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Full text of "Melos 07.Jg. 1928"

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MLLOS 

ZEITSCHRIFT FDR MUSIK 



VII. JAHR 
1 • 9 • 2 • 8 



*% 



DER MELOSVERLAG/ MAINZ 



Inhaltsverzeichnis zum 7. Jahrgang (1928 

(nach Autoren geordnet) 



Ainar, Licco 

/ Gedanken iiber Erziehung zur Musik 

Appel, Paul 

Rudi Stephnn's Bild 

Bagier, Guido 

Der akustische Film 

Balthasar, Fritz 

„Musikstadt" Leipzig 

Baresel, Alfred 

Kunst-Jazz 



274 



125 



163 



615. 



354 



Becce, Giuseppe 

Der Film vind die Musik 

Bcngtson, Jorgen 

Nielsen's „Saul" in Goteborg 

Beninger, Eduard 

Pianistische Probleme, im Anschluft an die 
Klavier sverke von Ernst Toch , 

Braudo, Eugen 

Leo Tolstoi und die Musik 



de Campagnolle, Roger 

Der gekiirzte Wagner 

Coeuroy, Andre 

Entwicklung der neueren franziisischen Schule 

Curjel, Hans 

Zur Renaissance der Handel-Oper 

David, Hans Th. 

Krise unserer Tasteninstrumente ... 
Spiel auf mehreren Klavieren 
Generation und Vergangenheit 

Deutsch, Leonhard 

Kunst der Fingerfertigkeit oder Lesetechnik 
Die Moor'sche Doppelklaviatur 

/Doflein, Erich 

Organische und mechanische Musik . 

Ende oder Umformung der Kritik ? . . 

- Ueber Grundlagen der Beurteilung gegen 
wfirtiger Musik 

Kammeroper 

Engel, Robert 

Die neue Tschaikowskij-Biographie . 
Neue russische Musikliteratur 



170 



619 



63 



487 



469 



594 



462 



Seite 

Engelhardt, Wolfgang ' 

Zum Beetbovenbild der Gegenwart . . . 405 

/Epstein, Peter 

Arnold Schonberg : Die gliickliche Hand . 197 

Gatti, Guido M. 

( Drei neue italienisclie Opern ..... 534 

Gerigk, Herbert 

Neuer Geist in Konigsberg 499 

GJjeboff, Igor 

/ Die junge Komponistengeneration in Lenin- 
grad 131, 186 

/Gombosi, Otto 

Bela Bartok's neueste Werke 



21 



Gfeiser, Wolfgang 
/ Betrachtungen zur Frage der Entstehung der 

russisch-kunstlerischen Musik 222 

/Gruber, Roman 

/Boris Godunow in der Autorfassung . . 189 

/-Die Musikkritik in RuRland 233 

/TJas Musikleben in Leningrad .... 350 

„Gutnian, Hanns 

- Der tonende Film 6 

/Wege zur Spiel technik 138 



<T 



Die Rolle der Musik im Rundfunk 
Musikalische Notizen aus Paris 



295 
367 



54 

85 

417 

68 

90 

116 
172'' 

287 
335 

36 
256 



/Guttniann, Alfred 

1st eine Vierteltonmusik moglich ? . . . 530 

'Guttmaiin, Oskar 

Fritz Cortolezis : Der verlorene Gulden . 202 

r/ 

/Was heifit und zu welcbem Ende veranstaltet 

' man ein Musikfest ? 362 

^-Uber die Kultmusik in Deutscbland . . 489 

^Die Tagung des RDTM in Darmstadt . . 554 

Hamel, Fred 

Wien im Festfieber 619 



/Holl, Karl 

/Jazz im Konservatorium ...... 30 

/Rudi Stephan 121 

/Holle, Hugo 

Uber die Kammerkantate ...... 339 



INHA.LTSVERZEICHNIS 



III 



^ Hutter, J. 

Stilprinzipien der modernen tschechisclien 
/< Musik . . • • • • • • • -133 

I^yanow-Boretzky, M. 

Ein Moskauer Skizzenbuch von Beethoven . 407 
/Jfapob-Loewenson, Alice 

^/Busoiii: Die sonatina seconda . . . .194 

X-- ]yi U sik J) e i Granowsky 365 

Jhering, Herbert 

Zeittheater . . 522 

,Katz, Erich 

/ " Orgelmusik der Gegenwart 341 

Knauer, Werner 

/ Gesangverein oder Singgemeinde? . , . 306 
..-•-" Kositzki, Philipp 

Musik in der Sowjet-Ukraine .... 224 

, Krasnopolski, Paul 

KlSnge von Gestern ....... 10 

-KUznizky, Hans 

--''Die neuzeitliche deutsche Volksschule . 257/ 

,-' ■ Der zweite Tanzerkongreft in Essen . . 439 
-- Latzko, Ernst 

. i/TJie Lage der Provinzoper 113 

/ Rundfunk und Neue Musik 191 

./Arthur Honegger : Judith 201 

., Rundhmk-Umschau . 246, 299, 484, 545, 602 

Max Ettinger : Fri'ihlingsefwachen . . . 259 

Sinfoniekonzert ohne Dirigenten . . . 357 

/Handel Renaissance und Opernregie . . . 436^ 

■ Joh. Seb. Bach's Musikalisches Opfer . . 445 

Janacek im Leipziger Gewandhaus . . . 560 

^Laux, Karl 

/ Wellesz in Mannheim . 500 

Toch und Verdi am Mannheimer National- 
theater 558 

Leichtentritt, Hugo 

/ Dr. Kurt Johnen : Neue Wege zur Energetik 

des Klavierspiels 373 

/Luedtke, Hans 

Filmmusik und Kunst 167 

Meissinger, Karl August 

Beethoven und der Genialismus .... 390 
xMelichar, Alois 

/ Das kirgisische Lied 228 

i Meloskritik 

/ Werkbesprechung : 
/ Mersmann, Schultze-Ritter, Strobel, Windsperger 
/ Auffiihrungsbesprecllung : 

/Springer, Strobel, IVolffheim 
Ernst Krenek : „Jonny spielt auf" ... 24 
Instrumentalkonzerte 25 



26, 80, 129, 



Meloskritik (Fortsetzung) 

J Auffuhrungsbespreehung 

/Hanns Eisler 

/Kurt Thomas 

r'otrawinsky : „Oedipus Rex" 

/Neue Werke von Arthur Honegger , 
/ Paul Hindemith : Cardillac ..... 
Kurzopern ... . . ... 

^/Neue Sonaten von Alexander Jemnitz 

/^Deutsche Kammermusik Baden Baden 1928 
//Neue Musik aus dem Schonberg-Kreise . 
/Westphal: Die moderne Musik . . ". 

7 Abwehr ... 

/ Hermann Reutter 

/ Michael Praetorius : Gesamtausgabe . 
/ Schubertliteratur . . .... 

/ Neuausgaben alter Musik (Mersmann) . 

/ Soziologie . . . 

/ Coeuroy: Panorama de la musique contem- 
poraine (Schultze-Ritter) 

-j Mersmann, Hans ( s . a . Meloskritik) 

,/' Chaos und Gestalt 

/ Zeitschriftenschau 142, 

/ Zur Erkenntnis der Musik 

/Musikwissenschaitliche Literatur .... 

!/' Kunstpolitik . 

/ Musiklehre 

/Der Tempel der Symphonie 

^ Schubert ... 

Muche, Georg 

Malerei 

\ Nachricliteh 

>4f95, 146, 205, 262, 315, 375, 
^562, 620 



452, 



Seite 
245 

76 
126 
180 
242 
292 
347 
422 
423 
479 
481 
482 
539 
541 
542 
543 
598 

600 

33 
. 448 
176 
196 
252 
279 
363 
551 

524 

503, 



^Oppenheiin, Hans 

Die Oper und das Operntheater von Morgen 588 
/Osborn, Franz 

Die stilistischen Probleme der modernen 
Klaviermusik . 59 

Pijper, Willem (und Sanders) 

Hollandische Musik von 1900-1925 . . 430 
Reger, Erik 

Die musikalische Situation im Ruhrrevier . 501 
y Szymanowski's „K6nig Roger" in Duisburg 559 

Rimsky-Korssakoff, Georg 

Theorie und Praxis der Reintonsysteme im 
Sowjet-Rufiland 15 

Rohlfing, A. 

Arthur Honegger : Antigone 81 

414 



<? 



r 



Rosenzweig, Alfred 

Ein unbekanntes Skizzenblatt Beethovens 



IV 



INHALTSVEHZEICHNIS 



Seite 

Russolo, Luigi 

/ Die Kunst der Gerausche als For tent wicklung 

des modernen Orchesters 12 

Sanders, Paul F.-(und Pijper)- 

Hollandische Musik von 1900-1925 . . 430 
Scharoun, Hans 

Bauen 527 

Scherchen, Hermann 

Das Musikprogramm der ORAG im Winter 

1928-29 605 

Schmid, Willi 

Zur Interpretation von Beethovens Streich- 
quartetten 396 

Musik und Schule 608 

Schoen, Ernst 

Zur Soziologie der Oper 108 

Die Musik im Rundfunk ...... 426 

Honeggers „Judith" in Darmstadt . . . 498 
Kartell oder Sozialisierung 583 

Schultze-Ritter, Hans (t. a. Meloskritik) 

Verdi-Renaissance 466 

Seiber, Matyas 

Jazz als Erziehungsmittel 281 

Springer, Hermann (s. Meloskritik) 

Strobel, Heinrich (t. a. Meloskritik) 

Neue Aufgaben der Kritik 18 

Zeksenau 42, 92, 144, 203, 260, 313, 373, 450, 
^92, 555, 613 

Opernpublikum . . . . . ... . .111 



Seite 
Strobel, Heinrich (Fortsetzung) 

/ ' /Kurt Weill: Der Zar lafit sich photo- 

7 graphieren 137 

/Das Tonkiinstlerfest in Schwerin . . . 302 

/ iJrauffuhrungen in Dresden 309 

Film und Musik 343 

/Die Internationale in Siena 494 

/ „Agyptische Helena" und „Dreigroschenoper" 
/ in Berlin 497 

Weill und Strawinsky in Berlin .... 557 
/ Berliner Musik: Bittner-Krenek-Schonberg . 617 
Stuckenschmidt, H. H. 

Briider Karamasow als Oper 561 

Therstappen, Hans J. 

David's Einrichtung der Kunst der Fuge 

in Kiel 560 

Warschauer, Frank 

/ Organisationsfragen des Musikwesens im 
' Rundfunk 549 

Weill, Kurt 

■ Zeitoper 106 

Wellesz, E. 

Der Musiker und diese Zeit . . . . . 579 

Westphal, Kurt 

Das Musikschrifttum in der Gegenwart . . 72 

Das neue Horen 352 

Windsperger, Lothar (s. Meloskritik) 

Wohlfahrt, Siegfried 

Zur Meloskritik 183 

' Wtffffheim, Werner (i. Meloskritik) 



Drei Ankundigungen 
fur das Jahr 1928 



1 . MELOSKRITIK (Werkbesprechung) 

Mit diesem Heft wird in unserer Zeitschritt eine Werkbesprechung eingerichtet und 
hierfur ein ganz neuer Weg beschritten : 

Die Besprechung wird dauernd von einer Kommission ausgeiibt und auf dasjenige 
Material beschrankt, welches eine Diskussion verdient. Schriftleitung und Verlag liefien 
sich hierbei von der Uberzeugung leiten, dafi die dauernde lebendige Stellungnahme 
zum Schaffen unserer Zeit zu den vornehmsten Aufgaben des MELOS gehort, dafi sich 
aber eine solche produktive Kritik wesentlich von den iiblichen Zeitschrii'tbesprech- 
iingen uiiterscheiden nriisse. 

Die neue Form der Besprechung erstreckt sicli auf das gesamte verofTentlichte 
Material an Tonwerken, aber auch auf ungedruckte Werke lebender ■Komponisten, soweit 
es sich um Schopfungen handelt, die eine solche Wiirdigung verdienen oder grundsatzlich 
zu bekampfen sind. Sie wird also von allem zufallig Eingereichten unabhangig sein und 
schon durch die Wahl des Stoff'es ein Urted bedeuten. 

Die Kritik selbst wird den Geist, aus dem ein Werk geschaffen wurde, und die 
schopferische Potenz mehr beachten, als die unter Umstanden offenbaren Schwachen 
einer noch ungeiibten Feder und damit die haufigen Fehlerquellen iiblicher Beurteilung 
zu vermeiden suchen. Sie wird bestrebt sein, das einzelne Werk als Teil eines Gesamt- 
schaffens zu werten. Dem Urheber, nicht der einzelnen Xufierung gilt ihr Eintreten. 

Das Ergebnis solcher Untersuchungen soil die Verbindung zum Zeitschafl'en mit 
dem Musikleben beiestigen und zugleich ein Batgeber sein fur alle, die sich praktisch 
oder theoretisch um das Zeitschafl'en bemiihen. 

Da die Bedeutung einer solchen Aufgabe die Kraft und Verantwortung eines Ein- 
zelnen iibersclireitet, wurde, analog der fur die Musikfeste eingeburgerten und bewiihrten 
Jury, eine Kommission gewahlt, die im gegenseitigen Gedankenaustausch das Urteil bildet, 
das, zwar auch nur Menschenwerk, imnierhin auf einer lireiteren Basis steht. als die 
von so manchen Zufalligkeiten abhangige Aufierung eines Einzelnen. 

Der Kommission fur Werkbesprechung gehoren an : Hans Mersmann, Hans Schultze- 
Bitter, Heinrich Strobel und Lothar Windsperger. 



2. M E L O S K B. I T 1 K (AufRilimngsbespechung) 

Von gleichen Gesichtspunkten aus ist die Besprechung der Auifuhruiigeii eingerichtet. 
MalJstab ist hierbei das Musikleben Berlins, in welchem sich alle wesentlichen Ereignisse 
des dentscben Konzertlebens spiegeln. Wichtige Ur- und ErstaufFuhrungen im Beiche. 
werden natiirlich nach wie vor selbstandig behandelt. | 

Die Auffuhrungsbesprechung wird von drei Personlichkeiten ausgeiibt, welche der 
Tageskritik angehoren oder ihr nahestehen. Ihr Ziel ist nicht Chronik oder Musikbericht, 
sondern Herauslosung weniger wesentlicher Ereignisse. Auffiihruiigen von mittlerem 
Niveau fallen nicht in den Rahmen der Besprechung. Dagegen soil es ein Ziel dieser 
Form der Kritik sein, auch jungen, noch nicht anerkannten Kiinstlern wirksam zu helfen. 
Sie bemiiht sich, erstarrte Werturteile nachzuprtifen, Schaden aufzudecken und zu einer 
unabhangigen, reinen und fortschrittlichen Wertung zu gelangen. 

Der Kommission fur Auffuhrungsbesprechung gehoren an: Hermann Springer, 
Heinrich Strobel. Werner Wolffheim. 



3. MELOSBUCHEBEI 

Das neue Unternehmen stellt den Anfang einer in Kiirze erscheinenden, fort- 
laufenden Schriftenreihe dar, deren Inhalte sich zunachst auf Fragen der gegenwartigen 
Musik bezieht. Die in der Zeitschrift behandelten Probleme drangen immer wieder 
iiber den Rahmen eines einzelnen Aufsatzes hinaus. So soil aus dem Grundgedanken 
des MELOS heraus mid im engen Zusammenhang rait der Zeitschrift eine neue, breite 
Basis geschaffen werden. 

Die Ziele der MELOSBUCHEREI sind in erster Linie praktischer Art. Brennende 
Zeitprohleme werden in knappem Raume zusammengefaiSt; aUes weitschweifige Theore- 
tisieren, alle blofie Materialanhaufung wird vermieden. Die Biicherei soil vor ahem 
dem immer grofier werdenden Kreis der Nichtmusiker, welcher Fiihlung mit der jungen 
Musik und Anschlufi an den Pulsschlag der Zeit suchen, zum notvvendigen Fuhrer werden. 

Die einzelnen Veroffentlichungen halten sich im Umfang von etwa 80 Druckseiten 
und haben z. T. Notenbeispiele und Bildbeilagen. Der Preis betragt ca. 2.50 M. ITeraus- 
geber der Sammlung ist der Schriftleiter der Zeitschrift MELOS. 

Im Januar erscheinen folgende Bandchen (Bestellkarte liegt bei) : 

1. Hans Mersmann: Die Tonsprache der neuen Musik 

Von der Erfahrung ausgehend, dafi es viele Menschen gibt, welche den Vi eg zur jungen Musik 
mit ehrlichem Willen suchen, aber einfach an den Schwierigkeiten der Spraclie scheitern, versucht 
der Verfasser, eine Grammatik der neuen Musik zu schreiben. Immer vom lebendigen Beispiel 
ausgehend, wird die veranderle Lage der Melodik, Harmonik und Rhytlimik, die neuen Beziehungen 
zwisclien den Elementen, ihre Auswiikungen im Dynamischen und im Kolorit, untersucht. Ein 
zweiter Teil umreifit die Grundfragen der Form, der neuen Bezichung zwischen ^\ 7 ort und Ton, 
des Archaismus und der Volksmusik und stellt die junge Musik geschichtlirh und soziologisch in 
die Entwicklung ein. 



2. Heinz Tiessen: Zur Geschichte der jixngsten Musik (1913-1928) 

Nach der Entwicklung der lelzten Vergangenheit zwingt sich alien aufierlich und innerlich Be- 
teiligten die Frage auf, wie sich die verwirrende Fulle der Erscheinungen in die Zeit bindet. 
Aus den ersten Zeiten des Experimentierens hat die junge Musik fiber die Briicke der Musikfeste 
immer mehr Eingang in unser Konzertleben gefunden und steht jetzt fest und unverdrangbar in 
ihm. Damit schliefit sich der Kreis um ein Jahrzehnt schon zu einem Stiick Geschichte. Von 
dieser Lage geht der Verfasser aus. Er zeichnet den Weg von innen nach aufien. Er gelangt 
von den inneren Crundlagen der gegenvartigen Musik aus zu ihren aufieren Grenzen und lafit 
die Arbeit der neuen und der bestehenden Vereinigungen und Musikgesellschaften noch einmal 
an uns vorbeigehen. Audi etliche Zeitdokumente, welche, vor kurzem noch Fahnen und Pro- 
gramme, jetzt bereits ein Stiick Geschichte geworden sind und einen ganz neuen Sinn offenbaren, 
werden vollstandig oder in Auszugen mitgeteilt. 

3. Heinrich Strobel: Paul Hindemith 

Zum ersten Mai wird eine monographische Zusammenfassung des Gesamtwerks von Hindemith 
unternommen. Der personliche Entwicklungsweg dieses jungen Fuhrenden ist symbolisch fur die 
Entwicklung der deutschen Musik iiberhaupt. Der allmahliche Ablosungsprozefi von Spatromantik 
und Impressionismus, das leidenschaftliche ungestume Erlebenis chaotischer Urkrafte und ihre 
Bandigung zur Form und zur Gestalt ist nicht nur das Schicksal des Einzelnen, sondern der Weg 
unserer Zeit. Dieser Weg wird an Hindemith gezeigt und durch zahlreiche Notenbelege lebendig 
gemacht. Dabei wurden auch ungedruckte und bisher unzugangliche Verke des Komponisten 
herangezogen. 

SCHRIFTLEITUNG UND VERLAG 



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3e0e ftr. 40 Pfennig 



Srofc be$ biffigen preife$ 3(u$gaben/ bic ben 
feuerffen in nid)fg nacbftefyen 

3nfofge einer ifkreinfunff mif ben Dviginafoerlegern 
tDurben bic bcruf)mfcn [RetJiftontfausgaben unb Sc« 
arbeifungen Don 3Jiat)er^a^r, ©dynabet^tcfd?, 6d)nirtin, 
Ifteger, 300^101, laurifc&futf, 6d)u<f uftD. tikrnommen 



33er(angen 6ie foffcnTod ben ©onberprofpeft Sraljme 1 3tr. 101 
unb ben Rafafog ber ,,(Sbition ©cfjotf" mif fiber 9000 3iummern 



35. 6*otf'$ 6ot?nc / attains unb leipsig 



MELOS 

ZEITSCHRIFT FUR MUSIK 

SCHRIFTLEITUNG: PROF. DR. HANS MERSMANN 

Alle Sendungen fiir die Scliriftleitung und Besprediungsstucke nach Berlin-Grunewald, Neufertallee 5 (Fernspr. Uhland 3705) erbetcn. 
Die Scliriftleitung bittet vor Zusendung von Manuskripten urn Anfrage mitHiickporto. Alle Reclite fiir samtliche Beilrage vorbehalten. 
Fiir Anzeigen und Verlogsmitteilungen verantwortl. : Dr. Johannes Pctschull, Mainz / Verlag: MELOSVERLAG (B. SCHOTT'S SOHNE} 
MAINZ, Weihergarten 5; Fernspreclier 529, 530; Telegr. : Scotaon; Postscheck nur Berlin 19425 • Auslieferuug in Leipzig: Linden- 
strafie 16/18 (B. Sdiott's Sohne) / Druck: B. Scliott's Sohne, Mainz 



Die Zcitschrift erscheint am 15. jeden Monats. - Zu beziehen durdi alle Bud]- und Musikalienhandlungen oder direkt vom Verlug. 

Das Einzelheft kostet 1.- Mk., ' """' "' " "" " '""*' " 

Anzeigenpreiae : '/j Seile ICC. ■ 



Das Einzelheft kostet 1. - Mk., da's Abonnement jfihrl. (12 H.) 8. - Mk., viertelj. (3 H.) 2.50 Mk. (zuziigl. 15 Pf. Porto p.H., Ausland 20 Pf. p. H.j 
- Mk. '/e Seite 60.— Mk. i j t Seite 35.— Mk. Bei Wiederholungen Rabatte. Auftrage an den Verlag 



ZUM INHALT 

Die Ankundigungen des Dezemberhefts haben bereits von wesentlichen Umgestaltungen dieses Jahr- 
gangs berichtet. Alle neuen Dispositionen baben den gleichen Sinn : bei volliger Wahrung des in der 
Zeitschrift stets eingehaltenen Niveaus die Farbigkeit, Vielfaltigkeit und Aktualitat des Einzelhefts zu steigern. 

Die kommenden Hefte werden in reicherer und vielseirigerer Gliederung, meist audi in grofierem 
Umfang als bisher erscheinen. Der wie immer stofflich einheitliche Hauptteil soil ausschliefilicher noch als 
frflher der MUSIK selbst gewidmet sein. Wissenschaftliche und theorerische Inhalte werden fiir ganze Hefte 
kiinftig vermieden und sollen unter eigener Rubrik WISSENSCHAFT laufend vertreten sein. DIE LEBENDEN 
werden sich wie fridier mit alien markanten Erscheinungen gegenwarrig Schaffender beschaftigen und werden 
jetzt unter neuem Gesichtspunkt als verbreiterte Basis fiir die Werkbesprechung der MELOSKRITIK er- 
scheinen, iiber deren Ausgestaltiing die Ankundigungen und ein programmatischer Aufsatz dieses Heftes 
Heftes unterrichten. Kritische Besprechungen, gedrangte Behandlung aktueller Zeitfragen, Auslandberichte 
werden den Inhalt der UMSCHAU bilden, an deren Ausbau systematisch weitergearbeitet wird. Das MUSIK- 
LEBEN soil sich nicht mit einer Sammlung von Notizen begniigen sondern wird durdi planmafiige Erwei- 
terung im Laufe des Jahrgangs eine umfassende Spiegelung des internationalen Musiklebens zu geben suchen. 
Ein einleitender Aufsatz ZEITSCHAU wird das Grundsatzliche der Erscheinungen beleuchten. 

Im Brennpunkt des musikalischen Hauptteils stehen diesmal einige Fragen aus Grenzgebieten. 
Unsere Zeit tastet, wie keine andere, diese Grenzgebiete ab. Sie sucht neue Ausdrucksmittel jenseits des 
Tonsystems und der gewohnten Klangerzeugung. Das Spiel mit der Glasharmonika erweist sich als 
interessanter Vorlaufer ahnlicher Versuche in der Gegenwart. Der ita^ienische Maler Luigi Russolo war vor 
anderthalb Jahrzehnten einer der Wortfiihrer des italienischen Futurismus. Er hat inzwischen an einer 
urspriinglich rein revolutionaren Idee exakt gearbeitet und berichtet nun iiber ein von ihm konstruiertes 
neues Gera usch instrument. Mag dies ein bisher noch isolierter Grenzpunkt der neuen Musik sein, so 
steht der tonende Film mit seinen sich eben erschliefienden neuen Moglichkeiten im Brennpunkt der 
Entwicldung. Irgendwo begegnen seine zut Mechanisierung des Fliefienden strebenden Impulse den iiber 
Reintonsysteme zur mechanisclien Musikerzeugung fortschreitenden Arbeiten der Wissenschaft. Georg 
Rimski-Korssakoff, der Neife des auch bei uns bekanntgewordenen russischen Komponisten, bietet einen 
Uberblick iiber den Stand dieser Bestrebungen in Rufiland. Wenn unter den LEBENDEN die Analyse von 
Bela Bartoks letzten Werken erscheint, die auch in der Werkbesprechung der MELOSKBITIK wiederkehren, 
mag dies als Zeichen gelten, welches Interesse der hochst eigenartigen jiingsten Entwicldung dieses Kompo- 
nisten auch bei uns entgegengebracht wird. Die Scliriftleitung 



MUSIK 



Hanns Gutman (Berlin) 

DER TONENDE FILM 

l. 

Wenn es erlaubt ist, ein Thema zunachst negativ zu formulieren, so soil gleich 
gesagt werden, wovon im Folgenden nicht die Rede sein wird: von der Technik des 
Tonnlms. Nicht nur halt sich der Schreiber dieser Zeilen fur nicht kompetent und fur 
unbefugt, iiber eine derartige Frage zu sprechen, sondern es sind auch ganz andere 
Gesichtspunkte, die ihn bestimmen. zu dem Thema der TJberschrift einige Notizen 
zu machen. 

Das Phanomen des Tonnlms, eines Films also, in dessen Band Musik, Sprache oder 
irgendwelche Schalle so eingefiigt sind, dafi das Horbild gleichzeitig mit dem Schaubild 
abrollt, darf als bekannt vorausgesetzt werden. Man hat vielleicht die Vorfuhrungen 
in Baden-Baden gehort oder auch die in Berlin; man weift jedenfalls, worum es sich 
handelt. Allenthalben sind ideenreiche Techniker an der Arbeit, um Verbesserungen 
zu ersinnen, um die leidigen Nebengerausche auf ein Minimum und die Plastizitat des 
Tones auf ein Maximum zu bringen. Kein Zweifel: eines naheren oder ferneren Tages 
wird das technische Problem restlos gelost sein. Darum scheint mir jetzt der rechte 
Augenblick, die kiinstlerischen Aussichten zu betrachten. 

Nun bin ich nicht so weltfremd, zu glauben, asthetische Erwagungen konnten 
jemals auf die Beherrscher der Kunstindustrie, denn um eine solche handelt es sich, 
irgend einen Einflufi gewinnen. Fiir sie wird es immer nur eine entscheidende Kritik 
geben, die Stimme des Publikums. Da diirfen wir uns also auf das Schlimmste gefafit 
machen. Das kann uns aber nicht hindern, einmal zu fragen, was denn der tonende 
Film eigentlich leisten kann, ob er, kiinstlerisch betrachtet, iiberhaupt erheblich ist. 

Ob technische Erfhidungen das Kunstschaffen beeinflussen, ihm neue Richtung 
weisen, oder ob vielmehr das Kunstwollen sich jeweils den ihm gemafien Apparat er- 
zwingt, das ist eine oft diskutierte Frage. Ohne hier ein so tiefgi'eifendes und prinzipielles 
Problem beriihren zu wollen, darf ich feststellen, dafi in den technischen Neuerungen 
der letzten Vergangenheit, soweit sie zur Kunst in Beziehung stehen, der Primat der 
Technik unverkennbar ist. Der Grund liegt auf der Hand. Wo immer in friiheren 
Zeiten technische Fortschritte im kiinstlerischen Zusammenhange sichtbar werden, sei es 
verursachend oder bewirkt, waren sie entstanden aus dem Antrieb, der Kunst zu dienen, 
ihr Zuwachs an Wirkungsfulle zu schaffen. Die Ei*finder des Hammerklavieres waren 
Instrumentenbauer, also, im Sinne dieser Darlegung, Techniker; was sie aber veranlafite, 
den Kiel durch die Mechanik des Hammers zu ersetzen, war der Wunsch, dem Tasten- 
instrument grofiere Tonstarke und ldangliche Kontinuitat zu verleihen. Die Erscheinung 
des Saxophons entsprang dem Bedtirfnis, dem vollen Orchesterklang einen neuen Farb- 
wert einzuftigen. Es waren, kurz gesagt, technische Neuerungen von primar kiinstlerischer 



DER TtfNENDE FILM 



Bedeutung. Sie wurden in unserer Zeit abgelost durch Erfmdungen, die urprunglich 
garnicht auf die Kunst abzielten, die erst nachtraglich und keineswegs ausschliefilich 
in Bezug zur Kunst gesetzt wurden. Ihre kiinstlerische Bedeutung war daher sekundar, 
worin auch die Tatsache bedingt ist, dafi sie lange nur als Ersatzmittel angesehen 
wurden und vielfach noch angesehen werden miissen. Das eben ist die Frage: wird 
es gelingen, die mechanisch-mittelbare Musik aus der Position eines Surrogates in die 
einer originalen, eigen-gesetzlichen Kunst zu erheben. 

Freilich darf ein sehr wesentliches Merkmal nicht iibersehen werden. Grammophon, 
Badio und auch der Tonfilm sind in der Tat Ersatzmittel, insofern als sie eine gegebene 
Musik iibertragen, ohne ihr einen neuen Klang, eine neue Note (im Doppelsinn des 
Wortes) hinzuzufiigen. Hierin unterscheiden sie sich von den mechanischen Klavieren 
und Orgeln, die, seitdem es gelungen ist, Kompositionen unter Ausschaltung des 
menschlichen Spielers direkt in die Walze zu gravieren, eine Setzweise darstellen konnen, 
welche fur den Spieler unausfuhrbar ware. Der Komponist wird so zum „Notenstecher", 
der Mensch als reproduktiver Mittler wird ausgeschlossen, ausfuhrendes Organ ist das 
Instrument selbst. Was das Grammophon angeht, so sind ahnliche Versuche, namlich 
die Platten direkt zu beschreiben und so jede Klangphantasie zu realisieren, im Gange, 
vorlaufig ohne greifbare Ergebnisse. Ob sich die Moglichkeit ergeben wird, den Film 
ebenfalls mit Hilfe neuer Tonzeichen unmittelbar zu beschriften, ist eine weitere Frage 
der Technik, sicherlich auch eine von musikalischer Belevanz, die indessen nicht diskutiert 
zu werden braucht, solange sie rein theoretiscli bleibt. Fassen wir daher zusammen, 
was der tonende Film im heutigen Stadium seiner Entwicklung darstellen kann, so 
zeigt sich dies. ■ Er kann jegliche akustische Erscheinung, natiirlich auch ohne Beigabe 
des optischen Bddes, aufhehmen und, was ein sehr beachtenswerter Vorzug ist, die zeitliche 
Dauer der Aufhahme ist unbegrenzt. Denn das ist ja das storendste Ubel der Grammophon- 
platte, so grofi ihre klanglichen Qualitaten heute sind, dafi sie durch den vom Apparal 
abhangigen Durchmesser an eine bestimmte Spielzeit, und zwar an eine sehr kurze, 
gebunden ist. Die vielfach angestellten Versuche, diesem Ubelstand durch eine engere 
Anordnung der Tonlinien auf der Platte abzuhelfen, konnen immer nur relative Ergeb- 
nisse zeitigen, vermindert noch durch den okonomischen Nachted, dafi die Wiedergabe 
einen neuen Typus des Apparates erfordert. Der Tonfilm hingegen kennt solche zeit- 
Iichen Beschrankungen nicht. Mit ihm konnte man (wovor ein giitiges Geschick uns 
bewahren moge!) die Partitur der „G6tterdammerung" aufnehmen. 

Die praktischen Konsequenzen dieser technisch-theoretischen Voraussetzungen sind 
klar. Es sind zunachst padagogische und historische. Ist schon die Bedeutung der Platte 
fur den Unterricht eine eminente (die durch die bisher mangelnde Auswertung nicht 
geschmalert wird), so ist naturgemafi der Tonfilm, da er den Eindruck des GehQrten 
durch den gleichzeitigen Sehens verstarkt, dem Prinzip moderner Wissenschaft, Anschauung 
an die Stelle abstrakter Lehre zu setzen, noch dienlicher. Fur den Gesangstudierenden 
beispielsweise ist die beliebig oft wiederholbare Vorfiihrung von vollendeten Stimmen 
gewifi aufierst lehrreich. Wieviel eindringlicher aber wird die Belehrung, wenn dem 
Horbild so wiclitige Ingredienzien wie Mundstellung, Korperhaltung, Atemfiihrung bei- 
gegeben sind. Eines Tages mag sogar die padagogische Literatur, in ihrer Erscheinungs- 
form des Buches, angesichts der Vorziige solcher Anschaidichkeit an Geltung verlieren. 



8 HAN NS GUT MAN 



Die Verbreitung des Wissensstoffes an die Masse wird, neben dem Radio, durch den 
Tonnlm die starkste Forderung erfahren. Was unter d'er geschichtlichen Rolle des 
Schallfilms verstanden wird, kann ebenfalls nicht zweifelhaft sein. Die Aufbewahrung 
zeitgeschichtlicher Ereignisse, die der heutige Fdm nur im Bdd festhalt, wird in Zukunft 
jede Schallbegleitung einschliefien, seien es Reden, Tone, Gerausche oder was immer. 

2. 

Soviel also kann der tonende Film zur Verbesserung schon vorhandener Praktiken 
beitragen. Doch begnugt er sich damit keineswegs, er ist anspruchsvoller und will auJi 
die Kunst ergreifen. Er wird sich zuerst an ihr vergreifen. Denn es ist nicht wahr, 
dafi man durch Schaden klug wird. Die fundamentale Unrichtigkeit dieses Sprichwortes 
ist gerade durch die mehrfache falsche Anwendung technischer Neuerungen auf die 
Kunst in unserer Zeit wieder evident geworden. Alle Fehler, die der Bildnlm in den zwei 
Jahrzehnten seines Beginnes gemacht und die er inzwischen teilweise erkannt und 
korrigiert hat, werden heute vom Bundfunk getreulich wiederholt. Beiden gemeinsam 
ist die Einseitigkeit ihrer Darstellungsmittel; wie der Bildfilm nur optisch, so' kann der 
Rundfunk nur akustisch wirken. Beide haben es dennoch unternommen, gegebene 
Kunstwerke in ihre Bestandteile zu zerlegen und ausschliefilich den ihnen zuganglichen 
zu reproduzieren. Neue Technik aber erfordert neue Kunst. Wird sie dazu mifibraucht, 
eine unter anderen Bedingungen geschaffene Kunst darzustellen, so kann, was so entsteht, 
nur unbefriedigend sein. Der Fall ist aber haufig, die gewahlten Beispielen sind nicht 
vereinzelt. Auch die Atherwellen-Musik des Leo Theremin, ein technisches Wunderwerk, 
ist kiinstlerisch vollig belanglos, solange sie zur Auffiihrung des „Schwan" von Saint-Saens 
verwandt wird. 

Geben wir uns keinen Dlusionen hin: auch der Tonnlm wird mit den gleichen 
Fehlern beginnen. Er wird die Ubernahme von Oper, Operette, Ballett und Schauspiel 
mit umso grofierer Sicherheit pflegen, als er wirklich, aufierlich gesehen, deren Voraus- 
setzungen erfiillt. Er kann reden und darstellen, singen und musizieren; er endlich 
vereint, als erste Maschine, die optische und die akustische Qualitat. Er ist, so scheint es, 
das neuzeitliche Ausfiihrungsorgan des Gesamtkunstwerks. Aber der Schein triigt. 
Denn wenn auch der tonende Film Sprache und Landschaft, Stimme und Musik noch 
so vollkommen wiederspiegelt, es ist ihm auf dem Umweg iiber das laufende Band ein 
Faktor abhanden gekommen : die Erscheinung des lebendigen Menschen. Nun ist mir 
bekannt, dafi dieser heute nicht hoch im Kurse steht, dafi sogar seine ganzliche Eliminierung 
aus der Kunst (die doch immer von Menschen fur Menschen gemacht -wird) manchen 
Kunstlern als das Ideal gilt. Die Moglichkeiten und Aussichten derartiger Bestrebungen 
bleiben unerortert. Aber es mufi gesagt werden, dafi alle bisherige Biihnenkunst mit 
der sinnlichen Erscheinung des Menschen rechnet, auf ihr geradezu basiert. Das Schau- 
spiel Shakespeares, die Komodie Molieres, die Oper Verdis und das Wagnersche 
Musikdrama — sie alle benotigen, urn Gestalt zu gewinnen, als Medium den sprechenden, 
singenden, agierenden, kurz: lebendigen Menschen. Der Film, er tone wie er wolle, 
kann sie einfach nicht sinnvoll darstellen. 

Indem er es dennoch versucht, wird er zum Surrogat. Die Rolle, die er so spielen 
kann, darf keineswegs unterschatzt werden. Der sprechende Film als Schauspielersatz, 



DER TONENDE FILM 



der tonende als Opern- und Operettenersatz konnen in ldeineren Stadten jegliches 
Theater ersetzen, sie konnen sogar den bestehenden Btihnen, die fast alle in den 
schwersten finanziellen Noten sich befinden, ernsthafte Konkurrenz machen; die Herab- 
setzung der Unkosten wird enorm sein. Nur mufi man sich hiiten, einen so gearteten 
Tonfilm fiir eine Bereicherung der Kunst zu halten. Das ist er ebensowenig wie die 
photographische Vervielfaltigung eines Gemaldes. Die Frage wird aus einer kiinstlerischen 
zu einer wirtschaftlichen. 

Aber gerade seine Wirtschaftlichkeit kann den Tonfilm audi fur die Kunst erheblich 
machen, namlich auf dem Gebiet der Filmmusik. Dafi jenes iibliche kunstgewerbliche 
Mosaik von Musikfetzen, Kunstwerken wie des „Goldrausch" oder „Potemkin" unwiirdig 
ist, wurde langst erkannt. Dafi dennoch originale Filmpartituren zu den grofiten 
Seltenheiten gehoren, ist in ihrer Unrentabilitat begriindet. Selbst wenn sich die Film- 
theater der Grofistadte in einem Anfall von Idealismus, der ihnen fernliegt, entschlossen, 
zu wertvollen Filmen eine authentische Begleitmusik schreiben zu lassen, so ware damit 
wenig geholfen, weil die numerisch bei weitem iiberlegenen Kleinstadt-Theater in aller 
Welt eine fiir ein menschliches Ordiester gedachte Partitur nicht iibernehmen konnen. 
Das Beispiel eines Bichard Straufi, der seine Filmpartitur zum „Bosenkavalier" aus 
Griinden der Darstellbarkeit in mehreren Besetzungen ausfertigte und dennoch keinen 
rechten Erfolg hatte, zeigt deutlich, dajS auch ein so reduziertes Orchester eine noch zu 
grofie Belastung bedeutet. Hier kann, wie sich leicht einsehen lafit, der Tonfilm ent- 
scheidende Anderungen herbeifiihren. Da er die gleichzeitige Aufnahme von Bdd und 
Ton ermoglicht, so, dafi die musikalische Begleitung als schmaler Streifen graphischer 
Zeichen dem Filmband einkopiert ist, wird die Beproduktion der Begleitmusik ebenso 
automatisch wie die des Bildes. Zur Wiedergabe der Schallaufnahmen bedarf es einer 
Lautsprecheranlage, die heute vielleicht noch kompliziert und daher kostspielig ist, deren 
Vereinfachung und damit Verbilligung aber aufier Frage steht. Der Bildfilm mit ein- 
kopierter Begleitmusik wird also in nicht ferner Zeit eine Bealitat sein. Dann entfallt 
die billige Ausrede, originale Fdmpartituren seien zu teuer, die Wirtschaftlichkeit ist 
gesichert, und fiir die komponierenden Musiker wird der Vorteil umso grofier sein, als 
die nur einmalige faktische Ausfiihrung ihrer Musik, die aber beliebig wiederholbar und 
somit unbegrenzt auswertbar ist, ihnen alle Mittel klanglicher wie gerauschlicher Natur 
an die Hand gibt. 

Wenn nichts anderes, so wird der tonende Film das leisten konnen, die Kunst- 
manufaktur der Filmmusik in kiinstlerische Arbeit umzuwandeln. Und wenn es, wie 
mir scheint, die wichtigste Aufgabe heutiger Musik ist, die Gebrauchsmusik zu einer 
kiinstlerischen und die Kunstmusik wieder zu einer gebrauchlichen zu madien, dann hat 
in diesem Zusammenhange audi der Tonfilm die besten Aussichten. 

Aber ich glaube, dafi spaterhin der Tonfilm audi im wirklich produktiven Sinne 
einmal bedeutsam Averden konnte, indem er sich einen eigenen Stil schafft, der alle 
seine Mittel und technischen Fahigkeiten beniitzt, ohne sie indes ersatzweise auf eine 
iiberkommene Kunst anzuwenden. Denn neuer Stil verlangt neue Inhalte. Wie freilich 
ein soldier vorstellbarer Eigenstil des tonenden Fdmes sich gestalten miifite, verinag 
ich nicht zu sagen. Dem Betrachter ist nur die Fragestellung anheimgegeben, Die 
Antwort steht bei den Schaffenden, 



10 PAUL KRASNOPOLSKI 



Paul Krasnopolski (Prag) 

KLANGE VON GESTERN 

Benjamin Franklins Erfinderruhm erschopft sich nicht mit dem Blitzableiter. Nach 
mancherlei Versuchen ersann er sich ein Musikinstrument, welches die Freude des 
spateren achtzehnten Jahrhunderts und die Wonne der Romantiker bildete. Erst der 
Larm der Eisenbahnen, welche seit dem Ende der dreifiiger Jahre des vorigen Jahr- 
hundertes Osterreich und Deutschland durchzogen, hat es iibertont und endgiiltig aus 
den Konzertsalen vertrieben. Sein Schopfer nannte es Harmonica. Vor ihm hatten 
schon der Irlander Puckeridge, der bei dem grofien Brande Londons im Jahre 1750 
umkam, und dann Delaval, welchen der Amerikaner 1762 in London horte, es unter- 
nommen, mit nassen Fingern Melodien zu spielen auf dem Rande wassergefiillter, ab- 
gestimmter und auf einen Resonanzboden gestellter Glaser. Bereits im siebzehnten Jahr- 
hundert bekannt, gab dieses sogenannte Glasspiel Veranlassxmg zu Franklin's Erfindung. 
Sie verwendete in ihrer spateren allgemein xiblichen Form, die mit der ursprxinglichen 
fast ganz ubereinstimmte, Glocken aus sehr weichem Glase, die an einer starken, 
stahlernen Walze derart befestigt waren, dafi immer die kleinere in der grofieren steckte, 
das Ganze mithin einen Kegel bildete, dessen Basis links und dessen Spitze auf der 
rechten Seite lag, wobei die tiefsten Glocken Durchmesser von ungefahr 26 und die 
hochsten einen von 8 cm hatten. Ein vom Spieler mit dem rechten Fufie getretenes 
Schwnngrad setzte die Glaser, die in einem holzernen Kasten von annahernd einem 
Meter Lange und einem halben Meter Breite untergebracht waren, in Bewegung. Sie 
svurden leicht angefeuchtet, und dann legte man die vorher sorgfaltig gereinigten Finger 
ausgestreckt an die Glocken, sodaiJ sie an diese anschleifexx mxifiten (Franklin hatte nocli 
trockene Glaser mit benetzten Fingern zum Erklingen gebracht). Die Franklin'sche 
Hax - monica besafi einen Umfang von drei Oktaven, vom G bis zum g" und bymte 
Glaser, wahrend die Halbtone weifi waren. C zeigte rot, d orange und e gelb, f war 
grun, g blau, a hatte eine Indigo und h eine violette Farbung, und diese Skala 
wiederholte sich bei der Oktave. I 

Durch den Drxick der Finger liefien sich die Tone vom leisesten Hauch bis zu 
betrachtlicher Starke steigern. Die Tone galten als nervenerschutternd und ihr dauernder 
Genufi sollte der Gesxxndheit der Zxihorer gefahrlich, ja schon ein einziger, in gefuhl- 
voller Weise erzeugter Ton imstande sein, namentlich bei Frauen eine Ohnmacht hervor- 
zxxrufen. Noch mehr schien infolge der doppelten Einwirkung durch Ohr xxnd Finger- 
spitzen das Nervensystem des Spielers bei anhaltender Ausiibung solcher Kunst bedroht, 
weshalb fast alle Harmonica-Virtuosen nach verhaltnismafiig kxirzer Zeit sich zum Auf- 
geben ihrer Tatigkeit genotigt sahen, wollten sie sich nicht zugrunde richten. Schon 
Friedrich Johann Rochlitz, der 1842 gestorben ist, stellte daher besondere Gesxindheits- 
regeln auf, deren Befolgung noch in den siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts 
als unerlafilich betrachtet wurde. Nervenkranke sollten demnach iiberhaupt nicht, 
Schwachliche nxxr selten und selbst robuste Personen nur bei Tag und moglichst rticht 
zxxr Nachtzeit sich an solcher Musik tatig ergotzen. Ein Zuhorer behauptete am 
25. Apxil 1791 : „Das Spiel weckt sanftes, stilles Wonnegefxih], Ahxidxxngen einer hohei'en 
Harmonie, wie sie die guten Seelen in einer schonen Sonxmex-hacht durchzitterh. " Uii'tef 



KLXNGE VON GESTERN H 



den Fingern reift der Ton zu seiner vollen, schonen Zeitigung und stirbt so lieblich 
hin wie Nachtigallenton, der mitternachts in einer schonen Gegend verhallet. Noch im 
letzten Moment des Verschwindens durchzittert er die zartesten Fasern des Gehors. 
Seine Schwingungen sclieinen nicht gemeine Luft, sie scheinen Ather zu sein, 
Elektrik. Der Ausdruck fiihrt das Geprage des innigsten Gefiihls hochgestimmter 
Leidenschaft." 

Freilich muSte man das Gerate auch richtig handhaben, sollte nur Stiicke spielen, 
welche ,,gewichtvoll, kurz und wenig figuriert waren" und ohne Begleitung eines anderen 
Instruments oder der menschlicben Stimme, weil sonst sehr leicht die Siifie und Zart- 
heit des Tones verloren geht, und ihm das Nervenerschutternde — dieses schatzte das 
achtzehnte Jahrhundert ganz besonders — genommen wird. 

Verschiedene Gelehrte versuchten bis zum Ende dieses Zeitraumes, die Harmonica 
zu verbessern, sie namentlich durch Tasten leichter spielbar zu machen, wobei ange- 
feuchtete Stiickchen von Badeschwamm, die auf kleinen Rofihaarpolstern befestigt waren, 
die Glocken zum Erklingen brachten. Mit dem Ernst und der Griindlichheit, welche das 
hochwichtige Ereignis beanspruchen durfte, pochte Franz Joseph ' Bartl hier auf seinen 
Ruhm und War dazu umsomehr berechtigt, als der „Allerdurchlauchtigste Grofimiichtigste 
und Unuberwindlichste romische Kaiser Franz H." die von ihm ersonnene Tastenharmonica 
in sein Kunstkabinett nahm. Auf den „Alleruntertanigsten, treugehorsamsten" Professor 
der Mathemathik ,,auf" dem k. k. Lyceaum zu Olmiitz machte das freudige Ereignis 
soldier hochsten Gnade entsprechenden Eindruck, er erklarte kurz und bvindig: „Ich 
ersterbe". Er tat es nicht. Und das ist das Beruhigende an seiner Erfindung, bei 
welcher die Tone „wie eine harmonische Seele hinsterben, wie wenn ein laues Liiftchen 
die Saiten einer Laute zitternd beruhrt, und nach einem langeren Hallen verlischt. 
Thranen gleiteten fiber die Wangen der Kenner, und sie schamten sich ihrer nicht." 

Die Harmonica hat auch in Prag in den achtziger Jahren des achtzehnten 
Jahrhunderts ihren Einzug gehalten. Dort hat der Normalschulprofessor Anton Renner 
ein eifriger Mechani- und Musicus, der den Wetterableiter in Bohmen eingefiihrt ha ben 
soil, als erster ein solches Insti'ument gebaut und gespielt, dort starb im Jahre 1831 
Vinzent Maschek, der weitgereiste Klaviervirtuose, der schon 1786 eine Tastenharmonica 
ersann. 

Am gelaufigsten aber klang Professor Cron's Name und Spiel den Zeitgenossen. 
Bei einer offentlichen Akademie zum Besten der Armen in Prag vernrochte er auf dem 
„angenehmen Geschopf des unsterblichen Franklin ein grofies Konzert mit alien vorhin 
unmoglich scheinenden Geschwindigkeiten und Ausdruck, selbst im Rondeau, wegzuspielen ? 
und seitdem erhielt die sonst nur im Adagio langsam klagende Harmonica die Hoffnung, 
sanft den hvipfenden Grazien vorzusingen". 

Alle Prager musikalischen Erfinder ubertonte jedoch Leopold Sauer. Sein Orchestrion 
vom Jahre 1805 verdient das Orchester des kleinen Mannes oder die Universalhausmusik 
genannt zu werden. Eine einzige Person konnte als Klaviervirtuose und Meister von 
sechs Blasinstrumenten aiifrreten, mit einem lieblich klingenden Glockenspiel sich begleiten. 
die grofte turkische und die Wirbeltrommel nebst den Glockchen am halben Mond 
horen lassen und iiberdies eine gemalte Darstellung des Donnerwetters auf der Riickseite 
dieser bescheidenen Tonmaschine fiir Aug und Ohr illustrieren. Auf einem eigenen 



12 LUIGI RUSSOLO 



Register spielte der Musizierende dann Jupiter tonans, Blitze zuckten, der Gewitterregen 
rauschte, der Dormer rollte und beim Wettereinschlag sah man einen sehr feurig- 
schlangenformigen Blitzstrahl und der Schlag erfolgte mit furchterlichem Geprassel. Das 
Bogen-Klavier, welches einen Menschen in ein Violinquartett mit und ohne Floten- 
begleitung verwandelte, das Fliigel-Fortepiano mit zwei Tastaturen, deren obere einen 
der „Quitara" sehr ahnlichen Ton hervorbrachte, — sie sind nur der schwache Nachhall 
einer Erfindung, deren gr66te Merkwiirdigkeit wohl war, dafi sie einen Kaufer angelockt 
hat, und vor der die Harfe mit Flotenakkompagnement des Prager Insti'umentenmachers 
Johann Michael Weifi verstummen mufite. 

Ganz ahnlich wie die Franklin'sche Harmonica, nur noch sanfter und f'einer, 
aber auch schwacher und weniger nachhallend, klang das Euphon, von dem sein 
Schopfer, der Doktor Chladni, zuerst im Jahre 1790 der aufhorchenden Mitwelt Nachricht 
gab. Bei ihm wurden diinne Glasstabe iiber einem Besonanzrahmen mit nafien Fingern 
gestrichen. Sein Umfang betrug drei Oktaven und eine grofie Terz vom c bis zum e"', 
und war trotzdem so gering, dafi es sich in einem Wagen unter dem Sitz bequem 
transportieren liefi. Und so konnte sich der Reisende die Falirten mit Musik verktirzen. 

Armes achtzehntes Jahrhundert, welches aus den Vehikeln nur diese zarten Weisen 
und nicht die kraftvollen Tone von lieblich hustenden Siren en und melodisch grunzenden 
Hupen erschallen lassen konnte ! 



Luigi Bussolo (Mailand) 

DIE KUNST DER GERAUSCHE ALS FORTENTWICKLUNG ^ 

DES MODERNEN ORCHESTERS 

Luigi Russolo fiihrte kiirzlich in einem Konzert an der Pariser 
Sorbonne seine neue Erfindung, das Rumoiharmonium, einem 
zahlreichen Auditorium von Musikern vor, das die unge- 
wohnten musikalischen Eindriicke mit Interesse und Reifall aufnahm. 

1. 

Das Leben im Altertum war tiberall Buhe. Im 19. Jahrhundert, mit der Er- 
findung der Maschine, entstand das Gerausch. Heute triumphiert das Gerausch und 
beherrscht die Nerven (Empfindsamkeit) des modernen Menschen. Die alte Musik er- 
strebte und erreichte die Beinheit und Siisse der Tone und suchte in wohllautendem 
Mehrklang dem Ohre zii schmeicheln. Die moderne Musik wird immer komplizierter 
und bindet die missklingendsten, fremdesten und dem Ohr hiirtesten Tone zusammen. 
So nahern wir uns mehr und mehr dem eigentlichen G e r ii u s ch - T o n. 

Diese Evolution der Musik lauft parallel mit dem Aufschwung der Technik. 
Maschinen arbeiten gemeinsam mit den Menschen. Nicht nur in den tosenden Larm 
der Grofistadt, sondern auch in die Stille der landlichen Zuruckgezogenheit hat die 
Maschine den Widerstreit der verschiedensten Gerausche getragen, so dafi der reine 
Ton in seiner dxirftigen Einformigkeit keine Empfindungen mehr wach ruft. 



DIE KUNST DEH GERAUSCHE ALS FORTENTVi 1GK.LUNG DES MODERNEN ORCHESTERS 13 

Urn die Empnndlichkeit unserer J\ erven zu erregen mid zu steigern, entwickelt 
die Musik die vollkommenste Polyphonic und erzielt eine grossere Vielfaltigkeit der 
Orchesterfarben dnrch die gefahrlichsten Dissonanzenfolgen. So bereitet sie das Zu- 
standekommen des ninsikalisclien Gerausches von ungefahr vor. Diese Weiter- 
entwickliing nacli dem „ Gerausch ton" hin war friiher nicht moglich. Das Ohr eines 
Menschen aus dem 1 7. Jahrhundert ware nicht im Stande gewesen, die Eindringlichkeit 
der Disharmonien zu ertragen, die gewisse Akkorde unseres heutigen Orchesters (das 
an Zahl der Ausfuhrenden dem damaligen dreimal iiberlegen ist) hervorrufen. Unser 
Ohr dagegen iindet Gefallen an ihnen, da es durch das moderne Leben mit seinen 
unzahligen, verschiedenen Gerauschen dazu erzogen ist, und verlangt nach immer 
stark eren Gehorseinotionen. 

Anderseits ist der musikalische Ton in der qualitativen Verschiedenheit der 
Klaugfarben zu sehr beschrankt. Das komplizierteste Orchester wird auf vier oder 
fiinf Klassen von Instrumenten reduziert, die sich in der Klangfarbe von einander 
unterscheiden : Streich- und Zupfinstrumente, Holz- und Blechblaser und Schlagzeug. 
In diesem kleinen Kreise muht sich die Musik vergebens neue Farbenmoglichkeiten zu 
schaffen. 

Es ist an der Zeit, diesen engen Zirkel der reiuen Tone zu durchbrechen und die 
unendliche Vielfaltigkeit der Gerausche zu erobern. 

2. 

Die Akustik, tniter den physischen Wissenschaften zweifellos die am vvenigsten 
fortgeschrittene, hat sich ausschliesslich dem Problem der reinen Kliinge gewidmet und 
das Studium der Gerausche vollkommen vernachlassigt, Man hat geglaubt, die Klange 
von den Gerauschen deutlich trennen zu miissen, eine Aufl'assung, die vollkommen 
unberechtigt ist. In einem meiner Biicher, „L'arte dei rumori" (1916 erschienen) habe 
ich ausfuhrlich bewiesen, da6 der wahre und fundamentale Unterschied zwischen Klang 
und Gerausch einzig darin besteht, dass das Gerausch weit reicher an Obertonen ist, 
als der Klang im allgemeinen. 

Diese Obertone eines Gerausches sind meistens viel starker als die, welche einen 
Ton begleiten. Wie die ObertSne immer einen dominierenden Grundton begleiten, 
so hat das Gerausch seinen Ton. 

