni eigentlichen Sinn nach Begriff werden zu lassen.
Dies macht sich bei neuen SchifFsbauten bereits zogernd bemerkbar (Ladenstrafie, Aus-
sichtscafe) und wird bald konsequenter durckgefuhrt werden mit dem Ziel ,,organisierte
Stadt — gesetzt gegen die Ebene des Meeres". Innerhalb der Stadtmauer — Schiffswand die
weite Strafie, an der anstatt an Kabinengangen die „Laubenganghauser" liegen werden,
in ihr die Massenverkehrsplatze (Speiseriiume, Bestaurants, Sportplatze, Garten) als Platz-
erweiterungen. Es ist Intuition, die versucht, Grofizugigkeit des Schiffsbaus dem Haus-
bau, Planmafiigkeit der Stadt dem Schiffsorganismus zu geben. Wenn die Ergebnisse dieser
Ubertragung noch reichlich formal erscheinen, so ist dies erklarlich, weil mit Hilfe prag-
nanter Formelemente der dahinterstehende Ideenkomplex deutlicher vermittelt werden soil.
Ein anderes Beispiel: Intuitiveres Eriassen des Gedankens „Berlin im Licht" ware
fur diesen Versuch notig gewesen, um die Geschlossenheit seiner Durchfuhrung zu ge-
wahrleisten. So blieb eine Beihe von Einzelansatzen : A d 1 o n : Die gute hergebrachte
Form mit den Mitteln neuer Lichttechnik. AEG: Der Sinn des neuen Mittels, ver-
spielt ins Formale. Unter den Linden: Der Sinn des neuen Mittels, verspielt
ins Dekorative. Tauentzienstrafie: Vergroberung bereits vorhandener Beklame
fuhrt zu einer Konsequenz, die Mafistabslosigkeit bedeutet und das Motiv der Uber-
raschung ausschliefit, wahrend in der Leipzigerstrafie: dieses Motiv strahlender
Uberraschung das intuitive Eingehen auf die grundlegende Idee zeigt.
Intuition und Erkenntnis werden bewegt durch die Krafte der Phantasie des schop-
ferischen Menschen. An welchem Punkte der Kampf zwischen Intuition und Erkennt-
nis jeweils entscliieden wird, davon geben die Dinge um uns — optisch und akustisch
wahrnehmbar — taglich Zeugnis. Es macht die Betrachtung von Kunstwerken viel-
faltig und lohnend, wenn sich der Betrachter auf die natiirliche Notwendigkeit eines
solchen Kampfes im Kiinstler besinnt. Er wird erkennen, da6 zwischen Intuition und
Erkenntnis alle Gattungsarten (im wahren Sinne des Wortes) vorhanden sind. Welche
Kraftepaarung ihm erlosend erscheint, und damit schliefit sich der Kreis im Sinne der
Bemerkungen am Anfang dieser Ausftihrung, hangt von der Wesensart nicht nur des
Kiinstlers, sondern auch des Betrachters ab. Es ist das „Zweierlei" in jedem Menschen,
das zur „Einheit" im Werke des Kiinstlers und auch zur Einheit in der schopferischen
Betrachtung drangt. Die Vielheit der Spielarten der Schaffenden und Betrachtenden
ergibt den lebendigen Beichtum des Lebens. Blutsverwandte steigern einander, die
Wirkung wird verdoppelt. Halbheiten auf Seiten des Kiinstlers und auf Seiten des
Betrachters ergeben bei der Betrachtung notwendigerweise Viertelheiten.
So beantwortet sich die Frage : "Wo steht die Architektur ? durch ein „das sehen
wir", wenn wir bereit und fahig sind, ihr offen gegentiberzutreten. Wohin geht die Ent-
wicklung? „Das werden wir sehen — nicht sagen konnen — sagen nur, dafi sie geht."
530 ALFRED GUTTMANN
WISSENSCHAFT
Alfred Guttmann (Berlin)
1ST EINE VIERTELTONSMUSIK MOGLICH?
Schon in dieser Fragestellung kundigt sich an, dafi die nachfolgenden Darlegungen
einen AngrifF bedeiiten. Dafi ich mich in dieser Zeitschrift iiber ein so gefahrliches
Thema aufiere, gescliieht auf Einladung der Schriftleitung. Ich wage mich also in die
Hohle des Lowen und berichte iiber jahrelange experimentelle Untersuchungen.
Als Aloys Haba zuerst seine Vierteltonsmusik vorfuhrte — es war auf dem ersten
lest der Internationalen Gesellschaft fur neue Musik in Prag im Jahre 1920 —
machte idi ihn sofort darauf aufmerksam, dafi er sich erst einmal mit alten Unter-
suchungen abfinden miifite, die ich gemeinsam mit Prof. Karl L. Schafer 1903 veroffent-
licht hatte. Aus diesen Untersuchungen hatte sich ergeben, dafi ein fundamentaler Unter-
schied in der Leistungsfahigkeit unseres Ohres besteht, je nachdem, ob wir zwei Tone von
verschiedener Hohe gleichzeitig oder nacheinander horen. Die Unterschiedsem-
pfindlichkeit unseres Ohres fur nacheinander dargebotene, um ein ganz geringes
verschiedene Tonhohen, ist sehr grofi, ca. 0,05%. Die Unterschiedsempfindlichkeit hingegen
fiir zwei gleichzeitige verscliieden hohe Tone, ist ungeheuer schlecht. Unsere damaligen
Versuche waren so angeordnet, dafi zwei Tonquellen von identischem Klangcharakter,
deren Hohe wir genau bestimmen konnten, gleichzeitig dargeboten wurden und dafi
unsere Versuchspersonen ein Urteil abzugeben hatten, ob es sich um einen Ton handle,
oder eine beginnende Unreinheit, eine deutliche Unreinheit oder gar um 2 Tone. Diese
vor mehr als einem Vierteljahrhundert vorgenommenen Versuche fanden im Psycho-
logischen Institut der Universitat Berlin statt (veroffentlicht in der Zeitsch. f. Psychol,
u. Physiol, d. Sinnesorg. ' Bd. 32. 1903). Versuchspersonen waren in der Hauptsache der
Direktor dieses Instituts Carl Stumpf, der Altmeister der Musik-Psychologie und beriihmte
Akustiker; die andern Versuchspersonen waren Prof. Dr. K. L. Schafer, dessen Kenntnisse
auf akustischem Gebiet ja ganz besonders grofi sind, Prof. Dr. E. v. Hornbostel, in
gleiclier Weise als Musiker wie als Musikwissenschaftler erfahren; der Vierte war ich
selbst, der ich mitten in der Musikpraxis und -theorie stehe und Physiologe von Fach
bin. (Daneben haben gelegentlich zahlreiche bekannte Musiker von Beruf als Vergleichs-
personen gedient.) Ubereinstimmend hat sich nun ergeben. dafi die Leistungsfahigkeit
des Ohrs in der grofien Oktave Unterschiede bis zu 10% nicht erkennt. Zwei gleich-
zeitige Tone werden also erst dann als unrein empfunden, wenn sie beispiels weise 60
und 66 Schwingungen haben. Das ist ein Unterschied von beinahe einem Sekund-In-
tervall! In der kleinen Oktave erkennen wir gleichzeitig Tone als unrein bei 4,5%
Unterschied, in der eingestrichenen mit 1,7, in den hoheren Oktaven bei 1,5 — 0,75%.
In dem Tonbereich, das Unlerhalb der grofien Oktave liegt, werden sogar Unterschiede,
die einer Terz oder dem Tritonus gleich sind, bei gleichzeitiger Darbietung nicht einmal
als zwei verschiedene Tone erkannt — so ahnlich sind sie!
Herr Haba hat damals auf meine Einwendung geantwortet, er kenne wohl meine
Versuche, folgere aber anderes daraus. Dies scheint mir eine unmogliche Argumentation.
1ST EINE VIERTELTONSMUSIK MDGLICH? 531
Die Tatsache der so aufierordentlich geringen Leistungsfahigkeit des Ohres fiir zwei Tone
im Laboratoriumsversuch zeigt ja, dafi es in der praktischen Musik, wo doch ausnahmslos
rhehr als zwei Tone zugleich ans Ohr dringen, in den tieferen Regionen (unterhalb der
kleinen Oktave) gar nicht mehr darauf ankommt, ob man die halben Tone genau nimmt ;
und noch viel weniger, ob man rein oder temperiert intoniert. Denn ein Fehler von
10%, den das Ohr uberhort, ist ja um ein Vielfaches grofier als die Unterschiede
zwischen den am meisten abweichenden Unterschieden innerhalb der Temperatur. So-
mit ergab sich eigentlich schon aus diesen Versuchen, dafi ein praktisches Musizieren in
so geringen Tonabstanden sinnlos ist, weil ja vier Yersucbspersonen, die ganz besonders
qualifiziert sind, (indem sie sowohl als Musiker, wie audi als pschologisch und akustisch
geschulte Beobachter eine hohe Leistung erreicben) derartige ,,grobe" Unterschiede bei
gleichzeitiger Darbietung von zwei Tonen nicht erkennen konnen.
Von einem vollstandig anderen Gesichtspunkt habe ich dann Versuche iiber die
Intonation beim Singen 1910 begonnen und iiber deren Besultate zuerst 1914 auf dem
Kongrefi fiir experimentelle Psychologie berichtet. Meine im Physiologischen Institut
der Universitat Berlin ausgefiihrten Untersuchungen*) geschahen in der Weise, dafi ein
Ton von unveranderlicher Hohe (es war meist eine Stimmgabel auf einem Besonanz-
kasten) kinematographisch photographiert wurde. Zu gleicher Zeit wurde die Intonation
eines Sangers mitphotographiert, der den gleichen Ton oder ein genau vorgeschriebenes
Interval! zu ihm sang. Aus den so gewonnenen Kurven konnte man dann durch ge-
naue Abzahlung der Schwingungen feststellen, inwieweit die beabsichtigte Tonhohe ge-
trofFen war. Ich habe iiber 200 Kinematogramme aufgeriommen, von denen jede Auf-
nahme im Durchschnitt 200 Schwingungen zahlt; das Material, aus dem ich meine
Folgerungen ziehe, ist also ungemein grofi. Versuchspersonen waren mehrere Sanger
von Beruf und Gesangslehrer (darunter eine Sopranistin, ein Tenor, ein Bafi) ein Pro-
fessor der Musikwissenschaft. der ausgebildeter Bariton ist und der Verfasser, ebenfalls
ausgebildeter Sanger (Tenor). Ferner ein Professor der Physiologie, (der Cellist und
Gesangsdilettant ist) ; daneben noch eine Beihe von gelegentlich herangezogenen Sangern.
Die Besultate ergaben ubereinstimmend, dafi innerhalb einer nur wenige Sekunden um-
fassenden Tongebung. die Tonhohe des Singenden in uniibersehbaren Varianten wechselt,
ofters um mehrere Prozent. Dieses wechselnde zu-hoch-Singen, zu-tief-Singen oder
um-den-Ton-Herumschwanken, fand sowohl bei der Intonation des Unison als bei der
Intonation eines bestimmten Intervalls zum Grundton, als bei dem Singen von Melodieen
primitivster Art statt. (Natiirlich lassen sich die Einflusse von ungiinstigen Lagen, von
Begisterschwierigkeiten, von Vokalunbequemlichkeiten. von der Wirkung des Glottisan-
satzes, des Schwelltons usw. im einzelnen verfolgen; dies alles mufi ich hier natiirlich
iibergehen). Es wurde klar festgestellt, dafi diese Intonationsschwankungen der menschlichen
Stimme weit iiber die Unterschiede hinausgehen, die der Viertelton ausmacht. Eben-
sowenig kann irgend ein Sanger absichtlich rein oder temperiert singen. Das Hoher-
oder Tiefernehmen von gewissen Tonen hangt z. T. von aUgemeinen musik-psychologischen
Gesetzen ab. So hat z. B. Otto Abraham, (dessen Versuche iiber Intonation eine Er-
ganzung der meinigen bilden) nachgewiesen, dafi der Leitton die Tendenz zeigt, zum
*) Die exakte Darstellung der ganzen Apparatur und die genauen Versuchsprotokolle sind aus-
fiihrlich in der „Zeitschrift fiir Sinnesphysiologie" Bd. 58 (1927) verofFentlicht.
532 ALFRED GUT T MANN
nachfolgenden Grundton hinaufzusteigen. (Tonometrische Untersuchungen an einem
deutschen Volkslied, veroffentlicht in der Psycholog. Forschung, Bd. 4. 1923). Die
Differenzen zwischen den geiibten, z. T. mit absolutem Tonbewufitsein begabten Berufs-
sangern und dem Dilettanten waren iibrigens recht gering, wenn auch erkennbar. Uber
alle Einzelheiten kann man sich in der Originalarbeit (sowie in meinem Buch: „Wege
und Ziele des Volksgesang" Verlag Max Hesse) informieren. Daselbst findet man das
ganze Tabellenmaterial und zahlreiche Kurven. —
Nun kann man einwenden, dafi Instrumentalisten vielleicht in der Lage waren,
feinere Unterschiede zu machen als Sanger. Um diesen durchaus berechtigten Gedanken
zu beriicksichtigen, habe ich die gleichen Versuche in den vergangenen Jahren auch
mit Instrumentalisten gemacht. Das Problem gilt ja nur fur alle die Instrumente, deren
Tonhohen durch die Technik des Spielers beeinflufibar sind. Fiir Instrumente mit fester
Tonhohe, (Klavier, Orgel usw.) liegt hier kein Problem vor. Ich wahlte also fiir meine
Versuche das Streichinstrument und nahm zuerst die Violine „unter die Zeitlupe".
Versuchspersonen waren Dilettanten und ein beriihmter Virtuose und Lehrer an der
Staatlichen Hochschule fiir Musik. Die Besultate waren hochst iiberraschend. Sie er-
gaben namlich genau dieselben Fehler wie beim Singen! Es war auch gar kein Unter-
scliied zwischen der Reinheit des Intonierens seitens der Dilettanten und des Berufs-
musikers. Ich zog dann noch einen bekannten Cellisten, (Mitglied eines beriihmten
Streichquartetts) heran und erzielte die genau gleichen Resultate. Weitere Versuchs-
personen waren drei Blaser, die als Virtuosen wie als erste Lehrer ihres Fachs in der
Hochschule fiir Musik tatig sind (Oboe, Horn, Posaune). Die Resultate waren ebenso
„schlecht" wie bei den Sangern und Streichern. Bei alien Instrumentalisten zeigte sich
ebenfalls dies Umherschwanken um eine bestimmte Tonhohe, das mehrere Prozent betrug.
Interessant ist auch folgendes: Die Unisonversuche fallen stets besser aus, als jede
Intervallintonation. Der Grund ist darin zu suchen, dafi das Treffen eines gegebenen
Tones wesentlich leichter ist als das Intonieren eines Intervalls, weil ja hier die Auf-
merksamkeit geteilt, d. h. auf die Vorstellung der betreffenden Tonhohe abgelenkt
wird. Auch weifi man eigentlich niclit genau, welche Vorstellung der Musizierende
wirklich verifizieren will. Wenn ich ihm z. B. die Tonhohe von 300 Schwingungen dar-
biete und ihm die Aufgabe stelle, dazu die Terz zu singen oder zu spielen, so kann ich
a-priori ebensowohl erwarten, dafi er eine Hohe von 400 treffen will, wenn er die
reine Terz meint, oder von 403, wenn er die temperierte Terz meint. Wenn ich ihn
eine Melodie c-e-c singen lasse, so hat das „e" — psychologisch gesprochen — eine
vollig andere Stellung innerhalb dieser Melodie, als wenn ich ihn intonieren lasse c-e-f;
deun im ersten Fall hat jeder Musiker c-dur im Ohr, im zweiten f-dur, wo das „e'* als
Leitton zu f stets hoher gendmmen wird, denn als Terz zu c.
Es hat sich also mit Sicherheit ergeben, dafi keine meiner Versuchspersonen —
und es befanden sich darunter Musiker, die die Vierteltonmusik theoretisch verfechten
und praktisch betreiben — im Stande war, Tonhohen darzustellen, die den Abstand
des Vierteltons entsprachen. Der genannte Geiger hat einmal als Viertelton ein Inter-
val! gespielt, das nur ein 20stel Ton war. Dabei handelt es sich doch hier um eine
relativ einfache Aufgabe. Viel schwerer und komplizierter wird es nun, wenn ein
Streichquartett Vierteltonmusik spielt ; zum mindesten miissen vier verschiedene Tonhohen
1ST EINE VIERTELST0NMUS1K MOGLICH? 533
zu gleicher Zeit als Vierteltone intoniert werden — ganz zu schweigen von einem in
Vierteltonen spielenden Orchester oder Chor.
Es scheint mil 1 , da£ sich meine Intonations-Resultate durchaus mit den alten Hor-
resultaten decken und dafi hier ein fundamentales Gesetz sich bewahrheitet: Man kann
niclit mehr leisten, als man mit semen Sinnesorganen w a h r n e li m e n kann. Wie sollte
man also Vierteltone spielen oder singen konnen, die man ja bei gleichzeitigem Klingen
ernes zweiten Tones niclit einmal ho re 11 kann! Alle diese Tonhohen, die sich als
„ Vierteltone" ausgeben, haben also nur dieses gemeinsam: sie sind grofier als
das Unisono und sie sind kleiner als ein halber Ton. Und auch diese letzte,
schon recht weitgehende Definition mufi noch einmal eingeschrankt werden. Aus meinen
Intonationsversuchen ergibt sich, dafi das am hochsten distonierte h, das eine meiner
Versuchspersonen einmal gesungen hat, hoher war, als das am tiefsten destonierte c,
das sie ein anderes Mai gesungen hat. Mit andern Worten: audi geiibte Versuchsper-
sonen singen gelegentlich nur ein en halben Ton oder noch mehr zu hoch oder zu tieft
Da aber unser Ohr gutwillig harmonisch hort, so nehmen wir bei der praktischen
Musik Detonierfehler, die unterhalb \% bis \^\i.% bleiben, nicht wahr. Volker die ein
anderes Bezugssystem haben, wie etwa die Sianiesen oder Javaner mit ihren, die
Oktave in 5 resp. 7 gleiche Tonschritte teilenden Skala haben natiirlich Intervalle, die
in unserem Sinne weder rein noch temperiert sind. Wer sich also als Forscher
viel mit soldier Musik beschaftigt, der ist im Stande, eine Terz whklich als neutral,
d. h. weder als „kleine", noch als „grofie" Terz aufzufassen. Aber 99,9% aller Musiker
werden als c-dur oder c-moll auffassen, wenn die Terz weder E noch Es ist. Nur,
wenn der Ton weder als Dur-Ton noch als Moll-Ton aufzufassen ist, werden sie meinen,
der Betreffende singe oder spiele „unrein".
Dies alles gilt aber, wie anfangs gesagt, nur fur einen verhaftnismafiig kleinen
Bereich der Musik. In den unteren Begionen (des Klaviers und Orchesters) kommt es
sogar nicht einmal darauf an, ob man Halbtone oder Ganztone ninimt. Denn hier ver-
sagt die Unterschiedsempfindlichkeit unseres Ohrs ja noch mehr als in den wenigen
Oktaven des mittleren und oberen Tonbereichs, die wir fur die Musik benutzen. So-
mit kann nur auf Instrumenten mit fester Tonhohe und nur innerhalb eines beschrankten
Tongebietes in „Viertelt6nen*' musiziert werden. Diese Musik vermittelt interessante
Klange und neuartige Kombinationen, verlauft sich aber rettungslos in eine Sackgasse.
Denn eine Steigerung der Unterschiedsempfindlichkeit des Ohrs ist biologisch ausge-
schlossen. Und selbst wenn einige besonders Auserwahlte mit noch feinerem Gehor
solche Unterschiede erkennen konnten, wird die iiberwaltigende Majoritat aller Musik-
horenden im besten Falle Halbtonunterschiede im Konzert erkennen konnen. Dafi trotz-
dem ein gewisses Publikum sich hieran begeistert, ist ein weiterer Beweis fiir die
Wirkung der Massensuggestion. Aber jeder ehrliche Musiker hat die Pflicht, sich mit
diesen Problemen zu beschaftigen. Wenn er meine Versuche widerlegen kann — schon — ;
aber mit der blosen Behauptung, dafi man sie anders „deute", treibt man nur Vogel-
Straufipolitik.
Die Verfechter der Vierteltonsmusik haben nun das Wort. Sie wurden meine
Besultate nur dann entkraften konnen, wenn sie mir fundamentale Versuchsfehler nach-
Aveisen konnen.
534 GUIDO M. GATTI
AUSL AND
Guido M. Gatti (Turin)
DREI NEUE ITALIENISCHE OPERN
„Madonna Imperia" von Franco Alfano.
Urn nicht unter einem verkehrten und irrefiihrenden Gesichtswinkel die letzte
Oper von Franco Alfano, Madonna Imperia, zu betrachten und zu bewerten, ist es
notig, dafi der Leser oder der Zuschauer vollig abstrahiere von jener Klassinkation,
welcher sich die Autoren zu bedienen beliebten, wenn sie eine Oper „musikalische
Komodie" nannten; audi mufi er vergessen, dafi Arturo Rossato den urspriinglichen An-
trieb zu deni Libretto von dem ersten der „Contes drolatiques" des Balzac empfangen hat.
Es ist nicht so banal, wie es zuerst scheinen mag, zu wiederholen, da£ die
Komodie im allgemeinen, und die musikalische im besonderen, noch wesentlich andere
Sonderforderungen stellt als nur die einzige, dafi sie eine heitere Losung finde und keine
mehr oder minder iippige Ansammlung von Toten oder Irren im Hintergruild zulasse.
Wenn die „Bella Imperia" des Balzac von komischer Substanz erfullt ist, so ver-
dankt sie dies eher dem Ton der Erzahlung als der Handlung selbst: in einem anderen
Ton hatte daraus. wie man sich nicht vorstellen konnte, ein ritterliches Melodram werden
konnen. Die Feinheit der Beobachtung und jene breitausgemalte, freimutige Derb-
sinnlichkeit, die von der ersteren gemildert und bisweilen sozusagen sublimiert wird,
dieses ergotzliche Spiel mit hochgestellten Personen, ohne sie — naturlich — ernstzunehmen,
das sind die Anzeichen einer „vis comica", wie man sie sich nicht besser gestaltet und
ausgedriickt denken kann.
In dem Textbuch des Arturo Rossato sind audi diejenigen Personen, welche, dem
strengen Wortlaut nach, noch am ehesten ihre urspriingliche psychologische Struktur
beibehalten haben, im Sinne einer seriosen GroGartigkeit umgewandelt, die sie in
einer musikalischen Komodie durchaus landfremd erscheinen lafit : ich denke etwa an
den Kanzler von Ragusa (nebenbei sei der Leser darauf hingewiesen, dafi alle Pralaten
der Balzac'schen Erzahlung durch hohe Wtirdentrager ersetzt sind, wodurch dem Humor
des Originals ein weiteres Element entzogen wird). Dieser Person hat unser Librettist
den grausamen und emphatischen Ton eines Verdi-Tyrannen verliehen, der ihn mehr
als hassenswert macht, lacherlicli und bosartig.
Das schlimmere Ungliick (immer im Hinblick auf die Leichtfiifiigkeit und Vor-
urteilsfreiheit. die einer Komodie eignen sollten) ist naturgemafi den Hauptfiguren
widerfahren: diese wurden uniformiert zu dem nun schon etwas abgeniitzten Typus der
lyrischen Liebhaber aus der spat-veristischen italienisclien Oper. Diese konventionelle
Sucht nach Wandlung, dieses Heimweh nach der Kindheit sind Eigentum samtlicher
Buhlerinnen auf dem Theater, von der Romantik bis zur Gegenwart, mit dem Zusatz
einer gewissen Verderbtheit auch noch in dem Streben nach Reinigung; das ist nichts
anderes als literarische Dutzendware. Was den Monch angeht, so wird er einfach
von sinnlichem Begehren getrieben, bis er schlielMich sic et simpliciter sein Ziel
DREI NEUE ITALIENISCHE OPERN 535
erreicht; aber wie umstandlich und mit welclien psychologischen Verwicklungen ist
das geschildert, wodurch die zwar schematische, aber doch iiberzeugende Zeichnung
des franzosischen Originals verloren geht, die dem Tonfall des Ganzen so gliicklich
angepafit war.
Das alles wird nicht so sehr deshalb festgestellt, um dem Autor einen Vorwurf,
als um den Leser darauf aufmerksam zu machen, dafi die Umwelt nicht mehr dieselbe
ist, die er nach dem Titel erwarten dtirfte: das Textbuch zwingt die Oper, sich eher
auf das Pathos des Melodrams als auf das Gelachter der Komodie zu griinden. Das ist
eine veranderte Auffassung; dies bedenkend wird man, wie gesagt, den gerechten Ge-
sichtspunkt fiir die Bewertung der Partitur finden.
Franco Alfano ist auf bewunderungswtirdige Weise in den Geist des Librettos
eingedrungen und hat ihm seine Musik angeglichen. Der ausgezeichnete Komponist
erstauat seit einiger Zeit durch eine substanzreiche und wirkungsv olle Simplizitat, nach-
dem er sich einem Reichtum und Uberflufi der Beredsamkeit hingegeben hatte, dem
nicht immer ebensogrofie Reichtfimer und Varietaten des Ausdrucks entsprachen. Das
sei ohne jede Anspielung auf die „Leggenda di Sakuntala" gesagt, welche trotz ihren
Fehlern einen der bezeichnendsten Versuche der zeitgenossischen Opernbiihne darstellt:
wir mochten nicht wiinschen, dafi die grofiere Leichtigkeit der Interpretation und die
aufffihrungspraktische Problemlosigkeit dazu fiihre, dieses Werk von erlesener Sensibilitat
und erfiihlter Leidenschaft in Vergessenheit geraten und links liegen zu lassen. In
Madonna Imperia wie schon in den vorhergehenden kammermusikalischen Arbeiten be-
mfiht sich Alfano, einfach und unmittelbar zu sein, die Ausarbeitung nicht zu fiber-
laden und sich nicht von der Freude am Detail verlocken zu lassen: mit einem Wort,
dem Opernkomponisten den Vortritt zu geben vor dem kultivierten Kunstlehrer.
Natfirlich verzichtet er auf keinen seiner charakteristischen Zfige, vielmehr, frei von
intellektuellem Zwang, wie er zu sein wiinscht, liefert er sicli seinem Instinkt des ge-
borenen Musikanten mit einer Freude und einer Begeisterung aus, die, auf mancher
Seite, seine Selbstkritik und Unterscheidungsfiihigkeit herabmindern. Madonna Imperia
ist eine Arbeit aus einem Gu6, in einer gliicklich inspirierten Stunde geschaffen und
daher in gewisser Flinsicht eher mit „Risurrezione" als mit der letzten Produktion des
Komponisten verwandt. Die Fahigkeiten des Theatermenschen werden in beiden
evident; dort fast nur als Frucht des lnstinktes und des Buhnensinnes, hier als Ergebnis
einer reichen und gesicherten Erfahrung wie einer Vertiefung in die Notwendigkeiten
der Oper. Jene Tendenz zum „einrahmen", zum einteilen in Szenen von vollem
Atem, in lyrische , Verdichtungen, in welche alle musikalischen und pathetischen
Elemente aufgenommen und mit scharfem Blick fiir das architektonische Gleichgewicht
eingeordnet sind — diese Tendenz wird in „lmperia" nicht verleugnet, sondern viel-
mehr noch haufiger enthullt: die Moglichkeit, einen einzigen Akt in mehrere wohl
abgegrenzte Szenen von deutlich unterschiedlichem Charakter unterzuteilen, ffihrt nicht
dazu, von Unorganik zu sprechen, eben zufolge der zweckmafiigen Verbindungen, die
Alfano von Zeit zu Zeit zu schaffen weifi. Sie sind in Wahrheit feste Halte-
punkte, an denen der Zuschauer sicheren Fufi fassen und sich Rechenschaft fiber
den zuruckgelegten Weg ablegen kann, wie auch fiber jenen, der noch zu durch-
laufen bleibt.
536 GUIDO M. GATTI
„Fata Malerba" von Vittorio Gui
Von Vittorio Gui, dem geschatzten Dirigenten, haben wir einen interessanten
Opernversuch kennengelernt, den ersten, den er dem Publikum vorzufiihren beliebt
hat. Nicht oft begegnet man eine'm Komponisten, der, um zum Theater zu gelangen,
die ausgetretenen und sicheren Wege verschmaht und sich vornimmt, eine dem Publikum
ungewohnte Opernform zu konkretisieren. Schon das ist ein Zeichen von hochstem
kiinstlerischen Gewissen und von Feinfuhligkeit, das vermerkt werden soil, welches auch
die Resultate sein mogen.
Dem „musikalischen Marchen" also hat miser Musiker sich zugewandt, nicht so,
sehr der Gattung zuliebe als wegen der Moglichkeit, sich der Naivitat und der Reinheit
der Leichtigkeit des volkstumlichen Gesanges hingeben zu diirfen, den Erfordernissen
einer fur Kinder bestimmten Auffuhrung. (Man mufi sich vergegenwartigen, dafi dieses
schon vor einigen Jahren verfafite "Werk von Gui, „Fata Malerba", fur das „Teatro de
Piccoli" in Rom gedacht war, also von Marionetten dargestellt werden sollte). Es ist
ein Verdienst des Autors, dafi er sich nicht von beruhmten auslandischen Vorbildern
hat beeinflussen lassen, etwa von den Opern Humperdinck's, dafi er vielmehr gewisser-
mafien die Umrisse des italienischen Marchens festlegen wollte, welches mehr dem
Realismus zuneigt als das nordiscbe und daher weniger reich an Rewegungen und
Uberaschungen ist. Es gentigt, an das deutsche „Hansel und Gretel" zu denken, um
sich iiber die grundlegenden Unterschiede klar zu werden: da wo Humperdinck das
grofite Gewicht auf das eigentiimlich fabelhafte und wundersame Wesen gelegt hat, halt
Gui, hierin mit seinem Librettisten Fausto Salvatori iibereinstimmend, darauf, das
menschliche Element der Handlung nicht aufier Acht zu lassen, audi auf die Gefahr
hin, der kindlichen Hauptfigur bisweilen Gefiihle und Reden anzuvertrauen, die ihrer
psychologischen Statur nicht entsprechen.
Mit „Fata Malerba' 1 gibt Gui einen mehr als ehrenvollen Reweis seiner Fahig-
keiten und seiner komposilorischen Regabung, womit er in uns von Neuem die Achtung
festigt, die wir seit einiger Zeit vor ihm als dem Autor von Kammermusikwerken
hegten. In seinem letzten Werk hat der Musiker sich auch befreit von einigen
harmonischen Vorurteilen, die den Ausdruck in einigen friiheren Partitirren (etwa in
den Gedichten von Mallarme oder den „Ganti della morte") gequalt und krankhaft
erscheinen liefien; er hat den Willen zur Schlichtheit, zu einer franziskanischen Schlicht-
heit: da es sich um ein Marchen handelt, dessen Hauptperson ein Kind und dessen
Gefuhlsablauf notwendig klar und einfach ist, ohne Verwicklungen und Verwirrungen,
hat der Autor der „Fata Malerba" sich einer leisen Sprache bedient, die keinen anderen
Zauber ausiiben will als den der Riihrung, die sie enthiillt; sie ist harmonisch fast
ausnahmslos an die Grenzen der strengsten Orthodoxie gebunden, thematisch auf einige
wenige volkstiimliche Melodien italienischer oder fremdliindischer Herkunft gestellt, die
deutlich erkennbar und klar gezeichnet sind.
Unter einer solchen Reschrankung hat unvermeidlich das Interesse an der drei-
aktigen Oper gelitten, in dem Sinne, dafi uns zuerst alles frisch und erquickend er-
scheint, wie ein Morgen in freier Luft: alles beriihrt uns mit derselben edlen Feinheit;
dafi aber in der Folge sich ein wenig Gleichformigkeit und Monotonie bemerkbar macht.
Es gibt keine Uberraschung mehr, und das Interesse an der Handlung, wie an der
DREI NEUE ITALIENISCHE OPERN 537
musikalischen Entwiddung ist nidit derart, dafi es unseren Geist gleidierweise wie im
ersten Akt erregte. Im zweiten und im dritten Akt haben der gute Geschmack, die
angeborene Vornehmheit des Kiinstlers, seine Fahigkeit des Instrumentierens nicht die
sparliche Wirksamkeit des musikalischen Materials verbergen konnen. Wahrend im
ersten Teil des zweiten Aktes, wo die Hauptfigur von der Fee Malerba in ein Un-
geheuer verwandelt und an den Hof eines komiscben Konigs gefiihrt wird, sich Ziige
eines freundlichen Humors finden, gelingt es im Schlufiteil nicht, die Situation umzu-
kehren und uns mit einem Schlage zu der lyrisch-dramatischen Atmosphare zuruck-
zufiihren; der Textbuchdichter mochte diese mit einer, in Wirklichkeit eher emphatischen,
Strophe wieder herstellen, die er der kleinen, von Schlaflosigkeit und MelanchoUe ge-
plagten Konigin in den Mund legt. Audi im letzten Akt (wo das Kind durch eine
gute Tat die Verzeihung der Fee erlangt und zur gleichen Zeit sein strahlendes Aus-
sehen und seine Mama wiederfindet) ist der Beginn ganz verschleiert von einer etwas
traurigen und sehnsiichtigen Poesie, von der Poesie der sinkenden Nacht im Gebirge,
die mit geeigneten, wenn audi nicht durchaus eigenen orchestralen Mitteln und mit
Gesiingen im Hintergrund gemalt wird ; aber das Schlufibild halt sich in einem schuchternen
und eilfertigen Ton: es lafit unbefriedigt. In diesem letzten Akt und zumal in seinem
Schlufiteil, standen die Autoren vor der Notwendigkeit, sozusagen eine Synthese m
scbaffen zwischen den hauptsachlichen Charakteren des ersten und zweiten Aktes :
schwankend zwischen Allegorie und Realitat ermangelt dieser letzte Akt des Aufbaus
und des Mittelpunktes. Es sind audi in ihm gelungene Ziige, neben den schon an-
gedeuteten des Beginns; aber als Ganzes hat er kein Eigenleben. Gewisse Seiten, wie
das Lied von der Polenta und das Gebet des Masetto vor dem Einschlafen, bilden mit
dem Ubrigen keine Einheit, sie bleiben kalt und ausdruckslos.
Vor dieser geschmackvollen und ehrlicben Oper hat das Publikum den Eindruck
gehabt, dafi der Autor sich bestrebt habe, es zu einer Kunst ohne Schminke und Harte
hinzufuhren, es mit den einfachen Worten der Giite und des Gefuhls zu uberreden
die Horer haben dem Autor bei jeder Auffuhrung mit grofier Warme gedankt.
„Sly" von Wolff Ferrari, und einige allgemeine Bemerkungen.
Nachdem er, in Italien und aufierhalb, mit seinen Goldoni-Opern „I quattro
rusteghi" und „Le donne curiose" sovvie mit der Einakt-Oper „I1 segreto di Susanna"
beachtenswerte Erfolge errungen hatte, wollte Ermanno Wolff Ferrari mit der von
G. Forzano textierten Oper „Sly", die kiirzlich in Mailand und Turin aufgefiihrt worden
ist, zum ernsten Musikdrama zurrickkehren. Die neue Oper zeigt einige Verwandtscbaft
mit den „Gioielli della Madonna", wenn auch ein Textbuch von offenkundig veristischer
Haltung, wie jenes war, hier ersetzt durch eines dieser sogenannten „dichterischen"
Sammelsurien, die nicht weniger zu tadeln sind als das, was ihnen unmittelbar voran-
ging. In der Tat hat man ein en simplen Vorfall aus der Chronik mit dem Strahen -
kranz der Idealitat umgeben wollen, indem man rhetorisch deklamierende Perso n e
unmogliche Situationen und unerwartete Losungen schuf : und man hat geglaubt, auf so che
Weise das Niveau des Operntextes zu heben. In Wahrheit befinden wir uns immer no
der untersten Stufe der Literatur, und wenn je, so sind heute die alten Textbiiche i
Illica weniger argerlich, die von Pratentionen ebensoweit entfernt waren wie von Tdealitat.
1
538 GUIDO M. GATTI
Wolff Ferrari hat gewisse Qualitaten eines guten Musikers, doch ist er alles
andere als ein dramatisches Temperament; es ist ihm gelungen, manche Szenen, in
denen ein primitiver Humor die Situation kennzeichnet und sich in Liedern, Balladen,
Marschen und Ahnlichem ausspricht, mit einiger Liebenswiirdigkeit zu erfiillen, aber
vor den Verwirrungen des Gefiihls fluchtete er auf die Sandbanke der Banalitat. Hier
hat ihm seine Inspiration nur ein paar „musikalische Gesten" eingegeben, die allzu
sehr an die Manier des Giordano erinnern (ohne indessen seine, wenn audi erkiinstelte
Warme des Ausdrucks zu besitzen), damit man sich erfreuen moge an der Wiederkehr
einer iiblen musikalischen Gewohnheit, die wir endgiiltig vergangen glaubten und —
trotz allem — nocb glauben.
Die abgegriffensten Gemeinplatze des Verismus werden hier wieder ausgekramt,
verbramt mit etwas Flittergold und einigen Zutaten, womit vergeblich versucht wird,
den eindeutigen und unwiderruflichen Ursprung zu verbergen.
Das Publikum ist in seiner Mehrheit noch immer fur diese schwiilstige und hohle
Sprache eingenommen, und tatsachlich war der Erfolg der Opern in den beiden Stadten
bemerkenswert. Aber bei der Abrechnung wird das Passivum dieses Werkes klar er-
sichtlich : ein Passivum, im Sinne der Kunst, ist vor allem die Uberhussigkeit. Und
eben die Uberfliissigkeit der Musik ist es, in diesem wie in vielen anderen neuerlichen
Fallen, die Anlafi gibt zn den traurigsten Betrachtungen iiber die augenblickliche Lage
der Oper in Italien.
Es handelt sich nicht — der Leser verstehe wohl — um die Frage nach den
riickwartsgewandten oder den vorwartsweisenden Tendenzen: es geht nicht darum, die
Oper des 19. Jahrhunderts von der des 20. zu scheiden. Man verlangt nur ein minimum
an kunstlerischem Gewissen, damit man nicht ferner beharre in dem Irrtum, eine
Gattung als Kunstwerk anzusehen, die, wie sie heute von den meisten Komponisten
(und, natiirlich, nicht nur in Italien) verwendet wird, keinerlei Existenzberechtigung
mehr hat, ja sogar niemals gehabt hat. Sie ist nichts als das Produkt eines ewigen
Kompromisses zwischen Wort, Musik, Handlung, Mimik und Szene, worin jeder Einzel-
bestandteil dem anderen unterworfen ist und jeder versucht, sich auf Kosten des anderen
vorzudrangen ; infolgedessen gelangt keiner zu einem vollendeten Ausdruck und zu er-
schopfender kiinstlerischer Form. Fiir diese Gattung mufi jedes Libretto einen vorher-
bestimmten Typus entsprechen, der seinerseits fiir jede Situation (und wieviele
„Situationen" gibt es letzten Endes ?) einen genau fixierten Typus der Musik verlangt,
welchen anzuwenden jeder Komponist sich bemiihen wird, ohne zu bedenken, dafi
jedes Kunstwerk seine eigene Form haben mufi, und dafi er auf seine idealsten
schopferischen Moglichkeiten Verzicht leistet, indem er sich a priori und freiwillig an
die Formeln eines Operntypus bindet.
Wenn es vor dreifiig Jahren schien, als ob Geist und Form der Oper sich mit
den ersten Werken von Puccini und Mascagni erneuere, so bemerkt man heute, wie
eitel jene Illusion war, insofern als diese Opern, statt eine neue Form zu inaugurieren,
nur eine Nachkommenschaft der Bomantik waren, etwas wie eine burgerliche Bomantik,
Ausdruck einer Klasse, die sich an den Bequemlichkeiten des Lebens erfreute und es
nicht liebte, im Theater ermiidend nachzudenken. Diese Oper, die vergeblich fiir ein
italienisches Produkt gelten mochte (wahrend sie, wie von anderen treffend dargelegt
MELOSKRITIK 539
worden ist, das ausgesprochen Internationale Erzeugnis einer oberflachlichen Kultur
und einer weiblichen Sensibilitat darstellt), ist nicht mehr als ein kurzatmiges und
degeneriertes Uberlebsel und mufi, nach unserem Dafiirhalten, in alien ihren Er-
scheinungsformen bekampft werden. Das Land, welches mit dem vielseitigen und
bezeichnenden "Werk der Pizzetti, Malipiero, Casella und einiger Musiker der alteren
Generation so wiirdig einen neuen Fruhling der Musik angekiindigt hat, darf nicht
dulden, dafi man fortfahrt, das Publikum in seiner Gutmiitigkeit zu tauschen und es
glauben zu machen, der Ruhm der italienischen Oper der Vergangenheit erneuere sich
durch die Anwendung von melodramatischen Gesten und von Redewendungen, die
einem abgeniitzten und ausgebeuteten Vocabularium entnommen sind.
(Deutsche Ubertragung von Hanns Gutman)
MELOSKRITIK
Die nene, hier angestrebte Form der Kritik beruht darauf, dafi
sie von mehreren ausgeiibt wird. Dadurch soil ihre Wertung von
alien Zufalligkeiten und Hemmungen abgelost werden, denen der
Einzelne ausgesetzt ist. Langsam gewonnene, gemeinsame Formu-
lierung, aus gleicher Gesinnimg entstanden, erstrebt einen boheren
Grad von Verbindlichkeit. So ist jede der vorgelegten Bespre-
chungen ein Produkt gemeinsamer Arbeit der Unterzeichneten.
I.
HERMANN REUTTER
1.
Unter den Opern der diesjahrigen deutschen Kamniermusik in Raden-Baden fiel
Hermann Reutters Musik zu dem Schauspiel „Saul" von Lernet-Holenia auf. Hier
erscheinen die Ausdrucksmittel des achtundzwanzigjahrigen Komponisten in einer Ge-
drungenheit und Sicherheit, die es ermoglicht, dieses Stuck zum Ausgangspunkt einer
eingehenderen Untersuchung zu machen. Die starkste Zusammenfassung der Stilelemente
Reutters bietet das Vorspiel, aus dem wir die beiden charakteristischen Anfange der
gegensatzlichen Teile (Grave und Presto) zitieren (Notenbeispiel 1 und 2) *).
Durch die Verbindung einer frei gezogenen und originellen Melodik mit dem
starren, lastenden Rhythmus des Klaviers wird die Atmosphare des Dramas eindringlich
erfafit. Die Wiederkehr dieser Stelle auf dem Hohepunkt des Dramas deutet zugleich an,
auf welche Weise eine formale Zusammenfassung der auf einen weiten Raum verstreuten
Musik erstrebt wird (Notenbeispiel 1). Im Presto sind die melodischen Konturen
*) Siehe Notenbeilage
540 MELOSKRIT1K
bewegt und fliichtig, wahrend Klavier und Schlagzeug. nur klanglich anders gefarbt,
noch immer in ihrer starren Gebundenheit verharren; sie werden so zum Ausdruck
der unheimlichen, damonischen Elemente des Dramas (Notenbeispiel 2) *).
Aufier diesem Vorspiel ist eine Passacaglia, die den Gipfel des Dramas vorbereitet,
das einzige breit angelegte Musikstiick. Hire Variationen zeichnen in standigem und
uberzeugendem Wachstum die steigende Erregung Sauls vor der Erscheinung des Samuel.
Es ist Reutter hier gelungen, das konstruktive Prinzip der musikalischen Form vollig
mit der dramatischen Wirkung zu verschmelzen.
Damit hangt auch zusammen, dafi die polyphonen Moglichkeiten der Passacaglia
nicbt ganz ausgeschopft sondern teilweise ins Klangliche und Dekorative umgedeutet
werden. Sonst beschrankt sich die Musik meist aul fragmentarische Untermalungen, die
einen starken Instinkt fur theatralische Wirkungen verraten. Freilich entspricht die Re-
deutung der Musik innerhalb der Handlung nicht dem, was das gewichtige Vorspiel er-
warten lafit. Das Schwanken zwischen Oper und Scbauspielmusik, das fehlende Gleich-
gewicht zwiscben gesprocbenem Wort und Musik lassen das Werk als ein interessantes
Experiment erscheinen.
2.
Die Musik zum „Saul" bedeutet fiir Reutters bis jetzt ubersehbare Entwicklung
zweifellos einen Gipfel. Sie lafit zugleich eine Festigung von Stdelementen erkennen,
die in den friiberen Arbeiten des Komponisten in verschiedenen Graden und Richtungen
sichtbar wurden. Das Gesamtbild dieser friiheren Arbeiten ist scbwankend. Neben
Werken von kraftigerem Schnitt und vorwarts weisender Tendenz stehen verschwommene
und weniger konsequente Arbeiten.
Die Werke etwa zwischen der Introduktion, Passacaglia und Fuge op. 17 und op. 21
fiihren merkwiirdigerweise unmittelbar zum „Saul" wahrend andere, dem „Saul" zeitlicli
naher liegende Arbeiten aus dieser Richtung fortweisen. Gerade von diesem Standpunkt
aus befremdet eine nach dem Klavierkonzert entstandene Missa brevis fiir Altstimme,
Violine und Cello op. 22, die bezeichnender Weise handschriftlich geblieben ist. Die
ungeistige Einstellung deutet den Text lediglich stimmungsmafiig aus und gewinnt fiir
das Kyrie eine Formulierung, deren Aufierlichkeit durch schematiscbe Sequenzierung
noch unterstrichen wird. (Notenbeispiel 3.) *)
Das blofie Schwelgen in Stimmungen wird auch andern Arbeiten Reutters zur
Gefahr. Es fuhrt ihn noch in dem letzten Stuck vor dem „Saul" zu einer reinen und
bedenklichen Programmatik. Es sind dies die „Landschaft" benannten Miniaturen fur
Violine und Klavier op. 32 mit ihrem ausgesprochen romantischen Stimmungsprogramm
(z. R. „Es bliiht" oder Variationen iiber „In einem kiihlen Grunde"). Andrerseits geben
ihnen eine gewisse Originalitat der Erfindung und die Rehandlung der Insti'umente
personliche Haltung. Schwachlicher ersclieinen zwei Klavierhefte (Kleine Klavierstiidce
op. 28 und Tanzsuite op. 29). Reutter will eine leicht spielbare Hausmusik scbreiben,
bleibt aber seinen Vorbildern gegeniiber niclit selbstandig genug. Die vorausgehende
„Phantastische Suite" fiir Bratsche und Klavier op. 27 strebt grofieres Format an. In
ihrem Mittelpunkt steht eine breit ausgcfuhrte Toccata, deren Formprinzip von aufien
gefafit ist.
*) Siehe Notenheilage
MELOSKRITIK 541
Noch intensiver ist der viel friiher entstandene „Gesang vom Tode" op. 18 fur
Singstimme, Klarinette und Streicher (nach Trakl). Die vier Stticke bergen starke Ge-
fiihlswerte. In anderen Fallen hat sich Reutter zu sehr an sie verloren. Hier aber
stehen ihnen konstruktive Krafte gegeniiber, die ein Zerbrockeln in blofie Stimmungs-
malerei verhindern und den Gesangen Geschlossenheit und einheitlichen Zug geben.
So wird im „Sonett" den weicheh, immer wieder absetzenden Linien von Vokal-
stinime und Klarinette der starre ostinate Rhythm us der Streichinstrumente gegen-
iibergestellt, und aus dem Ineinanderwirken dieser Gegensatze gewinnt das ganze
Stuck seine Gestalt (Notenbeispiel 4). Die Festigung der Linien kann ein Zitat aus
dem ausgezeichnet gesetzten a-cappella-Chor „Abendland" belegen (Notenbeispiel 5). Einc
weitere Kraftigung und Intensivierung erreicht Reutter in den „Russischen Liedern"
op. 21. An einigen Stellen gelangt er, ohne Zweifel von Hindemiths „Marienleben" be-
einflufit, zu einer sonst nicht vorhandenen Klarheit und Objektivierung (Notenbeispiel 6)
Auch in der vorangegangenen Violin sonate (op. 20) ist der gleiche Einflufi in einer
betonten aufieren Kraft erkennbar (Notenbeispiel 7). Daneben stehen scharf getrennl
einerseits Teile von weicher, empfindsamer Melodik (Notenbeispiel 8), andererseits An-
satze zu einer Polyphonie, die nicht zur Gestaltung gelangt sondern sich in wirkungs-
voller Weise mit den andern Elementen verbindet.