Aus diesen Griinden habe ich vor zwolf Jahren begonnen, neue, im Klang ver- 
schiedene und bisher unbekannte Instrumente zu bauen, um unser farbenarmes Orchester 
von heute zu bereichern. Es ist mir gelungen, solche Instrumente zu schaffen, indeni 
ich den verschiedenen Gerauschen in Natur und Leben nachging. Ich habe sie Heuler, 
Knisterer, Summer, Brummer, Quaker, Gurgler und Zischer genannt. Mit diesen „Ge- 
rauschtonern" (italienisch „Intonarumo] , i", franzosisch „Bruiteurs") habe ich in Mailand, 
London und Genua im Jahre 1914 und in Paris 1921 Konzerte gegeben. Wahrend 
meiner w^eiteren Studien und Forschungen habe ich diese verschiedenen Gerauschtoner 
vervollkommnet und kiirzlich in einem einzigen Instrumente vereinigt, dem ich den vom 
Lateinischen abgeleiteten Namen „Bumo rhar monium" gegeben habe. 

Dieses Instrument hat die Form eines gewohnlichen Harmoniums mit zwei Bali- 
Pedalen. An Stelle der Klaviatur sind sieben verschiebbare Hebel auf einer bestimmten 
Einteilung angebracht, die den verschiedenen Abstanden der diatonischen und chroma- 



|4 LUIGI RUSSOLO 



tischen Tonleiter entsprechen. Jeder dieser Hebel dient einem verscliiedenen Gerausch 
und durch ihre Verschiebung erhalt man alle Tone der diatonischen und chromatischen 
Tonleiter in einem Timbre, der sich von alien bisher im Orchester bekannten Klang^ 
farben unterscheidet. 

' Nicht allein Ganz- und Halbtone kann man auf diese "Weise erzeugen, sondern 
auch kleinere Bruchtede des Halb tones; Viertel- und Achteltone, kurz alle Moglichkeiten 
des enharmonischen Systems. 

3. 

Die Konstruktionsstudien haben mich auf dem Gebiete der Enharmonik zu den 
definitiven Schlussen gefiihrt, aus der materiellen Herstellbarkeit ein vollkommenes 
musikalisches System abzuleiten. 

Meine Schliisse finden ihre Bestatigung in der physischen Erkenntnis, dafi die 
Enharmonik in der Natur vorhanden ist; in der praktischen Erkenntnis, dafi sie in 
materieller Form realisierbar ist, und vollends in der kiinstlerischen Erkenntnis, dafi 
mit der Beschranktheit des kiinstlichen Halb- und Ganstonsystems aufgeraumt 
werden mufi. Es ist wirklich an der Zeit, dafi sich das Reich der Tone durch 
all die unendlichen Moglichkeiten der Nuancen bereichere, die zwischen zwei Tonen 
liegen, um so zu den letzten, bis heute unbekannten musikalischen Sinneseindriicken 
zu gelangen. 

Eine Tatsache vor allem steht fest, alle Klange und Gerausche, die die Natur 
hervorbringt, verandern den Ton (ich spreche natiirlich von Tonen und Gerauschen 
die eine gewisse Dauer haben) durch eine enharmonische Tonsteigerung und 
nicht durch Tonspriinge. So heult der Wind in einer vollkommenen, steigenden und 
fallenden Tonleiter. Diese Tonleiter ist weder diatonisch noch chromatisch, sondern 
enharmoniscli. 

Ebenso finden wir, wenn wir von den Naturgerauschen zu der unendlich reicheren 
Welt der Maschinengerausche iibergehen, dafi alle Gerausche, die durch rotative Bewegungen 
hervorgerufen werden, in ihrer Tonzu- und Abnahme immer enharmonisch sind. Diese 
Tonzu- und Abnahme steht natiirlich in direktem Verhaltnis zur Zu- und Abnahme 
der Schnelligkeit. Beispiele: der Dynamo und der elektrische Motor. 

Vor fast dreihundert Jahren hat Rousseau in seinem Werk iiber den Ursprung 
der Sprache geschrieben, „dafi die Melodie an Ausdruckskraft und Eindringlichkeit 
eingebiifit hat, seitdem sie sich nicht mehr von Tonfall und Modidation ftihren lafit, 
sondern sich mit der Berechnung von Intervallen abgibt". Zu welch unerhorter Feinheit 
konnte man gelangen, wenn alle Instrumente nicht nur tiber wenige enharmonische 
Moglichkeiten unseres temperierten Tonsystems, sondern iiber aUe Nuancen zwischen 
zwei Tonen, ohne Unterbrechung der Kontinuitat, verfiigen wiirden, wie es bei den 
Gerauschen des Bumorharmoniums moglich ist. 

"Wir miifiten zu einer vollkommen dynamischen und horizontalen Harmonieform 
gelangen im Gegensatz zur gegenwartigen, die vertdcal ist und bei der Modidation im- 
mer auf grofiere oder kleinere Spriinge angewiesen ist. Solche Zukunftsmoglichkeiten, 
denen keine Grenzen gesteckt sind, zu realisieren, bleibt einer Nachwelt vorbehalten. 
Wenn ich mit meinen Arbeiten und meinen Instrumenten auf den Weg gewiesen habe, 
werde ich mich gliicklich schatzen. 



REINTONSYSTEME IN SOWJET-RUSSLAND 15 

Georg Rimsky-Korssakoff (Leningrad) 

THEORIE UND PRAXIS DER REINTONSYSTEME IM SOWJET- 
RUSSLAND 

Das Problem des Hyperchromatismus d. h. der Erweiterung des chromatischen Ton- 
systems, wird im Sowjet-Russland wie theoretisch, so aucli praktisch behandelt. In erster 
Linie soil hier 

1. 
DAS VIERTELTONSYSTEM 

genannt werden, welches als die einfachste und aktuellste Moglichkeit des neuen Ton- 
materials anzuselien ist. Es ist zugleich das Einzige von den vielstufigen Systemen, welches 
reelle Moglichkeit gibt, nicht nur zu theoretisieren, sondern auch zu komponieren und 
Musik auszufiihren. Der erste Vierteltoner in Rutland — damals noch nicht Sowjet- 
Rufiland — scheint der Kiinstler-Futurist, auch Komponist Michael Matjuschin zu 
sein, der im Jahre 1912 seine Vierteltonviolinschule herausgab und der die Viertelton- 
intervalle auf der Violine zu erzeugen pflegte. Der Zweite ist Iwan Wyschnegradsky 
der freilich seit 1918 in Paris lebt und doch mit den Leningrad er Vierteltonern brieflich 
fverbunden ist. Mehrere seiner Kompositionen, teilweise in U. S.S.R. gelassen, teilweise hier- 
her geschickt, sind zur Verfiigung des ,,Vierteltonkreises", der seit 1922 im Leningrader 
Staatl. Konservatorium wirkt. Am Anfang der Revolution nahm auch der Komponist 
Arthur Lourie an den Vierteltonversuchen teil. 

Der Vierteltonkreis war von den Studenten des Konservatoriums gegriindet. Nach 
vielen Versuchen, die Vierteltone in melodischer und harmonischer AVeise, wie auf Saiten- 
so auch auf Blasinstrumenteii zu erzeugen, erhielt der Kreis von der Administration des 
Konservatoriums (die Liitiative gehorte dem Prof. Ossowsky) 2 Klaviere, von denen eines 
um '/* Ton tiefer gestimmt wurde, so dafi die beiden Instrumente ein voiles Viertelton- 
insti'ument ersetzten. Leider gibt es zur Zeit in U. S. S.R. keine finanziellen Moglichkeiten, 
ganze Vierteltonklaviere zu haben. Aufierdem erhielt der Vierteltonkreis ein zweimanualiges 
Harmonium, dessen 2 achtfufiige Register ebenso wie die 2 Klaviere umgestimmt wurden. 
Dazu wurde den Vierteltonern auch eine Harfe gewahrt, bei der jede Oktave in einer 
Vierteltonstufen enthaltenden Leiter gestimmt wurde. 

Der Vierteltonki'eis gebraucht folgende Benennungen der Vierteltone, von 
G. Rimsky-Korssakoff vorgeschlagen : 

cit = 1 /i Ton hoher als c 

cist = '/♦ Ton hoher als cis 

cet = '/i Ton tiefer als c 

cest = 3 /i Ton tiefer als ces 

ebenso von d — dit, dist, det, dest usw. 
Die Hauptleiter der Harfe ist folgende : ces, des, est, fes, gest, as, hest (bet). Soldi 
eine Stimmung gibt 20 Stufen in der Oktave. Es fallen aus: g, at, cit, det. 

Die Vierteltonmusik wurde mehrmals im Konservatorium von solchem Ensemble 
(zuweilen mit 2 Hornern in F und Fet gestimmt) aufgefuhrt, unter der Leitung von 
Jurij Kaufmann und den Autoren. Die Ausfiihrenden waren: Schostakowitsch, Feldt, 
Berlinsky u. a. Es wurden folgende Vierteltonstiicke von Leningrader Komponisten ge- 



16 O. KIMSKI-KORSSAKOFF 



1 

spielt: Poem und 3 Praludien von Georg Rimsky-Korssakoff, Poem und 2 
Praludien von Nicolaj Malachowsky, „2 Esquisses" von Alexander Quenelles. 
Aufierdem wurden mehrere auslandische Kompositionen aufgefiihrt, namlich von W y s ch n e- 
gradsky, Haba, Mager und Mollendorff. 

Die theoretische Auffassung des Vierteltonproblems wurde meistenteils auf akus- 
tiscliem Wege erprobt, wie es auch bei Wyschnegradsky der Fall ist. Das Interesse fur 
eine Theorie des Vierteltonsystems fand Platz im Staatl. Kunsthistorischen Institut 
(Leningrad). Es gab da Vortrage von G. Rimsky-Korssakoff, N. Malachowsky, 
M. Matschinsky. 

Der Vortrag von G Rimsky-Korssakoff „Begriindung des Vierteltonsystems" wurde 
in „De Musica" (Publikationen der Musikabteilung des Kunsthistorischen Instituts I 
1925 Leningrad) veroffentlicht. Alle drei arbeiteten auch am Problem der Viertelton- 
tastatur, dessen bekannte Losungen im Auslande den Leningradern nicht vollkommener 
zu sein scbeinen. 

Es wird im Institut auch ein Harmonium vierteltonsweise gestimmt und mit einer 
neuen Tastatur versehen werden. 2 Klaviere im Vierteltonabstande sind schon da. 
Ende Marz 1927 fand im Institut eine Demonstration der Vierteltonmusik statt, und 
zwar war es am 25 jahrigen Jubilaum des Instituts. 

Auch in Moskau gibt es Interesse fur das Vierteltonsystem. Im engeren Kreis 
des GIMN (Staatl. Institut fur Musikwissenschaft) hat P. Rentschizky im Jahre 1926 
erne Reihe Vortrage iiber die Theorie der Musiksysteme und die der Vierteltone ver- 
anstaltet. 

Im April 1927 gab es im GIMN einen Vortrag von G. Rimsky-Korssakoff 
iiber die diatonischen Viertelton-Leitern und eine Demonstration der Vierteltonmusik, 
mit Teilnahme von ahnlichen Instrumenten, wie im Leningrader Konservatorium, die mit 
Hilfe des Moskauer Konservatoriums gefunden und gestimmt wurden, Unter den 
Ausfiihrenden waren Leo Oborin und Wissarion Schebalin. 

Die Forschungen auf dem Gebiete der Vierteltone, so wie auch der anderen Bruchinter- 
valle, werden in Sowjet-Russland nicht abgesondert von West- und Mitteleuropa durch- 
gefuhrt. Die Vierteltoner, die sich auch fur die anderen Ton-Differenzmoglichkeiten 
interessieren, stehen im Verkehr mit den europaischen Neutonern und audi mit dem 
Amerikaner Julian Carillo (New-York). Zur Zeit ist der Vierteltonkreis nicht meni- 
als solcher anzusehen. G. Rimsky-Korssakoff, sein ehemaliger Leiter, fuhrt einerseits in 
der musikwissenschaftlichen Abteilung des Konservatoriums ein Seminar fur temperierte 
Musiksysteme ; andererseits wurde allmahlich das Vierteltonproblem ein Objekt von regel- 
mafiiger Arbeit der physisch-mathematiscben Sektion des Kunsthistorischen Institutes. 
Somit ist die Arbeit des Vereines ein Teil der akademischen Arbeit des Konservatoriums 
und des genannten Institutes geworden. 

2. 
FEINERE MUSIKSYSTEME 

sind leider fast ausschliefilich theoretisch anzusehen. Der bekannteste und sehr 
energische Hyperchromatiker Arsenij Awraamoff ist bier zuerst zu nenneii. Er hat in 



RE1NT0NSYSTEME IN SO W JET-RUSSLAND 17 

den letzten 12 Jahren (seit 1915) viele Aufsatze und Artikel dariiber in musikalischen 
und Kunstzeitschriften veroffentlicht. Sein Weg in der breitesten Erforschung der Feinton- 
systeme hat von der Ganztonleiter angefangen und eine lange Evolution erlebt. Zur Zeit ist 
er Pionier der 96-stufigen Temperatur (ebenso wie J. Carillo), welche er aber nicht als 
etwas Vollkommenes und Selbstandiges, sondern nur als einen Weg zum Alltonsystem 
auffafit, das miter alien moglichen Ton-Kombinationen/vorerst die akustisch reinen 
Kombinationen wiedergeben soil. Awraamoff betracbtet gern die Untertonskala, bis zum 
32. Unterton erweitert, als ein Mittel, die Volkslieder aller Lander rein wiederzugeben ; 
die Obertonreihtf dient ihm als Mittel zur Konstruktion hyperchroniatischer Akkorde. 
Praktisch ist ihm gehuigen, eine 48-stufige Temperatur auf 4 Manualen des Harmoniums 
und auf 4 Flugem zu gewinnen; aufierdem besitzt er reingestimmte Harmonium-Register 
mit Ober- und .Untertonreihen. Das letzte erlaubt ihm, Volkslieder mit reinen Intervallen 
zu akkompagnieren, was er auch in einem Konzert von Tatarinowa in Moskau getan 
hat (April 1927). 

Im Marz 1926 promovierte Awraamoff am Kunsthistorischen Institut mit einer 
Dissertation unter dem Namen „Universal-Ton-System", welche von einer grofien 
Demonstration der 48-stufigen Temperatur unter Teilnahme von Kamensky, J. Braudo, 
Popoff u. a. begleitet wurde. Es wurden ausgefiihrt: Stiicke aus „Vers la flamme" von 
A. Skrjabin und von Liszt „Mephisto-Walzer" in Achtelton-Transkription und eigene 
sequenzenartige Kompositionsversuche von Awraamoff. 

Die Theorie der Reintonsysteme bearbeiten in Moskau aufier Awraamoff noch folgende 
Theoretiker : Prof. Rosenoff, Prof. Garbusoff, Prof. Leiberg. Sie besitzen reingestimmte 
Harmoniums, von denen das interessanteste das von Prof. Leiberg beherrschte Harmonium 
in der zweiten Moskauer Universitat ist, welches von Smirnoff in Iwanoff-Wosnessensk gebaut 
worden ist und zu der 12-stufigen temperierten Leiter Obertone bis zum 13. hinzufugt 
(5 Manuale). Auch die Elektrizitat, die in Deutschland fur die Ferntonsysteme von 
J. Mager ausgenutzt worden ist, wird im Sowjet-Rufiland ausgewertet. Die Kathoden- 
instrumente von Theremin, Guroff, Rshewkin und Kaufmann sind prinzipiell 
geeignet, nicht nur die Vierteltone und kleinere Stufen wiederzugeben, sondern die 
Wechselung der Haupttonleiter, also die Anzahl der Stufen in der Oktave zu geben. 
Mit der Losungder beiden Probleme — der Tondifferenzierung und des Tonfarbewechsels — 
die diese Instrumente versprechen, kann man erwarten, eine ganz neue Epoche der 
Musikentwicklung im Sowjet-Rufiland zu sehen: die Epoche des Wechsels des Ton- 
materials wahrend der Abspielung des Musikprozesses in jeder seiner kleinsten Ver- 
zweigungen (Stimmen). 



WISSENSCHAFT 

Heinrich Strobel (Berlin) 

NEUE AUFGABEN DER KRITIK 

Im Musikleben der Gegenwart vollzieht sich langsam, aber deutlich spiirbar, eine 
grundlegende Wandlung. Neue Musik, die als revolutionare Erscheinung zuerst isoliert 
dastand, beginnt organischer Teil der Musikpflege zu werden. Das neue LebensgefiihU 
aus dem sie geboren wurde, aufiert sich in einer neuen kiinstlerischen Gesinnung, die 
sich allmahlich uberall durchsetzt. Das hangt eng zusammen mit der Umschichtung 
der Horergruppen in Theater und Konzert, mit dem Erstarken von Besucherorganisationen, 
die sich im Gegensatz zu den rein burgerlich-gesellschaftlich organisierten alten Abon- 
nenten zu einer im 20. Jahrhundert verankerten Weltanschauung bekennen. So sehr 
auch gerade die reprasentativen Institute immer noch fest am traditionellen Bepertoire 
und an der traditionellen Darstellungsart festhalten: es dringen doch neue Werke ein. 
Man begegnet ihnen nicht mehr mit vorsatzlichem Mifitrauen oder mit vorsatzlicher 
Boswilligkeit, sie sind nicht mehr sensationelle Angelegenheiten, fiir die ein kleiner Kreis 
von Fanatikern um jeden Preis kampft. Jedes Provinztheater, jeder Leiter einer 
Konzertorganisation fiihlt sich verpflichtet, fiir sie einzutreten. Man kann neue Musik 
nicht mehr iibergehen. Sie wurde ein Faktor, mit dem zu rechnen ist. Einige Werke 
von Hindemith und Strawinsky sind bereits Bestandteil der Repertoires. Es gibt noch 
ein deutlich eres Zeichen dafiir, dafi die neue Gesinnung alle Horer ergreift: die vollig 
veranderte Einstellung zu vielen Erscheinungen der Vergangenheit, das Erwachen der alten 
Musik, die Renaissance Mozarts, Handels und Verdis. Wir suchen den reichen Schatz 
der Uberlieferten neu zu erwerben, um ihn aus der Bejahung der Zeit heraus neu 
zu besitzen. 

Die veranderte Situation stellt auch den Kritiker vor neue Aufgaben. Er war 
gewohnt, die subjektiven Eindriicke beim Anhoren einer Oper oder einer Symphonie in 
mehr oder weniger poetisierender Ausschmiiclcung nachzuerzahlen. Die fast immer von 
aufiermusikalischen Assoziationen abhangigen Werke des romantischen Jahrhunderts 
liefien das auch zu. Die Methode hermeneutischer Musikbeschreibung konnte in dieser 
Zeit aufkommen. Da romantische Musik immer vom Kiinstler et« r as aussagt, immer 
individuelle Erlebnisinhalte ausspricht, ins Uberpersonliche steigert, so war eine kon- 
geniale Einfiihlung durchaus moglich. Romantische Kiinstler, wie E. T. A. Hofmann 
und Robert Schumann wandten diese poetische Beschreibung von musikalischen 
Erlebnissen bereits auf Musik an, die aufierhalb dieses Kreises lag. Das fuhrte dazu, die 
Kunst Bachs unter einem sehr einseitigen Gesichtspunkt zu betrachten. Man zwangte 
sie in eine Gefuhlsskala, die ihr fremd ist. Man interpretierte subjektive Inhalte hinein, 
wo strengste Objektivierung herrscht. 

In den allermeisten Fallen wird auch heute noch die subjektiv ausdeutende Methode 
in der Tageskritik angewendet. Sie mag immerhin angangig sein fiir die romantischen 
Werke, wenn eine Personlichkeit, welche das Fachliche beherrscht, die Kritik ausiibt. 
Aber selbst in diesem Bereich wurde Unheil genug angerichtet, als mit dem Aufschwung, 



NEUE AUFGABEN DEft KnlTlK 19 

den der Journalismus in den letzten Jahrzehnten genommen hat, Nicht-Beruf'ene das 
kritische Handwerk betrieben. Anstelle der aus verstandnisvoller Einfuhlung in das 
Kunstwerk geborenen Kritik trat die billige Phrase. Dilletantismus schofi iippig ins 
Kraut. Gefuhlsmafiige Kritik aber wurde zum Verhangnis, als es gait sich mit neuer 
Musik anseinanderzusetzen. Man vermied eben die Aitseinandersetzung und stellte nur 
die vollkoramene „Sinnlosigkeit" der neuen Erscheinungen mit mehr oder weniger Ge- 
hiissigkeit fest. Man spiirte wohl, daiJ hier Gefuhlsinhalte garnicht die Rolle spielten, 
die man ihnen der Bequemlichkeit oder des Unverstandnisses wegen unterschob. Man 
mafi mit den Regeln der Brucknerschen Symphonik oder des Wagnerschen Musikdramas 
ebenso wie man eine Generation friiher die Hocliromantik mit den Regeln der Klassik 
gemessen hatte — urn beide Male vernichtende Urteile zu fallen. Es zeigt sich, dafi 
der grofite Teil der heutigen Fachkritik die wdchtigste Fahigkeit verloren hat, die es 
fur den Kritiker gibt: in lebendiger Fiihlung mit den schopferischen Ereignissen der 
Zeit zu bleiben unci von ihnen die Mafistabe der Beurteilung abzuleiten. Die Musik- 
kritik steht infolgedessen heute leider nur allzuhaufig vollig isoliert da, Sie verknocherl 
mit dem Epigonentum der Romantik. Sie findet nicht den Mut, der Organik einer von 
alien Assoziationen freien, das Spiel der Elemente in eindeutigen Formablauf bannenden 
„neuen" Musik nachzuspiiren. Der „Fall Cardillac" ist auch ein „Fall Musikkritik". 
Hier wurde der Beweis dafiir erbracbt, daft die meisten Kritiker immer noch dem Ideal 
des Musikdramas nachtrauern. 

Die unromantische Gegenwart verlangt Abkehr von veralteten kritischen Methoden. 
Musik besann sich aid' ihre Eigengesetzlichkeit, streifte alle Bindungen von aufien her 
ab. Kritik wird das Werk unmittelbar zu umspannen suchen, sie bedarf keiner Gefiihls- 
krucken mehr. Sie hat noch eine andere Aufgabe: die einzelne kiinstlerische Aufierung 
in das kultureUe Weltbild einzuordnen, Zusammenhange aufzudecken, die zwischen dem 
Leben und der Kunst heute wieder bestehen. Sinkt auf der einen Seite Kritik, die 
sich in eine gegenwartsferne Ideologic verliert, zur gehassigen Geiferei oder zum brillanten 
Feuilletonismus herab, drangt die Person des Kritikers sich selbstgefallig hervor, so er- 
kennt man aid' der anderen ein neues Verantwortungsbewufitsein gegeniiber der Zeit. 
Diese Kritik fuhlt sich Teil eines Ganzen, sie arbeitet sachlicher, ist mitunter vielleicht 
auch trockener, sie dient mit Bewufitheit dem Zeitschaffen, sie setzt sich von der 
Gegenwart aus mit der Vergangenheit auseinander, sie sucht die Arbeit der produk- 
tiven Musiker zu befruchten. 

Auch eine der heutigen Einstellung zur Musik entspringende Kritik, die den sti- 
listischen und strukturellen Bedingtheiten eines neuen Werks nachzugehen sich bemiiht, 
ist naturgemafi von subjektiven Momenten abhangig, wenn auch in geringerem Mafie 
als eine einfiihlend-beschreibende. Es gilt eine Basis zu finden, auf der bei absoluter 
Bejahung des Heute die subjektiven Fehlerquellen nach Moglichkeit ausgeschaltet werden. 
Voraussetzung ist die moderne Gesinnung, ist die kritische Methode, welche das Werk 
als feststehende Einheit annimmt und jede rein gefiihlshafte Beurteilung ausschliefit. 
Nicht Objektivierung sondern Intensivierung, Verstarkung, Vertiefung soil erreicht werden, 
wenn in Zukunft im „Melos" die Kritik von mehr er en ausgeiibt wird. Zufalligkeiten, die 
jedes Einzelurted beeinflussen, sollen ausgeschieden werden. Es kann auf diese Weise, 
unter standiger Betonung der Grundeinstellung, die sich mit der Grundeinstellung der 



20 HEINRICH STROBEL 



Zeitschrift deckt, em Bild der schcipferischen und nachschopferischen Erscheinungen ge- 
boten werden, das weder von gesellschaftlichem Wohlwollen nocli von Ironie getriibt 
ist. Diese Kritik ist fur den Kiinstler wichtiger, weil sie auf einer breiteren Basis gefallt 
wurde. Sie gibt dem Leser der Zeitschrift eine viel grxindlichere Orientierung iiber die 
augenblickliche Situation als der iibliche Musikbrief. Sie kann in starkerem Mafie als 
gebrauchlich allgemeine Gesichtspunkte herausstellen, kann die kunstpolitischen Hinter- 
griinde sicherer aufrollen. Sie mufi sich auf das Wesentliche beschranken und fallt 
schon durch die Erwahnung oder Nichtervvahnung eines Ereignisses ein Urteil. Sie 
bietet, da mebrere Menschen verantwortlicb an ihr arbeiten, die Moglichkeit einer sonst 
n'ur schwer zu erreichenden Konzentration. 

Eine Zusammenarbeit auf dieser Basis war naturgemafi erst moglich, als neue 
Musik ein fester Wert wurde. Als sie den Charakter einer sensationellen Neuheit 
abgestreift hatte. So bezeichnet, in anderer Weise, die Ausiibung der Kritik durch eine 
{Commission wieder die gegenwartige Lage. Von einer neuen Einstellung zu den Phano- 
meneii aus strebt man in den verschiedensten Kreisen nach der Gewinnung eines klaren 
Bildes. Strebt man nach einer neuen Bindung durch die Musik selbst: in Theater, in 
Chorpflege, in der Hausmusik, auch schon im Konzertsaal. Die gemeinschaftliche Kritik 
wird diesen Absichten dienen. 



DIE LEBENDEN 



Otto Gombosi (Budapest) 

BELA BARTOKS NEUESTE WERKE 

Das Schaffen Bela Bartoks zeigt eine konsequente und strenge Linie der Entwick- 
lung, die, wie ich es schon — das Analysierbare analysierend — audi an dieser Stelle 
zu skizzieren Gelegenheit hatte, auf zwei Komponenten zuriickzufuhren ist. . Die 
eine ist sein hellseherisches Zusammentreffen mit dem ungarischen Melos : Zusammen- 
trefFen, indem er einer der Entdecker dieser unbeachteten lebendigen Volkskunst ist, 
die von den hoheren Schichten der ungarischen Gesellschaft durch eine stadtische Gentry- 
Zigeuner-Musik und Musikpraxis fast ganz uberschiittet wurde; hellselierisch aber, da 
er die einzige Losung des Problems eirier werdenden ungarischen Musik erblickte : von 
der Volkskunst die Gesetze eines Stiles abzulauschen, die in den Stricken fremden 
Musikempfindens festgebundene und dem Ungaren doch die einzige Ausdrucksmoglichkeit 
bedeutende Melodik zum formschaffenden Prinzip zu erheben. Der zweite Komponent 
ist aber sein Interesse fur alles Neue in der Musik. Dies ist ja Notwendigkeit. Er steht 
ja vor einer Aufgabe, die noch nie ein Einziger zu losen hatte. Er mufi mehr sehen, 
mehr versuchen, mehr schaffen als die anderen. Fiir seine Arbeit ist alles nur Roh- 
material, nur ein Magazin der Moglichkeiten, die er im gegebenen Falle verwerten kann. 
Diese Einstellung mufi dann zwingend wirken: sie bedeutet nicht mehr Verwerten- 
konne n, sondern, Verwertenmiiss en. 

Stellen wir die Volksliedbearbeitungen Bartoks nebeneinander, so wird die chrono- 
logische Folge der Werke neben dem Niederschlage dieses Verwertenmussens eine 
eigenartig-einheitliche Entwicklungslinie zeigen. Angefangen bei den „10 Klavierstiicken" 
iiber die ,,BagateUen", „Fiir Kinder", „Volkslieder" bis zu den „Improvisationen" und 
uber sie hinaus bis zu den neuesten Werken konnen wir diese Linie verfolgen. Von 
den einfachsten Gebilden schreiten sie bis zu den imitatorischen Stiicken des ,,Tombeau 
de Debussy" in ungebrochener Reihenfolge. Der harmonische Gesichtskreis wird erweitert, 
die Grenzen der Tonalitat ausgedehnt. Eine unerforschte Gesetzmafiigkeit bindet seine 
Harmonien: ihr Weg ist genau vorgezeichnet und notw^endig. Sein Harmoniesy r stem 
wachst aus der Melodik heraus : Es ist ein synthetisches Zusammenfassen, eine syn- 
chronische Spiegelung des Melos. Alles koloristische steht ihm fern, jede bunte Vielheit, 
aUes, was nur eine accidentale Moglichkeit und nicht absolute Notwendigkeit ist. Die 
synthetische Harmonik fafit ganze Perioden in ostinatoartigen Harmoniespharen zusammen. 
Diese Eisenkonstruktion tragt die maximale Last der Melodiebogen. Je weitblickender 
die Harmonik wird, umso einfacher mufi sie werden. Grofiziigigkeit ist Einfachheit. 
Dies zeigt sich am klarsten in den Modulationen; man betrachte z. B. die Wiederkehr 
des — kolorierten — Themas im 3. Satze der Klaviersonate : mit einem einzigen Ton 
ist dem harmonischen Gewebe die neue, abrundende Richtung gegeben: zwingend, 
notwendig, okonomisch. 



22 OTTO GOMBOSI 



Neben clem allmahlichen Erlangen clieser weiten Perspektive der Harmonik geht 
audi eine Differeiizierung des Satzgewebes vor sich. Die Problematik ist auf das 
Kontrapunktische konzentriert. Es ist eine Wechselwirkung zwischen Harmonik und 
Kontrapunktik vorhanden: je einfacher, je synthetischer die harmonische Fassung, umso 
klarer der Kontrapunkt. Und umgekehrt: die ldare, massive, strenge Imitation legt 
die Angelpnnkte der harmonisclien Entwicklung fest. Man vergleiche hierzu das Klavier- 
konzert, die Klaviersonate, die Dialoge. 

In seinen neuesten Werken kommt Bartok zum ersten Male mit den tieferen Problemen 
der Form in Beruhrung. Audi bis jetzt strebte er grossen, geschlossenen, einlieitlichen 
Formen nach. Doch erst jetzt wird die Frage brennend: was kann man aus der Materie 
in orgaiiischster, okonomischster Form gestalten? An diesem Punkte erreicht er — 
zuerst vielleicht in den Improvisationen — die wunderbare Welt der polyphonen 
^Composition. Was er in den „Vier Dialogen" sdiuf, wandelt auf Bach'scher Hohe: 
die Melodien sind ausdrucksvoll und plastisch, die StimmfiUirung von unerbittlicher 
Logik, das Gleichgewicht der Formteile uiierschutterlich. Stellt man z. B. die Anfangstakte 
dcs zweiten Streicliquartetts daneben, so fallt die veranderte Stelluiignahme sof'ort auf. 
Hicr, im neuen Stil, die absolut lineare Gestaltung innerhalb der harmonisch festgelegten 
Formteile; dort, in der Vergangenheit, der Kampf um die Freiheit der Meloddc, um die 
Tragweite der harmonisclien Kopplungen. Hier herbe, stabile, verhalten-ausdrucks- 
schwangere Beife, dort bewegtes, fesselnreifiendes Bingen um die Form. 

Man ist gern geneigt, in dieser Wendung der Schreibweise die Nachahmung 
Sd'awinskys zu erblicken; wenn man die zahnien, formalistisdien Passagen, Terz- und 
Sexlskalen, die figurativen Kontrapunkte betrachtet, so ist es zweifelsolme klar, dafi die 
riickblickende, mit mechanistiscli-ausdrucksunbetonten Elementen operierende Methode 
Strawinskys den entscbeidenden Impuls gab. Bartok aber kennt keine Kojaie, keine 
Nachahmung, keine Spielerei. Sein Vorbild gibt ihm eben nur den ersten Impuls und 
nichts weiter. Er ist eben eine Personlichkeit, die aus eigener Kraft schopft und auf 
ganz anderer musikalischer und ethischer Basis steht als Strawinsky. Scbon die auf- 
I'alleiide Tatsache wirft auf das Verhaltnis beider ein grelles Licht, dafi laei Strawinsky 
alles, Ijesonders aber die leicht hingeworfenen Gedanken, trotz — oder eben wegen — 
der scheinbaren Atl'ektlosigkeit aus Abwehr ins Grotesk-spielerische umschlagen und — 
was fur una nodi wichtigcr erscheint — in der besorgten Unbesorgtheit um die Leicht- 
fliissigkeir — scheinbar aber um die Urnatur spielende Bliythmik frei auswirken zu 
lassen — selbst die Form, die stabile Architektonik nur ausserlich aufrecht zu erhalten. 
Was bei Strawinsky spielerisch ist, wird bei Bartok zum fiebernden Suchen und Finden; 
was bei Strawinsky mechanistisches Wirkenlassen der Bliythmik ist, ersetzt bei Bartok 
eine stets ptdsende, ausdruckssatte, aus tiefsten Seel enschich ten auflodernde rhythmische 
Orgie, wie sie tier Basse scbon binge nicht mebr anerkennen will. Strawinskys Maunig- 
faltigkeil, seine fliefienden, asyminetrisdieii, dyjiamiscben Formen sind dem, der Stabilitat, 
Grossartigkeil, inneren Gesclilosscnbeit, organisch sich entwickelnden Notwendigkeit zu- 
steuernden Forinwdlen Bartoks fremd. Strawinsky sagte sidi imierlich dem statischen 
Ideal der geschlossenen Form los und streift das Verbliiffende. Bartok baut sich seine 
Formenwelt selbst und tragt audi das Material allein zusammen. Sti-awinsky ist der 
gi'insende Pessimist, Bartok der bitterernste Optimist. 



BELA BARTOKS NEUESTE WERKE 23 

Beweisen wir das Gesagte aiialytiscli. Man stelle etwa die Klavierkonzertc beider 
Meister nebeneiiiander. Bei Slrawinsky: diinne. Fast jiur andeutungsweise gezeichnete 
Linien, klare, durchsichtige Struktur, in der die ,,Strawhiskysmen" fast unangebracht an- 
gebracht sind. Das mustergultig dahinrauschende Allegro vereint die elegante Kleidung 
der italienisierenden Formsprache mit der geistreichen Beweglichkeit des gezahmten 
russischen Rhythmus. Links und rechts ist aber das enge Gewand geflickt und zwar mil 
fremdem Material. Da guckt hinter Pergolesi's Maske Strawinsky Jiervor: aus deni 
frohen, frischen, gutgelaunten Edelmann wird erne gemacht-durnme, zweideutige, spottische 
August-Fratze. 

Bartdk aber will das Ideal des heranreifenden Barock auf einer anderen Ebene 
verwirklichen. Er steht auf dem festen Boden des aus volkischem Gut aufgebluhten 
Melos. Die melodischen Gedanken fliessen iiber selbstgestaltete Harmonieregionen und 
ein elementarer Rhythmus halt das lebende Material in Bewegung. Ein zielbewufiter 
FormwiUe waltet in dieseni grossartigen Versuch. Das am Papier sich aufdrangende 
mechanistische Beiwerk der diatonischen Laufe und Kontrapunkt-Kombinationen ist 
gewissermassen nur Luckenbusser, ist nur das aufzuarbeitende Rohmaterial. Das Werk 
ist bestimmt ein Versuch: manches konnte noch anders sein; vielleicht ist die Ordnung 
der Gedanken nicht aid's Gliicklichste ausgefaUen; vielleicht hatten Wiederholungen und 
Wiederholungsketten verlassen oder verandert werden sollen. Es mag vieUeicht sein, 
dafi Bartok schon bedeutendere, geschlossen-einheitlichere Werke gesclirieben hat. Doch 
ist es nicht zu verkennen, dafi das Werk Formprobleme aufwirft, die seit den Violin- 
sonaten kaum angeruhrt wurden, da die Tanzsuite in dieser Hinsicht nur den Ruhepunkt, 
das Verweilen auf dem erlangten Plateau bedeutet. Das Konzcrt, die Klaviersonate, die 
Inventionen weisen den weiteren einsamen Weg Bartoks. 

AVohin fuhrt denn seine Bahn ? 

Gewifi zum Auflosen des figurativ gebundenen Konti-apunkts. Er wird sich von 
der „Objektivitat" der sozusagen choreographisch gebundenen, formalistischen, etikettmafiig- 
streng sequenzierten, toten Bewegung, die selbst Bach nicht immer mit voHbltitigem 
Leben fxillen konnte, retten mussen. Er wird der Bewegung, dem Ornament ihre 
Bedeutung wiedergeben. 

In der letzten Zeit beschaftigt sich Bartok intensiv mit den Klaviermeistern des 
Friihbarock und wird erne Reihe von "Werken Frescobaldis und Michelangelo Rossi's 
herausgeben. Die Friichte dieser Tatigkeit zeigen sich schon in den drei neuen kleinen 
Rhapsodien, die er jungst uraufgefiihrt hat. 

Ich hoffe, gezeigt zu haben, dafi in den neuen Werken Bartoks viel weniger von 
einem Einflufi Strawinskys die Rede sein kann, als vor Jahren etwa vom Einflusse 
Debussys oder StrauSens. Sie gaben ihm alle starke Impulse, doch ist die innere Logik 
der Entwicklung unerschuttert und unerschiitterlich. Seine Personlichkeit ist in sich 
geschlossen : wie im Leben, so steht er auch in der Kunst verschlossen, unnahbar da. 
Er geht einsam seine gerade Sti'afie und trifft nur jene, deren Wege den seinen kreuzen, 



MELOSKRITIK 



Die neue. hier angestrebte Form der Kritik berulit darauf, dafi sie von 
mehreren ausgeiibt wird. Dadurcli soil ilire Wertung von alien Zu- 
falligkeiten und Hemmungen abgelost werden, denen der Einzelne 
ausgesetzt ist. Langsam gewonnene gsmeinsarae Formulierung, aus 
gleicher Gesinnung entstanden, erstrebt. einen hoberen Grad von Ver- 
bindlicbkeit. Die Werkbesprechung will alle Bezirke gegenwartigen 
Scba ffens umspannen. Die Aufl'uhrungsbesprechung mufi sich auf 
Berlin als Knotenpunkt des deutscben Musiklebens beschranken. 



Werkbesprechung 

Hans Mersaian i — Hans Schidtze-Ritter 



Heinrich Strobsl — Lothar Windsperger 



1. ERNST KRENEK: „JONNY SPIELT AUF" 

Es ist notig, auf diese Oper noch einmal einzugehen, da sie, gegenwartig an mehr 
als funfzig Biihnen gespielt, fur den grofiten Teil aller Tlieaterbesucher als der Typus 
der Zeitoper schlechthin angesehen wird. Wohl enthalt das "Werk eine Reihe von 
Merkmalen heutigen Lebens (Milieu, Maschine, Jazz), doch wirken diese Dinge in ihrer 
rein aufierlichen Stofflichkeit als Requisit. Zeit ist nicht gestaltet, sondern ihre auf- 
dringliclisten Attribute werden skrupellos hingeworfen. Die sensatianelle Wirkung der 
der UraurFiihrung mufite daher bei einer Wiedergabe bald verblassen, welche (wie die 
Berliner) die Aufierlichkeiten bis zum plumpen Naturalismus und zur schlecht gemacliten 
Revue vergroberte. Denn die Handlung der Oper ist trotz ihrer Haufung von Sensationen 
und reifierischen Effekten im Grunde durchaus langweilend, weil die dramatische Spannung 
sowohl innerhalb der Einzelbilder als auch zwischen den Szenen fortwahrend abreifit. 

Die Musik bezeichnet in der bis jetzt ubersehbaren Entv\dcklung Kreneks einen 
Tiel'punkt. Sie ist ein schlecliter Kompromifi zwischen romantisierender Oper und Jazz. 
Diesem felilt jede ausgesprochene Haltung und Vitalitat; die Tanzrhythmuc bleibt stumpf. 

Die formale Anlage ist von der gleichen Fliichtigkeit, welche die gesamte Ton- 
sprache der Oper charakterisiert. Die Musik liiuft unorganisch und stiickweise dahin, 
ohne den Text von sich aus zu gestalten. Nur einzelne Szenen, wie die zwischen den 
Polizisten und zwischen Max und Yvonne sind organisch gebaut und erreichen eine 
Verschmelzung zwischen Musik und dramatischer Situation. Das durchweg blasse Klang- 
bild ist Resultat handwerklicher Unfertigkeit, die an der ganzen Partitur zu beobachten ist. 

Wir wollen, statt iiber das Schopferische zu reden, den Komponisten selbst sprechen lassen 
mit zwei Stellen, in denen wir (gestiitzt auf seine eigenen Aufierungen) den unmittelbarsten 
Niederschlag seines musikalischen AusdruckswiUens erblicken diirfen. Sie sind nur durch wenige 
(irjstrumentale) Takte von einander getrennt. Das sind die „beiden Spharen" dieser Oper. 



MAX 
appassionato 



WERKBESPRECHUNG 



25 




Zehn Uhr ein-und- vier - zig 1 ! Wardas nicht ein Au - to -mo -Ml 




2. INSTRUMENT ALKONZERTE 



Kein Zufall, dafi die Zahl der jetzt geschaffenen Iiistrumentalkonzerte""von'Bedeutung 
standig wachst. Eine Gattung, die schopferisch ein Jahrhundert ,.hrach gelegen hatte^ 
gewinnt aus der Vitalitat unserer Zeit heraus neue Daseinsberechtigung. Elementare 
konzertierende Krafte iiberwinden die Architektonik der Sonatenform. 

Unter den hier zur Diskussion stehenden Werken knvipft das Klavierkonzert von 
Ernst Toch am deutlichsten an die altere Formtradition an. Der dualistische Charakter 
seiner Themathik bedingt einen geschlossenen Formablauf, der sich mit der brillanten 
Haltung des Konzerts mtihelos verbindet. Der eklektische Stil des Werkes verschmilzt 
romantischen Ausdruck mit konstruktiver Polyphonie. Die auseinanderstrebenden Krafte 
werden durch Schwung und Witz auf das gliicklichste gebunden. 

Auch die Partita fur Klavier und Orch ester von Alfredo Casella kntipft an altere 
Form an. Bei ihm ist die Beziehung zur Vergangenheit eindeu tiger. Er gewinnt aus 
romanischem Formgefixhl klassizistiscbe Klarheit. Seine Melodik wurzelt im Nationalen, 
sein konzertanter Sdawung ist liberaus glanzend. Die suitenhafte Einheit wird durcb 
die Passacaglia in ihren stilistischen Widerspriichen bedroht. 

Kurt Weills Konzert ftir Violine und Blasorchester (Opus 12) schafft sich im 
Gegensatz zu den beiden vorher genannten Werken einen neuen, unsymphonischen Stil. . 
Weill kommt auch hier vom Theater, das ihn in den Ecksatzen zuweilen in die Geste 
drangt. Konzertante, dramatische und koloristische Elemente bewirken ein kontrastreiches 
und fiir das Soloinsti-ument ungemein wirkungsvolles Nebeneinander. Der Grad stili- 
stischer Abhangigkeit (Strawinsky) gefahrdet die Ursprunglichkeit Die drei zu einer Ein- 
heit zusammengefafiten Mittelsatze binden Virtuositat in tanzerische Haltung. 

Dem Violinkonzert Opus 29 von Ernst Krenek gibt thematische Einheitlichkeit 
und Bezogenheit auf das Soloinstrument eine gewisse spi6lfreudig& Straffheit. Die vir- 
tuos behandelte Geige macht den Mangel an Substanz weniger fiihlbar. 



2,6 MEL0SKRIT1K 



Volkstum als Kraft steht audi hinter dem Klavierkonzert Bela Bartoks. Aber 
dieses Volkstum hat nicht mehr die suggestive Leuchtkraft seinei' friihen Werke. Es ist 
durch eine personliche Entwicklung hindurchgegangen, die wiederum nur als Ted einer 
allgemeinen Entwicklung verstanden werden kann (Strawinsky). Abstraktion vom shin- 
lichen Klang legt in der Tiefe wirkende Urkraft blofi, welche als hammernde Rhythmen, 
melodische Fragmente und starr gewordene Klange heraufgetrieben werden. So ensteht 
eine Musik von vollendeter Objektivitat, aufierstev Gegenpol der Bomantik. Daraus 
ergibt sich mit Notwendigkeit ein KlaA'iersatz von unvirtuoser, sachlicher Strenge. 

Wenn Paul Hindemith in seinem Bratschenkonzert Opus 36, 4 zu einer aufier- 
licli vielleicht ahnlichen Versachlichung des Konzertanten gelangt, so wirken hier vollig 
andere Krafte. Sein elementares Musikantentum bindet ihn an das Leben, dem Bartok 
entwachsen ist. Seinem starken Formwillen gelingt es, im ersten Satz eine vom Anfang 
bis zum letzten Takt durchpulsende Bewegung der Bratscbe zu einem Ablauf von 
eiserner Festigkeit zu binden. Durch Verbindung von musikantischem Spielbetrieb, der 
sich im Finale bis zur Hereinnahme des bayrischen Avanciermarschs steigert, mit einer 
neuen Polyphonie, die dem Komponisten zur natiirlichen Sprache geworden ist, entstehl 
ein Konzertstil, der, aus der Zeit geboren, der Gattung einen neuen Sinn gibt. 



Auffuhrungsbesprechuiig 

Hermann Springer — Heinrich Strobel - Werner Wolffheim 

Die Opernarbeit steht durch Intensitat unci Gewicht der Ergebnisse im Vordergrund. 
Der fruchtbaren Entf'altung der Krafte traten Hindernisse besonderer Art entgegen. Die 
Stadtische Oper miter Tietj en und Walter konnte zwar ungehindert arbeiten : die Staats- 
oper, iiber der jetzt Tietjen als Generalintendant steht. nuifite sich mit der neuen Ver- 
zogerung des Umbaus unter den Linden ablinden. Das alte Haus kann nicht vor 
Fruhjahr erofi'net werden. Horth, der nevie Direktor, bleibt weiter auf die Krolloper 
uud wenige Abende imSchau spielhaus angewiesen. Klemperer hat mit einiger Ver- 
spatung sein Ami als Leiter der Krolloper angetreten uud mufi sich mit Horth in das 
Haus teilen. Es ist offensichtlich, dafi sich aus dieser raundichen Beschrankung Schwierig- 
keiten in der Probenarbeit und damit in der Repertoiregestaltung ergebeu. 

Klemperer hat sich mit einer Auffuhrung von imponierender Geschlossenheit 
eingefiihrt. Sein Fid elio, den er als Dirigent und Spieileiter voUig neu gestaltet, wirkt 
reinigend als schopferische Tat eines mit unerbittlicher Konsequenz sich durchsetzenden 
Widens, der auf deutlichste Herausarbeitung des Dramas, auf letzte Konzentration 
gerichtet ist. Klemperer ist vom Werk besessen, er gibt die Musik mit zwingender 
Bestimmtheit. UberaU ist der einheitliche Plan dieser Neugestaltung zu spiiren: in der 
genau iiberwachtetr Dynamik der Geste, in der Zuriickdrangung des Singspielhaften, in 
der gliedernden und steigernden Anordnung der Stellungen, in der Fuhrung des vom 
lauten Pathos befi - eiten Dialogs, in der vom dekorativen Naturalismus losgelosten Szene 
Ewald Dill bergs. Alles wachst mit innerer Notwendigkeit aus dem Organismus des 



AUFFPHRUIVGSBESPRECHUX G 27 

musikalischen Kunstwerks heraus. Im Kosttim wird der Zeitstil der Revolution her- 
gestellt, in der die Rettungsoper wurzelt. Voraussetzung fur die Geschlossenheit einer 
solchen Wiedergabe ist die Unterordnung aller Mitwirkenden unter die willensstarke 
Personlichkeit des Fiihrers. Das Starsystem wird von Klemperer abgelehnt. Es ent- 
sprache auch nicht der Bestimmung des Instituts, das in erste.r Linie als Volksoper 
wirken soil. 

Welche Gefahren diese grundsatzliche Einstellung in sich birgt, lassen die weiteren 
Auffuhrungeu des Klemperer ensembles erkennen. Niu - eine so suggestive Kraft wie die 
Klemperers vermag die Einzelleistung dermafien zu spannen unci dem Organismus des 
gestalteten Kunstwerks einzugliedern, dafi Unzulanglichkeiten des Materials zuriicktreten. 
Eine frulie Verdi- Op er wie Luis a Miller ist so sehr auf Glanz und Vollendung des Ge- 
sanglichen gestellt, dafi die Intensitat des Dramatischen dieseii Mangel nicht aufwiegen 
kann. Doch war innere Gespanntheit in dieser Auffuhrung, die von Zweig mit Hin- 
gabe geleitet und von Schulz-Dornburg a us dem Geist der Musik heraus inszenieit 
wurde. In dem Schillerschen Stuck fand Verdi die packenden Situationen und Effekte, 
die er von einem Opernlibretto verlangte und die Cammarano unbekummert ura die 
Psychologie der Zusammenhange mit starkem Theatersinn herausholte. Trotz vieler 
sorglos hingeSchriebener, konventioneller Partien reifit die Musik an dramatischen Hohe- 
punkten durch ihre elementare Kraft und ihren melodischen Reichtum inimer wieder 
empor. Fur die Bestimmtheit von Verdis Stilentwicklung ist sie iiberaus lehrreich. 
Die musikalichen Werte, am reichsten im Schlufiakt, rechtfertigen die Wiedererweckung 
der Oper. 

Die dritte Premiere der Klempereroper war Smetanas K u s s , mit der sich Zemlinsky 
als Dirigent in Berlin einfiihrte. Die Innigkeit und volksliedhafte Frische der Musik, 
in der sich ein zartes, von Schwermut beschattetes Gefiihl gegen den tanzfrohen Rhyth- 
mus abhebt, lasst den ungeschickten Text ertragen, abgesehen vom Beginn des zweiten 
Aktes, der nicht zu retten ist. 

Noch vor Klemperers Fidelio brachte die alte Staatsoper im Krollhause den 
Doktor Faust von Busoni. Sie bot damit eine ihrer starksten Leistungen der letzten 
Jahre. Die Bedeutung dieser Auffuhrung lag darin, daB sie das Wesen des Werks, das 
Erdhaftes und Jenseitiges verschmilzt und, wegstrebend vom Wagnerschen Musikdrama, 
Oper als Spielgeschehen auf einer Ebene reiner Geistigkeit erneuert, zu lebendigster 
Wirkung brachte. Die schwierige Realisierung der im Magischen ruhenden Oper wurde 
von Horth und Blech, unterstiitzt von Aravantinos, in kaum zu tibertreffender Weise 
gelost. Uberragend der Faust Friedrich Schorrs, von hochster Lebendigkeit der 
Mephistopheles Scots. Das Werk, das mit Bewunderung aufgenommen wurde, hat 
nicht auf Massenwirkung zu rechnen, es wendet sich an einen kleinen Ki - eis geistiger 
Menschen. 

In der Stadtischen Oper brachte Bruno Walter den Orpheus von Gluck in einer 
eignen Bearbeitung, welche die mit Monotonie drohenden Ballettsatze der Pariser 
Fassurig beschneidet und den schwachen Schlufi durch ein heiter-festliches Stiick aus 
Echo und Narziss ersetzt. Walter lost die Partitur in weiches Gefiihl auf. Die 
Schlichtheit und Einfachheit dieser Musik fordert letzte Gestaltungsgrofie, die in dieser 
Auffuhrung nicht erreicht wurde. Das Werk ist auf Stiitzung durch die Szene ange- 



28 MELOSKRITIK 



wiesen. Das Unterweltsbild mit seinen im Dunkel verschwindenden Massen kam der 
dramatisclien Idee nahe. Die Darstellung der Unwirldichkeit im Licht mifilang. Im 
Elysium wie im Schlufibild storte die Versufilichung des Buhneiigeschehens, das Karl 
Heinz Martin und Casar Klein formten. 

Es war ein besonderes Verdienst Bruno Walters, dafi er sich einer Schopfung 
annahm, deren klassische Einmaligkeit aucli heute noch lebendig gefiihlt wird-i Pelleas 
und Melisande von Debussy. Walter mid Martin schwachten das Seelisch-Fliefiende, 
Uiiwesenhafte des Werks durcb Unterstreichung des Dramatisclien ab, das angedeutet 
ist. Dazu ergab sich ein Gegensatz zwisclien der Musik, - die Walter von sich aus ge- 
schlossen gestaltete, und den Buhnenbildern Kainers, die zwisclien Uberphantastik und 
werkfremdem Bealismus schwankten. - ,' 

In Kreneks Jonny wollte der Begisseur Martin durch einen handfesten Naturalis- 
mus imponieren. Er machte keinen Gebrauch von der vom Autor selbst gegebenen 
Mogliclikeit einer andeutenden Elusion. In der musikalischen Darstellung durcli 
Sebastian fiel der Mangel an innerem Schwung bei aufierem Brio auf. 



In dem krisenhaft erschutterten Konzertbetrieb sind die Phdharmonischen Konzei'te 
in bezug auf kuiistlerische Leistung und Publikumswirkung am sicliersten fundiert. Trotz 
mancher Widerstande versucht Furtwangler neue Musik in vorsichtiger Auswahl nach 
Mogliclikeit durcbzusetzen. Der Glanz einer bis ins Letzte durchgefedten Wiedergabe kam 
der Komodie fur Orchester von Ernst Toch zugute: eine lduge, in ihren rhythmischen 
Effekten unterhaltsame, virtuos geniachte Musik, die den Lustspielton bis zu lauter und 
greller Komik steigert. Bei Furtwangler horte man aucli die zweite Suite aus Bavels 
Ballett Daphnis und Chlo e, drei Stiicke von satter Leuchtkraft und idyllischer Gelost- 
heit, die in ein Finale von wirbelnder tanzerisclier Bewegung miindet. Bavel erschien 
aucli in einem Konzert, das Werner Wolff mit den Plidharmonikern gab. Das Tombeau 
de Couperin ist in Form und Gehalt der reinste Ausdruck franzosisclien Kunstgeistes. 
Der Dirigent stellte im gleiclien Konzert Kreneks Sieben Orchesterstiicke zur 
Diskussion, die in ihrer Kurzatmigkeit niclit iiber den Wert von Studien hiiiauskpmmen ; . 

Aufier Kleiber gibt aucli Klemperer in diesem Winter zehn Konzerte mit der 
Staatskapelle. Er braclite neben der Sinfonietta von Janacek, deren unbefangeneVitalitat 
durcli eine reiche Klangliclikeit gelioben wird, das Bratschenkonzert von Hindemith 
zur Urauffulirung. Von Hindemith selber iiberlegen und sachlich vorgetragen und von 
Klemperer in vorbddlicher Prazision begleitet, wurde es in seinein musikantischen Leben 
und in der meisterlichen Gebundenheit seines personlich-schopferischen Stils mit 
sturmischem Beifall aufgenommen. Aus der jungsten Produktion vermittelte ferner 
Eugen Lang eine Ballade fur Bafi von Kurt Weill, welche die sclineidende Sprache 
Brechts in diisteren Blaserklang hiillt, und die Geschichte von David und Goliath, 
die E. W. S t e r n b e r g mit Anlauf zu satirischem Humor und greller Farbengebung fur 
Bafi und Kammerorch ester komponiert hat. Heinz Unger formte, charakteristisch in 
Klang und Bhythmus, die vom Ballet her bekannte Skythische Suite von Prokofieft 
nach. Strawinskys Sacre konnte man in der Darstellung durch Oskar Fried wieder 
begriifien. Bemerkenswert war die Berliner Erstauffuhrung der Messe des Lebens von 



AUFFUHRUNGSBESPRECHUNG 29 

Delius, der Zarathustra-Worte aus seiner sensitiven Personlichkeit heraus deutet. Karl 
Schuricht trat fur ihn mit Energie und Uberzeugung ein. Die Singakademie unter 
Georg Schumann erinnerte an den in Berlin lange nicht mehr aufgefiihrten Christus 
von Liszt in einer leider stark gekiirzten, mystische Tiefen nicht erschliefienden Dar- 
stellung, die iiberdies erheblichen Schwankungen unterworfen war. Man soil das 
bedeutende Wei-k nicht wieder in Vergessenheit sinken lassen. 