Ahnlich tiberwiegt in der Introduction, Passacaglia und Fuge op. 17,
die begreiflicher Weise Beziehungen zu Reger erkennen lafit, dekorative Klanglichkeit ;
sie saugt die immer wieder ansetzende Polyphonie auf und verhindert, selbst in der
Fuge, den konsequenten Durchbau. Die dekorativen Momente sind ein typisches Merk-
mal von Reutters Fruhwerken (Fantasia apocalyptica), wahrend die unentwickelte Poly-
phonie in dem Klavierkonzert op. 19 wiederkehrt. Wie in der Fuge von op. 17
Teile der Passacaglia als SchluGsteigerung verwendet werden, so mundet die als
Schlufivariation auftretende Fuge hier in den ersten Satz. Diese Art formaler Ver-
kniipfung, die besonders in der Thematik sichtbar wird, kennzeichnet eine gewisse
ideologische Tendenz Reutters, die sich bis in die stimmungshaft-impressionistischen
Uberschriften hinein ausvvirkt.
Das Tripelkonzert op. 26 ist die beste Zusammenfassung aller dieser ungleich-
artigen Stilmerkmale und zugleich Reutters personlichstes Instrumentalwerk. Das Stuck
beginnt herb und kraftvoll und geht tiber ein sehr fliissig geschriebenes „Perpetuum
mobile" zu zwei reizvoll farbigen und schwebenden Satzen uber. Der leichte, natiirliche
Flufi dieser Musik verbindet sich mit einem durchsichtigen, gewahlten Klangbild. Kon-
zert ist hier nicht Ausdruck einer sich unmittelbar entladenden Vitalitat sondern kulti-
viertes Spiel mit der Form. Die hier wieder erreichte Nahe zum „Saul" lafit erwarten,
dafi die nun gewonnene Festigung zur Basis einer nunmehr einheitlichen organischen Ent-
wicklung wird, welche die schopferischen Krafte des begabten jungen Komponisten zur
vollen Entfaltung bringt.
n.
MICHAEL PRAETORIUS: GESAMTAUSGABE
Der Verlag Georg Kallmeyer veranstaltet eine Gesamtausgabe der Werke von
Michael Praetorius. Derartige Unternehmen wurden friiher von Staatswegen auf breiter
542 MELOSKRITIK
verlegerischer Basis durchgefiihrt; um so hoher ist der Mut des Verlegers einzuschatzen,
der, gestiitzt auf eine kleine Gemeinde von Subskribenten, die beideri wesentlichsten
Vokal- und Instrumentalwerke in Lieferungen erscheinen lafit. Er kann sich dabei auf
ein wieder erwachtes Interesse fiir jene altere deutsche Polyphonie berufen, das nicht
auf philologischer sondern auf lebendiger Einstellung beruht. Beide Gesichtspunkte sind
in der Editionstechnik auf das glucklichste vereint. Die Ausgabe (von Friedrich Blunie
geleitet) gibt ein klares, modernes und lesbares Partiturbild und ist (einzelne Teile sollen
in Stimmen erscbeinen) auf praktiscbe Verwertbarkeit gerichtet. Hier wird ein Stuck
Vergangenheit lebendig, das starkste Gegenwartigkeit in sich tragt.
m.
SCHUBERTLITERATUR
Was das Schrifttum iiber Schubert aus Jubilaumsgriinden hervorgebracht hat, ist
beschamend. Ernsthafte Beschaftigung verdient nur die Arbeit von Paul Mies iiber
Schuberts Lieder (Max Hesse, Berlin). Es ist das einzige Buch, das sich weit iiber die
feuilletonistischen Niederungen der iibrigen Literatur erhebt. Mies kniipft an seine
friiheren Untersuchungen iiber musikalische Stiltypen an und zeigt in exakter und
Sufierst konsequenter analytischer Arbeit die Entwicklung Schuberts von ungeordneter
Freiheit zu einer letzten Logik und Organik der motivischen Verkniipfung. Das Buch
ist bewufit einseitig in seiner Perspektive, gelangt aber gerade dadurch zu Erkenntnissen,
die durch ihre Sachlichkeit und ihr geistiges Niveau in erfreulichem Gegensatz zu den
iibrigen meist flachen ,.Ausdeutungen" des Schubertschen Liedes stehen.
Audi das Buch von Felix Giinther (Schuberts Lied, Deutsche Verlagsanstalt) liegt
stilistiscb auf dieser zidetzt genannten Linie. Doch finden sich hier nicht nur eine Beihe
feiher analytischer Bemerkungen, sondern auch kluge Batschlage fiir den Vortrag, aus
denen der erfahrene Praktiker zu erkennen ist. Die iibrige Literatur (Sittenberger:
Schubert; bei Kascher, Zurich und Janacek: Schuberts Lebensroman; Amalthea-
verlag, Zurich) liegt auf dem Niveau bdliger, sentimentaler Bomanbiographie und wird
ihr Teil dazu beitragen, Schuberts Bild in der Verkitschung des „Dreimaderlhauses"
weiterhin in trauriger, unausrottbarer Weise zu popularisieren. Ein analytisches Buch
iiber die „Schone Mullerin" von Franz Valentin Damian (Breitkopf u. Hartel) ubertrifft
an seichter Programmatik iihnliche „Einfuhrungen" noch erheblich.
Zwei praktisclie Liedausgaben liegen vor: die erste eine Verkleinerung der alten
Originaldrucke von Schuberts letzten Liederzyklen durch Heinrich Kralik (bei Steyrer-
miihle, Wien), weder praktisch brauclibar noch wirklich. bibliophil. Bei der anderen
handelt es sich um eine von Messchaert vorbereitete und durcli seine Schiilerin
Franziska Martienssen besorgte zweibandige Auswahl (B. Schott's Sohne, Mainz). Nicht
nur die Auswahl sondern auch eine Beihe aufierst feiner, aber mit sparsamster Zuriick-
haltung gegebener Vortragsanweisungen verleihen der Ausgabe personlichen Wert und
lassen sie zugleich als ein Denkmal der grofien Gesangskunst Messchaerts erscheinen.
Hans Mersmann, Hans Schultze-Bitter
und Heinrich Strobel
MELOSKRITIK 543
IV.
Ira Bahmen der MELOSKRITIK werden kunftig auch Bespre-
chungen durch , einzelne Personen vorgenornmen, die seitens der
Werkbesprechungskommission mit der Arbeit iiber ein bestimmtes
Gebiet beauftragt sind.
NEUAUSGABEN ALTER MUSIK
Das intensive und lebendige Verhaltnis unserer Zeit zu bestimmten Ausschnitten
filterer Musik wirkt sich in einer Fiille neuer Ausgaben aus. Fruher stand die Heraus-
gabe alter Musik ausschliefilich unter deni Zeichen der Wissenschaftlichkeit. Man sam-
melte sie in Denkmalerreihen, urn sie zu konservieren. Die Qualitatsfrage wurde nur
in bescbrankten Grenzen gestellt; in den Suiten- und Kantatenbanden der „Denkmaler"
sammelte sicb eine Fiille von mittlerer und geringwertiger Musik. Ein Umschwung
setzte ein, als man von der lebendigen praktischen Arbeit der Jugendmusik aus sicli
von neuem der. alten Musik naherte. Es entstanden praktische Auswahlausgaben, zum
Singen und Spielen in den eigenen kleinen Arbeitskreisen berechnet. Mitderweile hat
die Bewegung weit liber ihre urspriinglichen Grenzen hinaus urn sicb gegriffen. Schule
und Hausmusik werden allmahlich, aber mit Sicberheit von ihr erfafit. Von einer an-
dern Seite her konimt die Orgelmusik an ahnliche Probleme heran. Die Orgelbewegung,
die von Freiburg i. B. ihren Ausgang genommen hat, ist inzwischen erbeblich gewachsen.
Aucli sie ist wesentlich historisch eingestellt und erblickt in der Wlederbelebung alten
Kulturguts eine ihrer wichtigsten Aufgaben.
Von alien diesen Seiten aus wird in den letzten Jabren, man kann sagen: unaut-
horlich. alte Musik publiziert. Die Schulliederbucher sind in einem Mafie von ihr durch-
drungen, wie man es vor kurzer Zeit nocli nicht fiir moglich gehalten hatte. Die beiden
Verlage fiir Jugendbewegung (Bar enr eiterverlag, Kassel; Georg Kallmeyer,
Wolfenbiittel) iiberbieten einander in ihrer Produktion. Der Verlag Adolf Nagel
(Hannover) mit seinem „Musik-Arcl]iv ( ' und Friedrich View eg (Berlin-Lichterfelde) mit
seiner Sammhmg „MusilfSchatze der Vergangenheit" wenden sich vor all em an die Haus-
musik. In Frankreich sind es besonders die Publikationen Sen arts mit seiner Beihe
„Edition Nationale de Musique Classique", die den Bedarf decken.
Es entsteht die grundsatzliche Frage, ob Inhalt und Umfang aller dieser Publi-
kationen den Forderungen' unserer Zeit immer entsprechen. Freilich ist der Kreis der
Verbraucher enorm gewaclisen und vor allem bedarf der Instrumentalunterricht, der noch
immer am engsten an einen kleinen Kanon der Werkauswahl geb und en ist, neuer
Literatur. Aber es entsteht die Gefahr, dafi alte Musik herausgegeben wird, weil sie
alt, aber nicht, weil sie gut und lebendig ist. .-.-,.■.
Die Vokalmusik sucht und findet noch immer im deutschen Lied des 16. Jahr-
hunderts lebendige QiieUen. Kaspar Othmayr erscheint in "einer Teilausgabe seiner
„Geistlichen Zwiegesange" (im Barenreiterverlag von Lipphardt herausgegeben) und
gleichzeitig mit seinen vierstimmigen „Beutterischen und Jegerischen Liedlein" (Heraus-
geber Piersig bei Kallmeyer). Die Frage nach der Existenzberechtigung dieser Neudrucke
544 MELOSKRITIK
ist wohl nicht ganz zu umgehen. Fiir beide Ausdrucksformen : den zweistimmigen geist-
lichen Gesang und das vierstimmige weltliche Lied dieser Zeit gibt es neue Ausgaben
von Praetorius und Senfl, die doch wohl noch nicht als ausgeschopft bezeichnet werden
konnen. Willkommen sind die fiiiifstimmigen deutschen Lieder von Jacob Regnart
(Osthoff im Barenreiterverlag): sie geben ein durchaus neues Bild dieses Komponisten.
Die heitere Ballade vom Kuckuck und der Nachtigall ist der spateren Vertonung durch
Staden sicherlich teilweise iiberlegen. Aber audi hier ist zu fragen, ob es Chor-
vereinigungen oder Singgemeinschaften gibt, welche diese beiden, im Grande natiirlich
gleichartigen Werke, bezwingen wollen. Eine unbedingte Bereicherung bedeutet die
kleine Auswahl dreistimmiger Villanellen von Luca Marenzio (Engel im Barenreiter-
verlag). Ihre oft erprobte Frische und Lebendigkeit, ihre heitere Spielfreudigkeit machen
sie uns zu unmittelbarem Besitz. Neben diesen Ausgaben laufen andere, altere Reihen
weiter. So die italienische Edizione Marcello Capra, die eine neue Messe von
Pales tr in a und ein weit gespanntes, schon steigerndes „Resonet in Laudibus" von
Lasso vorlegt.
Die Instrumentalmusik riickt gegenwartig ins Ubergewicht. Die vorliegenden
Neuerscheinungen liegen hauptsachlich auf kammermusikaHschem Gebiet und fiihren
so der Hausmusik neue Quellen zu. Fiir das Klavier sorgt eine kleine Suitenauswahl
aus Graupner, die „Monatlichen Klavierfruchte", die Kiister bei Kallmeyer heraus-
gibt, anspruchslose, nicht ganz gleichwertige, leicht umspannbare Stucke und die von
Steglich (in Nagels „Musikarchiv") besorgte Ausgabe der „Preufiischen Sonaten" von
Philipp Emanuel Bach, die unbedingt bejaht werden mufi. Frankreich legt fein
gearbeitete Variationen von Couperin vor («Ah! Qa ira» bei Senart, Paris). \
Suite und Kammersonate sind reichlich vertreten. Viewegs „Musikschatze der
Vergangenheit" bringen Triosonaten und Orchestersuiten von Abaco und Rosenmuller
(Egidi), Starzer und Zachow (Lenzewski) und Muffat (Egidi). Diese Stucke sind von
unterschiedlichem Wert. Muffats „Ansehnliche Hochzeit" ist amusant und beweglich,
in der Programmatik zugleich ein heiteres Zeitbild, Abaco edel und fliefiend; nimmt
man aber noch die gleichzeitig erschienenen Stucke von Albinoni (Zwei Kammersonaten,
von Upmeyer herausgegeben) und Telemanns Quartett in e-moll (Herausgeber Ellinor
Dohrn, beide in Nagels Musikarchiv) hinzu, so wird die Frage wiederum akut, ob die
Bedurfnisgrenzen durch diese Produktionen nicht bereits weit uberschritten sind.
Der Barenreiterverlag publiziert Orgelmusik in grofiziigiger Erscheinungsweise :
Bachs Orgelbiichlein und eine Auswahl von funfzehn dreistimmigen Orgelsatzen, die
von den Anfangen der Orgelmusik (Schlick) iiber Buxtehude und Bach bis zu Brahms
und Reger fuhrt (beide von Hermann Keller herausgegeben) und Pachelbels Orgel-
werke, die Karl Matthaei offenbar aufierst geschickt und mit musikalischem Feingefiihl
ausgewahlt hat. Die Orgelbeweguug ist die jiingste aller dieser Entwicklungen und
vertragt wohl am ehesten noch Erganzung und Bereicherung. Sonst aber ist an die
gesamte Publikation alter Musik die Forderung einer gesteigerten Qualitatsauslese und
einer kritischen Auswahl zu stellen, die verhindert, dafi ein Material auf den Markt
geworfen wird, das schon durch seine Uberfulle geringe Aussicht hat, lebendig zu werden.
Hans Mersmann
RUNDFUNK-UMSCHAU 545
RUNDFUNK
Ernst Latzko (Leipzig)
RUNDFUNK-UMSCHAU
(Fiinf Jahre Rnndfunk — Internationale Abende — Winterplane — Oktoberprogramm)
1.
Der 29. Oktober war ein Tag, dafiir geeignet, die Gedanken mit der Entwicklung
des Rundfunks zu beschaftigen. Am gleicben Tage des Jahres 1 923 wurde in Berlin die
erste offentliche Rundfunkdarbietung veranstaltet. Der Berliner Sender feiert diesen Tag
unter Anderem durch eine Wiederholung des Eroffhungsprogramms. Ein Vergleich mit
heute belehrt uns dariiber, welche Fortschritte die Programmbildung inzwischen gemacht
hat, er zeigt uns aber auch, dafi ungeachtet aller Fortschritte Ruckfalle in die gute alte
Zeit noch oft genug vorkommen. Demi ahnliche Programme gehoren auch heute keines-
wegs zu den Seltenheiten.
In der Kulturgeschichte spielen fiinf Jahre keine grofie Rolle und man darf daher
an dieses „Jubilaum" nicht etwa mit grofien Erwartungen herantreten. Wenn in dieser
Periode die sogenannten Kinderkrankheiten iiberwunden worden sind, so ware damit
schon Einiges erreicht. Die technischen Errungenschaften dieses Zeitraums haben uns
hier nicht zu beschaftigen, auch alles Organisatorische erscheint hier minder wichtig.
Hier handelt es sich im Wesentlichen darum, ob die Frage der Bedeutung des Rund-
funks fur die Musik, der Musik fiir den Rundfunk in diesen fiinf Jahren eine grund-
satzliche Klarung erfahren hat. Vorurteilslose Uberlegung mufi diese Frage vorlaufig
noch mijt ,.nein" beantworten. Noch immer sind im Publikum und in der offentliclien
Meinung starke Vorurteile gegen das „Surrogat" vorhanden, noch immer gehen aber auch
die Meinungen der Verantwortlichen iiber das „Was" und „Wie" des im Rundfunk zu
Bietenden und nicht zu Bietenden erheblich auseinander. Will der musikalische Rundfunk
eine neben Konzert und Oper gleichberechtigte kulturelle Stellung erringen, so mufi er sich
bewufit sein, dafi seine Aufgabe Erganzung dieser beiden alteren Kulturgiiter ist und
nicht Konkurrenz gegen sie. In teilweiser Erkenntnis dieses Grundsatzes ist ja auch
der Rundfunk schon zur Urbarmachung von Gebieten geschritten, die der Opern- und
Konzertbetrieb brach liegen liefi. Doch die ideale Arbeitsteilung zwischen diesen drei
Faktoren ist noch lange nicht gefunden.
In engstem Zusammenhang mit dieser Frage steht das in letzter Zeit ofter auf-
gerollte Problem „Eigenkunst oder Ubertragung ?". Da bei der Oper die Ubertragung
aus dem Theater allgemein iiblicli geworden ist, mufi man sich eigentlich wundern, dafi
auf dem Gebiet der Konzertmusik noch von vielen Seiten die ausschliefiliche Moglich-
keit der Eigenkunst vertreten wird. Dieses Thema wurde in der Wiener Zeitschrift
„Pult und Taktstock" von verschiedenen Seiten beleuchtet, zuletzt im Septemberheft
von Halley Simpson (London), der zu dem Schlufi kommt, wir sollten jeden Senderaum
akzeptieren, der bessere Resultate liefert und ware er das innere eines Gasometers.
Sollte die Frage also im Sin tie der Ubertragung entschieden werden, dann wird es zu
546 ERNST LATZKO
der friiher erwahnten Arbeitsteilung von selbst kommen. Der Rundfunk kann dann
viel mehr Konzertauffuhrungen ubernehmen und die dadiirch bei ihm frei werdenden
Krafte fur solche Werke in Anspruch nehmen, die sidi stilistisch und technisch fiir seine
Zwecke besonders eignen und von der offentlichen Musikpflege vernachlassigt werden.
Und audi das von Max Butting angeregte Problem einer eigenpn Rundfunkmusik
gehort hierher.*) Wenn seine Idee, die bei Rundfunkauffuhrungen gemachten akustischen
Erfahrungen gleich bei der Komposition besonderer, dem Rundfunk vorbehaltener, Musik
zu verwerten, Anhanger findet, dann ware ein nenes, die Arbeitsteilung forderndes
Moment gewonnen. Denn diese „Rundfunkmusik" konnte ja garnicht offentlich gespielt
werden, ware Monopol des Senderaumes.
Endlich sind audi noch gewaltige Umwalzungen von der Entwicklung des Bild-
funks zu erwarten. Zweifellos wird das Fernsehen, das Fernhoren entscheidend beein-
flussen. Man sieht also, von einer Klarung sind wir nodi weit entfernt, es liegen viele
Fragen in der Luft oder ini Ather und wir konnen nur hoffen, daft man nach aber-
mals fiinf Jahren einen Schritt weitergekommen ist. Immerhin sieht man, wie anregend
und befruchtend der Rundfunk bisher audi in der Musik gewirkt hat und, wenn mit
nichts Anderem, so hatte er damit allein seine kulturelle Daseinsberechtigung bewiesen.
2.
Doch nun ware von einer solchen anderen kulturellen Auswirkung des Rundfunks
zu sprechen: er hat Entfernungen verringert, die Menscben einander naher gebracht.
Nicht ortlich, wie Automobil und Luftschiff, sondern geistig, wie die Erfindung der
Buchdruckerkunst. Diese volkernahernde, volkerverbindende Tendenz des Rundfunks
kommt nirgends"so rein zum Ausdruck, wie an den vom Weltrundfunkverein angesetzten
Internationalen Abenden. Es liegt wirklich ein grofier, einigender Gedanke in der Tat-
sache, dafi am gleichen Tag, zur gleichen Stunde in alien europaischen Sendestellen die
Kultur eines Volkes zu Worte kommt und dafi diese Darbietungen in ganz Europa zu
horen sind. Das auf diese Weise geehrte Land hort sich gewissermafien im Spiegel,
der ihm von den anderen Volkern vorgelialten wird und diese wieder werden durch
das Ereignis veranlafit, sich in eine fremde Gedankenwelt zu vertiefen. Beide Momente
miissen — richtig ;'ausgewertet — zu gegenseitigem Verstandnis beitragen. Die Em-
richtung der Internationalen Abende kann sich also iin wahrsten Sinn des Wortes
pazifistisch auswirken. Allerdings kann dieses :hohe Ziel nur dann erreicht werden,
wenn in den Programmen dieser Abende wirklich die Kultur des betreffenden Volkes
sich widerspiegelt. Den Sendeleitungen erwaclist dalier in diesem Fall die Aufgabe,
Charakteristisches, Typisches zu bringen, das die Eigenart dieses Volkes beleuchtet, die-
jerligen Epoch en zu bevorzugen, in denen der Kultur dieses Landes besondere Bedeutung
zukam. Es geniigt keineswegs, Autoren zu wahlen, die in diesem Land geboren sind,
es geniigt auch nicht, die fremde Kultur so zu zeigen, wie sie sich in unserer Mentalitat
spiegelt, sondern ihren wahren Zweck werden diese Abende erst dann erfiillen, wenn
sie Kunst, aus dem Schofie dieses Volkes geboren, in der diesem Volk eigentiimlichen
Weise wiedergeben. Zweifellos mufite auch hier eine bewufite Pflege des Volksliedes
einsetzen. Uherblickt man aber das an den bisherigen Abenden Gebotene, so findet
*) Siehe den Artikel „Der Komponist und der Rundfunk" von M. Rutting im Maiheft 1928 der
Zei'sch'ift "Die Musik".
RUNDFUNK-UMSCHAU 547
man nur einzelne tastende Versuclie ohne iiberzeugende Resultate. Italienische Abende
bewegen sich zwischen Palestrina und Puccini, Hollandische zwischen Dufay und
Brandts-Buys, ohne dafi wirklich Wesentliches dabei zu Tage kame, ohne dafi Zusammen-
hange gezeigt werden. Und bei einer verniinftigen Arbeitsteilung zwischen den neun
deutscben Sendegesellschaften, bei der die Reichsrundfunkgesellscbaft mitzuwirken hatte,
liefie sich wirklich an einem solchen Abend em anschaidiches Bild einer fremden Kultur
und ihrer Entwicklung geben. Natiirlich miifite dann die Sendung des gleichen, wenn
audi noch so dankbaren Werkes durch mehrere Gesellschaften ebenso vermieden werden,
wie das sehr bequeme Auskunftsmittel, einfach das ganze Programm eines anderen
Senders zu iibernehmen. Gerade in der Betrachtung von moglichst viel Gesichtspunkten
aus mufite der Wert solcher Abende liegen. Besondere Beachtung ist natiirlich audi
dem Gegenwartschaffen des betreffenden Landes zu widmen.
Der Oktober brachte nun einen solchen — Ungarn gewidmeten — Abend, dessen
Programmgestaltung manchen freundlichen Eindruck hinterliefi. Schon die negative
Tatsache, dafi nur zwei deutsche Gesellschaften eine ungarische Rhapsodie von Liszt
sendeten, verdient, als Fortschritt gebucht zu werden. Fur den man allerdings den in
mehreren Auflagen erscheinenden unvermeidlichen Hubay hinnehmen mufite. Mit ver-
schiedenen Werken waren Goldmark und Dohnanyi vertreten. Ihnen gegeniiber gilt
das schon fruher erwahnte Moment, dafi namlich die ungarische Staatsbiirgerschaft allein
noch nicht geniigende Legitimation fiir die Auffuhrung innerhalb eines solchen Programms
bilden diirfe. Denn in ihrer Musik sind die Beiden weniger national als international.
Dagegen ist das mehrfache Auftauchen der beiden Namen Bartok und Kodaly mit
Freude und Anerkennung zu begriifien. Nicht nur vom Standpunkt der Neuen Musik
aus. Sondern Beide sind als begeisterte Folkloristen wirkliche Vertreter ihrer Heimat-
kunst. Bartok war mit Volks- und Bauernlieder (Munch en, Stuttgart), mit der Rhap-
sodie fiir Klavier und Orchester op. 1 (Konigsberg), den Suiten op. 3 (Berlin, Kopen-
hagen) und op. 4 (Leipzig) und der Tanzsuite (Hamburg) vertreten, Kodaly mit seiner
Hary Janos-Suite (Konigsberg, Leipzig). Aufierdem war die ungarische Musik an diesem
Abend durch Lendvai (Kammersuite op. 32 in Breslau), Leo Weiner (Serenade fiir Or-
chester in Hamburg), Alexander Jemnitz (Sonate fiir Violine und Klavier op. 22 in Stuttgart)
und Georg Kosa (6 Klavierstiicke in Stuttgart) gut reprasentiert. Im grofien Ganzen
bedeutet dieser Abend einen wesentlichen Fortschritt, der hoffentlich zu dem fruher an-
gedeuteten Ziele fiihren wird.
3.
Einige Sendegesellschaften veroffentliclien jetzt ihre Plane fiir den Winter. Miinchen
gibt darin die trostliche Versicherung, dafi „das bisherige Durchschnittsverhaltnis zwischen
leichtem und ernstem Progi-amm von 2 : 1 beibehalten wird". Es fragt sich jetzt nur,
wo die Grenze zwischen ernst und leicht gezogen wird. Grofie Bichtlinien fiir die
Programmgestaltung fehlen hier, es handelt sich um einzelne Projekte, unter denen die
Passion von Heinrich Schiitz, sinfonische Werke von Janacek, Tscberepnin, Alban Berg,
Glucks „lphigenie auf Tauris" und Honeggers „Antigone" besonders auffallen.
Leipzig verheifit einen Zyklus ,,Das Klavierkonzert in drei Jahrhunderten" und
will dabei den Horern die Entwicklung dieser Form von Joh. Seb. Bach bis zur Gegen-
wart theoretisch und praktisch vorfiihren. Innerhalb eines grofien Zyklus „Das englische
Weltreich" soil die Bedeutung der englischen Musik durcli Vortrage und Beispiele er-
lautert werden. Unter den einzelnen Versprechungen beanspruchen Schonbergs „Gurre-
lieder" besonderes Interesse.
Stuttgart verspricht einen umfangreicben Mozartzykl'us, im Ubrigen fallt hier die
grofie Zahl von Ubertragungen aus offentlichen Konzertsalen auf. •
Der Oktober zeigte auf manchen Gebieten eine erfreuliche Regsamkeit. Berlin
und Frankfurt bringen in zyklischen Veranstaltungen Neue Musik. Der Berliner Zyklus,
„Musik der Gegenwart", hat bisher an zwei Abenden Werke von Paul Hoffer, Hermann
Reuter, Jemnitz, Kodaly und Kosa vermittelt. Die Frankfurter Veranstaltung, ,.Die neue
Zeit" benannt und nicht auf Musik beschrankt, will den Zusammenhang der rasenden
Geschwindigkeit der drahtlosen Wellen mit dem Tempo unserer Zeit darstellen. Ein
guter Gedanke, der durch das Programm (Hindemiths Klavierkonzert, Eislers „Zeitungs-
ausschnitte", Sti'avinskys Ragtime fur 11 Instrumente) noch wesendich unterstiitzt wurde.
Aufierdem brachte noch Breslau Lieder von Schonberg und Krenek und Hindemiths
Zyklus „Die junge Magd". Ausnahmsweise erscheint auch der Name Wellesz mit einem
geistlichen Lied in Stuttgart. In Konigsberg werden Solosonaten fiir Violine und Cello
von Hindemith und Kodaly gespielt. Auch das Ausland steht nicht zuriick. Budapest
bringt Stravinskys „Sacre de printemps", Daventry Hindemiths „Serenaden" und Schon-
bergs Streichquartett mit Gesang op. 10.
Ein besonderes Verdienst erwarb sich Konigsberg mit der Auffiihrung von Bachs
„Kunst der Fuge" in der Graserschen Bearbeitung. Es geht damit den im vorigen Monat
eingeschlagenen Weg weiter. Bezeichnend fiir die Werbekraft des Rundfunks fiir alte
Musik ist die Tatsache, dafi selbst Stockholm Kuhnaus biblische Sonaten und Bibers
Mysterien bringt. Leipzig absolvierte die ersten zwei Abende seines Klavierkonzert-
Zyklus' mit Werken von Joh. Seb. Bach (f-moll und C-dur fiir zwei Klaviere), W. Friede-
mann und Phil. Eman. Bach, Ernst Wilhelm Wolf und Franz Xaver Richter.
Auch auf dem Gebiet der Oper gab es einige Seltenheiten. Debussy war nicht
nur mit dem „Pelleas" in Daventry, sondern auch mit seinem Jugendwerk „Der ver-
lorene Sohn" in Rom vertreten. Wolf-Ferrari erschien schon mit seinem „Sly", vom
Hamburger Sender aus Hannover iibertragen. In Kopenhagen wird Handels „K6nig
Porus" aufgefiihrt und ungemein verdienstvoll war der Versuch der Berliner Funkstunde,
Berlioz' „Trojaner" der Vergessenheit zu enrreifien.
Leider fehlte auch nicht Material fiir den „Funkpranger". Hat die Munchner
Sendeleitung wirklich kein Gefiihl dafiir, dafi fiir eine Veranstaltung mit dem schonen
Titel „Mit dem Funkexpress in die galante Zeit des Bokoko" die Namen Rameau,
Gretry, Phil. Em. Bach, Haydn, Mozart zu wertvoll sind ? Ein anderes Beispiel liefert
Stuttgart mit dem Programm „Die alte Ballade vom Dr. Johannes Faust". Faustkom-
positionen und Szenen aus Faustdramen zu einem Horbild zusammengestellt. Der
musikalische Teil dieses Bagouts setzte sich aus Werken von Wagner, Liszt, Busoni,
Gounod (Faust- Walzer !), Berlioz, Schumann und Mahler (Chorus mysticus aus der
8. Sinfome!) zusammen. Bei aller hochanerkennenswerten Pflege der alten Musik —
das Pasticcio brauchte der Bundfunk wirklich nicht wieder aufleben zu lassen!
ORGANISATIONSFRAGEN DES RUNDFUNKS 549
Frank Warschauer (Berlin)
ORGANISATIONSFRAGEN DES MUSIKWESENS 1M RUNDFUNK
1.
Der Musiker, der mit dem Rundfunk zu tun hat, sieht sich einer Vielheit von
Einzeltatsachen gegeniiber. Ganz abgesehen von der meist notgedrungen peripheren
Beschaftigung mit den technischen Problemen, bekommt er durch seine eigenen Er-
fahrungen und die seiner Bekannten einen gewissen Einblick in die Struktur der Sende-
organisation. Das alles aber sind meistens Teileindriicke, die zudem naturgemafi sehr
subjektiv gefarbt sein miissen. Geht es Herrn X. dort wirklich so wie Herrn Y? Findet
der Eine grofieres Entgegenkommen als der Andere ? Wer tragt dort die Verantwortung
fiir den ganzen Betrieb ? Wie entstehen die Programme? Wer trifft die Auswahl der
Mitwirkenden ? Und eine sonderbare Frage eigentlich, aber eine, die hier erhoben
werden mufi, nach welchen Gesichspunkten erfolgt diese eigentlich ? Denn dafi dabei
audi jenes Minimum von Objektivitat, das man, der Gebrechlichkeit menschlicher In-
stitutionen zum Trotz, fordern darf, tind schliefilich auch sonst an den entsprechenden
Stellen findet — dafi nicht einmal dieses dort, nehmen wir den Durchschnitt, vorhanden
ist, dariiber wird wohl im allgemeinen kein Zweifel bestehen.
T)er Musiker sieht sich beim Rundfunk einer uberaus machtigen Organisation
gegeniiber, deren Bedeutung er immer deutlicher erkennt. Wenn ich freilich an die
Aufierungen denke, die ich von Musikern im allgemeinen iiber den Rundfunk hore —
so mufi ich feststellen, daft sie dabei meist viel zu sehr von Gegenwarts- und Zufalls-
eindriicken ausgehen. Wer die Funktion des Rundfunks fiir die Musik in dieser Zeit
richtig beurteilen will, der mufi nicht fragen, wie heute die technische und soziologische
Situation ist — sondern wie sie morgen und ubermorgen sein wird. Wer das ungefahr
iiberblickt, der wird wissen, dafi die genaue Kenntnis vom Wesen der Rundfunkorgani-
sation und der Krafte, die in ihr wirksam sind, zu den Lebensnotwendigkeiten des
Musikers von heute gehort.
Denn alle jene verstreuten Tatsachen, die der Einzelne erfahrt, sind das Produkt
eines bestimmten Systems. Sie hangen untereinander zusammen, sie werden erldarlich,
wenn man das Gesetz kennt, das dabei zu Grunde liegt und den Schliissel zu den Er-
scheinungen liefert. Das Problem der Organisation, bei vielen politikfeindlichen Menschen
nicht sehr beliebt, ist ein geistiges, kein rein zivilisatorisches. Man darf sich nicht mit
der Feststellung begniigen, dafi hier ein Unfahiger, dort ein Begabter einen verant-
wortlichen Posten erhalt, sondern man wird sich fragen miissen, ob das ganze System,
das heute iiber das materielle und geistige Wohl unzahliger Musiker und iiber die
Musikalitat der Massen entscheidet, und in den sich nach meiner Ansicht in immer
steigendem Mafie das Musikwesen eines ganzen Landes konzentri-ert, derart aufgebaut
ist, dafi es mit etwa ebenso grofier Wahrscheinlichkeit die richtigen Menschen an die
richtigen Stellen bringt und auch sonst die ihm erwachsene Funktion etwa ebenso gut
erfiillt, wie. sagen wir einmal, die Organisation des staatlichen Operhwesens.
Ich mufi diese Frage, das sei vorweggenommen, mit grflfiter Entschiedenheit v er-
ne in en. Ich mufi die Aufmerksamkeit der Musiker auf die Tatsache lenken, dafi hier
nicht nur ab und zu Mifistande schlimmer Art vorliegen, sich behaupten, sich selbst
550 FRANK WARSCHAUER
geradezu in Permanenz erklaren — sondern dafi dieses ganze System keine Gewahr
fur die sachgemaGe Verwaltung der sich ergebenden Aufgaben bietet - heute nicht,
mid morgen, wenn Macht und Bedeutung des Rundfunks sich vervielfacht haben, noch weniger.
Welches sind seine Eigenarten? Ich mochte dariiber einiges mitteilen.
2.
Einige Tatsachen zuvor. Der grofite und nnanziell machtigste deutsche Sender ist
der Berliner. Seine Konzertabteilung steht vor Aufgaben, wie sie sich sonst nirgends
ergeben, Nicht nur ist die Zahl der dort arrangierten Konzerte und der dabei be-
schaftigten Musiker enorm, sondern das dabei in Frage kommende . Gebiet musikalischen
Stoffes ist unvergleichlich grofi; denn der Rundfunk ist bei seinen einzelnen Konzerten
in der Programmwahl uiibeschrankter, als es jemals bei einer Veranstaltung des Konzert-
s a als der Fall sein kann. (Eine sehr interessante und wichtige Tatsache, iiber die viel
zu sagen ware !)
An der Spitze dieser Abteilung stand viele Jahre lang, unangefochten durch
Kritiken und sonstige Einsprtiche, ein — Zahnarzt. Und zwar einer, von dem nie vor-
her ein Mensch gewufit hatte, dafi er musikalisch sei. Ihm folgte ein Herr, der eben-
falls in den weitesten Kreisen der Musiker total unbekannt ist. Seines Zeichens ist
er — Kaufmann. Er residiert noch heute dort. Gibt sich ubrigens viel Miihe, sein
Amt bestmoglichst zu verwalten. Aber wie kann so etwas geschehen?
Weil die Sendegesellschaften in all diesen Dingen vollig autonom.sind. Sie konnen
dabei machen, was sie wollen, tun es audi. Manchmal ist es auch das Richtige. Aul
ihre Entscheidung hat die Offentlichkeit keinen legitimen Einflufi, so wenig wie aut
irgend eine andere Aktiengesellschaft, die vielleicht Sprit fabriziert.
Die Sendegesejlschaften sind konslituiert als halbprivate Unternehmungen, deren
Aktienmajoritat die Beichspost besitzt, als Besitzerin des Naclirichtenmonopols, unter das
absurderweise der Rundfunk fallt. Und die Reichspost kummert sich nun naturlich um
Angelegenheiten der Kunst etwa soviel, wie das Landwirtschaftsministerium in Preufien
um die Oper. Sie la£t den geschaftlichen Direktoren und den Aufsichtsraten samt Vor-
sitzenden freie Hand. So kann es kommen, dafi iiber die Frage, wer als musikalischer
Leiter engagiert werden sol], an einem deutschen Sender zum charakteristischen Bei-
spiel — der dortige Direktor der Darmstadter- und Natioualbank entscheidet. Unglaub-
lich ? Aber nur zu wahr.
Nun fgibt es ja bekamitlich, um diesen Defekt eia wenig auszugleichen, die In-
stitution der „Rulturbeirate", die von den Landeskultusministerien ernannt werden.
In ihnen sitzen vielfach audi fiihige Musiker, die iibrigens, was bezeichnend ist,
fur ihre hochst belangvolle. Tfttigkeit zum Nutzen eines iiber grofie Einnahmen ver-
fiigenden Institutes keinen Pfennig erhalten. Aber diese Kulturbeirate haben zu wenig
Rechte. Sie diirfen nur „beraten". Dagegen konnen sie keinerlei Vertrage abschlieBen,
sie oft nicht einmaj[ mit Erfolg befiirworten. Dafur sind die genannten Stellen.entscheidend.
Und nur so ist ene Einseitigkeit, Schiefheit, Zufalligkeit vieler Entscheidungen
im Rundfunk, ganz besonders in Berlin, zu erklaren, bei denen offentsichtlich illegitime
person iche Einfliisse am Werk waren. Beispiele dafiir kennt jeder. Sie zusammenzu-
stellen, erforderte eine eigene Broschure.
1 HH"«
SCHUBERT 551
3.
Dieser Zustand ist, sollte man meinen, unhaltbar. Er halt sich aber nichts desto-
weliiger jetzt bereits funf Jahre lang. Und wird sicli solange halten, bis die Musiker
gescblossen gegen ihn auf das scharfste protestieren. Wo und wie ?
Zunachst dadurch, dafi sie die Zustiinde im eiazelnen zu andern suchen. Etwa
durch die generell gehaltene Forderung, dafi die betreffenden Stellen des Rundfunks
erstens uberhaupt mit Musikern, zweitens mit Musikern von Rang und Namen zu be-
selzen sind, die durch ihre fruhere Tatigkeit dazu legitimiert sind. Solche Forderungen
mufiten an die Sendegesellschaften, vor allem aber an die Kulturbeirate gerichtet
werden, in denen die Keimzelle einer spateren verniinftigeren Regelung zu erblicken ist.
Auf diese Weise ware immerhhi etwas zu erreichen. Das System macht ja die
richtigen Entschliefiungen nicht unmoglich, wie etwa die Ernennung Scherchens zum
musikalischen Leiter des Konigsb erger Rundfunks zeigt. Abei" dennoch, die
Aktivitat im Einzelfall geniigt nicht.
Die jetzt langsam durchdringende Erkenntnis, was der Rundfunk.in jeder Hinsicht
fur die Musiker bedeutet, mufi diese veranlassen, sich in der entschiedensten Weise fiir
eine Neuregelung des Rundfunkwesens einzusetzen, durch die solche Zustaude
wie sie jetzt herrschen unmoglich gemacht werden.
Dazu ist notwendig, den Musikapparat des Rundfunks so einzuordnen, dafi er in
angemessener Weise staatlich kontrolliert ist: er mufi unter die Zustandigkeit der-
jenigen Behorde fallen, denen ja auch sonst die offentliche Musikpflege anvertraut ist,
der Kultusministerien. Denn was helfen schon ein oder zwei richtige Berufungen,
wenn sie wiederum Monopole und Diktaturen schaffen, gegeri die es keine rechtlichen
Handhaben gibt.
Und diese Forderung bedeulet nun wiederum im Grunde mehr als eine Erganzung
der bisherigen Organisationsform : sie fiihrt zu der Einsicht der Notwendigkeit, an deren
Stelle etwas vollig Anderes zu setzen, etwa durch eine wirkliche Verstaa tlichung
des Rundfunks, die von der jetzigen staatlichen MonopolisierurJg von Privatgesell-
schaften himmelweit verschieden ware. Sie miifite erfolgen durch ein moglichst bald
schaffendes Reichsrundfunkgesetz, an dessen Vorbereitung die Musiker in der
intensivsten Art mitzuwirken hiitten.
UMSCHAU
Hans Mersmann (Berlin)
SCHUBERT
(Zum 19. November 1928)
1.
Sein Leben ist eingeschlossen in den Kreis enger burgerlicher Daseinsformen.
Ein kurzes Leben, in dem der karg bemessene und jah abgeschnittene Weg nicht
als Notwendigkeit erscheint. Psychologische EinsteUung sucht vergebens, das Werk aus
diesem Leben zu begriinden. Es fehlen ihm alle grofien Inhalte: die heroische Geste,
552 HANS MERSMANN
die Beethovens Leben reprasentativ ste.mpelte; die tragischen Konflikte, die Mozarts
Dasein unterhohlten; die innere Ruhe des vollendeten Kreislaufs, die Bach trug. Schuberts
Leben kannte nur ein grofies Ereignis: die Befreiung von zwangvoller, hemmender
Fronarbeit; die Ablosung der strengen Lebensordnung in Konvikt und Schule durch die
Ungebundenheit des Schopferischen. So scheint die Definition des Burgerlichen nur von
aufien zu stimmen. Denn es fehlte sowohl dem zwischen lauteni Freundeskreise und
selbst gewahlter Einsamkeit schwankendem Leben wie auch deni friihen, plotzlichen
Tode die Ordnung und Verkniipfung, die das Leben des Durchschnittsmenschen be-
stimmen. So klein in seinen Spannungen, so frei von allem Pathos Schuberts Leben
ist, so mufi doch auch uber ihm einmal die Achillesfrage gestanden haben und er hat
sie mit dem gleichen Mute der Bejahung beantwortet wie andere Schaffende vor und
nach ihm.
Vielleicht ist dies die einzige Briicke zwischen Leben und Werk. Der Mensch, der
keiner aufieren sichtbaren Formen und Inhalte bedurfte, konnte in die Musik eingehen.
Es blieb nichts mehr von ihm zuriick. Er ist der letzte in jener Beihe der Schaffenden,
deren Werk lautlose Fiille ist. Mozart gehorte zu ihnen, aber audi Kleinere, wie
Beinhard Keiser, standen unter diesem damonischen Zwang einer triebhaf'ten, nicht um
Gestalt ringenden sondern ungehemmt stromenden Produktion. Schubert noch gleicht
jener Gestalt im Marchen, unter deren Handen alles zu Gold wird, was sie beruhrt.
Wir nehmen es wortlich bei ihm und suchen hier eine Beziehung zu seinen Texten.
Wo immer sie ihm als Worte entgegentraten, wurden sie Musik; nicht ausgewahlt,
von innen durchgestaltet und langsam reifend, sondern aufflammend wie ein zundender
Stoff, fruh schon in ratselhafter Vollendung.
Das Lied wird ihm Schicksal. Hier flutet der Strom von Pol zu Pol von der
ersten Beriihrung an. Um die Instrumentalmusik mufi er ringen. Seine friihen Quartette
sind Schiilerarbeiten, seine Unvollendete Symphonie noch ein Hinaufstreben zur klassischen
Bindung der entgleitenden Formen. Im Liede aber umschliefit schon der Gestaltungs-
vorgang einen Hochstgrad von Moglichkeiten. Hier formt sich ein Text als schlichtes
Strophenlied, dort erscheinen zwischen den Strophen feinste Abwandlungen. Ver-
anderungen, dem ersten Blick kaum sichtbar: Auflosung einer festen Linie in fliefiende
Konturen, Aufleuchten einer neuen harmonischen Lichtquelle unter der gleichen Melodik,
Verwandlung einer fallenden Endung in eine steigende, weiten sich zu Symbolen. An
anderer Stelle wieder wird die Form des Liedes durch die Dichtung bedingt. Zyklische
Gegenflachen teeten auseinander und ordnen sich zur Einheit. Die alten Grenzen des
Liedes werden durchbrochen ; Elemente der Arie der Kantate spannen es zum Gesang.
Eine vollig neue Beziehung tritt zwischen Singstimme und Instrument. Die grofie
Entwicklung, die das Klavier als selbstandiges Instrument durchlebt hatte, wird nun ein-
geschmolzen. Eine Harmonik entfaltet sich, von einem Reichtum und einer gestaltenden
Kraft, wie sie auch aus der gleichzeitigen Instrumentalmusik nicht zu begriinden ware.
Sie vor allem diktiert einem Jahrhundert Entwicklungsgesetze. Ganze Lieder werden
durch eine auf das feinste ausgewogene Chromatik getragen. Melodische Erfindung aber
bleibt unerschflpflich. Alle Grenzen zwischen deklamiertem Wort und musikantisch
uberstromender Urkraft werden abgesdiritten. Aber iiber alien diesen verschiedensten
Stufungen waltet Fiille und Einmaligkeit.
SCHUBERT 553
Der Klavierkomponist findet von hier aus den geradesten Weg. Beethovens spiite
Klaviersonaten hatten neue Perspektiven erschlossen. Schubert bestimmt nun ein-
deutig den Typus der romantischen Klaviermusik. Abkehr von gespannter klassischer
Entwicklung fiihrt audi in der Instrumentalmusik zu einem Reichtum an Gedanken.
Das Thema ist ohne Triebkraft; Vielheit der Einzelthemen drangt die Entwicklung
in die Flache hinein. Die Auflosung der harmonischen Kadenz bewirkt einen Reichtum
der Ausdrucksmittel. Der freie, oft fast improvisatorische Formverlauf fiihrt in abge-
legene Bezirke der gestaltenden Fantasie. Uberall ist Reichtum, Fulle, Freude am Klang,
Farbe und Ausgestaltung. Die Variation riickt in ein neues Licht und tritt teilweise an
die Stelle der thematischen Arbeit. Die Melodik wird durch vokale Elemente, die
Rhythmik durch den Tanz oft entscheidend gepragt.
Die bei Beethoven klar auseinandergelegten Grenzen innerhalb der Instrumental-
musik verschwimmen. Der Gegensatz eines monumentalen symphonischen Stils und
einer kammermusikalischen ' Sprache von grofiter Pragnanz und Ausgewogenheit der
Einzelstimmen tritt zuriick. Unter der gesamten Instrumentalmusik aber stromt das
Lied, bis es an einzelnen Stellen zur Sichtbarkeit durchstofit.
2.
Der sich fiir den Zuriickblickenden immer scharfer auspragende Gegensatz eines
klassischen und romantischen Weltbilds ist mit Schubert tief verkmipft. Wenn in
diesen beiden ersten Jahrzehnten musikalischer Romantik der neue Stil in einer Gipfel-
lage sichtbar wird, wenn eine neue Sprache aus Intuition und hochster schopferischer
Kraft heraus entsteht, so ist es Schubert, der alles dies wesentlich mitbestimmt. Denn
er steht im Zentrum dieser ersten Romantik. Beethovens Spatwerk ist ein subjektives
und abseitiges Entwicklungserlebnis ; Webers Durchstofi zum romantischen Singspiel um-
spannt nur einen Ausschnitt; Mendelssohns friihreife, genialische Anfange halten die
Hohe nicht. So bleibt Schubert trotz seines kurzen Lebens der erste umfassende Triiger
eines neuen Stils, dessen Entwicklung in einer absoluten Hohelage begann und dessen
Weg zur Auflosung und zum Zerfall der Krafte vorgezeichnet war.