Schonbergs neues Str eichquartett op. 30 spielte das Kolis ch quart ett 
mit absoluter Vollendung. Es brachte auch die sublimierte Romantik von Alban 
Bergs Lyrischer Suite in unvergleichlich abgerun deter Interpretation. Der mit 
arifierster Konsequenz durchgefiihrte Konstruktivimus Schonbergs gelangt im neuen 
Str eichquartett zu einer fafibaren und durchsichtigen Gestalt. 



U M S C H A U 

JAZZ I.M KONSERVATORIUM 

Jazz ist eine Tatsache, die eine Zeitlang neben unserem sogenannten Kunstleben her 
lief, die dann durch ihren Einflufi auf bestimmte Komponisten auch in diesen bisher 
so test umfriedeten Bezirk eingriff, doch von unserer Kunstpadagogik — zumal von den 
offiziellen Bildungsanstalten — so gut wie gar nicht beachtet wurde. Die Frage, 
ob ein ernst geleitetes Konservatorium das Recht habe, Jazzmusik zu pflegen bezw. ihre 
Ausubung zu lehren, hat jetzt Dr. Hochs Konservatorium in Frankfurt mit der 
Ankundigung einer Jazz-Klasse bejaht. Ein Rundschreiben des Direktors Bernhard 
Sekles stellt aufier dem Unterricht im Gebrauch der typischen Jazz-Instrumente vor 
allem auch regelmassige Ensemble-TJbungen sowie, fur spater, einen erganzenden Vokal- 
kursus in Aussicht. Seldes ist sich der kultureUen Gefahren, welche die bisherige Jazz- 
Praxis birgt, durchaus bewufit. Er verurteilt die als „Verjazzung" meisterlichen Gutes 
bekannten Ausschreitungen der sogenannten Jazz-Komponisten. Er steht aber anderseits 
auf dem Standpunkt, dafi man einen Kunstzweig nicht nach seinen Entartungen beur- 
teden darf, dafi eine offentliche Musikbildungsanstalt gegeniiber einem Musikgenre, das 
vom Gros unserer jungen Musiker schon aus Existenzgriinden zwangslaufig ausgeiibt 
wii'd, nicht nur das Recht, sondern die Pflicht zu padagogischer Vorbereitung habe, und 
dafi dieser Unterricht gerade im Falle „Jazz" die allgemeine Ausbildung des europaischen 
Musikers in wesentliclien Ziigen wertvoll verstarken und erweitern konne. Insbesondere 
verspricht sich Sekles in seiner Ankundigung von einem geordneten Spezialunterricht 
im Jazz eine betrachdiche Hebung des technischen Niveaus der kulturell viel zu wenig 
beachteten Unterhaltungsmusik, ein wirksames Gegenmittel gegen den in der modernen 
Musik so stark hervorti'etenden Zug ins Abstrakte und Spekulative sowie, was als 
Grundkomponente dieses Remediums zu gelten hatte, die Intensivierung des gerade 
beim deutschen Musiker verhaltnismafiig gering entwickelten rhythmischen Sinns. 

Das Ungluck hat es gewollt, dafi dem Musiker Sekles bei der literarischen For- 
mulierung und Begriindung seiner Absicht, wie das bei seinesgleichen ja ofter vorkommen 
soil, die Feder durchgegangen ist; dafi er im Uberschwang der Gefiihle, in iibertriebener 
Bemiihung seiner stets regsamen Mentalitat und wohl auch mit einem Seitenblick auf 
die Rentabilitat der seiner Leitung unterstellten Anstalt sich zu iibertreibenden Aus- 
driicken hat hinreifien lassen, die seinen Plan bei angstlichen und voreingenommenen Ge- 
miitern von vornherein in Mifikredit bringen mufiten. Es versteht sich im politisierten 
Deutschland xmserer Tage leider von selbst, dafi die „Transfusion unverbrauchten Nigger- 
blutes", die Sekles der europaischen Musik mit arztlicher Geste verordnete von alien, die 
sich zur Verteidigung des Herkommens oder gar zum Schutz der „Volkischen Belange" 
berufen fuhlen, alsbald mit einer entsprechend iibertriebenen ethischen, asthetischen 
oder nationalen Geste zuriickgewiesen wurde; mochte dariiber auch der gesunde Kern 
seines Planes^zum Teufel gehen. Schweigen wir indessen von dem mit einer gewissen 
Methode „entfesselten" Sturm der Entriistung und von seinen realen Hintergriinden. 
Fragen wir ganz einfach nach dem moglichen praktischen Nutzen der gedachten 
Mafinahme. 



JAZZ IM K0NSERVAT0R1UM 3J 

Die Einrichtung einer Jazz-Klasse an einer groJJen, geachleten musikalischen 
Bildungsanstalt erscheint prinzipiell wertvoll, weil damit von amtlichei' kunstpada- 
gogischer Seite zum ersten Mai eine sonst vernachlassigte ernste Sache nach Gebuhr 
ernst genommen wird: die Beziehung zwischen Volks- und Kunstmusik, der Ein- 
flufi ihres gegenseitigen Verhaltnisses auf das Ganze unserer musikalischen und all- 
gemeinen Kultur. Wer sich am Schicksal der Musik wirklich mitverantwortlich fiihlt, 
wer vor den veranderten zivilisatorischen Bedingungen unseres Lebens nicht den Kopf 
in den Sand steckt, sondern die Wandlung unseres Empfindungslebens und seiner Aus- 
drucksformen taglich an sich selber erfahrt, der wird die ganze Schwere des Problems 
,,Volks-Kunst und Bildungs-Kunst", „Unterhaltungs-Musik und Kultur 'Musik' - '' audi dann 
richtig erfassen, die Notwendigkeit einer Losung bezw. eines Ausgleiches audi dann 
richtig erkennen, vvenn die Uberbriickung jenes von alien Zeitbewufiten beklagten 
,,Bisses" mit unzureichenden propagandistischen Mitteln angestrebt wird. Ein guter 
Kenner der sogenannten Unterhaltungsmusik : Alfred Bares el ist erst kiirzlicb mil 
einem auf tagtaglicher Erfahrung beruhenden Appell hervorgetreten, in dem es unter 
anderem heifit: ,,Jazz komite eine Briicke zwischen Unterhaltungsmusik und holier Kunst 
sein. Denn er stellt nicht nur in technischer Beziehung hochste Forderungen an die 
Ausfuhrendeii ..... sondern verlangt auch improvisatorische, also eigentlich musikalische 
Fahigkeiten — Unterhaltungsmusik sollte nicht bekampft, sondern gehoben werden. 
Ihre Ausrottung ware Utopie." 

Der praktische Wert des Jazz-Unterrichts erstreckt sich in gleicher Weise auf 
das soziale, auf das allgemein padagogische und auf das spezifisch musikpiidagogische 
und musikschopferische Gebiet. Das von Sekles nur summarisch betonte soziale Moment 
wird durch Baresels Angabe drastisch unterstrichen, daft etwa achtzig Prozent unserer 
Musikstudierenden von der Unterhaltungsmusik leben, ohne datur geniigend vorbercitet 
zu sein. In der allgem einen Padagogik werden zur Zeit Versuche mit Gerausch- 
und Unterhaltungsmusik angestellt, die sidi in psycho-physischer Hinsicht aufierordentlich 
bewahren soUen. Was aber den eigentlich musikpadagogisch en Nutzcn einer 
Beschaftigung mit jenem besonderen Genre moderner Unterhaltungsmusik anlangt, 
so besteht dieser fur jedes unbefangene Auge ofl'eiikundig nicht nvir in einer Ve.rmehrung 
der artistischen Ausdrucksmittel und Erweiterung ihres Gebrauchs, sondern auch in der 
Starkung der musikalischen Urtriebe und gi'undlegenden Formelemente ; in reproduktiver 
wie in produktiver Beziehung. Ernst Schoen hat in dieser Zeitschrift (Dezember- 
heft 1927) die technischen Auswirkungen des Jazz auf die Kunstmusik nach den drei 
Bichtungen: Vermehrung der iiblichen Klangfarben durch neue bezw. wiederentdeckte 
Instrumente, Erweiterung der Technik der gebrauchlichen Instrumente (namentlich der 
Blaser) und Begeneration des Spielti'iebs im Musiker ausfuhrlich dargelegt. Das letzt- 
genannte Moment: der neue Antrieb zur Virtuositat steht mit dem von Seldes nur im 
vagen Shine des „Ensembles", von Baresel dagegen in seiner ganzen schopferischen 
Bedeutung angefiihrten innerniusikalischen Moment der ,,Improvisation" in innigem 
Zusammenhang. Von den grundlegenden Formkraften aber wird der Bhythmus durch 
die Beschaftigung mit dem Jazz in einem Grade entwickelt und gefestigt, wie es auf 
instrumentalem Gebiet wo hi durch keine Gattung unserer Kunstmusik moglidi ware. 
Gerade in diesem Punkte ist freilich von den Gegnern des Jazzunterrichts die Frage 



32 U M S C H A U 



eingeworfen worden, ob die europaische und gar die deutsche Musik denn eine solche 
rhythmische Riickenstarkung notig habe, ob nicht ihr geistiger Rhythmus den vitalen, 
trotz aller Zivilisation und Industrialisierung immer noch vitalen Rhythmus des Jazz an 
Wirkung so himmelhoch iiberrage, dafi die Forderung des letzteren mit all ihren 
Konsequenzen bei uns einer Selbsterniedrigung oder gar einem Selbstmord europaischer 
Musikkultur gleichkomme. Dafi es aber audi auf kiinstlerischem Gebiet eine Degeneration 
durch Inzucht gibt, dafi hier zur Erreichung bedeutender Leistungen von jeher immer 
wieder die Adoption unverbrauchter fremder Substanz notwendig wurde, scheint den 
Anwalten dieses Arguments gar nicht bewufit geworden zu sein. Die ganze Unklarheit 
iiber diese Zusammenhange, namentlich in den Kreisen der bewufit national gerichteten 
zeitgenossischen deutschen Komponisten wird durch nichts besser erhellt, als durch die 
Tatsache, dafi einer, der mit ihnen in alien anderen Argumentationen gegeniiber der 
„neuen Musik" ubereinstimmt : Friedrich Klose in seinen ,,Erinnerungen und Be- 
trachtungen" im selben Augenblick ebenfaUs die Verarmung des rhythmischen Sinnes 
beim deutschen Musiker beklagt, in welchem seine Gesinnungsfreunde iiber die bezugliche 
Bemerkung von Sekles Zeter und Mordio schreien. 

Alles in allem : Seldes hat mit seiner geschwollenen Propaganda, seine Gegnerschaft 
mit ihrer nicht minder pathetischen, zum Teil unsachlichen Abwehr weit libers Ziel 
hinausgeschossen. Dieses Ziel selbst aber ist bei niichterner Betrachtung eines Versuches 
wert. Das Gelingen dieses Versuches, den Jazz als Lehr- und Ubungsstoff zu verwenden, 
wird in entscheidender Weise von der richtigen kategorischen Einschatzung des Stoffes 
abhangen. Jazz ist — und das hatte man von Sekles in der Ankiindigung seines Planes 
gern als Pramisse gelesen — mit den uns gelaufigen Arten von Kunstmusik wahrlich 
nicht auf eine Stufe zu stellen. Er ist, wenn wir den Begriff „Kunst" so verantwortlich 
fassen, wie uns das unsere kulturelle Tradition auferlegt, tiberhaupt nicht musikalische 
Kunst, sondern, wie ihn kiirzlich ein Jazz-Praktiker treffend gekennzeichnet hat, 
musikalisches Kunstgewerbe. Als solches ist er fur die Tatigkeit des Berufs- 
musikers wie fur den klanglichen Horizont des breiten Publikums gleich wichtig und 
unter den heutigen sozialen Bedingungen vielleicht wichtiger zu nehmen als manche 
Kunstkomposition, die sich ideell gebardet und im Grunde doch aus demselben 
Holze geschnitzt ist. Jazz kann, wie wir ausgefiihrt haben, auf den Stand der reproduktiven 
Musikpflege einen wohltatigen Einflufi iiben und das Musikschaffen selbst im Shine neuer 
Triebhaftigkeit sowie neuer Lust und Form der Gestaltung nachhaltig anregen. Wir 
wollen ihm unter dem Gesichtspunkt des europaischen Kunstbegriffs wahrlich keine 
giinstigere Diagnose und Prognose stellen, meinen aber, dafi die gegebene geniigt, um 
den Jazz-Unterricht im Konservatorium im Rahmen eines iiberwiegend von den geistigen 
und ethischen Werten unserer Kunstmusik bestimmten Lehrplanes zu rechtfertigen. 



Karl Ho 11 (Frankfurt a. M.) 



CHAOS UN D GESTALT 33 



CHAOS UND GESTALT 

zu Adolf Weifimanns Buch: „Die Entgotterung der Musik" ') 

'...'■■ 1. 

,,Die musikalischen Zeiten iasen. Fiinf Jahre etwa sind fur den Betrachter so 
reich an Erfahrungen, dafi er audi nadl sdieinbar endgultiger Zusammeiifassung des 
Gegenwartigen ein nodi Gegenwartigeres, em Gegenwartigstes sieht." Adolf We ifi man n 
schreibt ein Buch aus der Zeit lieraus, deren Zusammenhange er mit starken Instinkten 
aufspiirt. Die Linie, welclie er aufzeigt und in kurzen, gemeifielten Kapiteln gestaltet, 
scheint so wesentlich, dafi idi zunachst bei ihr verweilen mufi. 

,,Was wir sehen, ist: der Geist erfand die Mascliine, die Maschine fesselt und treibt 
den Geist." Wie immer, wenn ein Zeitgescbehen gezeigt werden soil, stehen die Jahr- 
hunderte gegeneinander. Dem Jahrhundert der Bomantik steht das Jahrhundert der 
Maschine gegeniiber. Maschine ist das Zeichen der Zeit. Hire Kristallisation in der 
Musik ist das Klavier. „Leuchtet die Maschine in aUe Ecken der Welt, dann mufi Ro- 
mantik notwendig sterben . . .Das entseelte, zum Schlagzeug werdende Klavier spricht 
von entgotterter Musik." 

Auf dem Grund dieser Anschauung erhebt sich Weifimanns Zeitdeutung. AUe 
Bausteine der Gegenwart zertrummern die letzten Reste der Bomantik. Psychoanalyse 
reifit den Schleier von den Geheimiiissen des Unterbewufitseins. Vor allem aber: 
„Sport bekampft Musik". Audi aus dem Tanz wird Sport. Er hat die letzten Beste 
der Orgie verloren und wird „Freiluftsport, eine der gesiindesten Beschaftigungen fiir 
den Gegenwartsmenschen . . . ein musikalischer Erfolg der Maschine". Der Tanz aber 
ist es, der das „neue Klangergebnis" bringt. Stopfldang, Schlagzeug, unerbittlicher 
Bhythmus strahlen „unbandige spordiche Heiterkeit aus". 

Dadurch geschah der „Verfall der Tristanerotik". Feierlichkeit und Sehnsucht 
schwanden; Psychoanalyse ,,bringt audi das Verhaltnis zweier Liebenden zu einer Ein- 
deutigkeit, die auf alles Kiinstlerische zuriickwirken mufi". Der Sieg des AUtaglichen 
ist die Herrschaft von Badio und Film. Die Entgotterung der Musik schreitet bis zu 
letzten Konsequenzen fort. 

Aus dieser Lage erwachst ein Zeitbild, zu dessen Symbolen vor alien der Dirigent 
gehort. Er ist die Primadonna von heute. Mit seinem einseitigen kiinstlich iiberstei- 
gerten Wachstum hangt der Abstieg der Konzerte unmittelbar zusammen. Audi Kon- 
zert wurde Betrieb, ein Glied der Maschine. Seine besondere Erscheinungsform sind 
die Musikfeste, welclie sich zu Musikmessen entwickelten. ,,Der Uberflufi an Musikern, 
schaffenden und ausiibenden, fuhrt von selbst zur Groteske." Die Krise der Oper liegt 
nicht im Mangel an Stimmen sondern im Nachlassen der Produktion begriindet. So 
ergibt sich „aus dem Weltchaos des Krieges ein Weltchaos der Musik". ,,Zwischen Chaos 
und Maschine" stehen einige grofie Personlichkeiten : Schonberg, Strawinsky, Bartok. 

Hier aber setzt der neue Blick ein. Er fiihrt ,,von der Maschine zum Menschen". 
Gegen die objektive, maschinelle „neue Sachlichkeit" wachst etwas, „was wir als neue 
Menschlickkeit bezeichnen konnten". Der Mensch wehrt sich gegen die Maschine. 



') Deutsche Verlags-Anstalt, Smttgart, Berlin und Leipzig 192!}. 



34 U M S C H A li 



Uberail wird wiedcr gesungen. Liedhafte, oratorische Musik wird zum Trager von 
Zukunftswerten. Die Stimmen, die der junge Musiker in sich niederschrie, drangen mit 
potenzierter Kraft zum Leben: sie treiben ihn in die Ai-me einer neuen Romantik. 
„Die Mascliine, des Menschen Werk, muft am Ende als Weltmacht sich selbst iiberleben, 
wahi-end der Mensch mit seinen Sehnstichten bleibt". So erblickt der Kritiker der Zeit 
auch nach der Entgotterung der Musik Zukunft. 



Dieser AVeg durcb Weifimanns Buch lafit die Dreiteilung hervortreten, unter welcher 
die Zeitdeutung gegeben ist. Zuerst wird die Maschine als Symbol einer neuen Welt- 
anschauung und als Gegenpol gegen die Romantik aufgestellt. Dann wird von der 
gewonnenen Hohe Ausschau gehalten auf Konzert, Oper, Radio und Film als Zeichen 
des Verfalls. Aus aller dieser Zersetzung heraus aber richtet sich der Blick schliefilich 
auf die Zukunft, welche als Uberwindung der Maschine neue Romantik sein wird. 

hi Weifimanns kleinem Buche ist eine Fulle von Leben gefafit. Ein aufiergewohn- 
liches Mafi von Erfahrung, Eindrucken und Kraft des Zusammenschauens riickt Musik 
in den Strom der Zeit, macht sie zu einer Funktion ihres Atems wie Sport und Ma- 
schine. Klare, knappe Formulierung, glanzende Schreibweise verleihen der Pragung der 
Gedanken suggestive Kraft. 

Alles das zwingt zu einer Auseinandersetzung. Sie mufi mit dem Vorbehalt der 
Subjektivitat begonnen werden. Zeit zu sehen, ist immer eine Angelegenheit person- 
licher Perspektive. Aber gerade um dieser Perspektive wiUen mufi dem „Bekenntnis" 
ein Gegenbekenntnis gegenubergestellt werden. 

Uusere Zeit, in ihrer unbegrenzten Fahigkeit der Aneignung fremder stilistischer 
Inhalte, fallt auch in die Romantik zuriick. Aber es scheint mir Gefahr, die romantischen 
Schwachezeichen, fiir welche Krenek der „Kronzeuge" des Verfassers ist, als Zukunft zu 
deuten. Gefahr, Strawinslcys Spiel mit alteren Stilen, seine Liebe zu Tschaikowsky 
als Uberwandung der „trockenen' - Epoche zu buchen, der die Klaviersonate entstammt. 
Hochste, Gefahr, in der Romantik das Gottliche der Musik, in ihrer Uberwindung 
..Entgotterung 1 ' zu sehen. 

Wir begegnen uns: rasend ist das Tempo der Zeit. Was vorher das Werk von 
Generationen bezeichnete, scheint sich jetzt in einem halben Jahrzehnt zu vollenden. 
Romantik starb. Ihr ScheidegrulA mag Mahlers „Lied von der Erde" sein. Ihre letzten 
Zeichen wurden umgedeutel: im impressionismus, der, noch einmal als Epoche begrenz- 
bar, von Debussy bis zu Skrjabin reicht. Aus der Zersetzung des impressionistischen 
Weltbilds \s r uchs Arnold Schonbergs einsame Entwicklung bis zum „Pierrot Lunaire". 
Wir begegnen uns weiter: Chaos bricht ein. In Volksmusik und Jazz wachsen Urkrafte, 
von wenigen getragen. schnell abgenutzt. Musik wird blofigelegt bis zur reinen Substanz. 
Neue Gesetze ihres Wachstuins entstehen, die jenseits des Organischen liegen ; mechanische 
Musik aber drangt zur Maschine. 

Wir trennen uns : die Maschine (im weitesten Sinne) bleibt Episode. Musik, die 
ihren Gesetzen nachgeht, liegt auf einem Seitenweg. Aktualitat und literarische Ein- 
stellung uberschatzen den Grenzbezirk der mechanischen Musikerzeugung, der Reinton- 



CHAOS UND GESTALT 35 



systeme, des tonenden Films. Hier liegt scharfste Trennung des Schopferischen von der 
Reproduction. Eine von maschinellen Impulsen getragene Musik aber ist em Stuck des 
Chaos, ein Durchgang, ein Uberwundenes. 

Dies aber scheint mir das Wesentliche : Uberwindung des Chaos ist nicht Uber- 
windung der Maschine. Das Chaos ist uberwunden. Ein neues Weltbdd ist im Regriff, 
Gestalt zu werden. Seine Konturen sind klar. Dieses neue Weltbdd aber ist „unromantisch". 

Wir verstandigen uns auf dem Boden der Schlagworte. „Neue Sachlichkeit" ist mit 
dem, was sich hinter ihr deckt, Symbol der Gegenwartigkeit und mufi es bleiben. 
Sie ist riickwarts Absage sowohl gegen die Romantik wie audi gegen das Chaos. 
Sie ist eine breite Platti'orm, stark genug, auch eine „neue Menschlichkeit" mit zu tragen. 

In alien Fuhrenden dieses letzten Jahrzehnts liegt das gleiche Gesetz vorgezeichnet : 
in Schonbergs Durchstofi vom zersetzten impressionistischen Weltbdd zum reinen Klang- 
erlebnis, in Strawinsky, der vom chaotischen Urerlebnis der Elemente iiber die Poly- 
phonie in eine gereinigte, ganz unromantische Tonalitat zuruckkehrt, in Bartok, der 
gerade die romantischen Impulse seiner friiheren, von Kraften des Volkstums getragenen 
Musik in eine sprode, herbe, zuhochst sachliche Tonsprache von letzter Konsequenz 
verwandelt. Fiir die (wohl iiberhaupt miftliche) Gegenuberstellung von Hindemith 
und Krenek aber ergibt sich nun die umgekehrte Perspektive. Hindemith ist es, der 
die Tendenzen dieser Entwickhmg verkorpert, der Rilke aus einer neuen, wiederum 
„sachlichen" Geistigkeit heraus voUig unromantisch vertont und im „Marienleben" einen 
neuen Typus des deutschen Kunstlieds aufstellt, der aus dem vitalen Erlebnis des Konzerte 
heraus die romantische Konfliktstellung der Sonate endgultig iiberwindet. 

Wir woUen die Reinheit der Atmosphare nicht preisgeben, welche uns die Ent- 
wicklung der letzten zehn Jahre schenkte. "Wir anerkennen, den Blick zu Tristan zuriick- 
gewendet, den VerfaU seiner Erotik und die Entgotterung der Musik. Aber diese 
Entgotterung stimmt uns froh. Wir bejahen sie. Und wenii der auch auf uns immer 
mehr uljergreifende Sport aus den Landern stammt, „wo das Leben starker ist als die 
Kunst", so mogen wir ihn getrost aufnehmen. Der Tristan hat uns die Kunst aufgedeckt 
und entschleiert, die starker war als das Leben. Wir wollen sie nicht mehr. Die 
Kunst, in der wir heute unseren Ausdruclc erblicken, soU ein Ted unseres Lebens sein, 
eine seiner Quellen zugleich und seiner Funktionen. 

Noch einmal : wir diirfen die Reinheit der Atmosphare nicht preisgeben. Wo der 
Pendelschlag der Entndcldung in seiner Rtickbewegung auch die Romantik streift und 
die Ki'aft hat, sie einzuschmelzen, da gehort auch sie zu den Zeichen der Zeit. Wo 
sie aber als Krampf und Schwache begegnet, wie etwa in Kreneks „Jonny", wird die 
Zeit mit unwiderruflicher Gesetzmafiigkeit iiber sie hinwegschreiten. 

Wir griifien den neuen Menschen, welcher aus der neuen Atmosphare unserer 
Musik herauswachst. Wir sind nicht besorgt, dafi er die Musik von neuem „verg6ttere". 
Er ist Mensch, darum wird es Sehnsucht sein, welche ihn tragt. An ihm aber ist es 
dieser Sehnsucht nicht nur Ausdruck zu geben, sondern: Gestalt. 



Hans Mersmann (Berlin) 



36 U M S C H A U 



DIE NEUE TSCHAIKOWSKIJ-BIOGRAPHIE 

Eilie erschopfende Biographie P. I. Tschaikowskijs, die den Grundforderungen, welch e 
man an ein solches "Werk stellen darf, entspricht, besitzen wir — trotz unserer grossen 
Liebe zu diesem russischen Komponisten — noch immer nicht. Audi die neueste sehr 
umfangreiche Arbeit (Richard H. Stein, Tschaikowskij, Deutsche Verlags-Anstalt, Stutt- 
gart, 1927., 508 S.) hat diese Liicke nicht ganz ausgefiillt und diese nur in der beachtens- 
werten asthetisch-kritischen Wiirdigung des Schaffens P. I. Tschaikowskijs ausgeglichen. 

Die Tatsache, dafi Rich. H. Stein sich ein grofies Ziel gestellt hat, dafi er sich nicht 
nur mit dem Komponisten auseinandersetzt, sondern auch andere Gebiete, wie die 
Geschichte der russischen Musik, streift, veranlasst uns, auf sein Buch naher einzugehen, 
dessen Nach- und Vorteile zu notieren, zu wurdigen und sonst nach Kraften dazu 
beizutragen, dafi in Zukunft ein Biograph eines russischen Komponisten den Bogen 
nicht zu weit spannt und nur Gebiete beriihrt, die im Bereich seiner Kenntnisse liegen. 
Uberschatzt er seine Orientierung der weitverzweigten russischen Probleme, so lauft 
er unvermeidlich Gefahr, "Wertvolles und Ernstes neb en Minderwertigem und Frag- 
wiirdigem zu geben. 

Der Biographie selbst ist eine Einfuhrung in die Geschichte der russischen 
Musik vorausgeschickt, die, obgleich sie auch von Tschaikowskij ausgeht, d. h. sein 
Verhaltnis zu anderen russischen Komponisten und seine Einstellung zur russischen 
Musik gelegentlich streift, immerhin den anfechtbarsten und nicht recht in den Rahmen 
des gesamten Werkes passenden Teil bildet. Diese ersten 86 Seiten des Buches sind 
aus den Bundfunkvortragen, die der Verfasser 1925 und spater, wenn ich richtig unter- 
richtet bin, in einer der Volkshochschulen in Berlin hielt, zusammengestellt. Ihre 
Zeitungsaktualitat hat es mit sich gebracht, dass einiges bereits veraltet und iiberholt 
ist. Es geniigt auf das hinzuweisen, was Stein von den russischen Musikzeit- 
schriften sagt. 

Auch sonst gibt es in diesem Abschnitt Aufierungen, mit denen sich ein Kenner 
russischer Musikverhaltnisse nicht immer einverstanden erklaren kann. Wenn B. H. 
Stein meint, dafi bei uns keine Melodie Beethovens oder Mozarts, geschweige denn Bachs, 
jemals so popular gewesen oder gewoi'den ist wie gewisse „Gassenhawerlin", wahrend 
in Rufiland kein Gassenhauer sich an Popularitat mit den Melodien Glinkas messen 
kann, so mufi man sagen, dafi sich in dieser Behauptung, so gern ich ihr auch sonst 
beipflichten mochte, doch eine viel zu grosse und irrefuhrende Idealisierung der russischen 
Musikverhaltnisse birgt. Ich mochte nur an die kunstlerischen Ergebnisse des letzten 
allrussischen "Wettbewerbes der Harmonikaspieler hinweisen, auf dem gewisse russsische 
„Gassenhawerlin" wahrhafte Orgien feierten. Leider war es ja auch in der Vorkriegs- 
zeit nicht besser. Der Mittelstand und die oberen Zehntausend haben immer die 
quasi-russischen und pseudo-italienischen Werke so gut wie die gefalschten Zigeuner- 
lieder der AVjalzewa, Plewitzkaja und tutti quanti den Liedern Glinkas oder Tschaikowskijs 
vorgezogen. Ahnliche Erscheinungen, so unerfreulich sie auch sind, konnen wohl liberal] 
beobachtet werden, da sich fur inhaltreiche Musik doch immer nur ein verschwindender 
Teil der Gesamtbevolkerung interessiert. 



DIE NEUE TSCHAIKOWSKIJ-BIOGRAPHIE 37 

Zu der im Kapitel iiber Glinka wiedergegebenen, von den meisten Biographen 
aufgegriffeiien Mitteilung, dafi der Schopfer der russischen nationalen Kunstmusik im 
Hause des Gesanglehrers Pollini sein eigenes Streichquartett einmal horte und dieses 
nicht erkannte, mufi gesagt werden, dafi der durchaus ernst zu nehmende Freund und 
Gomier Glinkas, W. P. Engelhardt, der in Dresden viele Jahre ein Observatorium unter- 
hielt und dort kurz vor dem Kriege verschied, dies widerlegt und verneint; er behauptet 
vielmehr, dafi diese Mitteilung auf einem Irrtum beruht. Folglicb miisste sie kunftig- 
hin mit einer gewissen Einschrankung weitergegeben werden. 

Sehr anzuerkennen ist, dagegen, die zwar etwas anfechtbare, aber durchaus originelle 
und interessante Erlauterung der novatorischen Bedeutung A. S. Dargomyshskijs, auf die 
wir hier leider nicht naher eingehen konnen. 

Die Auffassung des „Lohengriii". welch e B.H. Stein als typisch russisch wiedergibt. 
diirfte wohl ganz vereinzelt dastehen, denn gerade diese Oper erfreut sich bis auf den 
heutigen Tag — und hatte es audi stets — der grofiten Sympathie der Russeii. Man 
kann sogar sagen, dafi sie, da die spateren Werke Wagners, audi der „ Tristan", langst 
noch nicht gentigend verbreitet sind, die beliebteste Oper des Bayreuther Meisters in 
Rufiland ist. 

Einem Druckfehler, vielleicht aber audi der Benutzung alter Quellen ist wohl die 
Hehauptung zuzuschreiben — im Kapitel iiber die funf Novatoren — dafi Beethovens 
Quartette Op. 127, 130 und 132 dem Vater des Grafen Wielhorskij gewidmet sind. 
Dagegen macht der Verfasser im Nachtrag „Chronologisches Verzeichnis hervorragender 
russischer Musiker" (ob die hier angefuhrten Musiker tatsachlich alle hervorragend sind_ 
lafit sich iibrigens sehr bezweifeln, da sich darunter Namen dritt- ja sechstrangiger 
Komponisten befinden) selbst die richtige Angabe,indem er bei Fiirst Nikolaj Borissowitsch 
Golitzyn schreibt: ,,Beethoven schrieb fiir ihn die drei seiner letzten Quartette". 

Im Kapitel iiber Bimsky-Korssakoff vermissen wir leider die Frische und Unbe- 
fangenheit, die zuweilen so herzerquickend in der eigentlichen Biographie Tschaikowskijs 
wirkt. Es ist audi zu bedauern, dafi R. H. Stein hier iiber das tibliche einseitige und 
eine griindliche Bevision fordernde Urteil nicht herauskommt, das sich bei uns nun 
einmal gebildet hat und mit dem in der Zukunft wohl noch einmal ebenso griindlich 
aufgeraumt werden wird, wie es R. H. Stein jetzt mit so mandien Zopfen, die noch 
immer unserer Vorstellung von Tschaikowskij anhaften, getan hat. Audi die Behauptung, 
dafi seine (Rimskij-Korssakoffs) letzten Werke merklich unter dem Einflufi Wagners stehen, 
halte ich fur durchaus nicht zutreffend. Sehr angreifbar und unbegrimdet ist die Angabe 
Rich. H. Steins, dafi das „Machtige Hauflein" d. h. M. P. Moussorgskij, N. A. Rimsky- 
KorssakofF, A. P. Rorodin, M. A. Balakireff und C. A. Cui, zuweilen in einer Wohnung 
zusammen hausten, Verkiinder des musikalischen Kommunismus waren usw. 

Ferner stimmt es audi nicht ganz, dafi Anton Rubinstein, als er das Petersburger 
Konservatorium griindete, ausschliefilich deutsche Kiinstler berief, denn einige Nicht- 
deutsche waren audi im Lehrerkollegium. Zum Kapitel Anton Rubinstein ware aufierdem 
noch hinzuzufugen, dass sich von den Opern dieses Komponisten „Der Damon" bis in 
die letzte Zeit in Rufiland einer aufierordentlichen und vom streng kunstlerischen 
Standpunkt aus kaum gutzuheifienden Reliebtheit beim Publikum aller Stadte erfreute. 



38 UMSCHAU 



(Stein nennt die Oper Rubinsteins „Gorjuscha" — „Gorjuschka"; das ist aber nicht 
richtig, da es sich hier doch nicht um ein Diminutivum handelt), 

Zu wenig hat der Verfasser von einem der interessantesten, aber audi von den 
Russen selbst noch nicht nach Gebiihr eingeschatzten Musiker S. I. Tanejeff gesagt; das 
was man hier vorfindet, ist in jedem Musiklexikon nachzulesen, ohne eine im entferntesten 
leise Vorstellung von der Eigenart der Personlichkeit und des Schaffens desselben zu 
erhalten. (Einen sehr wertvollen Beitrag zu den mehr als diirftigen biographischen 
Quellen iiber Tanejeff bildet der vor zwei Jahren in Moskau erschienene Sammelband, 
der neue Aufschlusse, Erinnerungen, Dokumente seines Lebens und Schaffens in reicher 
Auswahl bietet. Diese Quelle miifite bei der Behandlung des Thema Tanejeff stets 
herangezogen werden). 

Unsere Vorstellung von Skrjabin beginnt sich nicht nur zu festigen sondern auch 
schon etwas ,,offiziell" zu werden; das zeigt sich auch zum Teil beim Verfasser der Tschai- 
kowskij-Biographie. 

In seine kurze Ubersicht der neueren russischen Musik hat R. H. Stein auch den 
Komponisten Rebikoff aufgenommen, doch ist er gegen diesen zweitrangigen Komponisten 
und Neuerer aus der Provinz nicht immer milde genug. Rebikoff hat — man kann 
sich zu seinem Schaffen stellen wie man will — doch auch Wertvolles geleistet. Seine 
Oper „Christbaum" (nach einer Erzahlung Dostojewskijs) konnte auch in Deutschland, 
nicht nur dank ihrer musikalischen Reize sondern auch durch ihre vornehme Sentimen- 
talitat und leise Wehmut, Erfolg haben . . . wenn sie jemand kennen wurde. 

Wir haben schon erwahnt, dafi einiges im ersten Teil des Buches durch das 
Getriebe des Musiklebens bereits uberholt ist. Ganz fremd ist in Deutschland der jiingere 
Tscherepnin ja nicht mehr, wie auch nicht mehr behauptet werden darf, dafi man 
Prokofjeff in Deutschland fast gar nicht kennt. Die Werke des Kritikers Stassow sind 
zwar, wie der Verfasser richtig sagt, in drei Banden gesammelt, die, nebenbei bemerkt 
nicht alles erhalten, was dieser geschrieben hat; seine musikalischen Aufsatze fiillen 
aber nur einen und zwar den dritten Band. 

Im Kapitel uber die Musikgelehrten des neuen Rufilands sind einige Fehler richtig 
zu stellen. Einen Musikgelehrten A. Finapek gibt es nicht; diese Bezeichnung ist lediglich 
eine, durch den Druckfehlerteufel entstellte Schreibweise des Namens Finagin, der eine 
kleine, aber neue Wege weisende Schrift tiber das russische Volkslied verfafit hat. Dieser 
Autor hat einmal einen seiner Aufsatze unter dem Pseudonym B. Sotoff geschrieben, 
das lange Zeit nicht einmal in Petersburg entziffert wurde. Der Name des Musikgelehrten 
Garbusoff ist, wahrscheinlich wohl durch einen Druckfehler, in Garsuboff verwandelt. 

Einen gtinstigeren Eindruck als die „Einfuhrung in die Geschichte der russischen 
Musik", in der die Einteilung der Komponisten in „drei Initiatoren", „ftinf Novatoren", 
„drei Traditionalisten" etwas sehi - gezwungen, kiinstlich erscheint, macht die Biographie 
selbst. Wenn der Verfasser sich auch dann und wann auf sozial-politische und ahnliche 
aktuelle Tagesfragen einlafit, die man ja auch vermissen konnte und mochte, so mufi 
doch gesagt werden, dafi er seinem Gegenstand durchaus gewachsen ist, besonders soweit 
dieses die Werke selbst betrifft. Heikle und schwierige Fragen, tiber die wohl immer 
ein Schleier hangen wird, behandelt er in einer durchaus vornehmen Weise und sehr 
zartfuhlend, so z. B. die Beziehungen Tschaikowskijs zu den Frauen und seine Heirat. 



DIE NEUE TSCHAIKOWSKIJ-BIOGRAPHIE 39 

Nicht jeder wird die Meinung des Verfassers teilen, dafi der Tod Tschaikowskijs nicht 
nur von ihm gewollt, sondern auch herbeigefiihrt war. 

Nicht nur in einigen rein biographischen Fragen geht R. H. Stein seine eigenen 
Wege; er wahlt diese audi bei der Besprechung wie einzelner Gattungen von Werken 
so auch bei einzelnen Werken selbst. Vieles wird auf diese Weise in ein ganz neues 
Licht geriickt, gewinnt an Eigenart und wird beim Leser wahrscheinlich wohl Widerhall 
und Anldang finden. Vielleicht wird dieser sogar, durch Stein angeregt, den Tschai- 
kowskij in einen Tschaikowskij verwandeln. 

Wenn der Verfasser auch einige Urteile fallt, die nicht leicht zu teilen sind, 
so ist dies mehr auf personliche AufFassung zuruckzufiihren. Die Hinrichtungsszene 
im „Mazeppa" wird ja nicht so iiberaus realistisch dargestellt, wie sich das R. H. Stein 
denkt — ich habe dieses Werk ofters gesehen — und wirkt schliefilich durchaus nicht 
brutaler als etwa die in Deutschland so iiberaus populare (weshalb eigentlich) „Tosca". 

Die Kritik des „Eugen Onegin" habe ich mir gerade bei diesem Verfasser ganz 
anders vorgestellt; so wie sie geschrieben ist, macht es fast den Eindruck, als ob R. H. 
Stein auf den Komponisten b6se ware, dafi dieser sein Werk nicht nach dem iiblichen 
Opernschema geschrieben hat. Es ware auch erwiinscht, das iiberaus tiefe Verhaltnis 
der Russen zu dieser Oper (es ist bei der Intelligenz unbedingt inniger und aufrichtiger 
als das zu Werken anderer Komponisten) dem der Westeuropaer und der Deutschen 
gegeniiberzustellen. Uberhaupt hatte Stein mit diesem Kapitel wenig Gliick. Auf 
Seite 151 sagt er: Das Publikum mufite sich erst daran gewohnen, Gestalten seiner 
Zeit auf der Riihne zu sehen und weiter „zwischen dem 2. und 3. Akt liegt ein 
Zwischenraum von etwa dreifiig Jahren". Die Oper handelt zum Beginn des 19. Jahrhunderts 
aufgefiihrt wurde sie 1879; zudem dreifiig Jahre liegen zwischen dem 2. und 3. Akt 
doch auch nicht. 

Sehr viel Dank mufi man dem Verfasser sagen, dafi er mit dem Unfug der standigen 
Verwechslung des „Schneewittchens" mit dem ,,Schneeflockchen" aufgeraumt hat, wenn 
er audi in seinem Urteil zu dem Werk Ostrowskijs und der gleichnamigen Oper Rimskij- 
Korssakoffs — wie es scheint — die richtige Einstellung nicht gefunden hat. Doch ist 
die Behauptung, dafi diese Oper Rimskij-Korssakows in Deutschland noch vollig unbe- 
kannt ist ebenso wenig mit der Tatsache zu vereinbaren, wie die Rezeichnung dieses 
als eines schwachen mit dem auf Seite 319 angefiihrten Redauern. 

Jeder, der die Werke Tschaikowskijs kennt, wird dem Verfasser beistimmen, dafi 
es sich wohl lohnen wiirde, die drei ersten Symphonien auch einmal zu Gehor zu 
bringen. Gut ist auch, dafi R. H. Stein die beiden letzten Symphonien in Hirer musntalischen 
Verwandschaft betrachtet, was sehr wertvolle Ausblicke bietet. Weshalb aber der Ver- 
fasser den „Sturm" so stiefmiitterlich behandelt, ist nicht ganz verstandlich, denn auch 
dieses Werk wird wohl noch einmal als ein „gar nicht so wertloses Stiiclc" entdeckt werden. 

Zur fast vernichtenden, doch durchaus gerechten Besprechung der Ouvertiire ,,1812" 
ware noch hinzuzufiigen, dafi zu alien anderen Ubeln noch eins hinzukommt: der 
Komponist verwendet in diesem Werk, das die Ereignisse des Jahres 1812 schildert, die 
russische Nationalhymne, welche aber einige Jahrzehrite spater entstanden ist. 

Dem Fachmusiker, wie dem Musikfreund, dem angeblichen, wie dem tatsachlichen 
Tschailcowskij-Freund, kann das nicht warm genug empfohlen werden, was der Verfasser 



40 UMSCHAL 



auf S. 467 sagt. Es wiirde zu weit fiihren, hier Zitate zu bringen (obgleich es wohl 
gerecht ware), doch sei kurz bemerkt, daft das Gerede vom Klavierkomponisteu 
Tschaikowskij lediglich als Salonkomponist nichts anderes als eben Gerede ist, das nicht nur 
gedankenlos hingesprochen, sondern leider auch ebenso gedankenlos wiederholt und 
weitergegeben wird. Auch das Kapitel vom Liedschaffen des russischen Meisters ist 
als sehr wertvoU zu empfehlen. 

Wir konnten hier nur auf einige Kapitel eingehen und gestatten uns deshalb. zum 
Schlufi einige wohlgemeinte Benierkungeii, die diejenigen Fehler aufzahlen, welche in 
der zweiten Auflage, die hoft'entlich auch in der gesamten Konzeption gedrungener sein 
wird, korrigiert werden irritlSten. 

Vor allem kommt wiedenmi die leidige Transkription russischer Namen und Worte. 
Im grofien Ganzen ist sie richtig, doch fiihrt sie der Verfasser nicht konsequent genug 
durch. "Wenn er Sseroff und Ssolocha schreibt, so mufite es auch Ssarafan, Sseergejewitsch, 
Ssadko, Ssascha, Ssologub, Ssnegurotschka, Ssapelnikoff, Karssawina usw. heiiJen. Immer 
raehr iiberzeugt man sich, dafi das ,,sh" als Notbehelf beibehalten werden mufi. Es 
heifit nicht Jaleika sondern Shalaika, nicht Muschik sondern Mushik; auch soil es nicht 
Zaporoger sondern Saporoger, besser aber Saporoshzy heifien; aber nicht Syganoff sondern 
Zyganoff. Die Oper P. I. Tschaikowskijs heifit nicht ,,Tscherewitschkij" sondern 
„Tscherewitschki", da es sich hier urn ein Hauptwort nicht aber um ein Eigenschaftswort 
handelt. Auch lautet das Eigenschaftswort von Kieff nicht kieffer sondern kiewer. 
Ferner: nicht Obukoff und auch nicht Obukhof sondern Obuchoff. 

Aid' S. 204 erwalmt der Verfasser die Tagebiicher Tschaikowskijs. Hierzu sei 
bemerkt, dafi 1923 der Russische Staatsverlag die Tagebiicher des Komponisten aus 
den Jahren 1873 — 1891 herausgegeben hat, die den breiteren Schichten der Musikliebhaber 
nichts Interessantes hieten, dem Forscher und Biographen aber manche wertvolle 
Anhaltspunkte und Material geben. Im Verzeichnis der wichtigsten Literatur iiber 
Tschaikowskij, das auch eine Reihe russischer Bucher enthalt, ist dieses Werk nicht 
angegeben. Es fehlt hier auch die zweite und wertvollere Biographie des Komponisten 
aus der Feder Igor Glebows, die 1922 in Rutland erschien und neben einer ldeinen 
Studie desselben Verfassers zu den geistreichsten und tiefsten Monographien iiber diesen 
Tonkiinstler gehort. 

Bei der Erwahnung des Widmungsschicksals des Violinkonzerts ware auch die 
Gegenpartei — Leopold Auer — zu AVort kommen zu lassen. Auer aufiert sich in 
seinem, 1924 in Amerika erschienenen, Erinnerungen „My long life in Musik" dariiber 
avisfiihrlich. Dasselbe Buch bietet audi interessante neue Angaben iiber die Geschichte 
der ersten Auffuhrung des „.Jewgenij Onegin" auf der kaiserlichen Biihne. 

Bei der Besprechung der ,,Tolstoj-Gesange" — wie R. H. Stein die Lieder Tschaikowskijs 
nach den Worten Tolstojs nicht gerade sehr gliicldich nennt — ist dem Verfasser insofern 
ein Irrtum unterlaufen, als den Werken nicht, wie R. H. Stein das annimmt, Worte von 
Lew Tolstoj sondern von Alexaj Tolstoj (1817 - 1875), einem sehr bedeutenden Dramatiker 
und Lyriker, der auch bei uns durch die Gastspiele des Moskauer Kiinstler-Theaters 
zu Worte gekommen ist, unterlegt sind. Die Worte des herrlichen, viel zu wenig beachteten 
Liedes Tschaikowskijs „Gesegnet sei mir Wald und Au" sind dem Poem „Johann von 
Damaskus" von A. K. Tolstoj entnommen. 



DIE NEUE TSCHAIKOWSKIJ-BIOGRAPHIE 41 

Fa(£t man kurz den Gesamteiiidruck von der neuen Tschaikowskij-Biographie 
zusammen, so muii gesagt werden, date dem Verl'asser das Verdienst zukommt, uns 
Tscliaikowskij als Menschen und Kunstler fast in alien seinen Schwachen und Hohepunkten 
(die bei ihm nattirlich iiberwiegen) sowie seiner Vielgestaltigkeit nahergebracht zu haben, 
was wir von dem was Stein uns von russischer Musikkultur und Musikgeschichte erzahlt 
hat, leider nicht behaupten konnen. 

Robert Engel (Berlin) 



MUSIKLEBEN 



ZEITSCHAU 



Das Beethovenjahr ging zu Ende. Das Schubertjahr begann mit Glockenlauten 
in alien osterreichischen Kirchen. 1928 wird Schubert feiern, wie 1927 Beethoven ge- 
feiert hat. Man wird unzahlige Male die h-nioll Symphonie spielen, man wird gutge- 
meinte Beden halten, Mannerchore werden Schubert singen. Es besteht die Gefahr, 
dafi das Schubertjubilaum, ahnlich wie oft genug im vorigen Jahre die Beethovenfeiern, 
vom Betrieb verschlungen wird. dafi der aufiere Aufwand in keinem Verhaltnis 
zur inneren Notwendigkeit steht, dafi uniiberlegt nachgesprochene Phrase schliefilich als 
Siegerin aus einer lauten Jubilaumsgeschaftigkeit hervorgeht, die nicht zuletzt der Be- 
friedigung privater Ehrgeize und Eitelkeiten dient. Wir wissen, dafi das Lobpreisen der 
Vergangenheit zu einer bequemen Zuflucht fur alle wurde, die der Auseinandersetzung 
mit der Gegenwart angstlich ausweichen. Wir erinnern tins der offiziellen Festrede bei 
der Bonner Beethoven feier. die sich als ein Pamphlet gegen die Musik der Zeit 
entpuppte. Wir wehren uns dagegen, dafi nun auch das Schubertjubilaum zur reaktio- 
naren Kundgebung mifibraucht wird. Denn die Feier kann nur Sinn haben, wenn sie 
uns aus der Bejahung der Zeit heraus ein neues und lebendiges Verhaltnis zum Werk 
Schuberts finden lafit, wenn gewohnheitsmafiige Urteile nachgepriift, gewohnheitsmafiige 
Darstellungen durch eine heutige, vielleicht antitraditionelle, aber jedenfalls wahrere 
Auffassung abgelost werden, wenn sie uns den unbekannten Schubert als lebendigen 
BCsitz schenkt. Den wirklichen Schubert endlich gegen das populare Schwammerl- 
und Dreimaderlhaus-Ideal durchzusetzen : das ist eine Pflicht im Jubdaumsjahr. 

Man wird 1928 auch noch andere Feste feiern. Die gleiche Fragestellung : sind 
sie gewohnheitsrnafiiger Brauch oder Notwendigkeit. Fur den Allgemeinen Deutschen 
Musikverein ist die Situation kritisch. Es wird hochste Zeit, dafi er Anschlufi an die 
Zeit findet, wenn er lebendiger Faktor sein will. Auch die Internationale Gesell- 
schaft fvir neue Musik steht vor einer Entscheidung. Gewifi bedarf sie dauernd 
diplomatischer Vorsicht, um die sehr verschiedenen nationalen Temperamente zusammen- 
zvxhalten. Doch wird sie sich dartiber klar werden miissen, ob sie vorwiegend gesell- 
schaftliche Ziele verfolgen oder aktiv das internationale Schaffen anregen will. Im 
letzteren Fall dtirften Progi-amme wie 1927 fiir Frankfurt nicht mehr aufgestellt 
werden. Die I. G. N. M. konnte, unbeschadet der viel schwierigeren Lage, dasselbe 
werden, was Baden-Baden heute schon fiir Deutschland ist: Zentrum des neuen 
Musikwollens. Vorlaufig warten wir ab, was Siena bringen wird. Die phantastische 
italienische Kleinstadt mufi Besucher anlocken. Wir konnen sie nicht enttauscht verlassen. 

Von der Ausschau greifen wir auf naher Liegendes iiber. Die inter nationalen 
Beziehungen der deutschen Musik werden immer lebendiger. Augenblicldich locken 
die benachbarten Lander mehr als das viel gelobte Amerika. Ein wichtiges Ereignis 
ist zu verzeichnen: die Berliner Philharmoniker gehen zum ersten Mai nach 
England. Feiern unter Furtwangler unerhorte Triumphe. TJberall werden die 
letzten. Spuren der unhedvollen Trennung durch den Wahnsinn des Krieges getilgt. 



ZEITSCHAU 43 



In Paris dirigieren regelmafiig deutsche Kapellmeister im neu eroffneten Pleyelsaal. 
Bruno Walter bereitet eine deutsche Mozart- Woche in der franzosischen Hauptstadt 
vor. Kleiber war eben in Rom, und nach den grofien deutschen Dirigenten besuchte 
nun audi das Amar-Quartett' das neue Rufiland, eben um dieselbe Zeit als der 
Rn's si's die Staatschor zum ersten Mai ins Ausland geht. 

Die deutsche Opernsaison setzt nach ruhigeren Monaten nun umso starker ein. 
Wieder beweist das Rheinland seine Aktivitat. Der wirtschafdiche Konkurrenzkampf 
der rheinischen IndustriestSdte regt das kiinstlerische Leben machtig an. In 
diesem Zentrum heutigen Lebens sucht man auf verschiedenen Wegen eine heutige 
kiinstlerische Gestalt. Essen eroffhete in diesem Winter seine Folkwangschulen, die, 
von der Einheit der Kiinste ausgehend, eine Erziehung nicht zum asthetischen Kunst- 
genufi sondern zum aktiven Kunsterleben versuchen und dabei von der gemeinschafts- 
bildenden Macht der Musik ausgehen. Wie weit sich diese Absichten als fruchtbar 
erweisen, wird die Zukunft zeigen. Gerade das Industriegebiet, in dem aus aufieren 
Griiiiden neue Lebensformen viel deutlicher in Erscheinung treten als in anderen Teilen 
Deutschlands, in dem der Gedanke des Kollektivismus aus den Bedingtheiten des Da- 
seins erwachst, kann eine geeignete Basis fi'ir die Entfaltung eines neuen Erziehungs^ 
willens sein. 

Bezeichnend fiir die Aktivitat rheinischen Theaterlebens, dass fast in alien Stadten 
Intendantenwechsel stattgefunden haben. Man verpflichtet junge Krafte. Man bringt 
neue Musik. Diisseldorf gibt „Cardillac" und veranstaltet dazu eine Bundfrage, 
aus der zu ersehen ist, dafi man allmahlich die grundlegende Bedeutung dieses Werkes 
fiir die deutsche Musik erkennt, dafi die Fabel von seiner Undramatik im Schwinden 
begriffen ist. Essen stent Honeggers „An tigone" als Urauffiihrung heraus, dann 
folgt wieder Diisseldorf mit den westdeutschen Premieren des „ Oedipus' Rex" 
und „Der Zar lafit sich photographier en" von Kurt Weill, den Leipzig im 
Februar zum ersten Mai geben wird. Attch in Koln plant man eine Neuorganisation 
der Oper: man will einen eigenen Opernintendanten anstellen. Der Dresden er Regiss eur 
Ehrhar dt und der Leipziger Briigmann werden genannt. Wir ziehen den Kreis 
ein wenig weiter. Da erscheint Wiesbaden, das unter Paul Bekker drei neue 
Kreneks auffiihrt. Da meldet sich auch schon Duisburg, das sich fiir 1929 die 
OpernwOche des allgemeinen deutschen Musikvereins gesichert hat. Man sieht erfreu- 
licher\\ r eise beim A. D. M. V. ein, dass die iiblichen Tonkiinstlerfeste sich totgelaufen 
haben — beweist Schwerin 1928 das Gegented? — , man sucht Auswege. Die kiinst- 
lerischen Zentren verschieben sich. Miinchen, einst Mittelpunkt deutschen Musik- 
lebens, sinkt immer schneller ab, wenn auch Knappertsbusch jetzt Strawinskys 
„Sacre du printemps" in der Akademie riskiert, auch Dresden kiindigt nur eine 
Mozart- Woche und die beinahe schon traditionelle Strausspremiere an. Aber Berlin 
steigt auf, seit Klemperer erschien. Er bringt „Oedipus Bex" ala deutsche Urauf- 
fiihrung in einer neuen, mehr auf die Szene zugeschnittenen Einrichtung. 

Strawinsky scheint nun in der Benaissance der antiken Klassik das endgiiltige 
Ziel seines Schaffen gefunden zu haben. Man erfahrt, dafi er fiir die Bibliothek des 
Weifien Hauses in Washington ein neues Ballet ,,Apollon Musagete" geschrieben 
hat. Hindemith weitet inzwischen den Kreis seiner Instrumentalkonzerte auf Viola 



d'amore und Orgel. Audi reifen Plane zu einer komischen Oper. Weill arbeitet den 
sensationellen JVIahagonny" mit Brecht zusammen zu einem abendfulleiiden "Werk 
urn, Honegger stellt ncben „Antigone" — eine Ru gby-Symphonie, wemi man 
Pariser Nachricbten glauben darf. 

,,Jonny" herrscht immer nocb. Wien hatte damit an Sylvester einen donnernden 
Premierenerfolg. Es gibt audi komiscbe Zwischenfalle. In Kassel soil man Sabotage- 
akte am technischen Apparat veriibt haben, um den Verlauf der Vorstellung zu storen. 
in Augsburg protestieren die Volkischen gegen das Stuck, weil sie keine anderen 
Sorgen haben. Und in Wien zetert Franz S chalk, der Direktor der Staatsoper, fiber 
die Seuche des Jazz, der ,,grauenvollen Rfickfall in die Barbarei und vollkommenes 
Geschmacksdebakel bedeute", iiber die ,,heulenden Saxophone und die kannibalisch 
klapperriden Schlaginstrumente" — uritnittelbar vor der „Jonny"-Premiere an seinem 
eigenen Theater. So begegnen die offiziellen Hiiter des Wiener Musiklebens der 
neuen Musik. 

Mitten in die Aktualitat der Tagesereignisse dringt die Kunde vom 90. Geburtstag 
Cosiina Wagners. Fiir einen Augenblick wird die Bayreuther Welt uns gegenwartig, 
als deren grofiartige Reprasentantin diese Frau unter uns lebt. Wir neigen uns vor im> 
wenn auch ihr Lebenswerk nicht mehr Inhalt unseres Daseins ist. 

Heinrich Strobel (Berlin) 



NACHRICHTEN 



KLEINE BERICHTE 

In der Berliner Staatsoper fand die deut- 
sche Uraufluhrung von Verdis Oper ,, Louisa Miller" 
statt. 

In Bologna wurdc ein bisher unbekanntes 
Jugendwerk W. A. Mozarts aufgefunden. Der Titel 
des Werkes „Isaak" hatte sich nur in einigen alten 
Katalogen erhalten. Die jetzt aufgefundene Abschrift 
zeigt eine im tiblichen Stil gehaltene Komposition, 
deren Echtheit inzwischen festgestellt wurde. 

Ende Dezember fand in Briissel die Urauf- 
fuhrung von Honeggers „Antigone" statt. Die 
Kritilc bezeichnet die AufRdirung als das bedeutendste 
Ereignis auf der franzosischen Opernbuhne seit mehr 
als einem Vierteljahrhundert. 

Wie Generalmusikdirektor Rudolf Schulz-Dorn- 
burg kiirzlich in einem Vortrag mitteilte, beabsichtigt 
die Stadt Essen Dichter, Komponisten und Schau- 
spieler zur Schaffung von Buhnenwerken aufzufordern, 
die alljahrlich als Festspiel des Ruhrgebietes vorge- 
fuhrt werden konnen. 



AUFFUHRUNGEN 

Das Stadtthealer in Freiburg brachte Rudi 
Stephans hinterlassene Oper „Die ersten Men- 



s ch e n " 
fiihrung 



zu aufierordentlich gescblossener Erstauf- 



Vor kurzem wurde in Frankfurt a. M. das 
Orgelkonzert op. 46 Nr. 2 von Paul Hindemith, 
welches dieser zur Einweihung der Frankfurter Rund- 
funk-Orgel geschrieben hat, uraufgefiihrt. 

Im Staatstheater zu Wiesba den wurde Frederick 
Delius' ,, Borneo und Julia auf dem Dorfe" 
erstaufgefiihrt. 

Rezniceks „Satuala" hatte im „Neuen The- 
ater" in Leipzig einen groften Erfolg. 

Im Dezember wurde in C o b 1 e n z der „ 9 8 P s a 1 m " 
von Wullncr-Lendvai uraufgefiihrt. 



PERSONLICHE NACHBICHTEN 

Dr. Hans Mersmann, bisher Privatdozent an 
der Technischen Hochschule zu Berlin, wurde zum 
a. o. Professor dortselbst ernannt. Er wurde auch 
vor kurzem zum Mitglied des Staatlichen kunst- 
historischen Instituts in Leningrad gewahlt. 

Die theologische Fakultat der Universitat Leipzig 
hat den Kantor zu St. Thoma, Prof. Dr. phil. h. c. 
Karl Straube zum Doktor der Theologie ehrenhalber 
gewahlt. 



NACHRICHTEN 



45 



Prof. Dr. Arnold Schering, Halle, wurde der 
durch das Ableben des Prof. Dr. Abert an der Ber- 
liner UniversitSt freigewordene Lehrstuhl der Musik- 
wissenschaft angeboten. 

Als Nachfolger des infolge Erreichung der Dienst- 
altersgrenze auscbeidenden Prof. Dr. Altmann wurde 
der bisherige Bibliotheksrat, Prof. Dr. Johannes Wolf 
zum Direktor der Musikabteilung der Preufiischen 
Staatsbibliothek ernamit. 

Einer letzten Mitteilung zufolge hat Furt- 
vv angler, der bei der New York Philharmonic 
Society ah 1928 fur 3 Jahre verpflichtet ist, die 
Gesellschaft gebeten, den Verlrag fur die Saison 
1928/29 nicht in Kraft treten zu lassen. 



VEBSCHIEDENES 

Tagesmeldungen zufolge hat die Direktion der 
Wiener Staatsoper funf Miigliedern der Phil- 
harinoniker die nebenberufliche Tatigkeit als Jazz- 
Musiker untersagt, da eine solche mil der AViirdc dps 
Hauses nicht in Einklang stehe. 

Das „In tenia tionale Musik ami" in Wien 
wild eine fur alle Fragen der Musikpflege iind Musik- 
erziehung eingerichtete „ In tern a tionale Aus- 
kunftsstelle fiir Musik" ins Lehen rufen. Diese 
wird - zugleich als slatistische Zentrale — in alien 
musikalischen Angelegenheiten den Auskunftssuchen- 
den, inshesondere audi den musikalisch Berufstatigen 
mid ihren VerbSnden, als Berater und Heifer zur 
Seite stelien. 



Der „Al|gonieine Deutsche Musikverein' 
wird mil der Stadt Duisburg zusammen sein iiber- 
nachstes Tonkiiiisterfest im Jahre 1929 zu ciner 
„Dcu(schen Opern feslwoche" gestalten. Geplanl 
ist die Auffiihrung von sechs Opern, vondenen dreizeil- 
genossische vom A.D.M.V. allein bestimmt, die drei 
iibrigen aus Diiisburger Spielplan ausgewahlt werden. 
Auffi'ihrungcn nioderncr Kaninicrmusik sollen die 
Festwoche abrunden. Der A. D. M. V. fordert die 
Komponisten auf, vollendete oder der Vollendung 
nahc Opern bis spatestens 1. August 1928 einzureichen. 

In der Musiksaninilung der iS'ational- 
Bibliolhek in Wien wild ein Archiv der eigen- 
handigen Nicdeiscliiiften der \V r erke musikalischer 
Meislcr in originalgroRen, photographischen Nach- 
bildungen eingerichtel werden. Das Kuratoriuni 
dieses Photograuini-Archivs ist dieser Tage mit einem 
Anfruf vol' die UH'entlichkeit getreten, in dem alle 
Freunde der Tonkunsl, inshesondere aber alle offent- 
liclien und privaten Samnilungen, gebeten werden. 
ihren Besitz an Handschriften oder ihre Kenntnisse 
ii in solehen Besitz dem Archiv zur Verfiigung zu stelien. 

Aus den von der „Genossenschaft deutscher 
Tonsetzer" herausgegehenen Mitteilungen „Der 
schaffende Musik er" ist zu entnehnien, dafi vor 
kurzem der „In tenia tionale Bund der Autoren- 
gesellschaf ten zur Yerwertung musikalisch- 
mechanischer Be elite" (Abkurzung : IBA) ge- 
griindet wurde. Die GDT ist Grundungsmitglied der 
IBA und in ihrcm Vorstand vertreten. Zum Sitz des 
Bundes ist Berlin bestimmt worden. 



Diesem Heft liegen bei: 

ein Prospekt iiber Frank-Reiner-Streichinstrumente und 
iiber das bewahrte Frank-Reiner-Tonveredlungs-Vertahren. 

eine Vorbestellkarte fiir die MELOSBUCHERE1 



Musikfreundel Das grosse Ereignist 

Ein Werk, wie es die rnusikalische Welt noch nicht gesehen hat! 

Im Verein mit einer Anzahl hervorragender Musikgelehrten gibt Professor Dr. Ernst Biicken v. d. 
Universitat Koln das wundervolle „Handbuch der Musikwissenschaft" heraus, von dem soehen 

die ersten Lieferungen erschienen sind. 

Etwa 1300 Notenbeispiele und etwa 1200 Bilder 

Man tiherzeuge sich durch Augenschein von der einzigartigen Giite des Werkes und verlange 

Ansichtssendung M Nr. 4 von : 
Artibus et Uteris Gesellschaft fiir Kunst- und Liternturwissenscliaft in. b. H., Potsdam 



46 



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Gitarre -Zeitschrift 

Mit dem Beiblatt „Das Lied" 
Herausgegeben von Jakob Ortner 

Professor an der Akademie fiir Musik 
und darstellende Kunst in Wien 

Wertvolle Fachartikel aus dem Ge- 
samtgebiet der Gitarristik und des 
Liedes, Gitarristische Rundschau, Li- 
teraturberichte, Zeitschriftenschau, 
Konzertnaclnichten, Auskunft 

Jahrlich vier kunstlerisch ausgestattete 
Hefte mit No ten- und Kunstbeilagen 

Bezug durch die Verwaltung der 
„ Oesterreichischen 
Gitarre-Zeitschrift" 

Wien II, BocklinstraBe 6 

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Hauptwerke der Expressionisten, 
Kubisten und Futuristen aller Lander. 
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Kunst der Gegenwart kennenler- 
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Band I. 
Band II. 
Band II. 
Band III. 
Band IV. 
Band V/VL 
Band VII. 


Inventionen, Symphonien, Toccaten usw 

Heft 1. Franzosische Suiten u. 2 Suiten in a-moll u. Es-dur 

Heft 2. Englische Suiten 

Partiten una Ouvertiire in h-moll 

Sonaten, Toccaten, Goldberg'sche Variationen 

Das wohltemperierte Klavier I/H 

Kleine Praludien, Fantasien usw., Fugen usw. . . . 


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. Ed. -Nr. 112 a 
. Ed.-Nr. 112 b 
. Ed.-Nr. 113 
. Ed.-Nr. 114 
. Ed.-Nr. 115/6 
. Ed.-Nr. 117 


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47 



Wichtige Neuerscheinungl 

ROBERT TEICHMULLER 
und KURT HERRMANN 

Internationale 
Moderne Klaviermusik 

Ein Wegweiser und Berater 

Dieser Fiihrer gibt erstmalig - einen urn- 
faasenden Bericht iiber das grosse Gebiet 
der moderncn Klavierli tera tur aller 
Lander. Die Verfaaser haben cin "\Verk von 
grosser Bedeutung geschaffen. Mit Ver- 
standni s und Sorgfalt ist die Aus- 
wahl getroffen. Geistreiche treffendc 
Urteile iiber Komponiaten und ihre Werke 
gestalten das Bucli zu einem unentbehr- 
licben Berater und zu verla ssigen 
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der langersehnte Bend II der grofien 

Bruckner-Biographie : 

Band 37 

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ANTON BRUCKNER 

Baiid II: St. Florian 

Mit zahlreichen Bild- und Facsimile-Beilagen 

Teil I: Textbond 
In Pappband M. 5.-, in Ballonleinen M. 7. - 

Teil II: Notenband 
In Pappband M. 10.-, in Ballonleinen M. 12.- 

Nunmehr liegt endlich der von der gesamten Musikwelt 
mit Ungeduld erwarteie 2. Band der grofien Bruckner- 
BiogTapnie vor, den August Gollerich, der autorisierte 
Bruckner-Biograpb noeli zu Lebzeiten vorbereitet und 
dessen Mitarbciter, Professor Max Auer, der bekannte 
Bruckner- Forscher, fertiggestellt hat. Ein zahlreiches, 
erstmals veroffentliclitea Notenmaterial, das die 
Gliederung in einen Text- und einen Notenband not- 
wendig machte, macht den Band besonders wertvoll. 

Vorratig in jeder gutcn Bucli- und Musikalienhandlung. 



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RICHARD STRAUSS 

Einmalige Portraitradierung 



Bildgrfifie 48X30 cm 

I bis L numerierte vom Kiinstler 

signierte Japandrucke 

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1 bis 100 numerierte vom Kiinstler 

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VON BRAHMS 

in neuer A u s w a h 1 
nur 1.80 RM. 

40 ausgewahlte Lieder : 

Liebestreu - Der Sclimied - Standehen: „Gut* 
Naclit" — An eine Aeolsharfe - INiclit mehr zu dir 
zu gelien — Wie bist du meine Konigin — Von ewiger 
Liebe - DieMainacht — An die Naelitigall — Sonn- 
tag - Der Gang zum Liebchen'- Am Sonntag Mor- 
gen — An ein Veilchcn — Wiegenlied - Wenndunur 
zuweilen laclielst — Meine Liebe ist griin — O wiifit' 
ich docli den Weg - Minnelied - Sapphische Ode — 
Der Tod, das ist die kiihle Naclit — Naelitigall - Dort 
in den Weiden - Wie Melodien zieht es mir — Wir 
wandelten — Immer leiser wird mein. Schlummer — 
Auf dem Kirchhofe - Standclien: „Der Mond steht 
iiber dem Berge" - Madchenlied — Sandmannchen 
- Volkslieder: Scliwesterlein; Mein Madel; Och 
Moder;InatiIl.Naclit;Fein9liebclien;DauntenimTale 



Ausgabef.hohereStimme Ed.ScliottNr.117 
Ausgabef.tiefereStimme Ed.ScliottNr.118 



B. Schott's Sohne, Mainz / Leipzig 



48 



Eines der erfolgreicksten 
Chorwerke der Gegenwarl 



Psalmus 



ZOLTAN 

kodAly 



Hungaricus 

(Der 55. Psalm) 

fur Tenorsolo, gemischten Chor und Orchester 

Drei neue grojie Erfolge: Dresden, Wren und Leipzig 

DRESDNER NACHRICHTEN : In der Tat ist der „Psalmus Hungaricus" ein Kunstwerk von 
Rang. Die tiefen lyrischen Stimmungen, die Gegensatze von Tragik und Versohnung hat Kodaly 
mit starker Ausdruckskraft erfafit . . . Die eigentliche Klage ist einem Solotenor in den Mund 
gelegt, der Chor hat dabei mehr die Rolle des Erziihlers oder des Gegenspielers, das Orchester 
giht die zusammenfassende Grundierung mit reicher moderner Charakteristik. 

DER TAG, Wien : Von erschiitternder, niederschmetternder Wirkung sind die Chore, in denen 
den Frevlern' der Erde mit dem Zorne des Weltenrichteis gedroht wird, verkliirte Schoiiheit 
atniet das grofic Tenorsolo von der Verheifiung Gottes, uberwaltigend aber der hymnische Auf- 
schwung des Schlusses, an den dann der Epilog sich anfiigt. Dieses Werk ist wie geschaffen, 
zn dev Seele der Massen zu sprcchen, denn auch der einfachste Mensch kann sich seinem 
erschiitterndeii Erlebnis nicht entzielien. 

WIENER ALLGEMEINE ZEITUNG: . . . ein tiefes, ei'nstes, grosses, feierliches und 
stiniinungssattes Chorwerk . . . ein Meistcrstiick. 

DRESDNER NEUESTE NACHRICHTEN : Die Musik Kodalys ergreift und erschiittcrl. Mit 

einer einfachen, im Unisono psalinodierenden Volksmelodie beginnt der Chor, eine Tenorstimme 
lost sich herans, klagt, beschwort in immer gesteigertem Pathos, im Orchester zuckt es in 
synkopierten Rhythmen, Chorstimmen brausen auf und beschwi'chtigen, singen langgedchnte 
Seufzer. . . . Ein ganz wundervolles Werk. 

Das Werk wurde fer/ier vor Jcurzem a. a. in Amsterdam, Solingen, Hagen, 
Zurich, Cambridge aufgejiihrl. Zahlreiche Auffilhrungen stehen bevor, u. a. 
Koln (Giirzenich), Witten, London (Rundfunk), Rotterdam, New York etc. etc. 

U. E. Nr. 7547 Orcbesterpartiuir Mk. 20. - 

U. E. Nr. 7524 Sludienpartitur Mk. 4. - 

U. E. Nr. 6695 Thematische Analyse mit Text Mk. -.50 

U. E. Nr. 8463 Klaviernuszug mit deutschem und englischem Text Mk. 5. — 

U. E. Nr. 7550 Klaviernuszug mit deutschem und ungarischem Text .... . . Mk. 5. - 

Ansichtsmaterial bereitwilligsl vom Verlag 

Universal-Edition A. G., Wien-Leipzig 



49 



Manuel de Falla 



im Verlage von 

B. Schoii's Sohne 

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Mainz / Leipzig 

IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIHIIIIIIIIIIMIIIIIIIIIIIIIIIIIHIIIMIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIllllllllllllllllllllllimi 




Klavier zu 1 Handen 

Fantasia Baelica m. 5 

Homenaje (Dem GedSchtnis von 
Claude Debussy) M. 2 

Nachte in spanischen Garten 

siehe Orchester 

Zwei spanische Tanze 

aus „Ein kurzes Leben" 

zu 2 Handen Nr. 1, 2 

zu 4 Handen Nr. i, 2 
Fandango (Tanz der Mullerin 

aus „Der Dreispilz") . . . . M 
Farmca (Tanz des Mailers 

aus „Der Dreispilz") .... M. 2. 

Feuertanz und Pantomime 

aus „Liebeszauber" . . . je M. 2. 

Die Beichle des Sunders 

aus ,,Liebeszauber" . . . . M. 1. 



Je M. 
je M. 



2.— 
2.50 



3.- 



Violine und Klavier 

Suite populaire espagnole m. 5.— 

1 . Le drap mouresque / 2. Berceuse / 3. Chanson / 
4. Polo / 5. Aslurienne / 6. Jota 

Violoncello und Klavier 

Suite populaire espagnole m. 5.— 

(Inhalt siehe vorstehend) 

Gesang und Klavier 

Chansons Populaires Espagnoles 

Sieben spanische Volkslieder 

Texle spanisch-franzos. hoch u. miiiel 

(Original) M. 5.— 

Gitarre 

Homenaje (Dem Gedachlnis von 
Claude Debussy) (Llobet) . . M. 2.— 



Orchester 

Nachte in spanischen Garten 

(Nuits nans les Jardins d'Espagne). 
Symphonische Impressionen 
fQr Klavier und Orchester 

Sludien-Parfilur M. 5. — 

Klavier-Auszug (Klaviersolo mil 
einem 2. Klavier zu 4 Handen) M. 8. — 

Drei Tanze aus „Der Dreispilz" 

Die Nachbarn / Tanz des MDUers / Schlusstanz 

Zwischenspiel und spanischer Tanz 

aus „Ein kurzes Leben" 
Suite aus „Liebeszauber'' 

Konzert fur Cembalo (Klavier) 

und Kammerorchester in Vorbereiiung 



Buhnenwerke 

Ein kurzes Leben (La vida breve) 
Oper in 2 Akten (2 Bildern), Text 
von Carlos Fernandez Shaw 
Klavier-Auszug (jeutsch) . . M. 12. — 
Texfbuch M. — .60 

Meister Pedros Puppenspiel 

(EI retablo de maese Pelro). Oper 
in einem Akt nach Cervantes 
Klav.-Ausz. (span.-engl.-franz.) M. 15. — 
Textbuch (deutsch) M. — .60 

Der Dreispilz (El sombrero de tres picos) 
Balleltv.G.MartinezSierraKl.-Ausz.M.lO.- 

Liebeszauber (El amor brujo), Andalu- 
sische Zigeunerszene. Balleit mit Gesang 
(unsichfbar)von G. Martinez Sierra 
Klav.-Ausz. M. 10.-, Studien-Part.M.6.- 



Aulfuhrunqsmateriale, soweii keine Preise angegeben sind, nach Vereinbarung 



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handlungen oder direkt vom Verlag. 



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VOLKSLIEDER- 
SAMMLUNGEN 

herausgegeben von Carl Seelig 

zeiclinen sich aU9 durch sorgffiltigste Auswahl, trefflichen 
Klaviersatz und gute Au93tattung. 

Bisher erschienen: 

Deutsche Volkslieder 

Klavierbegleitung von Karl Aeschbacher 

Schweizerische Volkslieder 

Klavierbegleitung von Hans Jelmoli 

Russische Volkslieder 

Klavierbegleitung vonP.Juon, F. Petyrek, W. deWitt 
Jtidische Volkslieder 

Klavierbegleitung von Paul Juon und Willi elm Croft 

Slawische Volkslieder 

Klavierbegleitung von P. Juon, F. Petyrek, W. Groli, 

B, P a u m g a r t n e r , H. Kauder, E. Lustgarten und 

R. Kugele 

Diese Sammlungen haben durclrweg ein Ge- 
meinsame,s: daJi der Klavierbegleitung, bei 
all em Respekt vor der Unantastbarkeit der 
Melodie, mehr Wert und Gewicht beigelegt 
wird, man wagt etwas mehr Farbe, etwaa vom 
Geiste der Zeit einzustreuen. Daher "wohl 
die neuerwachende Freud e am Volkslied. 



Verlag G.e b r ii d e r Hug & 

Leipzig und Zurich 



Co. 



EIN ERFOLGREICHER, DEUTSCHER KOMPONIST 

HEINZ TIESSEN 

Op. 32 STREICHQUINTETT 

U. E. Nr. 8455 Partitur 16° Mk. 2. - - U. E. Nr. 8456 Srimmen Mk. 10. - 

DEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG, (Schrenk) : 

Eine energie- und kraftgeladene Musik treibt die drei SStze des Quintetts in pulsierendem Leben 
vorwfti'ts. Einfalle, getragen von machtigen inneien Spannungen, Gedanken, erfullt von leidenschaft- 
lichem Schwung, formen hier ein Werk, das audi durch den Reiz seiner vielfaltigen Harmonik zu 
den wesentlichsten Anderungeu der „neuen Musik" gehort. Es ist ein Stiick voller Ausdruck 
und Substanz, gestaltet und gebaut von einem phantasiereichen Konner. 

BERLINER TAGEBLATT: 

Das wertvollste Stiick des Abends war Heinz Tiessens Streichquintett op. 32, ausgezeichnet durch 
charnkterstarke Eingebung und durch die technische Kultur eines groBen Konners. 

Op. 35 DUO FUR VIOLINE UND KLAVIER 

U. E. 8437 Mk. 4. - 
HAMBUBGER FREMDENBLATT : 

Sehr 9tarken Eindruck, vor allem in dem gewaltig sich steigernden Finale, hinterliefi Heinz 
Tiessen, op. 35, ein Werk von lebeiisvoller Eigenart und Ausdruckskraft. 

Durch jede Musikalienhandlving zu beziehen. 



UNIVERSAL-EDITION A. G., WIEN-LEIPZIG 



51 



Philip p Jarnach 

i'm Verlage von 

B. Schott's Sohne / Mainz u. Leipzig 



Klavier 
Drei Klavierstiicke, op. 17 . je M. 2. - 

Ballabile / Sarabande / Burlesca' 

Sonatina (Romanzero I) op. 18 . . M. 5. — 

Neu 

Kleine Klavierstiicke M. 2. - 



Orchester 
Sinfonia brevis fur Orchester, op. 11 
Morgenklangspiel (Romanzero II) 
.°P 



fiir Orchester, op. 19 

Aiiffubrungsmateriale nach Vereinbarung 

Kammermusik 

Sonate fiir Violine allein, op. 13 . M. 



Quartettf. 2 Violinen, Violau. Violon- 
cello, op. 16 . Taschenpartitur M. 2. — 
Stimraen . . M. 10. - 
Zwei Sonaten von Giov. Platti (1740) 
fiir Flote (od. Violine) u. Klavier, 
bearbeitet von Phihpp Jarnach 
Nr. 1 emoll, Nr. 2 Gdur . . je M. 2.- 
Drei Rhapsodien fiir Violine und 
Klavier (Kammerduette) op. 20 

in Vorbereitung. 

Gesang unci Klavier 
Fiinf Lieder fiir eine Singstimme und 
Klavier, op. 15 je M. 1.50 

Lied vom Meer (Raizier Maria Rilke) / Ich hort' ein 
Sichlein rausclien (aus „Des Knaben Wunderhorn) / 
Riickkchr (Stefan George) / Der wunde Ritter 
(H. Heine) / Aus einer Stnrmnacbt (Ritter) 



Soeben erschienen die ersten Bande der neuen 

MONTEVERDI-GESAMTAUSGABE 

HERAUSGEGEBEN VON 

G. FRANCESCO MALIPIERO 

BISHER LIEGEN VOR: 



FUNFSTIMMIGE MADRIGALE 



u. 


E. 


Nr. 


8761 


Erstes Buch 


u. 


E. 


Nr. 


9426 


Zweites Buch 


u. 


E. 


Nr. 


9427 


Drittes Buch 


u. 


E. 


Nr. 


9428 


Viertes Buch 


u. 


E. 


Nr. 


9464 


Fiinftes Buch 



(22 Madrigale) 
(21 Madrigale) 
(20 Madrigale) 
(20 Madrigale) 
(20 Madrigale) 



Mk. 5. 

Mk. 7. 

Mk. 7. 

Mk. 7. 

Mk. 8. 



Mit diesen fiinf Biichern, den „Fiinfstimmigen Madrigalen", welclie mit dem friihesten bisher 
bekannten vollstandigen Werk Montevcrdis beginnen, leitet Malipiero seine Monteverdi-Gesamt- 
ausgabe ein — Die Ausgabe enthalt keinerlei Striche oder Retuschen, will vielmehr das Original 
in seiner vollstandigen Gestalt getreu wiedergeben. Sie ist geeignet, bei Sangern, Chorvereinigungen 
und Musikfreunden das starkste Interesse zu finden. 

Durcb jede Musikalien- und Buchhandlung zu beziehen. 

UNIVERSAL-EDITION A. G., WIEN-LEIPZIG 



52 



FRITZ JODE 

DAS SCHAFFENDE KIND 
IN DER MUSIK 

Eine Anweisung fur Lehrer und Freunde der Jugend 

Gcsamtanlagc des Werkes: 

1. Teil 

A. Zur Theorie des Sdiaffens 

1. Voraussetzung und Notigung, 

2. Umrifi und Abgrenzung, 

3. Anlage und Durdiftihrung. 

2. Teil 

B. Zur Praxis des Schaffens 

1. Improvisation im Ansatz 

2. Zum Frag= und Antwortspiel weirer, 

3. Nebep dem Kunstwerk. 

C. Beispielc dcs Sdiaffens 

1. Spiele der Kleinsten, 

2. Auf dem Wege ins Lied, 

3. Studien zum Vorgang der Musik 

Das Werk erschcinl in lolgenden Ausgaben: 
1. Teil: Zur Theorie des S c h a f fens. 128 Seiten. 1.-4 Tsd. Kart. RM. 3.50. Besiell-Nr. 247 I. 
Soeben erschienen. 
Zur Praxis des Schaffens und Beispiele desSchaffens. 160 Seiten. 1. — 4. Tsd. 
Kart. etwa RM. 5.50. Bestell-Nr. 24711 erscheint nocn vor Ootern i928. 



Teil : 



Zugleich erscheint dann die 
Gesamtansgabe in einem Bande. 288 Seiten. 1.— 4. Tsd. Kart. etwa RM. y.- 
leinen geb. etwa RM. 10—, B,stell-Nr. 247 G. 
Ausiuhrlieher ProspeUt gem kostenlos. 



Bestell-Nr. 247. In Ganz 



Aus dem Nachwort des Verfassers: 

„. . . Dali aufiere Grunde, die vor allem in der . . . Ausbreitung der Jugendmusikarbeit . . . mil ihren standig 
wachsenden Ftihreraufgaben be^tanden, mich an dec Ausarbeitung hinderten, danke ich ihnen, weil ich da- 
dureh Zeit (and, in standiger Arbeit mit Kindern und Krwachsenen zu vertiefen und auszubauen, worauf es 
mir ankam . . . Uafi es s ch um das Tummeln in einem Lieblingsthema meiner Arbeit handelt, Avird eder, 
der sich mit ihr auseinandersetzt. sehr ha'd fuhlen. Aldchten alle. die es tun. dabei ein wenig sich von der 
Freude zu eigen machen, die meinen Weg durch das schaffende Spiel und die schaffende Arbeit der Kinder 
begleitete, damit sie nicht niichternes Wissen aus diesem Buch ziehen, sondern wissende Freude, und diese 
an die ihnen anvertrauten Knder weitergehen. Mochte die Arbeit dabei so durchgefuhrt sein, dass sie . . . 
alien Kinderfreunden . . . den Weg zum Mitschwingen weisf. 



Georg Kaffmeyer Verfag, WoffenBiittef=Berfin 



MELOS 

ZEITSCHRIFT FUR MUSIK 

SCHRIFTLEITUNG: PROF. DR. HANS MERSMANN 

Alle Scndungen fiir die Schriftleitung und Besprcchungsstiicke nacli Berlin-Grunewald, Neufertollee 5 (Fcinspr. Uhland 3785) erbeten. 
Die Schriftleitung bittet vor Zusendung von Manuskripten urn Anfi'Qge mit Riickporto. Alle Rechle fur sSmtliche Beitriige vorbehalten. 
Fur Anzeigen und Verlagsmitteilungen verantwortl. : Dr. Johannes Petschull, Mainz / Verlag: MELOSVERLAG (B. Scliott's Sohne) 
MAINZ, Weihcrgarten 5; Fernsprecher 529, 530; Telegr. : Scotson; Postsehcck nur Berlin 19425 / Auslieferung in Leipzig: Linden- 

[strafic 16/18 (B. Scliott's Sohne) / Druck: B. Scliott's Sohne, Mainz 
Die Zeitsclirift ersclieint am 15. jeden Monnts. — Zu bcziehen dnrch alle Bucli- und Musikalienhandlungen oder direkt vom Verlag. 
Das Einzelheft kostet 1. - Mk., das Abonnement jahrl. (12 H.) 8. - Mk., viertelj. (3 H.) 2.50 Mk. (zuzttgl. 15 Pf. Porto p.H., Ansland 20 Pf. p. H.) 
Anzcigenpreise : 1 /i Seite 100.- Mk. */ a Seite 60.— Mk. 1 j i Seite 35.— Mk. Bei Wiederholungen Rabattc. Auftragc an den Verlag. 



ZUM INHALT 

Im Mittelpunkt dieses Hel'tes steht das Klavier. Es ist kein Zufall, dafi der Streit 
der Meinungen um dieses Instrument gerade in unseren Tagen wieder mit besonderer 
Heftigkeit entbrannt ist. Seine Lage verdichtete sicli zur „Krise". Ernes Teils das 
natiirliche Ausdruckssymbol des 19. Jahvhunderts und sclieinbar am Ende seiner Ent- 
wicldung angelangt, wird das Klavier andererseits gerade zum hervorragenden Ausdrucks- 
mittel der Gegenwart. Seine mechanisclie Tonerzeugung, seine naturliche Objektivitat, 
seine unbegrenzte Expansionsfahigkeit im Iflanglichen macben es zum Trager wichtigster 
Krafte der zeitgenossischen Miisik. 

Von hier aus ist der Themenkreis gebunden, der iiber neue Moglichkeiten der 
Sprache und der Darstellung hinaus audi das Verhaltnis 'zum Instrument selbst neu 
formuliert. Die Krise des Iflaviers wird auch, zu einer Krise der Klavierpadagogdc, die 
audi zu den technischen Vervollkommnungen des Instruments Stellung nimmt. 

In dem wissenschaftlichen Teil wird die Diskussion iiber Schrifttum und Kritik, 

die durch den programmatischen Aufsatz des ersten Heftes eingeleitet war, weiter gefuhrt. 

Einige andere, ahnlich gerichtete Aufsatze werden folgen. Sie versuchen in ihrer Gesamt- 

heit das Problem der Kritik und Analyse zeitgenossischer Musik zu klaren, das sich an- 

Igesicbts mancher neuen Publikationen auf diesem Gebiet wohl ebenfalls als Krise 

tdefinieren lafit. 

Die Schriftleitung 



MUSIK 

Hans David (Berlin) 

KRISE UNSERER TASTENINSTRUMENTE 

l. 

Die Wandlung der kiinstlerisclien Gesinnnng, die in der Musik der letzten Jahre 
(man wird bald sagen diirfen: Jahrzehnte) sich auswirkte, hat, wie bereits kiirzlich in 
dieser Zeitsclirift betont worden ist '), audi unser Instrumentarium nicht unweseiitlich 
verandert. Den grofiten Gewinn diirfen die Blasinstrumente buchen, denen endlich 
wieder die Aufgabe zuteil wird, wie ini Gesamtorchester etwa Mozarts oder Haydns an 
exponiertester Stelle solistisch hervorzutreten oder gar wie ini Blaserdivertimento, der 
Blaserserenade des 18. Jahrhunderts ohne Mitwirkung eines Streichers ein Stuck unein- 
geschrankt zu tragen. Da£ ferner das Schlagzeug, dessen Verwendung in der .,,Gebrauchs- 
musik" aufierordentlich ausgedehnt und wesenrlich verfeinert worden ist, in der so- 
genannten „hohen" oder „ernsten" Ktmst die errungene technische und kunstlerische 
Erweiterung auswerten wird, konnen wir hoffen und wohl vorhersagen. Die Streicher 
sodann haben sicli neue Gebiete der Gelaufigkeit, insbesondere auch der Intonation 
(ein viel zu wenig beachtetes Moment) erschlieCen miissen; den Instrumenten audi 
dieser Musiker lafit der neue Geist unbedenklich und ohne bedeutsamen Vorbehalt die 
Anerkennung zukommen, die ihnen friihere Generationen gezollt haben. 

Demgegeniiber erscheint seit einiger Zeit der Wert unserer Tasteninstrumente zu- 
nehmend als problematisch. Die Beliebtheit der Orgel hat, wie etwa das fast vollige 
Versiegen der Produktion seit Reger deutlich macht, weiterhin erschreckend abgenommen ; 
gleichzeitig lafit sich bemerkenswertes Anwachsen einer Interesselosigkeit, ja Abneigung 
dem Klavier gegeniiber aus mannigfachen Anzeichen erschliefien. Es wird Zeit, dafi 
diese Erscheinung einmal im Zusammenhang Betraclitung finde. 

Dafi |das Ansehen der Orgel unverhaltnismafiig gering genannt werden mufi, er- 
klart sich, so scheint mir, nicht aus dem Wesen des Listruments, sondern aus der Art 
der allgemein verbreiteten Dispositionen. Die Wdhelminische Ara hat, wie an den 
Kirchen die Fiille der Details, so an dem vorzugsweise kirchlichen Instrument den Reich- 
tum der Register und ihrer Zusammenstellungen immer wieder zu iiberbieten getrachtet. 
Infolgedessen besitzen wir allzuviele Orgeln, bei denen ein „rauschendes" forte nicht 
einmal das unentbehrhche Mindestmafi von Deutlichkeit erfiillt. Dieser Typus von 
Werken macht ein gesundes Verhaltnis des Zuhorers zur Orgel nahezu unmoglich; der 
Listrumentenbau mufi, so sclmell eine Umstellung sich durchfiihren lafit, von den un- 
kunstlerischen Kolossen. deren Anscliaffung man doch den auf Klangmasse (unhoflicher 
ausgedriickt: musikalischen Larm) eingestellten Besitzern von Kinopalasten iiberlassen 
moge, zu der ruhigen Klarheit, die sich aus den Dispositionen eines Praetorius, eines 
Bach ergibt, zuriickkehren. Ich bin iiberzeugt, dafi dann die Orgel miihelos wieder als 

') Man vergleiche den Aufsatz von Ernst Schoen: Jazz- und Kunstmusik, Melos 1927 Heft 12. 



KRISE UNSERER TASTENJNSTRUMENTE 55 

„Konigin der Instrumente" Anerkennung finden wird: ihre Krise ist voriibergehend, 
durch einfache Beschrankung innerhalb einer jeden der in der nachsten Zeit zu schaffenden 
Anlagen zu beheben. 2 ) 

2. 

Weit bedenklicher noch stellt sich mir die gegenwartige Lage des Klaviers dar; 
denn hier wird hicht der einfache Verzicbt auf eine unnotige Kompliziertheit des In- 
struments bequeme Abhilfe scbaffen konnen. — 

Wenn Instrumentalisten oder Sanger, die eine wirklich vollkommene Intonation 
durchfuhren, von einem Klavier begleitet werden, so erscheinen vielfach Klange des 
Tasteninstruments als verstimmt, einzelne Tone wohl geradezu als falsch (obwohl an 
anderen Stellen deutlich wird, dafi diese Tone nicbt etwa tatsachlich verstimmt sind). 
In solchem Falle pragt sich die Unvohkommenheit selbst unserer Fhigel besonders 
merklich aus ; wir schliefien, dafi die Einwande gegen das Klavier mit seiner Intonation 
zusammenhangen miissen. Man wird nun zunachst denken, die gleichschwebende Tem- 
per atur (die ja von Sangern und jenen Instrumentalisten, die nicht auf Instrumenten 
mit feststehenden Tonhohen spielen, nicht angewendet wird) entfremde uns das Tasten- 
instrument. Indessen, eine gleichschwebend temperierte Harfe, gut durchgestimmte ein- 
fache Register einer temperierten Orgel werden niemals Bedenken erwecken. Die 
gleichschwebende Temperatur an sich also kann nicht etwa den Klang des ihr ge- 
horchenden Instruments in Mifigunst bringen. Weiterhin auch die wahrend der letzten 
Monate mehrfach gehorten Cembali (oder Ibachords) wirkten klanglich und ihrer In- 
tonation keineswegs unbefriedigend : noch die Verbindung der gleichschwebenden Tem- 
peratur mit einem Klangkorper, dessen Tone durch von Tasten her angeschlagene Saiten 
erzeugt werden, zeigt nichts von dem empfindlichen Mangel des doch so wenig unter- 
schiedenen Klaviers. 

Der charakteristische Eindruck jeder Intonation ist naturgemafi in erster Linie 

abhangig von der tatsachlichen Tonhohe des erzeugten Klangs. Physikalisch gemessen kann 

nun fredich jede einzelne Stufe unseres Tonsystems durch verhaltnismfifiig stark unter- 

schiedene Tonhohen dargestellt werden. Denn der melodische und harmonische Zu- 

sammenhang verlangt fast stets gewisse Abweichungen von dem errechenbaren Mittel- 

wert der gemeinten Stufe; auch duldet unser Gehor (das glucklicherweise in dieser 

■'■ Beziehung nicht abzu empfmdlich ist) Schwankungen des Tons nicht nur in dem Aus- 

schnitt, der durch den Mittelwert einerseits, seine (durch die Umgebung bestimmte) 

giinstigste Klanghohe anderseits begrenzt wird, sondern darixber hinaus gewisse, gelegent- 

■"!' lich nicht unwesentliche Abweicliungen des intonierten Tons vom zu verlangenden. 

| Nichtsdestoweniger empfindet man nicht selten Tone, bei denen der Abstand zwischen 

dem gespielten und dem als richtig wirkenden Klang durchaus gering bleibt, als falsch. 

So wird schon mancher Geiger bemerkt haben, dafi es sozusagen eine ,Jntonation der 

2 ) Wirtschaftliche Gesichtspunkte werden sicherlich die kiinstlerische Entwicldung gunstig beeinflussen. 
Sie werden vielleicht audi allmahlich dazu fiihren, dafi anstatt der fur jeden Ton jedes Registers eine eigene 
Pfeife benotigenden Instrumente vereinfachte, auf elektrischem Wege die Tone erzeugende treten, wiesie 
aus dem Tasteninstrument von Jorg Mager oder dem bisher noch tastaturlosen Apparat von Prof. Theremin 
wohl entstehen konnten. 

Das angedeutete Problem bildete ubrigens einen Brennpunkt der auf der Freiburger Orgelbauertagung 
1926 abgehaltenen Diskussion; man findet Mitteilungen daruber im Bericht. 




56 HANS DAVID 



Bogenfiihrung" gibt. Eine entsprechende Erscheinung lafit sich beim Gesang beobachten, 
indem mancher eigentlich ungeniigend intonierte Ton als noch angenehm hingenommen 
wird, wahrend ein objektiv besserer den Gharakter des verstimmten tragt. Die Wirkung 
der Intonation eines Tones ist in jedem Fall nicht von der Tonhohe allein abhangig, 
sondern nahezu ebensosehr von der Art der Tongebung. 

Von hier aus klart sich das eigenartige Problem unseres Klaviers. Gegen die 
Methode seiner Einstimmung, die an anderen Instrumenten ausreichende Ergebnisse 
erzielt, lafit sich ein Einwand nicht erheben. Da die Intonation dennoch nicht recht 
zu befriedigen vermag, mufi die Klangerzeugung des Instruments verantwortlicli gemacht 
werden. Der Klavierton wirkt nicht als rein, weil er nicht durchaus klar ist, weil er 
nicht genugend voll und rund heraustritt. Man wird den physikalischen Grund dieser 
Tatsache aus einer Schalluntersuchung unschwer erkennen konnen ; fur die Praxis ergibt 
sich die Forderung nach einer Anderung der Mechanik unseres Instruments. 

3. 

Dafi die Intonation des Klaviers unsere Wiinsche nicht so weit wie viele andere 
Instrumente zu erfullen vermag, ist nur ein grobstes Anzeichen eines zwar geringen, 
aber doch ausschlaggebenden Ungeniigens des Klavierklangs als solchen, das auch im 
Augenblick der groftten klavieristischen Leistungen stets unbewufit oder bewufit mit- 
gefiihlt wird. 

Wenn etwa Gieseking spielt, empfinden wir die Klange, die der Pianist dem 
Miigel entlockt, als iiber die Moglichkeiten und Charakteristika des Klaviers weit hinaus- 
gehend. Wir geniefien nicht eine Verfeinerung des Instruments, eine Steigerung der in 
ihm beschlossenen Eigenschaften, sondern gleichsam die Ubertragung eines anderen Ton- 
korpers (vielleiclit einer Harfe) auf diese Mechanik, die sich ihrer Natur nach der im 
Spiel aufbluhenden Seele fremd gegeniiberzustelleii scheint. Was uns geschenla wird, 
nehmen wir als Verbiegung des spezifischen Klaviergeistes, Auflosung des Klavierklangs 
entgegen: wir fiihlen einen Sieg iiber das Instrument, nicht einen Sieg durcli die Idee 
des Instruments selbst. So mischt sich in unserem Eindruck mit der hochsten Be- 
wunderung fur den Kiinstler unwillkiirlich eine Absage an das Instrument. 8 ) 

Das Musizieren von Edwin Fischer ferner reifit uns mit fort, ohne dafi uns sein Werk- 
zeug lockt. Wir erkennen, wie der Kiinstler den Fliigel vollig meistert. und doch bleibt 
uns das Instrument gleichgiiltig. Wahrend der Geiger hochster Vollendung gerade die 
unbeschreibliche Sclionheit der Violine lebendig macht, vergessen wir hier, welche Ver- 
mittlung uns eigentlich die Tone, das musikalische Geschehen zuleite. Vom Klang 
behalt allein Starkegrad und Ftille Geltung, niclit aber ein Eigenwert. So fiihlen wir 
auch dabei ein: „trotz" dem Instrument. 

3 ) Man wird einwenden wollen, dafi, falls mit einem Instrument bestimmte Wirkungen erzielt werden, 
diese doch dem Klangkorper als wenigstens potenzieller Wert gutgeschrieben werden imifiten. Indessen 
kann man nieiner Meinung nach, kaum leugnen, dafi die oft recht albernen Scherze, mit denen viele Saxo- 
phonisten ilir Spiel zu wilrzen pflegen, dem eigentlichen Charakter dieses zwar unheimhch beweglichen, 
aber ini Grunde seelenvolleii, weichen, zugleicli ernsten und kraftigen Instrument durchaus nicht entsprechen. 
Auch konnen die (oft famosen) Witze eines Boulanger dodi niclit als dem Wesen der Geige entsprungen 
bezeichnet werden. In alinlicher Weise, scheint mir, darf man bei ernster Musik von Leistungen sprechen. 
die die Idee eines Instruments erfullen und anderen, die zwar die Mechanik des Klangkorpers auswerten, 
jedoch eine diesem selbst, tiefer gesehen, nicht eigentlich gemafie Absicht verwirkbdien. 



■1r. 



KRISE UNSERER TASTEN1NSTRUMENTE 57 

Auf ahnliche Weise wird immer wieder offenbar, wie sehr audi den besten Spieler 
die Eigenart, ja der „Eigensinn" des Instruments eigentlich behindert. Indem der Klang 
auch unserer schonsten Fliigel etwas unprazis, unruhig, ungesattigt wirkt, verliert das 
solistische oder konzertierende Klavierspiel einen der tiefsten Reize der Instrumental- 
musik, ja der Musik iiberhaupt. 

4. 
Wir stehen am Ende eines nahezu 150 Jahre langen Entwicklungszuges des Kla- 
vierbaues. Es soil, es kann keinenfalls geleugnet werden, dafi seit den ersten Hammer- 
klavieren bewundernswert grofiartige Fortscbritte verwirklicht worden sind. Das 
Instrument scheint nunmehr auf einer schwerlich noch iiberbietbaren Hoke angelangt. 
Nachdem aber eine weitere Steigerung seines Vermogens kaum mehr vorgestellt werden 
kann, erkennen wir deutlicher, als dies fruher moglich war, die Grenzen der Gattung; 
je starker die Erkenntnis durchdringt, dafi das stolzeste Ergebnis, das unter den fest- 
gehaltenen Bedingungen erzielbar war, bereits vorliegt, umso mehr wird naturgemafi 
die erwahnte Abwendung des musikalischen Interesses vom Klavier als Soloinstrument 
anwacbsen. 

Eines Tonkorpers, der die harmonische, melodische, figurative Beweglichkeit unseres 
Klaviers besitzt, bedtirfen wir ohne Frage; nicht allein, weil wir die vorhandene kerr- 
lijbe Literatur nicht verlieren wollen, sondern ebenso weil wir die von einem einzelnen 
Spieler durchfuhrbare Reprodtdrtion von Partituren nicht entbehren konnen. Dafi das 
Klavier noch einmal verschwinden mochte, erscheint demnach als nahezu ausgeschlossen. 
Wenn aber derart ein Verzicht auf das „unschone, doch mitzliche" Instrument nicht 
ernsthaft erwogen werden darf, wie sollen wir uns helfen? 

Man konnte Rvickkehr zum Cembalo vorschlagen, das ja eine ganz eigene gerade 
tonliche Schonheit besitzt. Tatsachlich macht sich eine zunehmende Liebe zu diesem 
Klangkorper bemeikbar. Aber seine Wirksamkeit wird durch die Grenzen des Instruments 
in doppeltem Sinn wesentlich beschrankt. Einerseits namlich ist die Tragfahigkeit des 
Cembaloklangs gering, sodafi das bisti-ument nur in ganz kleinen Salen ohne Schaden 
Verwendung finden kann. Andererseits aber fehlen dem Cembalo, indem es nur forte, 
piano und Oktavkopplungen kennt, die kontinuierlichen dynamischen Ubergange, die 
fur die Musik seit etwa 1770 erstes Lebensprinzip bedeuten. Die Entwicklung, die 
vom Cembalo zum Pianoforte (Hammerldavier) fuhrte, war Ausdruclc einer tiefen 
Wandlung des musikalischen Geistes ; unsere Praxis kann nicht mehr zu jenem Instrument 
des 17. und 18. Jahrhunderts zuruckkehren, weil seit seiner Herrschaft das musdtahsche 
Interesse grundlegende und nicht mehr aufhebbare Veranderungen erfahren hat, Ver- 
anderungen, die tief verankert sind in der sozialen und teclrnischen Umgestaltung des 
gesamten kulterellen Lebens. 

Und doch ist der Kampf gegen die Mangel des gegenwartig iiblichen Typs von 
Klavierinstrumenten nicht aussichtslos. Zunachst mtifite die klangverschleiernde Ki'euz- 
saitigkeit aufgegeben werden, damit wir wenigstens jene bis in die tiefsten Lagen 
reichende (wenngleich nicht vollig ausreichende) Klarheit des Klangs, mit der die Fruh- 
romantiker rechnen durften, wiedergewinnen. Aufierdem miifite insbesondere die An- 
schlagsmeclianik durclagepriift und verandert werden. Man hat fredich die Hammer- 
mechanik bereits so sehr vervollkommnet, daft die Maschinerie eines Klaviers zu den 



58 HANS DAVID 



grofien Wunderwerken unserer Technik gehort. Dennoch aber blieb mindestens eine 
wesendich veranderliche Stelle: die Aiischlagflache des Hammers. Man sollte also 
Versuche machen, durch welches Material sich der Filz ersetzen lasse mid ob nicht 
eine vollig spitze Form des Kopfes einen reineren und klareren Ton ergebe. Ich konnte 
mir denken, daft die Verwendung etwa von Hartgummi oder vielleicht audi von Metall- 
plattchen wesendiche Vortede bote; die Aufgabe miifite sein, durch UmsteUung der 
Mechanik das zunachst entfaUende pianissimo wiederzugewinnen und zu starkes fortissimo 
zu verhindern. hidessen, was iiber die einfaclie Anregung, die Aussprache des Wunsches 
hinausgeht, bleibt Aufgabe des Technikers, dem nicht laienhaft vorgegriffen werden soil. 4 ) 

5. 

Man sagt mit Recht, jede Phase des Instrumentenbaues korrespondiere mit einer 
solchen des Stils, wie eben das erwahnte Heranwachsen des dynamischen Ilammer- 
ldaviers dem Entstehen eines dynamisch orientierten Stils entsprach. So mag man 
fragen, wie denn die geforderte Umgestaltung des Klavierklangs sich mit der modernen 
Produktion vertrage. Die Antwort zu geben, fallt nicht schwer; denn wir besitzen 
bereits die unzweideutigen Anzeichen eines Stils, der ein iiber unser Klavier hinaus- 
gehendes Instrument oder wenigstens ein von unserem Klavier nicht unwesentlich 
verschiedenes eigentlich voraussetzt. Ich denke an den Klavierstil Strawinskys, insbe- 
sondere an Klavierkonzert und Klaviersonate des Meisters. Hier sind Werke, die, 
abhold der Klangverschnielzung gebrochener Akkorde und der Verdichtung durch 
Parallelen sowie rein harmonische Verstarkungen, vom Klavier strafFste Pihythmik und 
klarste lineare (oder, an manchen Stellen, ornamentale) Fuhrung verlangen. Beides 
bietet unser Tasteninstrument noch nicht wieder mit der kostlichen Exaktheit und 
Klarheit des Cembalo, dessen Geist diese Kompositionen wohl beeinflufit haben mag. 

Strawinsky selbst spielt seine Werke mit einem trockenen, spitzigen Anschlag, der 
alles klangliche Interesse auszutilgen bestrebt scheint. So gewinnt das Klavier eine 
Genauigkeit der Interpretation, die ihm bisher unzuganglich geblieben war; zugleich 
aber vermissen wir infolge eben der scheuen Ziiriickhaltung von Pathos und Sentiment, 
der wir jene Prazision der Darbietung verdanken, die tiefere Eindringlichkeit der 
uns vorgelegten musikalischen Gebdde. Andererseits, wenn auf einem Klavier der 
Versuch gemacht wird, die groften freien Bogen der Werke fiihlbar zu machen, stellt 
sidi an manchen Stellen doch wieder unausweichlich jenes unlineare „Klaviermafiige" 
der Romantiker ein, das fiir unser Instrument bedeutsamste Mittel zur Zusammenfassung 
weiterer Strecken (in Edwin Fischers uberaus grofiartiger Interpretation der Klavier- 
sonate insbesondere wahrend des ersten Satzes). Zugleich also mit der notwendigen 
Scharfe der musikalischen Fiihrung auch die geradezu monumentale Grofie, welche in 



4 ) Dem gemeinten Instrument am ehesten zu vergleichen ware der freilich klangarme, aber prazis 
und klar ansprechende (am Ende des 18. Jahrhunderts in nur wenigen Exemplaren gebaute) Tangenten- 
fliigel, bei welchem die Saite durch auf den hinteren Tastenenden stehende Docken aus Holz (audi solche 
mit Metallkopfen kommen yor) angeschlagen werden. Vgl. C. Sachs, Reallexikon der Musikinstrumente, 
S. 376. Aufier der Bekanntschaft mit diesem Instrument verdanke ich auch den Hinweis auf die verun- 
klarende Auswirkung (und Absicht) der kreuzsaitigen Bespannung der personlichen Liebenswiirdigkeit von 
Herrn Prof. Sachs, dem ich hiermit nochmals danken mochte. Man vergleiche ubrigens C. Sachs, Das 
Klavier (Handbiicher des Instrumentenmuseums der Staatl. Hochschule fiir Musik, Bd, 1, Berlin 1923,) S. 48. 



STILISTISCHE PROBLEME 59, 



den "Werken, wenn wir sie unabhangig vom Instrument betrachten, sich zeigt, hervor- 
treten zu lassen, verhindert unser Flugel. Allein das Instrument, dessen Idee mir 
vorschwebt, vermag meiner Uberzeugung nach die durch den modernen Klavierstil 
geforderte Vereinigung zu leisten. Und darum wiirde man, wenn es gelange, das Klavier 
zu der erwiiiischten reineren Gestalt zu vervollkommnen, spaterhin gerade aus den 
erwfihnten Werken und ihren Nachfolgern, deren einige sich bereits eingestellt haben, 
entnehmen konnen, dafi zu unserer Zeit die Umformung des Klavierinstruments eine in 
der allgemeinen musikgeschichtlichen, ja kulturhistorischen Lage begriindete Notwendigkeit 
war, dafi aucli hier eine tiefe Beziehung bestand zwischen der Entwicklung des In- 
strumentenbaus und derjenigen des musikaliscben Stilwillens. 

Franz Osborn (Berlin) 

DIE STILISTISCHEN PROBLEME DER MODERNEN 
KLAVIERMUSIK 

Es ist im Jahre 1910, Uberall herrscbt im Konzertsaal der Virtuose grofien Stils, 
Liszts Meisterschuler erringen Triumphe mit ihrer virtuosisch-glanzenden, geistreichen 
Auslegung eines reichen Erbes. Allerdings, eines fehlt ihnen von Liszts Universalitat : 
keiner von ihnen alien, mit Ausnahme d'Alberts, fordert und spielt zeitgenossische 
moderne Musik. Freilich, wo gibt es wirklich bedeutende Klaviermusik ? Seit Brahms' 
Tod wenig; Beger wird von seinen Anhangern auf den Scliild gehoben, und Debussys 
verastelte Klavierfisthetik wie auch (weniger) Skriabins leidenschaftliche Sonatendichtungen 
spielt man hier und da, doch im grofien Ganzen ist die Ausbeute in dieser Zeit 1 
gering. Es wird fur ubergrofies Orchester geschrieben, im Stil des prunkhaft-bar- 
barischen Kaiser- Wilhelm-Zeitalters. Die Abgesonderten, Vorahnenden stehen abseits- 
Unter ihnen Arnold Schonberg, der bereits den pomposen Mantel des "Wagner-Orchesters 
abgeworfen hat und in Streichquartetten und Kammersymphonie den Weg zur Verinner- 
lichung und damit zu seiner eigenen Musik- Vorstellung sucht. 

Da erscheinen seine Klavierstiicke op. 1 1 ! Sie rufen, durch ihre beispiellose Ab- 
sage an alles Virtuosische, ungeheure Uberraschung, bei den meisten Befremden hervor. 
Selbst Busoni, gefesselt von dieser Sprache einer echten Musik, sucht dem pianistischen 
Spieltrieb zu retten, was zu retten ist, indem er das zweite Stuck von op. 11 in eigener 
Bearbeitung herausgibt. Er verlangert, wiederholt Phrasen in verschiedenen Begistern, 
ornamentiert, kurz er verandert den Klaviersatz, um ein — scheinbar — klingenderes, 
dem Instrument angemesseneres Stuck daraus zu machen. Diese Musik aber vertragt 
keine Schnorkel, keinen aufieren Glanz. Und hier liegt das Problem dieser ganzen 
Bichtung. Man kann als Instrumentajist an diese Tonsprache nicht mit den Voraus- 
setzungen der bisher bekannten Techniken herangehen, so feindlich jeder Konzession an ; 
das Klavier, so in sich vertieft ist diese Musik; und tatsachlich kann man sie nur durch 
Hineinbohren, durch Erfassen bis zum letzten Nerv zum Klingen bringen. Da sind 
verhaltene Akzentierungen, thematisclie Farbenj vibrierende Affekte, die sich schliefilich 
ihre eigenen technischen und phraseologischen Gesetze bilden. Es geht nicht mehr um 
blferidende Oktaven, vertraumte Salon-TriUer. Die , Unhandlichkeit des Klaviersatzes 1 



60 FRANZ OSBOHN 



kommt hier aus einer notwendigen Logik heraus. In Schonbergs Melos, aufs Klavier 
projiziert, wo alles auf Ausdruck, auf absolute Idee gestellt ist, mufi sich eine Spieltech- 
nik ohne Nebenzweck ergeben, eine Reproduktion, die sich einer Art Sprengung des 
Manuell-Moglichen bewufit ist. Schliefilich ist eine tonliche Gebundenheit und letzter 
Sinn Mr klangliche AbstuMngen dem notwendig, der sich in seine intensive, oft sprunghaft- 
plastische Linienfuhrung naturlich einleben will. Audi Schonbergs letzte Klavierwerke, 
in denen sich ein klarerer Formwille als in den expressionistischen friiheren ausspricht, 
verlangen diese instrumentale Behandlung, die einen personlichen, bei hochster Exakt- 
heit uberschwanglichen Spieler, fern allem Primadonnentum, erfordern. Dann freilich 
entsteht eine Ausdrucks-Kunst, die, in alien ihren Voraussetzungen vom Spieler erfiillt, 
tief iiberzeugend wirkt. 