Aus dieser Lage ergibt sich auch die Perspektive, unter der wir Schubert heute
sehen. So stark eine Generation, die wiederum um Formung eines neuen Weltbilds
zu ringen hat, sich auch abstofien mufi von dem Jahrhundert, gegen das sie sich stellt
— hier macht sie Halt. Denn hier findet sie Erfullungen, welche stark genug blieben,
um sie mit zu tragen. Hier steht sie vor reinen, unversiegbaren und elementaren
Quellen, deren Kraft die Zeiten iiberdauert. Wo Musik Bekenntnis und Aus-
druck ist, fordert sie Menschen, die zu gleichem Pathos fahig sind. Ist Musik aber
Urkraft, so vermag sie zur Zeitlosigkeit aufzudringen. So geschieht das Wunder, dafi
Menschen, die sich von der pathetischen Musik Beethovens abzuwenden beginnen, weil
das Weltbild, das hinter dieser Musik steht, nicht mehr das ihre ist, in Schuberts C dur-
Quintett noch heute eine letzte Erfiillung erblicken. Nicht als ob gerade Instrumental-
musik frei ware von subjektiven Ziigen, aber diese sind tief eingeschmolzen in den
Strom der Elemente wie bei Bach oder bei Mozart. Denn niemals begann Schubert
erst zu singen, „wenn der Mensch in seiner Qual verstummte". Etwas Tieferes war ihm
Musik und etwas Friiheres. So stiefi er im Liede, das er schon als Knabe mit
genialer Sicherheit erfafite, riicht nur bis zu Ausdrucksformen] durch, die wir . heute
554 OSKAR GUTTMANN
noch umspannen konnen, sondern zu solclien, die sich uns erst jetzt ganz zu erschliefien
beginnen. Die „Winterreise" birgt seelische Inhalte von einer solchen Verfeinerung ufid
Kompliziertheit, eine solche Fiille von Nuancen und Zwischenfarben, von leisen, un-
pathetischen Ausdruckssymbolen, dafi es vielleicht erst einer Zeit, die Rilke und George
erlebt hat. moglich wurde, sie sich einzuschmelzen. Gerade diese Inhalte waren
vorher, vor allem durch das Musikdrama, verschiittet worden. Und es bleibt der
Dank eines jungen Geschlechts, dafi es, sich reinigend voni Staube der Vergangenheit,
Schuberts Bild iiber dieser Vergangenheit findet: leuchtender vielleicht und lebens-
spendender als jemals vorher.
Oskar Guttmann (Breslau)
DIE TAGUNG DES REICHSVERBANDS DEUTSCHER TON-
KUNSTLER UND MUSIKLEHRER IN DARMSTADT
Im Mittelpunkte der Verhandlungen dieser Jubilaumstagung stand, nicht so ganz
klar formuliert, die Frage: Wie gewinnen wir die heutige Jugend fur die Bestrebungen
des Verbandes? In dieser Frage gipfelte schon das Festreferat Arnold Scherings,
der aus historischer Betrachtung heraus die Wichtigkeit und unbedingte Notwendigkeit
von Musikorganisationen betonte und das Interesse von Staat, Publikum und Jugend
fiir die Arbeit der musikalischen Verbande aufrief, die, nicht nur sozial eingestellt, die
Musikerziehung als deii Angelpunkt aller ihrer Bestrebungen ansehen. Ihm folgte dann
aus den Reihen des Hauptvoi'standes Dr. Marie-Ther ese Schm ticker, die die Fest-
legung eines Kultm> und Gesinnungsprogrammes des Reichsverbandes forderte und in
seinen Grundziigen anzudeuten versuchte, ausgehend von der Ausbildung der Musik-
lehrenden und den Moglichkeiten der Musikerziehung. Die Musik ist nicht nur eine
Kraft die seelische Entwicklung entscheidend zu beeinflussen und sittliche Werte zu
schaffen, sie soil noch mehr tun, sie soil einer neuen Gesellschaftsform, einer neuen
Staatsidee — es wurde an das alte Griechenland erinnert und dessen musisch-musika-
lische Kultur — den Weg bahnen helfen.
Endlich betonen audi die neu angeiiommenen Satzungen die ktilturellen Ziele des
Verbandes und stellen sie gleichbereclitigt neben die wirtschaftlichen.
. * .
Neben der Tagung als solcher lief ein Musikfest her, eine OpernuraiuTuhrung, ein
Kirchenkonzert, zwei Kammermusikabende, zwei Sinfoniekonzerte und auch sonst Musik,
Musik, Musik. Selbst wenn alles, was man gehort hat, horenswert gewesen, ware
es zuviel gewesen. Aber das war leider durchaus nicht des Fall. Aus der Fiille der
mehr als bunt zusammengesetzten Programme hoben sich wenige Inseln heraus, das
meiste ertrank in dem Meere der Interesselosigkeit und der Dagewesenheit. Ich fiirchte,
mit solcher Musik wird man die Jugend nicht gewinnen, die man haben will und haben
mufi. Denn diese Jugend hat weniger soziale und wirtschaftliche als vielmehr kulturelle
Interessenj einen ungeheuren Wissensdurst, ein Anlehnungsbediirfnis an etwas, von dem
es Forderung seiner eigensten Interessen erwartet und fordert und — eine gesunde
lachelnde Respektlosigkeit, die das Alte zwar toleriert, aber innerlich negiert. Die Jugend
ZEITSCHAU 555
betrachtet solche Konzerte als Aushangeschild (das mag falsch sein, aber ich sage, wie
es ist) und wird stutzig. Wenn also auf einer solchen Tagung Musik gemacbt werden
mu(5 (es mufi nicht; Musiker haben fiir Musik anderer nicht viel iibrig) dann mufi sie,
anders aussehen, dann miissen die Programme arxders zusammengesetzt werden, kxirzer,
stilvoller und mehr in neuzeitlichem Geiste. Auch der Allgemeine Deutsche Musikverein
hat in seine Jury fiir die Duisburger Opernwoche Alban Berg gewahlt. Wer Ohren hat,
der hore.
Uber die uraufgefixhrte Oper von Ernst Roters „Die schwarze Kammer"
ist nicht viel zu sagen. Axxfier, dafi sie dxxrchfiel. Eine Epigonenarbeit von vorgestern,
ein musikalischer Bandwurm, gewohnheitsrnafiige Technik, nach gelerntem Rezept ange-
fertigt. Schade um die ausgezeichnete Arbeit der Darmstadter Oper, an der anscheinend
prachtvoll gearbeitet wird. Erstaunlich, wie sich die aufiere Gestaltung von Opernauf-
fiihrungen in den letzten 10 Jahren in Deutschland gewandelt hat;
Von der Konzertmxxsik, die gemacht wurde, seien als besonders bemerkenswert
hervorgehoben die geistlichen Frauenchore a cappella von Robert Hernried, die an
die vorbachische Zeit anknixpfen, und das Klavierkonzert C-Cis im Zwolftonsystem voxi
Hermann Heifi, dem einzigen Schxder von Hauer. Hoi der Texxfel alle Theorie, es
war letzten Endes Musik, was hier geboten wurde, Mxxsik uxlserer Tage, die xxnser
Empfinden zu gestalten versuchte. Viele schuttelten den Kopf uber das (zxx lange) Wex - k,
viele aber fuhlten axxch den Bifi, der zwischexx diesen Klangsymbolen bestand xxnd denen
einer vergehenden, vielleicht schon endgiiltig vergangenen Zeit, einer technisch anormalen,
moralisch unethischen Zeit. Daneben seien immerliin erwahnt eine (nur ebenfalls zu
lange, die Rotstifte sterben axxs) kraftvoll gestaltete Violinsonate von Arnold Ebel-,
Gesaxige fur Bariton mit Orchester von Hans Joachim Moser, in denen gliicklich
versxxcht wird „historische Tonformen im Sinne der Texte mit gegenwartigem Geiste zu
erfixllen" ; Orchesterlieder von Waltershausen uxid einzehxes voxi G e o r g S cli u m a n n
uxxd dem jungen Mixnclxener Karl Marx.
Der Vortrag von Moellexxdorf uber Bichromatik enttaxxsclite zxxletzt durch
die Belaxxglosigkeit der . , ICompositionen. Ebenso das Referat von Jorg Mager xxber
seine Orgel mit elektrischer Tonerzeugung. Mager selbst scheint entmutigt, es gilt, ihn
zxx stutzen. Ob hier freilich so Epochenxachendes yox'liegt, wie er glaxxbt, wage ich bei
der Uxxfex;tigkeit des Vorhaxxdenen nicht zxx entscheiden. .
MUSIKLEBEN
Heinrich Strobel (Berlin)
ZEITSCHAU
Aus Rieti kommt die Nachricht, dafi Mattia Battistini siebzigjahrig gestorben
ist. Battistini — der grofiartige Reprasexxtant belcantistischer Gesaxxgskunst in einer
Zeit musikdramatischer Gesangsverwilderung. Battistini — der beispiellose Kehltech-
niker, der bis ins hochste Alter hinein seine Stimme frisch und beweglich erhielt. Er
556 MUSIKLEBEN
ist uns noch gegenwartig, dieser elegante Kavalier mit den weifien Handscliuhen, liebens-
wiirdig und verbindlich lachend, wenn er seine Glanzstiicke drei-, viermal wiederholen
mufite. Die Atemfiihrung, die Ausgeglichenheit und Leichtigkeit seiner Koloraturen,
die wunderbare Lebendigkeit und Charakteristik- seines Vortrages: das alles wird un-
vergefilich seiia. Seine vornehme Haltung bewahrte Battistini auch auf der Biihne. Er
liebte die grofien Explosionen nicht, die zu seiner Zeit auf dem Theater einrissen. Er
war auch hier der Bewahrer einer alten italienisrhen Kunst, die sicli allein im Gesang-
lichen kundgab. Komische Rollen sollen seine Starke gewesen sein. Man kann sich das
denken — wie unnachahmlich hat er im Konzert die kleine Canzonetta aus dem zweiten
Akt des „Falstaff" gesungen!
Die Schubertwelle schlagt augenblicklich hoch. Es ist genau so gekommen,
wie man erwarten mufite. Ein ungeheurer aufierer Aufwand, Schubertinflation in den
Konzerten. Forellenquintette und d-moll Quartette jagen sich, bierbiedere Sangerkehlen
kommen kaum mehr zur Ruhe. Wer geigt, singt oder Klavier spielt, mochte etwas von
der Konjunktur fur sich erhaschen. In Wien ist man wenigstens ehrlich — da ver-
schickt gleich die Fremdenverkehrskommission der Bundeslander die Programme fur die
Zentenarfeiern. Augenblicklich kann man Filme vom Wiener Sangerfest sehen: eine
Schubertbiiste, von holdseligen Jungfrauen umhiipft. Das ist der Geist dieser Jahr-
hundertfeier (mit ganz wenigen Ausnahmen) — der Geist einer sentimentalen Bieder-
meierei, eines unehrlichen Pietatsrummels, eines verkitschten Spiefiertums. Der Held
des „Dreimaderlhauses" wurde weiter popularisiert. ErnstDecsey und JuliusBittner
— immerhin Leute, die kiinstlerich ernst genommen sein wollen — haben ihn als
„Unsterblichen Franz" zum zweiten Mai der Amusierindustrie ausgeliefert. Eine Unmenge
sentimentaler Schubertromane wurde durch die Jahrhundertfeier hochgeschwemmt. End-
lose Phrasen decken die lebenswarme Kunst Schuberts zu.
Man ist grade bei Wien. Also kann man von Furtwangler sprechen. Die Wiener
Staatsoper, so munkelt man, bemuht sich erneut um den grofien Dirigenten. Sie soil
ihm die Direktorenstelle angeboten haben. Es klingt in dieser Form unglaubhaft.
S chalk wird bestimmt auf keines seiner (bis 1933 geltenden) vertraglichen Rechte ver-
zichten. Und Furtwangler wird bestimmt nur nach Wien gehen, wenn er die notigen
Vollmachten erhalt. Dafi es ihn wieder zum Theater zieht, ist selbstverstandlich. Sein
Aufstieg ging vom Theater aus. Eine universale Personlichkeit wie Furtwangler wird
sich auf die Dauer mit dem Konzert allein nicht begniigen. Furtwangler steht jetzt auf
der Hohe seines Kvinstlertums. Er ging ohne Zweifel aus Leipzig weg, weil ihn grofiere
Aufgaben lockten. Liegen sie in Berlin, liegen sie in Wien — oder liegen sie, was man
annehmen mochte, in beiden Stadten?
Das Programm der Opernwoche des Allgemeinen Deutschen Musikvereins in
Duisburg nimmt allmahlich greifbare Gestalt an. Ein grofier Ausschufi wurde auf-
geboten zur Auzwahl der drei Werke, die der A.D.M. zu bestimmen hat — im Hinter-
grund Hans Pfitzner. Man versicherte wieder einmal, dafi sich der A.D.M. auf keine
Richtung festlegen durfe. Wir kennen das — soil es wieder heifien, dafi man das
MELOSBERICHTE
557
wirklich Neue auf keinen Fall bringen wird. Es scheint fast so. Die beiden Werke,
die auf dieser Festwoche unbedingt hatten aufgefiihrt werden miissen: Hindemiths
neue komische Oper und Weills „Mahagonny" — sie kommen in Berlin bei Klemperer.
Verschanzt man sicb wieder hinter „Objektivitat", urn sicli an den produktiven Kraften
des neuen musikaliscben Theaters vorbeizudriicken?
Man wird abwarten miissen umso mehr, als es sich z. T. um noch vollig unbe-
kannte Namen handelt. Zunachst also stehen folgende Werke fest: „Tullia" von Paul
Kick -Schmidt, „George Dandin" von Helmut Gropp, „Maschinist Hopkins" von
Max Brand, ferner „Konig Boger" von Szymanowsky, und an einem Abend
Schonbergs „Gliickliche Hand", „Galathea" von Braunfels und das Ballett „Salambo"
von Tiessen. Die Zusammenkoppelung der drei letzten sieht immerhin bedenklich
nach Kompromifi aus. Aber — abwarten.
MELOSBERICHTE
Weill u. Strawinsky
Im Prinzip hat sich an
der Stcicltischen Oper
in Berlin audi mit der festeren
Verpflichtung Bruno
Walters nichts verandert. Zu Beginn der
Spielzeit sind die amerikareifen Stars da,
aber Walter ist abwesend. Jetzt ist Walter
wieder hier, da reisen die Stars ab. Man
nutzte hervorragende Mitglieder des
Ensembles wie die Onegin und den herr-
lichen Bafiisten Kipnis und gab zuerst
Verdis„DoJi Carlos" in einer sehr eindrucks-
vollen Auffiihrung. Es war einer der besten
Abende dels jungen Sebastian. Als Begisseur
mufite Briigmann aus Leipzig einspringen,
denn immer noch fehlt an diesem Ins ti tut
eine Personlichkeit, die fiir den gesamten
szenischen Apparat verantwortlich ware. Das
Durchschnittsniveau der Bepertoireauf-
fiihrungen ist oft unter dem einer mittleren
Provinzbiihne. Aber man hat ein dank-
bares und anspruchsloses Abonnenten-
publikum, das alles iiber sich ergehen lafit,
wenn es nur in seiner Buhe nicht gestort
wird. Das geschah nun dieser Tage — mit
der Auffiihrung des protagonist" und des
„Zaren" von Kurt Weill. Es war die
moderne Konzessions-Premiere, die jedes
Jahr fallig ist. Krach, Proteste — und nach
zwei oder drei Wiederholungen wurden die
Stiicke abgesetzt. Man kann befriedigt
sagen : das Publikum lehnt diese Sachen
ab, an uns liegt es nicht. Die Devise aller
stumpfen Menschen. Von der Dreigroschen-
oper, von „Mahagonny" aus gesehen, wirken
die beiden Einakter schon als Stufen der
Entwicldung — einer sehr schnellen und
personlichen Entwicklung, die von ex-
pressiver Dramatik zu volliger Negierung
aller ti'aditionellen Opernhaftigkeit, zu einem
neuen zeitnahen Typus des musikalisclien
Theaters fiihrt. Erstaunlich schnell geht
die Lockerung der Tonsprache vor sich. An
sich gewifi nicht schwer wiegend, ist der
„Zar" leicht und durchsichtig hingesetzt.
Die wichtigste Vorarbeit zur „Dreigroschen-
oper". Die Sorgfalt der Auffiihrung ist zu
loben, auch die Wandlungsfjihigkeit Joseph
Burgwinkels, der zuerst Tenor, dann Bariton
singt, beide Male die Hauptrolle. Der
Dirigent Denzler findet sich mit der
dramatisch gespannten Partitur des prota-
gonist" immer noch besser ab als mit dem
spritzigen, loclceren „Zaren". Und Briig-
mann ? Eine absolut konventionelle, fast
provinzielle Leistung, wie im „Don Carlos".
Inzwischen hat Walter seine Arbeit auf-
genommen. Dariiber wird nach der Ur-
auffiihrung von Bittners „Mondnacht" zu
sprechen sein.
Bei Klemperer, am Platz der Bepublik,
behalt man die Bichtung auf die Gegen-
wart konsequent bei, ohne dafi man das
gute traditionelle Bepertoire darum aufgabe.
„Camien" wurde, zum miridesten in den
Bildern, modernisiert. Eine prachtvolle
558
MUSIKLEBEN
Leistung Caspar Nehers. Kein Ansichts-
karten-Spanien, kein farbiger Opernflilter,
kein ewig blauer Himmel: Dekorationen in
sonnengebleichtem Schwarz-Gelb wundervoll
aufgebaut in phantastisch drohenden Linien,
duster, nackt, ungeschminkt. Grofiartig der
Jose Hans Fidessers. Alles andere ist ver-
bindlich — ordentliches Theater, diemusika-
lische Leitung Zweigs nnd besonders die
Regie des Intendanten Legal.
Klemperer selbst kann sich ganz den
modernen Werken widmen. Er halt „Car-
dillac" im Repertoire, auch Strawinskys
„Oedipus", zu dem er jetzt, sinnvolle Er-
ganzung, die „Geschichte vom Soldaten" gibt.
Eine herrlich intensive, gestraffte Wieder-
gabe, improvisatorisch und ohne alles Paro-
distische. Offene Riihne in Anlehnung an
Piscator. Das ist wieder bezeichnend fur
Klemperer — er sucht mit alien modernen
Kopfen aufierhalb der Musik Verhindung.
Er will die traurige Isolierung des „Opern-
theaters" durchbrechen. An diesem Abend
begreift man erst die grofiartlge Leistung
Strawinskys. Er schuf mit dem „Soldaten"
einen neuen Typus des Opernspiels, der
sich zehn Jahre spater fruchtbar auszuwirken
beginnt.
Welcher Weg bis zur Musik zum „Apollo
musagete" , die Klemperer dieser Tage im
Konzert urauffiihrte. Diese Rallettmusik setzt
den INeuklassizismus des „Oedipus" fort. Sie
uberzeugt freilich langst niclit so sehr
wie die monumentale dramatische Schopfung,
die bei aller Anlehnung an altere Stil-
mittel reinster Ausdruck von Strawinskys
schopferischer Personlichkeit ist. In dem
nur ftir Streichorchester geschriebenen
„Apollo" versteckt sidi Strawinsky formlich
hinter der alten franzosischen Balletmusik
„Apollo" ist rein formal gedacht, wie
„Oedipus", durclisichtig und zart im Klang
Ein artistisch- kunstgewerbliches Experiment
— Uberspitzung eines Prinzips. Die Ein-
fachheit dieser Musik wirkt erzwungen. Die
simplen und siifien Tonfolgen : das ist nicht
mehr Strawinsky. Am ehesten erkennt
man seine Dandschrift in der Harmonik,
die keineswegs so einfach ist, wie sie klingt,
und einmal zeigt er sein wirkliches Gesicht:
in der aufschnellenden Coda, deren Wirkung
durch die schone Apotheose noch erhoht wird.
Am gleichen Abend spielte Klemperer
eine „Kleine Sinfonie" von Krenek: ein
harmloser oberflachlicher Spafi, der opern-
hafte Gefuhlsentladungen, dezente Jazzereien
und instrumentale Scherzchen ohne jeden
Ansatz zur Gestaltung nebeneinanderreiht.
Eine Musik, die Erfolg haben mufi, weil
sie aus lauter Konzessionen an den Horer
besteht. Heinrich Strobel (Berlin)
Toch and Verdi
amMannheimer
Nationaltheater
Ernst Toc/i hat mit
der Minuten - Oper
„Egon und Emilie"
einen neuen Beitrag
zurKurzoper geliefei't.
„Kein Familiendrama" heifit der Untertitel
des Morgensternschen Gedichtes. Es kommt
nicht zustande, die Oper wird „in ihren
Windeln erwiirgt", weil Egon seiner in
Koloraturen sich ergehenden Emdie beharr-
liches Schweigen entgegensetzt. „Der Un-
menscli will keine Oper, der Unmensch will
seine Ruhe haben", der Vorhang mufi fallen.
Hier ist also das Prinzip der Oper selbst
parodiert. Toch hat die Szene witzig, spitzig
und scharfkantig vertont — sein Orchester
besteht aus Klarinette in Es, Klarinette in D,
Bassklarinette, Altsaxophon, Trompete,
Fagott und Bafituba. Der Hang zur Parodie,
zur Ironie findet sich ja immer wieder in
seinen Werken. Bei Toch ist die Parodie
nie ins Platte, ins Triviale getriehen. Dazu
ist er nicht primitiv, nicht unkompliziert
genug. Seine stark intellektualistisch ge-
fiihrte Hand schreibt immer in klaren, in
polierten Konturen. Treffend der Einfall,
die Vertreterin der Oper, jene Emilie, sich
in den pikantesten Koloraturen ergehen
zu lassen, das Zwiegesprach aus dem realen
Leben also zu irrealisieren — Idee der
Oper, die im gleichen Augenblick verneint
wird.
Der Mannheimer Urauffiihrung voraus
gingen Tochs Musikmarchen „Die Prinzessin
auf der Erbse", der Hindemith-Sketsch
„Hin und Zuruclc" und Malipieros fein
musiziertej bisher nur in Mainz gehorte
Komodie „Der falsche Harlekin", die freilich
aus ganz anderen geistigen undmusikalischen
Bezirken kommt. Mit diesen vier Einaktern
bekundete Erich Orthmann aufs neue seinen
MELOSBERICHTE
550
"Willen, aktuelle Oper zu spielen. Die musika-
lische Gestaltung unter ihm hatte, wie audi die
Regie Richard Heins und Alfred Landorys.
Niveau, Beweglichkeit, Laune. Das Publikum
der .Jungen Biihne" ging vergniigt mit.
Das Manrdieimer Nationaltheater hatte
mit dem Zyklus von Kurzopern und mit
der ins Kultische weisenden „Prinzessin
Girnara" von Wellesz das Problem der neuen
Oper aufgeworfen. Mit der acht Tage spater
erfolgteh ersten deutschen Auffuhrung von
Verdis Oper „Nebukadnezar" wurde der
Beweis erbracht, dafi die alte Oper trotz-
dem fortlebt. Denn dieses mit Begeisterung
aufgenommene Werk ist der Typus Oper,
ins Extrem hineingetrieben. Eine unent-
wirrbar verknauelte Handlung, halb religiose,
halb dynastische Angelegenheit, die keinen
Menschen interessiert. Aber was schiert
den Horer der Text; der Ton macht
die Musik. Und dieser Ton Verdis hat
audi in dieser Oper schon etwas Zwingendes,
wenn auch der grofie Einfall fehlt. Das
Dramatische bricht auch hier durch. Aber
es ist auch noch die Zeit, in der Verdi
einen Hafi- und Bachegesang im Dreiviertel-
Walzertakt singen lafit. Die Koloraturen,
die der spatere Verdi zu Gunsten des
Dramas ablehnte,spielen eine gewichtigeRolle.
Am schonsten sind die grofien Chore,
darunter der beriihmte Heimwehchor „Zieh,
Gedanke, auf goldenen Flugeln", der be-
kanntlich beim Begrabnis Verdis von der
Menge spontan angestimmt wurde.
Der Mannheimer AufFiihrung lag eine
neue Ubersetzung von Leo Schottlander zu-
grunde, die, theoretisch gut brauchbar, die
praktische Unzulanglichkeit des Textbuches
naturlich nicht andern kann. Die Einstu-
dierung unter Generalmusikdirektor Erich
Orthmann und Oberspielleiter Dr. Richard
Hein (Biihnenbilder : Dr. Eduard Loffler)
verlegte den Schwerpunkt naturgemafi ins
Musikalische. Die bliihenden Stimmen, die
Verdi verlangt, hat die Mannheimer Oper
zur Verfugung. Karl Laux (Mannheim)
Szymanowskis
„Konig Rogei M
in Duisburg
Die Abmachungen
zwischen der Stadt
Duisburg und dem
Allgemeinen Deut-
schen Musikverein zu
der nachstjahrigen Opernwoclie erschienen
bisher insofern nicht eindeutig klar, als man
annehmen konnte, dafi der AusschuS des
A. D.M. auch uber die drei Opern, fiir die
sich die Stadt Duisburg das Vorschlagsrecht
vorbehalten hatte, die endgidtige Bestim-
mung treffen wiirde. In Wirklichkeit ist die
Verantwortung geteilt: drei Abende nimmt
der A. D. M. auf sich, drei die Duisburger
Intendanz. Von den Werken, die das Duis-
burger Theater prasentieren will, erlebte
jetzt der „Konig Roger" von Karol
Szymanowski seine deutsche UraufRihrung.
Szymanowski, der Direktor des Warschauer
Konservatoriums, wird in seiner Heimat
als der grofite unter den lebenden polnischen
Komponisten gefeiert. In Liedern, Kammer-
musik und Symphonien erwies er sich als
Liebhaber des immateriellen Klangs. Die
Oper besta tigt seinen romantischen Grund-
zug. Er bedient sich impressionistisch viel-
deutiger Koloristik. Eine transparente
Melancholie breitet sich aus, ein dammeriges
Filigran von Zwischenfarben. Szymanowski
ist ein l'art-pour-1'art-Musiker, der sich, fern
aUer slawischen Volkskraft, an fremden Ein-
fliissen, von Wagner bis Schonberg und
Debussy, orientiert.
„Konig Roger" spielt im Sizilien des
zwolften Jahrhunderts. Der dionysische
Mythos von Licht und Freude, neu ver-
kiindet, sprengt byzantinische Kirchenge-
wolbe, sprengt die Formel von der UnlOs-
barkeit der Ehe, sprengt ein Konigreich.
Das Buch entfernt sich immer mehr von der
Wirklichkeit der Vorgange und gerat in die
Symbolik einer Traumwelt hinein, die
zwischen manadenhaftem Taumel und
feierlicher Lichtverehrung wechselt. Den
gleichen Weg geht die Musik: von einer
bewegten Kontrapunktik, in der die gegen-
einander gefiihrten Stimmen allmahlich die
verbindenden thematischen und harmo-
nischen Funktionen abstreifen, zur fliefienden
Phrase, zur bequemen Harmonie, die zeit-
weise durch ein geschicktes, schlagendes
Crescendo uberlichtet wird. Der Komplex
der inneren Vorgange wird eingebettet in
ein buntes, exotisches, vielfaltiges Gewebe
vonChor-undEinzelstimmen. Eine unruhige
Chromatik von Nachtstimmungen verwirrt
die polyphone Linienfiihrung, ohne da6 die
musikalische Substanz fiir den visionaren
Hintergrund ausreichend ware.
560
MUSIKLEBEN
Dergleichen lohnt hente wahrhaftigkeine
Diskussion mehr. Aber es ist charakteristisch,
dafi die Duisbnrger Oper ein solches Werk
als besonders reprasentativ fur ihre Arbeit
herausstellen will. Natiirlich tut der szenische
Apparat, von RegisseiuYSc/iuHz^undBuhnen-
maler (Schroder) virtuos gehandliabt, seine
Scbuldigkeit. Natiirlich sind die Orchester-
partien (von Drach), die Chore sorgfaltig
studiert. Natiirlich sind schone Stimmen
da (Hildegard Bieber-Baumann, Holger
Borgesen). Aber man fragt sich vergebens,
was das alles mit uns, mit unserer Welt,
rait unserer Zeit zu tun hat. Um so
lacherlicher wirkte ein schiichtener Storungs-
versuch nationalistischer Elemente. Das
Publikum klaschte aus Respekt.
Erik Reger (Essen)
in Kiel
Davids Einrichtung Hans Th. David stellt
7ler„Kuns7derEuge« der erstei \ Neuord-
— nung und Instru-
mentierung von Bachs
Spatwerk durch Wolf-
gang Graeser eine zweite, wesentlich ver-
schiedene Bearbeitung gegenuber, die unter
der Leitung Prof. Fritz Steins in Kiel erst-
raalig erklang. Um zu einem befriedigen-
den Aufbau des Gesamtwerkes zu gelangen,
greift David auf das Berliner Autograph
zuruck. Die von Graeser angestrebte sym-
metrische Anordnung des Fugenkomplexes
verwandelt sich fur ihn in einen einfach
zweiteiligen Gesamtplan, aus dem sich eine
Korrespondenz, eine Gleichgewichtigkeit aller
Teile ergibt, die der Graeserschen Anord-
nung an Logik iiberlegen ist. Die Einzel-
heiten dieser fast scholastisch anmutenden
Systematisierung mag man in David's kri-
tischem Aufsatz iiber das Werk (Jahrbuch
Peters 1927) nachlesen.
Die unvollendete Schlufi-Quadrupelfuge,
die im Verein mit zwei anderen, umkehr-
baren Quadrupeltugen in Wahrheit erst den
Gipfel des Werkes dargestellt hatte, lafit
David fort. Graesers schliefilich doch ro-
mantisierender, ganz stimmungshafter Aus-
klang ins Leere - Abbrechen der Fuge,
Einsetzen des Orgelchorals - ist der klaren
geistigen Gesamthaltung zuliebe entschlos-
sen vermieden.
Der Instrumentation gegeniiber fallt un-
bedingte Zustimmung schwer. Offenbar
kommt es David lediglich auf plastisches
Hervortreten jeder Linie an, anders ist das
Einbeziehen ganzlich stilfremder Instrumente,
wie Klarinette, Bafituba nicht zu verstehen.
Graesers Instrumentierung charakterisiert
vor allem Abwechslung in der Besetzung
der einzelnen Fugen. Dazu kommt die in
beiden Teilen der Ordnung auf stete klang-
liche Steigerung zielende Zusammenstellung
der Instrumente. David setzt gleich mit
dem breiten Klang eines mit Streichern und
Blasern besetzten Orchesters ein — bewufit
verlegt er alle Steigerung in die inn ere
Gestalt des AVerkes. Abzulehnen ist die
Wiedergabe der Kanons durch zwei Blas-
instrumente — wenn David schon bei
Graeser die solislischen Holzblaser der
Bachschen Zeit als „possierlich" ablehnt —
wie will er die Wiedergabe eines Kanons
durch zwei Klarinetten begriinden? Hier
sollte man sich einzig der Tasteninstrumente
(Orgel, Cembalo) bedienen.
Davids Neubearbeitung ist sicherlich
die fruclalbarste Kritik, die an Graesers
Arbeit geiibt werden konnte; ob es sich
wirklich um Erfiillung der letzten, eigent-
lichen Absicht Bachs handelt, braucht nicht
entschieden zu werden; die Bearbeitung ist
fiir sich schon Verdienst genug.
Das Kieler Orchester spielte unter Fritz
Steins Leitung frisch und musikantisch ;
man bemiihte sich weniger um einen ob-
jektiven Stil, als um plastische, ganz aus-
druckshafte Verlebendigung des musika-
lischen Organismus.
Hans J. Therstappen (Kiel)
Janacek
im Leipziger
Gewandhaus
Janaceks „TarasBulba",
1918 entstanden, er-
scheint im Werkver-
zeichnis von Max Brods
Janacek-Biich als „Sin-
fonische Dichtung", heute aber als „Rhap-
sodie fiir Orchester". Diese Metamorphose
beleuchtet die ganze Entwicklung, die die
Orchestermusik in diesen zehn Jahren ge-
nommen hat. Nicht nur, daft alles Sin-
fonische unmodern geworden ist, man
mochte auch die Musik von jedem Zu-
MELOSBERICHTE
561
sammenhang mit anderen Kiinsten — also
audi mit der Dichtung — loslosen. Dafi
das vorliegende Werk aber nicht als abso-
lute Musik genommen sein will, das beweist
der im Titel enthaltene Hinweis auf Gogols
monumentale Erzahlung, das beweisen auch
die Uberschriften iiber den einzelnen Satzen.
Grundsatzlich betrachtet, wirkt das Werk
als ein Versuch am untauglichen Objekt,
als Beispiel einer sich selbst ad absurdum
fuhrendeii Kunstgattung. Lafit sich das
Wesentliche dieses slavischen Heldenepos,
der politiscbe Gegensatz zwischen Rutland
und Polen, der religiose zwischen Katholi-
zismus, orthodoxer Kirche und Judentum
musikalisch wiedergeben ? Von diesen prin-
zipiellen Einwanden abgesehen, enthalt das
Werk aber eine Fiille schoner Musik.
Janaceks naive Musizierfreudigkeit, sein
Wurzeln im slavischen Volkstum spricht
sich alien literarischen Bindungen zum
Trotz auch hier aus. Ein prachtvoller Rhyth-
mus durchpulst das Stuck, und mit tech-
nischer Meisterschaft ist das Orchester be-
handelt, zu dem sich im ersten und dritten
Satz die Orgel geseUt. Unter Bruno Walters
liebevoller Leitung errang es einen uber-
aus herzlichen Erfolg.
Ernst Latzko (Leipzig)
B ruder Karamasow Als ich im Mai 1928
den unvergleichlichen
Prager Typografia-
als Oper
Ghor horte, fiel mir unter den aurgefuhrten
Werken eines auf, iiber dessen Komponisten
ich nur wenig in Erf'ahrung braclite. Das
Stuck fesselte durcli seltene Kiihnheit des
Satzes und der Harmonik. Nun brachte
das Tschechische Nationaltheater in Prag,
der einheimischen Komponistenjugend er-
freulich geneigt, desselben Mamies Erstlings-
oper, „Bratri Karamazove" ', heraus. Otakar
Jeremias bedient sich Dostojewskyscher
Motive, die er mit dem Dichter und Uber-
setzer Jaroslav Maria zu einem hochst
gesclilossenen dramatischen Organismus
verband. In kurzen Worten die Fabel:
Des ersten Aktes erster Teil exponiert
knapp die Handelnden, Fjodor, Mitja, Iwan,
Aljoscha, Smerdjakow. Eine Verwaudlung
zeigt Andeutungen des Mordes an Fjodor.
Der zweite Akt erst stellt die weibliche
Hauptfigur auf die Szene: Gruschenka, Ge-
liebte des Mitja, der schliefilich als mord-
verdachtig verhaftet wird. Im 3. Akt
Peripetie und Katastrophe : Gerichtssaal,
Verhor der Zeugen, Verurteilung des un-
schuldigen Mitja. Verklarung und Erlosung
wagnerscher Provenienz im Nachspiel: Gru-
schenka kommt in den Kerker zu Mitja,
ihm ein besseres Dasein zu schildern. Jede
Szene ist mit bewundernswerter Kraft aiif-
gebaut; nie entstehen tote Momente.
Musik dafiir zu finden konnte nicht
eben schwer sein. Jeremias hat sie ge-
funden, so iiberraschend sichei' und opern-
gerecht, dafi man ohne Risiko ihm Zukunft
als Musikdramatiker prophezeien kann.
Wie er Figuren belebt, Situationen begleitet,
Spannung und Atmosphare schafft, ist eines
Meisters wiirdig. Nur heifit dieser Meister
Richard Wagner; sein em Bann ist der
vierzigjahrige Budweiser Tscheche nicht
entronnen. Der kompositorische Aufbau
vollzieht sich leitmotivisch in symphonischen
Formen; breit, massiv, nibelungenhaft rollt
und grollt diese Musik daher. Die Stimmen
sind iiberwiegend deklamatorisch behandelt,
und wo sich Gelegenheit zu heiteren Epi-
soden ergibt (Wirtshaus, 2. Akt!) begniigt
sich der Komponist mit schmerzlichem
Lacheln, mit slawisch-dorflichem Trubsinn.
Erster Akt aber und Gerichtssaalszene sind
im standigen Wechsel der Charaktere
prachtvoll konzipiert. Dem Komponisten
sei empfohlen sich zu konzentrieren und
nationaler Tradition anzuschliefien. Vor-
laufig als Personlichkeit mehr suggestibel
als suggestiv, hat er das Zeug, die Liicke
zu fullen, die Janaceks Tod im tschechischen
Opernleben hinterliefi.
Die Auffiihrung des schwierigen Werks
war meisterhaft, Pujmans Regie, Ostrcils
Direktion, Masdks, Pollerts und Anna
Kejrovas darstellerische Hingabe kaum zu
iibertreffen.
H. H. Stuckenschmidt (Prag)
562
MUSIKLEBEN
NOTIZEN
OPER UND KONZERT
In Kiel gelangte „Kbnig Thomas" mit Mozarts
Musik in einer neuen Textbearbeitung des Frank-
furter Stadtschulrats Meckbach zur Urauffiihrung.
In Breslau wird in dieser Spielzeit eine neue
Oper von Wilhelm Grosz uraufgefiihrt, die den Titel
hat „Achtung, Aufnahme". (Text von Bela Balasz.)
Die Urauffiihrung von Hermann Reutter's „Saul"
in der neuen Fassung wild am 18. November am
Stadttheater in Diisseldorf stattfinden.
Unter Leitung von Generalmusikdirektor Walter
Beck gelangten an der Magdeburger Oper „Oedipus
Rex" und „Geschichte vom Soldaten" von Strawinsky
zur Erstauffiihrung.
Die Intendanz des Konigsberger Opernhauses
veranstaltet neuerdings bei freiem Eintritt und frei-
williger Mitwirkung der Solokrafte Morgenfeiern zur
Einfiihrung in die Opernneuheiten der Spielzeit. Die
erste bei vollbesetztem Hause stattgehabte Morgen-
feier gait Hindemiths' „Cardillac", der darauf am
30. Oktober unter der musikalischen Leitung von
Werner Ladwig und in der Inszenierung von Hans
Schiiler unter ungeheurem Beifall des bisher mit
moderner Opernmusik wenig bekannt gewordenen
Konigsberger Publikums zur Erstauffiihrung gelangte.
Clara Herstatt spielt am 12. bis 13. Dezember in
Diisseldorf unter Hans Weisbach das Concertino fur
Klavier und Orchester von Arthur Benjamin als deutsche
Erstauffiihrung.
Eichendorifs Novelle „Aus dem Leben efnes Tauge-
nichts" wurde von Wolfgang Paumgartner zu einem
Operntext verarbeitet und vom Salzburger Mozarteums-
direktor Bernhard Paumgartner komponiert. Das
Werlc gelangt noch in dieser Spielzeit an der
Miinchener Staatsoper zur Urauffiihrung.
Konzertmeister Carl Garaguly wird Hindemith's
Violinkonzert in Goteborg zur ersten Auffiihrung in
Schweden bringen.
Arnold Schonberg hat ein Variationswerk fur
Orchester vollendet, das Furtwangler urauffiihren wird.
Ein neues Orchesterwerk von Bernhard Sekles,
„Dybuk", gelangte unter Hans Rosbaud in Mainz
zur Urauffiihrung.
Ballettmeister Harald J. Fiirstenau brachte am
Landestheater in Karlsruhe Malipiero sBallett „Pantea"
mit eigener Choreographie unter dem Titel „Lucifer
zwischen Himmel und Holle" zur deutschen Erst-
auffiihrung.
Joseph Szigeti brachte das Violinkonzert von
Casella in Moskau mit dem dirigentenlosen Persimfans-
Orchester zur Urauffiihrung.
Richard Strauss arbeitet an einer in Wien
spielenden komischen Oper „Arabella", deren Text
wieder von Hugo von Hofmannsthal stammt.
PERSONALNACHRICHTEN
Rosenstock an der Metropolitan Opera. Zum
Nachfolger von Artur Bodanzky, der nach 14jahriger
Tatigkeit den Posten des ersten Kapellmeisters bei
der Metropolitan Opera in New York auf eigenen
Wunsch aufgibt, wurde der Generalmusikdirektor des
Wiesbadener Staatstheaters, Joseph Rosenstock, ernannt.
Rosenstock wird seine neue Stellung im Herbst 1929
antreten. Bodanzky wird sich in Amerika lediglich
der Konzerttatigkeit widmen.
Das Amar-Hindemith-Quartett unternimmt im
Dezember und Januar eine Konzertreise durch das
europaische Rufiland, es spielt ferner zur ErSffnung
des Konzertsaals im Palais des Beaux Arts als erste
deutsche Vereinigung seit 1914 in Briissel.
Otto Klemperer dirigierte in Hamburg im Rahmen
der Bechstcin-Stipendienfonds-Konzerte zum ersten
Male wieder seit langen Jahren und hatte bei Publikum
und Presse einen sensationellen Erfolg.
Dr. Ericli Hezel, Opernspielleiter an den Essener
Stadtischen Biilmen, wird nachstes Jahr den Posten
eines Oberspielleiters an der Kblner Oper iibernehmen.
Professor Max Strub von der Staatlichen Musik-
scbule in Weimar wurde als Konzertmeister an die
Staatsoper am Platz der Republik in Berlin berufen.
Richard Lert, bisher an der Breslauer Oper, wird
von der nachsten Spielzeit an der Berliner Staatsoper
Unter den Linden tatig sein.
Walter Gieseking hatte mit der Wiedergabe des
G dur-Konzerts von Beethoven und der Partita von
Casella bei seinem ersten Auftreten in Paris in
einem Konzert des „Orchestre symphonique" unter
Ansermet einen aufierordentlichen Erfolg.
PREISAUSSCHREIBEN
Der Sozialistisclie Kulturbund erlafit ein Preis-
ausschreiben fiir zwei Orchesterwerke, die sich als
einleitende Musikstiicke fiir Arbeiterkonzerte besonders
eignen, und zwar eine Arbeiter-Sinfonie und eine
Ouvertilre. Der Preis fiir die beste Sinfonie betragt
Mk. 3 COO, fiir die Ouvertiire Mk. 1000. Letzter
Termin fiir die Einreiclmng ist der 30. April 1929.
Die Pruning der Manuskripte erfolgt durch einen
Prufungsausschufi, der folgendermafien zusammen-
gesetzt ist: Professor Dr. Georg Scliiinemann (Ob-
mann), Dr. Alfred Einstein, Professor Paul Hindemith,
Klaus Pringsheim und Herman Scherchen. — Die
preisgekronten Werke sollen bis spatestens 1. Januar
1930 6'ffentlich aufgefiihrt und alien in Betracht
kommenden Arbeiterorganisationen zur Auffiihrung
empfohlen werden. Die naheren Bedingungen fiir
das Preisausschreiben sind durch den Sozialistischen
Kulturbund, Berlin S. W. 68, Lindenstrafie 3, unent-
geltlich zu erhalten. Man darf auf das Ergebnis
dieses Preisausschreibens gespannt sein, Er will nicht
NOTIZEN
563
einen neuen Typus schaffen, sondern einen alten in
die neue Anschauungswelt hiniiberziehen. Das aber
ist sicher: eine neue Gesellschaftsform braucht auch
neue Formen der Kunstbetatigung. Sie kann niclit
steril gewordene einfach iibernehmen.
Der erste Preis in Hohe von 10000 Dollar fur
Kammerkompositionen, den die Musikgesellschaft
Philadelphia im vorigen Jahr ausgesetzt hatte, wurde
zwischen Bela Bartok (3. Streichquartett) und Alfredo
Casella (Serenade) geteilt.
In Berlin wurde ein „Reichskartell filr Musik-
verbraucher" gegriindet. Das Reichskartell erstrebt
eine einheitliche Regelung der Musikabgaben unter
Zugrundelegung der fur die Musik gemachten Auf-
wendungen im einzelnen Betriebe.
AUSLAND
Frankreich :
In Paris gelangte unter Ansermet das neue, kraft-
volle poeme symphonique „Rugby" von Honegger,
das merkwiirdigerweise auf die Mitvvirkung des Schlag-
zeugs verzichtet, vor zahlreichen Horern zur Urauf-
fiihrung.
In der Pariser Opera comique wurde die mit
grofiem Aufwand inszenierte ErstaufRihrung der
„Verkauften Braut" von Smetana sehr beifallig auf-
genommen. Die TSnze, welche von den Pragerinnen
Wisiakowa und Veltchek ausgeffihrt wurden, fanden
besonders starken Anklang.
Maurice Ravel wurde von der Universitat Oxford
zum musikalischen Ehrendoktor ernannt. Ravel bat
ein Ballett „Bolero", ein Klavierkonzert und eine
„ Opera heroique" : Jeanne dArc naeb dem Stiick von
Deltail vollendet.
Im Mai nachsten Jahres wird das Boston
Symphony -Orchester unter Koussewitzky in der
Pariser Oper gastieren.
George Amies neues Ballett: „Der Zaubergarten
der Fee Alcina" wird durch das Ensemble von Ida
Rubinstein an der Pariser grofien Oper aufgefiihrt
werden. Strawinsky arbeitet an einem neuen Ballett
„Der Kufi der Fee", das ebenfalls dort gegeben wird.
An der Oper kommt endlich ein Ballett „L'Eventail
de Jeanne" heraus, bei dem nicht weniger als neun
moderne franzosische Komponisten mitarbeiteten.
Schweiz :
Hermann Scherchen dirigierte in einer Studien-
auffiihrung des Musikkollegiums Winterthur J. M.
Hauers Romantische Fantasie, Arthur Honeggers
„Concertino" und Bela Bartoks Musik aus dem
„Wunderbaren Mandarin". Scherchen wird ferner in
den Studienkonzerten Gashel von Ernst Kunz, das
Bratschenkonzert von W. Barlhels und das Klavier-
konzert von //. von Glenck uraufRihren. - Der Gesamt-
plan der Konzerte des Musikkollegiums kann als
vorbildlich gelten in der klugen Verteilung der
einzelnen Werke, in der Vermeidimg alien iiblichen
Programmschlendrians.
Oskar Disler wird in den Symphonie-Konzerten
des Musik-Collegiums Schajfhausen u. a. an neuen
Werken den Psalmus hungaricus von Kodaly und das
Konzert flir Viola d'amore von Hindemith zur Auf-
fiihrung bringen. — Manclie stumpfe Konzertver-
einigung einer grofien Stadt konnte sicb ein Beispiel
nehmen.
Walter Kiigi und Walter Frey brachten in Basel
Conrad Becks Violinsonate zur Uraufftihrung.
England:
Anfang November gaben die Berliner Philhar-
moniker unter Furtwangler drei Konzerte in der
Albert Hall zu London. Die Leistungen von Diri-
genten und Orchester fanden begeisterte Arterkennung.
Rufiland :
Das staatl. Operntheater in Leningrad kundigt die
Urauffiihrung einer Beihe neuer Opern an, die stoff-
licb der russischen Ideologie angepafit sind : „Pauline
Gueble" von Scliaporin, „Explosion" von Janowski
und die ,,Pferdebremse" von Siks, ferner ein Ballet
von Glier: „Roter Mohn".
Diesem Heft liegen bei:
ein Prospekt des Verlages Gustav Bosse in Regensburft in welohen dieser
seine „ Deutsche Musikbiicherei" anzeigt, die in jedes musikalische Haus.
gehort.
ein Prospekt des Verlages Georg Miiller, Miinchen, „Biicher fiber Musik
und Musiker".
564
We* intetptetiett
Diese in ihrer Art erstmalige Zusammenstellung IA ^f^LW ^W^^B? *J U ^'^W'^rW^Bw' 9
kann keinen Anspruch auf Vollstandigkeit er-
heben. Der MELOSVERLAG bittet die Leser
um Mitteilung von Programmen, die nach Mafi-
gabe des /ur Verfdgung stehenden Raumes in
kurzester Form kostenlos veroffentlicht werden.