Es dauert lange, bis das Verstandnis fur Schonbergs Musik bei Kiinstlern und 
Publikum an Boden gewinnt. Es fehlen noch geeignete Interpreten, Vermittler, um sie 
der Offentlichkeit nahezubringen. Die Virtuosen alten Schlages konnen sich nicht zum 
Umlernen zwingen, doch entwickelt sich allmahlich eine Jugend, die dem Stil Schon- 
bergs und seines Kreises (u. a. Wellesz, Eisler, Webern) instinktiv verbunden ist. Eduard 
Erdmann wird noch 1919 wegen seiner Fahigkeit bewundert, sich in diese Musik ver- 
tiefen zu konnen, und schliefilich werden wir Reproduzierende alle bis heute jedes Mai 
beim Spielen moderner Werke mehr oder weniger angestaunt. Es zeigt sich also, wie stets, 
dafi eine neue Kunst sich auch ihre eigene Interpreten-Generation schafft. Freilich, iiber- 
zeugende Vortrage Schonbergscher Werke sind auch jetzt noch nicht zahlreich. Nut 
wenige Musiker konnen so ganz den Schmeicheleien ihres Instrumentes entsagen und 
sich — des Undanks des grofien Publikums gewifi — einmal vollstandig dem Dienste 
der Vermittlung widmen. 

Unbeschwerter steht der Pianist anderen Richtungen moderner Klaviermusik gegen- 
iiber. Sie haben alle einen Beruhrungspunkt gemeinsam: Sinn und Freude am Spiel- 
trieb, Verstandnis Mr das Instrument an sich. Ich mochte hier zunachst an eine Kunst 
denken, die in Hindemith und Toch ihre markantesten Vertreter findet. Da sie jiinger 
als Schonberg sind, haben sie nicht erst einen so grofien Lauterungsprozess durch- 
zumachen, der ja gerade in dessen Entwicklung eine wichtige RoUe spielt. Vor allem 
die Erscheinung einer so gesund-musikantischen Natur wie die Hindemith's wird erst 
moglich in einer Zeit, in der die menschliche und kiinstlerische Reaktion gegen die 
Uberniiancierung, gegen unnaturliche Schwelgerei bereits angebrochen ist. 

Vorbei sind die Jahre, in denen kommunistische Politiker romantisch in Kaffee- 
hausern debattieren; die Bewegung marschiert bereits. Wir sind in einer Zeit, in der 
— wichtiger Mr die Idee — proletarische Verbande stark solidarische Arbeit leisten; 
wo es neben geistiger Beschaftigung (Vorlesungen, Clubs, Theater etc.) Spoj'tverbande, 
Arbeitergymnastik-Kurse, Internationale Arbeiterhilfe usw. gibt; wo man sich auf die 
naturlichen Funktionen und Bediirfnisse des arbeitenden Menschen besinnt. Und gerade 
hier setzt die Parallelbewegung, wie in alien Kiinsten, so in der Musik ein. Wie so oft, 
stellt Deutschland auch jetzt eine Reihe Mhrender revolutionarer Schaffender. 

Bleiben wir bei Hindemith. Was ihn so schnell beriihmt gemacht hat, ist nicht 
nur seine grolJe Begabung, sondern auch gerade die tiefe Verwurzelung dieses genialen 
Musikers^n unserer Zeit. Der eigenbrodlerische Schonberg, dessen Anfange ja in eine 



' 



STILISTISCHE PROBLEME 61 



ganz andere Epoch e fallen, stofit noch jetzt mit seiner Musik auf Widerspruch ; Hinde- 
mith dagegen als wahrhaft heutiger Mensch ist bereits fast popular geworden. Wenn 
ich also vorliin sagte, dafi die Vorbedingungen, diese Musik zu spielen, leichter sind 
als bei Schonbergs Kunstethos, so meine ich damit, dafi alle diese Momente, die dort 
so unerlfifilich fur eine authentische Wiedergabe sind — dieses Nachempfinden einer 
fast unfafilichen Lyrik, dieses Aufspiiren von Dingen, die zwischen den Zeilen stehen — 
hier fortfallen. Wir haben es bei Hindemith und den ihm verwandten Musikern mit 
einer realen Kunst zu tun. Diese Musik, und folglich audi ihre Wiedergabe, entfernt 
sicla vom Intellektuellen ; sie ist nicht mehr um jeden Preis personliche, absolute Aus- 
drucksform, sondern bedeutet die Sprache eines schopferischen, gestaltenden Musdcanten, 
ohne beabsichtigte Hmtergrtindigkeit. Es wird die Unnaturlichkeit des gewollt In- 
dividualistischen verdrangt von einem ecbt kiinstlerischen Spieltrieb, der in der Kunst 
den Wert des Handwerklich-Zweckmafiigen erkennt. Es ergibt sich daraus, dafi fur alle 
Instrumente geschrieben, infolgedessen keine Gattung bis zur padagogischen Musik 
benacbteiligt wird. So entsteht nicht allzuviel, aber Bezeichnendes fur das Klavier. Bei 
diesen Werken ist die Forderung der absoluten Genauigkeit des Instrumentalisten von 
hochster Wichtigkeit. Dynamiscbe Freiheiten, Ubertreibungen sind verpont. So wie es 
dasteht, ist es gut. Bei einer Kunst, die der asthetischen Schonheit des technischen 
Zeitalters ihren Tribut zollt, wird der Pianist ein Ersatzmittel fiir die Mascbine, ein 
personlich bedeutungsloser, nur dem Grad der Vollendung nach interessierender Ver- 
mittler. Die Virtuosengenerationen waren die Gotter, wir werden wieder, am Anfang der 
freidenkenden Zeit, die Priester der Musik, wie es bis zum 18. Jahrhundert gewesen ist. 

Hindemith ist ein viel zu vitaler, aus Mschem Erdboden kommender Mensch, um 
schematiscb zu werden oder in irgend ein Dogma zu verfallen. Seine und ahnlich starke 
Musik wird stets mit einer intuitiven Frische wirken. Wie bei alien talentierten Menschen, 
die aus den einfachen Volksschichten kommen, wirkt auch bei ihm eine grofie, unver- 
brauchte Kraft. Ich mochte nicht mifiverstanden werden, wenn ich vorhin von der 
maschinellen Wiedergabe seiner Werke sprach. Maschinell heifit hier soviel wie hochst 
genau sein, die Beschneidung der Freiheit des Interpreten nicht als Zwang, sondern als 
Naturlichkeit empfinden. Man mufi seinen Horizont frei machen von Egozentrik, sich 
in die fesselnde Formung dieser unindividualistischen Musik hineinleben. Dann wird 
auch hier die Reproduktion ihr notwendiges Fluidum ausstralilen. 

Ich habe so viele heutige Pianisten gehort, die, mit ausgezeichneter Technik, eine 
kiihle Langweile mit dem beruhmten Argument der „neuen Sachlichkeit''' verteidigten. 
Das gehort auch zu den zahlreichen Irrtumern, die dies Schlagwort angerichtet hat. Braucht 
man denn nicht zum Nachempfinden, zum Intensivieren dieser neuen Kunst mindestens 
ebensoviel Begeisterung wie bei einer Chopinschen Ballade ? Aber was sage ich : die 
, von so vielen geforderte Notengenauigkeit steigert ja nicht immer die Konzentration 
der Wiedergabe, sondern verwassert oft auch den Inhalt der klassischen Musik! Noch 
selten ist in der Geschichte der reproduzierenden Musiker so sauber undzugleich so 
oberflachlich gespielt worden wie heute. . Aber es ist schwer, die Synthese: Geist des 
Werkes, — Geist der Technik zu finden; ..',;., 

. Interessant ist zu sehen, wie sich instinktive^, freier Konstruktionswille immer 

lebendig gestaltet, ein bewufiter, zivilisierter dagegen auf ein totes Gleis fubreh ihufi. 



62 FRANZ OSBORN 



Strawinsky, der sich in Paris von der grandiosen Urspriinglichkeit seiner Balletmusiken 
immer mehr entfernte, kommt, auf anderem Weg als die deutsche Sclnde, zum Klavier, 
das ihn zunachst als rhythmisch-prazises Schlaginstrument reizt. BeeinfluGt von der 
franzosischen Parole, die Form uber alles zu stellen, die nur in einem so kunstkonser- 
vativen Lande wie Frankreich stets Nahrung finden kann, nahert er sich mehr und 
mehr (in Klavierkonzert, Sonate, Serenade) einer krampfhaften, statischen Klaviermusik, 
die schliefilich bei wiederholten Versuchen der Neubildung klassischer Formen in Starr- 
heit endet. Ich habe wold noch niemals authentische Wiedergaben dieser Strawins- 
kyschen Werke gehort, ohne dafi sich nicht jede Spannung in Eintonigkeit aufloste. 

Anders Prokofieff. Auch er kommt, wie Strawinsky, von der Unerschopflichkeit 
russischer Volksmusik. Zunachst scheint es zwar, als ob diese Verbundenheit niclit so 
tief ist. Aber das Gegenteil zeigt sich. Wahrend Strawinsky immer westlicher, ktinst- 
liclier wird, sehen wir in Prokofieffs Klavierwerken eine starke, fur ihn charakteristische 
Anhanglichkeit an slawische Farben. Wie viele russische Komponisten ist er selbst 
glanzender Pianist und erfahrener Kenner seines Instruments. Eine Fiille geistreicher 
Klavierkompositionen, die durch eine virtuosische Beherrschung aller Formen hervor- 
ragen, fordert vom Spieler feinste koloristische und rhythmische Nachzeichnung, ohne 
ihn vor grofie geistige Probleme zu stellen. 

Ich mochte nun nur noch einen Komponisten nennen, an dessen Werken ein 
modern er Pianist nicht vorbeigehen kann: Bela Bart ok. Li seinen von Schonberg be- 
einflufiten Klavierkompositionen, die mit ahem Traditionellen brechen wollen, mischt 
sich nachdenkliche, spekulative Musik mit einer tiefen Sehnsucht zum Volkstiimlichen. 
Der Interpret hat bier die Aufgabe, diese starke, herbe, von einem grofiartigen Bhythmus 
befeuerte Musik aus dem Instrument herauszumeifiehi. Er mufi an den oft wider- 
spenstigen Klaviersatz vor allem mit Bewufitheit der Dynamik und Plastik herangehen. 

Die Namen, die hier aufgezahlt wurden, scheinen mir als Hauptvertreter der 
wichtigsten Bichtungen der heutigen Klaviermusik in Betracht zu kommen. Allerdings 
ist das Gebiet so grofi, sind die Formen so mannigfach und die Forderungen an den Pia- 
nisten in alien Landern so verschieden, dafi man einen erschopfenden Uberblick 
iiber alle stdistischen Probleme der modernen Klaviermusik in Kiirze nicht geben kann. 
Jedenfalls erleben wir iiberall eine Umwertung der bisherigen Klavierstile. Nur die 
beiden bedeutendsten Gegensatze konnen wir klar erkennen. Es ist auf der einen 
, Seite der Kreis um Schonberg, der in schopferischer Eingesponnenheit lebt, auf letzten 
Ausdruck bedacht. Er schafft eine ungeheuer differenzierte Kuhst, die bei einer noch 
so wortgetreuen Wiedergabe Platz fur subjektive Interpretation lafit. Es ensteht eine 
problematisclie, vergeistigte Bomantik, die jedes Zugestandnis an das Virtuosische ver- 
weigert. Auf der Gegenseite sehen wir eine realistische, alles Symbolische verbannende 
Musik. Wir erkennen klar einen formalistischen Spieltrieb, doch ohne bestimmbare Vir- 
tuositilt, einen Spieltrieb, der bei Steawinsky bis zur Mechanisierung seiner selbst fuhrt 
Hindemith dagegen, der oft — wie Strawinsky — das Klavier als Schlaginstrument mit 
Martellato-Anschlag behandelt, setzt lebendig die Entwickelung einer konstruktiv-asthe- 
' tischen Wirklichkeitskunst fort, die vielleicht einmal den Weg zur Befreiung von der 
Dekadenz weist. 




PIANISTISCHE PROBLEME 63 

Eduard Beninger (Wien) 

PIANISTISCHE PROBLEME, IM ANSCHLUSS 
AN DIE KLAVIERWERKE VON ERNST TOCH 

Obwohl heute viel uber den Stand und iiber die Aussichten der Pianistik geschrie- 
ben wird, bietet dieses Thema doch die mannigfachsten Schwierigkeiten, da fast in 
alien wichtigen Fragen die notigen Vorarbeiten fehlen. Vor kurzem habe ich in dem 
von mir herausgegebenen „Klavierbuch", U. E. (in der Folge abgekurzt als Kl.-B.) versucht, 
die verschiedensten Anschauungen zu Wort kommen zu lassen. Venn ich dies heute 
selbst versuche und jene Meinungen wiedergebe, die ich bei diesem Anlafi vielen Fach- 
leuten gegeniiber geaufiert habe, so ist es mir dennoch vollig klar, dafi ich tiber das 
Anschneiden gewisser Probleme nicht hinauskomme. Urn dabei den Charakter einer 
Improvisation liahWegs zu vermeiden, berufe ich mich auf einige Beispiele aus der zeit- 
genossischen Klavierliteratur, zum grofiten Teil auf die Klavierwerke von Ernst Toch. 

Dafi unser Hammerinstrument neutralen Klangcharakter besitzt, daruber diirfte 
heute schwerlich mehr eine ernsthafte Diskussion moglich sein. Ein Widerspruch scheint 
sich nur in soweit zu ergeben, als gerade das neutralste Instrument das Lieblingsinstrument 
der Romantiker wurde. Gewifi ist, dafi das spatromantische Virtuosentum dem Klavier 
„orchestrale" Klange zumutete. Dafi dies bis zu einem gewissen Grade ohne Zweifel 
gelang, lag in den engen tonalen Verhaltnissen begriindet und darin, dafi die Pedali- 
sation tatsatzlich eine Wirkung besitzt, wo sie im Wesen nur Stufenfortschreitungen des 
Basses vermittelt (una mich eines Ausdruckes von Steuermann Kl.-B. zu bedienen). Dies 
und etwa noch die Moglichkeit zur Entfaltung einer Spielfreudigkeit, ferner der Verzicht 
auf schnellen Wechsel der Tonarten und auf Anhaufung von Dissonanzen bildet ja 
heute noch die vermeindichen Bedingungen eines „klingenden" Klaviersatzes. Aus 
diesem Grunde halten viele das Klavier fur gebunden an den tonalen Wohlklang (Emil 
Frey Kl.-B.), da sein Klangwesen der Mifiachtung der tonalen Kadenz wiederspricht (E. 
W. Korngold Kl.-B.). Mit klarem Blick erkannte das Virtuosentum der 19. Jh., dafi sich 
der homophon-melodische Klaviersatz (die Basis bildet Christian Bach) orchestral aus- 
nutzen lafit. Die Impressionisten unter den Romantikern kamen sogar auf die Idee, 
auf dem Klavier zu instrumentieren. Bei dieser Gelegenheit sei auf einen Irrtum hin- 
gewiesen, der sich oft bei dieser Gedankenfolge einstellt. Namlich zu glauben, die 
orchestralen Klange kamen dittchaus sekundar zum Klavier. Schon Beethoven bildet 
ein glanzendes Gegenbeispiel. In seinen Klaviersonaten sind namlich die orchestralen 
Klange tatsachlich friiher vorhanden als in seiner Orchestermusik. Das darf natiirlich 
nicht verleiten, die Dinge auf den Kopf zu stellen. Leider fehlen in dieser Beziehung 
einschlagige Arbeiten. Jedenfalls hat aber die Spatromantik vergeblich versucht, dem 
Klavier Klangwirkungen aufzuzwangen, die von anderen Instrumenten und Instrumental- 
gruppen hergeholt wurden. Wohl hat der Impressionismus noch eine zeitlang die De- 
kadenz verschleiern konnen. Debussy verwendete dunnfadige Strukturen, die durch 
aufierformale Fantasieelemente, durch klangcharakteristische, akkordische Farbentupfen 
pikant und delikat abgelost werden. Vor allem aber ist es Skrjabin gelungen, das 
Mittel der Klangfarbe dem Klavier anzunahern, Aber daruber hinaus gibt es kein 



64 ■'■ '■ EDUARD BENINGER 



Weiter, die begonnene Entwicklung bricht ab, besitzt keine Berechtigung mehr. Heute 
verzichtet das Klavier auf das Medinm der wirkenden Klangfarbe. Damit ergibt sich 
fiir den Komponisten, der> furs Klavier schreibt, die Folgerung, sein Hauptgewicht auf 
das Formale und auf den Rhythmus zu legea. 

Besonders betont werden mufi, dafi der „Wohlklang" nur bei einfacher Harmonik 
Farbenreizen zuganglich ist, dafi die Absage des Klaviers an die Klangfarbe Hand in 
Hand mit der erweiterten Harmonik geht. Die primitive Harmonik der Wiener Klassiker, 
deren Musik auf der einfacbsten Kadenz beruht, hat klanglich bei Beethoven die hochste 
und reinste "Wirksamkeit gewonnen (K. Hasse im Beethoven-Jahrbuch IH.). Ein wichtiger 
Faktor scheint mir nun die stdistische Einstellung des Pianisten zum jeweiligen Klang- 
. charakter des zu interpretierenden Werkes zu sein. Gewohnlich erlebt man ja heute 
in den Konzertsalen, dafi die gesamte Literatur von Bach bis Reger eineni einzigen 
Klangideal angeglichen wird, das infolge unserer Erziehung das der Spatromantik ist. 
Die klangliche Srilistik bei Chopin, Schumann, Liszt, Brahms, Beger und den Impressio- 
nisten dtirfte keine Abanderung mehr erfahen. Aber schon bei Schubert ist nur einigen 
Eingeweihten die Distanz zum Werke sichtbar. Vollig unklar, ich mochte sagen strittig, 
ist aber die Einstellung zu den typischen Beethoven-Sonaten. Die Weltvirtuosen von 
heute sind die koniglichen Beherscher des spatromantischen IQavierklangideals, die sich 
bestenfaUs noch fiir die impressionistiche Klaviermusik einsetzen konnen; dem Problem 
der Interpretationsmoglichkeiten von Beethovens Klavier sonaten sind sie aber nicht 
gewachsen. Dafi nun diese Virtuosen dem neuen Satz erfolglos gegenuber stehen, dessen 
Tendenzen in der erhohten Stimmdifierenzierung bei vollig erweiterter, riicksichtsloser 
Harmonik beruht, das gibt andererseits die Gewifiheit, dafi kein anderes bistrument von 
der zeitgenossischen Musikrichtung grofiere Entwicklungsmoglichkeiten zu erhoffen hat. 

Eine wichtige Frage besteht darin, wie sich die neuen Musiktendenzen mit den 
Nacbteilen, die ihnen unser Instrument von Natur aus entgegensetzt, abfinden konnen. 
Denn der Klaviersatz mufi darauf Riicksicht nehmen, dafi das Klavier dem Anspruch 
erhohter Stimmdifferenzierung nicht in dem Mafie geniigt wie das Ensemble der Kam- 
mermusik, dafi sich die Kontrolle der schwierigen polyphonen Untersclieidungsmoglicli- 
keit gerade wegen der Neutralitat des Klanges oft kaum einstellt. Aus diesem Grunde 
mufi audi dem Klavier die Eignung als Projektionsapparat moderner Partituren ab- 
gesprochen werden (Toch Kl.-B.); die reale Klangfarbe und reale Linienfiihrung wider- 
sprechen dem neutralen Instrument. 

TJber die Perkussionsgefahr, die dem Klavier heute von Strawinsky aus droht, 
will ich tnich nicht langer auseinandersetzen, da ich in diesbezuglichen Arbeiten 
Gzernyeffekte auf veranderter harmonischer Grundlage erblicke. Andere Komponisten 
stellen die Mittel der Perkussion in den Dienst impressionistischer Klangwirkungen, 
z. B. Bartok. 

Vollig ahnungslos stehen die heutigen Komponisten dem Problem der Klaviersatz- 
technik gegenuber. Diese geht auf zwei Prinzipien zuriick. 1.) Die Art der Verdoppel- 
ung einer Stimme; die jeweilige Verteilung einer Struktur auf beide Hande ; die mannig- 
fachen, vielfaltigen Akkordzerlegungen und ^umschreibungen. Diese Ausgestaltung einer 
homophonen Struktur brachte Liszt zur hochsten Bliite, indem er die uberwuchernde 
Viftuosenliteratur (Herz etc.) vereinfachte, gesetzmafiiger machte. Was innerhalb dieser 



PIANISTISCHE PROBLEME 65 

formelhaften Spielfreudigkeit noch zu leisten war, hat Busoni vohendet. 2.) Die Be- 
reicherung der Stimmen, die nicht nur vom Standpunkt kontrapunktisciier Polyphonie 
aus erfolgen kann. Zum ersten Mai finden wir dies bei Chopin bewufit erreicht. Nach 
ihm hat eigentlich nur Godowsky die Moglichkeiten bereichert. Was den Liszttypus 
betrifft, so hat es sich gezeigt, dafi er nur innerhalb einfacher tonaler Verhaltnisse an- 
wendbar ist mid den grofien Nachteil besitzt, da£ er bei steigender Ausgestaltung eine 
primitivere musikalische Struktur zur Folge hat. Es wird sich also darum handeln, die 
technischen Griffe dieses zum Aussterben verurteilten Satzes richtig zu verwerten. Der 
Chopinstil hatte den Nacliteil, dafi er von den Impressionisten aufgegriffen wurde und 
so durch Uberlastung rein klanglicher Fullstimmen unsauber wurde. Der Begriff piani- 
stischer Schreibweise ging so verloren, das Klavier wurde ein bequem-gedankenloses 
Projektionsinstrument fur jede musikalische Vorlage, greifbar fur zehn Finger. Der 
Grofiteil der heutigen IGavierkompositionen ist nach dieser Biicksichtslosigkeit abgefafit; 
faUs sie einige ' Errungenschaften der Schule Liszt-Busoni anwenden, erheben sie bereits 
den Anspruch auf einen „klingenden" Klaviersatz. 

Es ergeben sich also vor allem folgende Forderungen an eine entwicklungsfahige 
Klavierliteratur : Die erweiterte Harmonik bedingt eine Absage an die romantisierende 
und uppig-impressionistische Klangfarbe; die richtige Ausniitzung des neutralen Klang- 
charakters; die Zuwendung zu formalen und rhythmischen Neuerungen; die Aufrecht- 
erhaltung einer akustisch kontroUierbaren Stimmfuhrung ; die Vermeidung der schwul- 
stigen-einfadigen Struktur des Virtuosenstils, Ausbau der selbstandigen Stimmen bei 
Vermeidung impressionistisclier Tendenz. 

In gewisser Beziehung finden wir in der heutigen Klaviermusik fast immer Kom- 
promisse. Der Grofited der Komponisten „erlaubt" sich blofi einige mehr oder minder 
kiihne harmonische Freiheiten, verwendet aber andererseits die Satztechnik des Virtuosen- 
stds oder wahlt ahnungslos das aufiere Geprage einer Klavierpartitur. Von denen, die 
dabei formalen Neuerungen nachgehen, kann Petyrek hervorgehoben werden. Der 
Pianist, der unter dieser aufieren ihm wohlverrrauten Aufmachung nicht den erwarteten 
„Wohlklang" findet, wird die einseitige harmonische Abscbwenkung nicht mitmachen 
wollen, die seine gewohnte „Virtuositat" nur behindert. Er wird das Gefiihl fur die 
Neuerungen erst gewinnen, wenn ihm der Klaviersatz die Probleme aufdeckt. Schon 
jene Stticke, die harmonisch durchaus nicht als revolutionar hingesteUt werden konnen, 
werden aufklarend wirken, wenn sie nur in satztechnischer Formulierung Sinn furs 
Neue zeigen. Das treffendste Beispiel hierfur sind viele SteUen in den Klavierwerken 
von Joseph Haas (besonders die Sonaten op. 61), die sehr oft die abgegriffenen Akkord- 
zerlegungen meiden, stimmenmafiig bedingt sind; umso bezeichnender, als Haas auch 
innerlich von Beger kommt. Beinlicli und entscheidend sind natiirlich auch kontra- 
punktische Arbeiten, wie sie z. B. Kattnig geliefert hat. Dagegen glaube ich, dafi eine 
strikte Zweistimmigkeit dem Klavier etwas zumutet, was mit Recht seiner Forderung 
nach Mehrstimmigkeit widerspriclit ; als Beispiel mag Hauer gelten. Aufierhalb dieser 
Betrachtung mufi natiirlich die Zwolftontechnik (Schonberg, Eisler) stehen, die durch 
ein neues Kompositionsprinzip alien Schwierigkeiten aus dem Wege geht. Sie ist die 
einzig logisch verwirklichte Losung der harmonischen und satztechnischen Forderungen. 
Die Frage ist nur, ob sie formale Ergebnisse fordert. 



66 EDUAHD BENINGER 



• Die Klavierwerke von Toch stehen formlich im gewissen Gegensatz zu Haas. 
Harmonisch vollig unabhangig, spurt Toch sicherlich audi die Forderungen nach einer 
antiromantischen Satztechnik. Uber eine gewisse polyphone Stimmberechtigung kommt 
er aber selten hinaus, wenn er audi die Verirrungen meidet. Sein Klaviersatz scheint 
seine Bedingungen nur aus dem Musikalischen zu holen. Umsomehr sind seine Werke 
ein typisches Lelirbeispiel fiir die heutige Pianistik. 

Von Toch stammen ubrigens Fruhwerke, die einen kleinen Einblick in die Ent- 
wicklung des Komponisten gewahren : op. 9, Melodische Skizzen ; op. 1 0, Drei Praludien ; 
op. 11, Scherzo h-moll; op. 13, Stammbuchverse ; op. 14, Reminiscenzen (alles bei P. 
Pabst, Leipzig). Die Stiicke op. 9 sind nicht ohne Grund Alfred Grunfeld gewidmet, 
sie biegen manchmal in vornehme, aparte Salonmusik um. Sie sind streng tonal, durch- 
aus melodios-gefallig. Ernste Musikgesinnung zeigt schon op. 10. Erheblich wertvoller 
ist op. 11. Der Hauptteil ist klaviersatzmaftig an Brahms angegliedert. Bezeichnend 
ist jedoch, dafi das Trio das Brahmssche Melos nicht trifft. Das Scherzo ist hmerhalb 
der Epigonenliteratur ein geschmackvolles Werk, das ohne Zweifel die Berechtigung zu 
Entwicklungsmoglichkeiten des jungen Komponisten vermittelt. Unruhe und ruhrige 
Umsicht nach Ausdruckswerten zeigt wieder op. 13; die geschickte Stimmfuhrung, die 
neuklassizistische Kunsthaltung fallt auf. Die zwei schonen Stiicke von op. 14 zeigen 
bereits die gefestigte Beherrschung aller romantischen Kunste. Die letzten Stiicke dieser 
Periode stammen aus dem Jahre 1909. 

Im scharfen Abstand, ohne jeden Ubergang aufzeigend, stehen die Klavierwerke 
op. 31, Burlesken; op. 32, Drei Klavierstucke ; op. 36, Capricetti; op. 40, Tanz- und 
Spielstiicke, seit 1924; ferner das Klavierkonzert op. 38 (alles bei Schott). Hier driickt 
sich bereits iiberall eine gesunde Reaktion gegen den romantischen Uberschwang aus; 
eine kleine Rtickkehr zur impressionistischen Manier mag nur der „Jongleur" op. 31, 3 sein, 
der gerade defihalb als virtuose Konzertnummer seine Wirkung ausiibt. In den ersten 
beiden Heften ist Toch eigentlich nur harmonisch zeitgeistig, sonst verwendet er noch 
sehr Akkorde, Ftillstimmen. Das beste Werk ist op. 36. Die Ausniitzung klingender 
Non legato-Passagen (2, 5) kommt dem Klavier entgegen, wie iiberhaupt das Bewegungs- 
technische kaprizioser Motivgruppen satztechnisch am leichtesten zu verarbeiten ist. 
Das kleine Anfangsstiick aus op. 36 steht in der heutigen Literatur vereinzelt da, gehort 
zum wertvollsten Bestandteil neuer Ausblicke. Die zweistimmigen Stiicke aus op. 40 
konnte man vielfach ebenfalls als Fundament ansehen. Allerdings liegt ja die ent- 
scheidende Frage in der Bereicherung, also in der Kompliziertheit des Stimmengefiiges. 
Das Tochsche Klavierkonzert setzt mit einem thematischen Iflaviersolo ein. Dies 
ist in der Entwicklung des Klavierkonzertes bis zum Beginn des 20. Jh. ein einziges 
Mai anzutreffen, niimlich bei dem Klavierkonzert in G-dur von Beethoven. In diesem 
Konzert folgt dem Soloanfang ein Tutti, das das 1. Thema schon in einer Art 
Durchfuhrung bringt, aber audi schon das 2. Thema harmonisch und instrumental ent- 
wickelt. Die thematische Durchfuhrung des Satzes liegt im Orchester. Beethovens 
Es-dur Konzert bringt zu Beginn, auf beide Klangkorper verteilt, eine kadenzartige Im- 
provisation. Eine Einleitung mit dem Hauptstiitzpunkt im Orchester bringt audi das 
g-moll Konzert op. 25 von Mendelssohn;' das Hauptthema erscheint im Tutti und wird 
sofort verarbeitet. Mendelssohns d-moll Konzert op. 40 bringt in der Einleitung schon 



PIANISTISCHE PROBLEME 67 

im 3. Takt das „Kopfthema, aus welchem sich improvisierend das Hauptthema entwickelf 
(Engel, Die Entwicklung des deutschen Klavierkonzertes von Mozart bis Liszt). Bei 
Beethoven ist die Selbstandigkeit des 1. Tuttis trotz Voranstellung des Solos gewahrt, 
Mendelssohn verzichtet schon vielfach auf sie. Bei Schumann bleibt von den grofien 
Tuttis nur das zweite iibrig. Bei ihm liefert ein einziges Thema das Hauptmaterial. 
die zwei Nebenthemen degradieren zu Motiven. Das Anfangsthema des Schumann- 
Konzertes findet sich erst wieder in der Durchfuhrung. Aber Schumann verwendet bei 
anderen Werken haufig das fur Beethoven so typische Verfahren, Einleitungssatze mo- 
tivisch den folgenden Hauptthemen anzugleichen. wodurch der Eindruck erweckt wird, 
als ob der Hauptsatz sich aus der Einleitung erst motivisch herauskristaUisiert. Schu- 
mann gelingt dies besonders gut bei der Genoveva-Ouvertiire, wenn er auch nicht wie 
Beethoven mit sicherem Griff in den Hauptsatz hineinfiihrt (A. Schmitz, Das romantische 
Beethoven-Bild). Es ergeben sich iiberhaupt grofie Unterschiede beziiglich der langsamen 
Einleitungen zu den Allegrohauptsatzen zwischen Beethoven und den Bomantikern. 
Liedartige Gebilde, bescliauliches Verweilcn sind bei Beethoven undenkbar. Seine Kan- 
tilene, auch bei grofiem melodischen Bogen, lenkt zwanglos in die tektonische Arbeit 
ein. Der Vergleich mit Beethoven prazisiert die romantische Einstellung zu der Frage 
der Einleitungssatze. Sie gibt ferner auch dem Urteil Gewicht, dafi der Beginn des 
Klavierkonzertes von Toch ein typisch unromantischer ist. Wenn der erste analytische 
Versuch iiber das Werk (MELOS VI, 6.) in dem Beginn eine der ublichen Einleitungen 
sah, so lafit sich diese allerdings nicht gliickliche Bezeichnung von den romantischen 
Formenprinzipien her verstehen, rait einer „kadenzartigen" Einleitung hat aber das 
Tochsche AVerk nichts zu tun. Das Kopfthema ist mit dem gebauten Allegrothema nicht 
nur motivisch verankert, es li e fert formlich die Bohform der Motivik. Entscheidend 
wirkt, dafi der Hohepunkt des ersten Satzes auf den unbehauenen Einfall zuriickgreift. 
Diese formale Grundtatsache fiiihrt zu der vorliegenden Verschmelzung der heterogenen 
Begriffe Konzert und Sonate, wie sie seit dem Liszttypus iiberhaupt nocli nicht in An- 
griff genommen wurde. Es ist interessant feststellen zu konnen, daft die Losung trotz 
der Ausschaltung, ja Verneinung romantischer Tendenzen eine organische ist. Der Zeit- 
geist wird eben auch hier, wie in vielen anderen Dingen, seiner Verpflichtung gerecht. 
An der Spitze des Konzertes steht im Klaviersolo ein wuchtig aufwartsschreitendes 
Thema, welches die „Uberschrift" des ersten Satzes bringt, das naclcte, ins Ungewisse 
hingestellte Motiv, den reinen Einfall. Die hinzutretende Unterstutzung durch das 
Orchester schafft eine Art Exposition, die aber keinenfalls wie eine einleitende, kaden- 
zierende Inri-oduktion vom Allegro abzuschnuren ist. Aus dem „Urthema" wachst das 
gebaute, fugierte Allegrothema (Takt 27) heraus. Der nun beginnende Teil schwankt 
zwischen Fuge und Sonate. Das „Seitenthema" (T. 134) tragt iihnlichen Charakter wie 
bei Schumann, es kommt nur an dieser Stelle vor, da der Satz keine Beprise aufweist. 
Durch das Seitenthema ist aber die Neigung zum Sonatengefiige entschiedener, was noch 
bestarkt wird durch das Abklingen tiber ein schlufisatzanliches Gebilde (T. 173), das zu 
emem, den Vordersatz gewissermafien bescliliefienden, akkordischen Buhepunkt fuhrt 
(T. 189). Nun folgt eine Verarbeitung des Themenmaterials (190-323), wenn man 
will die „Durchfiihrung", die aber nicht zu einer Beprise fiihrt, sondern zu einem kon- 
trapunktisch reich verastelten Hohepunkt des Satzes (T. 323), der in drei keuchenden, 



68 LEONHARD DEUTSCH 



zwischeh Tamtam und vollem Orcliester wechselnden Schlagen iiber einen Orgelpunkt 
im Orgelpedal gipfelt (Partiturvorschrift : ,,Hier ist das Klavier lediglich als Orch ester- 
instrument gedacht'M) und bezeichnenderweise nicht auf das gebaute Allegrothema' zu- 
ruckgreift, sondern auf den unbehauenen Einfall des AVerkbeginnes. Der Hohepunkt 
stiirzt jah zu dem bis zur letzten Note thematisch durchgefiihrten, scharf abreifienden 
Schlufi ab. 

Der zweite Satz, ein Adagio, bringt ohne Bindung an eine bestimmte Form, 
„quasi una fantasia" eine Reihe von Themen, von denen die zwei zuerst vom Klavier 
gebrachten (T. 1, T. 30) den Vorrang einnehmen. Dem Klavier ist Gelegenbeit zu ro- 
mantisierender Klangentfaltung geboten. Mit Ausnahme von zwei hochgesteigerten 
Orch ester tuttistellen ist der Satz kammermusikalisch gebalten. 

Die Stimmung des verklungenen Adagios zerreifit jah das in ausgelassener Beweg- 
ung dahinrollende 1. Thema des „Rondo disturbato". Das 2. Thema (T. 84) erklingt 
nur im Orcliester. Das Klavier halt mit seinen unaufhorlichen Kapriolen die Bewegung 
immer in Flufi. Gegen Ende (T. 279) tritt die „St6rung" dadurch ein, daft ein Thema 
dem anderen den Platz streitig zu machen sucht, ohne dafi es zu einem kontrapunk- 
tischen Zusammenspiel beider kommt. Es ist, als ob der Dirigent ein paar Mai „ab- 
klopfend" und wieder beginnend, Ruhe und Ordnung herstellen wollte. Da es ihm 
aber nicht gelingt, reifit der Pianist, in den Streit eingreifend, mit seiner Kadenz die 
Ziigel an sich und fuhrt den Satz zum lustigen Ende. 

Was ich bei den Klavierwerken von Toch als gesetzmaBige Entwicklung aufvveisen 
wollte, besteht, abgesehen von der harmonischen Freiziigigkeit, in folgenden Beurteilungen : 
gliickliche Losung innerhalb der grofien zyklischen Form; Verzicht auf die schwungvollen, 
leuchtkraftigen und lyrischen Farbklange; Einschrankung der iippigen Akkordik ohne 
polyphonen Flachenausbau; die Betonung des neutralen Klangcharakters diirdi motorisches 
Tonspiel; Ansatze zu einer klaviermafiigen Stimmfiihrung. 



Leon hard Deutsch (Wien) 

KUNST DER FINGERFERTIGKEIT ODER LESETECHNIK? 

Die Klavierkomposition der Gegenwart ist vom Bravourstil und seinen Auslaufern 
radikal abgeriiclct. Sie verzichtet auf das aufierliche koloristische Prunkgewand, das 
vordem oft genug dazu gedient hatte, den allzudiirftigen Inhalt zu umhiillen. Das 
neue pianistische Gefiige ist im neuen musikalisclien Gefuge vollig verankert. Trotzdem 
weist auch der heutige Klaviersatz, sofern er nicht gerade einer impressionistischen 
Schule entstammt, aufierordentliche spieltechnische Schwierigkeiten auf, allerdings von 
einer ganz anderen Art, als die typischen Schwierigkeiten der fruheren Periode. Dort 
setzt der Kampf des Spielers gegen die Materie erst beim Ausarbeiten zur Vortragsreife 
ein; die technischen Probleme sind also die der Gelaufigkeit und der Ausdrucksnuancen. 
Das zeitgenossische Klavierstiick hingegen steUt schon dem blofien Ablesen einen kaum 
uberwindlichen Widerstand entgegen, und dieser bleibt auch bestehen, wenn man sich 



FINGERFERTIGKEIT ODER LESETECHNIK 69 



der Miihe des Einstudierens unterzieht. Die gesairite. technische Vorschulung, die an 
der iiberlieferten Vortrags- und Studienliteratur orientiert ist, und moge sie auch eine 
noch so hohe Stufe erreiclit haben, erweist sich vor den Widerborstigkeiten der neuen 
technischen Aufgaben als vollig unzureichend. Auch unter den sonst routinierten 
Spielern kann man jene, denen der moderne Satz technisch zuganglich ist, beinahe ail 
den Fingern abzahlen. 

Wer das iibliche Klavierstudium mit sonst gutem Erfolg absolviert hat, vermag 
nur einen mfifiig leichten Satz prima vista abzulesen. Li dem Mafi aber, als - wie 
ehen in der gegenwartigen Komposition — die ungewohnte melodisch-harmonische 
Linienfiihrung, die verwickelte Rhythmik und Stimmfiihrung auftritt, kann der Spieler 
mit dem Notenbdd kerne deutliche Klangvorstellung mehr verbinden. Der Klang setzt 
sich darum auch nicht mehr in zielsichere Spielbewegung um, die Finger geraten ins 
Umhertappen. "Wer an einem vorgelegten Stuck in dieser Weise beim ersten Durch- 
lesen versagt, der ist ihm auch beim Einstudieren nicht gewachsen. Wenn der Spieler 
ein Stuck angeht, schatzt er dessen technische Schwierigkeiten gefiihlsmafiig immef 
schon an den ersten Leseschwierigkeiten ab. Daher kommt es, daft bei weitem die 
meisten Pianisten der alteren Schulen den neuzeitlichen Klaviersatz als „schlecht in der 
Hand liegend", als „unklaviermafiig" kurzerhand abtun. Sehr mit Unrecht, denii klavier- 
gemafi ist ein Satz, dessen Inhalt durch den Klavierklang angemessen zur Geltung 
kommt, ganz gleich, welche Miihe das Ablesen verursacht. 

Der iiberlieferte Unterricht legt auf Lesetechnik im allgemeinen wenig Wert; zahl^ 
reicheLehrer halten das Blattlesen sogar fiir schadlich, in der Befurchtung, dafi es zur gewohn-- 
heitsmafiigen Oberflachlichkeit verleite. Der Schwerpunkt des ganzen Unterrichts liegt 
darum bisher in der Ausarbeitung der Stticke, in der Annaherung an das Ideal der 
Konzertreife. Die Hauptprobleme der Klavierdidaktik — Gelaufigkeit und Ausdruck — 
wurden auf mechanisch-physiologischem Weg zu losen versucht. Zuerst rein empirisch, 
mit Hilfe der bekannten technischen Ubungen, die der Hand und den Fingern zu der 
notigen Beweglichkeit verhelfen sollten. Spater erteilte man diesen Unternehmunger^ 
einen gewissen wissenschaftlichen Anstrich N namlich durch die Deduktion moglichst 
flkonomischer Spielbewegungsformen. In den Einzelheiten der Bewegungs- und Ubung9- 
vorschriften mogen die verschiedenen Schulen und Lehrmeinungen noch so sehr differieren^ 
das eine haben alle gemeinsam, dafi sie als das eigentliche Ziel des Klavierstudiuras 
die voUendete Vortragstechnik ansti-eben, dafi sie demnach den grofiten Ted der auf- 
zuwendenden Ubungszeit dem Ausarbeiten des Vortragsrepertoires widmen. Daraus 
ergibt sich notwendig eine Verkummerung der Leseteclmik. : 

AUerdings hatte die Unterrichtslehre bis jetzt nicht mit iibermafiigen Leseschwierig- 
keiten zu rechnen. Selbst die Schulbeispiele der extremeii technischen Schwierigkeit, 
die Kulminationspunkte der Bravourliteratur, stehen 1 an Leseschwierigkeit oft weit 
hinter dem klassischen polyp honen Stil zuriick, etwa dem wohltemperierten Klavief ;' 
eine Behauptung, die dem Laien ebenso paradox wie dem Kuridigen selbstverstaridlich 
erscheint. Erst der lineare Std der Gegenwart bringt neue Le's'escLwierigkeiten in' die' 
Pianistik, die alle friiheren, auch die des Bacjischen Ftigensatzes und der Spatwerke 
Beethovens weit iiberragen. Nach all dem Vorhergesagten wird es nun begreiflich, 1 



70 LEONHAHD DEUTSCH 



dafi das herkommliche Unterrichtsschema aufierstande ist, den Anforderungen unserer 
Zeit gerecht zu werden. 

Es ware hochst unzweckmaGig, die Leseschulung dem tiblichen Studium hinterher 
aufzupfropfen ; es mufi vielmehr der gesamte Lehrgang vom Beginn an bis zur hochsten 
Stufe vollstandig umgestaltet werden. Speziell die Reform des Elemtarunterrichts^ 
der ja fur das weitere musikalische Schicksal des Studierenden bestimmend ist, wird 
heute schon vielfach als dringliche Notwendigkeit empfunden. Die traditionellen 
Methoden sind eher dazu angetan, die Musikerziehung zu drosseln als zu fordern. Sie 
verlegen den Weg nicht nur zur Gegenwartskunst, sondern oft auch zur Musik iiberhaupt. 
Die Statistik des Unterricbtserfolgs spricht dies deutlich genug aus. Niclit an den im 
Schematismus verzeichneten „Stars" ist die mechanische Unterichtsmethodik zu werten, 
sondern an den unubersehbaren Legionen der Klaviereleven, die friiher oder spater 
auf dem begonnenen Weg stecken geblieben sind. Es ist hoch an der Zeit, die Unter- 
richtslehre einer griindlichen Revision zu unterziehen, statt sich wie bisher mit dem 
anscheinenden Mangel an begabtem Schiilermaterial skeptisch abzufinden. Tatsachlich 
existieren schon verschiedene Reformprogramme, die die musikalische Kinderstube von 
der unertraglichen Diirre erlosen wollen. Freilich haftet den bisherigen Vorschlagen 
noch eine Reihe von Mangeln an. Manche Autoren versuchen, das musikalische Gehor 
durch system atische Ubungen zu bilden; auf diese Weise wird der trockene Stoff unter 
einer neuen Spitzmarke erst recht wieder in den Unterricht geschmuggelt. Recht be- 
denklich ist — auch vom Standpunkt des sonst fortschrittlich gesinnten Musikers aus — 
der Versuch, den Elementarunterricht mit neuzeidichen harmonischen Formen zu durch- 
setzen. Derartige Jugendliteratur schiefit jetzt pilzartig hervor, sie wird aber ebenso 
rasch . wieder verschwinden, denn der gesunde Instinkt des Anfangers wie des Lehrers 
mufi einen Stoff ablehnen, der im Anfangsstadium des Musikunterrichts unfehlbar die 
Verbildung des Gehors zur Folge hatte. Dabei ist aber nichts einfacher, als gerade fur 
den Elementarunterricht den Stoff zu finden. Wozu ein Material erst neu komponieren, 
wenn es im reichsten Uberflufi bereits fertig vorhanden ist! Gemeint ist hier der Ur- 
quell aller Musik iiberhaupt, der unermefiliche Melodienschatz in den Volksliedern 
aller Nationen. Sie erfiillen alles, was man von ein em e wig und allgemein gdtigen 
musikalischen Erziehungs- und Bildungsmiittel verlangen kann. An die Stelle der 
papiernen Trockenheit und Diirftigkeit systematischer Voriibungen riitt hier die leb'en- 
digste Musik; die friihere todliche Langeweile und Monotonie wird nun durch alle 
erdenklichen Varianten der Form und des unmittelbar ansprechenden Ausdrucks ab- 
gelost. Volkslieder stehen gleich weit ab von verzapften Epigonenmachwerken wie von 
fragwiirdiger Neutonerei, sie leisten dem kultiviertesten Geschmack Genuge und be- 
wahren so auch vor dem EinfluG der kitschigen Schlagermusik, wie sie von Amerika 
her droht. Bei entsprechender Setzweise der Volkslieder, von Einstimmigkeit bis zur 
echten Polyphonie ansteigend, lassen sich auch alle klaviermafiigen Aufgaben erschopfend 
darstellen. Dafi man dieses geradezu ideale musikalische und pianistische Lehrmaterial 
bisher so vollig aufier acht gelassen hat, erklart sich vielleiclit gerade aus seiner 
Selbstverstandlichkeit. ') 

') Der Verfasser dieser Zeilen stellt eine Elementarschule nach diesen Prinzipien zusammen und 
beabsichtigt in Kiirze deren Publikation. 



FINGERFERTIGKEIT ODER LESETECHNIK 71 

Mit dem Lehrstoff allein ist natiirlich die Unterrichtsreform noch nicht erschopft 
man mufi auch verstehen, ihn in der richtigen Weise zu behandeln. Vor 
allem ist der Weg zu finden, wie der Elementarschuler die anfangs frappierenden Lese- 
schwierigkeiten bewaltigt. Es wtirde viel zu weit fuhren, hier die bezugliche Unterrichts- 
technik in ihren Einzelheiten auseinanderzusetzen. Es geniige die Versicherung, dafi 
dieses Problem durchaus losbar ist, nur mufi eben der Lehrer viel intensiver auf seinen 
Zogling einwirken, als er es bisher gewohnt war. Er hat den Gedankengang des 
Studierenden beim Blattlesen in eine so prazise Ordnung zu bringen, dafi dieser in 
relativ kurzer Zeit auch den kompliziertesten Notentext im ungebrochenen Zusammen- 
hang und fehlerfrei prima vista abzulesen vermag, wenn auch vorlaufig ohne Anspruch 
auf Tempo und Ausdruck. Das Einstudieren des Ubungsmaterials bedeutet — so 
befremdend dies heut noch klingen mag — im Elementarunterricht nur Zeitverlust, 
namentlich, wenn man dabei den Text nach der tiblichen Weise in seine Elemente zer- 
pfliickt, in die isolierten Handpartien, Taktgruppen oder dgl. Bei der angedeuteten 
exakten Lesemethode gemigen wenige Wiederholungen, den musikalischen Inhalt zu 
erfassen und in Spielbewegungen umzusetzen; damit ist aber zugleich der instruktive 
Gehalt der betreffenden Ubungstucke sozusagen abgerahmt. Eine ungemein wichtige 
Rolle spielt dabei ein erschopfend vorgeschriebener und technisch zweckmafiiger Fingersatz. 

In der gleichen Weise ist die Leseschulung nach Absolvierung des Elementarstoffs 
an der klassischen und nachklassischen Meisterliteratur fortzusetzen, wobei diese in 
ihrem weitesten Umfang und in relativ kurzer Zeit durchzuarbeiten ist. So erwirbt 
der Studierende schliefilich die notige Vorbereitung, fur den heute als sprode verrufenen 
Stoff der Gegenwart, und wohl auch fur den der absehbaren Zukunft. 

Bemerkenswert sind noch zwei andere Ergebnisse dieser Studierweise. Es zeigt 
sich, dafi hier der Unterrichtserfolg nicht mehr an die spezinsche „angeborene Begabung" 
des Individuums gebunden ist, dafi sich vielmehr die Schulung bei jedermann durch- 
fuhren lafit und auch zuverlassig zum Ziel fuhrt. Ein Steckenbleiben mitten auf dem 
Wege gibt es nicht mehr, denn es werden nun alle geistigen Ki-afte in Spannung ver- 
setzt, die bei der mechanischen Methode ungenutzt verkiimmerten. Was nicht vom 
naturlichen „Talent" aus stimuliert wird, bewirkt jetzt zwangslaufig der systematische 
Unterricht. 

Und als zweites: wahrend sich vorher aus dem mechanischen Drill eine sparliche 
Lesetechnik als Nebenprodukt ergab, wachst gerade umgekehrt aus der gesteigerten Lese- 
technik die pianistische Meisterschaft ganz von selbst hervor. Auch hier ist der Grund 
leicht aufzudecken. Die Wirkungsweise des mechanischen Ubens besteht nicht, wie man 
gemeinhin annimmt, in einem Gefiigigmachen der Spielorgane, in der vermeintlichen 
erhohten physischen Beweglichkeit der Hande und Finger, sondern in einer durch 
die Wiederholung hervorgerufenen Automatisierung des Gedankengangs, der die be- 
treffenden Bewegungsreihen initiiert. Bei einer gesteigerten Lesetechnik, namlich der 
Fertigkeit, auch einen komplizierteren Notentext blitzartig motorisch umzusetzten, wird 
auch der Weg zur Automatisierung entsprechend abgekurzt. Der geschulte Blattleser 
hat beim Studieren viel weniger Zeit und Muhe aufzuwenden als der ungeschulte; wenige 
Wiederholungen im konkreten Fall genugen, urn den neuen Satz auch gelaufig wieder- 
geben zu kflnnen. Die so durch Lesetechnik gewonnene Gelaufigkeit lafit sich an jedem 



72 KURT WESTPHAL 



beliebigen Satz anwenden, wahrend sich die meclianisch erworbene vorzugsweise auf 
die ublichen Tonleiterskalen, Akkordzerlegungen und ahnliche primitive Bewegungs- 
formen beschrankt. Lesetechnik ist auch zu jeder Art der niiancierenden Vortragstechnik 
die wirksamste Vorschulung 

Eili Elementarunterricht, der das Lesetraining dem brillanten Vortrag voranstellt, 
mufi auf jeden aufierlichen Erfolg verzichten. Auch diese Forderung wird heute noch 
Befremden erwecken, denu die iiberlieferte Klavierkultur ist fast durchweg auf das Vor- 
spielen eingestellt, auf das Paradieren mit den erworbenen Fertigkeiten, auf Wettbewerb 
und Spitzenleistungen. Einstmals gait es die stupende Bravour, spater die ,,Spieler- 
individualitat". Erst die jungste Zeit besinnt sich auf die urspriingliche und ureigent- 
liche Mission des Klaviers als des eminenten Erziehungsinstruments zur Musikalitat. 
VoUendete Vortragskunst ist darum nicht minder hoch einzuschatzen als friiher; sie soil 
nur nicht vorzeitig im Unterricht einsetzen, nicht ehe die Lesetechnht hinlanglich ge- 
sichert ist. Diese Einsicht bewahrt davor, dafi der Anfangerunterricht einem Phantom 
nachjagt und dabei sein eigentliches Ziel aus dem Blick verliert. Klavieriiben, auf 
Leseschidung eingestellt, ist eben nicht mehr blofier Weg, sondern bereits das Ziel selbst, 
ein wirklich ausiibendes Musizieren, wenngleich nicht fur fremde Zuhorer, sondern nur 
fiir den Studierenden selbst. 

So gibt die Klavierkomposition unserer Zeit den Anlafi, dafi der Klavierunterricht 
von dem beruchtigten mechanischen DrUl befreit wird, und damit leitet sie den Virtuosen- 
kult iiber in eine wahrhafte musikalische Volksbddung. 



WISSE NSC HAFT 

Kurt Westphal (Berlin) 

DAS MUSIKSCHRIFTTUM IN DER GEGENWART 

Das musikalische Schrifttum, das zu Beginn des vorigen Jahrhunderts noch in 
den Anfangen steckte, hat sich in der Gegenwart zu einer Machthohe, zu einer Sicher- 
heit seiner Erkenntnisse emporgearbeitet, welche die Gewichtslage zwischen Schaffen 
und Schrifttum mehr und mehr zu Gunsten des Schrifttums verandert haben. Die 
dienende Stellung, die es bisher dem Kunstwerk gegeniiber einnahm und die es zum 
"Wegbereiter des Schaffenden machte, hat es verlassen und sich in seinen extremsten 
Formen zu einer geistigen Ausdi'ucksform entwickelt, fiir die das kxinstlerische Schaffen 
anderer kaum mehr als ein Vorwand zu eigener geistig schopferischer Tatigkeit ist. 
Fast hat sich das Verhaltnis gegen friiher umgekehrt: zog friiher die Produktion das 
Schrifttum — oft in recht betrachtlichem Abstand — nacli sich, war es dessen Aufgabe 
gewesen, das Zeitschaffen zu analysieren, das Ungewohnliche und Neuartige zu erkennen 
und zu erklaren, so folgt es ihm jetzt hart auf dem Fufie, ja es hat den Anschein, als 
ob das Schrifttum oftmals die Produktion nach sich zoge. Ein fortschritdiches Schrift- 



DAS MUSIKSCHRIFTTUM IN DER GEGENWART 73 

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turn ist entstanden, das dem fortschrittlichen ScliafFen voranmarschiert. Es stellt, oft 
unbewufit, Programme und Richtlinien auf, welche vom zeitgenossischen Schaffen eine 
Weiterentwicklung in bestimmter Richtung fordern. Das Schrifttum halt die Faden fest 
in der Hand. Der von der Idee der Zweckmafiigkeit erfullte Zeitgeist, der auch das 
Musikschrifttum beherrscht, will auch in der Entwicldungsgeschichte einer Kunst das 
Kausalitatsprinzip erfiillt sehen. Er leitet das Schaffen auf ein bestimmtes Ziel hin und 
schreibt dem Schaffenden die Aufgabe vor, die er zu erfiillen hat. Damit ist dem 
kimstlerischen Schaffen, das allmahlich in ein Abhangigkeitsverhaltnis zum Schrifttum 
geraten ist, die Naivitat verloren gegangen. Der Schaffende sieht sich auf alien Seiten 
von so vielen „Zeitproblemen" umdrangt, dafi er in eineni Zwang arbeitet, der die 
elementare und voraussetzungslose Schaffensart verbieten, die unmittelbare schopferische 
Entladung hemmen mufi, Der grofie Abseitige, einsam Schaffende ist in unserer Zeit 
verschwunden. Demi sie hat nicht mehr die Mufie, sich einem Einzelnen anzupassen; 
sie will Normen und Typen. Der Einzelne hat seine Macht verloren; seine Leistung 
wird ihm gestellt, wird ihm zudiktiert. Unterwirft er sich den Forderungen, denen er 
sich unentrinnbar gegeniiber sieht, nicht, so bleibt er unbeachtet. 

Der heutige Schaffende musiziert nicht einfach, wie es ihm sein Musiziertrieb 
gebietet, sondern er beginnt sich zunachst vorsichtig zu orientieren, an welchen Punkten 
die musikalische Schaffensbewegung halt, um sich dann die fur ihn giinstigste Stelle 
zur Ankniipfung zu suchen. Das Schaffen ist vcillig unter den Bann des Fortschritts- 
gedankens geraten. Der Schaffende stellt sich nicht mehr abseitig, vielmehr nimmt er 
die Enden der Entwicklung dort auf, wo die letzte Generation sie liegen liefi. Der 
schopferische Musiker der Gegenwart schafft bewufit Musikgescliichte. Fast scheint es, 
als ob das Schaffen nur der Vollendung eines historischen Entwicklungsbildes gilt. 
Diese EinsteUung, in der Musik seit etwa dreifiig Jahren lebendig, ist zweifellos zu 
gutem Ted die Folge jenes ungewohnlichen Aufstiegs, den das musikalische Schrifttum 
erlebte; es ubt einen geistigen Zwang aus, der mit dem Begriff der ,,Zeitstromung" 
identisch ist. Das moderne Schrifttum fangt das gesamte musikalische Geschehen in 
einer bis ins kleinste durchgearbeiteten entwicldungsgeschichtlichen Darstellung auf, in 
deren kunstvollen Netz jede Erscheinung festgelegt ist. Selbst wenn es einem Talent 
gelingt, halbwegs eigenwillig durchzubrechen und Neues (Neues im Sinne von Unvor- 
hergesehenes) zu scliaffen, so wird dieses Neue von dem Schriftum, das sich seiner 
sofort bemachtigt. so genau seziert, so rasch verdaut, dafi seine Auswirkung geschwacht 
und zumeist in eine bestimmte Richtung abgedriingt wird. Die kleineren, dem Tempo 
und den Forderungen der Zeit nicht gewachsenen Talente, jene Zuspatgeborenen 
werden vollig zerrieben; denn ihre inneren Schaffensvoraussetzungen stofien von 
vornherein auf Widerstand. Die entwicldungsgeschichtliclie Betrachtungweise des modernen 
Schrifttums, das weniger den musikalischen Wert eines Werkes als vielmehr seine 
entwicldungsgeschichtliclie Bedeutung, d. h. seinen Grad an Fortschrittlichkeit verzeichnet, 
unterdriickt naturgemafi Talente, deren Werke eine Epoche nur zahlenmafiig bereichern ? 
ohne sie zugleich vorwarts zu treiben. Dadurch entstehen jene so haufigen Verbiegungen 
einfacher und an sich liebenswerter Talente, welche nunmehr glauben, sich in Sch6n_ 
bergsche oder Strawinskysche Ausdrucks- und Formkreise hineinschrauben zu mussen_ 
Hier kann Fortschrittlichkeit des Musikschrifttums zur Gefahr- werden, denn die Fort- 



74 KURT WESTPHAL 



schrittlichkeit, urspriinglich auf Seiten des Schaffenden, geht auf das Schrifttum iiber und 
vergewaltigt das Schaffen. Trotzdem ware es mufiig, im Anschlufi an solche Erkenntnisse 
sogleich kritikeifrig von einer Gefahr zu reden, die dem Schaffen durch das Sclirifttum 
droht. Die mehr und mehr wachsende Macht des Schrifttums ist zunachst einmal eine 
Tatsache, ist ein Vorgang, dessen Verlauf wir interessiert und erwartungsvoll beobachten, 
ohne ihm als einem vermeintlich unnormalen und beklagenswerten Zustand entgegen- 
zuwirken. Audi die Umkehrung eines bisher gegebenen Verhaltnisses weckt neue 
Spannungen und damit neue Krafte und Moglicbeiten. Kann der Einflufi des Schrift- 
tums gefahrlich werden, indeni er zu Verbiegungen kleinerer Talente in der erwahnten 
Art fuhrt, so geht andererseits viel Anregung auf das Schaffen von ihm aus. 

Es ist fur das moderne Schrifttum bezeichnend, dafi es immer und immer wieder 
die kunstlerische „Lage" der gegenwartigen Musik feststellt. Hierin liegt zweifellos ein 
gewisser Machtwdle, der die Beherrschung der Ereignisse nicht aufgeben, die Zugel zu 
ihrer Leitung nicht loslassen will. Das Schrifttum iiberwacht auf diese Weise das 
Schaffen, verzeichnet sorgsam jede kunstlerische Richtungsanderung, auf dafi nichts sich 
seiner KontroUe entzieht. Das gesamte Geschehen wird in ein System gebracht, in 
dem alle Punkte sich aufeinander beziehen, ein System, in dessen Spiegelung sich das 
musikalische Schaffen der letzten dreifiig Jahre wie eine aufierst zweckmafiige und im 
fortgesetzten Verhaltnis von Ursache und Wirkung stehende Entwicklung ausnimmt, 
deren vorbestimmte logische Einheitlichkeit unbezweifelbar ist. Bei solch kunstvoller 
Gliederung eines historischen Stoffes konnte es nicht ausbleiben, dafi das Schrifttum 
oft willkurlich korrigierend in das wirkliche Entwicklungsbild eingriff, dafi es retuschierte 
um die Einheit in der Darstellung der Ereignisse zu wahren. Die schwerste Gefahr, 
der es dabei begegnen mufite — eine Gefahr, der es vielleicht nicht entgehen konnte — 
war vor allem die: Werke und Personlichkeiten, deren entwicklungsgeschichtliche und 
vermittelnde Bedeutung ihren Wert in erster Linie bestimmten, iiberstark zu belichten 
und vor alien positiv Schaffenden in den Mittelpunkt der Betrachtung zu riicken. 
Hier diirfte der Schliissel zu Schonbergs Einschatzung liegen; denn dafi Schonberg 
als Schaffender iiber schatzt worden ist drirften heute selbst diejenigen zugeben, welche 
die entwicklungsgeschichtliche Notwendigkeit von Schonbergs Leistung nach wie vor 
anerkennen. Verfolgt man die Geschichte der Tonalitat und der funktionehen Harmonik, 
so ist Schonberg in ihrem Verlauf die aufschlufireichste und fesselndste Erscheinung. 
Aber ebenso mufi man gestehen, dafi sein Schaffen auch nur im Hinblick auf dieses 
Problem fur den Betrachter (der hier richtiger fur den Horer steht) interessant wird. 
Lost man die Beziehungen zwischen Schonbergs Werken und jenem Problem der tonalen 
Emeuerung, zu dem sie wie ein Kommentar wirken, so verlischt ihre Lebenskraft 
augenblicklichst. Seiten wird darum Schonberg eine positive Bejahung seiner Werke 
erfahren. Ja, es ist uns kaum noch moglich, Schonbergs Werke vorurtedslos zu horen. 
Sie sind fur uns in solche Fiille von geistigen und geschichtlichen Beziehungen ge- 
bettet (Beziehungen, die zu schaffen wir dauernd selbst bemuht waren), es kreisen um 
sie herum so viele Probleme, dafi, wir sie nicht mehr isolieren und fur sich betrachten 
konnen. Jedes Urteil iiber Schonberg lauft darum auf jene hochst merkwurdige Zwie- 
spaltigkeit der Urtedsfassung hinaus: Schonberg wird zu einem prinzipiellen Fall ge- 
stempelt, der unmittelbaren Einwirkung seiner Musik aber geht man moglichst 



r 



DAS MUSIKSCHRIFTTUM IN DER GEGENWART 75 

aus dem Wege. Wie schwach das Bedurfnis nach seinen Werken selbst unter modernen 
Komponisten ist, beweist zur Geniige die geringe Zahl direr Auffidirungen. Gibt es 
einen zweiten Musiker, der mehf diskutiert und relativ weniger aufgefiihrt wird ? 

Dieser Fall eines Mifiverhaltnisses zwischen lebendiger Wirkung und entwicklungs- 
geschichtlicher Bedeutung diirfte wohl einmalig sein. Schonbergs Schaffen wird nur 
bedeutsam im Blickfeld einer entwicldungsgeschichtlichen Betrachtungsweise, fur die 
das moderne Schrifttum zweifellos viel Spiirsinn hat; es wird symptomatisch bleiben 
fur eine Zeit, die sich im Zustand geiahrlichster kiinstlerischer Krise befand. Eine 
Personlichkeit wie Schonberg aber mufite kommen; mufite alle bisherigen Gesetze und 
Bindungen, deren allmaldiger Auflosung die Musik des ausgehenden 19. Jahrhunderts 
deutlich sichtbar zustrebte, zertriimmern, wenn auch mir um zu beweisen, wie not- 
wendig einschrankende Gesetze fur jedes kunstlerische Schaffen sind. Als Anreger, als 
Antriebkraft einer neuen Bewegung kann man Schonberg garnicht hoch genug werten. 1 ) 
Sicher hat er durch die Unerbittlichkeit, mit der er Konsequenzen zog, die Entwicklung 
der modernen Musik rasch vorwartsgetrieben ; dafi er das alte, scho'n iiberall geflickte 
und nur noch notdiirftig haltende System der Tonalitat aufrifi, und dadurcli eine durch- 
gi'eifende Erneuerung herbeizwang, konnte der Musik nur heilsam sein. Da aber 
anderseits Schonberg den Entwicklungsweg der modernen Musik so beschleunigt hat, 
da er alle in ausfiihrte, was sonst viedeicht nur von mehreren Generationen erreicht 
worden ware, steht die neue Musik zu der alten in so jahem Kontrast. Schonberg ist 
der einzige, der diese Kluft uberbriickt. Will nun das Schrifttum die Verbindung her- 
stellen, will sie die neue Musik aus der alten ableiten und die Geschichte der Musik 
in ihrem Ubergang vom 1 9. zum 20. Jahrhundert als organische Einheit darstellen, so 
kann sie dies nur mit Hdfe Schonbergs, so muft sie Schonberg uber den positiven 
Wert seines Schaffens hinaus verbreitern. Denn zu ihm streben die wesentlichen Linien 
des 19. Jahrzehnts, von ihm mhren die wichtigsten in die Moderne. Er wird der 
Schnittpunkt der Jahrhunderte, das Durchgangstor vom alten zum neuen, er wird die 
Achse, um die sich die moderne Musik dreht. Eine gewaltige Erneuerungsbewegung, 
wiirdig, von mehreren Generationen vollendet zu werden, ist durch Schonberg auf den 
knappen Raum eines Jahrzehnts zusammengedrangt. Nur durch seine Verbreiterung 
kann die ruckhafte Umdrehung der Musik in der liter arischen Darstellung zeitlich und 
kunstlerisch ausgegeglichen scheinen. 

Dieses Bestreben, das urspriinglich Revolutionare in Evolution zu wandeln, seine 
Notwendigkeit und organische Bedingtheit in alien Punkten nachzuweisen, ist allein 
der Grund, der das Schrifttum notigt, das Kapitel Schonberg breit auszufiihren; denn 
das Bindeglied zwischen alter und neuer Musdt, das sein Schaffen darstellt, kann nicht 
entfernt, sondern mufi zum Verstandnis fur das Anbrechen einer neuen Epoche be- 
festigt werden. Das Kapitel Schonberg zeigt in der Geschichte der neueren Musik am 
eindringlichsten, wie sich das Schrifttum bewufit gegen das vom lebendigen Eindruck 
bestimmte Urteil wendet, wenn es seine Zwecke erfordern, d. h. wenn eine von ihm 
aufgerollte Stilgeschichte dadurch liiclcenloser und einheitlicher gestaltet werden kann. 
Es unterstreicht em langst iiberwundenes Ubergangsstadium, dem die Schaffenden nur 

') Vgl. die eingehende Behandlung Schonbergs in meinem bci Teubner-Leipzig demnadist ercheinenden 
Buche iiber die moderne Musik. 



76 MELOSKRITIK 



noch eine Art dankbarer Hochachtung entgegenbringen, obwohl es seine durchaus rela- 
tive Bedeutung erkennt. Greift das lebendige Musikleben heute nur noch selten genug 
zu Schonberg, so verankert ihn das Schrifttum in seinen Darstellungen umso sicherer. 
Klar geht daraus hervor, in wie verschiedenen Richtungen sicb beider Interessen be- 
wegen. Im Musikleben bleiben nur Gipfelleistungen bestehen, das Musikschrifttum aber 
spiirt verborgene psychologische Zusammenhange auf und ruckt diese in den Vordergrund. 



MELOSKRITIK 

Die neue. liier angestrebte Form der Kritik beruht darauf, dafi sie von 
mehreren ausgeiibt wird. Dadurch soil ilire Wertung von alien Zu- 
falligkeiten und Hemmungen abgelost werden, denen der Einzelne 
ausgesetzt ist. Langsam gewonnene gemeinsame Formulierung, aus 
gleicher Gesinnung entstanden, erstrebt einen hoheren Grad von Ver- 
bindlichkeit. Die Werkbesprechung will alle Bezirke gegenwartigen 
Schaffens umspannen. Die Aulfulirungsbesprechung mufi sicb auf 
Berlin als Knotenpunkt des deutschen Musiklebens beschranken. 

Werkbesprechung 

Hans Mersmann — Hans Schultze-Ritter — Heinrich Strobel — Lothar Windsperger 

HANNS EISLER 

Die Berliner Urauffuhrung der „Zeitungsausclmitte" fur Gesang und Klavier, Opus 1 1 
von Hanns Eisler gibt Veranlassung, sicb mit der Personlicbkeit und den bisher vor- 
liegenden Werken dieses Komponisten eingebender zu befassen. Denn in den „Zeitungs- 
ausschnitten" liegen Ausdruckswerte, welche die Aufmerksamkeit fesselten und die audi 
manches in seinen fruhereii Arbeiten in neueni Lichte erscheinen liefien. 

Hanns Eisler ist 1898 in Leipzig geboren. Er \s r ar in den Jahren nach dem Kriege 
Schiiler von Arnold Schonberg, dann von Anton von Webern. Er lebt seit 1925 in 
Berlin. 

Bei dem Uberblick iiber Eislers Arbeiten ergibt sich eine ziemlich deutliche und 
wesentliche Scheidung zwischen seiner Instiaimental- und seiner Vokalmusik '). Wie 
fur alle Schiiler Schonbergs wird es auch fur ihn zum Problem, gegen die starke und 
suggestive Personlichkeit des Lehrers sich selbst zu behaupten. So zeigt die Klavier- 
s on ate Opus 1, die „Arnold Schonberg in grofiter Verehrung" gewidmet ist, dafi Eisler 
Schonbergs Handschrift in einem erstaunlich hohem Grade beherrscht. Doch bleibt ihm 
der wesentlichste Zug Schonbergs fremd: der sich aus dieser Sprache zwanglaufig er- 
gebende Wille zur Konzentration. Eisler erkennt den Widerspruch dieser stilistischen 
Haltung mit dem traditionellen Formschema der Sonate noch nicht, das er ohne Be- 



x ) Im Druck liegen vor: Klaviersonate Opus 1, Sechs Lieder Opus 2, Klavierstiicke Opus 3, „Palm- 
strom" (Sprechsrimme und Instrumente) Opus 5, Duo fiir Violine und Cello Opus 7, „Tagebuch", (Kantate 
fur Fraucnterzett, Tenor, Geige und Klavier) Opus 9, samtlich in der Universal-Edition, Wien, dazu 
die „Zeitungsausschnitte", handschriftlich als Grundlage dieser Besprechung. 



WERKBESPRECHUNG 



77 



denken ubernimmt. Schon in dieser Arbeit ist eine fliissige Schreibweise zu erkennen, 
die, trotz dauernder Hemmungen, Schonberg jedenfalls fremd ist. Individuelle Ziige 
zeigt am starksten das Finale. Das Thema ist charakteristisch : 



. Allegro 




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Die ganze Anlage dieses ohne Abstraktion geschriebenen Satzes ist leichter, ffiissiger und 
musikfreudiger als die (schwacheren) vorangegangenen Satze. Die Klavierstlicke Opus 3 
zeigen bei einer gedanklich starkeren Nahe zu Schonberg eine deudiche Lockerung des 
Satzbdds. 

Das Duo fur Violine und Cello Opus 7 kennzeichnet die spatere Instru- 
mentalmusik. Schon die Bezeichnung „Duo" macht die Uberwindung der Sonatenform 
sichtbar. Der erste Satz des zweisatzigen Werkes tragt die Angabe „Tempo di minuetto", 
der zweite ist ein „Allegretto vivace". Eine zum Tanzerischen hinstrebende Melodik 
fliefit noch nicht ungehemmt. Das Zusammenspiel der beiden Melodieinstrumente ergibt 
keine lineare Polyphonie. Die oft zackige, arabeskenhaft gebrochene Linie hat dennoch 
eine Tendenz zur Rundung. Die Einfachheit der Form beruht auf aufierlicher Flachen- 
gliederung; sie ist noch nicht organisches Wachstum. Der zweite Satz lafit die anfangs 
verschleierte Geste Schonbergs starker hervortreten. 



Erst seine Vokalmusik zwingt Eisler zu einer bedingungslosen Auseinander- 
setzung mit Schonberg und deckt seine Individualitat mit wachsender Klarheit auf. Die 
sechs Lieder Opus 2 vertonen Texte von Claudius und Klabund. Aus dem Erlebnis 
der Lyrik erwachst eine noch positive Einstellung zum Text. Ihr Ausdruck ist eine im 
allgemeinen trotz geweiteter Intervalle (Schonberg) gesangvoll fliefiende Linie, von der 
der folgende Anfang des zweiten Liedes ein Bdd geben kann: 



Ruhig (nicht verschleppen) 
(Sehr Icise) 



(breit) 



Ach es ist so dun - kei in des To - des Rammer, tb'nt so trau - rig-, wenn er sich be - weg-t. 

Die „P almstrom"-Gesange Opus 5, welche die Entwicklung der Vokalmusik 
Eislers fortsetzen, sind fur seinen Weg wohl am meisten cliarakteristisch. Sie sind in 
ihrer Verbindung von Sprechstimme mit einzelnen histrumenten eine Nachahmung von 
Schonbergs „Pierrot Lunaire", die sich an einzelnen Stellen bis zur Kopie steigert und 
die eigenen Entwicklungswerte des Komponisten voriibergehend verschwinden lafit. 
Unter den fiinf Stucken stellt sich das letzte alien andern selbstandig gegenuber. 
Wahrend jene im „Pierrot Lunaire" beinahe restlos untergehen, schlagt dieses „ Couplet 
von der Tapetenblume" Tone von starkerer Eigenart an. Dieser Ton, den der Komponist 
selbst durch die Anweisung „wie im Kabaret vorzutragen ; halb singend" erlautert, ist 



78 



MELOSKRITIK 



vergessen Sie nicht: es ist Friihling! Streiken Sie wegen dem furchtbaren Lichthof?"). 
zum ersten Male von Schonberg aus xiberhaupt nicht mehr denkbar. Auch hier konnen 
die ersten Takte der Singstimme zeigen, worum es sich handelt : 




pe - ten-blu - me bin ich 



So wird die Kant ate, die im letzten Sommer in Baden-Baden aufgefuhrt wurde> 
das erste Stuck, das Eislers Gesicht ganz klar zeigt. Freilich werden hier iiberwiegend 
seine Schwachen sichtbar; nur vereinzelte Ansatze lassen das Ziel erkennen. 

Die „Texte'" dieser Kantate sind eine letzte Absage an die Lyrik. Es sind banale, 
improvisierend gereimte Alltaglichkeiten, letzten Endes eine snobistische Selbstpersiflage. 
(Beispiele: „Es ist unmoglich, ganz allein in einer fremden Stadt zu sein; oder: Wenn 
man ein dummer, schlechter Biirgerknabe ist, o wie alles hafilich ist! Wenn ich einst 
geh zur ewigen Ruh, deckt mich mit Notenpapieren zu".) 

Flucht in diese Atmosphare ist vielleicht ebenfalls als Notwehr gegen Schonberg 
zu verstehen. Sie wird aber zugleich zur befruchtenden Kraft. Denn an den besten 
Stellen der Kantate gewinnt eine gewissermafien banalisierte Singstimme unmittelbaren 
Impuls aus den Worten. Hier zugleich wird die Haltung wieder gewonnen, welche sich 
im Couplet des „Palmstr6m" vorbereitet hatte. Der Anfang des Stiickes „Depression" 
dient als Beispiel: 



h'iB - lioh ist, 




o wie al - les h'aD - lich 



ist I 



Vereinfachte Intervallspannung wirkt sinnfalliger und bewirkt grofiere Plastik des 
Rhythmischen. Solche Entwicklungs ansatze treten immer wieder an einzelnen Stellen der 
Kantate auf. Wenn sie freilich erst aus der ruckschauenden Perspektive der „Zeitungs- 
ausschnitte" ganz klar erkennbar werden, so liegt das daran, dafi der Stil der Kantate 
durch den iiberheblich gesteigerten Terzettsatz und vor allem durch die meist sehr 
schwachen instrumentalen Zwischenspiele, die ohne Notwendigkeit in eine fruhere 
Entwicklungslage zuriickfallen, gefahrdet wird. 

Auf diesem Unterbau erscheinen Hanns Eislers „Zeitungsausschnitte - ' (fiir 
Singstimme und Klavier) als Hohe, als ein zum ersten Male in seiner Gesamtheit ge- 
gliiclctes Kunstwerk. Der Bruch mit dem Gedankenkreis Schonbergs hat sich nun radikal 
vollzogen. Was sich in der Kantate durch nihdistische Verspottung des Textes vorbe- 
reitet hatte, wird hier zum Ausdruck eines Weltbildes. 

Zeitungsausschnitte : das ist nicht ganz wortlich zu verstehen. Eisler vertont 
Kinderreime („Mariechen, du dummes Viehchen" oder: „Wird schon wern, mit der 
Mutter Barn!") oder die Heiratsannonce eines Burgermadchens und eines Grundbesitzers, 
die Enquete eines Landesschulrats in einer Volksschule uber die Siinde oder die Fruh- 
lingsrede an einen Baum im Hinterhaushof („Ich bitte Sie sehr, zu bliihen, Herr Baum ; 



WERKBESPRECHUNG 



79 



Das Gemeinsame ist die Zone aller dieser Texte; sie ist proletarisch, eine bisweilen zum 
blutigen Hohn gesteigerte Absage an biirgerliche Gesinnung und dariiber hinaus auch an 
biirgerliche Kunst, an individuellen Ausdruck, an Lyrik iiberhaupt. Schon der Mut und 
die Gesinnung, welch e dieseTexte zusammenstellten und vertonten, sind ein positiver Faktor. 
Der Blick auf die Musik verstarkt diesen Eindruck. Es lag die Gefahr nahe, die 
Schnoddrigkeit dieser Worte auch auf die Musik zu ubertragen. Das hat Eisler nicht 
getan. Es ist seine starkste Leistung: dafi er aus dem gemeinen Gassenhauer ein 
Kunstwerk von gespanntem Formwillen und klarer Gliederung aufbaut. Nicht nur das 
nun ganz eigene Gesicht des musikalischen Ausdrucks sondern die in den besten Stucken 
der Reihe durchstromende motivische Kraft und organische Geschlossenheit kennzeichnen 
dieses Werk. Es hat sich von der noch in der Kantate spurbaren nervosen Atmosphare 
befreit Von der melodischen und rhythmischen Durchgestaltung der Singstimme gibt 
der Anfang des „Kriegslied eines Kindes" ein Bild: 




Mei-ne Hut-ter wird Sol - dat; 

r*- />• r - 0* 



da zieht Bio Ho - 



mil- ro-ten Quft-Bten dran. 



Tra - ra - 



- ra tflchin - dra. 



Auch die instrumentalen Linien schwingen nun zum ersten Male wirklich aus. 
Dazu tritt eine starke Verstraffung des Rhythmischen und vor allem eine VoUendung 
der am klarsten im Duo fiir Violine und Cello sich vorbereitenden Lockerung des 
Satzes. Diese Lockerung ist ausgewogen gegen eine starke gedankliche Konzentration 
und gegen einen durchweg geordneten Formverlauf. Unter diesem Gesichtspunkt halten 
wir die „Fruhlingsrede an einen Baum im Hinterhaushof fiir das starkste Stuck der 
Reihe. Ein Ausschnitt kann einen Einblick in Satztechnik, melodischen Ausdruck und 
rhythmischen Gestaltungswillen des Komponisten geben: 



Strei - ken Sie we g*en dem furoht - ba - ren Licht - hor? Strei - ken Sie we - g*en der 




Bchreok - li - . oben 



Zins - ka - eer • ne? 




So ist der letzte Eindruck diesem Werk gegenuber der eines gegliiclcten uud wirk- 
lichen Zeitbildes. Es bleibt abzuwarten, ob Eisler iiber diesen einmaligen Wurf hinaus 
zu einer umspannenden Leistung gelangt, abzuwarten auch, ob sich das hier angefafite 
Stoffgebiet einer Weitung fahig erweist. 



80 MELOSKRITIK 



Auffuhrungsbesprechung 

Hermann Springer — Heinrich Strobel — Werner Wolffheim 

Klemperer brachte in der Krolloper den „Don Giovanni". Er lost ihn sowohl 
von rokokohafter Weichheit wie von betonter Damonie ab und gestaltet ihn als reines 
Buffospiel. Umso bedeutungsvoller hebt sich der Schlufi; es werden Energien frei, die 
sich im Spielgeschehen sammelten. Klemperer strebt nach auGerster Konzentration und 
Klarheit, nach planvoller Vereinfachung der Szene, die durch weitestgehende Ausniitzung 
ernes festen Biihnenvorbaus pausenlosen Ablauf ermoglicht. Exakte Ubereinstimmung 
zwischen Biihne und Orchester wird nicht im gleichen Mafie erreicht wie im „Fidelio". 
In den Ensembles fallt allzu grosse Gebundenheit der musikalischen Linien auf. Der 
Kontrast der Gegenspielfiguren zu der Aktivitat Don Giovannis und Leporellos ist in 
maskenhafter Starrheit herausgearbeitet. Die Rezitative laufen in hochster dramatischer 
Spannung ab. (Leider vernachlassigt auch Klemperer in der Behandlung der Melodie- 
linie die Stilgesetze der Zeit; die Bezitative bringt er ohne die notwendigen Appogiaturen). 
Ewald Diilbergs Biihnengestaltung geht von einer dem Barock genaherten Architektonik 
aus, die in der Schlufiszene des ersten Aktes zu einer der Spielentfaltung hinderlichen 
Enge fuhrt. Die in der Bichtung zum Puppenspiel stilisierten Kostiime bringen Eeben 
in die auf schwarz, rot und gold gestellten Bilder. Die gesanglichen Leistungen stehen 
auf ansehnlicher Hohe. Gesanglich iiberragend der Ottavio Fidessers. Krenn in 
der Titelpartie : straff, draufgangerisch, doch ohne Verfuhrerliebenswurdigkeit. Sehr klar 
und fesselnd angelegt die Elvira der Tilly Blatter mann. Tuchtig die Donna Anna 
der aus Leipzig herbeigeholten Fanny C 1 e v e. Dagegen grob, humorlos und laut der 
Leporello K aim amis, grotesk iibersteigert der Masetto Go Hands. 

Fur die Stadtische Oper ist das Fehlen einer straffen Fiihrung nachteilig. 
Walter beschrankt sich auf die Leitung der von ihm einstudierten Werke. Die Re- 
pertoireopern bleiben oft Kapellmeistern uberlassen, die ihren Aufgaben nur bedingt 
gewachsen sind. Diese Auffuhrungen leiden auch unter dem Mangel an Kontrolle und 
Auffrischung, da kein leitender Begisseur eingreift. Seit Beginn der Spielzeit behilft man 
sich mit Gastregisseuren : Martin, Niedecken-Gebhard, Dobrowen, Horth. 

Em Strawinskijabend, der eingeschoben wurde, urn auch an dieser Stelle ein- 
mal an das neue Schaffen zu erinnern, machte wenig Eindruck. „ Die Nachtigall", 
im Konzertsaal bereits mehrfach gespielt, ist nur eine lose Folge von drei Bddern nach 
Andersens Marchen: ein artistisches Werk, zum franzosischen Impressionismus neigend, 
reich an zarten Farbmischungen, in seiner Einheit durch die verschiedene Entstehungs- 
zeit der einzelnen Akte bedroht. Wahrend der erste Teil noch im Bereich Debussys 
hegt, wirkt in der zweiten Halfte bereits der Stil der „Sacre"-Periode nach. Dobrowen 
ftihrte die Inszenierung aus seiner Kenntnis des russischen Theaters. 

Das Jugendwerk „Der Feuervogel" ist vielfach koiiA r entionelle Theatermusik 
unter Verwendung volksmafiiger Elemente. Es wurzelt in der alten russischen Ballett- 
tradition und mufi dementsprechend wiedergegeben werden. Dazu reichten jedoch 
die tanzerischen Krafte nicht aus. In dieser dilettantischen Form war die Auffuhrung 
nicht zu rechtfertigen. 



ARTHUR HONEGGER: ANTIGONE 81 

Fraglich bleibt es auch, ob die Neueinstudierung der „Manon" von Massenet 

notwendig und wiinschenswert war. Gewiss ist es verstandlich, wenn man neue Auf- 

gaben fur ein zugkraftiges Mitglied des Ensembles wie Frau Ivogiin sucht. Aber das 

darf nicht dazu fiihreii, dafi das Repertoire in eine bestimmte Richtung gedrangt wird. 

Die glanzende Auffiihrung beherrscht Frau Ivogiin, neben ihr ragt Carl Martin 

Oehmann hervor. 

* 

Von Klemperer hatte man erwartet, dafi er in jedem Konzert ein Werk aus 
dem Bereich neuer Musik ansetzen wiirde. Ein Brahmsabend war an dieser Stelle nicht 
notig. Klemperer iiberzeugt durch seine energische, strenge nnd sachliche Interpretation 
der c-moll Symphonie. Er beschonigt nicht den herben brahmsischen Klang, er ge- 
staltet den dritten Satz unvergleichlich schwebend und fliefiend. Durch den iiberlegenen 
und beherrschten Vortrag des Violinkonzerts stellt sich Joseph Wolfstal an diesem 
Abend in die erste Reihe der Geiger. Bei Furtwangler hort man vor Bruckners 
7. Symphonie, die er aus innerer Verbundenheit mit dem Werk vollendet aufbaut, 
Wanda Landowska auf dem Cembalo mit einem kaum fiir dieses Instrument ge- 
dachten, spielerisch-zarten Konzert von Haydn. Die Kunstlerin, die einen giiltigen 
Vortragsstil fiir alte Musik geschaffen hat, steigert die Komposition durch die Geistigkeit 
und Subtilitat ihrer Wiedergabe, obwohl der Riesenraum der Philharmonie die Wirkung 
beeintrachtigte. Konzenrrierter und vielseitiger kam das Wesentliche ihrer grofien Kunst 
in einem Vormittagskonzert der Volksbiihne zur Geltung. Bruno Walter stellte eine 
von Richard Straufi fiir den einarmigen Pianisten Wittgenstein gelieferte Gelegen- 
heitsarbeit heraus, die den pomphaften Titel „Panathenaenzug" tragt. 

Zum ersten Mai erschien der Russische S taatschor mit Volksliedbearbeitungen 
und einer Messe von Rachmaninoff, die sich auf kirchliche Weisen stiitzt. Man bewunderte 
die auf jahrhundertelanger Tradition beruhende Disziplin, die Ausgeglichenheit des er- 
lesenen Stimmaterials, vermifite aber die Vitalitat, die man gerade bei russischen Choren 
gewohnt ist. Zwei Abende des Lenerquar t etts bewiesen erneut, dafi diese bedeutende 
Kammermusikvereinigung immer noch nicht die Resonanz bei den Horern hat, die sie 
aufgrund ihrer iiberragenden Leistungen verdient. Das englische Brosaquartett 
fiihrte sich aufs gliicldichste mit einem temperamentvollen und sensitiven Stiick von 
Arnold Bax ein. 



UMSCHAU 



ARTHUR HONEGGER: ANTIGONE 

Musikalische Tragodie in 3 Aufziigen. — Urauffiihrung in deutscher Sprache am 
11. Januar 1928 im Stadttheater Essen. 

Machtig ragen die gewaltigen Dramen der An tike in ihrer iiberwaltigenden, zeit- 
losen Monumentalitat in unserere Zeit hinein, die sich miiht, fiir ihre ewige, iiber- 
menschliche Grofie nachschaffend neuen Ausdruck zu fiiTden. Fast gleichzeitig sind 



82 UMSCHAU 



zwei der allermodernsten unter den Musikern unserer Tage in den Bann der beiden 
grofiten Tragodien des Sophokles, ja des Altertums iiberhaupt, gezogen : Strawinsky 
schrieb einen Oedipus. Honegger seine Antigone. Man versteht, was den Schopfer des 
„K6nig David", der „Judith" an dieser gewaltigen Dichtung anziehen mufite: die Wucht 
ihrer Linienfuhrung, die Einfacbheit und Tiefe ihrer Psychologie, die Polaritat ihrer 
seelischen Gegensatze, die ungeheure Grofie ihrer cborischen Spraclie. Der Komponist 
fand einen Textdichter in dein Franzosen Jean Cocteau, der die alte Tragodie 
„frei nach Sophokles" (so wortlich auf dem Titelblatt!) nachdichtete. Es habe ihn ge- 
reizt, heifit es im Vorwort des Dichters, ,,Griecheidand vom Flugzeug aus zu photo- 
graphieren", also die Dichtung „aus der Vogelperspektive" zu iibersetzen, wobei dann 
„oft grofie Schonheiten verschwinden, andere aber auftauchen", jedenfalls aber die 
Moglichkeit gegeben sei, „das alte Meisterwerk zu neuem Leben zu erwecken". Wir 
sind nun der Meinung, dafi dem Dichter dieser gewifi lobliche Vorsatz nicht im vollen 
Mafie gelungen ist. Was wir feststellen, ist eine rticksichtslose Kurzung des Originals, 
bei der z. B. die Strophen eines Chorlieds auf ebensoviele Zeilen zusammengedrangt 
werden und die ganze Handlung wirklich „wie im Fluge" voriiberzieht. Die Vorgange 
bekommen etwas atemloses, gehetztes, und es fragt sich, ob durch eine solche Zu- 
sammenballung nicht dem tragischen Ablauf des Geschehens seine Folgerichtigkeit 
und Grofie genommen wird. Starker als dieser Einwand wiegt das Bedenken gegen 
die Stilform der Sprache, die diese sogenannte Neudichtuiig spricht. Sie wirkt auf 
weite Strecken in ihrer iibergenauen Anlehnung an den sophokleischen Ausdruck wie 
eine schlecbte Primanerubersetzung aus dem Griechischen, um sich dann wieder, vor 
allem in der Partie des Kreon, einer sehr ungriechisch-derben Ausdrucksweise zu be- 
dienen. So redet Thebens Herrscher seinen Sohn an: „Mein Herr von Haberecht" und 
meint angesichts der ihr Schicksal beklagenden Antigone: „Nicht braucht es . . . soviel 
Kantaten. Hopp, schnell hinweg mit ihr". Oder er ruft: „Was soil der Blodsinn", 
driickt sich also recht korpsstudentisch-schneidig aus. Dafi der Chor singen muj! : 
„Bacchus, Thebens erster Burger" sei als weitere Seltsamkeit angemerkt. Man weifi nun 
allerdings nicht, wieviel von diesen Entgleisungen auf die Bechnung des franzosischen 
Textdichters kommt und was auf die des Ubersetzers Leo Melitz. Betont dieser 
doch ausdriicklich, da6 die deutsche Fassung „keine Ubersetzung im alltaglichen Sinne, 
sondern eine Bearbeitung" sei. Nur diese Tatsache iibrigens, da£ sich mit der bei der 
Ubersetzung notwendig werdenden Anpassung der Singsstimmen an den deutschen Text 
starke Unterschiede zwischen dem franzosischen Original und der deutschen Fassung 
herausgebildet haben, rechfertigt die Bezeichnung der nach der Briisseler Urauffuhrung 
stattfindenden Essener Wiedei'gabe als einer neuen „UraufTuhrung". 

Auch der Komponist hat wie der Dichter und der Ubersetzer eine Vorrede voran- 
geschickt. Folgende Gedanken hatten ihn geleitet: erstens „das Drama in ein eng- 
maschiges symphonisches Gewebe zu hullen, ohne seine Beweglichkeit zu belasten"; 
zweitens „das Bezitativ durch eine melodische Fiihrung der Singstimme zu ersetzen . . . 
und eine melodische Zeichnung zu suchen, die durch das Wort selbst hervorgerufen 
wird, vor allem durch die ihm innewohnende Plastik, welche ihre Umrisse klarer werden 
laGt und die Linien deutlicher hervorhebt", endlich „als ehrlicher Arbeiter eine 
ehrliche Arbeit zu liefern". 



ARTHUR HONEGGER: ANTIGONE 83 

Um mit dem letzten anzufangen : man wird dem Komponisten zugeben miissen, 
dafi er ein respektables Stiick Arbeit geleistet hat. Audi die werden es zugeben 
miissen, die die Resultate dieser jahrelangen Arbeit (Januar 1924 bis Februar 1927 
steht unter der Partitur) bewufit oder gefiihlsmafiig ablehnen. Man spiirt diese Arbeit 
weniger beim erstmaligen Horen, obwohl einem audi da schon die klare Gliederung 
und straffe Zudit dieses vermeintlidien Wirrwarrs von Tonen zu Bewufitsein kommt. 
Aber zu wirklichem Respekt gedrangt fiildt man sicb erst bei genauem Studium der 
Partitur oder des Auszugs. Wie eiiideutig und einpragsam, wie lapidar sind diese 
Themen, vom ersten, spater immer wiederkebrenden Thema des Trotzes im kurzen 
Ordiestervorspiel, bis zum letzten wucbtigen „zu spat" des Chores, das, vom Orchester 
unisono wiederholt, die Tragodie abschliefit. Wie vielfaltig die motivischen Beziehungen 
von einem Teil des Werkes auf den anderen, die iiberall die tieferen seelischen Ver- 
bindungen herstellen. Das ist gewifi, in dieser atonalen und linearen Schreibweise 
offeiibart sidi ein gewaltiges Konnen. Doch ist diese Musik nicht nur gekonnt, nicht 
kalt und empfindungsleer. Wie ein Feuerstrom ergiefit sie sicb und reii&t unwider- 
stehlidi mit. Die Zusammengedrangtheit der szenischen Handlung, die Beschrankung 
des Dialogs auf das unbedingt Notwendige, die Sachlichkeit der Gefiihlssprache : rein 
dicbterisch genommen anfechtbare Qualitaten des Textes, der Musik sind sie jedenfalls 
zugute gekommen. Das ist ein kurzer vulkanhafter Ausbrudi von unerhorter, fast 
brutaler Leidenschafdichkeit, er erschiittert und befreit den Horer, er iiberwaltigt mit 
einem Wort. 

Bei ofTenem Vorhang rollt die Handlung ab, gegliedert durch die beiden gewal- 
tigen Gesiinge des unsichtbar aufgestellten Chores bei verdunkelter Biihne. Diese beiden 
Chore sind es vor ahem, die audi den widerstrebenden und kiihlen Horer sofort in den 
Bann ziehen. Dieser erste, einstimmige Gesang der Chortenore unter Begleitung der 
grellen Trompeten „Seltsame Menschheit, Meer bezwingend" (das sopholdeische „Vieles 
Gewaltige lebt") mit dem standig wiederholten Tonsdiritt c — e ist von erschutternder 
Pragnanz, der Bacchuschor gegen Schlufi der Tragodie von aufwiihlender Harmonik und 
Melodik. Hier erweist sich Honegger nicht nur als der bekannte Meister eines genialen 
Chorsatzes, sondern audi als Kiinder eines Griedientums, das sidi heute fur unseren 
Blidc als das eigentliche vor das ubliche Klischee der Gipsabgiisse, der edlen Einfalt 
und stillen Grofie gedrangt hat, eines berauschend leidenschaftlicheii, eines orgiastischen, 
eines dionysischen Griedientums, von dem schon Nietzsche, ja bereits der spate 
Holderlin wufiten. 

Die Sprache seiner Musik ist ohne Zweifel riicksichtslos, hart und unerbittlich 
gegenuber alien Anspriichen des sogenannten Wohlklangs. Sie hrddigt der monumentalen 
Linie, sie duldet nicht nur, sie sucht, sie liebt die Dissonanz. Doch gibt es audi 
tonale Momente von sehr einpragsamer und klangvoller Harmonik, so bei der Chorstelle: 
„jetzt ersti-ahlet ganz Theben im herrlichsten Siege" oder bei der anderen „ghicklich 
ist, wer sclnddlos". Jedenfalls aber lebt dies Werk nicht von der Harmonie, sondern 
von der Linie und mit ihr voni Rhythmus. Dieser ist denkbar einfach und klar, ja 
bildet den eigendichen tragenden Grundpfeder dieser Musik, und audi bei den einzelnen 
Themen ist das Urelement. nicht ihr Melos, sondern ihr Bhythmus. So erfullt sich 
audi des Komponisten Anspruch, im Sprechgesang seiner Singstimmen die innewohnende 



84 U M S C H A U 



Plastik des Worts sich auswirken zu lassen. Ein Wort wie etwa „Jupiter" oder „Anti- 
gone" wird in seiner ihm eigentumlichen rhythmisclien Pragnanz erlebt mid wieder- 
gegeben. Die Melodiefiihrung der ungemein schwierigen Singstimmen ist uberreich an 
rhythmischer Abwechshmg, an minutiosem Detail kleinster Zeitwerte, es bedarf rhyth- 
misch ganz sicherer, ja besonders veranlagter Sanger, um dieser die peinlichste Akribie 
verlangenden Gesangsweise gerecht zu werden. Diese Honeggersclie Art des Sprech-. 
gesangs halt den Sanger in einer ununterbrochenen, jeden Nerv und Muskel bean- 
spruchenden Spaiinung, die jede Bewegung, jedes besondere Mafi von Gestikulation 
ganz von selbst verbietet; moglichst wenig sicb bewegen, aber sehr klar und deutlich 
aussprechen, so lautet die Forderung, die zu Beginn der Partitur vom Komponisten an 
den Sanger gerichtet wird. An ganz seltenen Stellen nur erfolgt so etwas wie eine 
Entspannung und Losung, so bei dem herrlicben Altsolo eines Chorfiibrers : „0 Liebe, 
die alle Menschen beherrschet". Sonst bebalt man den Eindruck einer unaufhorlichen, 
zugleich magischen und nervosen Spannung, einer unheimlichen Erregung und 
Hast bei aufierlich statuenhafter Ruhe der Singenden. Die Instrumentation endlich ist 
mit alleji Wassern moderner Technik gewaschen, aber enthalt sich des artistischen Raf- 
fmements und der kapriziosen Uberraschungen. Sehr beliebt ist auch bei Honegger 
der solistische oder konzertierende. Gebrauch einzelner oder mehrerer Instrumente. 
Besondere Neuigkeiten in der Klangmischung fallen nicht auf, wohl aber einzelne 
Momente von pointierter und suggestiver Farbung. In der Dynamik finden sich 
starke Kontraste, zum Gliick, da die angestrengten Nerven jedes Pianissimo dankbar 
begriifien. 

Die Essener Spielleitung (Erich Hezel) hatte sich benriiht, dem wuchtigen Cha- 
rakter, dem Tempo und der Atmosphare des seltsamen Werkes Rechnung zu tragen. 
Sie hatte in der Ausstattung (Kaspar Neher), der Kostiimierung und dem sonstigen 
szenischen Drum und Dran den StU jenes vorklassischen Griechenlands, das wir aus 
erhaltenen Masken tragischer Schauspieler, Vasenbildern und Wandgemalden kennen 
und das dem Dichter und dem Komponisten vor Augen schwebte, treffen wollen. Der 
Chor stand verdeckt, die handelnden Personen sangen auf einer die ganze Biihne 
schneidenden Treppe, die vier Chorfiihrer hatte man durch tiberlebensgrofie, gemalte 
Figurinen dargestellt, diesen aber seltsamerweise grofie metallene Schalltrichter in den 
Mund gesteckt, durch die der Gesang der Chorfuhrer so klang wie eben der mensch- 
liche Gesang durch metallene Trichter klingt, also nicht gerade sclion. Sicherlich ein 
Fehlgriff der sonst stilbewufiten und einheitlichen Regie, aber etwas Nebensachliches, 
das zu Unrecht von einem Ted des Publikums als Hauptsache, besser Vorwand fur die 
Ablehnung des ganzen genommen wurde. Hier setzte denn auch bei der dritten Auf- 
fiihrung der Krawall ein, wahrend bei der eigentlichen Urauffuhrung bis auf den iib- 
lichen Achtungserfolg ziemliche Lauheit geherrscht hatte. Jetzt, als der Chorfiihrer 
durch seinen Trichter in metallisch dumpfen Lauten das Nahen Kreons, des neuen 
Herrn, anktindigte, begann man zu larmen, bis der Vorhang fallen mufite, trotz allem 
eher eine gefiihlsmafiige, vielleicht sogar von Drahtziehern absichtlich inszenierte Kund- 
gebung gegen Fremdartiges und Fremdlandisches als bewufite Ablehnung des musika- 
lischen Werks, das man auch an jenem Abend nach Hinausbeforderung der Ruhestorer 
ruhig zu Ende spielte und seither noch mehrfach vor einem Haullein unentwegter Ent- 



SPIEL AUF MEHREREN KLAVIEREN 85 

mente. Aber selten spingt ein Funke iiber: man sitzt wahrend des grofiten Teils des 
husiasten und einer grofien Mehrheit ratloser und erschreckter Abonnenten wiederholt hat. 

Die musikalisch-gesangliche Leistung der Uraufmhruiig war uberzeugender ala die 
szenische : das Orchester spielte zugleich mit Absclieu und Hingebung, unter dem sug- 
gestiven EinfluS seines Dirigenten Rudolf Scbulz -Dombur g, der diese an sicb scbon 
leidenschaftlicb vorwartsstiirmende Musik noch mehr mit nervoser Unrast fiillte und 
die grofiten Hindernisse der Partitur mit einem Temperament und einer Hingabe nahm, 
als ob sie nichts waren. Die Sanger zeigten sich den schwierigen Anforderungen ihrer 
Rollen aufs beste gewachsen, hervorzuheben waren vor allem Dodie van Rhyn-Stell- 
wagen in der Titelrolle und Hemrich Bias el als Kreon, letzteres auch darstellerisch 
eine glanzende Leistung. Dem Musikdrama voraus ging eine Auffuhrung des Honeggerschen 
Balletts „Der siegreicbe Ho r a tier", dem die Tanzgruppe der Biihue unter Jens 
Keith, verstarkt durch einen eigens dazu gebddeten Bewegungschor, zu einer sehr ein- 
drucksvollen AViedergabe verhalf. Auch bei diesem Werk des tanzerischen Stils erkannte 
man wieder, wie sehr die eigentliche Kraft Honeggers im Rhythmus liegt. 

Alles in allem ein grofier Tag fiir die Essener Oper, in die mit der Leitung 
Schulz-Dornburgs ein starkerer Wille zur Bejaliung des Modernen eingezogen ist. Ob 
die Antigone ihren Weg nehmen wird? Ob spatere Geschlechter sich zu dieser Musik 
bekennen werden ? Wir lassen diese Frage offen, erinnern aber an die Ablehnung der 
Straufichen „Elekti - a" vor 20 Jahren, die heute ein so selbstverstandlicher Besitz der 
neuesten Operngeschichte ist. Ob aber zukunftsreich oder nicht, jedenfalls ist die 
Honeggersche Musik in starkster Weise Zeitausdruck und als solcher von einer Bedeutung, 
die ihr kein Unvoreingenommener abstreiten wird. 

A. Rohlfing (Essen) 

SPIEL AUF MEHREREN KLAVIEREN 

1. 

Jean Wiener und Clement Doucet. Der eine : mager, ungeheuer beweglich, ein 
wenig spitz-fanatisch. Der andere: gemutlich, mit einem Anflug gemefierischer und 
zugleich seelenvoller Behabigkeit, ein gewinnend, dabei echt franzosischer Typ. Die 
Herren komm en aus Paris und spielen auf zwei Klavieren. Wiener: lebhaft, eindringlich, 
sichtbarstes Temperament; fallt ihm das Thema zu, so hammert er es ganz eckig heraus. 
Indessen Doucet immer Miene macht, als betatigten sich seine Hande nur fiir sich allein ; 
und die wieder laufen wie zufallig tiber die Tasten, bequem und scheinbar ohne Anstrengung, 
sodafi man, weniges sehend und erstaunlich viel horend, kaum den eigenen Ohren 
traut. Beide haben eine phanomenale Technik, ihr Zusammenspiel beweist dazu viel 
Feuer, viel Geist, eine seltene Exaktheit, ja, ein rhythmisches Gefiihl, wie man es 
nicht leicht ein zweites Mai findet. So fiihlt man sich bezaubert, hingerissen ; geniefit. 
Was aber? — die Verschiedenheit der Temperamente, so scheints. 

Walter Gieseking und Eduard Erdmann. Auch sie spielen einmal auf zwei Klavieren. 
Der eine: sehr behutsam, mehr die Musik streichelnd als sie dem Horer aufzwingend, 
iiberlegte Gestaltung bietend. Der andere: jugendlich-draufgangerisch, einer naiven, un- 
gebandigten Kraft vertrauend. Also gewifi auch hier zwei sehr verschiedene Tempera- 



86 UMSCHAU 



Abends unbewegt im Saal und empfindet den Gegensatz der Charaktere als uniiber- 
windliches Hindernis des Genusses. Und so sind wir geneigt anzunehmen, ein Irrtum 
nur habe uns zu der Meinung verleitet, dafi bei den Franzosen zunachst und als wesent- 
lichstes Moment die Ungleicbheit der kiinstlerischen Individualtaten uns erfreut habe. 

Wir denken zuriick. Die Franzosen waren wunderbar aufeinander eingespielt; 
man spiirte, dafi sie seit Monaten, seit Jahren miteinander musizieren. Die Deutschen — 
es war einer Konzert-Direktion gelungen, die beiden Kiinstler zu einem gemeinsamen 
Konzert zu veranlassen ; die wenigen Verstandigungsproben, die sie gehabt haben mogen, 
hatten nicht ausgereicht, eine musikalische und technisclie Gemeinsamkeit zu erringen. 
So stellten hier immer wieder (wobei eigentlich stets Erdmann verantwortlich gemaclit 
werden mufite) kleine Differenzen sicli ein, wahrend dort, bei den Franzosen, eine 
vollkommene, undurcbbrocbene Ubereihstimmung der Spieler fesselte. Da nun aber der 
eine der Eindriicke als bedeutungslos sich nur muhsam in unserer Erinnerung noch 
erhalt, der andere aber so sehr als unverlierbarer Gewinn lebendig bleibt, sollte es 
schwer fallen, sicli vorzustellen, wir hatten vielleicht geradezu das Gegenteil dessen, was 
wir zuerst gemeint, genossen: statt der Eigenart der Spieler eben die Aufhebung der 
Eigenart, die Verschmelzung zweier (nur anfanglich, nur in den Voraussetzungen un- 
gleicher) menschlich-musikalischer Haltungen? 

Eine Erinnerung taucht auf : Konzert von Paul Whiteman. Da spielten vier Leute 
auf vier Klavieren. Mit der absoluten Prazision von Maschinen. Die Reaktion darauf 
war, dafi man sich angeekelt fuhlte. Dies nahmen wir nicht mehr als Kunst auf, 
sondern als Erniedrigung des Musikers, des Menschen, der ja, trotz Bindung, Schicksal, 
„Maschinenzeitalter", sich als frei fiihlen will und fiihlen soil. Es kann kein Zweifel 
hieruber bestehen: die vollige Ausschaltung des individuell-kunstlerischeu Moments 
wirkt als Abtotung jeden Reizes, ja, unertriiglich, als Perversitat. Dabei verursacht nicht 
etwa, wie man zunachst meinen konnte, die Vierzahl der Klaviere und Spieler den 
Eindruck. Sondern wenn Jack Hylton Piano-Duets bietet, gleichermafien bestrebt, solche 
Metronom-Musik uns vorzusetzen, wachst in uns die gleiche Empfindung wie damals 
bei dem selbstgekronten Jazzkonig: Emporung. 

Beruhigt kehren wir zur ersten Meinung zuriick : es waren doch die Temperamente, 
die wir genossen haben. Nicht die aus der Verschiedenheit destillierte Gleichheit (in 
die von alien personlichen und asthetischen Werken nur ein armseliger Bruchteil sich 
retten konnte), sondern die auf der Basis der Ubereinstimmung von Technik und Ge- 
samtauffassung sich erhebende individuelle Freiheit bietet den hochsten Gehalt des Zu- 
sammenspiels mehrerer Musiker, in der Kammermusik wie beim Klavierensemble. 
Trotzdem ist solches Spiel nicht vollig irrational. Deiin mag uns scheinen, jene Eigen- 
art des Temperaments, die ja aus rhythmischen Feinheiten, aus der reichen Variabditat 
der Dynamik erlebbar wird, wirke vollig fessellqs sich aus — der musikalisch durch- 
blutete Mensch wird unwillkurlich die Ungebundenheit allein der Herausarbeitung der 
musikalischen Gestalt, der lebendigen Erfiillung der melodischen, dej; rhythmischen, der 
klanglich-harmonischen Phrase dienstbar machen. Sodafi da doch wieder ein fafibar 
rationaler Wert sich verwirklicht. Aber fredich, nicht die brutale und 6de Ratioiialitat 
der (immer primitiven) Maschine herrscht dann, sondern eine edlere,: die feine und stets 
wechselnde, sich anpassende des musikalischen, des asthetischen Geistes. 



SPIEL AUF MEHREREN KLAVIEREN 87 

Die Klarung dieser Einsicht war ein erster gedanklicher Gewinn dieser Abende, 
an denen die beiden Franzosen uns in so seltenem Mafie begltickten. 

2, 

Gieseking und Erdmann, bemiiht, allgemein bekannte Werke zu meiden und 
durch die Wahl der Kompositionen das Konzert moglichst anziehend zu gestalten (so 
boten sie eine schone Choralfantasie von Busoni und eine sehr feine kleine Suite von 
Debussy) fiihrten audi einige vierhandige Sachen auf, nunmehr eines einzigen Klaviers 
sich bedienend. Ein tiberraschender Eindruck ergab sich : das Spiel der beiden Solisten, 
das in den auf zwei Klavieren erklingenden Stucken des Programms, wenngleich ein 
einheitliches Bild nicht entstand, doch des Interesses nicht entbehrte, wirkte stumpf und 
vollig gleichgiiltig. 

Ein rechtes Alternieren von hoch und tief liifit sich auf dem Klavier, da die 
Divergenz zwischen dem Klangcharakter der die Aufienstimmen tragenden Lagen zu 
grofi bleibt, nur mit Miihe durchfiihren. Indem aber, aus diesem Grande, die Schaffen- 
den auf eine eigentliche Gegeniiberstellung des Primo und Secondo meist verzichteten, 
erfahrt beim Zuhorer die Freude am Duettieren (die den wesentlichen Wert des Spielens 
zweier Musizierenden bildet) unliebsame Einschrankung. So schenkt uns vierhandiges 
Spiel, reizvoll nur fur die Spielenden selbst (oder bestenfalls einmal fiir einen ini 
kleinsten Raum Miterlebenden), nicht prinzipiell mehr, als bereits der einzelne Klavier- 
spieler aus seinem Instrument zu gewinnen vermag. Ja, da noch dazu die dem Einzel- 
klavier gegeniiber vermehrte Fiille der Tone, andererseits die durch die Zweizahl der 
Spieler erschwerte Verschmelzung des oberen und unteren Parts die Gefahr der Unklar- 
heit erheblich steigert, bedeutet (wenigstens fiir den im Konzertsaal Zuhorenden) vier- 
handiges Spiel ein heftige Zweifel verursachendes und kaum zur Sinnerftilltheit zu er- 
hebendes Unternehmen. 