Klavier
Violine (ferner) :
Riele Qneling: Windspergir
Alexander Selunuller: Hindemith
Max Strub: Windsperger
Hedwig Apfel: Hindemith, Slavenski, Villa-Lobos,
Fairchild, Bartok, Grainger, Albeniz, MUhaiul
Paul Aron: de Falla, Hindemith, Toch, Wiener,
Windsperger
J alios Baranyi: Toch, de Falla. Honegger, Bartok,
Schulhoff, Kodaltt, Ravel, Casella
Hellmuth Banvald: de Falla
Hans Brucli / Lene Brach-Woiller : Hindemith, Toch
Windsperger
Victor v. Frankenberg: de Falla
Walther Frey : Beck, Toch
Carl Friedbci'fj: Toch
Walter Giesekmg : Hindemith, Toch, Albeniz, Braan-
fels, Busoni, Casella, Castelmwvo - Tedesco,
de Falla, Honegger, Korngold, Jos. Marx,
Poulenc, Ravel, Rosenslock, Schonberg, Scott,
Skrjabin, Strawinsky, Szymanowski
Iringard Grippain-Gorges: de Falla, van Gilse,
LiapowiOLv
Mark Hambourg: Villa-Lobos, Ravel
Alida Hecker : Hindemith, Casella, Toch, Sekles,
Strawinsky, Bartok, Honeqqer, Mdhaud, Berg,
Schulhoff
Clara Herstatt: Tscherepnin, Benjamin
Lilly Hcrz : Kodaly, Bartok
Josef Hlrt: Hindemith
Alfred Hoehn : Toch
Hermann Hoppe: Toch
Marianne Kuranda: Milhaud, de Falla, lansman,
Szymanowski
Frlda Kwast-Hodapp : Jarnach
Remy Leskowitz : Hindemith, Scott, Strawinsky,
Milhaud, Ravel, Fairchild, lansman, Schulhoff,
Bartok
Emma Liibbecke-Job : Hindemith
GerdaNctte: Hindemith
Elly Ney : Toch
Franz Osborn : Hindemith, Toch
San Roma : Toch
Albert Spalding: Debussy, Ravel
Viola
Paul Hiudemith : Windspprger, Hindemith
Winfried und Reinhard Wolf: Hindemith
Violoncello
Bmaimel Fenermaim: Hindemith, Schulthess, Winds-
perger
Maurits Frank: Hindemith
Eva Heinitz : Hindemith
Joachim Stntsohewsky : Wellesz, Raphael, Winds-
perger, Hindemith, Casella, Jemt-ilz, Kodaly,
Honegger
Gesang
Marguerite Babaian : Hindemith
Elisabeth Bischoff: Windsperger
Hildegard von Buttlar : Hindemith
Claire von Conta: Windsperger
Tini Debiiser: Hindemith
Anne Fellheimer: Windsperger
Lily DreyfuB: Windsperger
Anny Gantzhorn: Haas
Gertrude Hepp: Haas
Rose Herrlinger: Hindemith
Maria Hussa: Rrenek
Lotte Rreisler: Haas
Annamarie Lenzberg: Windsperger
Felix Loffel: Schoeck
Paul Lohmann : Rentier
Valentin Ludwig: Windsperger
Lotte Miider- Wohlgemuth: Lendvai
Grete Merrem-Nikisch : Hindemith
Marianne Mislap-Kapper: Hindemith, de Falla, Pish,
Prokofieff
Anny Quistorp: Toch
Hermann Scliey: Stephan
Theodora Versteegh: Kodaly
Berthe de Vigier: Jesinghaus
Rose Walter: Haas, Hindemith, Toch, Windsperger
Reinliold von Warlich: Haas
Nachdnick qui' mit besonderer Erlaubnis [
Violine
Lie co Amar: Hindemith
Eugenie Bcrtsch: Paul Mailer, Schoeck
Hedwig Fassbander : Hindemith
Stefan Frenkel : Janiach, Toch
Klein von Giltay: Jarnach
Bronislaw Hubcrman: Hindemith
Walter Kagi: Beck, Toch
Otto Kobin: Stephan
Georg Kulilenkampf-Post ; Hindemith
Gerhard Meyer: Willner
Alma Moodie: Hindemith
Alexander Moskowsky: Hindemith, Tscherepnin,
Bartok, Ravel
Bitte beziehen Sie sich bei alien Anfragen auf MELOS
Ordhester Partituren
Komplette Opern (Format 23X16 gebunden)
(die mit *)
bezeichneten Partituren sind nur
20X14 und nur broschiert)
Mk.
Bellini, V.
Boito, A.
Mephistopheles . . .25 —
Nero 25.—
Donizetti, G.
L'Elisir d'amore
(Liebestrank) . . : 25. —
Mascagni. P.
Meyerbeer, G
Iris 25.—
. *) Robert der Teufel . . 25.—
Montemezzi, !
L'amore dei Tre Re (Die
Pizzetti, I.
Liebe dreier Konige) 25. —
Debora und Jael . 25.—
Poncliielli, A.
Die Gioconda . . 25. —
Puccini, G.
Die Bohenie .... 25. —
—
Gianni Schicchi . . 15. —
—
Madame Butterfly . . 25. —
Manon Lescaut . . . 25. —
—
Das Madchen aus dem
goldenen Westen . 25. —
—
Schwester Angelica . 15. —
—
11 Tabarro (Der Mantel) 15.—
Tosca 25.—
—
Turandot 25.—
Respighi, G,
Rossini, G.
Belfagor ..... 25.—
*)DerBarbiervonSevilIa 25.—
*)Wilhelm Tell . . . 25.—
Spontini, G.
*)Die Vestalin .... 25.—
Verdi, G.
Aida 25.—
—
Ein Maskenball . . . 25. —
—
Falstaff 25.
—
Othello 25.—
—
,,< Requiem (Messe) . .25 —
Rigoletto 25.—
La Traviata (Violetta) 25 —
Der Troubadour . . 25. —
Zandonai, G.
Conchita 25.—
—
. Francesca da Rimini . 25. —
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(„Wohltaterin Musik" u. a. m.)
In Pappband Mk. 3. — , Ballonleinen Mk. 5.—
Band 32
Hans v. Wolzogen : Wagner und seine Werke
In Pappband Mk. 3. — , Ballonleinen Mk. 5.—
Band 52
Hans v. Wolzogen : Lebensbilder
Erinnerungen aus meineni Leben
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hiitet und dem wir nodi viel D&rifejibzutragen haben. Seine
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Mu»lk im Haus. Gottfried RUdinger: Nun singet und se'd froh / Ein Hirtenspiel in Liedern / Es hat aich halt aufton das himm-
lische Tor / Schlummre sanft. Heinrich Lemacher: Drei Weihnachtslieder / Bethlehem / Vom schbnslen
Kindlein. Margarethe Frischenschlager : Heilige Nacht. Anton Reer-Walbrunn : Kind'lwiegen / Wurzel Jesse.
Joseph Haos: Sechs Krippenlieder, Adolf Pfanner: Pocci, Die Zaubergeige. Gottfried Bussard: Ein Krippon-
spiel. Walter Rein : Musik zu einem Christgeburtspiel.
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Lustigea Stuck / Vier Nachtstucke
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Russische Lieder, op. 21 (hoch) M. 4. -
Verklarung (Tjontschew) / Strom der Tranen (Tjontscliew) / An die Heimat (Tjontschew) /
Das Bauerlein (Calzow) / Riickblick (Jcsscnin) / Abendgefuhl (Jessenin) / Litanei
■ (Tjontschew) / Liebeslied (Tolstoj)
Biihnenwerke:
„Saul" nach dem Drama A. Lernet-Holenia in einem Akt Partitur (4°) M. 40. -
Urauffiihrung der neuen Fassung am 18. November in Diisaeldorf (Stadt. Theater)
„Der verlorene Sohn" nach dem Text von Andre Gide, tibersetzt
von R. M. Rilke Partitur in Vorbereitung
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568
OPERNPREMIEREN
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FRANZ SCHREKER
DER SINGENDE TEUFEL
Oper in vier Akten. Dichtung vom Komponisten
Urauffuhrung : Staatsoper unter den Linden, Berlin, 7. Dezember
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EUGEN D'ALBERT
DIE SCHWARZE ORCHIDEE
Oper in drei Akten
Text von K. M. Levetzow
Urauffuhrung :
Neues Theater in Leipzig,
1. Dezember
LEGS JANACEK
DIE SACHE MARKOPULOS
Oper in drei Akten nach dem Drama von
K. Capek. Deutsch von Max Brod
Urauffuhrung: Opernhaus Frankfurt,
9. Dezember
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Textbuch
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JULIUS BITTNER
MONDNACHT
Oper in drei Aufzugen
Text vom Komponisten
Urauffuhrung : Stddtisehe Oper, Berlin,
13. November
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Textbuch Mk. -.80
MAX BRAND
MASCHINIST HOPKINS
Oper in einem Vorspiel und drei Akten
(12 Bildern). Text vom Komponisten
Urauffuhrung : Stadttheater Duisburg,
Januar 1929
Klavierauszug und Textbuch in Vorbereitung
KAROL SZYMANOWSKI
KONIG ROGER
Oper in drei Akten
Deutsch von R. M. Hoffmann
Deutsche Urauffuhrung: Stadttheater Duis-
burg, 28. Oktober
Klavierauszug mit Text . . . Mk. 16.—
Textbuch Mk. - .80
JAR. WEINBERGER
SCHWANDA, der Dudelsackpfeifer
Volksoper in zwei Akten
Tert von M. Kares. Deutsch von M. Brod
Deutsche Urauffuhrung: Stadttheater Breslau,
8. Dezember
Klavierauszug mit Text . . . Mk. 16. —
Textbuch Mk. —.80
Soeben erschien: Flugblatt Nr. 11 der „Musik der Gegenwart"
Zu Franz Schrekers Opers „DER SINGENDE TEUFEL"
Aiis dem Inhalt : Fronz Schreker, Die Inszenierung flBesetzung, Dekoration und
Regie). Walter Gmeindl, Die Instrumentation, Die Handlung
Interessenten erhalten diese Broschiire sowie die Nachrichtenblatter
„Oper von heute" kostenlos vom Verlag der
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569
Soeben erschienen:
„SCHWEIZER
SING-
UND SPIELMUSIK"
herausgegeben von
ALFRED STERN u. Dr. WILLI SCHUH
Heft 1 : 6 Alte Schweizer Lieder fur 2 bis 4
Singstimmen mit Instrumenten gesetzt
von Alfred Stern.
Heft 2 : 10 Alte Schweizer Lieder fur eine
Singstimme mit allerlei Instrumenten
gesetzt von Alfred Stein
Part. u. 1 mal Stimmen je RM. 2.50
Singpart. einzeln . . . je RM. — .45
Instr.-Stimmen einzeln . je RM. — .20
Es werden folgen :
Heft 3: Weltliche Liedsatze von Ludwig
Senfl. Herausgegeben von Dr. Willi
Sdiuh.
Heft 4 : 12 Alte Schweizer Lieder fur 2 bis 4
Stimmen in polyphonem Satz von
Alfred Stern
Weitere Hefte sind vorgesehen
Zwei Urteile :
„Haben Sie sehr schonen Dank fur die beiden ersten
Hefte der Schweizer Sing- und Spielmusik. Ich habe
ganz grofie Freude daran, und werde sie, die ganz im
Sinne dessen gebaut sind, was wir seit Jahren immer
wieder suchen, empfehlen, wo es nur moglich ist. Bitte
orientieren Sie mich auch iiber das Erscheinen spaterer
Hefte. Wenn die spateren genau so ausfallen, werden
Sie in mir einen eifrigen Werber fur die Sammlung
haben".
Prof. FRITZ JODE, Charlottenburg
„Die trefflich redigierte Sammlung „Schweizer Sing-
und Spielmusik" ist besonderer Empfehlung-wert".
Prof. Dr. ERNST KURTH, Bern
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1. Quintett fur Oboe, Flote,
Klarinette, Horn, Fagott
(komp. 1911)
2. Quintett fur Klavier,Oboe
Flote, Klarinette, Fagott
(1914)
3. Trio : Cinq pieces pour
trois instruments divers
Flote, Klarinette, Harfe
(1915)
4. Sonate fiir Klarinette und
Klavier (1916)
5. Allegro-Andaiite-Finale
fur drei Klarin. (es, c, a)
drei Oboen (C, F, Bafi
oder Fagott) und Klavier
(1924)
6. Sonatine fiir Violine und
Klarinette (oder Viola)
7. Trio fiir Flote, Klarinette.
Fagott (1927)
8. Quintett fiir Flote, Klarin.
Violine, Bratsche, Cello
eventl. Oboe, Engl. Horn,
Fagott) (1927)
9. Andante-Allegretto (1923)
fiir obi. Instrumente
(Oboe-Flote) Streicher u.
Klavier
10. Vier Stucke fiir sechs
Blaser (Klarinetten und
Horner) und Streicher
(1925)
11. Musik fiir Blasorchester
(1914/15) (eventl.: Flote,
Oboe, Klar., Fagott,
2 Horner und Str.)
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Viola oder Viohne, d., tschech. Mk. 4. — . (Soeben erschienen)
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Ludwig Weber
MUSIK NACH VOLKSLIEDERN HEFT 2
Fur zwei bis vier gleiche Stimmen a cappella
Ausgabe Kallmeyer Nr. 8. 1928. 10 Seiten. Quart. l.Tsd. Part. kart. RM. 2. - . Best.-Nr. 259
Zwei Stimraenhefte je HM. — .50
Inhal t : Es raiifi nur sein / Sdlwestern, reichet euch die Hande / Seht -frie die Sonne / Die Bliimelein all selilafen /
Guter Mond / Gott gnad dem inachtgen Kaiser
MUSIK NACH VOLKSLIEDERN BEFT 3
einstiramig mit Instrumenten
Ausgabe Kallmeyer Nr. 9 1928. 12 Seiten. Quart. 1. Tsd. Partitur RM. 3.—. Best.-Nr. 260
2 Instrumentalstimmenhefte je RM. — .50, 1 Singsfimme RM. — ,50
Inhal t: Ea ritt ein RUler / Am Brunnen / Juchhei Bliimelein / Alte Kiih und faule Fisch / Mufi i denn / Wem
Gott will rechte Gunst erweisen / Wie lieblich schallt
Infolge der ganz unerwartet guten Aufnahme, die das erste Heft der Musik nach Volksliedern gefimden hat, ist es
moglich, heute schon Heft 2 und 3 anzuzeigen, die durch ihre Besetzung wohl nodi einen weiteren Kreis von
Freunden finden werden als das erste.
GEORG KALLMEYER VERLAG / WOLFENRUTTEL-BERLIN
Franz Schubert
Samtliche Klaviersonaten
in Neubearbeitung
mil Erganzung der bisher unvollendeten Sonaten
Einzelausgabe mit Fingersatzen und Vortragsangaben
von Walter Rehberg
Sonate Nr 1 E-dur (1815)
Ed.-Nr. 2576 M. 1.50
Sonate Nr. 2 C-dur (erganzt)
Ed.-Nr. 2577 M. 2.—
Sonate Nr. 3 As-dur (1817)
Ed.-Nr. 2578 M. 1.50
Sonate Nr. 4 E-dur (1817)
Ed.-Nr. 2579 M. 1.50
Sonate Nr. 5 fis-moll (erganzt)
Ed.-Nr. 2580 M. 1.50
Sonate Nr. 9 t-moll (erganzt)
Ed.-Nr. 2584 M. 1.50
Sonaten Nr. 6 bis 8 und Nr. 10 bis 18 sind in Vorbereilung.
s.Schuberts Klaviersonaten sind in ihrer grofien Anzahl und Mannigfaltigkcit nur wenigen bekannt. Nun hat es ,
einer der berufensten Spezialisten, Walter REHBERG unternommen, anla!31ich des Schubertjahres den halb-
verschiitteten Schatz zu heben und den Gegenwarts-Klavierspielern durch Vollendung fehlendcr Teile (meist der
Reprisen), dtirch Rerueksichtigung besserer Lesbarkeit des Notenbildes und praktischer Handlichkeit der Applikatur
aber unter gewissenhafter Wahrung des Originals, wicder zuganglidi zu madien. Der Bestand der mittelschweren,
gediegenen Klavierliteratur hat durdi diese Rehbcrgschen 18 Sonaten, um deren Herausgabe sidi in schonem, klarem
Iruck der STEINGRSBER-VEKLAG, LEIPZIG, ideale Verdienste erworben hot, eine wertvolle Mehrung erfahren.'
Dr. STIER (Nurnberger Zeitung)
Durch alle Musikalienhandlungen (audi zur Ansicht) erhaltlid)
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572
Mitte November wird erscheinen :
Der Kampf urn die Tradition
Die deutsche Dic/itung im europaischen Geistesleben 1830-1880
von Dr. HUGO BIEBER
Etwa 550 Seiten. - Geheftet etwa RM. 18.—, Ganzleinen etwa RM. 20.—
Die deutsche Dichtung des Zeitraums von 1830 — 1880 iibt heute mehr denn je lebendige Wirkung
aus. Gottfried Keller, Theodor Storm, Gustav Freytag, Friedrich Hebbel, um nur einige Namen
zu nennen, fesseln weitere Leserkreise als die Klassiker und die Modernen.
Hugo Bieber hat die Geschichte dieser Dichtung in den weitesten Rahmen des Geisteslebens gestellt.
Eindringende Charakterbilder der groGen Dichterpersonlichkeiten empfangen besondere Beleuchtung
in einer Darstellung, die das dichterische Weltgeiuhl in seinem Zusammenhang oder Gegensatz mit
der Entwicklung der Wissenschaft, der Wirtschaft, der Politik, des religiosen Lebens erfafit. Wer
aus dem Buche Aufschlufi uber die Daten der aufieren Lebensgeschichte entnehmen will, wird es
enttauscht aus der Hand legen. Aber wem an einer Besinnung fiber das geschichtliche Werden und
an einer Klarung des kunstlerischen Verstandnisses gelegen ist, wird eben der geisteswissenschaftlichen
Literatur eine besondere Stellung einrfiumen. Die historische Darstellung ist unterbaut durch ein-
dringende Auseinandersetzungen mit den Grundfragen der dichterischen Gestaltung, der Erzahlungs-
kunst wie des lyrischen Ausdrucks, der Tragik und des Humors. Der Verfasser lehnt es ab, seine
eigene Anschauung zu verbergen, aber er hat besonderen Wert darauf gelegt, alien Anschauungen
gerecht zu werden. So ist sein Buch nicht nur ein Beitrag zur Belehrung des geschichtlicnen
Bewufitseins, sondern auch zur Versohnung der tieferen inneren Gegensatze des heutigen Lebens.
Das Werh ersctieint als V: Band der Sammlung tt Epochen der deutschen Literatur".
Ein ausfUhrliches Verzeichnis der anderen Bande dieser Sammlung steht kostenlos zur Verfugung.
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William Boyce (1710— 1779) lebt heute fast nur noch in seinen kirchen-
musikalischen Werken; die Vernachlassigung seiner Inslrumenlalwerke
ist umso unverstandlicher als diesc zu den sehonslen Komposilionen
ihrcr Zeil, in England sowohl wie in Europa, gehoren.
Diese acht Symphonien sind nicht nur von starkem musikalischem'und
historischem Interesse sondern weisen auch ausgepragte Ziige von
Anmut und Kraft auf.
Die Partitur enthalt Slreicher und Blaser, letztere ad lib., so dass auch
eine Auffuhrung fur Streicher allein moglich ist.
Symphon. Nr. 1 Part. M. 3.— Stimm. je M.
. 2 „ M. 3.— „ „ M.
„ 3 » M. 3.50 „ „ i\I.
s 4 „ M. 3.— D „ M.
50
SO u.
—.70
50 u.
—.70
50 u.
—.70
Sj'mphon. Nr. 5 Pari. M. 3.50 Slimm. jc M. —.50 u. —.70
„ 6 „ M. 3— „ „ M. —.50 u. —.70
, „ 7 . M. 3.50 „ „ M. —.50 u. —.70
„ 8 „ iM. 3.50 „ , M. —.50 u. —.70
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Dr. Waltner Paill * Jungsozialismus unci junge Generation
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Deutsche Innenpolitik / Dr. Hans Simons - Selbstverwaltnng imd Staatsmacht / Prof. Hugo
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neuen Chinas / Dr. Giinter Keiser — Zur Sexualreforni / Dr. Meta Corssen — Ticrgeographie /
Dr. Hans Haustein - Eine Gesellschaftslehre / Prof. Conrad Schmidt - Die Geschichte der
Menschheit / Dr. Wnlther Koch - Die deutsche Justiz / Dr. Karl Steinhoff - Gegemvarlsepik /
Dr. Max Hochdorf - Kurzopern / Max Butting - Produkrive Agrarpolitik / Hans Wilbrandt -
Die Toten : Nina Bang, Ludwig Enneccerus, Bobert Fliefi, Giovanni Giolitli, Jens Jensen, Klabund,
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i'asser seine Aufgabe nehandelt, konnen unmittelbar fur den Unterricht
vorbildlich werden. An einer zielbewufit ausgewahlten Reihe von
Liedern werden das Musikantische, das Geistige, das Ubermusikalische,
das Transzendente, das Personliche im Schaffen Schuberts herausge-
stellt, um daran die letzten Forderungen fur eine sinngemaGe Wieder-
gabe abzuleiten. (Halbmonatssclirift fiir Schulmusikpflege, Essen.)
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21 . und 22. Tausend. In Leinen gebunden M. 10.-
Reihe »Klassiker der Musik«
Das Werk von Dabms ist das beste fiber Schubert. Dalims ist ein
Kritiker, der sich noch die voile Urspriinglichkeit des kiinstlerischen
Genusses erhalten hat, und der Schubert ganz verstand. Er ist fiber-
all sachlich und anregend, so anregend, da(S man von ihm sofort
zu Schubert eilen mufi und Schubert von neuem geniefit : inniger,
tiefer, berauschender. (Pester Lloyd.)
Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart, Berlin und Leipzig
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576
PAUL HINDEMITH
Hans- u n d G e m e i n s c h a f t s - M u s i k
Diese Musik ist weder fiir den Konzeitsaal nodi fiir den Kiinstler geschrieben. Sie will Leuten,
die zu ihrem eigenen Vergniigen singen und musizieren, interessanter und neiizeitlicher Ubungs-
stoff sein. Diesem Zwecke entsprechend werden an alle Ausfiihrenden keine sehr grofien
lechnischen Anforderungen gestellt. Von den Streichern wird nur das Beherrsclien der ersten
Lage verlangt, der Chor nnd die Solosingstimmen sind nach Miiglichkeit mit leicht singbaren
Linien bedaclit. Sind Blaser vorhanden, konnen sie zur Verstiirkung der Vokal- und In-
striunentalstimmen herangezogen werden.
Aus Paul rlindemillis Vonvort zu den Sing- nnd Spielmusikcn.
Sing- und Spiel musiken
fiir Liebhaber unci Musikfreunde, op. 45
Nr, 1 Frau Mnsica. Mnsik zum Singen und Spielen nach einem Text von Luther.
Pni'tilur M. 3.-, Stiinmen zua. M. 2.50, Stimmcn einzeln: Singstimmc -.30, Inatrnnientalsliinnie —.50
Nr. 2 Acht Kanons fiir 2 Singstimmen mit Instrumenten.
Pnrlinu- M. 2.50, Stimmcn zus. M. 1.80, Stimmen cinzeln: Singslimmc —.75, Instrumcnlalatimme -.30
Nr. 3 Ein Jager aus Kurpfalz, der reitet durch den griinen Wald. Spiehnusik f'iir Streicher
und Holzhliiser. Pnrlitur M. 2.-, Stimmen zus. M. 3.-, oinzcln M. -.50
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Die Orchesterwerke
dieser Saison
Bernhard Sekles
Josip Slavenski
Ernst Toch
Dei' Dybuk
Vorspiel fiir Orchester, op. 35
Partitur (4°) M. 20.- / (Spieldauer en. 8 Minuten)
Balkanophonia
Suite fiir Orchester
Partitur (4°) M. 40.- / (Spieldauer ca. 20 Minuten)
Serbischer Tanz / Alhanisches Lied / Tiirkischer Derwisch-
tanz / Griechisches Lied / RumanischerTanz / Mein Lied /
Bulgarischer Tanz
Fanal
fiir grosses Orchester und Orgel, op. 45
Partitur (4°) M. 20.- / (Spieldauer ca. 7 Minuten)
B. SCHOTT'S SOHNE
MAINZ UND LEIPZIG
Notenbeispiele zur Meloskritik I; Hermann Reutter
C.7'&»e
Cter.
(fransp.)
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( W /Jgjsfa , 6 rtvi'M)
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Beilage zu MELOS November 1928
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(WuddiMcT/t Citdtr l t)oZ)
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ZUM INHALT
Uber den Fragenkreis, der in diesem Hefte aufgerollt und in den nachsten fort^
gesetzt werden soil, konnte man als Uberschrift das Wort „Musikbetrieb" setzen.
Neue Musik sucht neue Erscheinungsformen; diese neuen Erscheinungsformen sind im
Begriif, die soziologische Struktur unseres Musiklebens von Grund aus umzugestalten-i
Friiher war der schafFende Musiker allein das Zentrum aller soziologischen Frage" Jetzt
aber sind audi diese Grenzen fliefiend geworden; nicht nur die kiinstlerischen sondern;
auch die soziologischen Voraussetzungen unserer Zeit sind in starker Entwicklung be-
griffen. Die ausgef'ahrenen Gleise des Konzert- und Opernbetriebs erweisen sicli als
unfahig, eine neue Kunstanschauung zu tragen. Der Musik verbr auch er, friiher ein vollig
passiver Faktor des Musiklebens, tritt in den Mittelpunkt neuer Fragenkreise. Seine!
soziale, menschliche und geistige Lage, sein Verhaltnis zur Kunst iiberhaupt bedarf einer
Nachpriifung.
Von verschiedenen Seiten werden die Probleme in AngrifF genommen. Wichtiger
als die literarisch gehalteneii Gedankengange des Mueikscliriftstellers mufi hier diej
Aufierung des Musikers selbst erscbeinen. So kommen neben einem schaffenden Musiker
von Rang auch Praktiker in diesem Heft zu Worte. Die Perspektive wechselt. Be-
sonders das Problem der Oper drangt zu heftiger, kampferischer Auseinandersetzung,
Auch die Meloskritik ist auf die gleichen Fragen gestellt. Der Anspruch auf vollstandige
Erfassung aller hierher gehorigen Fragen kann natiirlich nicht gestellt werden. So wird
das brennende Problem der Schulmusik einstweilen nur von der Perspektive eines
Berichts iiber die Mtinchener Reichsschulmusikwoche untersucht. ,
Die Schrifdeitungj
MITTELDEUTSCHE
RUNDFUNK AG,
IN LEIPZIG
Die 6esellschaft beabsichtigt, in den Vorstand ein
Mitglied zu berufen, dem die
Durchfuhrung der gesamten musika-
lischen und literarischen Aufgaben
der 6esellschaft unterstehen soil. In Frage kommen nur
PERSONLICHKEITEN,
die umfassendes und tiefes fachmannisches Konnen
besitzen und gleichzeitig befahigt sind, das ihnen
unterstellte 6ebiet nach innen und aussen organisa-
torisch zu leiten und reprasentativ zu vertreten. Baldiger
Eintritt ist erwiinscht.
Bewerbungen werden zunachst nur schriftlich an
den Unterzeichneten erbeten.
Dr. Hans Olto
Vorsitzender des Aufsichtsrates
Leipzig, Hainstrasse 16
M U S I K
Egon Wellesz ( Wien)
DEB MUSIKER UND DIESE ZEIT
I.
Die Veranderungen im musikalischen Leben der Gegenwart sind zu bedeutend,
als daft man an diesen Tatsachen vorbeigehen konnte, ohne ihnen Beachtung zu
schenken. Der Kiinstler wird sich durch derlei Reflexionen keineswegs in der Ver-
folgung seiner, ihm durch sein innerstes Gesetz vorgeschriebenen Ziele ■ urid Aui'gaben
beirren lassen; aber er wird durch Betrachtung der allgemeinen Situation jene not-
wendige Klarheit iiber seine eigene Stellung innerhalb der gesamten Strebungen ge-
winnen, die notwendig ist, um in jenen Belangen, in denen die aussere Formung des
Kunstwerks an den Kontakt mit einem Publikum appelliert, diese Bindung in, der
beabsichtigten Weise herstelleu zu konnen.
Um diese Bindung zwischen deni Kunstwerk und einem, vom Kiinstler als ideale
Einheit vorgestellten Publikvim handelt es sich bei jeder kunstlerischen Produktion, die
fur die Offentlichkeit bestimmt ist; mag der Kiinstler mit seinem Werk dem gevvohn-
lichsten Unterhaltungsbediirfnis entgegenzukommen trachten oder sich ein Publikum
imaginieren, das er zu den Hohen geistiger Einstelhing wahrend der Dauer des An-
horens seines Werkes emporzuziehen vermag.
So selbstverstandlich diese Erwagvmgen scheinen mogen, so liegt doch in direr
Verkennung oder Mifiachtung der Hauptgrund fur die unleugbare Isolierung der Kunst
in den letzten Jahrzelmten, fur die Ratlosigkeit mit der man fast jeder neuen Hervor-
bringung begegnet, indem man ihre Bedeutung teils zu gering, teils zii hoch wertet,
fur die erschreckend rasche Abnutzung dessen, was produziert wird; all dies Er-
scheinungen, die jeder, der sich mit der Kunst der Gegenwart beschaftigt, zur Geniige
beobachten kann.
Man kann aus alien Anzeichen beobacbten, dafi die gegenwartig lebende euro-
paische Menschheit ein aufierordentlich grofies Bediirfnis nach Kunst hat; dafi innerhalb
der Kunste wiederum dem Schrifttum unci der Musik eine hervorragende Rolle zu-
kommt, und, genauer betrachtet, innerhalb des Schrifttums der Roman und das Drama,
innerhalb der Musik die Kammermusik und die Oper gegenwartig eine dominierende
Rolle haben. t
Wahrend aber auf dem Gebiete der Dichtung die Kluft zwischen Kiinstler und
Publikum niemals so stark aufgerissen war, macht sie sich in der Miisik deutlich fiihl-
bar. Eine billige Erklarung ware, dafi wohl Dichtung und Musik beide zu den suk-
zessiven Kiinsten gehoren — im Gegensatz zu den Simultankunsten Malerei und
Plastik — dafi aber die vollendete Beproduktion von Musik an die Tatsache de>r
offentlichen Auffxihrung gebunden ist und daher — stellt man etwa die epischen
Formen von Roman und Kammermusik gegeniiber — mehr als die Lektiire eines
Buches vom Geniessenden die Isolierung aus der Umwelt, den vorher gefafiten Ent-
schlufi, sich mit dem betreffenden Werk zu beschaftigen, voraussetzt.
580 EGON WELLESZ
Diese Erklarung, der man vielfach begegnen kann, trifft zwar im Aufierlichen zu
beriihrt aber, so scheint es mir, nicht den Kern der Sachlage. Sie beriihrt die Frage
des Konzertbetriebes und der Musikpflege, deren Probleme anders in den grofien
Zentren, den Metropolen, und anders wiederum in den kleinen Stadten liegen ; es
sind dies Fragen, auf die ich noch im weiteren Verlauf dieser Betrachtungen zu
sprechen kommen mochte.
Man mufi sich fragen, worm der Grand zu such en ist, daft trotz eines standig
anwachsenden Kunstbetriebes Kunstler und Publikum einander so entfremdet worden
sind, und ich glaube, dafi wir der Losung des Problems wesentlich naher kommen,
wenn wir die Ursache in dem queren, verschobenen Verhaltnis der Kunstler des neun-
zehnten Jahrhunderts zur umgebenden Welt suchen.
Wenn heute vielfach von einer Ablosung des akkordlichen Denkens von einem
linearen, von der Ablosung der Romantik durch einen neuen Klassizismus oder Kon-
atruktivismus gesprochen wird, so sind diese Schlagworte Hilfsbriicken, durch die Teil-
symptome erfafit und registriert werden; sie gehen aber nicht der Frage nach dem
Sein oder Nichtsein [der Musik als Faktor im geistigen Leben der Nationeu auf den
Grund. Wir mussen uns aber bewufit sein, dafi es heute um mehr geht, als um das
Vorherrschea dieser oder jener Stromung, mehr als um die Fragen, ob man in der
nachsten Zukunft tonal oder atonal komponieren werde, ob die neue Romantik schon
heute oder erst in drei Jahren zu erwarten sei; es handelt sich hier um die
Zukunft der Musik, losgelcist von alien Zeitfrageu und Schlagworten, die die Situation
mehr verwirren als klaren. Denn diese Art der Betrachtungsweise, aus einzelnen Symp-
tomen und aus technischen Problemen die Gesamtlage der Musik zu erklaren, ist selbst
noch ein Relikt der romantischen Einstellung und verhindert, vorurteilsfrei den innersten
Beweggriinden nachzuspuren.
Der Typus des Musikers, der sich zu Beginn des neuuzehnten Jahrhunderts
herauszubilden begann, ist ein Produkt des gesteigerten Subjektivismus dieser Epoche.
Er nimmt eine Sonderstellung ein, nicht nur gemessen am Musikertypus friiherer
Zeiten, sondern auch, innerhalb der gleichen Epoche, verglichen mit den Vertretern
der anderen Kiinste.
Die franzosische Revolution und die durch sie bedingte Umschichtung hatte das
seit Jahrhunderten bestehende, feste Gefiige der europaischen Gesellschaft zerbrochen.
Bis dahin hatte es eine einheitliche, fiihrende Schicht gegeben, welche in Dingen der
weltlicheu Kuiist bestimmend war, und nach deren Geschmack und Urteil das Biirger-
tum sich richtete. Ein Ferment durch alle Schichten hindurch bildete die kirchliche
Kunst, welche, von der ernsten weltlichen Kunst in den Ausdrucks- und Inhaltswerten
nicht allzu verschieden, bis in das Zeitalter der Aufklarung geistiges Besitztum der
Menschheit war.
Mit dem Durchsetzen der Tendenzen des Aufklarungszeitalters endet diese reli-
giose Kunst in ihrer Ganzheit. Hier und dort entstehen noch isoliert grofie, religiose
Musikwerke als Ausdruck der tranzendentalen Einstellung einzelner Kunstler; aber der
breite Strom versiegt, und was in Hinkunft produziert wird — und dies bis in unsere
Zeit — ist mehr das Ubernehmen einer f'ruhereii, einst von erlebtem Formbewufitsein
getragene Musiksprache, ein archaisierendes Zuriickgreifen auf altere Vorbilder, als die
DER MUSIKER UND DIESE ZEIT 581
Schaffung einer zeitgemafien, neuen religiosen Ausdrucksweise. Es mufi dies, so be-
kannt es ist, erwahnt werden, weil erstaunlijherweise von der Tatsache, dafi es im
neunzehnten Jahrhundert keine im Gesamtkomplex der inusikalischen Produktion eine
Rolle spielende religiose Kunst gibt. kaum Erwahnung geschieht.
Das Barockzeitalter hatte in der weltlichen Musik zwei Form en ausgebildet und
dem folgenden Rokoko uberlassen: die Arie und die aus mehreren Tanzstiicken be-
stehende Suite. Aber die Herrschaft der Suite ist mit dem Aufkommen der Sinfonie
zu Ende, und die Arie, deren schier unerschopflicher Inhaltsreichtum, deren proteusartige
Wandlungsfahigkeit der Gesellschaft des siebzehnten und achzehnten Jahrhunderts gleich-
bedeutend mit dem Begriff der Oper war, entartete zu Beginn des neunzehnten zu
seichter Melodik und zum Gelegenheitsstiick. virtuose Kehlfertigkeit zu zeigen. In diese
Wende zwischen dem Aufhoren der Geistigkeit der gesclilossenen Epoche des Barock-
Rokoko und dem Beginn des subjektiv gesteigerten Empfindens des neunzehnten Jahr-
hunderts tritt, alle produktiven Krafte an sich ziehend, in den siiddeutschen Landen
die Sinfonie. Mit dieser Form gelingt es den Meistern der Wiener klassischen Epoche
eine harmonische Verschmelzung zwischen fester, aber dehnbarer architektonischer Ge-
staltung und der Aussprache personlichen Empfindens zu erreichen. Da6 dies gelang,
war durch das Zusammentreffen mehrerer gliicklicher Umstande bedingt, vor allem da-
durch, dafi der Genius eines Haydn, Mozart und Beethoven in der osterreichischen
Landschaft^und Kultur eine Stiitze fand; dafi die reiche Fantasie ihrer Erfindung in
einer, von den neuen, umwalzenden Ideen nur mittelbar beriihrten Umwelt sich aus-
wirken konnte, in einer Umwelt, welclie dem gesprochenen Wort und dem Wort der
Dichter weniger zu lauschen gewohnt war. als der tonenden Sprache der Musik. Be-
zeichnend aber ist es, da£ der letzte dieser drei grofien Sinfoniker, aus der rheinischen
Heimat nur hineinverpflanzt in die osterreichische Kultur und Landschaft, die Grenzen
der der Sinfonie immanenten Formprinzipien sprengte, und sie aus den rein musikalischen
Bereichen in ein neues Land der Kunst fuhrte, wo vom Horer mehr als das blofie
Aufnehmeu und Geniefien der Sprache der Tone, wo dariiber hinaus ein Verstandnis
fur die Intentiouen des Kiinstlers gefordert wurde.
Was hier, bei der Aussprache des Genies Beethovens ein Einzelfall von erschtit-
ternder Tragik hatte bleiben miissen: das personliche Eingreifen des Kiinstlers in die
Form seines Werkes, wurde zur Redeweise der Musiker des neunzehnten Jahrhunderts
und erstarrte, je langer und unbekiiramerter es> geiibt wurde, zur Manief, an der nie-
mand Anstofi nahm ; so sehr wirkte richtungbestimmend das Beispiel, das Beethoven in
der neunten Sinfonie gegeben hatte, nach. Man kann ein paralleles Phanomen in der
Auswirkung der Erscheinung Michelangelos feststellen, nicht minder verhangnisvoll fur
die nachfolgende Generation. Hier wie dort werden durch die iibergrofie Kraft der J?er-
sonlichkeit die Grenzen der Kunst gesprengt; was aber das Einzelerlebnis einer ubergewal-
tigen Natur war, wurde von der Nachfolge, die unter dem Bann dieser Personlichkeit stand,
fur eiu allgemein begehbarer Weg erachtet. Und durch dies verhangnisvolle Verkennen
entstand ein Bifi zwischen der vorgestellten Welt des Kiinstlers und dem Fassungsver-
mogen des kunstsuchenden Publikums, der immer grofier wurde, je weiter man sich
von der Zeit entfernte, in der das Vorbild dieser einen Personlichkeit zum lebendigen
LBesitztum gehort hatte.
502 EGON WELLESZ
Solange das gesellschaftliche Zeremoniell der herrschenden europaischen Schicht
unumschrankt gewahrt liatte, bestand zwischen dem Musiker und dem Publikum ein
enger Zusanlirienhang, der auf einem Kontakt zwischen dem Werk und Publikum be-
ruhte; der Kiinstler war nur als Hervorbringer schoner und edler Dinge in Gunst. Es
ist hinlariglich bekannt, dafi er meist den engbegrenzten biirgerlichen Rahmen trotz
aller Erfolge nicht verliefe und auch nicht verlassen konnte.
Die Stellung des Kunstlers innerhalb der Gesamtheit — und dies bei den Ver-
tfetern aller Kiinste — anderte sich aber nach der franzosischen Revolution; nirgend
anderswo aber so entscheidend wie beim Musiker. Eine neue Generation trat auf, die
im Wurisclie' nach Entfaltung der eigenen Personlichkeit den freien Beruf des Musikers
ergriff, und' ohne welter e gesellschaftliche Bindung oder Verpflicbtuug der Erreichung
dieses Zieles lebte. Schrieb der Kunstler friiherer /eit im Auftrage einer Gesellschaft,
deren iiineres Gesicht er kannte, oder weuigstens im Zusammenhang mit ihren Beduri-
niss^eh, so anderte sich dies jetzt. Der Kunstler isolierte sich aus der ihn umgebehden
Welt,; er eihpfahd sich als geistiger Fuhrer, der einer imwillig gehorchenden Gesell-
schaft deh Stempel seines Willens auf'zudrucken hatte. Aus einem harmonischen Zu-
sammenwirken zwischen Kunstler und Publikum, wie es vordem geherrscht hatte bildet
sich jener gefahfliche Zustand der Uberordnung des Kunstlers iiber die Gesellschaft
heraus, dfer mir in einzelnen, erlesenen Fallen Berechtigung hat. Nun beginnt erst die
Not des Musikers, die Qual von Werk zu Werk, von deneu jedes eine eigene Pragung
h^ben mufite, und jener Kampf, die jeweils veranderte subjektive Stimmung — dieser
Begriff erhalt nunmehi- die grofite Bedeutung — dem Publikum aufzuzwingen.
Zu keiner /eit war der Musiker so sehr von alien Stiitzen verlassen gewesen, wie
im lieunzehnten Jahrhundert und zu Beginn des zwanzigsten. Er verlangte von sich, und
itian ' verlangte von ihm in jedem neuen Werke das Unerwartete. Daher das Miftver-
halthis, dem man so haufig begegnet, zwischen Gewolltem und Erfeichtem.
' ' Diesem steten Zustand der Anspannung und des Kampfes mufite in einem Punktc
eine Kbmpensation ei'wachsen, sollte das Kunstlerdasein der Opfer wert sein, und diese
bestand in der erhohten Scliatzung der kiinstlerischen, auch problematischen Leistung;
fast ware man geneigt zu sageh, in der Verschiebung dei' Wertung vom Werk auf den
Kunstler.
So kahi der Musiker, und zwar vor allem der „absolute" Musiker, der ohne An-
lehnung an das dichterische Wort Musik aus seinem Inneren herauszustellen und zu
formen hatte, in eine soziale Ausnahmestellung, der er nicht gewachsen sein konnte.
Ef mufite fiber sein Menschen turn hinaus etwas anderes vorstellen, als er im Grunde
seines WeSens war; er niufite, auch im gewohnlicben Leben, die Rolle des Kunstlers
weitei'spielen, gleichsam jenen Zustand erhohten Seins, der ihm durch seine Begabung
in deil gesteigerten Augenblicken der Produktion gegeben war, dauernd verkorpern.
Dadurch trat bei schwacheren Naturen ofters jener Zustand der Spaltung der Personlich-
keit ein, der sich aus einer Ubersteigung der Willensimpulse erklart, und nach Zeiten
ekstatischer Erhobenheit zur volligen Ausloschung der produktiven Kraft fiihrte, ein
Schwinken zwischen den hochsten Hohen und der tiefsten Verzweiflung; ein Zustand,
der als bewtifites oder unbewufites Selbstbekenntnis den jahen Wechsel der Stimmungen
und der Gefuhle im Werk zur Folge hatte. Und daraus ergab sich jene neue Schwierig-
KARTELL ODER SOZIALISIERUNG? 583
keit fur den Horer, dem Psychologen gleich dem willkiirhaften Ablauf der wechselnden
Emotionskurven zu folgen, und dabei den Zusammenhang der Gesamtkonstruktion nicht
aus dem Auge zu verlieren. So sehr drangt sich in jener Epoche die Bedeutsamkeit
der Aussprache im Werk hervor, so sehr wendet sich der Blick nach innen, dafi die
Oper als Gattung mit einem Vorurteil gegeniiber der rein en Musik zu kampfen hatte,
weil in ihr der Kunsder nicht direkt, sondern durch das Medium seiner Gestalten sprach;
und dieses Vorurteil konnte erst Wagner dadurch entkraften, dafi er, mit Hilfe der sin-
fonischen Technik, dem Orchester eine erhohte Bedeutung, und zwar als psychologischer
Faktor verlieh. Denn dieses nimmt weniger, wie es allgemein gesagt wird, die Rolle
des Chores in der antiken Tragodie ein, als dafi es dem Publikum die Gefiihle und
Erlauterungen des Autors hinsichtlich seiner Figuren vermittelt.
Durch die Entfremdung des Kiinstlers der realen Welt, einerseits durch iibersteigerte
Wertung der Personlichkeit, andererseits durch die stete Forderung nach „Entwicklung"
die auch im Aufierlichsten, in der Steigerung der Mittel bestehen konnte, kam es zu
jenem gespannten Verhaltnis zwischen Kiinstler und Publikum, welches am. besten da-
durch charakterisiert wird, dafi jeder bedeutendere junge Musiker sich mit seiner Pro-
duktion gegen seine Umwelt stellte. das Trennende im Werk eher unterstrich als milderte;
dafi das Publikum hingegen jeder neuen Erscheinung von vorne herein mit Mifitrauen
begegnete, und sich erst langsam zur Anerkennung zwingen liefi. Damit verbunden
nahm das primare, sichere Urteilsvermogen fur Wert und Unwert ab; man verliefi sich
auf das Urteil anderer: es entstand die Uberwertung der Kritik. Alles war Bewegung
geworden, Bewegung, die schliefilich ein uberhastetes Tempo nahm. Die Mittel iiber-
steigerten sich, Richtung loste Richtung ab. Niemand wufite mehr, wohin es fuhren
sollte.
Aber in diesem Augenblick entsteht, aus anderen Regionen kommend, als man es
vermutet hatte. die Wandlung. ')
Ernst S ch o e n (Frankfurt a. M.)
KARTELL ODER SOZIALISIERUNG?
De jure, d. h. moraliter, ist die Sphare der Kunst aufierhalb derjenigen des wirk-
lichen Lebens gelegen. Sie ist nach der schonen romantischen Interpretation Wahrheit
gegeniiber der Wirklichkeit. De facto aber schneiden sich diese Spharen nicht nur im
Leben des Kiinstlers sondern auch im Schicksal des Werks, das von dem des Schopfers
ja ganz emanzipiert ist.
Sollte es daher noch der Verteidigung bedurfen, wenn heute und hier die uns
umgebende Kunstpolitik als eine Angelegenheit enormen sozialen Belanges erortert
wird, so mag zugegeben were! en, dafi Kunstwissenschaft von der Existenz des Kunstlers
wie vom Schicksal des Werks abstrahieren wird, um im Spiel der Analyse produktives
Geniigen zu finden. Wer aber vom Ablauf kunstlerischer Angelegenheiten mit erfafit
*) Der Aufsatz wird fortgesetzt.
584 ERNST SCHOEN
ist, mufi tfiglich erneut dazu Stellung nehmen, um seiner selbst willen, um der Gesell-
schaft willen, deren Verhaltnis zur Kunst mit tiber ihr Leben enrscheidet, und schliefi-
lich wo nicht urn der Kunst so zumindest um des Kiinstlertums willen, das gleichfalls
ohne soziale Klarheit — nicht etwa Zufriedenheit — krankeln mufi.
Als bescheidener Beitrag zum Jubilaumsfimmel des laufenden Jahres mag es gelten
wenn wir zwei Daten aus Schuberts Laufbahn als beliebige Beispiele herausgreifen, um
die enge wechselseitige Bedingtheit von kunstpolitischer und sozialer Lage aufzuzeigen.
Schuberts musikalische Erziehung im kaiserlichen Konvikt und sein Lebenserwerb
als Musiklehrer auf Schlofi Zelesz. Das Konvikt war das Treibhaus, der zoologische
Garten, in dem sicli eine im Vollbesitz ihres Machtgenusses befindliche aristokratische
Gesellschaft die Musikanten aufzog, deren Kunstlertum zur Befriedigung ihrer hochst
differenzierten musikalischen Bediirfnisse zu dienen hatte. Und die Stellung auf
Schlofi Zelesz bot ein Musterbeispiel dafiir, wie dann dieser Dienst organisiert
wurde. So wie der kunstsinnige ungarische M'agnat selbst einmal dem Primas
seiner Zigeunerkapelle die Geige aus der Hand reifien mochte, um die vornehm
verdrangte produktive Lust daran zu biifien, so pflegte er wohl auch die Kammermusik
im Verein mit dem Musiklehrer, der abends in die Gesindestube zuruckkehrte und
vom (.enufi des Bratens, wie Schubert in einem Brief mitteilt, ausgeschlossen war. Die
Gleichung zwischen der immanenten Unmoral des musikalischen Professionals und der
Moralitat des adligen Musikliebhabers befand sich mit anderen Worten im Zustand
einer Harmonie, wie sie heute nur im Sportleben zu finden ist.
Was bedeutete eine solche soziale Position fur den Musiker, fiir den musikalischen
Schopfer? Zweierlei. Die musikalische Ausbildung, bei Schubert im Konvikt, stellte
das konzentrierte Hochstmafi musikalischer Handwerkslehre dar, einen Studiumszwang
und eine Studienmoglichkeit, denen durch ihre zunftmafiige Klausur der Wert der Aus-
schliefilichkeit und Vollkommenheit verliehen wurde. Und die erniedrigenden Formen
der Anwendung dieser vollkommenen musikalischen Ausbildung im Gesindedienst einer
adligen Haushaltung wurden erst in der Romantik iiberhaupt als solche Erniedrigung
empfunden ; im Rhythmus einer sozialen Entwicklung, in welchem die geistige Stromung
der Romantik iiberhaupt als Vorlaufer und Exponent der biirgerliclien Revolution zu
betrachten ist. Im Spiegel der Entwicklung musikalischer, wie aller Geistesformen er-
blicken wir ebensoviele Stadien sozialer Revolution. Die Form der Sonate und der
Sinl'onie war als kiinstlerischer Zeugungsvorgang ebenso eine revolutionare Tat wie die
Auflosung der Sonatenform, die wir bei Schubert finden, die bei ihm das Werk von
Mahler, das von Schonberg vorbereitet.
Niemand vvird leugnen wollen, da6 eine entsprechende Verhaltnisspannung zwischen
musikalischer und sozialer Ereigniswelt auch heute wie jederzeij vorhanden ist und
nach beiden Richtungen in Wirksamkeit tritt. Wie dieses Parallelogramm der Krafte
heute begreiflicb zu machen sei, dafiir mogen auch wieder einige Beispiele zu Rate
gezogen werden.
Die musikalische Ausbildung in ihrer legalisiertesten Form erfolgt in Staatshoch-
schulen, deren Werteinschatzung und. womogliche Reorganisation sich z. Zt. wie diejenigen
aller parallelen geistigen Lebensformen im Zustand einer fieberhaften Krise befinden.
Diese entscheidende Tatsache ist soziologisch ebenso leicht zu begriinden wie die andere,
KARTELL ODER SOZIALISIERUNG? 585
da6 diese Krise von einer Losung noch unabsehbar weit entfernt ist. Beide Tatsachen
namlich folgen aus dem unabweislichen Umstand, dafi die definitive Ordnung, und
d. h. Stilisierung einer geistigen Kultur einzig erfolgen kann auf Grund der wirtschaft-
lichen und der daraus entspringenden politischen Stabilisierung einer gesellschaftlichen
Lebensform. Was ist denn die Krise der geistigen Formen, der kiinstlerischen Inten-
tionen von heute? Doch wohl keine Krise des Geistes, der Kunst als solcher? Der-
gleichen kann es ja eben nur in abgeleitetem Sinn geben. Nein, es ist eine Krisis der
Weltanschauung. Weltanschauung aber wird erzeugt von Polilik — bis in ihren tiefsten
Sinn als angewandter Religion — und Politik ist untrennbar verknupft mit dem Kampf
um die Wirtschaftsform. Dafi auch unsere Musikpolitik die Krise einer wirtschafts-
politisch determinierten Gesellschaftsform, des Burgertums, durchmacht, kann an jedem
Punkt bewiesen werden. Man darf Banalitat nicht fiirchten, wenn man an den Anfang
eines solchen Beweises die Konstatierung stellt, dafi die Anbetung des Individuums
das Credo der burgerlichen Gesellschaft ausmacht. Dieser Glaube tritt auch in den
Existenzfbrmen ihres musikalischen Lebens in einigen Erscheinungen auf, von denen
jede in der gegenwartigen Krise der Musikpolitik mit Recht eine bedeutende Rolle
spielt. In der Musikpolitik wohlverstanden. Denn keinen Augenblick soil hier dariiber
Unklarheit gelassen werden, da6 die gesetzgeberische Autonomie der Schopferperson-
licbkeit sich, wie> eingangs angedeutet, a priori aufierhalb dieses ganzen Betriebes be-
findet. Nur freilich, dafi ihr naturliches Verhaltnis zu ihrer Zeit in irgend einer Weise
auch immer nicht zwar ihre Potenz, wohl aber ihre eigene Existenz, Auffassung
und Weiterleben ihrer Werke fur uns, die wir uhs an ihnen messen, bestimmend be-
einflufit. Erscheinungen des burgerlichen Individualismus in der Musik, wie wir sie
meinen, sind z. B. professorale Konvention und Scholastik in der musikalischen Er-
ziehung. Aus diesen Ersclieinungsformen resultiert die allbekannte Sterilitat des
Hoclischulbetriebs, die den Typus des Minderbegabten ziichtet, der aus einem Schuler
bestenfalls sofort wieder ein Lehrer werden kann. Sie sind im Verlauf der Einwir-
kung der musikalischen Theorien der deutschen musikalischen Romantik auf Europa
und Amerika so weittragend gewesen, dafi sich von ihnen allein aus eine hochst auf-
schlufireiche Geschichte der Musik von der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts bis auf
unsere Tage schreiben liefie. Auch alle besteliende Musikgeschichte dieser Zeit mufite
von ihnen ausgehen, nur freilich, da6 sie sie nicht zirm Kriterium sondern zum Dogma
genommen hat. Der Kritik unserer Tage sind diese Gespenster so wenig fremd wie
z. B. die anderen der individuellen Auffassung — mit dem Endergebnis der Bearbeitung —
und des Virtuosentums, der artistisch vollendeten. spielerischen Beherrschung der Mittel
um ihrer selbst willen in Darstellung und Zeugung. Sie geifielt sie taglich. Aber was
tut sie, um ihnen zu begegnen, was kann sie tun ? Was kann sie an ihre
Stelle setzen, wo diese Erscheinungen selbst und die positiven historischen Machte, denen
sie entspringen, doch bis in fast jede scheinbar noch so unabhangige und revolutionare
musikalische Leislung, und gerade in die asthetisch vollkommensten und ausgewogensten,
weil traditionserfiilltesten, unter ihnen, bestimmend hineinspielen?
Die Alternative unseres Titels wiinscht zur Entscheidung beizutragen iiber einige
jiingere Versuche auf dem Gebiet des Ausgleichs zwischen der von Natur asozialen
Position des musikalischen Kunstlers, vor allem des Schopfers und der Gesellschaft, der.
586 ERNST SCHOEN
sein Werk sich gegeniiberstellt, und tiber die nachsten Versuche, die etwa auf diesem
Gebiet bevorstehen mogen.
Der neuerliche Beschlufi des „Allgemeinen Deutschen Musikvereins" zuv An-
bahnung einer Union mit der ,,Internationalen Gesellschaft fur zeitgenossische Musik"
als Ergebnis des Kraftespiels zwischen diesen beiden Instituten verdient nicbt etwa
geringere Beachtung, weil er wie immer politische Entscheidungen solcher Art in einem
Augenbliek vor die Ausfuhrung tritt, wo audi das jiingste dieser beiden Geschwister
sich offenbar endgiiltig die Horner des Radikalismus abgelaufen hat. also sozusagen
post festum kommt. Er enthebt jedenfalls den Kritiker der Notwendigkeit, seine For-
derungen nach dem Mafistab einer bislang noch zu beobachtenden verschiedenen Tem-
perenz des Bestehenden abzustufen. Die „Internationale" selbst nun also ging ja, urn
das noch einmal festzustellen, vor 5 — 6 Jahren aus dem Bestreben hervor, die im
Krieg vernichtete Beziehung zwischen den zeitgenossischen Musikern und der Allgemein-
heit sowie zwischen dem zeitgenossischen Wollen von Land zu Land neu aufzurichten.
Weitergehend sind nun die mittlerwede als selbstandiges Unternehmen um Paul Hinde-
miths musikalische Arbeit gruppierten Bestrebungen der Vereinigung „Deutsche Kammer-
musik Baden-Baden", die neuerdings den Gedanken der „Gebrauchsmusik" als Forde-
rung der Zeit in den Mittelpunkt ihres Programms gestellt hat, dem die Veranstaltungen
ihres kommenden Musikfestes in ganz bestimmter Richtung, namlich im Hinblick auf
eine musikschopferische Einstellung auf die Bediirfnisse der Jodeschen Sing- und Spiel-
kreise, ausschliefilich dienen sollen.
Dafi die Anstrengungen dieser beiden Arbeitskreise noch in alien Punkten unter
dem Krankheitsstigma des biirgerlichen Individualismus zu leiden haben, ist wohl all-
gemein bekannt und auch in kritischen Erorterungen schon manchmal angedeutet
worden. Es verdient aber, erhartet, Vorschlage zur Erweiterung und Umgestaltung des
Aufgabengebietes verdienen ausgesprochen zu werden. Bei der Delegiertenversammlung
des diesjahrigen Musikfestes der „Internationalen" in Siena soil die deutsche Delegation
sich einen Augenbliek lang verdienstvollerweise dagegen gewehrt haben, dafi nach dem
Verlauf grotesker Unergiebigkeit, den das Sieneser Fest genommen hat, sofort ent-
scheidende Vorbereitungen fiir ein neues solches Fest getroffen wurden. Es ist aber
nicht bekannt, was sie dagegen unternommen hat, dafi nicht nur eine sondern gleich
zwei weitere musikfestliche Zusammenkunfte festgelegt wurden.
Was war denn das Kriterium dieser Unergiebigkeit des Sieneser Musikfestes ? Was
ist der einfache Grund der Unergiebigkeit all dieser Musikfeste? Nicht der vor allem,
dafi nicht in einem Jahr gemigend musikalische Werke entstanden, die eine inter-
nationale Uberschau rechtfertigten, zumal ja diese Musikfeste sowieso mit kaltem Mut
vorwiegend schon erprobte Werke anerkannter Komponisten in ihr Programm auf-
nehmen. Nein, dieser Grund liegt wohl doch noch etwas mehr im Tiefen und Breiten.
Es ist unbestreitbar, dafi der Internationale Snobismus eine unschatzbare praktische
Avantgarde auch des neuen musikalischen WoUens darstellt. Auch der standige Markt-
verkehr zwischen musikalischem Autor und Musikverleger stellt sicher eine neue be-
griifienswerte Notwendigkeit dar. Aber die sogenannten zentralen Ereignisse moderner
Musikpolitik einzig in einen ausgewahlten Rahmen von Musiksnobs und Fachleuten
der Musik einzusperren, in einen Rahmen, dessen Exklusivitat schon durch die Wahl
KARTELL ODER SOZIALISIERUNG? 587
des Ortes und die lacherliche gesellschaftliche Aufmachung des ganzen Vorgangs jeder
weiteren Musikgemeinschaft unzuganglich ist, das offenbart sich doch schliefilich als eini
Egoismus, dem dringendste Aufgaben der Musikpolitik des Tages und der Stunde vollig
fremd sihd. Die Esoterik, die' in dieser besitzerfrohen Absperrung musikaliscber Giiter
und . Errungenschaften von der profanen Menge zum sprechenden Ausdruck kommt,
wollten wir eben der Kartellpolitik auf wirtschaftlichem Gebiet vergleichen. Ihr steht
die Forderung nach Sozialisierung unerbittlich gegeniiber.
Wenn die von Hindemith ausgehende Initiative sich der Beschaftigung mit Auf-
gaben der „Gebrauchsmusik zuwendet — Chormusik (Gesangvereine), Militarmusik,
Orgel (Kinoorgel), Filmmusik, Rundfunkmusik — wenn sie mit den Bestrebungen
Jfldescher Musikpadagogik in produktive Verbindung tritt, so geschieht das offenbar in
der selbstverstandlichen Erkenntnis der hier angedeuteten sozialen Geistesnote. Uber
beide Versuche lafit sich natiirlich mancherlei aussagen, z. B. ob es sinnvoll sein kann,
fur die derzeitigen Bediirfnisse einer Jung und roh aufsteigenden Gesellschaft besondere
produktive Willkiirakte zu unternehmen, anstatt den Kampf urn die musische Klarung
und Richtunggebung dieser Bediirfnisse zu wagen. Ebenso bleibt zu erwarten, ob der
„montessorische" Musikunterricht Jodescher Observanz nicht einen Musikdilettantismus
schon vor der allmahlichen Bekanntschai't mit der Musik herausbilden wird, der eigent-
lich erst auf der Hohe der Beherrschung des Musikgenusses einsetzen diirfte. Die selt-
samen und rudimentaren Erscheinungsformen neuen musikalischen Erlebens und Schaffens
in Rutland zeigen uns die Abgrunde, die zwischen dem Aufbau einer neuen Gesell-
schaft und ihrer allmahlichen Eroberung der "Welt der Formen zu durchschreiten sind.
Darum sollte der Spontaneitat musikaliscber Schopfung kein kiinstliches Kanalbett
vorgemessen werden. Die Roheit und Beschranktheit der Moglichkeiten innerhalb des
musikalischen Erlebens der Masse konnen nicht stark und skeptisch genug in Rechnung
gezogen werden. Aber gebieterische Forderung ist es heute wie jederzeit, dafi die
Wirksamkeit der produktiven Krafte in der Kunst dem gewaltigen rezeptiven Begehren des
Heeres der aufsteigenden Generationen sich erschliefie, anstatt in zufriedenem Getandel
mit der unfruchtbaren Elite der Kennerschaft billiges Geniigen zu finden. Die jungen
Musiker, die etwa noch ihre eignen geistigen Mittel und die geistigen und materiellen
Mittel ihrer Umgebung dem Zustandekommen von Lappalien wie dem Sieneser Musik-
fest zuwenden, sollten endlich anfangen, alle ihnen zugangliche geistige und wirtschaft-
liche Macht dafiir ins Treffen zu fiihren, dafi iiberaU die reinsten Ergebnisse jungen
musikalischen Schaffens den grofiten Massen geisteshungriger Jugend zugefiihrt werden.
Als prachtvolles Beispiel solchen Bestrebens in Deutschland ist mir eine schon Jahre
zuruckliegende Auffiihrung der „Geschichte vom Soldaten" unter Scherchen vor Tausenden
empfanglicher und begeisterter Mitglieder von Jugendorganisationen in der Berliner
Volksbiihne am Biilowplatz stark im Gedachtnis geblieben.
588 . HANS OPPENHEIM
Hans Oppenheim ( Wiirzburg)
DIE OPER UND DAS OPERNTHEATER VON MORGEN
Es mag iiberflussig erscheinen, die Reden iiber ein allzuviel und allzubreit be-
redetes Thema urn eine zu vermehren. Theater, die spontane, intuitive Sprache des
Bluts, sollte iiberhaupt der Sprache des Gedankens unzuganglicher, dem suchenden und
bindenden Verstande verschlossener sein. In Krisenzeiten der Kultur wurde aber
immer noch von alien, auch den vitalsten Erscheinungsformen des Lebens das Wort
zu Hilfe gerufen; zudem wollen wir heute garnicht von der Familie des Theaters im
Allgemeinen, sondern im Wesentlichen nur von dem mit beinahe pathologischen Symp-
tomen gezeichneten Zweige dieser Familie: der Oper reden. Dies erscheint umso
wichtiger, als in fast alien Debatten iiber das Theater die Oper mit der Begriindung
ausgeschlossen wird, diese sei durch ihre Zeit- („Barock") und Material- (Ton) Gebunden-
heit unumstofilichen Gesetzen unterworfen, von denen die anderen Gruppen des Theaters,
besonders aber das Schauspiel, freier, elastischer und wandlungsfahiger sich zu losen
berechtigt waren. Man spricht von der „Aristokratie der Oper", und sicher ist, dafi
die Berechtigung soldier Bezeichnung gewisse Fesseln und Bindungen zuzugeben scheint
Ohne ein historisches Traktat zu beginnen, wollen wir kurz untersuchen, was es
mit solcher Berechtigung fur eine Bewandtnis hat. In der Entwicklungslinie der Oper
erkennen wir deutlich und eindeutig die Kurve, die — in Deutschland etwa von
Handel bis Wagner und dem jungen Strau£ — aus rein konzertanten Anfangen immer
mehr von der Form- zur Menschengestaltung fiihrt. Anders ausgedriickt: Rezitativ und
Arie, anfanglich ein wirklich aristokratisch.es, scheinbar unzerstorbares Eigenleben auf
dem Theater fiihrend, werden immer mehr zu einem zusammenhangenden Kosmos, der
nacheinander alle Mittel der Biihne riicksichtslos an sich reifit und dessen Gesetze immer
weniger von der musikalischen, iiberlieferten Form des Konzerts, und in immer
steigenden Mafie (wie im Schauspiel) vom „dramatischen" Geschehen und ganz indi-
viduell von dem jeweiligen Typus des zu gestaltenden Menschen bestimmt werden.
Dadurch aber, dafi die Anfange des Schauspiels, die in ihrer geistigen und formalen
Struktur denen der Oper in gewissem Sinne ahneln, von diesen um etwa anderthalb
Jahrtausende getrennt sind, hatte sich das Schauspiel in seiner Sprache, seiner Form,
und seinem Gehalt schon zu individueller Freiheit gelost, als die Oper, gleichsam
nur ein Konzertstiick in Kostum und Maske, noch die ersten Versuche auf den unge-
wohnten Brettern des Theaters machte. Bestand zu diesem Zeitpunkt also die Behaup-
tung zu Recht, die Gesetze des Schauspiels seien denen der Oper art- und wesensfremd,
so gleichen sich nun im Ablauf von anderthalb bis zwei Jahrhunderten (also verhaltnis-
mafiig schnell) die beiden Gattungen der Biihne immer mehr einander an. Es geniige
an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dafi die Oper von heute und wahrscheinlich auch
die von morgen offenbar eine starkere Bindung der Form mit „psychologischer" Ge-
staltung und eine von allem musikalischen Ballast moglichst befreite Verdeutlichung
des Schauspiels versucht. Wir diirfen es also im allgemeinen als widersinnig bezeiclinen,
wenn in den erbitterten Kampfen um heutiges Theater der Oper eine Sonderstellung
zugewiesen wird, die ihr (von den Ausnahmen ihrer Anfange abgesehen) nicht mehr
gebiihrt, und konnen die Frage nach den Griinden der offenbaren Krise des heutigen
DIE OPEH UND DAS OPEBNTHEATER VON MORGEN 589
Operntheaters (die schon beinahe einer Agonie gleichsieht) und seines von angebeteten
Gottern abfallenden Publikums aufwerfen, ohne ein mitleidiges Lacheln iiber den nicht
mehr vollwertigen, nachgeborenen Sprofiling der Schaubiihne ftirchten zu miissen. Denn
dieses Lacheln miifite mit gleichem Recht auch das Schauspiel, vielleicht das Theater
iiberhaupt vernichten. Aber wir diirfen nun behaupten, und wollen in folgendem
versuchen, es zu beweisen, daft es sich viel weniger um eine Krise der Kunstform
Oper, als vielmehr um eine solche der „Betriebsform" Repertoiretheater, also vielmehr
um eine Krise der Reproduktion als um eine der Produktibn handelt
Denn was in den etwa 90 deutschen Operntheatern von heute (die der andern
Lander kenne ich zu wenig) allabendlich an Un-Sinn, Gewissenlosigkeit und in hohlster
Routine erstarrter Betriebsamkeit geleistet wird, davon ahnt der durschnittliche Horer
nur wenig. Er iiberlegt auch wohl nur selten, ob dieser Zustand einer mehr oder
minder gut organisierten „Buhnenindustrie" von jeher bestand, sondern empfindet
lediglich Langeweile und Verstimmung und halt sich fur den verlorenen Abend dadurch
schadlos, dafi er sich iiber die „unm6gliche und unlogische Kunstform der Oper" (als ob
es iiberhaupt eine „logische" Form und Aufierung im Bereich der Kunst geben konnte!)
und iiber ihre Darsteller lustig macht. Der Fachmann aber, der von einer Reise
zuriickkehrt, die ihm den Genufi einiger Opernvorstellungen bescherte, berichtet kopf-
schiittelnd iiber die Unglaublichkeiten, die er zu horen und zu sehen bekam. Aus-
nahmen von dieser Regel sind so selten, dafi sie bei einer allgemeinen Betrachtung der
Lage nicht mitzahlen. Dieser Zustand aber — und das ist das Merkwiirdigste! — wird
von den beteiligten Instanzen: Fachleuten, Publikum und Presse als eine Gegebenheit
angesehen, mit der man sich abzufinden hat. Woher kommt das alles ? Sehen wir
uns die drei Instanzen naher an. Fachleute: also zunachst die Intendanten, Begisseure,
Buhnenbildner, Kapellmeister und Sanger.
Die Intendanten, meist vom Schauspiel kommend, iiberlastet mit der vom
Laien nicht zu erfassenden, nervenzermurbenden Verantwortung fiir den Gesamtbetrieb,
der unter alien Umstanden — gleichgiiltig in welchem Zustand — eine Vorstellung
jeden Abend zu „liefern" hat, in ewiger Sorge um den — oft die Summe von einer
Million Mark jahrlich iiberschreitenden — Etat, eingezwangt zwischen die Scylla ihrer vor-
gesetzten, geldverweigernden Behorde und die Charybdis eines aus hundert Bedurfnissen
und Anspriichen zusammengesetzten Publikums und Mitgliederensembles. Dazu aus
Neigung oder Sparsamkeit sehr oft noch als Begisseure (meist des Schauspiels) mit den
Pflichten eines kiiustlerischen Fiihrers beladen. Dafi bei solchem Tagwerk der obersten
Leiter die Moglichkeit der Sammlung auf wesentliche grofie Ziele des Theaters durch
die dringlichen Aufgaben der Stunde vernichtet werden niufi, bedarf kaum naherer Be-
grixndung. Ich spreche dabei nur von Fuhrern, die durch Leistung und Personlichkeit
durchaus zu ihrem Amt berufen und auserwahlt sind, und erwahne nicht die anderen,
deren kaufmannische Kenntnisse und durch Alter erworbene Erfahruneen ill keiner Weise
von kiinstlerischen und menschlichen Qualitaten geti'ubt werden.
Die Opern-B e g i s s e u r e. Sie kommen entweder von der Literatur oder vom Theater.
Die erst eren sind gefahrlich, weil sie nicht nur oft der Musik fern stehen, sondern vor allem,
weil die chemische ZusammensetzUng des Theaterbluts nicht zu erwerben ist, sondern
unerlafilicher und unersetzliclier Bestandteil der geistigen und sog'ar auch der korperlichen
590 HANS OPPENHEIM
Substanz sein muK. Kommen sie vom Theater, so waren' sie zumeist Sanger oder
Kapellmeister und als solche immerhin mit den musikalischen Grundlagen der aufzu-
fuhrenden Werke — mehr oder minder — vertraut, und Leidtragende (am Krebsiibel
def Regie). Aber auch hier gehen nur einige gang seltene Personlichkeiten — unbe-
lastet von Tradition und Routine (Erzfeinde des jungen Theaters) an den neu zu
erschaffenden, immer wieder einmaligen Kosmos des Kunstwerks heran, sondern sie
setzen (sofern sie nicht einfach auf irgend ein unertragliches Regie-Klischee zuriick-
greifen, das sie irgendwo abgesehen, abgehort, abgeschrieben haben) im besten Falle
ihre eignen Einfalle mosaikartig zu einer szenischen Interpretation der Musik zusammen.
Dazu kommt, dafi gerade dieser Beruf eine Sach- und Menschenkenntnis in idealei'
Harmonie mit allgemein geistigem Weitblick erfordert, wie kaum ein zweiter, und
schon deshalb so selten „Au§erwahlte" entsendet.
Der Biihnenbildner. Ein Beruf, neu geboren aus den — endlich ! - erhohten
geistigen Anforderungen an die Schau- und Horbiihne. Zwei meist feindliche Gruppeii
marschieren hier auf das junge Theater los: die mit der Farbe (und dadurch fast
ilnmer mit der „ulusion") und die mit der Raumgestaltun g arbeitenden Kunstler,
die nur selten Farben- und Raumgefiihl in sich vereinigen. Die Oper von morgen ruft
aber nach einem Maler-Architekten mit — von Hause aus — starkem Gefiihl fiir Ruhnen-
wirksamkeit (eine kaum erlernbare Kunst), mit dem geistigen Horizont fiir Bild —
(Raum-) Werte von Mozart bis Hindemith, mit intensivster Fahigkeit, sich in die In-
tentionen des Regisseurs einzuleben und ihnen Fliigel zu geben. Und was erleben wir
fast iiberall? Museale Schaustiicke, an kleinen Biihnen mit kleinen Mitteln meistens
unendlich lacherlich, an grofien Buhnen mit unverantwortlichen, ja verbrecherischen,
veil sinnlos verschwendeten Geldopfern. erkauft, mehr oder weniger „geschmackvoll",
daftir aber ohne jede Entfaltungsmoglichkeit fur das einzige Subjekt und Objekt der
Biihne: den Darsteller. Nur selten sind diese Biihnenbilder — in engster Zusammen-
arbeit mit dem Regisseur — aus der Atmosphare des Kunstwerks entstanden, diese
steigernd und „verdichtend", sondern sie entstammen meist einer rein aufierlichen Bdd-
Idee, in die nun wohl oder iibel das Kunstwerk und die Inszenierungsarbeit des Spiel-
leiters sich einzuordnen hat. Ein sinnloses Neben- und Gegeneinander, unter dem
Werk, Darsteller und Publikum zu fast gleichen Teilen zu leiden haben.
Der Kapellmeister. Eine umfangreiche Broschure, nur ihm gewidmet, ware
notwendig, urn annahernd umreiCen zu konnen, wie es in diesen Gefilden aussieht.
Was sollte der Kapellmeister sein, und was ist er ? "Welche Verpflichtungen enthalt der
schon beinahe zum Vornamen degradierte Titel: General-Musik-Direktor seiner eigensten
Bedeutung nach ? Der Trager dieses Amtes sollte zunachst eine musikalische Personlichkeit
sein, die durch ihre Kraft und Eigenart befahigt ist, den aus unzahligen musikalischen Indivi-
dualitaten zusammengesetzten Apparat von Solisten, Orchester und Chor als „General"
wifklich zu fiihren. Aber ebenso sehr miifite er ein Padagoge sein, der, aufs Genauste
vertraut mit den technischen Vorbedingungen und Erfordernissen des Orchesterspiels,
des Ghorensembles und der einzelnen Gesangsstimme? dieses polyphone Instrument in
wochenlangen Vorproben zu der Einmaligkeit jeder Auffuhrung einheitlich erziehen
konnte. Seine Dispositionsfahigkeit fiir den Spielplan, die Probenverteilung und die
Schwierigkeiten der richtigen Besetzung der einzelnen Partien, also seine Fahigkeiten
DIE OPER UND DAS OPERNTHEATER VON MORGEN 591
als „Direktor' - miifiten gleichermafien uberzeugend fiir das Ensemble, wie fiir das Publi-
kum sein. Sein geistiger Horizont ein alle Disziplinen des Theaters umfassender, und
schliefilich seine eigene, in alien Feuern erprobte Technik ein unzerbrechliches Steuer
im Wogenkampf der AufFiihrung. Und was ist der Kapellmeister? Sehr oft ein feiner
Musiker ohne die speziellen Erfordernisse des Orchesterfiihrers, ebenso oft ein „manuell"
begabter, „routinierter" Dirigent, ohne das Stilgefiihl fiir die Interpretation von soviel
hunderten, verschiedensten Zeiten, Kulturen und Nationen enstammender Werke. Selten
ein geborener Padagoge. Ebenso selten ein Organisator oder Verwirklicher von Planen,
die einen einheitlichen Kurs des Theaters erkennen lassen. Fast immer aber ein ehr-
geiziger und ausgezeichneter Anwalt der eignen „Karriere".
Der Sanger. Hier beginnt das triibste Kapitel, dessen veraiitwortliche Verfasser
die Konservatorien und die privaten Gesangslehrer sind. Es ist zu oft uber das alles
gesprochen worden, als dafi es notwendig sein sollte, nochmals auf die Ungeheuerlich-
keiten auf diesem Gebiete einzugehen. Aber wer, wie wir, standig mit den bedauerns-
werten Exponenten dieses ahnungslosen Dilettantentums zu tun hat, wer bei jedem
Probesingen sich davon iiberzeugen mufi, dafi von Hunderten noch nicht ein Sanger
den rein technischen Anforderungen dieses Berufes geniigt (in welchem anderen Beruf
ware das moglich ? Schuster und Schneider wurden nach einem Tage entlassen ; der
Sanger kommt mit lebenslanglichem Kontrakt und einer Riickversicherung gegen iiber-
fliissige Proben an ein grofies Landestheater), dafi von Tausenden niclit einer Gefiihl
fiir die Architektur einer Phrase hat, und kaum jemals einer den geistigen Inhalt des
vorzutragenden Werkes erschopft, der hat erkannt, dafi dieses Ubel an der Wurzel aus-
gerottet werden miifite, wenn es je eine Erneuerung der Oper geben soil. Als ob es
mit dem r sogenannten „schonen Material" getan, als ob das nicht nur selbstverstandlichste
Vorbedingung zu allem anderen ware ! (Ist der Besitzer eines schonen Bechsteinflugels
schon ein Pianist?) Wie wenige von den Tausenden von Schulern, die alljahrlich nach
— in bestem Falle — dreijahrigem Studium auf die deutschen Theater losgelassen
werden, ist im Ursinn des Wortes „musutalisch", wer ist zu geistigem Ausdruck begabt
wer vor allem auch zu korperlichem ? Wer bringt die sprachlichen Vorbedingungen
dieses Berufs mit? Soil ich noch weiter fragen ? Es ist ein bodenloser Abgrund, dem
die Nebel und Diinste unseres Kunstklimas entsteigen.
Und sicli iiber das Publikum und seine beglaubigten Vertreter, die Presse ver-
breiten, jene namenlose Masse, fiir die wir arbeiten, denen wir Eindrucke, Anregungen,
Erlebnisse vermitteln mochten, und die auch meist den geschilderten Zustand fiir
den naturgegebenen und kunstentsprechenden halten miissen, weil sie Besseres zu selten
kennen lernen. Welche Vorbedingungen zum Geniefien und Urteilen werden aber von
dieser Seite mitgebracht? Nicht viel mehr als das Kapital der Gewohnheit, dessen
Zinsen von ihnen einige Male im Monat, miide von den Forderungen des Tages und
unfahig zu geistiger Mitarbeit am Abend, genossen werden wollen. Uberfiittert von der
lacherlichen, als soldier schon kunstwidrigen Uberfiille des Gebotenen. mit den Gedanken
bei allem, nur nicht bei uns (man belausche Pausengesprache in Arnstadt oder Berlin),
unbescheiden und unberechtigt zur Kritik. Bleiben wir an diesem Punkte stehen und
fragen zunachst, warum es sich die Kunst (und die Politik!) von jeher gefallen lassen
mufite, von alien mehr verstanden zu werden, als gerade von denen, die sich ein Leben
592 HANS OPPENHEIM
lang Tag fur Tag mit ihr beschaftigen ? "Waram urteilt Publikum und Presse nicht
ebenso leichtfertig iiber den Wert einer Operation, wie iiber den einer Komposition,
einer Auffiihrung? — Glauben Sie ernsthaft, von der Kunst mehr zu verstehen, als von
der Wissenschaft, mehr Verstandnis fiir Musik und Theater zu haben, weil Sie als Kind
vierhandig (falsch) Klavier und an Geburtstagen oder Polterabenden vor entziickten
Eltern und Verwandten .,Theater" spielten? Die Noten lesen zu konnen, heifit doch
wohl nicht viel mehr, als die Farben mit Namen zu kennen. Glauben Sie des-
wegen, ein Urteil iiber ein Bild zu haben ? Die Kunst scheint mir in ihrem Ursinn
durchaus nicht vogelfrei, sondern verlangt, auch vom empfangenden Menschen, statt vor-
eiligen und unsachlichen Urteils, fortgesetztes, ernsthaftes Studium und liebevolle Be-
obachtung unsrer Arbeit, wenn diese auf fruchtbaren Boden zu fallen hoffen darf. Aber
wie wenige von unseren Horern versuchen immer wieder, sich mit dem Kunstwerk
und seinem unendlich verzweigten und empfindlichen Organismus auseinanderzusetzen,
Beziehungen zu seiner Urmvelt und seiner Zeit zu suchen, kurz: lebendig zu bleiben?
Eine der schwierigsten Aufgaben der Biihne ist es ja gerade, die richtige Spannung
zwischen Umwelt und Zeit der Entstehung eines Werkes und Umwelt und Zeit seiner
Darstellung zu erfiihlen. Diese — also taglich neu zu losende — Aufgabe kann nie-
mals dem Urteil der Wissenschaft, sondern immer nur der Kritik des kiinstlerisch
empfindenden und geschulten Menschen unterstehen. Wahrend aber eine Welt, wie nie
zuvor durch Telephon, Telegraph, Auto, Flugzeug, Badio verbunden, im Begriff ist, in
ungeheuren Katastrophen und Erschiitterungen seine Geschichte einheitlich zu andern,
wollen Sie die Oper angstlich behiiten, als wenn sie ein Reliquienschrank ware. Unser
Ohr, fahig geworden, den Larm von tausend Gerauschen der Strafie, der Luft zu ertragen,
ja zu iiberhoren, empfindet die Partituren des Lohengrin und Tristan, die von ihrer
Zeit teilweise als „hohere Katzenmusik" abgelehnt wurden, als reinsten und unschwer
zu erfassenden Wohlldang. Dieselben Entwicklungsmoglichkeiten miissen Sie auch der
Darstellung einer Oper in all ihren Teilen zugestehen.
Statt dafi das Theater, wenn schon nicht als geistiger Fiihrer, so doch als em-
pfindlichster Magnet auf alle Veranderungen des Weltbildes und Weltgefiihls reagierte,
verlangen Sie, dafi gerade die Schaubiihne (die sich, wie wir eingangs zu klaren suchten,
nicht wesentlich mehr von der „Horbuhne" unterscheidet) Ihnen mumienhaft die „gute,
alte Zeit" konserviert. Wir erleben eine allgemeine europaische Kulturkrise, und nur
das Theater bemiiht sich, durch Tednahmslosigkeit zu ersetzen, was es nur durch
Vitalitat retten konnte. Die immer empfindlicher werdende Trennung von Kultur- und
Lebensgefuhl, das ehedem ein untrennbares Ganze war, iniifite endlich auch dem Theater
klar machen, dafi es auf verlorenem Posten kampft, wenn es nicht mit feinstem Ver-
standnis fiir alle Zeitschwingungen synthetisch und ewig wandelbar zu vermitteln sucht.
Natiirlich ist es nicht damit getan, dafi jede Biihne unvorbereitet und unvorbereitend
„Jonny" in ihren Spiel plan aufnimmt, oder dafi man Wagner auf irgend eine sinnlose
Stilbiihne zerrt. Aber das lacherliche und vollig unberechtigte Scheinleben, dafi das
Theater und besonders die Oper heutzutage fiihrt, sollte entweder schnell und radikal
vernichtet werden (statt in qualvoller, langsamer Agonie unproduktiv dahinsiechen),
oder es miifite so iiberraschend zum wirklichen Leben erwachen, dafi es vor unserem
Gewissen bestehen, unsere Lebenskraft erhohen konnte, dafi es uns wirklicher Schauplatz
DIE OPER UND DAS OPERNTHEATER VON MORGEN 593
unserer Kampfe (nicht der unserer Vorfahren) und Fanal, nicht Museum oder Raritaten-
kabinett wiirde. Sagen Sie, dafi man dann neue Werke schreiben, aber die alten unan-
getastet lassen solle, so antworten wir, dafi Sie mit soldier Forderung beweisen, den
tiefsten Sinn alles wahrhaften Komodiantentums verhangnisvoll falsch zu deuten, jenes
Komodiantentums, fur das und im Vertrauen auf das Mozart und Shakespeare Unsterb-
liches, dafi heifit sich mit alien Zeiten Wandelndes, geschrieben haben. Zu solchem
endlichen Erwachen der Oper wiirde gehoren, dafi der Spielplan zunachst von alien
Werken gesaubert wird, die keine Beziehung zu unserem Denken und Fiihlen haben,
(die aber trotzdem in spaterer Zeit vielleicht ehrenvolle Auferstehung feiern !), mehr noch, dafi
der innere und aufiere Darstellungsstil den Rhythmus, die Form und die Farbe des
uns umgebenden Weltbildes widerspiegelt. Das mufi umso eindringlicher verlangt
werden, als unsere Generation offenbar nicht dazu bestimmt ist, in Ruhe die Friichte
einer bestehenden Kultur zu verzehren, sondern unter Schmerzen eine neue zu gebaren.
Wollen Sie es wirklich dem Theater verubeln, wenn es sich heute aus Ekel vor dem
Uberrealismus ungekonnter, verkitschter Riihnenbilder vor jedem Wettlauf mit der von
Ihnen so sehr ersehnten Wirldichkeit zuriickzieht, und Raume erfindet, in denen seine
Gestalten atmen. wirken, zu einander streben und sich bekiimpfen konnen ? Der
Hafi, mit dem solche Versuche allerorten bekampft werden, ist typisch fiir die
panische Angst des Burgers, ihm leicht verstandliche, weil ererbte Horizonte verlassen
und sich durch eigne Kraft und Erkenntnis in neuen Provinzen ansiedeln zu miissen.
Was eben von der Reproduktion gesagt wurde, gilt natiirlich im gleichen Sinne
von der Produktion. Wollen Sie wirklich unsere Dichter, unsere Komponisten dazu
verdammen, unsere ewig gleichen Gefiihle mit denselben Worten, denselben Mitteln
auszudriicken, wie unsere Grofimiitter ? Haben unsere Liebesbriefe — der einzige Bezirk,
in dem alle Menschen kunstlerisch schopferisch sind, noch irgendwelche Ahnlichkeit
mit denen unserer Grofivater? Und es miifite doch selbstverstandlich sein, dafi die
Kunst, besonders die des Theaters, immer in engster Blutsverwandschaft zum Leben,
zur Zeit, steht, denn sonst ware sie tot und „Wissenschaft" geworden. Und diese Zeit
wird doch nie von der „Menschheit", also von Ihnen, gemacht, sondern immer nur von
einigen auserwahlten Fiihrern ! Wir sind ja auch niemals starker, als die Zeit, die un-
beirrt um unsere Zustimmung oder Ablehnung ihren Weg geht Deshalb ist es zum
mindesten Selbsterhaltungspflicht, sich mit der Zeit auseinanderzusetzen. Und die Arena
dieser Auseinandersetzung so lite das Theater sein.
Binsenwahrheiten ? Vielleicht. Und doch miissen sie wohl immer wieder ausge-
sprochen werden, bis — ja bis eines Tages die grofie Opernrevolution ausgebrochen
und bis das Theater und das Publikum von morgen aus den Trummern des Gestern
und Heute entstanden ist.
Ich habe angedeutet, was auf beiden Seiten nicht sein sollte, und darf nun noch
kurz — da das Meiste sich aus dem Gesagten von selbst ergibt — hinzufiigen, was
(meiner Meinung nach) sein sollte. Die Voraussetzungen sind, wie ich zu zeigen versucht
habe, die schwierigsten, die Folgerungen die einfachsten.
Wir sahen, wie ungeheuer die Anforderungen sind, die an die Verantwortlichen
und die Ausfiihrenden der Oper gestellt werden miissen : an den Intendanten, Regisseur,
Kapellmeister, Biihnenbildner und Sanger (um hier die beiden Fundamente des Or-
594 ANDRE COEUROY
ehesters und Chors gar nicht zu erwahnen, denen eine eigne Betrachtung gewidmet
werden imifite). Es ergibt sich daraus und aus der taglichen Erfahrung die klare
Folgerung, dafi es eine solche Fulle hochstehender und umfassender Personlichkeiten
garnicht geben kann, wie sie der augenblickliche „Betrieb" von neunzig (!) deutschen
Operntheatern erfordert. Es kommt als wesentliches und selten beachtetes Moment
hinzu, dafi das (unbedingt zu fordernde!) ideale kiinstlerische Ergebnis nur durch die
harmonischste, vom gleichen Hafen auf gleiche Ziele steuernde Zusammenarbeit dieser
Faktoren: Intendant, Regisseur, Buhnenbildner, Kapellmeister und Sanger zu erreichen
ware. Ich frage deshalb :
1st es wirklich notwendig, dafi die Mehrzahl aller deutschen Operntheater durch
den sinnlosen, in keinem Verhaltnis zum Ergebnis stehenden „Betrieb" gezwungen wird,
alljahrlich nach unzureichendsten Proben zwanzig bis dreifiig Opern in Karikaturen
herauszustellen ?
1st es wirklich notwendig, dafi Staat und StiLdte ungezahlte Millionen auf diesem
verlogenen, angeblichen Kulturaltar opfern ?
1st es wirklich notwendig, dafi ein bildungsfahiges Publikum von etwa 30 Milli-
onen Deutschen durch Ubersattigung diese Statte, die ehedem ein Volk zur Feier sam-
melte, meidet, verachtet oder zum Zeitvertreib erniedrigt ?
Ware es nicht^ rich tiger und schoner, sparsamer und wesentlicher, wenn Deutsch-
land (wie die anderen Lander ! ) * nur wenige Operntheater hatte ? Und wenn diese
Theater eine Auswahl der besten Fiihrer und Mannschaften garantierte? Wenn diesen
Theatern alle Mittel zu tiefster umfassendster Vorarbeit zur Verftigung gestellt wurden ?
Sodafi sie auch alle Mitarbeiter (und nicht nur die „prominenten", ein en Begriff, den
es dann nicht mehr geben wird) menschenwurdig bezahlen konnten ? Wenn diese The-
ater — wandernd — mit einigen wenigen, aber bis ins Letzte durchgearbeiteten Opern
die Menschen wirklich begliicken und ihnen einige Male im Jahr ein wirkliches Fest
bereiten wurden?
Und wenn dieser Traum eines kommenden Operntheaters zu verwirklichen ware,
wiirde man erkennen: Die Oper ist nicht tot, sondern sie hat noch kaum begonnen,
zu leben !
AUSLAND
Andre Coeuroy (Paris)
ENTWICKLUNG DER NEUEREN FRANZOSISCHEN SCHULE
1.
Mit dem Auftreten von Franck und Wagner verlor die franzosische Musik, die
eines Gounod, eines Bizet, ihre Autonomic Sie gewann sie wieder dank kiihnen Pio-
nieren, lauter Erfindern von Neologismen, unter denen Debussy den Ruhm geerntet hat.
Da ist Faure, der an Gounod ankniipft, Chabrier, der sich auf Bizet bezieht, Duparc,
Lalo und der allzu grundlich vergessene Chausson; ihm hat der francko-wagnerische
Begeisterungstaumel nie die Klarheit und Subtilitat seiner Schreibweise mit den vor-
ENTWICKLUNG DER NEUEREN FRANZOSISCHEN SjCBU.L'E 595
debussystischen Nonen verdunkeln konnen, die aus den Liedern des Jahres 1882 spricht:
die aufierordentliche Geschmeidigkeit seines Satzes wird spater bei Faure auftauchen,
diese Fiihrung der Modidationen, weniger gemafi der musikalischen Logik als vielmehr
eingegeben von der Eigenart der Bilder, die der Text oder eine vorgestellte Farbe sug-
geriert hat, wird man bei Debussy wiederfinden.
Die franzosische Schule ist eine Palette, auf der ein jeder seine eigene Farbe ein-
tragt. Und jeder, fur sich genommen, widerlegt die anderen. Man empfindet es, urn
die Wahrheit zu sagen, als etwas aufreizend, inimer nur von .,unserem Claude", von
j,Claude de France", „von dem franzosischen Musiker" reden zu horen. Aber alle anderen ge-
horen ebenfalls zu Frankreich, mit ebenso tiefer Berechtigung, nur unter einem anderen
Gesichtspunkt, mag es sich nun um Vincent d'Indy oder Saint-Saens handeln. Gerade
das ist die Grofie der franzosischen Schule, dafi sie sich nicht einem einzigen Menschen
zuordnen lafit. Und auch das ist ein Zeichen von Grofie, dafi sie individuell und
aristokratisch genug ist, um vor dem Ansturm der Eindringlinge ihre Selbststandigkeit
zu bewahren. Betrachten wir die „Gwendoline" von Chabrier. Sie ist entstanden in
den heroischen Zeiten des Wagnertums, und zwar eines Wagnertums, das sich noch
mehr im Literarischen als im Musikalischen kundgab. Jenseits der Wickinger, der
nordisclien Sagas, jenseits der Krieger aus Walhall und der schonen blonden Madchen
mit den langen Flechten gab es kein Heil fur die Operndichtung. Das dem Musiker
vorgelegte Libretto war tragisch und vielfarbig; man sah darin, nach den feststehenden
Gewohnheiten der Operndramaturgie, die Ensembles, Duette, Rezitative abwechseln (in
der Verfuhrungsszene des wilden Harold durch die zarte Skandinavierin) mit einem
Seitenblick auf die komische Oper, der unweigerlich, trotz der grofiartigen Anlage des
Textbuches, denken lafit an eine der auf boshafte Weise sehr poetischen Partiturseiten
des Claude Terrasse in seinen „Travaux d'Hercule".
Es ist durchaus kein Sakrileg, neben Gwendoline den Namen eines Meisters der
franzosischen leichten Musik zu nennen. Chabrier ist vom gleichen Stamme, hier eben-
so gut wie im „Roi malgre lui". Heute, da der wagnerische Horizont sich geklart hat
und wir, um ihn zu betrachten, seinem Nebel entronnen sind, mufi man staunen, dafi
die Zeitgenossen der Urauffuhrung die Musik der Gwendoline einzig auf die Rechnung
Wagners gesetzt haben. Einige Formeln erschopfen noch nicht ein Werk, die Kutte macht
nicht den Monch. Gwendoline ist eher mit Carmen verwandt als mit Tristan. In
manchen Augenblicken bricht eine fast naive Heiterkeit aus. und liberall weht, mitten
unter diesen blutdxirstigen Nordlandern, der starke Wind des Mittelmeeres.
Roland-Manuel schrieb einmal: „Es scheint nicht, dafi man hinlanglich die Be-
deutung dieses Jahres 1887 erkannt hat, welches entstehen sah den „Roi malgi'e lui"
von Chabrier, das „Requiem" von Faure, die „Demoiselle Elue" von Debussy, nicht zu
vergessen ein wichtiges und trotz seiner Winzigkeit folgenschweres Werk: die Sarabanden
von Eric Satie." Die Nachahmung Wagners und Francks sind bereits nur noch Luft-
spiegelungen auf dem Wege der franzosischen Musik. Trotz Wagner und trbtzFranck
leben, und werden leben, die sevennische Sinfonie und die grofien Werke eines d'Indy.
Was die Schule der Schola Cantorum rettet, das ist die Wiederbesinnung auf die Stimmen
der Stamme; d'Indy hat sich der Lieder des Vivarais entsonnen, Ropartz oder Le Flem
der bretonischen Gesange, Deodat de Severac hat die Melodien des Languedoc, Char-
596 ANDRE COEUROY
les Bordes die des Baskenlandes aufgesucht. Aber rettend wirkt auch die Wieder-
besinnung auf den gregorianischen Choral, der die wahre Volkskunst der Franzosen ist;
es fallt nicht schwer, seine Spuren bei Satie und Ravel bis bin zu Poulenc und Milhaud
zu finden. Die franzosische Musik wieder mit der mittelalterlichen Polyphonie verkniipft
zu haben, das wird der schonste Ruhmestitel der Schola bleiben. Seit mehr als einem
halben Jahrhundert ist es das Bestreben der franzosischen Musik, eine moderne Lehre
in der Vergangenheit zu verankern. Erneuerung in den Grenzen der Tradition: diese
so typisch franzosische Haltung ist auch die Haltung F a u r e s. Er war der prophetische
Musiker. Nicht ein stiirmischer Prophet in dem Sinne, wie Berlioz zu sein sich er-
traumte, sondern ein in sich gefestigter und friedlicher Vorlaufer, der, mitten im heftigsten
Ausbruch des Wagnertums, die harmonische Sprache von morgen schrieb und zwanzig
Jahre vor Debussy die Syntax des neuen Jahrhunderts vorausahnte. Aber wenn er auch
eine Grammatik schuf, so belebte er doch vor allem einen Geist: den abgeschiedenen
Geist unserer Clavecinisten und den unserer Renaissancemeister. Zeitgenosse von
Wagner und Franck, drehte er der Beredsamkeit ohne viel Gerausch den Hals um;
Verlaine fand in ihm das einzige Echo, das er sich wiirdiger Weise wiinschen konnte.