Demgegeniiber erweist sich das Spiel auf mehreren Klavieren, selbst wenn wir 
von dem hier eintretenden Genufi einer gemeinsamen Produktion vollig absehen, als 
eigenartig wertvoll. Insbesondere als die Franzosen spielten, wurde dies ganz deutlich: 
zwei Klaviere geben eine viel tiefere, scharfere Plastizitat als das Einzelklavier. Tanz- 
platten, die ein mit zwei Klavieren ausgestattetes Orchester reproduzieren, Darbietungen 
alter Musik, in denen die Ausfiihrung des Generalbasses einem Paar von Tasteninstru- 
inenten iibertragen wurde, bestatigen die Behauptung. Die Ursache eindeutig festzu- 
stellen, fallt nicht leicht. Die Abweichungen der Spielenden von einander, die wegen ihrer 
gewissermafien mikroskopischen Kleinheit als solche schon niclit mehr empfunden 
werden, der unvermeidliche feinste Unterscliied der Klangfarben, der Stimmungen mogen 
mitti'agen an den Erscheinungen ; aber mir scheint, das bedeutsamste Moment fiir die 
Entstehung der beobachteten Erscheinung sei ein anderes: die einfache Tatsache, da£ 
da zwei Instrumente raumlich nahe und doch geti-ennt zusammenwirken. Wie das 
Stereoskop durch eine raumliche Verschiedenheit der Bilder Plastik des Sehens gewinnt, 
so gibt offenbar die raumliche Trennung der gleichartigen Tonquellen Plastik des 
Horens. So ist das Paar von Fliigeln, wenn sich ein reiner Gesamteindruck einstellt, 
geradezu ein hoheres Instrument als der Einzelfliigel : das Spiel auf zwei Klavieren zeigt 
einen — freilich wohl nicht allzu oft begehbaren — Ausweg aus der (oben besprochenen) 
Krise des Klaviers. 



88 ' UMSCHAU 



Das; war die<zweke Einsicht, die aus dem Spiel der Franzosen erwuchs. 

i ■ 
3. 

Wenn zwei Klaviere einen hoheren asthetischen Wert darstellen als eines — gut, 
k.onnte man denken, gelien wir weiter : spielen wir auf drei und vier Klavieren und 
die Begeisterung wird grenzeillos sein. Gemack! Es gibt nur einen Raum, ei.ne 
Plastizitat; darum vermag die Dreiheit der Klaviere nichts zu bieten, was niclit die 
Zweilieit bereits besessen. Hingegen eiithalt die unvermeidliche oder gar erstrebte 
Vergrofierung der Klangstarke bedeutsame Gefahr; denn wir wollen Einfacbheit, Spar- 
samkeit und, als letztes Ziel: Klarheit. Prinzipiell also erweckt die Absicht, mit mehr 
als zwei Klavieren zu konzertieren, scharfste Bedenken ; das letzte Konzert des „Ersten 
Klavierquartetts" (gegriindet von Erno Rappee) bewies, dafi gleichzeitiges Spiel auf vier 
Klavieren kaum mehr zu leisten vermag, als dies : Freude an Akrobatik zu erwecken 
und die Komik von hohl pathetischen Stiicken wirksam hervortreten zu lassen. 

Indessen, vor 200 Jahren schrieb ein (sehr fortschrittlich gesinnter) Musiker Kon- 
zerte fur drei und aucb eines fur vier Tasteninstrumente. Er dacbte sich die Werke 
fiir Cembali (bei denen die Vergrofierung der Klangfulle gewifi willkommen sein durfte); 
aber spielt man die Stiieke auf modernen Fhigehi, dann gibt es, geiriigende Starke des 
Orchesters vorausgesetzt, (die fiir Jascha Horensteua, der eine Auffuhrung des Bachschen 
Konzerts fiir vier Klaviere — nach Vivaldi — vortrefflich leitete, bedauerlicberweise 
niclit zur Verfiigung stand) einen herrlich grofien und reinen Zusammenklang. Hier 
das Geheimnis : die Klaviere sturmen niclit gemeinsani, sonder sie wechseln ab, werfen 
sich gegenseitig die Motive zu, sie konzertieren (in alteni Sinn) miteinander. Wer heute 
fiir drei und vier Klaviere schreibt (dies manchem freuiidschaftlicli ins Stammbuch) 
sollte es ebenso zu machen wenigstens versuchen. Das Konzert der Rappeeschen Kla- 
viervereinigung zeigte erfreulicherweise, dafi die Herren, die alle gute Musiker sind, 
offenbar bereits das Bediirfnis hatten, neben dem Massenklavier zugleich und vorzugs- 
weise audi konzertierendes Zusaninieiispiel zu pflegen; wahrend in einem etwas mehr 
zuriickliegenden Konzert mit Kompositionen insbesondere fiir vier Klaviere nur einer 
der Aufgefiihrten das verstanden hatte, was das zum Ungliick der anderen gerade in 
diesem Konzert erklungene Quadrupelstiick der Vivaldi-Bach nieinte: Wladimir Vogel, 
dieser iiberaus begabte und zukunftsreiche Deutschrusse (der iibrigens bezeichnender- 
weise mit eineiri einzigen Paar von Klavieren sich begniigt hatte). 

Audi Wiener und Doucet spielten alte Musik, ein Konzert von Vivaldi, das Bach 
fiir Orgel bearbeitete, und jene herrlicbe c-moll-Fuge, die Mozart fiir zwei Klaviere ent- 
worfen hat. Sie machten das hervorragend. Etwa wie sie im langsamen Satz den 
ostinaten Bafi spielen, piano, damit die Oberstimme nicht verdeckt werde, und zugleich 
verliert man keinen Augenblick das Gefiihl, da6 dieser kaum sich aufdriingende, aber freilich 
unerschxitterliche Bafi eigendich den ganzen Satz trage — solches habe ich nie zuvof 
erlebt (und die Bedeutung des von Bach fiir manchen Mittelsatz verlangten „piano" ging 
mir dabei auf). Insbesondere aber, hier verband sich abwechselndes, konzertierendes 
und gleichzeitiges, zusammenwirkendes Spiel zweier Musiker zu einheitlichster Wirkung; 
so gab es vollkoiiimenste Plastizitat, Klarheit und Durchsichtigkeit zugleich, eine nicht 
mehr iiberbietbare musikalische Leistung. 



SPIEL AUF MEHREREN KLAVIEREN 89 

Den Beweis, da6 solche Verbmdung der beiden scheinbar einander ausschliefienden 
asthetischen Prinzipien moglicli ist, buchen wir als dritten gedankliclien Gewinn jener 
unvergefilichen Konzerte. 

4. 

Schliefilich noch eineii letzten Zusammenhang : Jazz. Denn diese auf Improvisation 
oder den Anscbein einer soldi en eingestellte, in der Freude am Zusammenstofieri gegen- 
• satzlicher (und doch wieder vereinbarer) Elemente gegriindete Kunstiibung findet natur- 
gemafi ihre eigentlidiste Erftilluiig beim Spiel einer (kleinen) Mehrzahl von Musikem; 
und darum absorbierte sie mit vollem Recht gerade an den zweiklavierigen Abenden der 
(so iibernationalen) Franzosen den innerlich und aufierlich grofiten Teil des Interesses. 

„Apres-midi d'un Faune ", bearbeitet fiir zwei Klaviere, zeigte, von nun bereits als 
eigentlich zeitlos wirkender Kunst her, wie die gebotenen Umgestaltungen von Tanz- 
stiicken angesehen werden sollten. Ein aus zarten Farben sidi ergebendes Gemalde 
wird von eineni begabten Stecher auf die Radierplatte gebracht; es verliert einen seiner 
Reize, aber in der einfarbigen Tedmik, die die Unterschiede der Lichtwerte viel exakter 
herauszuarbeiten gestattet, kommt es straffer zur Geltung; man empfmdet deutlicher 
die Anlage, die Proportionen, die Gewichte der Teile; das Bdd wird lichter, lockerer, 
feiner. So erblickten wir Debussys pastellfarbenes Gebilde. Und ahnlich fuhlten die 
Jazzbearbeitungen sidi an. 

Am Ende von „IIallelujah" von Youmans erklingt ein Teil des Themas mit disso- 
nanten Akkorden ganz weiter Lage, denen mit Notwendigkeit ein piano zugehort; und 
dann die Fortsetzung mit gailz stumpfer Harmonisierung einer noch weiteren Lage, so- 
dafi ein hauchdiinnes pianissimo entsteht. Darin liegt eine Ausgeglidienheit von Mittel 
und Absidit, die meisterhaft genannt werden mufi. Und wenn der „Tea for two" (kom- 
poniert von dem gleichen famosen Youmans) im 6 /s-Takt erscheint, die einfachste Form, 
die er iiberhaupt annehmen kann, gewinnend, so erkennt man das geradezu als klassisch 
an. In soldier Richtung nun liegt iiberhaupt der Wert dieser Fassungen fremden (und 
audi eigenen) Guts: sie sind sparsam, eigentlich zuriickhaltend, ohne Schwulst, mannig- 
faltig und doch ubersehbar, sauberste Arbeit. Und die Haupts ache : das alles ist in der 
Art des Auftretens, der Durchfiihrung, im Anspruch (nicht aber im Gehalt) bezaubernd 
leicht. 

So ist hier plotzlich wieder alles da, was uns je am Jazz gefesselt hat. Dichte 
nicht durch Masse, sondern den Reichtum der Stimmen (die ganz selbstandig neben- 
einander sich ausleben, sich verbindend, sidi losend, sich bekampfend und wieder emander 
bestimmend); Intensitat nicht durch Larm, sondern durch Vielfaltigkeit und Rafmiiert- 
heit des Rhythmus. Nicbts Maschine, sondern iiberall freieste gelockertste Lebendig- 
keit, zusammengefafit in einer strengen und bezwingenden Gleichmafiigkeit. Und dies 
ist, wenigstens mir, die Idee des Jazz. Geahnt zuerst bei Eric Borchard und Sam Woodings 
Orchester, erlebt bei Douglas mid der Baker („ich bin keine Maschine, und der Zuf'all 
ist viel schoner als jede Maschine" sagt sie ihrem Biographen), vor ahem bei Hopkins 
uniibertroffener Jazzband, bestatigt von den Revelers und schlieGlich hier bei Wiener 
und Doucet. 

Bei uns freilich leben von dieser schonen und wunderbar zarten, bis in meta- 
physische Tiefe reichenden Kunst fast nur Zerrbilder. Die deutsche Jazzkapelle, nie 



90 UMSCHAU 



recht zur Ausformung gekommen, entwickelt sich immer mehr dem Militarorchester zu. 
Eine voile Harmoniemusik, im Freien (in einem Kurgarten, einem Wald; einmal vorm 
Hafen in Lindau, dann, unvergleichlich, am italienischen Nationalfeiertag auf dem Platz 
des Kolosseums in Verona) — prachtig; man sollte das nicht geringschatzen. Aber 
Tanzmusik mit klobigen Rhythmen, ein Charleston mit Harmoniumsdrohnen, ein Tango 
mit zwei Riesenziehharmonikas — das ist Barbarei. Und ebenso ist Barbarei das Jazz- 
Symphonie-Orchester. Whiteman hat als erster den unseligen Versuch gemacht, aus 
der lebendigen Musik, die die Neger sich zusammenphantasiert hatten, ein Kunstprodukt, 
einen Wirtschaftswert zu machen. Das Ergebnis: stilloser, gehaldoser und zugleich an- 
spruchsvoller Monstrekitsch. So viel Whitemans Musiker konnen, so gute Variete-Einzel- 
heiten er gebracht haben mag, das Unhed, das dieser Mann gestiftet hat, kann wohl nicht 
leicht iiberschatzt werden. Denn er hat den eindrucksvoUen Apparat zusammengestellt und 
so beherrscht seit seinen Taten die Mehrzahl der Jazzkapellen-Leiter, von Erno Bappee 
zu Bernhard Ette und Jack Hylton (der freilich glucklicherweise eine gewisse eigene 
Note sich bewahrte) der Ehrgeiz, den Jazzkonig zu imitieren oder gar zu iiberbieten. 
Darum hat Bernhard Sekles, der den Versuch machen will, durch geregelten Unterricht 
die deutsche Gebrauchsmusik zu veredeln '), gewifi Recht. Wenngleich die Ablehnung, 
die dieser Plan von etlichen Seiten erfahren hat, auch ihrerseits (eben wegen der ange- 
deuteten Situation des Jazz in Deutschland) einer gewissen Verstandlichkeit nicht 
entbehrt. 

Jedenfalls aber: wir gonnen Whiteman und sein gesamtes Gefolge den Ameri- 
kanern und warten, bis die Bevelers zu uns kommen, oder wieder ein paar „echte" 
Neger oder — das nachste Mai Wiener und Doucet. 



Hans David (Berlin) 



DIE MOORSCHE DOPPELKLAVIATUR 



Mein Aufsatz in dieseni Heft unter „Musik" war kaum gesetzt, als er auf ungeahnte 
Weise neue Aktualitat erhielt, namlich durch die Klavierkonstruktion Emanuel Moors, 
die von P ley el in Paris ausgefiihrt und von der Pianistin Winifried Christie dem 
Wiener Konzertpublikum demonstriert wurde. Das Instrument zeichnet sich durch eine 
zweite Klaviatur aus, die terrassenformig xiber die gewohnliche gelagert ist; ihre Tasten 
betatigen den jeweils um eine Oktave hoheren Anschlagsmechanismus, und sie kann 
durch einen Pedalzug an die untere Klaviatur gekoppelt werden. Die Vorrichtung lafit 
sich etwa mit den Vierfufiregistern und dem Oktavenkoppler der Orgel oder des Har- 
moniums vergleichen. 

Diese epochale Erfindung hat vor ihren Vorgangern den Vorzug, dafi sie auch die 
frixheren Errungenschaften nicht ausschliefit. Wenn beispielsweise das Hammerklavier 
die dynamische Eintonigkeit des Cembalos uberwand, so mufite es auf die Vielfarbig- 
keit verzichten; und ebenso brachte die Kraftsteigerung des Stahlsaitenklaviers den 
Verzicht auf die Atemlange und die farbenden Obertone der Eisen- und Messingsaiten 
mit sich. Selbst der alhnahlich verdoppelte Oktavenumfang des Klaviers hat seine 

') Vgl. Karl Holl, Jazz im Konservatorium, im Jamiarheft dieser Zeitschrift, 



DIE MOORSCHE DOPPELKLAVIATUR 91 

Schattenseiten : die beiden Spielerhande beherrschen den grofien Bereich nur unvoll- 
konnnen und nur mit einem unverhaltnismafiigen Bewegungsaufwand. Dieser Aufwand, 
die Bravourtechnik, urspriinglich notwendiges Ubel im Dienst der Klangfiille, wurde 
spater zum Selbstzweck, ebenso wie ja auch die Klangfiille niclit mehr blofies Ausdrucks- 
mittel blieb, sondern zum Endzweck wurde und schliefilich ihr musikaliscbes Substrat 
abstiefi. So hat sicb aus den sicherlich wohlgemeinten Fortschritten des Instrumenten- 
baues der Virtuosenstil entwickelt, die Korrumpierung des vornehmsten Musikinstruments 
zu einem artistischen Geriit; eine Zweckverschiebung, die die Pianistik Jahrzehnte hin- 
durch vulgarisiert und in den Kreisen der rein kiinstlerisch orientierten Musiker vollig 
diskreditiert hat. 

Die Moorsche Klaviatur stellt nur die konstruktive Erganzung des erweiterten 
Tonumfangs dar; sie ermoglicht das Spiel in der weiten Lage ohne jene beriichtigte 
Akrobatik. Diese Erfindung ware eigentlich schon' vor hundert Jahren auf dem Platz 
gewesen, und der damalige Stand der Konstruktionstechnik hatte sie durchaus gestattet. 
Durch die eini'ache Klaviatur ist die Pianistik seit Chopiu so verflacht, dafi auf sie nur 
die Brosamen der Musikproduktion abfielen. Mit der Doppelklaviatur hatte das Klavier 
seine Stellung als das Instrument behauptet, von dem die allgemeine Musikentwicklung 
ihren Ausgang nimmt. Es bleibt nur zu wunschen, dafi sich nun zu dem neuen In- 
strument, das die kiihnsten Traume des Pianisten verwirklicht, auch der Chopin unserer 
Zeit fande, der alle Versaumnis nachholte. Das Moor-Klavier ist wie geschaffen fiir 
den linearen Gegenwartsstil, der mit seiner extrem selbstandigen Stimmfiihrung, seinen 
gewaltigen Melodieschritten dem alten Klavier unzuganglich ist. Nunmehr ist das Klavier, 
richtige satztechnische Behandlung vorausgesetzt, dem Streicherensemble durchaus eben- 
biirtig an die Seite zu stellen. 

Mit der Entmechanisierung des Klaviersatzes und der Spieltechnik geht die der 
Didaktik Hand in Hand. Was in meinem zitierten Aufsatz uber das Klavierstudium 
schlechthin auseinandergesetzt ist, gilt fiir das Moor-Klavier in hoherer Potenz. Bravour- 
schwierigkeiten werden hier vollig umgangen : die stupenden Oktavenfronten bringt 
auch der Dillettant zuwege, namlich durch Pedaldruck; Intervallsprunge, Aveite Zerlegungen 
u. dgl. lassen sich beinahe mit stillstehender Hand ausfuhren, einfach durch Ubergreifen 
auf die zweite Klaviatur. Wer einigermafien iiber Fingertechnik verfiigt, bewaltigt die 
iiberlieferte Klavierliteratur mit verbliiffender Leichtigkeit. Allerdings bezieht sich diese 
Erleichterung nur auf das rein Mechanische; ihr gegeniiber stellt sich die Komplikation 
der Spielbewegungen, die erliohte motorische Leseschwierigkeit. Schon die Orientierung 
auf der doppelten Klaviatur ist ungleich schwerer zu gewinnen als auf der einfachen. 
Auch die Umsetzung des Notentextes in adaquate Spielbewegungen la6t sich nicht 
mehr einfach improvisieren wie bisher, sie ist vielmehr an eine sorgfaltige Befiiagerung 
gebunden. Die Fingersatzlehre, bisher als handwerksmafiige Empirie betrieben, mufi 
nun mit Biicksicht auf die aufierst vielfaltig gewordenen Bewegungsformen zu einer 
eigenen deduktiven Wissenschaft werden. Diese ungeahnte Vergeistigung des Klavier- 
studiums ist aber beileibe nicht als Nachteil anzusprechen ; ganz im Gegenteil, denn 
gerade durch die Bationalisierung der Schwierigkeiten wird die Spieltechnik allgemein 
zuganglich. Das Dm und Auf des Unterrichts wird die Leseschulung sein. Zur hoheren 
Technik auf der Moor-KlaA r iatur ist von der wohl ausgebildeten Lesetechnik nur ein 



T 



92 MUSIKLEBEN 



Schritt, namlich die Plastik der differenzierenden Dynamik und Phrasierung. Mecha- 
riischer Drill, der schon auf der einfachen Klaviatur das Studium drosselt, wiirde auf 
der Doppelklaviatur vollends versagen. 

Der Musiker, der nur auf das „Ultramoderne" eingestellt ist, wird dem neuen 
Klavier gegeniiber eine gewisse Skepsis bewahren, da ihn die Pianistik schlechtweg als 
„iiberliolt" dunkt. Unsere Zeit uberstih'zt sicli in Ideen. Die Halbtoninstrumente werden 
von vierteltonigen abgelost, diese gehen alsbald in solcbe mit Tonkontinuum iiber, urn 
erst recht wieder von abgestimmten Gerauschinstrumenten ubertrumpft zu werden. Und 
sell on fuhlt man sicb durch die Grenzen der Schallenipfindung iiberhaupt beengt und 
will binaus in die „Farblichtmusik". Solcbe Grundideen sind woblfeil wie die Brom- 
beeren, Ewigkeitswerte sind aber immer nur in der Durchfuhrung zu suchen. Das 
Moor-Klavier zeigt, welche Moglichkeiten in unserem zahmen Hausiiistmment noch 
sclilummern. Es ist zu hoffen, dafi unserer Zeit aucb ihre Verwirklicliung gelange. 
Sie beweise, dafi sie nicht nur Luftschlosser bauen. sondern audi wahrhaft produktive 
Leistungen vollbringen kann. 

Leonhard Deutscb (Wien) 



MUSIKLEBEN 



ZEITSCHAU 



„ . . . Nun erst sollte das konimen, was er fur seine eigentliche Aufgabe hielt; 
die Regeneration von Beethoven und Mozart, das wiirdige Gewand, das unsere grofien 
Meister dem heutigen Empfinden wieder ganz nahe bringen sollte. Ein ganzer Stab 
von jungen und meist intelligenten Kiinstlern war urn ihn versammelt . . . das wahr- 
haft Grofie durfte nun kommen. Aber merkwiirdigerweise kam es nicht. Und dodi 
war kein Ton, den er nicht belebt, kein Wort, das er nicht . . . verbessert hatte. Kein 
Detad im Textbuch, in der Partitur war ihm entgangen, alles war ins echte dramatische 
Leben iibersetzt worden. Und doch blieb man kuhl bis ins Herz hinein. 

Die Reihe der bitteren Enttauschungen begann mit „Fidelio". . . . Auch den en- 
ragiertesten Neuerern fehlte etwas — man wufite nur noch nicht gleich was. Und noch 
melrr mangelte ihnen in dem unbeschreiblich raffmiert und bizarr ausgestatteten „Don 
Giovanni", in dem es sogar ein neues Prinzip der Seitenkulissen zu bewundern gab. 
Erst spater, als die L. . . . gelegentlich eines Gastspiels die Hauptrollen in diesen beiden 
Opern sang, kamen die meisten auf das, was sic vorher vermifit hatten. Es war nur 
eine Kleinigkeit gewesen: die Musik. Die glanzvolle Tatigkeit des Orchesters konnte 
es nicht ausgleichen, dafi diese Bxihne mit ganz wenigen Ausnahmen keine Sanger be- 
safi, die der klassischen Musik ohne Schwierigkeit zu geben mochte, was ihr gehorte. 
Die blendenden Kostiime konnten fur die HiMosigkeit der Kiinstler nicht aufkommen, 
sobald es eine kolorierte Stelle gab. 



ZEITSCHAU 93 



... Wie die Wipfel eines Rokokoparks waren die Individualitaten der Darsteller 
beschnitten, eingeprefit, unter die Gesamtwirkung gestellt: ein Wunder der Dressur. 
Man wird den Eindruck eines bewunderungswiirdigen Ensembles mitnehmen, aber nicht 
einer Personlichkeit .... Und eben mit dieser Auffuhrung scbeint er an der Grenze 
angelangt zu sein. Noch ein Schritt weiter und was wir haben, ist das Marionetten- 
theater ! " 

Eine gliickliclie Zusammenfassung alles dessen, was man zur Zeit in den verschie- 
densten Lagern, mehr oder weniger zugespitzt, gegen Otto Klemperers Opernauffuhrungen 
vorbringt. So denkt man. In Wahrheit fliegt ein Blatt der Stuttgarter ,,Neuen Musik- 
zeitung" beran : Jalirgang 1 907, Schauplatz Wien. Nicht Klemperer ist gemeint, sondern 
Gustav Mahler. Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Was man jetzt gegen Klem- 
perer schleudert, wurde gi - ad vor zwanzig Jahren gegen Mahler gesagt. Alles stimmt 
aufs Haar. Mahler wird heute als Bahnbrecher des Operntheaters verehrt. Seine Wiener 
Zeit ist eine der glanzendsten in der jiingsten Geschichte der deutschen Oper. Das 
konnte den Ewig-Gestrigen zu denken geben. Aber wir wissen: sie lassen sich nicht 
belehren. Sie werden erst fur das Heutige sein, wenn sich einmal wieder neue Krafte 
und neue Erscheinungen regen. Dann werden sie es mit der Demagogie reaktionarer 
Ordnungshiiterei in Schutz nehmen, so wie sie es jetzt bekampfen. 

Die Berliner haben vor den Wienern nichts voraus ? Doch. In ihren Mauern 
waren weder Kundgebungen musikalischen Kleinburgertums denkbar wie die 10. Deut- 
sche Sangerwoche, die in diesem Sommer in Wien stattfindet, noch jene volkischen 
Demonstrationen, die dort zur Zeit gegen „Ionny" losgelassen werden. Das Manner- 
gesangsvereinswesen ist eine typische Errungenschaft des 19. Jahrhunderts. Es hatte 
zur Zeit seiner Entstehung unbedingt kulturelle Bedeutung. Wir kennen auch heute 
noch eine Reihe kimstlerisch wertvoller deutscher Chore. Meist versandet der Manner- 
chor jedoch in reaktionarer Spieftbiirgerlichkeit. Er kann gefahrlich werden, wenn er 
sich wie in den letzten Jahren als Huter deutscher Kunsttradition, als Huter des deut- 
schen Liedes aufspielt. Wenn der einzelne Mannerchorist sich als Musiksachverstandiger 
benimmt wie die klavierspielende Tochter. Man muG es sagen: an der Geschmacks- 
verbildung des Burgertums hat der Mannerchor wenig ruhmlichen Anteil. Typische 
Aufierung der vereinsmeiernden deutschen Mentalitat, wurde er allmahlich zu einem 
kunst- und fortschrittsfeindlichen Prinzip — unbeschadet einiger gesanglicher Qualitats- 
leistungen. (Auch der Meisterschufi beim Schiitzenfest ist eine Qualitatsleistung). Aus 
diesem Grund sind wir gegen den Mannerchor. Ein Sangerfest konnte, sofern es mehr 
sein will als eine (vom deutschen Reichswehrministerium mit 60 000 Betten unterstutzte) 
Kundgebung „nationaler" Kreise, nur Berechtigung haben, wenn es sich mit aller Scharfe 
gegen dieses Prinzip wendet und die wenigen lebens- und aktivierungsfahigen Elemente 
der Mannergesangvereinsbewegung auf eine wirklich kiinstlerische und zeitbewufite 
Arbeit hinweist. 

Die Wiener Jonnyfeinde erhalten aus Munch en Unterstutzung. Natiirlich aus 
Miinchen. Der bayerische Kultusminister steUt in einer Antwort auf eine volkische 
Anfrage fest, vom „Standpunkt der Verwahrung der Jugend vor Schund und Schmutz 
sei 1 eider ein Verbot des Werkes nicht moglich". Das ,Jeider" spricht Bande fur die 
Kulturpolitik in Bayern. Leider. Die Miinchener haben auch sonst ihre musikalische 



94 MUSIKLEBEN 



Fastnacht. Es wurde Strafantrag gegen den Hauptschriftleiter der fiihrenden „Mun- 
chener Neuesten" gestellt. Er hatte die Behauptung eines Ministerialrats, die kritische 
Haltung der Zeitung gegeniiber den Staatstheatern sei darauf zuriickzufuhren, daG es 
Prof. Cossmann — der den M. N. N. nahesteht — nicht gelungen sei, Hans 
Pfitzner zum Generalintendanten zu machen, als „dreiste Luge" bezeichnet. Das 
hangt vermutlich damit zusammen, dafi vor kurzem der Vertrag des bisherigen In- 
tendanten von Franckenstein anf Lebensdauer verlangert wurde. Miinchen legt 
damit seine Theater auf Jahre hinaus fest 

Auch Frankfurt hat Opernsorgen. Man sagt, dafi es den Operndirektor 
Clemens Kraufi mit aller Gewalt nach Wien zieht, wo es an der Staatsoper wieder 
einmal kriseln soil. Er soil die leitende Stellung zwischen dem Ehrendirigenten Straufi 
uud dem Direktor Schalk bekommen. In Frankfurt hat Kraufi in Gemeinschaft mit 
dem Regisseur Waller stein und dem Buhnenbildner Siever t eine fiufierst ver- 
dienstliche Regeneration der Repertoireauffuhrungen verwirldicht'. 

Die latente Krise der Dresdener Staatstheater, insbesondere der Staatsoper, 
wird augenblicldich infolge eines geringfiigigen Vorfalls wieder besprochen. Die 
Leistungen des Herrenchors gingen vor einiger Zeit auffallend stark zuruck. Der Chor 
behauptet, er sei uberanstrengt. Der Intendant Reucker behauptet, man habe 
passive Ressistenz leisten wollen, weil ein Antrag auf Gehaltserhohung abgelehnt 
worden sei. Tatsache ist, dafi die Gehalter der Chormitglieder in Anbetracht ihrer 
starken Beschaftigung ausserordentlich gering sind. Es wird von unterrichteten Dres- 
dener Stellen versichert, dafi der Generalintendant zwar bei den kleinen Beziigen des 
Chors spart, aber einwilligt, dafi eine Sangerin mehrere hundert Mark fur jede Probe 
erhalt. Es wird wieder an den fur die Entwicldung der Dresdener Oper verhangnis- 
vollen Konflikt zwischen Busch und dem fruheren Oberregisseur Mora erinnert, der 
eigentlich ein Konflikt Beucker-Mora war und mit dem Abgang des ausgezeichneten 
Spielleiters endete. Es wird auf die Verwahrlosung des Repertoires durch die vielen 
Gastspielvortrage hingewiesen. Symptomatisch fur die Situation der Dresdener Oper — 
und nicht nur der Dresdener, sondern iiberhaupt der grofien deutschen Opernbuhneii — 
dafi sich ein verantwortlicher Leiter wie der Generalmusikdirektor Busch wahrend der 
Saison Monate lang auf Urlaub in Amerika befindet. Erst unter diesem Blickpunkt 
wird die reformatorische Arbeit Klemperers in ihrer ganzen Bedeutung verstandlich. 

Man kommt auf Umwegen nach Berlin zuriick, urn festzusteUen, dafi die neu ein- 
setzende musikalische Aktivitat zunachst einen Verzicht Furtwanglers und Kleibers 
auf ihre nachstjahrigen amerikanischen Verpflichtungen zur Folge hat. Beide Diri- 
genten werden kommende Saison in Berlin bleiben. In diesem Zusammenhang darf 
erwahnt werden, dafi Schillings wegen der Ubernahme der Intendanz der Konigs- 
berger Oper verhandeln soil. 

Ein paar Personalnotizen. Die Sangerwelt hat einen schweren Verlust erlitten: 
ganz unerwartet verschied in Wien an einer Grippe der bedeutende fmnische Konzert- 
bassist Helge Lindberg. Er war der uniiberti-offene Interpret altklassischer Musik. 
Die Musikwissenschaft verlor Heinrich Bietsch, den Prager Ordinarius, dem wir wert- 
volle ' Studien zur Geschichte des alten Liedes und zur musikalischen Bomantik 
verdanken. Heinrich Strob el (Berlin). 



NACHRICHTEN 



95' 



NACHRICHTEN 

KLEINK BERICHTE 

Joseph Haydns neuentdecktes Requiem in 
c-moll fiir gemischten Chor, Soli und Orchester ge- 
Iangte Anfang Februar in Diisseldorf unter General- 
musikdirektor Weifibach zur Urauffiihrung. 

Ende Januar wurden im Weimarer National- 
Theater die Kammer-Oper „Don Juans Sohn" von 
Hermann Wunsch und Alexander Tscherepnins 
Oper ,,01-01" uraufgefiihrt. 

Michael Taube brachte in der Sing-Akademie in 
Berlin u. a. die „Damon-Suite" von Hindemith 
zu Gehor. 

Karl Heinrich David erzielte mit seiner neuen 
Oper ,,Der Traumwandel" bei der Uraufluhrung 
im Ziiricher Stadttheater starken Erfolg. 

Das Wiesbadener Staats-Theater brachte als Pre- 
miere Schonbergs „Erwartung" und Busonis 
,,Turandot". 

Im Stadt-Theater zu Crefeld gelangte „Die 
Loclce", komische Oper von R. von Mojsisovics 
zur Urauffiihrung. 

Die „Komodie fiir Orchester" von Ernst 
Toch erzielte in Ra den-Baden unter Generalmusik- 
direktor Mehlich einen starken Erfolg. 

Stravinskys „Feuervogel-Suite" erlebte 
kiirzlich mehrere Erstauffiihrungen : Karlsbad, Baden- 
Baden, Dresden, Oberhausen, Rremen. 

Tochs Oper „Die Prinzessin auf der 
Erbse" wurde in Danzig erstaufgefiihrt. 

Am 29. Januar erfolgte die Rerliner Erstauf- 
fiihrung von Stravinskys „Les Noces". 

Nachdem das deutsche Volkslied-Archiv in Frei- 
burg i. Br. die Grenzmark Posen — Westpreufien als 
selbststandigen Liederbezirk erklart hat, ist von der 
grenzmarkischen Gesellschaft zur Erforschung und 
Pflege des Heimatgesanges ein selbststandiges Volks- 
lied-Archiv fur die Provinz gegriindet worden. 

Die Genossenschaft deutscher Tonsetzer feierte 
am 14. Januar ihr 25jahriges Jubilaum. Eine grofie 
offentliche Feier ist im April vorgesehen. 

AUFFUHRUNGEN 

Die Stadtischen Biihnen Hannover haben die 
Oper „Beatrys" von Ignaz Lilien zur deutschen 
Urauffiihrung angenommen. 

Am 24. Februar wird in Aachen „Das Mar- 
chen vom Zar Saltan", Oper von Rimsky- 
Korssakoff, uraufgefiihrt. 

„Der ; Zar lafit , sich photographieren|\" 

! Opera, buffa yon Kurt Weill ; kommt Samstag, den 

18. ds. Mts. am Leipziger Stadttheater zur Urauffiihrung. 



„Z\vei Sonette" op. 2 von Piechler erlebten 
in Augsburg ihre Urauffiihrung. 

PERSONLICHE NACHRICHTEN 

Der Musikhistoriker Ernst Kurth ist zum or- 
dentlichen Professor an der Universitat Bern ernannt 
worden. 

Prof. Dr. Arnold Schering in Halle hat die 
Berufung als Nachfolger Hermann Aberts zum Or- 
dinarius der Musikwissenschaft an der Berliner Uni- 
versitat angenommen. 

Prof. Dr. H. J. M o s e r ist an Stelle Aberts in 
die Kommission zur Herausgabe der DenkmSler 
deutscher Tonkunst berufen worden. 

AUSLAND 

Diese Rubrlk befindet sich im Ausbau und soil syslema- 
tisch auf alle Lander ausgedehnt werden. 

Die danische Sektion der „Internationalen Ge- 
sellschaft fiir neueMusik" brachte auf einem dfinischen 
Abend samtlich Urauffiihrungen danischer Autoren : 
Knudaage-Riisager, Poul Schierbech, Finn 
Hoffding und Jorgen Bentzon. 

Alfredo Casellas „Partita fiir Klavier und 
Ordi ester" wurde in der Philharmonischen Gesell- 
schaft Kopenhagen mit Erfolg aufgefiihrt. 

Die Budapester Motette- und Madrigal- Vereinig- 
ung bringt in ihrem ersten diesjahrigen Konzert 
„Neue Frauenchore" von Alexander Jemnitz zur 
Urauffiihrung. 

Funf Mitglieder der jungen ungarischen Kom- 
ponisten-Generation haben sich zu einer freien Ver- 
einigung „Moderne ungarische Musiker" zusammen- 
geschlossen. Die Vereinigung, die mit ihrem ersten 
Konzertabend unerwartet grofien Erfolg hatte, will 
durch Aufnahme moderner Komponisten zum re- 
prasentativen Institut der jungen ungarischen Musik 
werden, da sich bisher keine ungarische Sektion der 
I. G. N. M. bilden konnte. 

Fiir den alle 4 Jahre von der Stadt Paris unter 
den franzosischen Musikern mit einem Preis von 
Frcs. 10 000. — veranstalteten Wettbewerb fiir das 
beste Chorwerk mit Soli, Chor und Orchester haben 
sich in diesem Jahre 22 Bewerber gemeldet. 

Der tschechoslowakische Staat hat den von ilim 
ausgesetzten deutschen Staatspreis fiir Musik 
zum ersten Mai dem Prager Komponisten und Rektor 
der dortigen deutschen Musikakademie Fidelio Finke 
verlielien. 

Zeitungsnachrichten zufolge bereitet die russisclie 
Regierung, welche bisher zu der grofien Organisation 



96 



MUSIKLEBEN 



der Berner Konvention keinerlei Beziehungen auf- 
recht erhielt, ein neues Urheberrecht vor, dessen 
Grundlinien demnachst veroffentlicht werden sollen. 
Der Begriff des Urheberrechts wird sehr weit gefafit 
und bezieht sich nicht nur auf literarische, kfinst- 
lerische und musikalische Schopfungen, sondern audi 
auf VortrSge, Vorlesungen und auf tanzerische Vor- 
fiihrungen, sowie auf Pantomimen und photographische 
Werke. Interessant ist, dafi die Regierung sich das 
Recht vorbehalt, das Urheberrecht bei jedem Werke 
auszuschalten, dessen Verwertung fiir das allgemeine 
Wohl ihr ntitzlich erscheint. 

Anfangs Juni 1928 wird ein vom Internationalen 
Musikamt in Wien und der flsterreichischen Musik- 
lehrerschaft angeregtes I. Oesterreichisches Ton- 
kfinstlerfest in Verbindung nlit eineni internarionalen 
musikpadagogischen Kongress und internationalen 
Schulmusik-Kongrefi in Wien stattfinden. 

Die Stadt Wien beschlofi, das Sterbehaus von 
Franz Schubert in der Kettenbriickengasse in Wien 
zu erwerben, um es in ein grofies Schubert-Museum 
umzuwandeln. 



VERSCHIEDENES 

In das Jahr 1928 fallt das Jubilaum des hundert- 
jahrigen Bestehens der von G. F. Whistling begriindeten 
Musik-Bibliographie, die von dem Verlag Hof- 
meister herausgegeben wird. 

Pressenieldungen zufolge hat die Hamburger 
philharmonische Gesellschaft trotz wesentlicher Br- 
it ohung ihrer Eintrittspreise fiir das Jahr 1927 ein 
Defizit von Mk. 130000—140000.- aufzuweisen. 

Die „Mitteilungen des Verbandes deut- 
scher Musikkritiker e. V." bringen interessante 
Berichte fiber den internationalen Kritiker-Kongrefi 
in Salzburg. 

Din durch die „Gtirzenich-Konzerte" riihmlichst 
bekannte „Colner Concert-Gesellschaft" kann 
in diesem Jahre auf ihr hundertjahriges Bestehen 
zurfickblicken. 

Das sechste Reger-Fest findet vom 7. bis 
10. Juni in Duisburg statt. 

Der fiir den internationalen Schubert-Preis 
vorgesehene Einreichungstermin fiir die der jury 
vorzulegenden Arbeiten ist bis zum 30. April des 
Jahres verlangert worden. Die Genossenschaft deut- 
scher Tonsetzer Berlin W 8, Wilhelmstrafie 57/58 
erteilt Auskunft. 

Der Beichsverband deutscher Tonkiinstler 
und Musiklehrer e. V. wird seine diesjahrige 
Tagung vom 1. bis 6. Oktober in Darmstadt ab- 
halten und dabei gleichzeitig sein 25jahriges Bestehen 
feiern. 



Die staatliche Pruning der Privatmusiklehrer fiir 
Berlin ist auf die Tage vom 20. bis 24. Marz ds. 
Js. festgesetzt worden. 

Die Gesangspadagogen in Deutschland, Dster- 
reich und der Schweiz haben sich, veranlafit durch 
die Einfuhrung der Staatskontrolle des privaten Musik- 
unterrichts, zusammengeschlossen. Das i PrSsidium 
der neuen Organisation hat Otto Iro. Wien. Nahere 
Auskiinfte erteilt die Geschiiftsstelle der Gesangs- 
padagogischen Tagung, Freiburg i. Br., Wallstrafie 11. 

Die Idee des Architekten Prof. Ernst Haiger, 
in Deutschland ein Symphonie-Festspiel-Haus zur 
kultischen Pflege symphonischer Meisterwerke zu er- 
richten, hat dadurch greifbare Gestalt angenommen, 
dafi Baden-Baden ein sehr gut gelegenes Gelande- 
stiick zur Verfiigung gestellt hat. 

Das 58. Deutsche Tonkunstlerfest findet 
im Mai ds. Js. in Schwerin statt. 

Das Zentral-Institut fiir Erziehung und Unter- 
richt wird gemeinschaftlich mit dem bayerischen 
Kultus-Ministerium und der Stadt Miinchen die VII. 
Reichs-Schulmusik-AVoche vom 15. bis 20. Ok- 
tober in Miinchen veranstalten. 

Die zweite Musikwoche der deutschen 
Musikstudentenschaft findet vom 23. bis 25. 
Februar in Koln statt. Nahere Mitteilungen durch 
die deutsche Musikstudentenschaft, Berlin-Charlotten- 
biug, Fasanenstrafie 1. 

Anregungen der evangehschen Kirchenbehorden 
folgend, welche auf eine Umgestaltung des verflachten 
kirchlichen Orgelvorspiels abzielen, lassen K. W. Franke 
und K. Sandmann bei B. Schott's Sohne, Mainz, 
unter dem Titel „Cantus-Firmus-Praludien" 
eine umfassende Sammlung von Choral-Vorspielen 
in 3 Banden erscheinen. Diese wird jedoch fiber 
den Rahmen eines blofien Gebrauchswerkes weit 
hinausgehen und erne monumentale Sammlung deut- 
scher Orgelmusik darstellen. Die Subskription, welche 
am 1. Marz 1928 endet, war bereits dank tiberaus 
zahlreicher Bestellungen kurz nach ihrer Ankundigung 
zustande gekommen. 

Der Verlag Adolph Ffirstner, Berlin, feiert in 
diesem Jahre sein 60jahriges Bestehen. 

Unter der Redaktion des Musikhistorikers 
Dr. E. H. M filler in Dresden erscheint ein „Deu^- 
sches Musik-Lexikon". Anfragen wegen kosten- 
loser Aufnahme sind an den Hei'ausgeber (Dresden A 19, 
Schliefifach 30) zu richten. 

Der Verwaltungs-Ausschufi der im Jahre 1838 
vom „Frankfurter Eiederkranz" ins Leben gerufenen 
„Mozart-Stiftiing zu Frankfurt a. M." beabsichtigt pro 
1. Oktober 1928 ein neues Stiperidium zu vergebeh. 
Antrage werden bis zum 31 . Marz 1928 an den Ver- 
waltungs-Ausschuss (Frankfurt a. M., Sternstrafie 28) 
.erbeten..- .,.,'. -.', '■ ■■■.: t 



97 



INTERESSANTE WERKE 
VON 

HANNS 
EISLER 



U.E.Nr. Mark 

7475 op. 1 SONATE fur Klavier zu 

2 Hiinden 2. — 

„Au9 den drei vorbildlich knappen und 
doch formal innerlich reiclien Stitzen 
dicser Erstlings-Sonate stromt frohe, 
heitere, liuniorspukende MuBikkrnft 
aus — der zweite weist alle kontrapunk- 
tische Meisterschaft der Schonbergschule 
auf. Die Motive sind rhythmisch von 
iiberzengendster Priigiianz, ihre Ab- 
wandlung durch harmonische und modu- 
lalorische Kunste plaatiach und triebhaft 
entwickelnd zu Hohepunkten aufwarts. 
Wir miissen una diesen Eisler merken. 
Berliner Morgenpost (R. Kaatner) 

7778 op. 2 SECHS LIEDER fur hohe 

Stinime 1 und Klavier 2. — 

8436 op. 3 DREI KLAVIERSTUCKE 

zweihandig 2.50 

8322 op. 5 PALMSTROM, Studien fiber 
Zwolftonreihen, fur eine Sprech- 
srimme, Flote (auch Pice), Klari- 
nette, Violine (auch Bratsche) und 
Cello. Gedichte von Chr. Mor- 
genstern 3. — 

8130 op. 7 DUO fiir Violine und Cello 2. - 

Mit grossem Erfolg beim Musikfest in 
Venedig 1925 aufgenihrt. Ferner in Wien 
Berlin, Prag, Leipzig, London, Stuttgart, 
Koln, Mannheim, Mainz, Paris, Barcelona, 
Chicago etc. etc. 

8882 op. 9 TAGEBUCH fiir Frauen- 
terzett, Tenor, Geige und Klavier 
Partitur 3.50 

Urauftuhrung Kammermu9ikfe9t in Baden- 
Baden 1927. 



Durch jede Musikalienhandlung zu beziehen 



Universal-Edition A.-G. 

Wien Leipzig 



Deutsche Musikbucherei 

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Zum 22. Februar 1928. Hugo Wolf s 25. Todesiag: 

Band 34 
Gus/av Sdiur: Erinnerungen an Hugo Wolf 

In Pappband Mk. 2.—, in Balionleinen Mk. 3.50 

Band 35 
Heinrich Werner: Der Hugo Wolf-Vereln in Wien 

In Pappband Mk. 2,50, in Balionleinen Mk. 4. — 

Band 48 
Hugo Wolf: Briefe an Henrieiie Lang 

In Pappband Mk. 2.—, in Balionleinen Mk. 3.50 

Band 53 
Heinrich Werner: Hugo Wolf in Perchtoldsdorf 

In Pappband Mk. 2. — , in Balionleinen Mk. 4. — 

Band 60 
Heinrich Werner: Hugo Wolf und der Wiener 
akademisdie Wagner-Verein 

In Pappband Mk. 2.50, in Balionleinen Mk. 4. — 

SrSmtliche Bandchen mit Briefen des Meisters, mit zahl- 

reichen Bild- und Facsimilebeilagen, von treuen Freunden 

und Kampfgenossen geschrieben, sind besonders ge- 

eignete Geschenke zum Hugo Wolf-Gedenktagl 

Vorratig in jeder guien Budi- u. Musikalienhandlung f 

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Gustav Bosse Verlag / Regensburg 



Werk-Verlag zu Berlin W 57 

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Kiirzlich i s t erschienen: 

ZUR PSYCHOLOGIE DER 
KLAVIERTECHNIK 

aua dem Nachlafi von 

Willy Bar das 

Mit einem Geleitwort von 

PROF. ARTUR SCHNABEL 

3.- Mark 

„Wer dem Klavierspiel nahesleht, der darf niclit veraaumen, 
sich mit dieser weitreichenden Schriftgrundlich zu befaaaen. 
Sie ist in ihrer Art viel wertvoller als manchea nodi so 
gutgemeinte dickleibige Werk, weil aie auf praktischer Er- 
fahrung beruht und eben deahalb auch wieder fiir den 
denkenden Praktiker von grofiem Nutzen sein wird". 
Carl Heinzen in der „Dusseldorfer Volkszeitung" 
Vergl. audi die Besprecliung im ndchsten Heft MELOS. 



UBER DIE ART, MUSIK 
ZU HOREN 

von Siegfried Ochs 

Elegant kart. 1.60 Mark 

„ . . . Auch fiir den Fachmann lehrreich genug. |Ceiner 
wird das Buchlein ohneFreude undohne Bereicherung 
aus der Sand legen**. ' 

Kurt Singer in der „Muaik" 



98 



TANZBARE MUSIK 

FUR 

KLAVIER 



/. Albeniz 

Espana, Suite 

- Tango — Malagucna — Sere- 
Capriclio Catalan — Zortzico 



jspana, 
Prelude - 



M 2.50 



B. Fairchild 

Indianische Gesange und Tanze M 



M. de Falla 

Fandango (a. „Der Dreispitz") 
Farrucca (a. „Der Dreispitz") 
Feuertanz (a. „Liebeszauber") 
Zwei spanische Tanze (a. „Ein 
kuizes Leben") . je 



M 
M 
M 



Percy 



Grainger 

Piano-Album . . 

Schiifertanz 

Morris-Tanz 



Irische Wcise — Mock- 
■ Lied des Koloniaten 



Fritz Kreisler 



Alt-Wiener-Tanzweisen : 
Schon Rosmarin . . 



2.50 



M 2.- 



M 3.- 



Paul Hindemith 

1922, Suite M 3.- 

Marsch — Shimmy — Nachtstiick — 
Boston — Ragtime 

Tanz. der Holzpuppen aus 

„Tuttifantchen" (Foxtrott) M 1.50 

Erich Wolfg. Korngold 

„Ball beim Marchenkomg" aus 

„Sieben Marcbenbilder" . M 2. — 



. M 1.50 



Konzert-Transkiiptionen von 

S. Rachmaninoff : 

Liebesfreud' . . . . . . M 2.50 

Liebesleid M 2.50 



Darius Milhaud 

Saudades do Brazd, Suite bra- 

silianischer Tanze, 2 Hefte je M 4. — 

I. Sorocabo — Botofago — Lcme — 

Copacabana — Ipanema — Gavea 

II. Corcovado — Tijuca — Sumare — 

Paineras — Larenjeiras — Paysandu 

Joaquin JYiji 

Danza Iherica M 2.50 

M. Ravel 

Pavane zum Gedachtnis einer 

Infantin M 2. - 



H. K. Schmid 

Bayrische Landler, op. 36 

Cyril Scott 

op. 58 Nr. 5 Danse negre 
op. 74, 3 Danses tristes : 

1. Danse elegiaque . . 

2. Danse orientale . . 

3. Danse langoureuse 
Drei altengliche Tanze . 



M 2. - 



M 2. - 



M 
M 
M 
M 



1.50 
1.50 
1.50 
2.50 



Josip Slavenski 

Aus dem Balkan, Gesange u.Tanze M 2.50 

Gcaang — Tanz a. d. Balkan — Impro- 
visationen iiber ein sudalawisches 
Volkslied — Siidslawisdier Tanz 
Aus Siidslawien, Gesange und 

Tanze M 2. - 

Serbisclier Gesang und Tanz — Gebet 
der Urslawen — Kroatischer Tanz 

Ernst Toch 

Fiinf Capriccetti, op. 36 . . M 2.50 
Tanz- und Spielstiicke, op. 40 M 2. — 



Jean Wiener 



Sonatine syncopee , 

Lourd ~ Blues — Brillant 



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fiir rhythmische und gymnastische Dbungen kostenlos vom Verlage 



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Kunst der Gegenwart kennenler- 
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material der fuhrenden Meister. 
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Dieser Fiihrer gibt erstmalig einen um- 
fassenden Bericht uber das groase Gebiet 
der modernen Klavierliteratur aller 
Liinder. Die Verfasser haben ein Werk von 
grosser Bedcutung geschaffen. M i t Ver- 
standnis und Sorgfalt ist die Aus- 
wahl getroffen, Geistreiche treffende 
Urteile uber Komponisten inid ihre AVerke 
gestallen das Bucli zu einem unentbehr- 
lich en Berater und zuverlassigen 
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Broschiert M. 4.-, in Ganzleinen gebunden M. 5.20 



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Musikfreundel Das grosse EreignisI 

Ein Werk, wie es die musikalische Welt noch nicht gesehen hatt 

Im Verein mit einer Anzahl hervorragender Musikgelehrten gibt Professor Dr. Ernst Bticken v. d. 
Universitat Koln das wundervolle „Handbuch der Musikwissenschaft" heraus, von dem soeben 

die ersten Lieferungen erschienen sind. 

Etwa 1300 Notenbeispiele und etwa 1200 Bilder 

Man iiberzeuge sich durch Augenschein von der einzigartigen Giite des Werkes und verlange 

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Artibus et Uteris Gesellschaft fiir Kunst- und Literaturwissenschaft m. b. H., Potsdam 



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Klavierkonzerte 

mit unierlegtem II. Klavier (Orchesterparl) 

(Zur AufRihrung sind 2 Exemplare erforderlich) 

K o n z e r t D-dur (Brandenburgisches Konzert Nr. 5) (Riemann) . Ed.-Nr. 98 

Konzert E-dur (Riemann) Ed.-Nr. 99 

Konzert f-moll (Riemann) Ed.-Nr. 108 

Konzert a-moll (Riemann) Ed.-Nr. 109 

Konzert F-dur (Riemann) Ed.-Nr. 119 



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Orgel-Praludium und Fuge d-moll fur Klavier 2 hdg. (Clegg) . . . Ed.-Nr. 1920 M 1.- 
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iibertragen von Otto Singer Ed.-Nr. 2496 * M 2.50 

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MOZART 



Samtliche Klaviersonaten 

Rondos, Fantasien und Fugen 

nach Urtexten revidiert, mit Fingersatz und Vortragsbezeichnungen 

in fortschreitender Ordmmg von R. Scnwalm 

Komplette Ausgabe Ed.-Nr. 4 . Broach. M 5.50, in Halbleinen M 7.50, in Ganzleinen M 8.50 

Ausgabe in 3 Heften Ed. Nr. 1301/3 .... Brosch. je M 2. - , in Halbleinen je M 4. - 

Heft I 8 Sonaten: K.-Nr. 545, 283, 330, 547 u. 545, 309, 282, 279, 280; flondo K.-Nr. 485 

Heft II 8 Sonaten: K.-Nr. 284, 570, 332, 311, 281, 331, 333, 533; Adagio K.-Nr. 540 

Heft III 3 Sonaten: K.-Nr. 450 u. 456 u. 595,K.-Nr. 310,K.-Nr. 576 ; 2Fantasien K.-Nr. 397, 396 ; 

Fantasie u. Sonate K.-Nr. 475; Fantasie u. Fuge K.-Nr. 394; Bondo K.-Nr. 511, 

Gigue K.-Nr. 574; Fuge K.-Nr. 401 

Unter den Ausgaben der Mozart'schen Klaviersonaten nimmt die vorliegende insofcrn eine besondere Stellung ein, 
als sie auf den Urtext zuriickgeht und vor alleni von den vielen unmozartischen Vortragszeielien, die sich im 
Laufe des 19. Jahrh under ts immer mehr in die Ausgaben seiner Werkc gedrangt haben, Abstand nimmt, und 
infolgedcssen dem Spieler, dem es una eine stilvolle Wiedergabe der Werke zu tun ist, den no tigen Untergrund gibt. 

Ausgewahlte Sonaten, Fantasien und andere Stiicke 

Neue progressiv geordnete Ausgabe mit Fingersatz von A. Door 
2 Bande . . . Ed.-Nr. 270/71 / Brosch. a M 1.50, in Halbleinen a M 3.50 

Bd. I/II komplett in Halbleinen M 5. - 

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Steingraber-Verlag, Leipzig 



101 



HEINRIGH SCHUTZ 



HISTORIA VON DER AUFERSTEHUNG 
JESU CHRISTI 

Zum prakrischen Gebrauch herausgegeben von 
WALTER SIMON HUBER 

BA 242 Partitur Mk. 6. - . Aufffihrungsmaterial (Chor- und Instrumentalstimmen) 

steht ab Mitte Februar zur Verffigung. Audi kleineren Choren ist die Aufffihrung 

dieses Werkes moglich. Die Preise sind vom Verlag zu erfragen. 

In der wiedererwachenden Pflege Schfitzscher Musik wird die Auferstehungshistorie 
mit ihrer eindringlichen Sprache und ihrer Kraft der Anschauung eine besondere 
Stellung einnehmen. Dr. Alfred Einstein schildert in einer Abhandlung fiber Schiitz 
Einzelbeiten der Auferstehungshistorie und schliefit dann : Schiitz ist voll von solchen 
Zfigen, die eine solche Kraft des Musikers, eine solche machtige Phantasie, eine 
solche tiefe Menschlichkeit offenbaren. Auch seine Auferstehung ist ihm sicher. 

VIER PSALMEN DAVIDS 

nach der Beckerschen Ubersetzung fur vierstiramigen Chor gesetzt von Heinrich Schiitz 
sind in der Ausgabe der Auferstehungshistorie zur Verstarkung ihrer Gliederung im 
Anhang enthalten, aber auch gesondert als Chorpartitur zum Preise von etwa 

Mk. -.80 erhaltlich. 

Ferner erscheint: 

GEISTLICHE CHORMUSIK 

Herausgegeben vom Leiter des Heinrich Schiitz-Kreises 
WILHELM KAMLAH 

Gesamtausgabe der 26 fiinf — siebenstimmigen Motetten fiber deutsche Texte in Einzel- 
heften zum Preise von je etwa Mk. — .80 

Ein ausfuhrlicher Sonderprospekt fiber diese Werke wird gerne kostenlos an jede 
angegebene Adresse versandt. 