Die Besten unter den Heutigen verdanken ihm ihr Bestes: ihre eigene Personlichkeit,
die unter seinen zarten Handen sich entfalten durfte. Seine iiberlegene Reinheit, sein
feiner Sensualismus, seine Personlichkeit, die tiefer ist als es zunachst den Anschein hat,
seine Absage an das Dogma haben ihn daran gehindert, die Gunst des Auslandes ?u
erringen. Saint-Saens war Klassiker, aber er bediente sich der von der grofien ger-
manischen Sinfonie herstammenden Sprache. Faure war Klassiker, aber er redete die
eigene Sprache, unverstandlich fur den, der sie nicht von Geburt an spricht. Man muS
das im Hinblick auf seinen Ruhm beklagen; bedenkt man jedoch, in welchem Grade
ihm Bewunderung gezollt wird, so darf man sich dariiber freuen.
Sein Kennzeichen? Es ist dies: Zeuge der Romantik, des Wagnertums, des
Franckismus, der Debussy-Zeit gewesen zu sein, ohne im geringsten Ziige der Romantik,
Wagners, Francks oder Debussys angenommen zu haben. Seine Musik, „faureisch" von
Anfang an, will nicht, wie man komischer Weise heutzutage den Jungen vorwirft, um
jeden Preis genial sein, aber sie versteht es (hochste Schonheit der Kunst!) in jedem
Augenblick nur das Wesentliche auszudrucken. Sie mifitraut der Literatur: man er-
kennt das an der zuriicktretenden Rolle der Titel; wenn diesen einmal eine gewisse
Wichtigkeit beigelegt wird, ist die Musik schwa ch, wie in jenem Stuck fiir Harfe solo,
das „Une chatelaine en sa tour" benannt ist. Wenn Faure das franzosische Lied er-
neuert hat, so dadurch, dafi er Beschreibung und Philosophie verschmahte. Was er an
Tiefe gewinnt, verliert er keineswegs an Ausstrahlung. Obwohl er sich nie als chef
d'ecole aufgespielt hat, wurde er doch bestimmend fur die Orientierung der franzosischen
Musik; man bedenke, dafi er Ravel, Florent Schmitt, Koechlin, Aubert, Ladmirault,
Roger-Ducasse herangebildet hat. Auch ist ihm aufrichtige Verehrung der jungen Schule,
der Auric, Poulenc, MUhaud zuteil geworden.
Es war die geniale Leistung Debussys, dafi er mit einem Schlage das Genie Faures
erweiterte, indem er der Musik alle' Tore des Gedankens offnete. Einer der Zeitgenossen
seiner Revolution" hat von dieser gesagt, sie habe eine „offensichtliche Eroberung be-
deutet, nicht nur auf dem Gebiet der Asthetik, sondern gleicher Weise auf dem der
ENTWICKLUNG DER NEUEREN FRANZDSISCHEN SCHULE 597
Philosophic, der Religion und der Moral". Es war der Kampf gegen den Spiritualismus
eines Franck, der Sieg eines poetischen Pantheismus. Debussy war zwar zu allererst
Musiker, aber er war doch auch Pflegekind aller Musen und Diener der sinnlichen
Empfindung. Der Debussyismus war in der Tat etwas ganz anderes als nur die Ein-
fiigung einiger neuen Formeln in die musikalische Syntax, die, wie alle Formeln, bereits
veraltet sind und die einzig ein paar unentwegte Schiller ubernommen haben. Der
Zauber Debussys lag, fur die Musiker, in der Erweckung einer neuen Art, zu fiihlen
und die Dinge zu begreifen. Man nennt ihn einen Impressionisten. Man hat Unrecht,
was die Elemente und die Struktur seiner Musik angeht (abgesehen von Nuages,
Estampes, Images und dem grofiten Teil der Praludien). Aber man hat Recht im Hin-
blick auf die tiefere Seelenverfassung des Kiinstlers, die bedeutsamer ist als seine Gram-
matik. Wenn „Pelleas et Melisande" (1902) eines der grflfiten Daten des musikalischen
Dramas darstellt, so belegt er ein noch wichtigeres Datum fur die gesamte franzosische
Empfindungsweise. Das ist der Grund, weshalb in den Augen der Auslander Debussy
allein die Inkarnation des musikalischen Geistes im zeitgenossischen Frankreich repra-
sentiert; mit ihm wird alle wertvolle moderne franzosische Musik geboren; von ihm
ist die gesamte altere Harmonie verjiingt word en. „Zuviel Zierrat", hat man gesagt;
aber Verlaine hatte, mit Riicksicht auf solche Urteile, „die Nuance vor allem anderen"
gefordert. Jedoch die Nuancen schwachen sich in der Entfernung ab : gewisse Kritiker
der Balkanlander stellen die Parnassiens und die Symbolisten unter die gleiche Rubrik
und nennen, wenn sie die Reformatoren der Harmonik herzahlen, in einem Atem Ravel
und Fanelli. Debussy als der aufierordentliche Schopfer des Pelleas sollte jenen anderen
Debussy nicht verbergen, der Charles d'Orleans mit seinen Chansons de France, Villon
mit den Trois Ballades, Tristan l'Hermitte mit dem „Promenoir des deux Amants" herauf-
beschworen und die Renaissance wiedererweckt hat. Debussy sollte als Zeitgenosse von
Mallarme nicht den anderen Debussy, den geistigen Abkommling des Rameau und
unserer Clavecinisten verdunkeln, der 1913 (in den S. I. M.) schrieb: „Reinigen. wir
unsere Musik,. bemiihen wir uns, sie von Kongestionen zu befreien. versuchen wir, zu
einer nackteren Musik zu gelangen! Hiiten wir uns, die Bewegung ersticken zu lassen
unter dem Wust von Motiven und von aufgezwungenen Mustern. "Wie konnten wir
die Bliite und die Starke der Musik wiedergewinnen, wenn wir das Vorurteil so vieler
technischer Details konservieren, wenn wir die unmogliche Lehre von dem wimmelnden
Schwann der kleinen Themen aufrecht erhalten, die sich hin- und herstofien und sich
gegenseitig nacheilen, um schliefilich auf das arme Gefiihl zu stiirzen, das alsbald sein
Heil in der Flucht sucht. Es ist eine allgemeine Regel: stets wenn man daran geht,
eine Form oder ein Gefiihl zu komplizieren, geschieht es deshalb, weil man nicht mehr
weifi, was man sagen will". ')
(Deutsche Ubertragung von Hanns Gutman)
') Der Aufsatz wird fortgesetzl.
598 MELOSKRITIK
MELOSKRITIK
Die neue, hier angestrebte Form der Kritik beruht darauf, dafi
sie von mehrereu ausgeiibt \Vird. Dadurch soil ihre Wertung von
alien Zufalligkeiten und Hemmungen abgelost werden, denen der
Einzelne ausgesetzt ist. Langsam gewonnene, gemeinsame Formu-
lierung, aus gleicher Gesinnung entstanden, erstrebt einen hoheren
Grad von Verbindlichkeit. So ist jede der vorgelegten Bespre-
chungen ein Produkt gemeinsamer Arbeit der Unterzeichneten.
I.
ZUR SOZIOLOGIE DER MUSIK
l.
Wenn man sich heute mit Musik beschaftigt, gerat man zwangliiufig an Fragen-
kreise, die uber den engeren Bereich des Musikalischen hinausweisen. Denn gerade in
unserer Zeit ist das Verhaltnis zwischen dem Kunstwerk und denen, an die es sich
wendet, fliefiend geworden. Es war etwa ein Jahrhundert lang an bestimmte Kon-
yentionen gebunden. Diese Lage bezeicbnet der Typus ernes Beethovenschen Aka-
demiekonzerts, fur das jedermann sich (im Gegensatz zu der friiheren hofischen Musik-
pflege) den Eintritt erkaufen konnte. Das war eine mittelbare Auswirkung der damals
neuen demokratischen Idee. Die gleiche Idee erfafit in unserer Zeit einen weit grofieren
Kreis von Menschen. Eine neue Schichtung der Klassen macht es notwendig, die Frage
iiach dem Verhaltnis zwischen der Kunst und ihren Verbrauchern neu zu formulieren.
Wir sehen in den Organisationen und Erscheinungsformen des Musikbetriebs ein ver-
wirrendes Durcheinander. Neben dem alteingesessenen Abonnentenpublikum in Konzert
und Oper stehen die Organisationen der Volksbiihnenbewegung. Von der einen Seite
her sucht der Arbeitersangerbund, von einer andern die Jugendmusikbewegung, aus
aktiver musikalischer Betatigung zu einer Erneuerung zu gelangen. Der schafFende
Musiker drangt aus seiner Isoliertheit heraus; er erstrebt mit neuen Ausdrucksmitteln
Kontakt mit einem unverbrauchten, durch Bildung unbelasteten Publikum.
Denn die scheinbar so triviale Frage des Publikums rtickt jetzt in den Mittelpunkt
einer brennenden Prpblemstellung. Durch die sozialen Umschichtungen der letzten zehn
Jahre kommen ganz neue Kreise von Menschen mit Musik in Beriihrimg. Von dieser
Perspektive aus entstehen drei Typen. Zum ersten gehort das Publikum, das, getragen
durch die Volksbiihnenbewegung, in das Parkett der Operntheater einriickt. Man gibt
ihm ohne Bedenken das iibliche Repertoire, in dem unaktive Auffiihrungen der
Klassiker und neuere Epigonenmusik vorherrschen. Den zweiten Typus finden wir vor
allem in den Sangerbiinden der Arbeiterbewegung. Hier gelangen Menschen zum prak-
tischen Musizieren, die der Musik von sich aus zunachst fern standen. Auch sie gleiten
in den Stoffkreis der Liedertafeln und Mannerchore hinein. Ein dritter Typus scheint
iiberhaupt aufierhalb der Musik zu stehen. Es ist der „Mensch unserer Zeit", dessen
Interessen sich in Technik und Sport erschflpfen, der bestenfalls Musik im Radio oder
durch das Grammophon konsumiert.
Die Entwicklung der neuen Musik schien diesen soziologischen Tatsachen zuerst
in keiner Weise zu entspreclien, sich sogar in Widerspruch zu ihnen zu stellen. Musik,
wie sie etwa aus dem Kreise Schonbergs kam, ist iiberspitzter Individualismus, schon
MELOSKRITIK 599
durcli ihre Sprache nur wenigen Eingeweihten zuganglich. Eine solche Luxusmusik
widersetzt sich mit bewufiter Betonung jeder Gemeinschaftsbildung.
Diese im Wesen resignierende Musik wird durch eine andere, jiingere verdrangt,
die wieder den Weg zur Allgemeinheit sucht. Sie findet in der Oper sehr friih eigen-
willige und personliche Formulierungen, im Konzert auf einer anderen l^bene
neue Wirkungsmoglichkeiten. Daneben erscheinen vereinzelte Ansatze, Musik einem
soziologischen Zweck einzuordnen. Hier steht ein Werk wie die Dreigrosclienoper von
Brecht und Weill, andrerseits die Musik, die Hindemith „fiir Liebhaber und Musikfreunde"
schreibt und die zu der Wiederlebung alter Polyphonie durch die Jugendmusikbewegung
in Beziehung zu setzen ist.
Es entstehen folgende drei Fragen, die ungefahr den vorher gekennzeichneten
Typen entsprechen. Ist es notwendig, dafi die neuen Horerschichten den Weg der Ent-
wicklung mit aUen Irrtumern und fruchtlosen Umwegen hocheinmal gehen ? Gibt es
neue Inhalte, welche an die Stelle der alten treten konnen ? Wie weit ist es nicht
iiberhaupt eine irrige Voraussetzung, dafi der heutige Mensch mit Musik, mit Kunst im
allgemeinen, etwas zu tun haben mufi? Wir wollen versuchen, ohne Anspruch auf
irgend eine Vollstandigkeit, zu diesen Fragen Stellung zu nehmen.
2.
Ehe wir dazu kommen, bestimmte Forderungen aufzustellen, wollen wir an dem
besonders augenfalligen Beispiel der Oper die soziologische Sti'uktur unseres Musiklebens
betrachten. Der durchschnittliche heutige Opernbesucher verlangt noch immer nichts
als schone Stimmen, angenehme sinnliche Eindriicke, stoffliche Beizwirkungen und eine
aufiere Dramatik in Geste und Bild. Diese Situation hat sich dadurch nicht im ge-
ringsten geandert, dafi der Zustrom des Publikums aufierordentlich anwuchs. Im
Gegenteil: die neuen Horerorganisationen, die zu dem alten Publikum hinzutraten,
stellen an die Oper noch geringere Anforderungen als dieses. Denn es fehlen ihnen
sowohl die Tradition eines ganzen Jahrhunderts, wie auch die geistigen Vorbedingungen,
die auf der andern Seite, wenn auch verwassert, docli noch spiirbar sind.
Die Erwartung, dafi hier eine unvoreingenommene, fur alle starken, neuen Ein-
driicke aufnahmefahige Horerschaft entstande, hat sich nicht erfullt. Denn das Hin-
streben zu der scheinbaren Bildungshohe der alten Stammsitzinhaber und zugleich die
naive Hingabe an das Stoffliche lafit sie willenlos in die unsaubere Kunstanschauung
der andern hinubergleiten. So ist ihre Einstellung zur Oper in erster Linie durcli
deren narkotische und dekorative Wirkungen bestimmt. Und ein echter und primitiver
Theatereindruck wie Strawinskys ,.Geschichte vom Soldaten" wird von ihnen abgelehnt,
weil es ihnen unterhalb dieses vermeintlichen Bildungsniveaus zu liegen scheint.
Diese Tatsache zeigt, dafi hier etwas schief ist. Nur ein vorsichtig wagender
und fiihrender Spielplan konnte das Publikum allmahlich auf eine reinere und sach-
licbere Basis stellen. Ein soldier Spielplan miifite einige in diesem Sinne gefahrliche Zonen
der Oper bewufit ausschalten. Das veristische Musikdrama miifite fallen, die neuroman-
tische Oper auf ihren Lebendigkeitswert hin sorgfiiltig gepriift werden. Vor allem
miifiten die Auffiihrungen selbst ebenso sehr von dem iiblich gewordenen verschmierten
Pathos gereinigt werden wie von ihrem unechten provinziellen Naturalismus. Dieser
Weg wird von einigen zielbewufiten Fiihi-erii beschritten. Und wenn gerade solche
600 MELOSKRITIK
positiven Versuche boykottiert und die ausgetretenen Repertoireauffuhrungen ostentativ
bevorzugt werden, dann entsteht allerdings die Frage, wie weit die bestehenden Formen
der Oper uberhaupt noch in Beziehung zu der Aktivitat und Diesseitigkeit des heutigen
Lebens gesetzt werden konnen.
Ausblicke ergeben sich nach zwei Seiten. Einmal wird die grofie representative
Oper als gesellschaftlicbes Ereignis weiterbestehen, zu dem sich aucb der Volksbuhnen-
horer langsam emporbildet Daneben werden vereinzelte Ansatze sichtbar, den Begriff
Oper auf einer vollig neuen soziologischen Basis zu formulieren. Hier stent die „Drei-
groschenoper" von Brecht und Weill, wichtiger vielleicht als S) r mptom, denn als Kunst-
werk. Damit ist der Ausgangspunkt fur eine eingehendere stilistische Untersuchung
dieses Stiickes gegeben. ') Hans Mersmann, Hans Schultze-Ritter
und Heinrich Strobel
II.
Im Rahnien der MELOSKRITIK werden audi Besprechungen
durch einzelne Personlichkeiten vorgenommen, die von der Werk-
besprechungskommission urn Bearbeitung eines bestimmten Gebiets
, gebeten wurden.
ANDRE COEUROY:
PANORAMA DE LA MUSIQUE GONTEMPORAINE
Dies Buch des Franzosen Andre Coeuroy ist fur den deutschen Leser von Interesse
nicht so sehr wegen besonders tiefdringender und origineller Erkenntnisse iiber das
Wesen zeitgenossischer Musik als vielmehr durcli eine ganz anders gerichtete Einstellung
zu ihren Erscbeinungsformen. Die Verschiedenheit der Nationalitat bedingt eine Ver-
schiebung des Blickpunktes, durcli welcbe. vieles eine neue und uberraschende Beleuch-
tung erhalt. Das zeigt sich schon in der Art der Problemstellung und in der Wahl
des Ausgangspunktes.
Musik ist fur Coeuroy ganz im Sinne einer literarisch-rationalistischen Musik-
asthetik, wie sie in Frankreich stets heimisch war, eine Sprache, und deshalb vor allem
national. Bisher beherrschten Deutschland, Frankreich und Italien den Charakter der
gesamten abendlandischen Musik, aber jetzt sucht jede, auch die kleinste Nation, durch
Erforschung und Bearbeitung ihres musikalischen Volksgutes zu einer eigenen nationalen
Musik zu gelangen. Sadie der kunstlerischen Potenz ist es, aus diesem Rohmaterial
eine adaquate Form zu entwickeln und so einen autonomen Stil zu schaffen. Es folgt
nun eine durch die Fidle des beigebrachten Stoffes fesselnde Ubersicht iiber die Be-
muhungen dieser Lander um eine nationale Kunst. Hier nimnit der Verfasser gelegent-
lich gar zu rasch den Willen fiir die Tat und sieht Erfolge, wo erst bescheidene Ansatze
vorhanden sind, die sich auf rein stoffliche Wirkungen und ein gewisses Lokalkolorit
beschranken. Die wirklich erste grofie Erfiillung ist fiir ihn Strawinsky in der Epoche
des „Petruschka", des „Sacre" und der „Noces". Mit letzteren stofit Strawinsky zum
objektiven Stil der Sonate, des Konzerts und des „Oedipus" vor. Hier endlich geschieht
die letzte Befreiung vom Gegenstandlichen ; ahnlich wie in der abstrakten Malerei wird
die „reine Materie" der Musik organisiert und kiinstlerisch gebunden. Dies wird er-
lautert an einer geistreich durchgehihrten Parallele zwischen Strawinsky und Picasso, in
der die artistisch-kosmopolitische Atmosphare dieser Kunst sehr fein aufgefangen ist.
*) Sie bildet das Thcma der Meloskritik im nachsten Heft.
MELOSK.RITIK 601
Audi die Lander mit alter musikalischer Vergangenheit beimihen sich urn Er-
neuerung der Krfifte. Da sieht der Verfasser nicht so sehr das Krisenhafte der Lage,
den Bruch mit dem Alten, als vielmehr das Zuriickgreifen auf Gewesenes. Das ent-
spricht einer typiscli franzosischen Geisteshaltung, die noch stets aus der Riickbesinnung
auf die Tradition ihre starksten Werte gewonnen hat. So werden die Bestrebungen
der jungen Generation Italiens zusammengefafit in den Worten: „Die italienische Musik
hat das Lachen Bossinis wiedergelernt".
Anders erscheint ihm die Situation in Deutschland. Hier werden durch Schonberg
und Reger neue Wege gewiesen. Aber sie fiihren zu einer Uberschatzung der Poly-
phonie, zu einer Uberladung mit abstrakter Problematik. Eine solche Musik „droht den
Kontakt mit den Tonen zu verlieren, sie existiert mehr fur's Auge als fur's Ohr". Trotz-
dem kann sie sich nicht ganz loslosen von romantischer Traumerei, und selbst der
„ungestume Maschinismus" eines Hindemith ist nicht frei davon. Es uberwiegt aber
der Gesamteindruck einer diisteren freudlosen Gehirnmusik, weit entfernt von der
„Goetheschen Klarheit und Gelassenheit Strawinskys" ; und es erscheint wie ein gliick-
licher Zufall, wenn Kurt Weill einmal einige frische Melodien schreibt, „die sich nicht
scheuen, hiibsch zu sein". So sicher dieses Urteil schief ist und ganz wesentliche
aktive Werte der neuen deutschen Musik iibersieht: es gibt immerhin Anregung zum
Nachdenken.
In Frankreich gait es zunachst, den Impressionismus Debussys zu iiberwinden.
Trotzdem fuhlt sich die junge Generation Debussy stets verpflichtet. Denn er hat die
Musik von dem ubermachtigen Einflufi Beethovens und Wagners gereinigt. Aber es
kommt die erregende Wirkung des Jazz, des „Sacre" von Strawinsky. Satie ironisiert
jene Musik, „die man anhort mit dem Kopf in den Handen", in Stiicken wie den
„Embryons desseches" und den „Airs a faire fuir". Er sammelt nach dem Krieg die
Jugend um sich, und die Gruppe der „Sechs" erstrebt nun eine neue, versachlichte aber
nichts desto weniger lebensfrohe und wirklichkeitsnahe Musik voll rhythmischer Konti-
nuitat und klanglicher Sauberkeit, die erfullt ist vom Geiste Molieres und von gallischer
Heiterkeit. „Sie entgeht den Abgriinden, die sie streift, weil sie den sicheren Weg
franzosischer Tradition nicht verlafit, aber einer Tradition, die vorwarts schreitet im
Gewande einer neuen Zeit".
Nun folgt eine Uberschau uber die asthetischen, stilistischen und technischen Werte,
die aus der neuen Musik herausgewachsen und internationales Gemeingut geworden
sind. Die Begriffe einer „reinen Musik", des Neuklassizismus werden behandelt, die Ent-
wicklung der modernen Harmonik gestreift. Tonale bezw. polytonale Musik wird
abgegrenzt gegen chromatische Atonalitat. Die neuen Klange, die Einwirkung des Jazz,
Viertelton- und Maschinenmusik werden erortert und endlich die neuen Formen der
Oper, des Balletts und der Konzertmusik. Zwar kornmt es nie zu einer Analyse, die
bis in die Tiefe der Probleme vorstofit. Dafiir aber ist alles sehr unmittelbar und per-
sonlich gesehen und aufschlufireich durcli die grofie Fiille des Materials und durch
Zitate interessanter Aufierungen von fuhrenden Musikern.
Es ist ein Buch vpll echt franzosischen Geistes, aber durchaus frei von natio-
nalistischer Uberheblichkeit, ein Buch nicht so sehr der Erkenntnis als lebendiger Schau.
Hans Schultze-Ritter
602 ERNST. LATZKO
RUND FUNK
Ernst Latzko (Leipzig)
RUNDFUNK-UMSCHAU
Novemberprogramm-Tonfilm
Der November stand nattirlich auch im Rundfunk unter dem Zeichen Schuberts.
Allerdings handelte es sich eher urn die Aneinanderreihung mehr oder weniger ge-
ungener Einzelauffuhrungen, als da£ die Sendeleitungen versucht hatten, von einem
hoheren Gesichtspunkt aus, mit Zuhilfenahme des erklarenden Wortes, das Schaffen
Schuberts im Zusammenhang und in seinen Bedingtheiten darzustelleh. So ergibt sich
als einziges Resultat die Bekanntschaft mit bisher verborgenen "Werken des Meisters
und hier mufite sich als dankbarste Aufgabe die Ausgrabung seiner Opern erweisen,
die ja in erster Linie das Opfer ihrer Textbiicher wurden und durch eine rein akustische
Auffiihrung nur gewinnen konnten. So konnte man in Koln die Urauffuhrung (!) der
„Freunde von Salamanca", in Frankfurt „Fierrabras", in Munchen „Der vergessene
Wachtposten" und in Hamburg „Die Verschworenen" horen. Der gleiche Sender wieder-
holte das Programm des einzigen von Schubert mit eigenen Werken am 26. Marz 1828
veranstalteten Konzertes und Leipzig setzte sich fur selten gehorte Orchesterwerke ein,
unter denen ein Rondo und ein Konzertstuck fur Violine und Orchester besonderes
Inleresse erregten.
Im ubrigen war das Novemberprogramm nicht gerade reich an Ereignissen. Berlin
setzte seinen Cyclus „Musik der Gegenwart" fort und brachte Totenlieder fur Bratsche
und Klavier von Alexander Weprik, „Aus dem Dorf", Quintett fur Flote, Klarinette,
Violine, Bratsche und Kontrabafi von Slavenski und Lieder von Jirak. Frankfurt sandte
ein Programm in der Veranstaltung „Die neue Zeit", in der die Musik durch zwei
Lieder aus Weills „Mahagonny", drei lustige Marsche von Krenek und Honeggers
pacific" vertreten war. Dieses Werk entwickelt sich allmahlich zu einer der am haufigsten
im Rundfunk gespielten Kompositionen. In diesem Monat erschien es auch im Stutt-
garter Programm. Gleichsam als ob die in ihm lebendigen maschinellen Krafte es
auf eine technisch bedingte Auffuhrung verwiesen. Auch sonst wird Honegger jetzt
vom Rundfunk bevorzugt. Die „Konig David"-Suite wird in Hamburg gespielt, die
Sonate fur Cello und Klavier in Koln. Rudi Stephans „Musik fur sieben Saiteninstru-
mente" war in Stuttgart und in Leipzig zu horen, in Stuttgart auch Weills Konzert fur
Solovioline, zehn Blaser und Schlagzeug. Hans Gals Divertimento fiir Flote, Oboe, zwei
Klarinetten, Trompete, zwei Horner und Fagott wird in Breslau gebracht, das sich durch
die Auffuhrung der „Fruhlingsfeier" des kiirzlich verstorbenen Carl Prohaska ein be-
sonderes Verdienst erwarb. Dankenswert war die Ubertragung der Missa symphonica
von Windsperger durch den Berliner Sender. Hindemith war diesmal nur mit der
Sonate fiir Cello und Klavier in Koln vertreten, Schoeck mit Orchesterliedern in Leip-
zig. Schliefilich sei noch das Stuttgarter Programm „Der Jazz in der modernen sin-
fonischen Musik" erwahnt, weil es die Auswertung des tanzerischen Momentes in der
RUNDFUNK-UMSCHAU 603
Musik der Gegenwart in den gewahlten Werken — Milhaud : „Saudades do Brasil",
Eisler: .,Palmstrom", Studien uber Zwolftonreihen fur Sprechstimme, Flote, Klarinette
Violine und Cello, Blifi: ,. Conversations", Weill: „Tango Angele" und ,, Alabama Song",
Gruenberg: „Daniel Jazz" — gut zum Ausdruck bringt.
Der Plan der Frankfurter Sendeleitung, an Sonntag-Vormittagen alle neun Bruck-
schen Sinfonien zur Auffiihrung zu bringen, verdient freudige Zustimmung. Leipzig
setzte seinen Cyclus „Das Klavierkonzeit in drei Jahrhunderten" mit Werken von Schobert,
Wagenseil und Joh. Chr. Bach fort
Von Opernauffuhrungen, bezw. -iibertragungen, seien Wetzlers ,,Baskische Venus''
in Leipzig, Bizets „Perlenfischer" in Berlin, „Titus" in Konigsberg und „Falstaff" in
Daventry genannt. Der auf deni Berliner Programm verheifiene „Oedipus Bex" von
Stravinsky wurde leider wieder abgesetzt.
Erwahnt sei noch, dafi die Jodeschen Rundfunk-Singstunden nun vom Breslauer
Sender veranstaltet werden.
Die in der letzten Zeit gemachten Versuche mit deni Tonfilm und zahlreiche im
Zusammenhang damit aufgetauchte irrige Meinungen iiber diese neueste Moglichkeit
„mechanischer Musik" rechtfertigen eine Auseinandersetzung Jmit dieser ungeahnte Per-
spektiven eroffnenden Erfindung. Da sie zunachst den Physiker noch mehr angeht als
den Musiker, seien hier die Aufierungen eines Fachmannes, des Vorstands der Mittel-
deutschen Bundfunk-A.-G., Dr. h. c. Fritz Kohl, wiedergegeben :
„Um von vornherein einen Irrtum auszuschalten, der immer wieder auftaucht
mufi erwahnt werden, dafi unter dem Tonfilm nicht etwa die Vereinigung von
kinematographischer Aufnahme und Ton sondern ausschliefilich die Auf-
nahine des Tones auf einem Filmstreifen zu verstehen ist.
Der erzeugte Ton wird genau wie im Bundfunk mit einem Spezialmikrophon auf-
genommen und so wie dort elektrisch verstarkt. Die verstarkten Strome beeinflussen
in genau dem gleichen Rhythmus die Helligkeit einer Lichtquelle, deren photochemische
Wirkung durch einen normalen Filmstreifen, der in bekannter Weise in einem Kino-
apparat bewegt wird, festgehalten wird. Auf dem entwickelten Film zeigen sich nun
an Stelle der Tone haarfeine Einzelstriche von verschiedener Helligkeit, die in ihren
Abmessungen kaum ein hundertstel Millimeter stark sind und alle Frequenzen der auf-
genommenen Tone wiedergeben.
Um den Ton wieder zu reproduzieren, ist es nur notwendig, vor einer konstanten
Lichtquelle den Filmstreifen wieder ablaufen zu lassen und das genau im Rhythmus
der vorbeigleitenden Schwarzungsuriterschiede variierte Lichtbvindel auf eine lichtelek-
trisclie Zelle fallen zu lassen, die ihrerseits die Eigentiimlichkeit hat, je nach dem Be-
leuchtungsgrad ihren elektrisclien Widerstand entsprechend der Lichthelligkeit zu ver-
andern. Legt man an diese lichtelektrische Zelle eine Spannungsquelle und lafit diese
auf einen vom Rundfunk her bekannten Lautsprecher oder auch auf einen Rundfunk-
sender wirken, so wird auf diese Weise die Spannungsquelle im Rhythmus des vorher
aufgenommenen Tones moduliert und dadurch eine naturgetreue Wiedergabe erreicht.
Die Vorteile gegeniiber der Schallplatte sind einleuchtend. An Stelle der Mem-
brane treten Lichthelligkeitsunterschiede, an Stelle des auf die Platte schreibenden
604 ERNST LATZKO
Stiftes tritt ein Lichtstrahl, an Stelle der in ihren Dimensionen beschrankten
Schallplatte tritt der unendliche Filmstr eifen. Hemmungen durch mecha-
nische Reibung, durch Eigenfrequenz des Systems, etc. sind ausgeschaltet. Der Weg zu
einer vollkommen naturgetreuen Aufnahme und Widergabe steht often.
Fiir den Hausgebrauch diirfte auch in Zukunft die Grammophonplatte noch lange
die bisherige Rolle spielen, da die Filmapparatur kostspielig ist und vorlaufig nicht in
die Hand des Laien pafit. Dagegen ergeben sich fur den Rundfunk aufierordentlich
interessante Ausblicke :
1. ergeben sich die Moglichkeiten der kiinstlerischen Retusche, d. h. bei einer nicht
in alien Teilen gelungenen Darbietung konnen die mifilungenen Teile gegen bessere
ausgewechselt werden.
2. Resonders schwierige Darbietungen, die sich zeitlich ubermafiig ausdehnen,
konnen auf mehrere Tage verteilt werden, was der Spannkraft aller Ausfuhrenden
zugute kame.
3. ergeben sich nach Qualitat und Quantitat weitgehende archivarische Moglich-
keiten.
4. erhalt der Rundfunk durch den Tonfilm ein wertvolles padagogisches Mittel,
da er jetzt die Moglichkeit hat, die Darbietung vor dem Darbietenden selbst
wieder abrollen zu lassen und bei dieser Gelegenheit Fehler und Schwachen zu
besprechen."
Soweit der Fachmann. Auch der Laie wird sich aus diesen Ausfiihrungen ein
ungefahres Rdd von der Erfmdung, ihrer Redeutung und ihren Moglichkeiten machen
konnen. Von selbst drangt sich der Vergleich mit der Schallplatte auf. Ausgangspunkt
und Resultat sind bei beiden Phanomenen die analogen: ein akustisches Ereignis und
seine Wiedergabe auf technischem, soil heifien, von der Personlichkeit emanzipiertem
Wege. Verschieden bei den beiden Erfindungen ist das Mittelglied. Rei der Schall-
platte nimmt die Mechanik diese Stelle ein, beim Tonfilm die Optik und aus der
Uberlegenheit jeder optischen Wiedergabe vor einer mechanischen hinsichtlich der
Genauigkeit ergeben sich die Vorziige des Tonfilms. Zu dieser qualitativen Uberlegen-
heit komrat dann aber noch eine wichtige quantitative durch den "Wegfall des Platten-
wechsels.
Die Versuche in Leipzig umfafiten gesprochenes Wort (Thomas Manns Rede an-
lafilich des Reclam-Jubilaums), Gesang mit Klavier, Gesang mit Guitarre, Cello mit
Klavier, Streichquartett und Orchester. Dabei kam das gesprochene Wort, der Klavier-
und der Guitarreton in uberraschender Naturtreue wieder und ergaben hinsichtlich der
Klangfarbe jetzt schon einen grofien Vorsprung vor der Schallplatte, ein Zeichen fiir die
Fahigkeit des Tonfilms, die Obertone zu erfassen und der beste Reweis fiir die in ihm
enthaltenen Zukunftsmoglichkeiten.
DAS MUSIKPROGRAMM DER ORAG IM WINTER 1928/29 605
Hermann Scherchen (Konigsberg)
DAS MUSIKPROGRAMM DER ORAG IM WINTER 1928/29 l )
Der Radiohorer soil vor allem Freude durch die Sendungen haben. 1st das der
Fall, so wird sicb beim Horen von selbst sofort jene Ergriffenheit einstellen, die trotz
der raumlichen Trennung von sendenden Kiinstlern und aufnehmenden Horern eine
enge Verbundenheit zwischen beiden herstellt. 1st diese innere Ergriffenheit aber er-
reicht, so wird sich je nach der Art des einzelnen Horers das fiir ihn wichtigste von
selbst ergeben: Belehrung, Steigerung des eigenen Lebensgefiihls und Bildung der Per-
sonlichkeit.
Ein solches Ziel verlangt, dafi den Horenden nur das Beste und zwar in best-
moglicher Form dargeboten wird. Die erste Voraussetzung dazu ist, dafi die Programme
selbst den besonderen Bedingungen der Radioubertragung angepafit sind, und dafi die
einzelnen Werke keine zu lange Vortragsdauer beanspruclien. Wir behalten uns des-
halb vor, gelegentlich weitgehend von dem iibrichen Schema der Konzertveranstaltungen
abzuweichen; Sie werden also — statt abendfiillender Progamme — zuweilen nur ein
einzelnes Werk, ja mitunter auch nur den wichtigsten Teil einer grofieren Komposition
zu horen bekommen. Neben wichtigen Orchesterwerken der Konzertliteratur wird der
Konigsberger Sender in diesem Winter eine grofie Anzahl leichte, aber immer Wert-
volles enthaltene Programme bringen. Es ist sehr schwer, gerade hinsichtlich der fur
Radioubertragungen in Betracht kommenden Werke die richtige Auswahl zu treffen; wir
hoffen dies dadurch erreicht zu haben, dafi der musikalische Spielplan ebenso wie alle
wichtigen Programme fiir die ganze Wintersaison jetzt schon bis in Einzelheiten fest-
gelegt ist.
Die zweite Voraussetzung fiir die Erreichung unseres Ziels besteht in einer moglichst
hochstehenden und sorgfaltigen Wiedergabe aller Musikwerke. Um diesem Ziel moglichst
nahe zu kommen, ist seit dem 1. September der Orag ein eigenesKonzertorch ester und
ein eigener Chor angeschlossen. Die Mitglieder des Chores sind Konigsberger Damen
und Herren, die seit Jahren am hiesigen Kunstleben Anteil nehmen. Das Orchester ist
mittels einer grofien Anzahl von Neuengagements aus alien Teden des Reiches zu-
sammengesetzt worden, was sich von selbst daraus ergab, dafi der bisherige Bestand
der Rundfunkkapelle um mehr als die Halfte vergrofiert wurde.
Um fur die musikalischen Darbietungen einen moglichst vollkommenen Grad-
messer zu gewinnen, der feststellt, wie sich die Klangwirkungen im Mikrophon selbst
darstellen und somit bei den Radiohorern anlangen, ist zur besonderen Kontrolle der
Mikrophonvermitt ung Herr Dr. Hansler, Kapellmeister vom Stadttheater Zurich ver-
pfliclitet worden. Herr Dr. Hansler verfolgt an Hand der Partituren bei den Proben
im Vortragsraume selbst die beabsichtigten Klangwirkungen und vergleicht damit das
durch das Mikrophon vermittelte Resultat.
Wie im vergangenen Jahr wird die Orag wieder eine Reihe eigener Opern-
und Operettensendungen vornehmen, die durch eine radiodramaturgisclie Bear-
J ) Wir verotfentlidien die programmatische Einfiihrungsrede, die der Verfasser bei Ubernahme der
musikalischen Leitung des Konigsberger Rundfunk hielt, um ihrer grundsatzlichen Gesichtspunkte willen.
Die Schriftleitung.
606 HERMANN SCHERCHEN
beitung in sorgfaltigster Weise den Bediirfnissen des Rundfunks angepafit werden sollen.
Auch hier gehen wir bis auf wenige Aufnahmen von der Voraussetzung aus, dafi die
Radioveranstaltungen nicht dieselbe Dauer wie die audi gesehenen Auffiihrungen der
Opernbiihne beanspruchen diirfen. Die in der Orag zu Gehor kommenden Opern-
sendungen werden in der Hauptsache Werke bringen, die in dem ublichen Spielplan
seltener enthalten sind, aber doch eine besondere radiotechnische Eignung haben. Aufier-
dem sind Werke vorgesehen, die in dem Repertoire der Opernhauser nicht vorkommen,
(wie Handels „Agrippina" nnd Rossinis „Ralienerin in Algier"), die fur das Schaffen der
betreffenden Meister aber aufschlufigebende Bedeutung haben.
Neben eigenen Opernsendungen wird der Versuch gemacht werden, besondere Hor-
spiele als eine dem Radio eigentumliche Form zu schaffen. Wir beginnen diesen Ver-
such mit dem Umweg iiber solche schon bekannten Werke, die weder rein szenischer,
noch rein musikalischer Art sind, sondern Mischformen darstellen. Wir nennen hier-
fur : Strawinskys „Geschichte vora Soldaten", Hermann Reutters ,,Saul" und die neue
Fassung von Milhauds „Die Ochsen auf dem Dache".
Der neubegriindete Chor der Orag wird eine Reihe von bisher in Konigsberg
nicht oder selten gehorten Chorwerken im Senderaum auffiihren. Als erste dieser Ver-
anstaltungen war im September Handels „Relsazar" zu horen. Eine bisher im Radio-
wesen nicht vorhandene Neuerung bedeutet die Einfuhrung der Konigsberger
Motette, die am zweiten Sonnabend jeden Monats als Vesperveranstaltung nachmittags
urn 17 5 15 stattfinden soil. Wegen des IN aniens „Konigsberger Motette" seien einige er-
klarende Hinweise gestattet. Die Motette ist eine der kleinsten Kunstl'ormen, ahnlich
dem Lied und dem Strophenteil des Tanzes. Ihr Kennzeichen ist die Mehrstimmigkeit.
Sie ist eine der wichtigsten gesellsch aftlichen Kunstformen, da sie nur weniger Aus-
fuhrender, und ihrer Kiirze wegen, keines allzu grofien Studiums bedarf. Sie war des-
halb vorwiegend die Domane der kleinen Kirchenchore, der Kammerchore an Fiirsten-
hol'en und der gesellschaftlichen Chore, die zu den Musikvereinigungen gehorten.
Ihr Jahrhunderte langer allgemein bekannter Gebrauch, hat in Leipzig an der
Kirche zu St. Thorn a (an der Johann Sebastian Bach als Kantor gewirkt hat) zu
folgender Entwicklung gefiihrt: in einer gottesdienstlichen Verrichtung, die am Spat-
nachmittag des Freitags in jeder Woche stattfand, sang der Chor den Text der Predigt
und die Handlungen der Liturgie gefiihlsgemiiiJ erganzende Motetten. Durch die
auserlesene Qualitat des weltbekannten Thomanerchores gewannen diese Darbietungen
immer grofiere kiinstlerische Redeutung, sodafi man schliefilich als Sondereinrichtung
an jedem Sonnabend der Woche mittags um 13.30 Uhr rein konzertmafiige Wieder-
holungen dieser Musikdarbietungen (bei unentgeltlichem Eintritt) in der Thomaskirche
veranstaltete. Die Grundlage dieser Veranstaltungen blieben nach wie vor die Motetten.
Um das Programm den Redurfnissen eines Konzerts entsprechend abzurunden, wurde
es bald durch Orgelvortrage und freiere und grofiere Gesangsformen erweitert z. R.
durch Chorvariationen und Kantaten. Diese Veranstaltungen aber wurden entsprechend
ihrer Herkunft aus den Motettenauffiihrungen ganz einfach „Leipziger Motette" genannt.
Wenn wir nun heute unternehmen woUen, mittels des Oragchores eine Konigs-
berger Motette ins Leben zu rufen, so ist damit gemeint, unseren Veranstaltungen
im Gegensatz zu der ausschliefilich auf geistliche Musik beruhenden friiheren
DAS MUSIKPROGRAMM DER ORAG IM WINTER 1928/29 607
Motette regelmafiige Motettenauffiihrungen weltlichen Charakters zu Grunde zu legen.
Dafi die Motette in beiden Erscheinungen sowohl als geistliche wie als weltliche
Kunstform vorkommt, bewies schon unsere Erwahnung der verschiedenen Chore, durch
welche sie in vorigen Jahrhunderten zum Vortrag gelangte. — Bei den Konigsberger
Motetten soil ferner der Versuch gemacht werden, durch eine in das Programm einge-
schlossene Vorlesung oder einem entsprechenden Vortrag, den Sinn des Grundplans
jeder Veranstaltung durch das Wort nochmals begriffs- und gefuhlsgemafi zu gestalten.
Das ist nur moglich, wenn solche Heranziehung des Wortes auf kiinstlerischer Basis
geschieht, also nicht in wissenschaftlich belehrender Form erfolgt.
Das musikalische Vortrags wesen der Orag wird in diesem Winter versuchs-
weise anf eine neue Darstellungsform gebracht werden. Es ist beabsichtigt, weniger
wissenschaftlich betonte, rein belehrende oder unterrichtende Vortrage abzuhalten, als
den Horern eine Darstellung des Vortragsstoffes zu geben, wie er unmittelbar im Leben
wahrgenommen werden kann. Ferner soil versucht werden, die Badiohorer nicht
nur zuhoren, sondern denkend an der Entwicldung der Vortrage und der diesen
zu Grunde liegenden Stoffe teilnehmen zu lassen. Dies wird so geschehen, dafi ein
Problem, wie z. B. das der musikalischen Melodie in einem Zwiegesprach behandelt
werden soil, das unmittelbar ankniipft an den Vortrag eines auf der Flote geblasenen
Liedes. Aufier der eben gekennzeichneten Gespriichsform des Dialogs als neuem Dar-
stellungsmittel fixr die Musik betreffende Probleme, wird die Unterhaltung mehrerer Per-
sonlichkeiten (z. B. im Anschlufi an ein vierstimmig gesungenes Musikstiick) und die
Lehrform (als die durch den Sender mitgeteilte Art des Unterrichts einer grofieren
Anzahl von Schiilern) zur Anwendung gelangen. Auf diese Weise sollen die Horer
nicht, wie meist im wissenschaftlicli betonten Vortrag Besultate mitgeteilt bekommen,
sondern Gelegenheit haben, in inniger Fiihlungsnahme mit dem Material des Vortrags
an den Denkprozessen selbst Anteil zu nehmen.
Bei dieser Gelegenheit sei darauf hingewiesen, dafi wichtige Themen kiinftig-
hin zum Teil durch besonders geeignete Badiosprecher in Vortragsform verlesen werden,
wahrend die Verfasser dieser Abhandlungen, fur die wir die kenntnisreichsten bedeu-
tendsten Personlichkeiten des Beiches gewinnen wollen, selbst niclit anwesend sind,
sondern nur das Manuskript zur Verfiigung stellen. Wir gehen dabei von der Er-
wagung aus, dafi fiir die richtige Wirkung des im Badio gesprochenen Wortes nicht
nur der gedankliche Gehalt jedes Vortrags von grofier Bedeutung ist, sondern, dafi die
klanglich angenehme, rein sprachgemafi gute Wiedergabe durch das Milirophon fur die
Wirkung des Vortrags ebenso grofie Wichtigkeit hat.
Die Orag wird von der neuen Saison ab ein eigenes Cembalo besitzen und da-
mit in der Lage sein, altere Musikwerke in wirklich stilgerechter Klangwirkung zu
iibermitteln. Durch liebenswiirdiges Entgegenkommen der betreffenden Verwaltungs-
behorden steht dem Konigsberger Sender aufierdem (wie auch schon im Vorjahr)
fiir seine musikalische Zwecke die vorziigliche Orgel der Universitatsaula zur Verfiigung.
Als eine Neueinrichtung bringt das Winterprogramm in jedem Monat eine
Morgenf eier, in der an einem Sonntag Vormittag unbekannte, grofiartige Werke
alterer Meister zu Gehor gebracht werden (z. B. von Johann Sebastian Bach „Das
musikalische Opfer", und von Gluck das letzte Chorwerk des Meisters ,.De profundis") ;
608 WILLI SCHMID
die anderen Morgenfeiern sollen die Bekanntschaft mit bedeutenden lebenden Ton-
kiinstlern yermitteln. Fur diese Morgenfeiern sind August Halm, Philipp Jarnach,
Erwin Lendvai, Franz Schrecker, Heinz Tiessen, Ernst Toch und Hans Jiirgen von
der Wense eingeladen worden, personlich im Vortragsraum der Orag zu erscheinen und
dort Werke von sich zum ersten Male fur Konigsberg sowohl wie in Urauffiihrung zur
Darbietung zu bringen.
Ferner ist einer der bedeutendsten lebenden Komponisten, Joseph Mathias
Hauer, von der Orag beauftragt worden, ein ausschliefilich fur den Konigsberger
Sender bestimmtes Horspiel zu verfassen. Dieses "Werk heifit: „Vom Leben",
nach "Worten aus Holderlins ,.Hyperion" und ist fur eine Sprechstimme, Gesangssoli,
Kammerchor und Kammerorchester geschrieben.
UMSCHAU
Willi S ch m i d (Munch en)
MUSIK UND SCHULE
Ein Uberbliclc anlafilich der VII. Reichsschulmusikwoche in Munchen.
Den neuen Ansiitzen zu kollektivistischem Denken und Tun entsprechend vollzieht
sich in der Nachkriegszeit ein gut Teil an Arbeit und Arbeitsanregung auf Tagungen,
Kongressen, Zusammenkiinften. Sie sind an sich weder von Ubel noch von Vorteil,
sondern werden beides erst durch die Art der Aufmachung und der Handhabung. Die
Reichsschulmusikwochen, veranstaltet vom Zentralinstitut fur Erziehung und Unterricht
in Berlin, sammeln seit sieben Jahren alle urn die musikalische Erziehung der Jugend und
des Volkes bemuhten Lehrenden, die dafur interessierten Musiker und Behorden.
Munchen als Tagungsort — das hat nach verschiedenen Seiten hin Sinn und Bedeutung.
Die Annaherung der immerhin in wesentlichen Dingen verschieden zentrierten Kultur-
kreise mufi und wird herbeigefuhrt werden. Sicher wurde sie auf gesangserzieherischem
Gebiet durch die Miinchner Tagung in die Wege geleitet. Deutschland, Dsterreich und
das deutschsprachige Ausland waren mit iiber 900 offiziellen Teilnehmern und mehreren
hundert Gasten nicht nur quantitativ sondern, was mehr sagen will, auch qualitativ mit
guten Namen und guten Kopfen vertreten.
Der gelaufigste Fehler vieler Tagungen, die Uberlastung mit Darbietungen aller
Art, wurde auch von der Miinchner Woche nicht vermieden, aber durch den Aufbau,
der die Theorie auf den Vormittag, die Praxis auf den Nachmittag, Konzert und Theater
auf den Abend legte, einigermafien paralysiert. Das allgemeine Niveau der Vortrage,
auf die hier nicht naher eingegangen werden kann, lag unterschiedlich hoch. Ein er-
freulicher Zug zur Sacldichkeit und zur Freihaltung von Fachschlagworten und Mode-
gedankengangen war festzustellen. Dagegen erreichten nur wenige der Redner die
konzise, einpragsam zusammenfassende, knappe und klare Form der Darbietung, die man
zugunsten einer leichteren Aufnahme und geistigen Aneignung des Gedankengutes gerade
MUS1K UND SCHULE 609
bei solchen Gelegenheiten sich wiinschen mochte. Die Erziehung der Erzieher — das
ist ja das eigentliche Problem. Man hatte reichlich Gelegenheit, psychologische Studien
an den Teilnehmern, den Musik- uud Gesangslehrern, den Studienraten und Kantoren
zu machen. Weniger in faclilicher Beziehung als in Sachen des allgemeinen Bildungs-
niveaus, der Klarbeit iiber die geistigen Bewegungen innerhalb der deutschen Musik-
erziehung im Bahmen der Kulturlage. Charakteristisch fur die Unsicherheit das mehr
oder weniger kritiklose Hinnehmen des mehr oder weniger autoritativ Gebotenen.
Trampeln, Klatschen und Beifallsrufe bedankten z. B. am letzten Vormittag Hans
Joachim Moser, als er mit einigen geschickten taktischen Verklauselierungen eine mutige
Lanze fur die Jugendbewegung und ihre Ziele brach, Trampeln, Klatschen und Bravorufe
umschollen Hans Pfitzner eine Stunde spiiter, als er ein feierliches Pereat fiber eben
diese Jugendbewegung in der Musik, die „den musikalischen Sauglingen Schnaps statt
Muttermilch reicht", aussprach. Um das hier gleich vorweg zu nehmen: das erstaunlichste
Ereignis der ganzen Beichsschulmusikwoche war eben dieser Vortrag, besser die lose
gefiigte Schlufirede Pfitzners. Deutlicher konnte die Kluft zwischen dem am Ende einer
unwiederbringlichen grofien Vergangenheit stehenden Vertreter eines egozentrisch auf
sich selbst zuriickgezogenen aristokratischen Individualismus und den neuen Kraften
eines aus fruchtbarem Gemeinschaftsboden gewachsenen lebendigen, von religiosen Im-
pulsen bewegten Wollens und Gestaltens nicht aufgerissen werden. Dabei kennt Pfitzner,
wie er eingangs feststellte, weder die Schul- noch die Jugendmusik, weifi nichts von
der Singbewegung und urteilt aus einer hermetischen Abkapselung heraus. Der Mann,
der den Palestrina geschrieben hat, mifidcutet den geistigen Anschlufi an die alte Musik,
hat keine Erfahrung von der inneren Bindung, von der tiefen organischen Beziehung
unserer Jugend und der lebendig Schaffenden zu ihr. Hier ist ein Anfang — dort ein
Ende. Es scheint, als ob es keine Briicke gibt. —
Nach einer Zeit, wo das Erziehungswesen materialistisch erstarrt, einem iiberaus
organisierten System der blofien Leistungs- statt einer Seins-Kultur diente, hat sich die Auf-
fassung vom Wesen der Erziehung mit einer schonen und hoffnungsreichen Wendung
wieder der Entwicklung der seelisch-leiblichen menschlichen Totalitat als ihrer hochsten
Bestimmung zugewandt. In den Zusammenhang dieser neuen Orientierung ist audi die
Musikerziehung, die Schulmusik, neu eingeordnet, ist ihr ein neuer Sinn gegeben worden.
Zeiten naiver sicherer Ktdtur mit ihrem Buhen im Selbstverstandlichen, Unbewufiten
besitzen das, was wir im zivilisatorischen Zustand bewuiSt wieder zu entbinden suchen,
die gestaltenden Krafte auch der kunstlerischen Erziehung. Es geht in diesem Sichan-
spannen um den Sinn und um die Tatsache des neuen Lebensgefiihls, um diesen leider
schon zum Modewort gewordenen Tatsachenkomplex auch hier so zu bezeichnen. Die
Soziologen sprechen von der neuen Lebensaggregierung, die dem Menschen als physischen,
geistigen und seelischen Lebensraum eine neue Welt bietet. In dieser neuen Welt
geht eine neue Auseinandersetzung mit dem Uberkommenen vor sich. Mit blofier
Tradierung, blofier Weitergabe im bisherigen Sinn kann nicht mehr ausgekommen
werden. Das Abreifien des Kontinuums kann nur von denen geleugnet werden, die
kein Gefuhl fiir die Zeit haben, in der sie stehen. Das stent den Erzieher vor ganz
neue Aufgaben. Inwieweit und nach welcher Bichtung hin die Musik innerhalb dieses
neuen Aufgabenkreises eingegliede/t wird, welche Bolle ihr zukommt, das ist nicht so
610 WILLI SCHMID
leicht auszumachen. Es ist sclion sehr viel, dafi die Padagogen die Musik wieder als
geistige Macht erkennen und werten. Ihre Einwirkung auf unsere Jugend und auf miser
Volk soil freilich etwas ganz anderes leisten und schaffen als blofie asthetische und
historische Bildung, mehr vermitteln als blofi geistige Unterhaitung, Hoheres bezwecken
als blofie spielerische Befriedigung des musikantischen Betatigungstriebes. Die Aktivisten
erwarten von einer vertieften Einwirkung der Schulmusik, zumal des Chorgesangs auf
unsere Jugend eine neue seelische und geistige Bindung der kommenden Generationen, da-
durch eine Wiederbelebung, besser Begeneration der Volksmusik und damit Freiwerdung
seelischer Krafte, die zu ihrem Teil nach deni kulturellen Zusammenbrucb fur die aktive
Erneuerungs-Arbeit am Volksganzen einzusetzen sind. Alle diese Erwartungen sind uto-
pistisch, wenn sie aus einer geistigen Einstellung auf bewufite Kulturmacberei hin
erwachsen. Bescheidener und richtiger betrachtet man sie zunachst als Hilfshypothese
fur die Arbeit, ohne schon immer auf die Friichte dieser Arbeit zu warten. Man mufi
zunachst einmal iiberhaupt arbeiten.
Gibt es eine Moglichkeit des Entriiinens aus dem zivilisatorischen Zustand? Ein
allzu rosenroter Optimismus der Organisatoren beantwortet diese Frage mit einem selbst-
verstandlichen ja. Wir wollen bescheidener sein und freuen uns der ersten Ansatze, der
ersten Spuren nicht schon zu neuer Gestaltung, sondern zu neuer Grundlegung nach dem
Bruch mit der Vergangenheit. Bisher war der Sinn der musikalischen Jugendbewegung
richtig auf sich selbst, auf die eigene Erziehung gerichtet. Die Einzelerscheinung, ihre
Abwendung von der invidualistischen Kunstmusik der Jahrhundertwende, ihr (nicht
antiquarisch-philologisches, historisches, sondern spontanes) Wiederanknupfen an friihere
Jahrhunderte kam aus einem machtigen stachelnden Drang nach Gemeinschaft. Ihr
Sinn wird wieder erlebt. Nunmehr setzen die Beziehungen von Staat und Musik wieder
ein. Die Auffassung von der gesellsch af tsbildenden Kraft der Mxisik. diese ihre Schatzung
und daraus erwachsene Forderung tragt, gestehen wir uns das offen ein, manche ideo-
logischen Ziige. Man will das post hoc, propter hoc der Ableitung nicht merken. Wenn
die osterreichischen Vertreter auf der Miinchner Tagung vom Bliihen der Schulmusik
den seelischen und staatlichen Wiederaufbau erwarten, so ist das zuviel erwartet. Durch
Forderung der kiinstlerischen Erziehung macht der Staat noch keine Kultur. Er kann
zunachst nicht mehr tun als organisatorische Grundlagen schaffen. Das ist schon sehr
viel, auf ihnen gilt es weiter zu bauen.
Gerade diese praktische staatliche Leistung trat bei der Miinchner Tagung deutlich
in Erscheinung. Nicht nur in mehr aufierlichen Dingen wie es die Beziehungen von
Beich und Landern, von Begierungen und Kommunen zur Schulmusikerziehung dar-
stellen, sondern in der erfreulichen Tatsache, dafi die Vertreter des Staates wissen, wie
Avichtig ihre Hilfe, ihre Arbeit und ihre Leistung ist. Die Erziehung der Erzieher liegt
in ihrer Hand. Damit die Verantwortung. Es ist heute durchaus an dem, dafi, um es
offen auszusprechen, eine Singschule wichtiger sein kann als ein Konservatorium. Wenn
Preufien seine Akademie fur Kirchen- und Scliulmusik mehr ausbaut, Bayern einen
neuen Entwurf der musikalischen Lehrerbildung vorlegt, der die griindliche musikalisclie
Durchbildung des Volksschullehrers sicher stellt, so ist das von grofiter Bedeutung.
Wenn nach dem Muster Bayerns, wo die Singschulen zum Teil schon iiber 100 Jahre
bestehen, stadtische Singschulen neu gegrundet werden sollen, so ist das aufierordentlich
MUSIK UND SCHULE 611
zu begriifien. Denn nochmals, scharf formuliert. es ist wichtiger, dafi hundert Kinder
singen lernen, als dafi ein Geiger das Paganini-Konzert spielen kann.
Uber das „Wie" der Erziehung, iibei' die Lehre, den Lehrgang, die Methodik wurde
aul' der Munchner Tagung sehr viel gehandelt. Von den Vortragen der Munchner Pada-
gogen Kerschensteiner und Alois Fischer hatten besonders die Ausfiihrungen Fischers
uber das Verhiiltnis von Kunst und Methodik, uber die Moglichkeit einer Lehrbahrkeit
von Kunst und sei es nur ihrer Anfange, alle Vorziige einer geistvoll klaren Durch^
denkung und Darbietung des Problems. Die mittlere Stellung, die kluge und wohl-
fundierte Entscheidung fiir einen freien, geistig wie handwerklich lebendigen Gebrauch
der im engen Anschlufi an die Kunst zu gewinnenden Methoden schuf den Hintergrund
fur die praktische Anschauung der in Bayern geiibten Lehrgange. Bekanntlich bestand
in Bayern die Gefahr einer Festlegung auf das Eitz'sche Tonwort in der staatlichen
Gesangserziehung. Ich sage Gefahr, denn ein Methodenzwang, eine Beglementierung
und Schematisierung fordert zwar den organisatorischen Betrieb, nicht aber die Sache.
Da war es nun interessant, aus dem Munde des in Bayern verantwortlichen Beraters
v. Waltershausen zu horen, dafi man an eine starre Verbindlichkeitsmachung einer
Methode nicht denke, sondern die Leistung der gestaltenden Lehrerpersonlichkeit das
Ziel sei. Allerdings waren die praktischen Vorfuhrungen einiger Lehranstalten mit den
Eitz'schen Tonwortsilben nicht gerade geeignet, dafur zu werben.
Was eine Personlichkeit vermag, die Macht, die nur von ihr in alien erzieherischen
Dingen ausstrahlt, das erwies sich gelegentlich des Besuchs der Augsburger Singschule, der
Schopfung Albert Greiners. Greiner ist in erster Linie Stimmbildner. Der Chorklang seiner
verschiedenen Klassen von den Kindern bis zu den Erwachsenen ist von einer so vorbild-
lichen Schonheit, wie man ihn sonst wohl kaum noch irgendwo horen kann. Schade, dafi
demgegenuber der Musiker noch ziemlich veraltete, ausgetretene Wege geht, das Kla-
vierlied bevorzugt und das begleitete Lied in einer zum Teil schauderhaften, an die
altere Liedertafel erinnernden Verballhornung kennt. (Am schlimmsten Kanonbearbei-
tungen von Otto Jochum, der Mozarts Nachtigallenkanon mit Violine, Bratsche, Cello
und Horn im Serenadenstil ermordet und einen altenglischen Kanon mit einem Manner-
chor versieht, wozu noch ein englisch Horn kontrapunktiert !) In diesem Betracht waren
die Vorfiihrungen der Munchner stadtischen Singschulen vorzuziehen, die den a-capella-
Gesang in den Mittelpunkt stellten. Die auswartigen Teilnehmer bekamen des weiteren
einen Einblick in die lnstrumentalerziehung an unseren Mittelschulen. Sie geht seit iiber
100 Jahren ihrem Ursprung nach zuriick auf eine spezifisch suddeutsch-osterreichische Tra-
dition der Instrumental-Kirchenmusik. Uberhaupt hat sich in Suddeutschland noch
manches iiber die schlimmen Zeiten hinweg von der Hochbliite barocker Musikkultur
gerettet. In Gymnasien und Klosterschulen, ja sogar in kleinen landlichen mit der
Volksschide verknxipften Musikschulen wurde die Pflege von Streich- und Blasinstrumenten-
spiel nie ganz vernachlassigt. Heute noch besteht z. B. eine Musikschule an derTegern-
seer Volksschule, eine konigliche Stiftung aus dem ersten Viertel des vorigen Jahr-
hunderts. Ich erinnere mich gut, wie wir vor 20 Jahren unter der Fuhrung eines aus-
gezeichneten Lehrer-Kantors mit lauter Einheimischen, darunter vielen Bauern, Mozart-
messen musizierten. Unsere Holzblaser brauchten keine Konkurrenz zu fiirchten und
die Sopranistin hatte den sicheren Stil und die naturliche Kantabilitat gewachsenen,
612 WILLI SCHMID
bodenstandigen Musikantentums. Das Streichquartettspiel an den Gymnasien war und
ist selbstverstandlicher Usus. In den Volksschulen steht es nicht mehr so gut wie einst.
Einen nachdenklichen Einblick in die Zusammenhange gewinnt man daraus, wenn man
bedenkt, wie die Lehrerbildung, die lioch vor 60 und 70 Jahren Orgel und Generalbafi
dem Volksschullehrer als eisernen Bestand mitgab. immer mehr Unterrichtsgut einfiihrte,
den jungen Leuten multa non multum gab, sie zwar zu Liedertafel-Dirigenten, aber
nicht zu Musikern erzog. Die neuen staatlichen Anweisungen iiber die organisatorische
Gestaltung der musikalischen Bildung der Lehrer werden gut tun, wieder etwas den
alten Gesinnungen und Leistungen Entsprechendes herzustellen.
Es ist keine Frage, dafi eine engere Verbindung von Schul- und Kirchenmusik wieder
zur unbedingten Notwendigkeit geworden ist. Joseph Haas sprach iiber dieses Thema.
Seine Formulierung dreier geschichtlichen Epochen der Beziehungen von Kirchen- und
Schulmusik interpretiert die Tatsachen aus einer klaren geistesgeschichtlichen Erkennt-
nis heraus, wenn sie diese drei Perioden folgendermafien kennzeichnet : die Kirchen-
musik lebt im Menschen von den Anfangen der Christianisierung bis zur Beformation,
sie lebt mit dem Menschen von der Beformation bis zur Aufklarungszeit, wo der Staat
in Unterrichts- und Erziehungsfragen an die Seite der Kirclie tritt. Die Kirchenmusik
lebt endlich neben dem Menschen von der Aufklarungszeit bis zur Neuzeit, in der
der Staat in Unterrichts- und Erziehungsfragen iiber der Kirche steht. Es gibt eine
kirchenmusikalische Kulturanschauung, die in den Musikunterricht durch Herstellung
der Querverbindung von Schulgesang und Beligion einzubauen ist. Eine betonte Pflege
des gregorianischen Chorals als dem musikalischen Ausdruckstypus des Objektivismus und
des deutschen Kirchenliedes als dem Ausdruckstypus des Subjektivismus mufi folglich fiir
die Schulmusik angestrebt werden. Damit wird gleichzeitig das Verstandnis fiir die
wesenhaften tragenden Krafte aller deutschen Musikkultur angebahnt. Sehr zu unter-
streichen ist der dringliche Appell des Vortragenden zu besonnener und hilfsbereiter
Haltung aller Schul- und Kirchenkreise gegeniiber jenen Jugendverbanden, die das allzu
Profane in der Musik bekampfen und im religiosen Gesang nach Aktivitat drangen.
Alle kirchenmusikalische Erneuerungsarbeit auch in der Schule bedarf keiner neuen
Verordnungen und Anweisungen : sie hat vielmehr die Erneuerung der religiosen Ge-
sinnung zur Voraussetzung. Sicher hat gerade dieser Schlufigedanke etwas ungemein
Zentrales beriihrt. Er geht auf das Verhaltnis von Kultur und Beligion und weist
nachdriicklich auf die alte, zuzeiten betonter Hervorhebung einer vermeintlichen Eigen-
standigkeit der Kultursacbgebiete vergessene und mifiachtete Wahrheit hin, dafi rechter
religioser Lebensform jegliches kulturelle Gut beigegeben wird. Man hatte Gelegenheit
Kirchenmusik in den einzelnen katholischen und protestantischen Kirchen zu horen, zu-
gleich ein Querschnitt durch die verschiedenen Stile und Jahrhunderte, charakteristisch
fiir die Verzweigtheit dieses Gebietes.
Becht bezeichnend fiir Miinchen, fiir den Dualismus Miinchens. die abendlichen
Veranstaltungen. Da gab es eine Festauffiihrung der Meistersinger — es wird nach-
gerade unertraglich, wie die Meistersinger fiir Festauffuhrungen herhalten mussen, zu
Anfang, zu Schlufi des Spieljahres, bei Gedachtnisfeiern, Kongressen, Jubilaeh und
natiirlich auch bei der Beichsschulmusikwoche, wo sie freilich. vor allem im gesanglichen
Teil vorbildlich kamen — ; eine Festauffiihrung des Waltershausenschen Oberst Chaberts,
ZEITSCHAU 613
schliefilich als Hohepunkt den Palestrina mit Pfitzner am Pult, alle Mangel der Aus-
fiihrung mit der Kraft seiner genialen Intensitat bedeckend. Die Miincliner Kompo-
nistenschule war in einem Kammermusikkonzert mit Arbeiten von Geierhaas, Haus-
egger, Courvoisier und Reufi wohlanstandig und solide vertreten, Hausegger dirigierte,
historisch sicker sinnvoll, ausgerechnet Thuille und Straufiens „Macbeth" (es gibt ihn
also wirklich noch), endlich Regers Mozartvariationen. Das eigentliche musikalische Er-
eignis, das des nach aufien hin inoffizielleren musikaliscben Miinchens war der Abend
des Domchors unter seinem Fiihrer, einem unserer feinsten deutschen Chorleiter und
ecbten Musiker, Domkapellmeister Berberich. Ein kleiner Chor von einigen 60 Frauen
und Mannern aus alien Bevolkerungsschichten, nur der Saclie hingegeben, heimisch in
der Welt der alten Niederlander und Deutschen, der Josquin und Hobrecht (unver-
gleichlich die innere Haltung, mit der er Hobrechts „Malheur me . bat"-Messe eingangs
der Woche beim Hochamt im Dom sang!), der Senfl und Finck, der Orlando und
Palestrina. Von diesem festen archimedischen Punkt aus wird die Gegenwart gemeistert.
Die Deutsche Vesper von Joseph Haas und die achtstimmige Motette von Karl Marx,
welch beide der Munchner Domchor seinerzeit uraufgefiihrt hatte, fanden diesmal ein
aufierordentlich starkes Echo. Die Schulmusiker reagierten auf das Gemeinschaftsleben
des Chors, auf die in ihm und durch es gegriindete Leistung aufierordentlich sicher
und lebhaft. Beispielhaft konnte man hier aufzeigen, welche Bedingungen und Krafte
zusammen kommen miissen, um etwas Lebendiges, Starkes, Gesundes, etwas Junges und
in die Zukunft Weisendes zu schaffen. Solche siiddeutsche Kultur vollzieht, gar nicht
laut oder aufierlich sehr aktiv, spontan und selbstverstandlich den Anschlufi an die
lebendige und junge Bewegung in der deutschen Musik.
Es waren meines Wissens nur Leo Kestenberg und H. J. Moser, die eines der
wenigen weiterfiihrenden Geschehnisse der letzten Zeit, die Verbindung der Schaffenden
und der Nachschaffenden im „Neuen Werk" von Jode-Mersmann-Hindemith seiner Be-
deutung und seinem Wollen nach fur die Schvd- und Jugendmusik und die neue Musik
selbst erkannten und anerkannten. Die Pfitznersche Abwehr, sicherlich auch noch von
manchen anderen Prominenten der Tagung innerlich begriifit, fur viele der Schul-
musiker richtunggebend, mag mancherorts zwar Sclierben einschlagen, aber das Lebens-
fahige, Gesunde, Junge wird unverletzt davonkommen.
MUSIKLEBEN
Heinrich Strobel (Berlin)
ZEITSCHAU
Das grofie Batselraten um Furtwangler ist zu Ende. Er hat den Antrag als Opern-
direktor nach Wien zu gehen, nach langem Hin und Her abgelehnt. Seine ganze Arbeits-
kraft bleibt nun fiir Berlin erhalten, und aufierdem wurde erreicht, worum man seit
Jahren kampfte: die Ubernahme des Philharmonischen Orchesters durch die
614 MUSIKLEBEN
Stadt Berlin. Preufien und Reich werden sich an der finanziellen Sanierung des be-
riihmten Orchesters dadurch beteiligen, dafi sie eine Anzahl Aktien der Philharmonie-
A.-G. iibernehmen.
Wird Furtwangler nun auf seine Opernplane verzichten ? Es ldingt wenig wahiv
scbeinlich bei einem Manne von so starkem Ehrgeiz. Auch hat die Stadt Berlin natiir-
lich Interesse daran, ihm ein moglichst grofies Arbeitsgebiet zu verschaffen. Er versichert
zwar aufs bestimmteste, dafi er nicht daran denke, in Berlin Opern zu dirigieren, Aber
wenn sich in Berlin Moglichkeiten erschliefien, wird er dann wieder ablehnen, wie in Wien ?
Ein Veranderung in den ersten deutschen Dirigentenstellen, die sich auf Berlin
auswirken konnte, 1st keineswegs ausgeschlossen. Man weifi, dafi Walter schon seit langem
Absichten auf Wien hat. Dort ist man begreiflicherweise uber Furtwanglers Absage
recht wenig erbaut. Man wollte ihn absolut haben. Seinetwegen setzte man S chalks
Demission in Szene. Nun haben die Wiener Schalk und Furtwangler verloren. Sie miissen
sich nach einem neuen Operndirektor umschauen. Clemens Kraufi, der schon im vorigen
Jahr mit Wien verhandelte, wird neben Bruno Walter jetzt wieder genannt. Auch Kleiber
soil sich interessieren. Selbst an Klemperer wird gedacht. Aber seine aktive, jeder
Kompromisslerei abgeneigte Personlichkeit pafit nicht in das weiche, behabige Wien. Auch
ist er fur Berlin unentbehrlich.
Im Stadtblatt der frankfurter Zeitung" veroffentlichte vor einiger Zeit
Dr. Karl Holl eine Artikelreihe, die sich eingehend mit dem Frankfurter Musikleben
beschaftigt. Holl iibt scharfe Kritik an der Unlebendigkeit und Unproduktivitat der
Frankfurter Musikpflege. Was er iiber die Struktur der gesellschaftlichen Musikvereine,
iiber die Planlosigkeit der Operndirektion sagt, trifft mutatis mutandis fast auf alle
grofien deutsclien Stadte zu. Uberall findet man ein erstarrtes Konzert- und Opern-
publikum, das sich im passiven Zuhoren kunstlerisch befriedigt, uberall findet man die
gleiche Stagnation im Opernrepertoire. Holl wendet sich gegen den verhangnisvollen
Brauch der grofien Operninstitute, alle Krafte auf gewisse ,,MustervorsteIlungen" zu
konzentrieren und den Gebrauchsspielplan dadurch verschludern zu lassen. Er schneidet
einen der wichtigsten Mifistande aller stadtischen Musikpolitik an, wenn er auf die
kunstlerische Inkompetenz der „D ezernenten" hinweist. So tuchtig sie als Beamte
sein mflgen, es fehlt ihnen in den allermeisten Fallen die kunstlerische Bildung und
Kennerschaft, um eine produktive stadtische Musikpolitik ti'eiben und verantworten zu
konnen. Mit Reclit hebt Holl auch die Gefahren hervor, die das ,,Kontrollrecht der
Biirgerschaft" iiber die kunstlerisch en Mafinahmen der Stadt mit sich bringt. Er sagt:
„die Mitbestimmungsrechte diirfen nicht die Aktivitat der kiinstlerischen Ftihrung ent-
lasten und ihre Verantwortungsfreude herabmindern".
Aber er kritisiert nicht nur : er sucht vielmehr soziologisch zu begriinden und macht
Vorschlage zur Erneuerung des Musiklebens. Sie sind so allgemein gidtig, dafi sie auch
an dieser Stelle angefiihrt werden miissen : „Der oberste, ideelle Gesichtspunkt heifit —
Aktivierung des gesamten Musiklebens im Sinne enger Verbindung mit dem
musikalischen Geist der Zeit und mit dem Bediirfnis der breiten kulturwilligen Kreise.
Aktivierung — das soil bedeuten, tatige Fiihlung mit dem innersten Musikwillen, der
sich nicht in der neuen Musik . . . erschopft, sondern auch die veranderte Perspektive . . . auf
„MUSIKSTADT" LEIPZIG 615
die Kunst der Vergangenheit wesentlich einschliefit. Bedurfnis der breiten, kultur-
willigen Kreise — das will sagen, dafi hier, im bewuGten Gegensatz zu der gesellig-
geniefierischen Auffassung und Verschleifi-Praxis der Konzertvereine, sowie im Gegen-
satz zur snobistischen Esoterik gewisser „geistreicher" Zirkel das naturliche Verlangen
der geistig regen Bevolkerung nach Musik gestillt werden soil, abgelost von einem
„gesellschaftlichen" Zweck, eingebettet in den Wunsch nach Kompensierung des werk-
tatigen Lebens durch Aufnahme iibermaterieller und uberpersonlicher Werte". Holl
fordert dann — eine notwendige Folge des vorber Gesagten — eine „Bereinigung des
Musiklebens im Hinblick auf die Okonomie der Krafte durch eigene Initiative der Stadt".
Dabei ist es billig, dafi „die Stadt von den privaten Vereinen" (die sie direkt oder in-
direkt stiitzt) „ein gewisses Eingehen auf die stadtische Kulturpolitik, mindestens aber
willige Zusammenarbeit in alien gemeinverbindlichen Fragen der ortlichen. Musikpflege
verlangt".
Fritz Balthasar (Leipzig)
„MUSIKSTADT" LEIPZIG
Wer etwa glaubt, dafi in Leipzig noch etwas vom Geist der „Davidsbundler" zu
spiiren ist, der irrt sich. Schon lange ist es her, dafi Entscheidungen, die eine einzige
Hingabe an die Sache erl'ordern, von den prominenten Instituten dieser ,.Musikstadt"
durchgefochten wurden. Neues wird, wenn man schon emmal nachgibt, lediglich auf
seine gesellschaftlich repriisentative Wirkurig hin taxiert, der beriihmte Leipziger „Jonny" (
ist der eklatante Beweis dafiir. So ausschliefilich sogar herrscht diese Mentalitat, dafi
selbst eine Reaktionsbewegung, wie- sie die Straubeschule mit Thomas darstellt, nur
schwache Energien zu entwickeln vermag.
Fertig gebracht hat das die dominierende Stellung des Gewandhauses. Hier
ist die groteske Verkehrung Tatsache geworden, dafi ein neues Werk hochstens durch
eine gesellschaftliche Aktualitat legitimiert werden kann. Denn man appelliert an eine
Schicht, die bereits durch Generationen ihre Stammsitze vererbt, die vergessen hat. dafi
man nur deshalb eine glanzvolle GeseUschaft wurde, weil man Folie kunstlerischer Taten
von Weltgeltung geworden war. Die Folgen solcher Publikumsstruktur sind natiirlich,
wie woanders auch, der ewig gleiche Turnus der Standardwerke und die Bevorzugung
jener verwaschenen Produktion der Gegenwart, die niemand weh tut. Gewifi, Furt-
wangler hat wichtige moderne Werke gebracht, aber sie wurden geschluckt als sein
Spleen, um ihn nicht zu verargern. Sie blieben isoliert in der Programmbildung, und
er hat diese einzig bemerkenswerten Ereignisse der letzten Jahre wohl selbst mehr als
Berliner oder intern ationale Vorproben aufgefafit. Was belichtet schliefilich scharfer die
Situation, als dafi man so zufrieden ist mit den Allerweltsprogrammen, die im derzeitigen
Interregnum von Walter, Busch, Kraufi, Sclauricht und Pfitzner neben den Leipzigern
Brecher und Straube serviert werden, so zufrieden: dafi daruber jede Diskussion
der vakanten Stelle ein gesclilafen ist. Einsam in der Spielfolge dieses Konzert-
winters steht Hindemiths Bratschen-Konzert, das der Komponist als Solist bereits
absolviert hat.
616 MUSIKLEBEN
Wie bereits angedeutet, steht die andere musikalische Grofiuntefnehmerin, die
Stadt Leipzig auch im Banne der tonangebenden Gesellschaft. Im Neuen Theater
hofFt man, durch praehtvoll aufgezogene Premieren neuerer Werke moglichst unverbind-
lichen Charakters, Anlafi zu Routs zu geben. So etwas wird dann als allgemeines Interesse
einkassiert, der Masse glaubt man mit dem veralteten, unlebendigen Abonnentensystem
genug zu tun. Fiir lange Zeit noch scheint kaum Aussicht zu bestehen, dafi sich bei
den stadtischen Kunststellen die Erkenntnis durchsetzt : dafi ein, im vollsten Sinne des
Wortes, kiinstlerisches Publikum stets wird, stets erworben werden mufi,
sicb nur aus dem stetigen Kristallisatioiisprozefi um neu herausgestellte Werte
formt, die wahrhaftiger Schopfung verbunden sind. Leipzig hatte einst .ein solches
Publikum.
Der Exponent dieser Haltung der Stadt ist ihr Generalmusikdirektor Gustav Brecber.
Auf verschiedenen Posten hat er nur sporadische Erfolge gehabt. Das mufi in die Er-
innerung gerufen werden, denn ein Riickblick auf seine fiinfjahrige Leipziger Tatig-
keit legt nahe, dafi er sich, an sich schon kerne Kampfnatur, nach seiner Berufung als
Nachfolger Lohses nunmehr endgiiltig entschlossen haben mag, es durch Paktieren auf
der mittleren Linie zu schaffen. Innerpolitische Etappen: grofi aufgemachter Straufizyklus
in Anwesenheit des Komponisten, wodurch man die Gesellschaft gewann; kostspielig
ausgestatteter „Parsifal", um die Wagnerian er im Schach zu halten; Busonis ,,Turandot"
und „Arlechino", um moderneren Anspriichen den Mund zii stopfen. Das aufiere Prestige
sollten naturlich Urauffuhrungeu bringen, doch hier entlarven schon die Namen: Ettinger,
Rabaud, Reznicek und im letzten Monat Hermann Hans Wetzlers „Baskische Venus",
ein bombastisches Epigonenwerk, dessen riesiger Apparat zu bluffen gestattet. In hilf-
loser Leitmotivik stellt die Mache geradezu ein Dokument fiir die Zersetzung aller
musikalischen Energie durch die Nachromantik dar.' Selbst der jiingste d' Albert „Die
schwarze Orchidee'* tragt ausgepragt den Wesenszug, der fiir die Annahme in Leipzig
bestimmend ist. Zu einem Buche, das Magazin-Amerika parodiert, stofit der Verismus,
der sich an der Bhythmik des modern en Gesellschaftstanzes regeneriert, ohne sonderlich
iiber eine allerdings brillante musikalische Unterlage fiir eine Ausstattungsrevue hinaus-
zukommen. Wahrlich, ein Anlafi fiir Leipziger Ambitionen, die denn auch, was Aufwand
betraf, in noch nie dagewesener Weise befriedigt wurden. Wenn man sich schliefilich
auch nicht durch das Mitmachen der Handelrenaissance tauschen lafit, bleiben wirklich
nur „Jonny", Weills „Zar" und Ravels „Zauberwort". Wird jedoch gerade an diesen
Werken beachtet. dafi sie vor allem der Regie ein restloses Ausleben gestatten, dann
mufi man sie auf das Konto Walter Briigmanns setzen, mehr Regisseur spielerischer,
nach Effekt haschender Einfalle, als fundiert in einem Stilwillen. Obwohl er Opern-
direktor genannt wird, ist er zu weich, eine Forderung ohne Eitelkeit des Begisseurs nur
um der Sache willen durchzudriicken. Aber ganz grell beleuchtet, was nicht gebracht
wird: Hindemith, Strawinsky, Berg, Toch, Honegger, Prokofieff, Milhaud u. a., von der
Verschleppung des „Protagonisten'" (Weill) gar nicht zu reden. Man fragt nach dem Ge-
brauclispielplan. Mozart, Verdi, die Spieloper sollten das Riickgrat bilden. Sie folgen,
auch die Enstaubungen, derart in Intervallen, dafi sie sich nicht zu einerPhysiognomie
einen. Das Repertoire des Neuen Theaters regieren in jeder Hinsicht ZufaU und Ehrgeiz
nach billigem Prestige.
MELOSBERICHTE
617
Noch interessieren in Leipzig die PhilharmOnischen Konzerte des Sinfonie-
orch esters, die der Initiative des Konzertvereins, der Musikfreunde und der Phil-
harmonischen Gesellschaft zu verdanken sind. Aber man vermag hier Hermann
S ch e r ch e n nicht mehr als Dirigenten zu halten, die Produktivitat der Zukunft ist also
n Frage gestellt. Alfred Szendrei, der auch mit dem genannten Orchester konzertiert,
geht wahllos in seinen Programmen auf „Novitat" aus. Manchmal riskieren Gewand-
hauschor unter Straube, Riedelverein unter Ludwig etwas (Honegger). Am
meisten hort man neue Musik im ephemeren Strom der Solistenkonzerte.
Kein Zweifel, das Musikleben Leipzigs ist in eine Stagnation geraten, die es urn
alles Ansehen bringen miii Daran andert auch ein alljahrliches „Bachfest" nichts. Wie
ist da herauszukommen ? Nur dadurch, dafi die Neubesetzung des Gewandhaus-
dirigentenpostens endlich zur Diskussion gestellt wird, in der die Stadt die
Initiative zu ergreifen hat. Bisher wurde eine Kraft von Rang tur die Gewandhaus-
gesellschaft nur dadurch finanziell tragbar, dafi man auswartige Kombinationen einging.
Eine stabilere Kombination ware aber innerhalb der Stadt zu schaffen, die Stadt hatte
sie zu bringen, die ja auch ideell am Rufe des Gewandhauses partizipiert. Einer zeit-
bejahenden Personlichkeit miiftten im Opernhause Moglichkeiten eroffnet werden, Brecher
konnte man nach der autoritativen Seite hiii ein Aquivalent anbieten. Es ware Ver-
brechen an zwei Instituten von Ruf, liefie man die grofie und neue Sache an stadtischen
und privaten Kompetenzen scheitern. Schneller aber, als man denkt, wird das Publikum
beider Hauser vom Bedeutungswechsel in der Programmbildung (alte und jiingste
Musik einerseits, Musik des XIX. Jahilmnderts anderseits) iiberzeugt sein, wenn ihm
in einem wirklichen Fiihrer Wille iind Ziel erscheinen.
MELOSBERICHTE
Berliner Musik:
Bittner^Krenek-
Schonberg
Bittner: den Urwiener,
Krenek: den inter-
nationalen Wiener und
Schonberg, der sich
aus der Wienerischen
Bequemlichkeit in einen abstrakten Intellek-
tiialismus fliichtete — man hort sie alle
drei hintereinander. Von Bittner ist nicht
viel Aufhebens zu machen. Da Bruno
Walter auf alte Freundschaften manches
gibt, kommt Bittners neueste Oper „Mond-
nacht" an seinem Institut in Charlottenburg
her,aus. Ein Premierenerfolg. „Mondnacht"
ist eine weanerische Leutnantstragodie mit
Erlosungshintergriinden, die wirkungssiche-
ren Naturalismus und Operette wahllos
durcheinandermantscht. Solange Wiener
Milieu geschildert wird, die ,.gute alte Zeit'' - ,
in der man frank und frei in den Tag
hineinliebelte, in der wackere Burger ihren
Schwatz auf der Strafie hielten, solange
Bittner in seinen Singspielgrenzen bleibt,
hat die Musik eine gewisse volkstumliche
Harmlosigkeit. Aber wenn er holier hinaus
will und den hochverraterischen Herrn
Leutnant durch das Mitleid einer mond-
sfichtigen Jungfrau ,.erlosen" lafit, dann ver-
liert er den Boden unter den Fiifien. Mit
den Mitteln von Straufi, Puccini und Mahler
tastet sich die Musik armselig am Text-
wort weiter — ohne Originalitat, ohne
Linie.
Walter nimmt sich der diinnen Partitur
mit grofier Liebe an, er tont das Klang-
bild aufs mannigfaltigste ab. Auf der
Biihne wird er von Lotte Schone und dem
heniichen Tenor Fidesser ausgezeichnet
unterstiitzt. Der Schauspielregisseur Martin
ist hier zu Hause, wo es keine Riicksicht
auf die Musik zu nehmen gilt.
Walter bringt vorher eine Neueinstu-
dierung des „Tannhauser" : . Er breitet die
Partitur nach dem Lyrischen und Farbigen
hin mit unerhorter Feinheit aus. Man ge-
618
MUSIKLEBEN
niefit die vollendete Gesangskunst der
Maria Mutter (Elisabeth). Aber was man
auf der Biihne sieht, diesen Jagdaufzug mit
einer Unzahl ausgestopfter Tiere, diese in
ihrer Zerknirschung ein riesiges Kreuz
schleifenden Pilger, diesen iippigen Prunk
im Wartburgsaal : das ist altestes Theater.
Man hatte es nicht mehr fiir moglich ge-
halten. Die ganze Berliner Presse stand
Kopf vor Begeisterung iiber diese Tann-
hauser-Neuinszenierung.
Von Bittner zu Krenek — da gab es
noch vor ein paar Jahren keine Verbindung.
Jetzt ist das anders geworden. Mit seinem
Potpourri fur Orchester, das man unter
Unger horte, biegt Krenek mehr noch als
in seiner Kleinen Sinfonie, zu einer seichten
und riihrseligen Operettelei zurixck, und
in seinen Drei Einaktern, fiir die sich
Klemperer mit seiner ganzen Vitalitat in
der Krolloper einsetzte, nimmt er den
Operntypus von gestern in verkiirzter Form
wieder auf. Seine Sprache vereinfacht sich,
um Zugang zum Horer zu finden. Aber
wie er ihn in seinen friiheren Werken heftig
attackierte, so stiirzt er sich ihm jetzt be-
denkenlos in die Anne. Stilwille und Ge-
sinnung sind aufgegeben. Es ist iiber diese
Einakter nichts anderes zu sagen, als was
schon im Juliheft dieser Zeitschrift gesagt
wurde. Den besten Eindruck macht noch
das March en. Es lehnt sich zwar am deut-
lichsten an altere Vorbilder an (Humper-
dinck, Schreker), aber es klingt, es hat
hiibsche Ensembles und fliefiende Beweg-
ung. Die platte Art, mit der aktuelle Ge-
gebenheiten und philosophische Gedanken
in den Text eingewoben sind, beriihrt frei-
lich gerade im „Geheimen Konigreich"
aufierst peinlich. Die kaltschniiuzigeVeristik
des „Diktators*' erinnert an einen schlechten
Vorkriegsfdm. Im „Schwergewicht" ist Krenek
auf dem Niveau einer Durchsohnittsposse.
Die Auffuhrungen hatten starken Erfolg,
besonders das Marchen, fiir das Strnad sehr
geschmackvolle Dekorationen in Schwarz-
Weifi entwarf. Ausgezeichnete Frankfurter
Krafte sprangen in den HauptroUen ein :
Jean Stern (Diktator, Ochsenschwanz), Clara
Ebers (Konigin). Wirl, der von Operette
wieder zur Oper zuriickkehrt, ist gleich gut
als blinder Offizier wie als Tanzlehrer. Die
Schrekerkopie des Narren im Marchen ver-
korpert Hamrnes ausgezeichnet.
Schonberg denkt seine Ideen mit unbe-
irrbarer Folgerichtigkeit weiter. Er isoliert
sich immer mehr und stofit heute noch auf
den gleichen Widerspruch bei den Horern
wie ehedem. Freilich lafit sich audi kein
ungeeigneteres Publikum denken als das
rein gesellschaftlich orientierte der Phil-
harmonischen Konzerte, dem Furtwangler die
neuen Orchestervariationen vorsetzte.
Es gab einen Skandal, wie er nur aus der
Zeit heftigsten Kampfes um neue Musik in
Erinnerung ist. Er wh'd von einem kleinen
Teil der Horer getragen. DieMehrheit ist zu in-
dolent, um in irgend einer Form aktiv zu sein.
Schonberg iibertragt den Stil seiner
spateren Kammermusikwerke auf einen
grofien Orchesterapparat. So sehr es e<gent-
lich seinem Zwolftone-Formalismus zu-
widerlauft — das Klangliche ist mit hochster
Differenzierung gegeben, sodafi es nicht
selten als solches fesselt, wenn der musi-
kalische Ablauf nicht mehr .greifbar ist.
Wir bewundern die geistige Hohe der Ar-
beit. Aber wir erkennen audi den unge-
heuren Gegensatz zwischen der Logik des
geschriebenen Notenbildes und dem Chaos
der Vielklange und Melodiepartikel, das
unser Ohr trifft. Den Gegensatz zwischen
der intellektuellen Konstruktion und der
tatsachliclien Zersetzung der nachwagner-
ischen Ausdrucltschromatik im realenKlang-
bild. Nur an einigen Stellen, vor allem
gegen Schlufi, weist eine durchgehendere
Bhythmik auf jene Festigung der Ton-
sprache, die Schonberg in seinem voraus-
gehenden dritten Streichquartett erstrebte.
Die Auffiihrung unter Furtwangler war
hervorragend.
Hindemiths Konzert fiir Viola d'amore
ist in der klaren und fliefienden, dabei
formal festgefiigten Gestalt denkbar grofiter
Gegensatz zu Schonberg. Der Abstand
zweier Generationen wird deutlich. Das
wenig bekannte Stuck ist das grazioseste,
das intimste von Hindemiths Kammer-
konzerten, der Humor des Bratschenkon-
zertes ist noch um einige Grade verfeinert.
Hindemith spielt den Solopart, von Taubes
Kammerorcliester trefflich assistiert, wunder-
bar sachlich und schliclrt.
Heinrich Strobel (Berlin)
MELOSBERICHTE
619
Nielsens „Saul^ In alien musikalischen
in Goteborg Kreisen Skandina-
— viens spricht man
zur Zeit von der Goteborger Aufftihrung
der Oper „Saul und David" von Nielsen.
Dieses Werk .das vielleicht besser die Be-
zeichnung „oratorisches Drama" hatte tragen
sollen, wurde bei der Urauffiihrung in
{Copenhagen 1 902 von Presse und Publikum
recht kxihl aufgenommen. Man hatte in
jener unter dem Einfluft von Wagner und
.anderen Spatromantikern stehenden Zeit
kein Verstandnis fiir diese herbe, eigen-
farbige, polyphone Musik, die auf jede Ge-
fuhlsiibertreibung und sinnliche Klang-
schwelgerei verzichtet. 1913 versuchte man
eine Wiederholung unter Nielsens eigener
Leitung. Das Verstandnis in Fachkreisen
war vielleicht etwas grofier, das breite
Publikum verhielt sich aber passiv. Um
1916 erfolgte Nielsens Anerkennung als
fuhrender danischer, vielleicht uberhaupt
nordischer Komponist. Aber erst in dieser
Saison hat sich die Kopenhagener Oper zu
einer Neueinstudierung entschlossen. Schon
im November fiihrte „Stora Teatern'' in
Goteborg das Werk auf — und hatte da-
mit einen in der neuesten Geschichte des
nordischen Musikdramas beispiellosen Er-
folg. Der Goteborger Erfolg des ,.Saul und
David", sowie die bevorstehende Ham-
burger Auffiihrung von Oehlenschlagers
„Aladdin" mit Nielsens Biihnenmusik wird
in Danemark als ein Zeichen dafiir ge-
nommen, dafi das wachsende Verstandnis
im Ausland fur Nielsens symphonische Ar-
beiten sich jetzt auch auf seine Buhnen-
werke erstrecken wird.
Jorgen Bentzon (Kopenhagen)
Wien im Festfieber Festfieber — wie eine
Epidemie kommt es
bei gewissen Erregungsanlassen irgendwo
auf, verbreitet sich iiber die ganze kulti-
vierte Musikwelt und verschwindet nicht,
ohne stellenweise zu recht alarmierenden
Ausbriichen gefiihrt zu haben. In meiner
bescheidenen Praxis bildet das Wien des
Schubertjahres den schwersten Fall.
Die ersten Anzeichen verrieten, wie man
sich entsinnen wird, bereits im Januar dieses
Jahres, dafi eine, einstweilen latente, Storung
eingetreten sei. Bald verdichteten sich die
Symptome zu chronischen Anfallen, deren
starkster mit dem Sangerbundesfest im Juli
erreicht wurde. Es war schon damals
nicht schwer, vorauszusehen, dafi um den
19. November die letzte, akute Verscharfung
erfolgen wurde. Sie trat sqgleich in voller
Schwere auf. Ein Festkonzert, ein Festakt,
eine Brunnenenthullung, die Weihe zweier
Erinnerungstafeln, funf Huldigungen vor
Schuberthausern und -denkmalern, die samt-
lich hochtonende Apostrophen an den
gefeierten Heros umschlossen — die stellen-
weise etwas krafi formulierten, im Wesent-
liclien aber auf dem Boden wissenschaftlicher
Erwiesenheiten stehenden Ausfiihrungen
eines Musikhistorikers wurden dafiir als
Herabsetzung eines Genies mit einem
Entrustungssturm quittiert — waren die be-
angstigenden Konvulsionen, denen das
Wiener Musikleben ausgesetzt war. Das
mitgenommene Wien aber besafi nicht mehr
die Kraft, bei all diesen Attacken das
Schubertwerk so eindeutig in den Vorder-
grund zu stellen, dafi sich die schwersten
Besorgnisse als unberechtigt erwiesen hatten.
Im Gegented, es trat eine Vivisektion
des Schubertwerkes nach politischen und
kunstpolitischen Ambitionen in die Er-
scheinung, wie sie katastrophaler nicht
gedacht werden kann. Die Gegensatze
zwischen Stadtverwaltung und Bundesre-
gierung, die sich bei Beethoven noch
zusammengefunden hatten, haben sich in-
zwischen so verscharft, dafi Schubert hier
zuerst zum Opfer fallen mufite. Der griine
Tisch verlangte das zweite. Nicht befriedigt, als
wetteifernde Veranstalter zu gelten, spur-
ten Fremdenverkehrskommission einerseits,
Unterrichtsministerium andererseits aktive
Betatigungsgeluste. Mit dem Ergebnis, dafi
eine konzentrierte Zusammenfassung nicht
einmal in technischem Sinne stattfand, dafi
die einzelnen Veranstaltungen so verfehlt
erdacht wie sinnlos durchgefuhrt wurden.
So billig aber sollte Schubert immer noch
nicht davonkommen. Was nun noch von
ihm iibrig blieb, fiel den ausfiihrenden
Kunstinstanzen endgiiltig zum Opfer. Es
gab also auch keinen einheitlichen, ge-
schweige denn einen zu erschopfendem
Uberblick gerundeten kunstlerischen Ver-
lauf. Peinlicher als ungezahlte Wieder-
holungen und Bearbeitungen wirkten ver-
620
MUSIKLEBEN
schiefende Gewichtsverteilungen, klaffende
Lxicken. In drei Tagen hochfieberhafter
Feierei wurde man mit unausgesetzten
Mannerchoren und der Es dur-Messe ge-
sattigt. Dagegen hat es den Veranstaltern
kein Kopfzerbrechen gemaclit, den Meister
des deutschen Liedes zentenarzufeiern, ohne
einen einzigen seiner grofien, reifen Zyklen
zu beriicksichtigen.
Der Gedenktag selbst war die Krisis.
Herab stiirzte die Temperatur aus ihrer
schwindelnden Hohe. Ermattet, beruhigt
kehrte das Wiener Musikleben zu normalen
Dimensionen, zu abendlichen Konzerten
zurtick. Acht Tage nach dem Anheben der
Feier sptirte man schliefilich nodi erfreu-
liche Zeichen genesender Funktion der
Wiener Musikorgane. In der Staatsoper hat
Marie Gutheil- Scfwder mit Robert Hegers
musikalischer Waltung zwei szenische
Werke, den „HauslicJien Krieg" und die
„Zwillingsbruder" inszeniert — mit einem
kiinstlerischen Vermogen und einem Erfolg,
welche die AufFuhrung vermutlich durchaus
lebensfahig erhalten werden — das will
bei Schuberts Singspielen bekanntlich viel
heifien. Wiederum war es Frau Gutheil-
Schoder, die, diesmal von Paul von Klenau
musikalisch assistiert, das Oratorienfragment
„Lazarus" durch eine szenische Darstellung
lebendig werden liefi. Nicht nur dies gelang —
wenn auch die Langen des ersten Teils spur-
bar blieben — sondern die Beziehungen dieser
Schopfung, gleichermafien rtickweisend auf
Handel wie vorweisend auf Wagner, die
erst durch die konkrete AufFuhrung richtig
bewuftt werden, gaben der Gestalt des
Meisters neue, ungewohnte Umrisse. An
letzter Stelle der Feiern kamen gliicklich
noch Furtwangler und die Wiener Phil-
harmoniker zu Wort. Seien uberflussige
Worte vermieden, sei nur erwahnt, dafi
sie mit den unbekannten Menuetten und
Trios fur Streichorchester ihre herrliche
Interpretation durch ein besonderes Ver^
dienst kronten.
Das ist die wesentliche Ausbeute der
Schubertfeier, soweit sie aufierhalb des all-
taglichen Rahmens liegt. Ein International
Kongrefi fiir Schubertforscliung, der in sich
ein erfreulicheres Bild bot, die Spuren reich-
lich spater Vorbereitung aber nicht ganz ver-
bergen konnte, schlofi sich ihnen zeitlich
an. Wenn auch die Symptome des uber-
standehen schweren Festfiebers in den
Konzertanzeigen fiir den Abschlufi des
Jahres noch immer nicht vollends ausge-
schaltet sind, so besteht fiir ein erfahrenes
Auge doch kein Zweifel mehr daran, dafi
der Patient sich endgiiltig auf dem Weg der
Rekonvaleszenz befindet. Das Wiener Musik-
leben hat dank einer unvergleichlich zahen
Tradition solch harte Beanspruchung, fiir
dieses Mai wenigstens, einigermafien iiber-
wunden. Es fragt sich nur, ob Vorkomm-
nisse wie das vorliegende nicht das Ver-
trauen in die kiinstlerische Leistungsfahig-
keit einer Stadt empfindlich erschiittern.
Die Erfahrungen an Musikfesten haben
noch nie zu derartig schwerwiegenden Be-
denken Anlafi gegeben; h off en wir, da6
sie zur Warnung dienen werden.
Fred Hamel (Berlin)
NOTIZEN
OPER UND KONZERT
Paul Hindemith wird nach Vollendung seiner
komischen Oper, deren Titel noch nicht feststeht, ein
Ballett fur Diaghilew schreiben, dessen Urauffuhrung
im Marz in Paris stattfindet. „Hin und zurtick"
wurde bereits in 7 Sprachen ubersetzt und zwar :
englisch, franzosisch, russisch, danisch, ungarisch,
tsche'chisch und hollandisch. Hindemith wird
im Dezember sein Bratschenkonzert auf einer
Tournee in Russland spielen, im Januar in der
Schweiz.
Hermann Reutter's „Saul" nach dem Drama von
Lernet-Holenia kam in neuer Fas9ung am Stadttheater
in Dusseldorf mit durchschlagendem Erfolg bei Publi-
kum und Presse zur Urauffuhrung. Das Wiirtt.
Landestheater in Stuttgart erwarb die Urauffuhrung
von Reutter's „Der verlorene Sohn", Text von Andre
Gide in der Ubersetzung von Rainer Maria Rilke und
wird dieses Werk zugleich mit „Saul" zur Auffuhrung
bringen. Die Staatsoper in Stuttgart hat ferner die ein-
aktige Oper „Das Gazellenhorn" des schwabischen
Komponisten Hugo Herrmann zur Urauffuhrung in
dieser Spielzeit erworben.
Am Opernhaus in Hannover gelangte eine Ballett-
groteske „Robes, Pierre und Comp." zur Urauffuhrung
durch Yvonne Georgi und Harald Kreutzberg, von
denen auch der Text stammt. Die Musik schrieb
Friedridt Wilckens fiir zwei Klaviere.
NOTIZEN
621
Donizettis „Lucia von Lammermoor" ist von Max
Ettinger neu ubersetzt und bearbeitet worden und
gelangt im Laufe der Spielzeit im Stadttlieater Leipzig
zur Erstauffuhrung.
Die nachsten Auffuhrungen von Ernst Tochs
Oper „Die Prinzessin auf der Erbse" finden in Alten-
burg, Zurich, Liibeck, Freiburg i. Br., Bern und
Stendal statt.
Das Konigsberger Opernhaus, das von dem neuen
Intendanten Dr. Hans Schiller kiinstlerisch vollig re-
organisiert wurde, hat auch geschaftlich einen erheb-
lichen Aufschwung genommen. Eine wesentliche
Herabsetzung der Eintrittspreise bewirkte eine
Steigerung der Abonnentenzahl auf das Dreifache.
Die Mitgliederzahl der Besucher-Organisationen ist
ebenfalls um etwa 20°/ gestiegen. Es kann jede
Vorstellung durchschnittlich 12 - 16 mal gegeben
werden. Eine Abstimmung bei Abonnenten ergab
eine Ablehnung der modernen Operette mit 4 / 6 der
Stimmen. Die bestbesuclite Opernvorstellung war
bisher Hindemiths „Cardillac".
Respighis „ Versunkene Glocke" nach dem Marchen-
drama Gerhart Hauptmanns erzielte bei ihrer Erst-
auffuhrung in der Metropolitan Opera in New York
einen starken Erfolg.
Das AltmarkischeLandes theater Stendalhat die Erst-
auffuhrung der dreiaktigen komischen Oper „Madame
I'arduduc" von Jacques Offenbach in der textlichen
Neubearbeitung von Karl Kraus erworben.
Ernst Toch schreibt gegenwartig im Auftrag des
Frankfurter Rundfunks eine „Heitere Suite" fiir Or-
chester, die Anfang Januar durch diese Sendegesell-
schaft uraufgefiihrt werden wird.
Eduard Erdmann hat ein Klavierkonzert ge-
schrieben, das in Koln unter Abendroth, vom Kom-
ponisten gespielt, zur Urauffiihrung gelangt.
Anlafilich des 5. Jahresfestes veranstaltete die
Gemeinniitzige Vereinigung zur Pflege deutsclier Kunst,
e, V. in Berlin die Erstauffuhrung der „Missa
symphonica" von Lothar Windsperger mit dem
St. Michaetis-Kirchenchor aus Hamburg und dem
Berliner Sinfonie-Orchester unter Leitung von Pro-
fessor Alfred Sittard. Die Auffuhrung hatte grofien
Erfolg. Das Werk hatte auch bei seiner Auffuhrung
durch die Liedertafel in Mainz einen starken Erfolg.
Es ist ferner zur Auffuhrung in der Wiesbadener
Maifestwoclie in Aussicht genommen.
Der Chemnitzer Volkschor brachte als erster
Chemnitzer Vereinschor mit der Stadtischen Kapelle
eine Auffuhrung von Honeggers „Konig David". Die
Leitung hatte Willi Steffens. — Respekt vor diesem
Volkschor !
Die Tripel-Fuge fiir grofos OrcJiester von Kurt
von Wolfurt, erscheint demnachst im Verlage von
Ernst Eulenburg. Das Werk wurde kiirzlich in Dresden
aufgefiihrt ; weitere Auffuhrungen stehen bevor in
Aachen, Bamberg, Berlin, Hannover, K6ln, Niirnberg.
Dr, Hans Hefing wird in Diisseldorf (unter
Weisbach) das Klavierkonzert von Hermann Wunscli
zur westdeutschen Erstauffuhrung bringen.
PERSONALNACHRICHTEN
Lotte Lehmann, die beruhmte Sangerin und Ge-
sangspadagogin, konnte am 2. November in Berlin
ihren 80. Geburtstag feiern.
Zum Nachfolger von Joseph Rosenstock, der an
die Metropolitan Opera in New-York verpflichtet
wurde, ist Erich Boehlke (Koblenz) als Generalmusik-
direktor an das Wiesbadener Staatstheater ab Herbst
1929 berufen worden.
An Stelle des von Wiesbaden nicht abkommlichen
Carl Schuricht werden Alexander v. Zemlinsky (fiir
die Orchesterkonzerte) und Bruno Kittel (fiir die
a cappella-Abende) die Leitung des Chors an der
Hochscliule fiir Musik in Berlin iibernehmen.
Alfred Hoehn konzertierte mit grofitem Erfolg
in Hamburg (Dr. Muck) und Dresden (Fritz Busch)
und wurde zu Konzerten nach Ungarn, Polen und
Tachechoslowakei eingeladen. Fiir diese und die nfichste
Saison liegen Angebote aus Spanien, Siidamerika und
den Vereinigten Staaten vor.
Das Deutsclie Musilcinstitut fiir Auslander wird
im Juni 1929 im Schlofi Charlottenburg eroffnet
werden. Das Prasidium iibernimmt Wilhelm Furt-
wangler. Es werden lediglich Meisterkurse fur Klavier,
Violine und ein Dirigentenkurs abgehalten, fiir die
als Lehrer Eugen d' Albert, Edwin Fischer, Walter
Gieseking, Willy Hefl und Joseph Szigeti gewonnen
worden sind. Wilhelm Furtwangler wird einige Vor-
trage iiber Dirigieren halten, aufterdem wird Carl
Scliuriclit den Dirigentenkurs leiten. Fur Vortrage
iiber Musikasthetik und Musikgeschichte (in deutsclier
und englischer Sprache) sind die Herren Dr. A. Ein-
stein, Dr. Leiclitentritt und Prof. Dr. Weiftmann ver-
pflichtet worden. Vortrage iiber Instrumentenkunde
halt Prof. Dr. C. Sachs, iiber die Entwicklung der
Notenschrift und Musikbibliothekwesen Prof. Dr.
Joh. Wolf.
MUSIKFESTE
Die „Deutsche Kammermusik Baden-Baden 1929"
findet im Juli statt. Zur Einsendung kommen in Be-
tracht : instrumentale und vokale Kammermusikwerke,
die fiir Haus und Schule geeignet sind ; ferner Film-
musiken und kleine musikalische Biihnenwerke (Sing-
spiele, Kammeropern, Pantomimen). Die , .Deutsche
Kammermusik Baden-Baden" erweitert nachstes Jahr
ihren Aufgabenkreis durch Aufnahme von Original-
kompositionen fiir den Rundfunk (Instrumental- und
Vokalmusik; Horspiel). Nahere Auskunft durch
„Deutsche Kammermusik Baden-Baden" zu Handen
von Heinrich Burkard, p. Adr. Programmrat der
Deutschen Rundfunkgesellschaften. Berlin W 9, Pots-
damer Strafie 4.
Das 17. Deutsche Baclifest der Neuen Bach-
gesellschaft wird 1929 in den Tagen vom 8.-10. Juni
in Leipzig stattfinden. Es wird zugleich eine Er-
622
MUSIKLEBEN
innerungsfeier an die vor 200 Jahren erfolgte erste
Auffiihrung der Matthaus-Passion sein und an das
vor 25 Jahren in Leipzig stattgehabte 2. Deutsche
Bachfest. Die Leitung des Bachfestes liegt in den
HandendesThomaskantorsProfessorD..Dr.^rarZS(rau6e.
Die Neue Bachgesellschaft hat an Stelle des ver-
storbenen Hermann Abert Herrn Professor Siegfried
Oclu zum stellvertretenden Vorsitzenden gewahlt und
an dessen Stelle Herrn Professor Dr. Max Schneider
(Breslau) in den Vorstand berufen.
PREISAUSSCHREIBEN
Fur die Komposition eines gemischten Chores mil
Ordiester (geistlich oder weltlich) schreibt die „Maat-
schappij fot Bevordering der Toonkunsf in Amsterdam
anlafilich ihrer Zentenarfeier einen Preis von 2500
Gulden aus. Einsendungstermm : 1. Marz 1929. Partitur
und Kl.-A. sind mit Kennwort und beigefiigtem ver-
siegelten Umschlag, der Namen und Adresse des
Komponisten enthalt, an den Generalsekretar der
Gesellschaft, Dr. Paul Cronheim, Nic. Maesstraat 33,
Amsterdam, einzusenden. Es kommen nur Werke, die
weder veroffentlicht noch aufgefiihrt sind, in Frage.
Der Stadtrat von Graz hatte anlafilich der Acht-
hundertjahrfeier der Stadt ein Preisausschreiben fur
ein Original-Orchesterwerk grofien Stils von mindestens
8 / 4 stiindiger Auffiihrungsdauer erlassen. Den Preis
erhielt Hermann Kundigraber fiir ein Orchester-
tryptichon. - Die Grazer wollen was fiir ihr Geld.
Minimum 3 / 4 Stunden — das heifit die Komponisten
zum Breittreten ihrer Ideen formlich zwingen. Und
das ausgerechnet in einer Zeit, wo alles Produktive
nach Konzentration strebt.
AUSLAND
Frankreicli :
Das „ordiestre symphonique" in Para gab zwei
Abende mit Werken von Strawinsky, bei denen u. a.
neben einem seiner friihesten Werke, der ersten
Symphonie, sein letztes .,ApolIo musagetes" aufgefuhrt
wurde.
Der nach dem Brand im vorigen Sommer wieder
hergestellte „Salle Pleyel" wurde am 30. November
wieder eroffnet.
Ida Rubinstein gab an der Oper einen Ballett-
abend, bei dem u. a. „Le baiser de la Fee" von
Strawinsky, „Sanguet" von David und „Le Bolero"
von Ravel zur Urauffuhrung gelangten.
Der 60. Geburtstag von Albert Roussel im April
nachsten Jahres wird durch Auffiihrung verschiedener
Werke des Kiinstlers, u. a. eines Psalms, in Paris
gefeiert werden.
Sdiweiz :
Othmar Schoeck arbeitet an einer kleinen Oper,
zu der ihm das Marchen „ Vom Fischer und syner
Fru" den Text liefert.
Danemark :
Die Kopenhagener Sektion der I. G. N. M. brachte
im November u. a. Hindemiths „Frau Musica" in
dem Bahmen einer offenen Singstunde zur Auffiihrung,
Das kgl. Theater in Kopenhagen wird in dieser
Saison zwei jung-danische Novitaten bringen : Hbffdings
Oper „Des Kaisers neue Kleider" und Riesagers Ballett :
„Benzin",
Diesem Heft liegen bei:
ein Prospekt des Verlages Ferdinand Hirt in Breslau, fiber „Jedermanns
Biicherei Abteilung Musik" herausgegeben von Prof. Dr. Johannes Wolf.
ein Bestellzettel fiir Einbanddecken zum VII. Jahrg. MELOS.
Die schonste und grundlegende Darstellung der musikalischen Kultur aller Zeiten und Volker ist das
Handbuch der Musikwissenschaft
Herausgegeben von Professor Dr. Ernst Biicken von der Universitat K6ln unter Mitwirkung einer
grofien Anzahl von Musikgelehrten.
Etwa 1300 Notenbeispiele I gegen monatliche 3 Gmk.
und etwa 1200 Bilder j Teilzahlungen von ^ ^^
Urteile der Presse: „Eine Kulturgeschichte der Musik im besten Sinne des Wortea" (Deutsche Musiker-Zeitung) — „Ein ganz
prachtiges und gediegenes Werk" (Das Orchester) — „Ein Werk, das das Herz jedes Musikfreundes hoher schlagen lassen muii"
(Blatter der Staatsoper) — „Etwas ahnliches war bisher in der Musikliteratur nodi nicht vorhanden" "(Weserzeitung, Bremen).
Man uberzeuge sich durch Augenschein und verlange unverbindliche Ansichtsendung M Nr. 4 von
ARTIBUS ET UTERIS, Gesellschaft fur Kunst- und Literaturwissenschaft m. b. H., POTSDAM
623
Wet intetptetiett
Diese in ihrer Art erstmalige Zusammenstellung
kann keinen Anspruch auf Vollstandigkeit er-
heben. Der MELOSVERLAG bittet die Leser
urn Mitteilung'von Brogrammen, die nach Mafi-
gabe des zur Verftigung stehenden Raunies in
kiirzester Form kostenlos veroffentlicht werden.
Ueue lOlmlkl
Klaviei
Hedwig Apfel; Hindemith, Slavenski, Villa-Lobos,
Fairchild, Barlok, Grainger,^ Albeniz, Milhaud
Paul Aron: de Falla, Hindemith, Toch, Winner,
Windsperger • <
Claudio Arrau: Slrawinsky
,1 alios Baranyi: Toch, de. Falla. Honegger, Barlok,
Schulhoff, Kodaly, Ravel, Casefla
Hcllninth Biirwald: de Falla
Marthe Bereiter : Albeniz, Barlok, Cricka. Petyrek, Toch
Hans Brnch / Lenc Bruch-Weiller : Hindemith, Toch
Windsperger
Ednard Erdmnnn : Schonberg, Hindemith, Berg, Haba,
Krenek, Schnabel, Tiessen, Petyrek, Frdmann,
Jarnach. Toch, Barlok
Victor v. Frankenberg: de Falla
AValther Frey : Beck, Toch
Carl Friedber;*: Toch
Walter Giesekmg : Hindemith, Toch, Albeniz, Braun-
fels, Busoni, Casella, Castelnuooo - Tedesco,
de Falla, Honegger, Korngold, Jos. Marx,
Poulenc, Ravel, Rosenstock, Schonberg, Scott,
Skrjabin, Slrawinsky, Szymanowski
Iringard Grippain-Gorges: de Falla, van Gilse,
Liapounow
Mark Hambourg: Villa-Lobos, Ravel
Alida Hecker : Hindemith, Casella, Toch, Sekles,
Slrawinsky, Barlok, Honegger, Mdhaud, Berg,
Schulhoff
Clara Herstatt: Tsch*repnin, Benjamin
Lilly Hcrz : Kodaly, Bnrtok
Josef Hirt : Hindemith
Alfred Hoehn: Toch
Hermann Hoppe: Toch
ElseC.Kraus : Hindemith. Toch, Schonberg,Slraivinsky,
Eisler, Krenek, Haba, Batting, Berg, Hauer,
Wo'pe, Jemnhz, liosa, Tiessen
Marianne Kuranda: Milhaud, de Falla, Jansman,
Szymanowski
Frida Kwast-Hodapp : Jarnach
Remy Leskowitz: Hindemith, Scott, Strawinsky,
Milhaad, Ravel, Fairchild, Jansman, Schulhoff,
Barlok
Emma Liibbecke-Job : Hindemith
Gerda Nette : Hindemith
Elly Ney : Toch
Franz Osborn: Hindemith, Toch
Karl Hermann Pillney : Janacek
San Roma: Toch
Albert Spalding: Debussy. Ravel
Zofja Spatz: Milhaud, Casella, Kosa, Pisk
Frans Wiemans: Casella, Milhaud, de Falla
AH Weyl-Nissen: Hindemith, Slavenski, Maler,
Windsperger, Prokofieff
Cembalo
Li Stadelmann : de Falla, Maler
Violine
Licco Amar: Hindemith
Eugenie Bertsch: Paid Milller, Schoeck
Hedwig Fassbander: Hindemith
Violine (ferner) :
Stefan Frenkel: Jamach, Toch
Klein von Giltay: Jarnach
Bronislaw Huberman: Hindemith
AV alter Kiigi: Beck, Toch
Otto Kobin: Slephan
Lonis AV. Krasner : Achron
Georg Kuhlenkampf-Post; Hindemith
Gerhard Meyer: Willner
Alma Moodie: Hindemith
Alexander Moskowsky: Hindemith. Tscherepnin,
Barlok. Ravel, Achron, Caslelnuovo- Tedesco, Nin
Riele Qneling : ' Windspergtr
Alexander Schmiillor: Hindemith
Max Strnb: Windsperger
Viola
Panl Hindemith: Windsperger, Hindemith
AVinfried und Reinhard Avolf: Hindemith
Violoncello
Emannel Fcnermann: Hindemith, Schullhess, Winds-
perger
Manrits Frank : Hindemith
Hans Hagen : Hindemith, Ravel, Kodaly, Toch, Webern
Eva Heinitz: Hindemith
Joachim Stutschewsky : Weltesz, Raphael, Winds-
perger, Hindemith, Casella, Jemtitz, Kodaly,
. Honegger .
Gesang
Marguerite Babaian: Hindemith
Elisabeth Bischoff : Windsperger
Hildcgard von Buttlar: Hindemith
Claire von Conta: Windsperger
Tini Debiiser: Hindemith
Anne Fellheimer: Windsperger
Lily Dreyfufl: Windsperger
Anny Gantzhorn: Haas '
Gertrude Hcpp: Haas
Rose Herrlinger: Hindemith
Maria Hussa: Krenek
Lotte Kreisler: Haas
Annamarie Lenzbcrg: Windsperger
Felix Lbffel: Schoeck
Paul Lohmann: Reutter
Valentin Lndwig: Windsperger
Lotte Mttder-Wohlgemnth : Lendvai
Grete Mcrrem-Nikisch : Hindemith
Marianne Mislap-Kapper : Hindemith, de Falla, Pisk,
Prokofieff
Anny Quistorp: Toch
Marianne Rau-Hbglaucr : Schonberg
Hermann Schey: Stephan
Maria Sohultz-Birch: Bartok, Honegger, Jemnilz,
Marx,Pelyrek,Ravel,Tiessen,Erdmann,Sch6nberg
Theodora Versteegli: Kodaly
Berthe de Vigicr: Jesinghads
Rose Walter: Haas, Hindemith, Toch, Windsperger
Reinhold vou Warlich: Haas
Nachdmck nur mit beaonderer Erlaubnis I
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Siegfried M. 17. -
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Geboren 1901 in Schaflhausen, sludicrte in Zurich, lebt seit
1923 in Paris, wo rr dem Kreis um Arthur Hone.gger angehort.
Jn dem Deutsch-Schweizer Beck paart sich kraftvolles deutsches
Flmpfinden mit dem V(»Ilendeten Fi»rmgeflihl der romanischen
Rasse, wobei jedoch die deutsche Komponente stark uberwiegt.
Ur-Auffiihrungen der Werke fanden statt: Streichquartett: in
Frankfurt (Musikfest 1927), Concertino: in Paris (Fruhjahr 1928)
mit Walter Frey, Symphonie: in l.uzern (Schweizer Tonkunstler-
lest 1928). Weitere Aufl'tihrungen der Symphonie in Neuchatel,
Boston, Zurich, demnachst in Berlin und Mainz.
Quartett Nr. 3
fiir 2 Violinen, Viola und
Violoncello
Symphonie Nr. 3
fiir Streichorchester
Concertino
fiir Klavier und Orchester
Studien-Partitur
Stimmen . .
M. 2.
M. 8.
Parritur (4o) . . . . . . M. 20. -
Auffiihrungsmateiial nach Vereinbarung
Klavier-Auszug M. 5. -
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Auffi.hrungsmaterial nach Vereinbarung
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(die mit *) bezeichneten Partituren sind nur
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Bellini, V. Norma 25.—
Boito, A. Mephistopheles . . . 25. —
— Nero 25.—
Donizetti, G. L'EIisir d'amore
(Liebestrank) . . : 25. —
Mascagni, P. Iris 25. —
Meyerbeer, G. *) Robert der Teufel . . 25. —
Montemezzi, I. L'amore dei Tre Re (Die
Liebe dreier Konige) 25. —
Pizzetti, I. Debora und Jael . . 25. —
Ponchielli, A. Die Gioconda . . . 25. —
Puccini, G. Die Boheme . . . . 25. —
— Gianni Schicchi . . 15. —
— Madame Rutterfly . . 25. —
— Manon Lescaut . . . 25. —
— Das Miidchen aus dem
goldenen Westen . 25. —
— Schwester Angelica . 15. —
— II Tabarro (Der Mantel) 15 —
— Tosca 25.—
— Turandot 25.—
Respighi, G, Relfagor 25. —
Rossini, G. *) DerHarbiervonSevilln 25. —
— *) Wilhelm Tell . . . 25.—
Spontini, G. *) Die Vestalin .... 25 —
Verdi, G. Aula 25.—
— Ein Maskenball . . .25.—
— Falstaff 25.—
— Othello 25.—
— Requiem (Messe) . . 25. —
— Rigoletto 25.—
— La Traviata (Violetta) 25.—
— Der Troubadour . 25. —
Zandonai, G. Conchita 25. —
— Francesca da Rimini . 25. —
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Parsifal gesellt sich hier eine neue. die dem
luxurioscnBediirfnisdesTheaterpublikumsnach-
kommt und in den yrundervol en Zcichnungen
von Hans Wildermann die einzelnen Partien
darstellt und verstandlich macht.'
(,Der Bticherfreund')
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Gefnhl eines innerlich gerichteten Leserkreises
»uf die noch viel zu wenig bekannten Juw»len
mittelhochdeutscher Liebesdichtung zu lenken."
(,/eitschrift fiir Bucherlreunde")
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mentale Werk zum Abschlufi ge-
langt, behandelt kiinstlerische
Gestaltung und Unterricht
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sikalische und geigerische Analyse
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fiihrung in die Musik. — Vom ersten Anfang bis zu Beethoveris leichteren
Variationen und Bachs kleinen Praludien und Inveritionen,
I, Band. 100 Seiten. Zweite, wesentlich umgearbeitete und erweiterte Auflage. Preis etwa 6 Mk.
• ;,Die erste grofier angelegte Klavierschule, die nicht nur das Klavierspiel lehren,
sondern zugleich systeniatisch in die Musik selbst fiihren, ja „zum Schalten mit
den Tonen, zum freien Umgang mit ihnen" erzielen mochte."
„Endlich die erste musikalische,, grundmusikalische Erziehungsmoglichkeit. Diese
Sclnde sollte in alien Musikanstalten Eingang finden."
„Halms Klavieriibung ist inhaltlich d e wichtigste Neuerscheinung der didaktischen
Musikliteratur und es ist ihr weiteste Verbreitung zu wiinschen."
So schrieben mafigebende Personlichkeiten iiber die praktisch zum Teil unbe-
queme, wenig geschickte erste Auflage. Nun erscheint auf langjahriger Lehr-
erfahrung beruhend, die zweite, ganz jvesentlich veranderte und verbesserte Auf-
lage des Halmschen Werkes, das namentlicb audi fur den Selbstunterricht ein
einzigartiges Hilfsmittel ist. Das wesentlidi Neue an der Klavieriibung ist, dafi
sie das Klavier benutzen lehrt um der Musik willen. Alles wild aus dem Geiste
der Musik heraus aufgebaut. nichts wird mediahisch eingetrichtert. Uber 150 vor-
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bemessene Anschaffungskosten : ein Cembalo-
chord kostet kaum mehr als ein gutes Pianino.
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sich eingehend mit Neuer Musik besch&ftigt.
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monik der diatonischen,
der ganztonigen und der
chromatischen Tonreihe.
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Seiten mit 782 Notenbei-
epielen und zahlreichen Ta-
bellen.
II. Mus erbeispiele zur Lelire
von \er Harmonik.
Umfang: 120 Seiten
In Canzleinen gebunden:
Teil I: Mk. 12.—
Tei II: Mk. 8.—
Aus Besprechungen :
. . . eroffnet teilweise harmonische Perspektiven, die higher in der Praxis noch
kaum beachtet worden sind, aber er gliedert sie einnvoll und organ iach in den
ganzen Komplex ein. Hierher gehoren die glanzend gesdiriebenen Kapitel iiber
dieFunf-, Sedis- undSiehenklange, die aufiertonale (1) Satztechnik und dieTheorie
der alterierten Akkordik, die in dieser Form ebenfalla ganz neu sind . . .
Dr. Fischer (Allg. Muaik-Zeitung)
... so darf man sie als die praktisch verwendbarste und in diesem Sinne
als eine der besten Harmonielehren der Cegenwart bezeichnen . . .
Dr. Veidl per Auftakt)
B. SCHOTT'S SOHNE / MAINZ - LEIPZIG
628
NEUE, WERKE VON •'
ERNST KRENEK
Z WEI NEUE ORCHESTER -WERKE
Op. 54 POTPOURRI
fur grofies Orchester
U.E.Nr. 9411 Partitur Mk. 20.-
Ein neuer, grofeer Erfolg bei der Erstauffuhrung
in Hamburg unter Gustav Brecfier
„Ein vlrtuoses Stuck, angefullt mit einem diabolischen
Humor, hochstapart in den Klangwirkungen . . , hdchst
fesselnd und reizvoll bis zur letzten Note. Der
Erfolg war grofi**. (Norddeutsdie Nadirichten^ Altona)
n Das Stuck hat kolossalen Schmifi, ist glanzend
modern ihstrumentiert. Und die Ubergange von
einem Thema zum anderen wachsen iiberraschend naturlich
aus dem Bau des Stiickes . . . ein vorziigl ich er Wurf ,
eine mit frischen und erf risch enden Einfallen
gesegneteKomposition, deren Schmifi verstarkt durch
Brechershinreisende und feurige Wiedergabe, direkt Eundete".
(Hamburger Anzeiger)
„, . . durchauslebenabejahend, zeitgemafl in ihrem hastenden
Tempo und ihrcr, fiir da's Wesen Kreneks, bezeichnenden
Bhythmik . . . fand das forsche und draufgongerische Stiick
aufiergewohnlich lebhafte Zustimmung".
(Hamburger Fremdenblatt)
Op. 58 KLEINE SYMPHONIE
fiir Orchester
Sensationeller Urquffuhrungserfolg in Berlin unter
Otto Klemperer
„Kein anderer deutscher Komponist ware fahig, so mit
An stand zeitgemafi, witzig, harmlbs, heiter zu sein . . .
E s ist das Scharmanteste was wir von ihm
kennen . . . Biavissimo Krenekl . . . Krenek wurde als
magister elegantiae stiirmischgerufen und gefeiert".
(B. Z. am Mittag, A. IVeissmann)
„ . . . der Sclierz eines, der sich auch auf den Ernst ver-
steht, und w.ir freuen uns an viclen hiibschen, narrischen,
extravoganten, giocosen Einfiiilen und an Einfallen. die
doch nur von Einem kommen, der irgendwie zu den
Berufenen und Auserwahlten zahu w .
(Vossische Zeitung, M. Marsdialk)
„Seine „Klcine Symphonie" ist Parodie der klassischen
Symphonie, Parodie schon in der Resetzung . . , es gibt
tauaend Witze der MeEodie und Instrumentation. Und die
Frechheit ist so hinrcifiend liebenawiirdig, dafi
man nur laclien kann und dem Komponisten die
Hand achuttelnmochte". (Berl. Tageblatt, A . Einstein)
EINE NEUE KLAVIER-SONATE
U.E.Nr. 8836 Op. 59 II. KLAVIERSONATE Mk. 3.-
NEUE GESANGE MIT KL AVIER
Op.53 VIERGESSNGE
fiir Mezzo-Sopran und Orchester
1. Das unerkannte Gedicht — 2. Ein. Rundum —
3. Ein Anderes — 4. An Sich
U.E.Nr. 8924 Ausgabe fur Gesangu. Klavier M.2.50
Op. 56 DREI CKSANGE
fiir Bariton und Klavier
U.E.Nr. 9568 IDieZerst6ruii(;MagdeburgsM.2. -
U.E.Nr.9569 IIDerneue Ainadis M.1.50
U.E.Nr. 9570 III Fragment M.1.50
Op. 57 KONZERTARIE
(Monolog der Stella)
(Aus Goetlies .,Stella", IV. Akt, 1. Szene)
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EINEN NEUEN ZEITBEGRIFF
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Magdeburger Zeiiung : Wir ■ erinnern uns
merit, jenials eine s>o gro sztigig angelegie.
so gi'*.chmacU- und slilvoll aufgemachte, so
erlesrn gefoimt' und vornehm gestempelte
Zeitschnft ge.ieheh zu haben, wie dieses
erste Heft der ,,BOtlcherstrasse ".
Prager Presse: Die Zeitsclirift ubertrifft
alle Erwartungon, in hezug auf Ausstattung
ebenso, wie in bezug auf Inhall. PersBn-
lichkeiten von international cm Ruf und
Rang haben wesentliche Bcitrage ge-
bchneben, und dip Ausstattung .st gerade-
zu mustergiiltig beispielgebend.
Literarische Welt: Kine ungewohnlich
pompos.herfferichteie Monatsn-vue — schon
rein ausserlich ein I'nikum in der heutigen
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n Da d-eutache und achTreizeriache Musikgesehichte ineinander ver-
woben Bind, werdeu dcutsche Musikgelehrte am beaten wisaen,
Wfti ite dem Herouageber, E. Refardt, zu vcrdanken haben".
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mit schwriz. MuiikgeHchiclite 1't-fnflt, ala ein ausgeJeichneteB und
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MUSIK DER ZEIT
EINE SAMMLUNG ZEITGENOSSTSCHER WERKE FUR KLAVIER
in sechs Banden
T Tin dem Klavierapielcr die MogHchkcit zu geben, die beaten, charakteriatischsten und bedeutendaten
*— zeitgenoaaischen Klavierkompositionen in einer schonen und billigen Ausgabe zu erwerben, haben wir
aua den zablreichen Klavierwerken unaerea Verlagea in sechs Banden das Wertvollate und Ceeignetate zu-
sammengestellt. Der Preia der einzelnen Bande steht in gar keinem Verhaltnis zu den Kosten des Einzel-
erwerbs dieaer zahlreichen Werke. Die Anordnung der Stiicke ist sowohl nach der technisclien, wie nacli
der muaikalisch-geistigen Seite hin nach Schwierigkeitsgraden erfolgt und -wit glauben mit dieser ura-
faesenden Sammlung jedem Musiker, dem auaiibenden, dem Musikfreund und dem Lehrer ein -willkommenes
und dringend erwunachtes Material an die Hand zu geben.
INHALT DER BANDE
BAND I (U. E. Nr. 9516)
Klavierstiicke von Barwinskyj, Braunfels, Dobrowen, Foerster, Friedman, Kosa, Marx,
RacJimaninoff, Springer, R. Strauss, Szymanowski, N. Tscherepnin, Weinberger.
BAND II (U. E. Nr. 9517)
Klavierstiicke von Castelnuovo-Tedesco, Gal, Graener, Hdba, Medtner, Scriabine, Szyma-
nowski, A. Tscherepnin, Willner.
BAND III (U. E. Nr. 9518)
Klavierstiicke von Bartok, Kattnigg, Kosa, Malipiero, Mjaskowsky, Novak, Polovinkin,
Respighi, Rieti, Scriabine, Wladigeroff.
BAND IV (U. E. Nr. 9519)
Klavierstiicke von Bartok, Butting, Feinberg, Finke, Grosz, Gruenberg, Hdba, Jirdk,
Koddly, Lazar, Polovinkin, Salmhofer, Schulhoff,
BAND V (U. E. Nr. 9520)
Klavierstiicke von Bartok, Grosz, Krenek, Milhaud, Petyrek, Prokofieff, Rathaus,
Scriabine.
BAND VI (U. E. Nr. 9521)
Klavierstiicke von Bartok, Butting, Casella, Eisler, Hauer, Pisk, Schbnberg, Wellesz.
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©cfommeUe (Sdjriffen in brci Sdnoen
Kritische Zeitbilder. Klang und Eros. Neue Musik. - Gebunden im Karton M. 20.
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DEUTSCHE VERLAGS-ANSTALT STUTTGART
BERLIN UND LEIPZIG
632
AUSGEWAHLTE LIEDER
TSCHECHISCHER
KOMPONISTEN
Anton Dvorak: Rusalka's Lied an den Mond'fiir Gesang und Klavier
Deutsche Ubersetzung von Dr. Friedrich Adler.
Das^bekannteste Lied aus der gleichnamigen Oper,'die eben wieder
mit durchschlagendem Erfolge in CSR, Deutschland und Osterreich
aufgefiihrt wird. Preis ItM. — .90
Anton Dvorak: Zwei Lieder: Wiegenlied / Gestorte Andacht
Deutsch von Dr. Fr. Adler, franzosisch vonDr. Jar. Fiala. Preis HM. 1.20
DAS TSCHECHISCHE MODERNE LIED
Liederalbum 20 tschechischer Komponisten mit tschechisch-deutschem Text:
Heft I: Vertreten sind Smetana, Fibich, Forster, Jeremids,
Axman, Zitek,Jirdk,Kvapil,Petrzelka,Osti'cil,lVovotny
Heft II : Vertreten sind Dvorak, Novak, Karel, Kricka, Kunc,
Vycpdlek, Vomdcka, Tomdsek, Stepdn
Preis jedes Heftes: HM. 2.25
Jaroslav Kricka: Drei Fab el n fur Gesang und Klavier
1. Die unfolgsamen Zicklein - 2. Hahnchen und Hiihnclien - 3. Der
Kranich und die Rohrtrommel.
Deutsche Ubersetzung von Dr. Fr. Adler
Die weltberiihmte Sangerin MmeXroiza hat diese Lieder im Repertoir
Preis RM. 2.70
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Verlag tschechoslovakischer Komponisten und Musikschrif'tsteller
HUDEBNI MATICE UMELECKE BESEDY, PRAG HI
Besednf ulice 3 — Kiinsderhaus Umelecka Beseda
Zentrum des Musiklebens in der Tschechoslowakei
633
ROBERT SCHUMANN
SKIZZENBUCH
dem
T>
ALBUM FUR DIE JUGEND
rait noch unveroffentlichten Stiicken, zahlreichen Notizen,
Entwfirfen zu den Musikalischen Haus- und Lebensregeln u. a.
(.(.
FAKSIMILE- AUSGABE
nebst einem ausfuhrlichen Anhang von
Lothar ¥ i n d s p e r g e r und Martin Kreissig
Kein anderes Werk Schumanns, wohl iiberhaupl kcin Werk der Klavier--
literntur iat in dem MaGe Allgemeingut der ganzen Welt geworden, wie das
Jugendalbum mit seinem „Fr6hlichen Landmann", „Wilden Reiter", „Erston
Verlust" nsw. Das bkizzenbudi enthalt diese und die andcren Stiicke in
der ersten Niederschrift, aber audi Skizzen zu noch unveroffentlichten
Kind era tuck en, die ousgearbeitet den besten iibrigen cbenbiirtig waren,
aiso eine Fa ksimile- Ausgabe nicht nur von all gem einem Interessc, sondern
auch von weittragender Bedeutung fiir die Musikforschung.
In imitiertem Einband des Originals u. Sclmtzkarlon im Stil der Zeit Mk. 20. —
B. SCHOTT'S SOHNE / MAINZ-LEIPZIG
BERNARD VAN DIEREN
Es ist bemerkenswert, dafi, Cecil Gray in seinem Werk „Die Zeitgenossische Musik" Bernard vanT Dieren auf
gleicher Stufe mit Strauss, Ravel, Schonberg und den ersten Komponisten Europas stellt. In seinem Essay bestiltigt
Gray seine „feste Uberzeugung, dafe Bernard van Dieren nicht nur zu den wenigen Koinponisten zflhlt, deren Werke
in der heutigen Z^eit groflten Wert hohen, sondern dafi ■ er auch dazu berufen ist, einen hedeutc.nden Einfluft auf da9
zukilnftige Musikschaffen auszuuben".
Gray's Bewunderung ist urn so interessanter, da er fast der einzige Musikcr ist, dem die Werke van Dierens bekannt
slnd. Die Oxford University Press hat nunmehr eine Ausgabe von Wcrken van Dierens heraus gebracht, welche Liedcr
und Knmmernuisikwerkc umfafit. Die Titelzeicljnung zu der Ausgabe siammt von dem franzosischen Malcr P. L. Rigal.
Lieder fiir
Sonetto VII of Spencer's Amoretti
Fur Gesang und kleines Ordiester
Part. Mk. 4.—
Stimmen audi leihweise.
.,Les Rayons et les Ombres" (Hugo)
Franz. Text Mk. 2.50
Les Contemplations — I (Hugo)
Franz. Text Mk. 2.50
„Take, o take those lips away" (Shake-
speare) Engl. u. franz. Text Mb. 2.-
„With margerain gentle'* (Skelton)
Engl. u. franz. Text . . . Mk. 2.50
Spring Song of the Birds (James I of
Scotland)
Engl. u. franz. Text . . . Mk. 2.50
Song from „The Cenci"g{SheJlcy)
Engl. u. franz. Text . . . Mk. 3.-
, r Weep you no more, sad fountains"
Franz, u. engl. Text. . . Mk. 2.50
Mk. 3.-
Mk. 3..
Mk.
Mk.
Gesang und Klavier, wenn nicht anders
Chanson (Depr^aux)
Franz, u. engl. Text . . .
Schon Rohtraiit (Morike)
Deutsch u. engl. Text . .
Levanu (de Quinccy)
Franz, u. engl. Text . . .
Bulov Franz, u. engl. Text
Dream Pedlary (Beddoes)
Engl. u. franz. Text . . .
She I love (Waller Savage Landor)
Mk. 2.-
Madchenlied (O. J. Bierbaum)
Deutsch, franz. u.engl.Text Mk. 2.50
Der Asia (Heine)
Deutsch, franz. u.engl.Text Mk. 2.50
Mild is the parting year (W. S. Landor)
Spleen (Verlaine) .... Mk. 2.-
Mk. 2.-
angegeben
Love must be gone (\Y. S. Landor)
The touch of love (W. S. Landor)
Mk. 2.-
Last Days (W. S. Landor) . Mk. 2.-
Mon Coeur se recommande a vous
(nach einer Melodic von Orlando di
Lasso) Mk. 2.-
Epiphanias
Deutsch. franz. u.engl.Text Mk. 3. —
Spring (Thomas Nashc) . . Mk. 2.50
Tenia con Variazionc
Far Klavier allein . . . Mk. 4. -
Netherland Melodies
Fttr Klavier allein . . . Mk. 3.—
Sonatina Tyroica
Fur Violine und Klavier . Mk. 5.50
Streichquartett No. 2 Part. Mk. 10.50
OXFORD UNIVERSITY PRESS
95, Wimpole Street, London, W. I
Alleinige Auslieferung fiir Deutschland : FRIEDRICH HOFMEISTER, LEIPZIG
634
3ofepf? fyattbn
<5d?otfifd?e unb tDafiftfcfte #o(Mieber
mit 25egfeitung Don 23iDline, 33iolonrcflo unb fUa&ier
Stud) f(ir ®efong mit StaDlerfregteitung affeln au^fiiljrbay
UU&lblerf unb mit neucn paffenben Xejten sum crffcn 2Me beuffd) fjeraudgegeben Don
Or. 23ernft. (Sngeffe
4 £>efte (porfilur mit (Slimmen) & 3J?. 3.-
©timmen einjetn a 2J?. -.50
#eft l ab.-tftr. 2450
1. ©le braune £elb' unb yarrows
6«h'n Sob. Burns
2 ffi n|t glng Id) Im ©ommer Sob. Burrs
3. JBIflff t>u mltnad) JlanOcin gebn . . . ©djoli. SJolfSlltb
■4. Sort too burd>S Sleb baS Bdijleln
jlef)i , . . . Sob. Bums
5. Srfilaf in belner enaen Hammer . . . <5d)oit. JSoifSlleb
6. 25ern urn Berg, unb Xa\ inmllten ... 3. Sobenbera
7. 3M Blumen bori am Uierlaum .... Sob. BurnS
8. Sflefl lelfe, meln Bddjlen Sob. Burn*
9. 2Beit fiber ben Jorlh Sob. Burns
#eff 2 ®b.«J?r. 2451
3ung 3ofel (of fid) fef)r fjnuor . .
Zti) m fi jurdcf In Jene ©tabf . .
iDurd-S Sfeib madit id) morgenS
D wd(r meln £ieb eln Slieberbufd) .
Him Btumenlfranb beS flaren See .
ffiln JBanbrer fommf t>on feme . .
. 3olbeS 2JIdDd)en, to flff bu gefirn .
s. O Bto b, bie mid) gefangen r)euf .
9. ©o lann ble Hebe (Sonne (a*f . .
10. Sleln fufjeS ilebcfie , fajldfft bu nod)
11. Xreu unb nerjlnnlgltd), Sobln Jilbalr
, Sob. Bums
, Sob. Burns
Sob. BurnS
, Sob. Burns
Sob. BurnS
. <3u|t. Cdjfller
Sob. Burns
, Sob. BurnS
, $. £«nS
, Sob. Burns
, SolMieb
Xieber nad) G5ebid)fen »on Hermann Xonef:
ipeff 3 Gb.-tfr. 2595
1. ©le ©tfneeqanS jlefjf, ber ©omrncr gef>f . . . £. £6nS
la. ©prldi, fahfjf bu ben Safer £. £8nS
2. QS ttelben me ne ©d)afe urn ben 3J!ad)anbeibaum £. X6nS
3. IBaS feften benn bie leufe mid) blofi fo elgen an &. HSni
4. JBenn Idj melne ©d>afe ttelbe Q. £SnS
5. 3efjt fommf ber ©ommer In baS £anb ....£. IffnS
6. 2Jlein ©djafj, b iS (I eln freler ©cfjilfc . . . . S>. £SnS
7. Sfuf ber tflneburger $eibe ge&t ber fflinb . . £. £6"uS
8. fis fang unb fang eln Wgclfin &. £3nS
9. Soft Wtlp - Sofe rot, tole fOfi l|l bod) beln 3JIUnb £. IffnS
#eff 4 (Jb.»3tr. 2596
1. JBo ble welPen Sauben fjlegen &. .tons
2. 3d) ffebe auf ber £elbe unb bin fo ganj
affeln #. £6nS
3. flber ble $elbe ger)f mein ffiebenfen $. £8nS
4. 3m ©cbummern, ba fam Id) einff ju blr ... $. lifnS
5. Unb Wenn baS S.uer brennf ij. £8nS
6. ffiS blflfjen bie Sofen ble 31ad)llgan fingt . . . £. i«nS
7. QS |Ief)t elne Blume, v>t> btr 3Blnb l»ef)t ben
©laub $. £«nS
„Q.i ruf)t e'n elgener Sfit In blefen iaufrifd)en JBeifen, In benen eln fo freler unb ungebunbener Sbarafter fid) auepragf, wie man
if)n nld)l leld)t in ben tlebern anberer SSIf^r pnbef. SS flnb Stufierungen elner unbelafteien unb unaebiodjenen a3oifS|eele, ble lf)r
S eub unb £elb mil nawer fimfaiMjelt auSfinat. 0le Beglelfung fflr fflaoierlrio, ble 6ai)>n biefen ilebern angebe'f)en lieff, jelgf
im befonberen, wie wunberbar bie mit Sreirell gef)anbf)abfe iTunfl eineS X)e flerS ble Ttauir ju flelgern unb audi filnffferfcfj ju l)o(T<
enben oermag. 2Belcf) InbiblbuefleS £eben f)errfd)l In ben olelfailj fonlrapunfherfen Beglelfln|Trumenlen, uor affem In beren 5Bor»,
3wlfdien« unb Jladifafjen I Oabel Iff ble fllaoierfllmme fo angelegt, bat ble £'eber aud? obne Beglellung ber ©freldjln'trumenle
mui'ijlert Werben Wnnen; ble S)iolln(fimme wleberum fann gelegentlld), nad) Slngabe GngelfeS, aud) bon elner SISte Ubernommen
werben.* 3B, 3B.
„Cer SerauSaeber 6af (Id) burd) prafllfd)e Seilfrlllf, Bejeidinung beS SiorlragS unb tellwelfe Umgeffaltung ber JBorle, nlrbl julefcl
aud) burd) felne Inflruftloe JBorrebe eln tjo^eS SBerblenff urn bat foffbare 3Berf erworben." ©er ftunfjtoarl.
iOurd) jebe 3J?uf(fatient)anbtung7(<JU'l) 8"r 9tnffd)f) erljalttid)
6feinGrdbcr*23er(ag / £ e i p 5 i q
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Der Abend (Bilke) / Heilige
(Rilke) / Die StraGburgerMiinster-
Engelchen (Bierbaum) / Kleine Ge-
Bchichte (Morgenstern) / Spatnach-
mittag (Kuckuck) / SpruchfKuckuck)
Was denkst du jetzt? (Morgen-
stern) / DasHauschen onderBahn
(Morgenstern) / Der Esel (Busch)
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zum erstenmnl Iebendige Auslese im heutigen Geist und Geschmack
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