DER BARENREITER VERLAG ZU KASSEL 



102 



2000 MARK 
PREISAUSSCHREIBEN 

DER MUSKBLXTTER DES ANBRUCH 

FDR OPERNTEXTE 



mini 

IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIMHIUIIIIMIMIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIilllllllllllHIIIIIIIIHIIIINIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII 

Der Mangel an brauclibaren, wirkungsvollen Opern- 
texten ist wohl die gewichtigste Tatsache, die zu 
der vielerorterten „Krise der Oper" gefuhrt hat. 
In Fach- und Tagesblattern ist mit wachsender In- 
tensity der Rut nach guten Opernbiichern laut- 
geworden, ohne dafi bisher etwas gescbehen konnte, 

um diesem Mangel abzuhelfen. 
Dieses Preisausschreiben will die Offentlichkeit mit 
Nachdruck auf einen absoluten Notstand verweisen, 
einen Notstand der Musiker, der zum Notstand des 

Theaters sich erweitert. 
Das Preisausschreiben wendet sich an alle Dichter 
und Schriftsteller, die eine lebendige Beziehung zum 
lebendigen musikalischen Theater der Gegenwart 
haben und die mit uns der Ansicht sind, dafi die 
Oper alien Schwierigkeiten zum Trotz und gerade 
aus ihnen heraus kraf'tvoller und zukunftsreicher 

denn je gestaltet werden kann. 
Alles Nahere iiber die Bedingungen usw. enthalt das 
Heft 1 (10. Jahrg.) der „Musikblatter des Anbruch", 
das zum Preise von M. 0.60 in alien Buch- und 
Musikalien-Handlungen oder direkt durch den 
Verlag erhaltlich ist. 

IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIHIHIIIIIIIIIHIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIHIIIIIIIIHIIIIIMIIIIIIIIIIIUIIIIIMIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII 
lllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllll 



UNIVERSAL-EDITION A.-G., WIEN / LEIPZIG 



103 



Z u r Jahrhundertfeier 




Karl Ko b aid 

Franz Schubert 

496 Seiten und 72 teils farbige Bilder 
Geheftet M. 7.-, Leinen M. 10.- 

Schubert, und nls Hintcrgrund das Wien der Bieder- 
meicr-Zeit, die lieblichate, entziickendste Knltuxepoche 
der olten Kaiserstadt, konnte keinen gemiitvolleren und 
saclikundigercn Biographen finden wie Kobald, dessen 
reicli illustrierter „Beethoven" - vier Wochen nach 
Ersclieinen sch on ini 5.-9. Tauaend — sich andauernd 
im In- und Ausland der groflten Nachfrage erfreut. 



In alien Buchhandlungen erhaltlich 



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Wien 



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MARMA-Sailen sind 
unubertrefflich und 
it be rail erhaltlich. 

Unsere „Silverin"-Saite 
hat die Welt erobert! 



Mamia - Musikindustrie 

m. b. H. 

Mainz 



GUSTAV MAHLER 

ZWEI SATZE AUS DER 
X. SYMPHONIE 

Fiir kleines Orchester 



Die beiden Satze aus Mahlers unvollendeter X. Symphonie gehoren zu dem Grofiartigsten, das 
der Meister geschrieben hat. Sie fanden sich als zu Ende komponierte Stticke neben zahl- 
reichen Skizzen zu den anderen Satzen in Mahlers Nachlafi. Die beiden Satze vurden fiir 
den praktischen Gebrauch von ERNST KRENEK eingerichtet und in Partitur ausgeschrieben, 
um diese herrliche Musik der Dflfentlichkeit zuganglich zu machen. 

Ris jelzt wurde das Werk aui'gefiihrt in Zurich, Winterthur, Wien, Graz, Hamburg, Koln, Mainz, 

Leipzig. Demnachst in Magdeburg. 

U. E. Nr. 8877 Partitur (Faksimile) mit Programmheft von R. Specht Mk. 17.- 



UNIVERSAL-EDITION A.-G., WIEN-LEIPZIG 



104 



Neue sinfonische Musik 
fur Orchester 



Ernst Toch 



Vorsp 



iel zu einem Marchen 

(Die^Prinzessin auf der Erbse) 

Besetzung: 2 Flo ten, Oboe, Klarinette, Fagott, 
Horn, Trompete, Tuba, Posaunen, Schlagzeug, 
S trei chquinte 1 1 

Spieldauer: ca. 7 Minuten 

Komodie fur Orchester 

in einem Satz> op. 42 

Beaetzung: Grofles Orchester mit reichlichem 

Schlagzeug 
Spieldauer: ca. 18 Minuten 

Erich Wolfg. Korngold 
Sinfonisches Zwischenspiel 

aus ..Das Wunder der Heliane" 
Besetzung; Groses Orchester 
Spieldauer: cu. 8 Minuten 

Suite aus der Musik zu 

Shakespeare's 

„Viel Larmen um Nichts" 

op. 11 

Ouvertiire — Madchen im Braulgcuiach — Holz- 
apfel und Schlchwein (Marsch der Wache) — Inter- 
mezzo (Garlenszene) — Mummensehanz (Hornpipe) 

Besetzung: 19stimmiges Orchester 
Spieldauer: ca. 25 Minuten 



Gabriel Pierne 
Impressions de Music-Hail 

Chormadehen {French Blues) — Der Exzentrik 

(Little Ticlj) — Die spanisdie Nummer — 

Musikalisehc Clpwns (Les Fratellini) 

Besetzung: GroBed Orchester 
Spielda u e i*: ca. 25 Minuten 



Ebbe Hamerik 
Dionysia 

Eine choreographische Musik 

Besetzung: Grofies Orchester 
Spieldauer: ca. 35 Minuten 

Werke 
fur Blasorchester 



Paul Hindemith 
Konzert fur Blasorchester 

op. 41 

Konzertantc Ouvertiire — A'ariationcn iiber das 
Lied „Prinz Eugen" — Marsch 

Besetzung: 1 Flcite, 1 Oboe, 1 Klarinette in Es, 
3 Klarinetten in B, 2 Flugelhbrner, 2 Wald- 
horner in F, 2 Tenorhtirner, 1 Bariton, 3 Trom- 
peten in B, 3 Posaunen, Biisse, Kleine 
Trommel, Grofie Trommel mit Becken. 

Spieldauer: ca. 15 Minuten 

Ernst Toch 

Spiel fixr Blasniusik op. 39 

Besetzung: 1 Piccolo-Flcite, 1 groBe Flole, 
1 Oboe, 1 Klarinette in Es, 4 Klarinetten 
in B, 1 Fagott, 4 Horner in F, 1 Tenorhorn, 
1 Bariton, 2 Flugelhorner in B, 4 Trompeten 
in C, 3 Posaunen, 1 BaBtuba, 2 Pauken, 
GroBe Trommel, Kleine Trommel, Becken, 
Lyra (Glockenspiel) und Triangel 

Spieldauer: ca. 10 Minuten 



Sdmtliche angezeigten Werke werden 
Interessenten auf Wunsch zur Ansicht 

iiberlassen. 



B. Schott's Sonne — Mainz und Leipzig 



MLLOS 

ZEITSCHRIFT FUR MUSIK 

SCHRLFTLEITUNG: PROF. DR. HANS MERSMANN 

Allc Scndungen fur die Schriftleilung und Besprecliungsstueke nacl) Bcrlin-Gmiiewnld, Neufertullee 5 (Fernapr. Uhland 3785) eilicten. 
Die Schriftleitung bittet vor Zusendung von Monuskriptcti ivm Anfrnge mit Riickporto. Allc Rechte fiir sflmtliche Bcitrage vorbehalien. 
Ffir Anzeigen uha Verlogsmittcilungen vcrantwortl.: Dr. Johannes Petscluill, Mainz / Vcrlog : MELOSVERLAG (B. bchott's Sohnc) 
MAINZ, Weihergarten 5; Fernaprccher 529, 530; Telegr. : ScoUon; Postschcck nur Berlin 19425 / Auslicfenuig in Leipzig: Linden- 

Btrafio 16/18 (B. Sdiotl's SOhne) / Druck: B. Scliott's Sfihne, Mninz 
Die Zeitschrift cracheint am 15. jeden Mounts. - Zu beziehen durcli idle Bucli- mid Miisikalienliandlungen oder dirckt vom Vcrlug. 
Do8 Einzelhcft kostet 1. - Mk., daa Abonnement jfthrl. (12 H.) 8. - Mk., viertelj. (3 H.) 2.50 Mk. (zuziigl. 15 Pf. Porto p.H., Anslond 20 Pf. p. H.) 
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ZUM INHALT 

Das Problem der Oper zieht immer weitere Kreise. Gipfelte es noch bis vol- 
kurzem ill der Frage, welche neuen Operntypen aus dera Geiste unserer Zeit heraus 
entstehen, so iibergreift es mebr und mehr auf die Gebiete des Repertoires, des Auf- 
f'uhrungsstils, der Besetzung. Ein sich neu formendes Verhaltnis zwischen dem Werk 
mid denen, die es aufnehmen, stellt neue Forderungen auf. Die Oper wird ein sozi- 
ologisches Problem. Diesen Fragen ist der Hauptteil des vorliegenden Heftes gewidmet. 
Er versucht, den Begriff der Zeitoper herauszulosen, den Blick iiber die Opernkrisen der 
Grofistadte hinaus auf die Lage in der Provinz auszudehnen, die Zusammensetzung und 
Haltung des Opernpublikums zu revidieren. 

Unter den LEBENDEN erscheint noch einmal die Gestalt des f'ruhgeschiedenen 
Rudi Stephan, dessen Musik unter dem Aspekt der Gegenwart neue Einzelziige in Er- 
scheinung treten lafit. Die Beziehungen zum AUSLAND sind in systematischem Ausbau. 
Es sind mit Mitarbeitern aus alien Kulturlandern Abmachungen getroffen worden, uin 
im Rahmen der neuen, von jetzt an stiindig durchgefiihrten Rubrik eine dauernde und 
immer vollstiindigere Spiegelung des internationalen Musiklebens zu geben. 

Die Sclmftleitung 



MIT'S IK- 

K ; ur't Weill (Berlin) .'■'■ ■''/ I 

ZEITOPER '). 

Sehr geehrter Herr Professor! 

Sie bitten mich, vom Standpunkt des Opernkomponisten zu dem Begriff der 
,,Zeitoper" Stellung zu nehmen, und ich kann dieser A afford erung nachkomiiien, well 
Sie hinzufugen, daft Sie in meinen jiingsten "Werken diesen Begriff „am intensivsten" 
verwirklicht finden. Demi nur so entschuldigt 'sich die deutliche „Einseitigkeit" meines 
Standpunktes. 

Auch dieses Wort „Zeitoper" hat die ungliickselige Wandhmg vom Begriff zum 
Schlagwort durchmachen miissen. Es war ebenso rasch geprfigt wie falsch jingewandt. 
Diese rasch vorgreifende falsche Verwertung eines Begriffs ist nicht unbedingt schadlich, 
sie ist vielleicht notig, weil sie eine womoglich nachfolgende richtige Anwendung mit 
jener Selbstverstandlichkeit erscheinen la (At, die ihrer Aufnahme in der Offentlichkeit 
die richtigen Voraussetzungen schafft. Das Zeitstiick, wie wir es in'deri letzten Jahreii 
kennengelernt haben, riickte die aulSeren Lebenserscheinungen unserer Zeit in den 
Mittelpunkt. Man nahm das ,,Tempo des 20. Jahrhunderts", 1'iigte den vielgeruhmten 
,,Rhythmus unserer Zeit" hinzu und hielt sich ira iibrigen an die Darstellung von 
Gefiihlen vergangener Generationen. Die starken Reize, die die Verpflanzung von 
Begleiterscheinungen des tiiglichen Lebens auf die Biihne in sich birgt, sollen nicht 
nnterschatzt werden. Aber es sind Beize, weiter nichts. Der Mensch unserer Zeit 
sieht anders aus, und das was ihn aufien treibt und innen bewegt, ist so nicht darzu- 
stellen, nicht so, dafi man zeitgemafi um jeden Preis sein will, niclit so, dafi man 
Aktualitaten gestaltet, die nur fiir den engsten Umkreis der Entstehungszeit Geltung 
besitzen. Die Aufgabe des Zeittheaters der letzten Jahre, an dem die meisten von 
uns in irgend einer Form beteiligt waren, bestand darin, die Biihne endgiiltig zu 
technifizieren, das Theater in der Form, im Geschehen und im Gefiihl aufzulockern. 
Diese Aufgabe ist erfiillt, und schnell ist das Mittel zum Selbstzweck gemacht worden. 
Jetzt erst, nachdem das bisherige Zeittheater das Material freigelegt hat, haben wir die 
Unabsichtlichkeit, die Selbstverstandlichkeit erlangt, um das Weltbild, das wir — viel- 
leicht jeder auf seine Weise — seheu, nicht mehr in einer Photographie, sondern in 
einem Spiegelbild zu gestalten. Dabei wird es sich in den meisten Fallen um einen 
konkaven oder konvexen Spiegel handeln, der das Leben in der gleichen Vergrofterung 
oder Verkleinerung wiedergibt, wie es in Wirklichkeit erscheint. 

Sie werden mich f'ragen, ob diese Abgrenzung der „Zeitoper" auf den Begriff 
eines „Zeitspiegels" nicht eine Einengung der Stoffwahl mit sich bringt. Aber sehen 
Sie: die geistigen und seelischeu Komplexe, die die Musik darstellen kann, sind ohne- 

') Der Verfasser, gebeten, den Begriff der „Zeitoper" mit Beziehung auf sein episches Opernepiel 
..Mahagonny" (Baden-Baden 1927) zu formulieren, auKert sieli in einem offenen Brief an die Schriftleitung. 



ZETTOPEB 107 



hin ziemlich eng umgrenzt und sind im Grunde seit Jahrhunderteu immer die gleichen 
geblieben. Nur die Objekte und die Anwendungsformen haben sich geandert. Das 
Menschliche, das die Musik aussprecheu kann, ist gleich geblieben. Aber der Mensch 
ist anders geworden, er reagiert anders aui' die Einflusse von aufien, auf Ereignisse und 
Geh'ihle. Der neue Typus Mensch, tier heute von alien Seiten im Anmarsch ist, er- 
kennt vieles von dem, was den voraiigegangetieii Generationen wiclitig erschien, nicht 
einmal als Voraussetzung an. Daher miissen audi in einer Kunst, die auf eine 
Darstellung dieses Typus gerichtet ist, die Proportioneu zwiscben dem Menschen Und 
den Dingen in ihm und um ihu verschoben evscbeinen. Doch ergibt dieser neue Typus 
Mensch, den wir sehen, die Moglichkeit, der Oper wieder grofie, umfassende, allgemein- 
giiltige Stoffe zugrundezulegen, die nicht mehr private Ideen und Gefuhle, sondern 
grofiere Zusammenbange behandeln. Dabei lassen sich die geistigen und menschlicheii 
Grundlagen des neuen Mensch entyp lis aul' jeden wirklicb grol&en Stoff anwenden. 
Strawinskij's Oedipus ist nicht weniger Spiegel unserer Zeit als etwa Chaplin's Gold- 
rausch. Aber ich bin iiberzeugt, dafi auch unsere Zeit selbst grofie Stoffe hergebeu 
kann, wenn man sie vora Standpunkt einer gewissen Gesinnung aus betrachtet. Doch 
kann das reine Geshinungstheater seine Anwendung fur die Oper (wie auch 1'iir das 
Drama) nur danu finden, wenn es nicht als Proklamierung einer Tendenz auftritt, 
sondern wenn es die Spiegelung eines Weltbildes unter dem Gesichtspunkt einer 
grofieu, tragenden Idee gibt. Es steht aul&er Zweifel, daft diese Verarbeitung grofier 
Stoffe unserer Zeit in der Oper zunachst ehimal nur aus der Zusammenarbeit eines 
Musikers mit einem zumindest im Niveau gleichwertigen Vertreter der Literatur hei'- 
vorgehen kann. Die mehrfach geaufierten Befurchtungen, dafi eine solche Verbindung 
mit wertvollen literarischen Erscheinungen die Musik in ein abhangiges, dienendes oder 
auch nur gleichberechtigtes Verhaltnis zum Text bringen konnte, sind ganzlich unbe- 
grundet. Je starker der Diditer, umso mehr vermag er sich der Musik anzupassen, 
umso mehr reizt es ihn audi, eine wirkliche Dichtung fur Musik zu schaffen. (Ich 
darf ihnen vielleidit berichten, dafi ich in meiner gegenwartigen engen Zusammenarbeit 
mit Brecht die Moglichkeit gefunden babe, ein Libretto, dessen Gesamtplan und 
Scenarium gemeinsam ausgearbeitet worden ist, in alien Einzelheiten, Wort fur Wort, 
nach musikalischen Gesichtspunkten zu ibrmen). Im iibrigen glaube ich, dafi der 
Kollektivbegriff, der heute ins Theater einzieht, gerade in der Oper, in der er ja immer 
eine Rolle spielte, wieder starker hervortreten wird. 

Die groGen Stoffe erfordern fur ihre Darstellung in der Oper die grofie Form. 
Je breiter und gewichtiger die Anlasse zum Musizieren werden, umso grfifier wird die 
Bedeutung, werden die Eiitfaltungsmoglichkeiten der Musik in der Oper. Das neue 
Operntheater, das heute entsteht, hat epischen Charakter. Es will nicht schildern, 
sondern berichten. Es will seine Handlung nicht mehr nach Spannungsmomenten 
formen, sondern es will vom Menschen erzahlen, von seinen Taten und dem, was ihn 
dazu treibt. Die Musik im neuen Operntheater verzichtet darauf, die Handlung von 
innen her aufzupumpen, die Ubergange zu verkitten, die Vorgange zu [untermalen, die 
Leidenschaften hochzutreiben. Sie geht ihren eigenen, grofien, ruhigen Weg, sie setzt 
erst an den statischen Momenten der Handlung ein, und sie kann daher (wenn sie an den 
richtigen Stoff gerfit) ihren absoluten, konzertanteii Charakter wahren, Denn da die 



108 ERNST SCHO'EN 



berichtende Form den Zuschauer uiemals in Ungewif&heit oder in Zweil'el iiber die 
Biihnenvorgange lafit, so kann sich die Musik ihre eigene, selbstandige, rein musikalische 
Wirkung vorbehalten. Die einzige Voraussetzung fiir ein solches imgehenuntes Aus- 
inusizieren iu der Oper besteht darin, daft eine Musik in ibrem iunersten Wesen 
uatiirlich „Thealermusik" (ini Mozart'schen Sinn) sein muft, uni zu ciner volligeu Befreiuiig 
von den Akzenten der Biihne vorstofien zu kouueii. 

Diese veranderte Grundeinstellung kann — vie wir geseben haben — zu eineui 
Ankniipl'en an die Form des Oratoriums fuhreu. Sic kann audi die Gattung Oper 
von Grund aus neu schaffen. Sie muft sich dann aber iu jene aid" alien Kunstgebieten 
lestzustellende Entwicklung einreihen, die bereits lieute das Ende der gesellschaftlichen, 
der „aristokratischen ,: Kiinste ankiiiidigt. Und wenn wir uns durch miser Werk hin- 
durch das Bild unseres Publikums projizieren, so seheu wir den eint'achen, naiven. 
voraussetzungs- und traditionslosen Horer, der seinen gesuuden, an Arbeit, Sport und 
Teclinik geschidten Sinn fiir SpaU und Ernst, lur gut und schlecht, liir alt und neu 



mitbringt. 



Ibr ergebener 

Kurt Weill 



Ernst S ch o e n (Frankfurt/M.) 

ZUR SOZIOLOGIE DER OPER 



,iMensch, quatscli kcinc. Opcr!' 

(UprliiiRi* Krnft^-ort) 



Die Kvinstler wollen wieder mal Naturburschen sein. ,,Bilde, Kunstler, rede nicht! ", 
dieser alte mifiverstandene Imperativ scbeint die Bicbtscbnur ihrer abweisenden Haltung 
jeder Diskussion gegetmber. Selbstein Mann wie Cocteau, eigentlicli doch ein hochbegabter 
Literat, wehrt sicb gegen den guten alten Pariser Braucb des Metier- und Ateliertratsches 
und zieht es vor, sobald er nicht dichtet, gut zu essen, Jazzband zu spielen oder zu 
malen, letzteres wie weiland miser Goethe. Die herbe, mit Grobheit verbramte Schani- 
haftigkeit unseres Mottos, als private Haltung des deutschen Beichshauptstadters so sym- 
pathisch, bekommt leicht den Charakter mimosenhafter Lebensangst, wenn der Kunstler 
heute, gerade lieute sich ihrer bedient, urn sich dahinter iu die ..Werktatigkeit" der 
„ueuen Sachlichkeit" zuriickzuzieheii. 

Ich versuche, mit einem jungen Musiker iiber Fragen der Asthetik und Soziologie 
der Oper ins Gesprach zu kommen. Er nimmt Beifiaus, mit Zeicheu panischen Ent- 
setzens. Sein Argument? Uber alle musikalischen Formeu koime er sprechen, nur das 
Wesen der Oper wolle er sich nicht zum Bewufitseiii bringen. Wenn er uainlich ein- 
mal dariiber naclizudeiiken begonne, welchen Sinn es hatte, auf der Biiline z. B. die 
Worte: „Noch niemals studierte ich Ornithologie ", zu singeu anstatt zu sprechen, so 
wiirde er sein Lebtag nicht imstande sein, eine Oper zu schreiben. Demi das tue man 
doch trotz der iisthetischen Anriichigkeit dieser musikalischen Gattung. 

Wie steht es denn mit dem Problem der Oper ? Ein Verlag behauptet, die Oper 
kranke am Libretto mid veranstaltet flugs ein Preisaussclireiben fiir Textbiicber, All- 



ZUR SOZIOLOGIE DER OPER 109 

gemein sagt man, dafi die Libretti der Mozartopern schandlich schlecht seien. Andere 
•.wieder meinen, die Wagnerschen hatten als Dichtung mindestens den Kunstwert seiner 
Musik. Einer der beliebtesten „modernen" Opernregisseure lafit seine Bheintochter an 
lebensgefahrlichen Vorricbtungen hinter einem gigantischen Aquarium anketten, ein Arzt 
behauptet, zu „ Jonnys " Hauptwerten gehore die psychoanalytiscbe Erkenntnis der Ge- 
spaltenheit, ach unsrer Seele. 

Venn bei diesem Stand der Dinge die Komponisten eisig schweigen oder besten- 
falls ihre Kritilcer wissen lassen, dafi sie genug von ihnen hatten, ist das wohl verstandlich. 
Ich zweifle nicbt, dafi jeden Tag und frei von alien Ressentiments heute wie je ein 
guter Komponist scbreiben kann, was er will, naturlich auch eine gute Oper. Dafiir 
gibts weder Krise nocb Problem. Aber es scheint mir freiwilliger Stumpfsinn, sicb nicht 
uber eine Sache unterhalten zu wollen, nur, weil dadurch noch nichts geschafft wird. 
Und es erscbeint mir freilich auch zweifelhaft, ob heute eine Oper horbar, im guten 
Sinn volkstumlich werden kani:» es sei denn unter Voraussetzungen, die sehr wohl 
begrifflich angedeutet werden konnen. Die Geschichte der musikaliscben Arbeit m. a. W. 
hangt nur sehr miitelbar mit der Politik zusammen. Die aber des Theaters unbedingt 
in hohem Mafie. 

Hierzu einige historische Andeutungen. In Wahrheit ist doch diese dem Stdsnob 
so „ problematische " Form des musikalisch bewegten Szenenwerks schliefilich nicht jiinger 
als die europaische Kunstmusik xiberhaupt, ja ihre Urform steht am Anfang aller kunst- 
mafiig gefafiten kultischen Feier in der bekannten ehrwiirdigen Dreieinigkeit von Vers, 
Melodie und rhythmischer Bewegung. Walter Benjamin, der uns in seiner Arbeit 
„ Ur sprung des deutschen Trauerspiels " (E. Rowohlt 1928) die alle Ismen iibergreifende 
Aktualitat des Barock fur die heutigen Kunstresultate nahebringt, deutet uns, Nietzsche 
zitierend, den historischen Moment der Enstehung der Oper als nattirlicher Konsequenz 
der Stilform des Barockdramas etwa folgendermafien : „Die phonetisrhe Spannung in 
der Sprache des XVH. Jahrhunderts fuhrt geradezu auf die Musik als Widerpart der 
sinnbeschwerten Rede". Und sparer: „. . . jede Antwort hatte . . . Laut- und Schrift- 
sprache, wie auch immer einander zu nahern, so doch nicht anders als dialektisch, als 
Thesis und Synthesis, zu identifizieren, jenem antithetischen Mittelgliede der Musik, der 
letzten Sprache aller Menschen nach dem Turmbau, die ihr gebiihrende zentrale Stelle 
der Antithesis zu sichern ..." (usw.). 

Sind Mozarts Libretti wirklich schlecht ? Dr. Bobert Haas (in Adlers „ Handbuch ") 
scheint uns nur eine Selbstverstandlichkeit zu bestatigen, wenn er vermutet, dafi Mozart 
an seinen Texten . mitgewirkt hat. Wir begriifien Kurt Weills Bemerkung, dafi Mozarts 
Opern ihre Unvergleichlichkeit dem Umstand verdanken, dafi all seine Musik einen 
6prechend dramatisclien Gehalt in sich tragt, wie wir meinen, dafi dieser dramatische 
Gehalt zu den ursprunglichsten Kriterien alien grofiten niusikalischen SchafFens zahle. 
Was Mozarts Opernstil uns als Organum aller moglichen Vorstellung von Oper er- 
scheinen lafit, das sagt uns die geistreiche Charakteristik eines Hermann Cohen. Nicht 
etwa namlich, dafi seine Libretti schon an und fur sich Kunstwerke gewesen waxen, 
keineswegs, aber dafi ihre Handlung jedesmal Formung eines naiven, elementaren und 
, gesinnungsstarken dramatischen Geschehens bedeutet, dessen symbolische Entzeitlichung 
idurch die Dramatik der Musik — dort, wo der Mensch gleichsam nicht mehr sprechen, 



110 ERNST SCHOEN 



sondern nur noch singen kann — unseren Erlosungsdrang im Kunstwerk wunschlos be- 
friedigt entlafit. Ipso facto natiirHch, ohne literarische Assoziation. Denn das scheint 
uns die Zeitbefangenheit des Wagnerschen „ Gesamtkunstwerks ", dessen so revolutionar 
intendierte und dennoch so, man ware fast versucht zu sagen : „ sachsische " Tragikomik 
heute beinahe zum Wert parteipolitischer Parole des „Bayreuther Bundes" herabge- 
wiirdigt ist, dafi seine Erlosungssymbolik eben im grofien und ganzen literarisch asso- 
ziiert war. 

Was ist die „platonische Idee" dieser musikalischen Dramatik? Der Drang nach 
Erlflsung, ein metaphysisches Geschehen, das eine seiner allgemeinsten Ausdrucksformen 
im Liebeskampf der Geschlechter findet, insofern dieser zum individuellen Erlosungs- 
drang in Beziehung steht. Weil ihre Musik in reiner Schopferkraft die unzulangliche 
Begrifflicbkeit der literarisch-szenischen Formung dieser Idee zu verewigen vermochte, 
darum sind z. B. auch ,, Carmen " und ,, Pelleas " die bedeutendsten Opern seit Wagner, 
audi bei Verdi spielt die autonome Dramatik der Musik ihre Wert oder Unwert be- 
stimmende Bolle und vermag selbst noch Puccinis Werk naiven Leichtsinns zu retten. 

Auch heute und morgen werden musikschflpferisches und musikdramatisches Genie 
so sehr das Werden eines Opernwerks bestimmen wie je. Seinen sozialen Platz aber, 
seine Aufnahme, seine Volkstumlichkeit wird gleichfalls wieder wie immer vom Bestehen 
einer Gesinnung abhangen, die nun einmal und immer den Zauberschliissel zur 
Eroffhung der Macht der Szene abgibt. Gerade in diesem Kardinalpunkt aber schwankt 
unsre Zeit ja noch vollig und lafit uns alle Aufgaben zu losen ofFen. Die neue „ Sach- 
lichkeit", der „ Neoklassizismus ", werden wohl vorlaufig das letzte Glied in der Kette 
der Fiktionen gewesen sein, die eine unsachliche Kunstbetrachtung zwischen dem 
Schaffenden und der Wirklichkeit aufspannte. Aber auch daruber werden wir hinaus 
miissen, dafi diese dilettantische Kunstbetrachtung den Synkretismus zu ihrer Methode 
machen, heute an Hand eines Tonmalereiprogramms ein musikalisches Werk banalisieren, 
morgen ihre naive Auffassung der Phanomenologie daran versuchen durfte. Dariiber 
schliefilich vor allem, dafi ihr solche Extratouren von einer Gesellschaft ermoglicht 
wurden, die alle Begriffe von Allgemeinheit und Privatheit in tyrannischer Willkur ver- 
tauschte, Steuerzettel und Eheleben zu einer offentlichen, Meinung und Gesinnung zu 
einer privaten Angelegenheit gestempelt haben wollte. 

Bergs „Wozzek" ist ein Werk, dessen musikalische Werte iiber jedes Urteil hoch 
erhaben sind. Aber die akademische Willkur seiner Formgebung, die Unverantwort- 
lichkeit der Gesinnung seiner Zeit gegenuber driickt ihm, wie uns scheint, ein Stigma 
der Zeitbefangenheit auf. Gut, wir wissen nicht, wohin wir gehen. Aber wohin wir 
nicht zu gehen haben, das wenigstens miissen wir wissen, um verantwortlich arbeiten, 
ja leben zu konnen. Was sollen wir von der Geste der Privatheit eines „Intermezzo", 
eines „Jonny" sagen. Unter dem Gesichtspunkt der Gesinnung scheint Weills 
,. Mahagonny " ein Fingerzeig. Sobald sie klar, sobald sie offentlich und allgemeingiiltig, 
sobald sie der Zeit verantwortlich sein wird, wird zumindest das soziologische Problem 
der Oper zu bestehen aufgehort haben. Denn an der Oper wird es zuerst ofFenbar, 
dafi wie jede schopferische Aufgabe so auch die musikalische nicht nur eine artistische 
und handwerkliche, sondern auch eine deutliche moralische Verantwortung in sich tragt. 



OPERNPUBLIKUM \\\ 



Heinrich Strobel (Berlin) 

OPERNPUBLIKUM 

Unser Operntheater ist eine Schopfung des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Was 
in friiheren Zeiten, was noch zu Beginn des romantisclien Jahrhunderts undenkbar ge- 
wesen ware, ist heute Selbstverstandhchkeit : das Bepertoire besteht nicht aus zeit- 
genossischen, sondern zum grofiten Teil aus alteren "Werken. Der Spielplan ist nach 
ruckwarts statt in die Gegenwart gericbtet. Die dramatischen Meisterwerke der Ver- 
gangenheit erscbeinen mit unfehlbarer Begelmafiigkeit immer wieder im Turnus, werden 
durch allzu haufige, meist unkontrollierte AufTiihrungen abgeniitzt. Bepertoire und 
Darstellungsstil entsprechen den burgerlichen Idealen des 19. Jahrhunderts. Die Oper 
will zugleicb der gesellschafdichen Beprasentation und der bequemen Erbauung dienen. 
Der Festspielgedanke Bichard Wagners wirkt sich im Bepertoiretheater aus. Das Werk 
Wagners war das Erlebnis des burgerlichen Horers nach dem Krieg von 1870. Es ver- 
wirrte und berauschte auf die feierlichste Art. Es hatte die heroisch-pathetische Geste, 
die man nach dem siegreicben Krieg verlangte, es hatte die aufregende Sinnlichkeit, 
die ein in steigendem aufierem Woldstand lebendes Biirgertum iiberwaltigen mufite. 
Wagners Werk, das asthetischen und sinnlichen Genufi zugleich bot, wurde alleingiiltiger 
MaGstab fur die kiinstleriscben Anspriiche. Das Schaffen der folgenden Generation stand 
vollig unter dem Einflufi Wagners. Die Vergangenheit wurde von Wagner aus beurteilt, 
von Wagner aus interpretiert. Der Abonnentenkreis der deutschen Hof- und Stadt- 
theater rekrutierte sich nur aus burgerlichen Schichten. Der Opernspielplan pafite sich 
den Forderungen der Horer an. Der Abonnent duldet kein modernes Werk von ent- 
scheidend anderer Haltung. Er liebt im Grunde auch die alten Meister nicht. Er hat 
aber durch die historische Erziehung genug Respekt vor der Vergangenheit bekommen, 
um ihre Kunstwerke nicht langweilig zu linden. Im stillen lacbelt er iiber Mozart. 
(Er freut sich hochstens iiber die vollendete Auffuhrung.) Er lachelt auch iiber die 
Naivitat des „Freischutz". Er will die Berauschung oder zum mindesten die gesell- 
schaftliche Sensation. Je mehr sich das Bepertoire festlauft, desto haufiger werden die 
Opernfestspiele. Heute hat beinahe jedes Provinztheater seine festlichen Fruhjahi'sauf- 
fiihrungen mit prominenten Gasten. Man kennt das Gesamtniveau dieser schlecht vor- 
bereiteten Darbietungen. Aber der Horer ist befriedigt. 

Die Situation verscharfte sich nach dem Kriege. Vor 1914 war die Stagnation 
des Operntheaters, eine notwendige Folge der Stagnation seiner Horerschaft, noch latent. 
Seit neue Krafte hervorbrachen, geistige und soziale, ist die Krise des Operntheaters 
akut. Der biirgerliche Horer, jetzt auch, aus einem natiirlichen Selbsterhaltungsinstinkt, 
Triiger der politischen Beaktion, klammert sich mit aller Gewalt an seine kiinstlerische 
Tradition, die kaum mehr ist als Konvention. Im Erwerbsleben kann er sich nicht 
gegen die Zeit stellen — er kame ins Hintertreffen, die Konkurrenz schliige ihn. Die 
Kunst wird umso mehr Betatigungsfeld seiner reaktioniiren Gesinnung. Hier geht es 
nicht urn Geld, sondern um „Ideale". Es tritt das Kuriose ein: wahrend sich in der ge- 
samten geistigen Welt eine grundsatzliche Umscbichtung vollzieht, halt das Operntheater 
an Spielplan und Auffuhrungspraxis der Vorkriegszeit fest. Es hat sich in der deko- 
rativen Aufmachung manches modernisiert, aber von Aktivierung der musikalischen 



112 HBINRICH STROBEL 



Interpretation klassiscker Meisterwerke kann bis jetzt nur in den seltensten Fallen die 
Rede sein. Wir sehen diese Werke mit neuen Augen, sie zeigen uns ein neues Gesicht 
Man kann einen von Wagnerscher Pathetik bestrahlten „Fidelio" niclit mehr ertragen. 
Der Glanz der romantischen Oper verblafit zusehends. Wenn sie iiberhaupt noch 
lebensfahig sein soil, so mufi ihre Darstellung gereinigt werden. Man mufi die inter- 
pretatorischen Freiheiten des Dirigenten und der Sanger, an denen man sich zur Zeit 
des romantischen Hyperindividualismus berauschte, endlich unterbinden. Je mehr 
typische ktinstlerische Werte die Gegenwart hervorbringt, umso grofier wird der Abstand 
zwischen der Haltung des Operntheaters und dem wirldichen Leben. Unsere Opern- 
praxis hat kauni noch Beziehungen zur geistigen Struktur der Zeit. 

Man hat das Krisenhafte dieser Situation langst eingesehen. Es wurden Versuche 
gemacht, den Spielplan zu erneuern. Man gab nioderne Werke, die sich grundsatzlich 
gegen die musncdramatisch-romantische Tradition wandten. Die Ausdruck eines neuen 
Kunstwillens sind. Es waren Versuche am untauglichen Objekt. Der keiner Regeneration 
mehr fahige Horerkreis opponierte, er drohte mit Kundigung des Abonnements. Er 
spiirte instinktiv in der ,,Geschichte vom Soldaten" ein seinem Ideal feindliches Prinzip. 
Hier konnte er sich nicht erbauen. Hier sollte er als heutiger Mensch aktiv miterleben. 
Das war ihm nicht mehr moglich. Man weifi von den Kampfen, die zur Zeit rheinische 
Biihnen, von zeitverantwortlichen Mensch en geleitet, mit ihren biirgerlich reaktionaren 
Horern ausfechten. Man erlebte in Berlin, dafi ein aus dem kollektivistischen Zeitwillen 
geschafTenes Werk wie Strawinskijs „ Oedipus Rex" von dem aus Geschaftsleuten 
bestehenden Publikum der Erstauffixhrung vollig gleichgiiltig aufgenommen wurde. Die 
monumentale Geste, die sinnlich aufpeitschende Klanglichkeit Wagners und der nach- 
wagnerschen Musikdramatik hat den Sinn fur reine und strenge Monumentalitat erdrosselt. 
Es zeigt sich, dafi eine Erneuerung und Aktivierung des Operntheaters vor dem burger- 
lichen Abonnentenpublikum nicht moglich ist. Es mufi ein neuer, der Gegenwart 
innerlich naherstehender Horerkreis gefunden werden. 

Einmal bot sich dazu schon die Gelegenheit: als nach der Revolution uberall im 
Reich Volksbuhnen auf sozialistischer Basis gegriindet wurden. Damals hatte man 
durch planmafiige und kluge Fiihrung ein von der Hortradition biirgerlicher Abon- 
nenten niclit belastetes Publikum zu einer neuen Musikgesmnung erziehen, hiitte man 
es fur die Musik der Zeit gewinnen konnen. Statt dessen betrieb man kunstlerische 
„Volksbddung" nach burgerlichen Prinzipien. Das erstarrte biirgerliche Operntheater 
wurde ohne weiteres ubernommen. Die Volksbuhnenleute gingen im burgerlichen 
Horerkreis zwar nicht nominell, aber bestimmt ideell auf. Die Opernaufluhrungen der 
Volksbuhnen unterscheiden sich in nichts von den iiblichen Abonnementsvorstellungen. 
Hochstens, dafi noch gleichgidtiger musiziert und gesungen wird und die bevorzugten 
Spharen des Kleinburgertums, Lortzing und die Operette, mit besonderem Eifer gepflegt werden. 

Inzwischen schreitet die Krise immer weiter fort. Das Operntheater schliefit sich 
als gesellschaft-reprasentative Angelegenheit immer mehr vom Leben ab. Die neuen 
Werke stehen immer isolierter im Spielplan. Fdm und Sport interessieren die noch 
unverbddeten Massen, interessieren vor allem die Jugend. Wenn das Operntheater als 
lebendiger Faktor wieder erstehen soil, dann mufi es eine Form finden, in der es jene 



DIE LAGE DER PROVINZOPER 113 

unverbrauchten Kreise zu sich heranzieht, die ihm bisher, weil es eben ungegenwartig 
ist, fern geblieben sind. Die representative Oper wird weiter bestehen, solange der 
Staat (und die Steuerzahler) ihm die enormen und letzten Endes nicht zu rechtfertigenden 
Zuschiisse gewahren. Aber ein wirklich heutiges, aktives, nicht auf bequeme Er- 
bauung ausgehendes Operntheater ist nur vor einem neuen Horerkreis mit neuen, aus 
der Zeit geschaffenen, die Krafte der Zeit in klarste und verstandlichste Gestalt 
bannenden Werken moglich. Organisation und Produktion miissen zusammenwirken 
So vielleicht erreichen wir das Ziel. 



Ernst Latzko (Leipzig) 

DIE LAGE DER PROVINZOPER 

Dafi die Oper eine aristokratische Kunstform ist, die sich selbst nicht zu erhalten 
vermag, deren Existenz vom Reichtum und Macenatentum abhangig ist, hat der Deutsche 
seit 1918 viel zu oft gehort, um es nicht auch zu glauben. Woher soil also heute, 
in einer Zeit immer zunehmender Verelendung, immer abnehmender Gebefreudigkeit 
diese Luxuspflanze ihre Lebenskrafte ziehen, vor allem in der Provinz, wo geringere 
Besucherzahl, geringere Wiederholungsmoglichkeiten, geringere Zuschiisse ihre ohnehin 
schwer bedrohte Existenz in noch erhohtem Grade gefahrden ? Der Ruf nach Reformen 
wird laut. Die Luft schwirrt von allerlei Schlagworten : Arbeitsgemeinschaft, Plan- 
wirtschaft, Fusion. Es sind immer neue Variationen uber das eine Thema „Abbau", 
dem man von den verschiedensten Seiten beizukommen versucht. Aus alien diesen 
mannigfaltigen Experimenten kristallisieren sich schliefilich zwei Hauptformen heraus, 
die [bald offen, bald verschleiert, bald gesondert, bald gemeinsam angewendet werden 
und durch deren Kreuzung sicli eine ganze Reihe von Abbau-Spielarten ergibt. Die 
erste dieser Grundformen ist die Verkleinerung des Etats durch Herabsetzung der Gagen 
und Einschrankung des Mitgliederbestandes, die zweite die Vergrofierung des Aktions- 
gebiets durch Ausdehnung der Tatigkeit auf mehr oder minder benachbarte Orte, die 
entweder keine Oper haben, oder sie aus Griinden der Sparsamkeit haben eingehen 
lassen. Die Mafinahmen der ersten Gruppe haben Anfanger- und Volontarwirtschaft, 
Proletarisierung, unaufhaltsam fortschreitende Qualitatsminderung zur Folge, die Mafi- 
nahmen der zweiten Gruppe beginnen mit dem sogenannten „Abstecher" und endigen 
bei der Fusion, die soeben in Gera-Altenburg den Beweis ihrer niateriellen und kiinst- 
lerischen Unfruchtbarkeit erbringt. 

Alle diese Abbaumafinahmen sind Versuche am untauglichen Objekt, weil sie 
den eigenartigen Existenzbedingungen eines Kunstinstituts nicht Rechnung tragen, sondern 
Erfahrungen, die auf dem Gebiet des Handels, der Industrie, der Landwirtschaft gemacht 
sind auf kunstlerischem Gebiet verwerten mochten. Dafi der Opernbeti-ieb rationeller 
gestaltet, dafi er vor allem zeitgemafi umgewandelt werden mufi, das ist eine Forderung 
des heutigen Tages, der sich kein Theater entziehen diirfte, am wenigsten das der 
Provinz. Aber man versuche doch einmal statt dieser rein aufierliien, mechanischen 
Mafiregeln eine Reform von innen heraus, eine Reform, die beim Wesentlichsten be^ 



114 ERNST LATZKO 



ginnt: beim Werk. Man beginne einmal nicht mit dem Abbau des Personals, sondern 
mit einem zeitgemafien Aufbau des Spielplans. Diese Zeit der Armut und Not, die 
nur dem Wesentlichen Daseinsberechtigung verleiht, fordert auch in der Kunst eine 
Abkehr von allem Uberschwang, von einer verschwenderischen Einsetzung der Mittel 
so gut, wie von jeder Hypertrophic des Ausdrucks. Auf unser Gebiet angewendet; 
Nicht die Auslaufer der Romantik, die allmahlich nach beiden Richtungen hin zu immer 
holier gettirmten Ubersteigerungen gelangten, diirfen die Grundlagen eines Opern- 
spielplanes sein, der die Zeichen der Zeit zum Ausdruck bringen will, wohl aber 
Werke, die Dkonomie der Mittel mit Einfachheit der Kontur und Schlichtheit des Aus- 
drucks verbinden. In diesem Sinn sind Wagner und Straufi nicht zeitgemafi, nicht etwa 
weil die in ihnen enthaltenen Werte geringer geworden wfiren, nachgelassen hatten, 
sondern einzig und allein, weil ihre Werke aus einer anderen Zeit heraus, fur eine 
andere Zeit enstanden sind. Darum waren sie lebendigster Ausdruck der jiingsten 
Vergangenheit, darum werden sie in einer materiell gefestigten Zukunft, die in 
der Ekstase Befriedigung findet, ihre friihere Bedeutung bestimmt wiedererlangen, 
eben darum sind sie aber heute nicht Abbild der Gegenwart. Denn die wendet 
ihren Blick weiter riickwarts und sucht zur Erganzung und als Spiegelbild der wahr- 
haft modernen Produktion im 18. Jahrhundert das, was ihr das 19. nicht bieten kann: 
Zuriicktreten des Subjektivistischen, dafiir bewufites Indenvordergrundstellen der Form. 
Darum mehr Mozart, mehr Handel und mehr Gluck, denn sie sind zeitgemafier als 
Wagner und darum mehr von jenem Gegenwartschaffen, das in der Ausgewogenheit 
aller Elemente, in der Bandigung des Allzupersonlichen durch Form und Technik eine 
neue Klassik anstrebt. 

Wie sieht die Wirklichkeit aus? Einige Zahlen mogen sprechen, die aus dem 
„Deutschen Biihiien-Spielplan" gewonnen sind. Gezahlt wurden die Auffuhrungen an 
alien reichsdeutschen Theatern, die Opern auffuhren, mit Ausnabme von Berlin im 
Dezember 1927. 'Noch immer steht Wagner mit 133 Auffuhrungen weit an der Spitze, 
ihm folgen Verdi mit 110, Puccini mit 90 Auffuhrungen, wahrend Mozart sich mit 63 
Vorstellungen bescheiden mufi. Dabei fallen allerdings Essen mit dem „Idomeneo" und 
Breslau mit „La finta semplice" angenehm auf. Die Handelrenaissance scheint sich 
nach vielverprechenden Anfangen totgelaufen zu haben, zu einer bewufiten, konsequenten 
Gluckrenaissance ist es noch garnicbt gekommen. Alle diese Zahlen sagen nicht viel 
Neues, erfreulich ist nur die verhaltnismafiig intensive Verdi-Pflege, die sich in Breslau 
sogar an den „Don Carlos" wagt. Deutlicher reden die Zahlen, die sich auf die Werke 
der reprasentativen Lebenden beziehen: Einige wenige Auffuhrungen des „Cardillac", 
Hagen und Essen erwerben sich Verdienste, jenes mit Hindemith „Hin und zuriick" 
und Tochs ,,Prinzessin auf der Erbse", dieses mit Honeggers „Antigone". Im Falle 
Straufi scheint die Gegenwart schon ihr Recht geltend zu machen, denn er ist 
mit nur 22 Auffuhrunge-n vertreten. Und zum Schlufi die beredteste Ziffer „Jonny 
spielt auf" wird im Dezember 64 mal aufgefiihrt, ofter als acht Werke von Mozart, 
halb so oft als zehn Werke von Wagner, dreimal so oft als sechs Straufi-Opern. 
Konigsberg und Nordhausen (!) erreichen die Rekordziffer von je neun Auffuhrungen 
in einem Monat. Damit scheint also der Bann, der das Publikum von der modernen 
Oper fernhalt, gebrochen, die Ehre der Provinztheater gerettet, alle Reaktion iiberwunden 



DIE LAGE DER PROVINZOPER 115 

izu sein. Aber dieser Sieg des Fortschritts ist nur ein scheinbarer. Denn in Wirklich- 
keit ist .,Jonny" garnichtdas Werk, das es so gerne sein mochte: ein "Werk des neuen 
Stdes; dazu fehlt ihm vor allem die Konsequenz, vielmehr ist es ein Werk, das mit 
fabelhaftem Instinkt aus der Gegenwart das herausholt, was sich schon anderwarts — 
in anderem Zusammenhang, anderem Milieu — den Beifall der Masse erworben hat 
(Blues, Saxophon, Rundfunk), urn es mit durchaus unzeitgemaGen, wesensfremden aber 
ebenso erfolgsicheren Elementen (Romantik, Sentimentalitat) zu einem organischen Gan- 
zen zu verquicken. Aber der Erfolg dieser Oper beweist nur wieder, wie sehr das 
Kompromifi im Vorted ist gegen das Werk der Folgerichtigkeit, gegen das Werk, das 
frei ist von Zugestandnissen. Siehe „Cardillac" und siehe noch mehr Kurt Weills 
„ Royal Palace". 

In zweierlei Hinsiclit ist der „ Jonny "-Erfolg trotzdem sehr lehrreich. Er beweist, 
dafi auch die ldeinere und kleinste Biihne den aufieren Anforderungen einer modernen 
Oper gewachsen ist; er zeigt, dafi das Publikum nicht aus Prinzip jedem neuen Werk 
abgeneigt ist. Und aus diesen zwei Momenten sollte die Provinzoper die Konsequenzen 
ziehen. Ebenso wie „ Jonny" verlangen auch die anderen Opern des neuen StUes wohl 
Arbeit aber keinen grofien Auffuhrungsapparat. Das Riesenorchester Wagners und 
seiner Nachfolger wird immer mehr eingeschrankt, die Vorliebe fiir solistisches, kammer- 
musikalisches Musizieren ist gerade ein Hauptmerkmal dieses Stiles, die Inszenierung 
verlangt mehr Phantasie und Erfindungskraft als hohe Kosten, der von der Reaktion 
und Bequemliclikeit diktierte Einwand der Insufficienz der Mittel ist hier also durchaus 
hinfallig. Bliebe die passive Resistenz des Publikums zu iiberwinden, die uberall dort 
spurbar wird, wo Sensationen, wie sie „ Jonny" in Fiille bietet, fehlen. Und hier er- 
wachst der Provinzoper, namentlich in kleineren, von bedeutenden Musikzentren ent- 
fernten Orten, in denen das Publikum meist von der allgemeinen musikalischen Ent- 
wicklung vollig isoliert ist. eine besondere Aufgabe. Denn hier gilt es nicht nur, das 
Personal des Theaters sondern auch das Publikum vorzubereiten und der Probenarbeit 
auf der einen Seite mufite auf der anderen eine intensive und zielbewufite Aufklarungs- 
und Propagandatatigkeit entsprechen. Jedensfalls ist das der Weg, der die Provinzoper 
aus alien Krisen- materiellen wie kunsderischen herausftihren konnte, der ihr selbst bei 
Einschrankung der aufieren Mittel ein wiirdiges Niveau sicherte : die zeitbewufite 
Umstellung des Spielplanes durch eine konsequente Pflege des 18. 
und 20. Jahrhunderts und Beschrankung der tibrigen Produktion auf 
das ihrer heutigen Bedeutung entspr echende Mai 

Ein Blick in den Biihnen-Spielplan zeigt, dafi es an vereinzehien Versuchen, die 
Zeichen der Zeit in diesem Sinn zu deuten, nicht fehlt. Die grofie Masse der Provinz- 
opern bewegt sich freilich in den gut ausgefahrenen Gleisen der letzten Jahrzehnte und 
glaubt ihre zeitgemafie Einstellung durch die alljahrliche „ Urauffiihrung " geniigend zu 
bewahren. Dieser Urauffuhrungsehrgeiz, von dem auch die kleinste Biihne nicht ver- 
6chont bleibt, stellt eines der unerfreulichsten Charakteristika der Provinzoper dar. Denn 
fast immer werden dabei - angeblich aus Griinden des Prestige, auf deutsch zur Be- 
friedigung der lieben Eitelkeit - Zeit, Arbeitskraft, Kosten fiir ein Werk verschwendet, 
das diesen Aufwand nicht verdient und damit anderen, wertvolleren Zweclcen entzogen. 
Einen Teil der Schuld trifft dabei jene grofistadtische Tagespresse, fiir die das Provinz- 



116 ERICH DOFLEIN 



theater an 364 Tagen des Jahres Luft ist und nur Bedeutung gewinnt, wenn es am 
365. irgend ein Werk urauffiihrt, um dann sofort wieder in das fruhere Dunkel zu 
versinken. Die vorbildlichste Aufbautatigkeit wird keiner Zeile gewiirdigt aber der Ur- 
aunuhrung des unbedeutendsten Werkes, am entlegensten Ort mit den unzulanglichsten 
Kraften gegeben, wird unfehlbar Erwahnung getan. Hier tate also eine Umstellung der 
Tagespresse zugunsten der Provinzoper dringend not. 

Die Gefahren, die der Provinzoper aus der materiellen Not der Zeit drohen, sind 
sicberlich nicht zu unterschatzen. Aber sie tedt diese nicht nur mit alien anderen 
Tbeatern des Reiches, sondern sie darf hier auch auf eine bessere Zukunft hoffen. Viel 
schlimmer aber wird sie von Indolenz, Reaktion und Eitelkeit, den Erbfeinden jeglichen 
kultureUen Fortschritts, bedroht. Denn die werden nicht nur niemals verschwinden, 
sie machen sich auch an der Provinzbuhne in unvergleichlich starkerem Mafi geltend. 
Nicht als ob dort die fur das Theater Verantwortlichen indolenter, reaktionarer, eitler 
waren als in der Grofistadt. Aber die Provinz, die so oft weit ab von aller Konkurrenz 
liegt, verleiht dem Theater jene gefahrliche Monopolstellung, welche alle iiblen Instinkte 
reif werden lfifit, die anderswo durch einen gesunden Konkurrenzkampf im Keim erstickt 
werden. Warum geben die Theater des Rheinlands unausgesetzt Beispiele riihrigen Ar- 
beitens im Sinne des Fortschritts ? Weil hier ein Ort, ein Theater neben dem anderen 
liegt und jedes den Vorrang behaupten mochte, in der Angst, jedes Nachlassen mit der 
kunstlerischen und wirtschaftlichen Existenz bezahlen zu miissen. Darum sind jene 
Theater am schlimmsten daran, denen dieser unbequeme aber heilsame Zwang von 
aufien fehlt. Und wird hier dieser aufiere Mangel nicht durch innere Werte der 
leitenden Personlichkeiten ausgeglichen, durch hochstes Verantwortungsbewufitsein, Aus- 
schaltung aller unsachlichen Motive, Emanzipierung von jener offentlichen Meinung, die 
in der Aufrechterhaltung der Tradition und in der Nivellierung aller Gegensatze ihr 
hochstes Ideal erblickt, dann droht hier die schwerste Gefahr der Provinz: dafi namlich 
aus der Provinzoper im ortlichen Sinn nun auch dem Rang, der Bedeutung nach eine 
Provinzoper wird. 



WISSENSCHAFT 

Erich Doflein (Freiburg i. B.) 

ORGA.NISCHE UND MECHANISCHE MUSIK 

(Zur gleichnamigen Schrift Paul Bekkers) 

1. 
Paul Bekker hat ein kleines Buch erscheinen lassen, in dem er Aufsatze aus den 
Jahren 1923/25 vereinigte. Es sind dies die Aufsatze, die sich als Erganzung seiner 
kleinen, gleichsam als Katechismus einer neuen Idee gedachten Schrift „Von den Natur- 
reichen des Klanges" ergaben. Die Aufsatzfolge entwickelt sich klar aus der Einheit 
eines Grundgedankens und baut sich folglich auf wie die Kapitelfolge eines im Ganzen 
konzipierten Buches. 



ORGANISCHE UND MECHANISCHE MUSIK 117 

Zum Ausgang dient eine allgemeine Betrachtung iiber ,.Neue Musik". Diese wird 
trotz ihrer grofien Untei'schiedlichkeiten als Einheit gesehen, als Kunstform, in der 
einheitlich die Idee der Form zum hochsten Gesetz wird und den Wert und die Be- 
deutung des reinen Gefiihls auflost und verdrangt. Es wird sogar ein Geftihl denkbar, 
das als Gefiihl durch die Form, durch die Kraft der Form bestimmt wird. Die Er- 
klarung dieses Neuen wird in der Abgrenzung gegen ein Friiheres, gegen die innere 
Gesetzlichkeit der romantischen und klassiscben Musik versucht. Hierzu ist es not- 
wendig, einen Dualismus, eine Gegensatzlichkeit von Gefiihls- und Formkunst zu 
formulieren. Gefiihlskunst wird charakterisiert durch das Ausnutzen der Moglichkeiten 
des Harmonischen, die als Moglichkeiten gleichsam zu einer gegebenen „Masse" werden, 
die als Material fur das Modellieren des Gefiihls dient; alles Klangliche offenbart sich 
hier als naiv bedeutungsbelastet; die Dissonanz z. B. hat als solche fiir sich schon einen 
Ausdruckssinn ; der thematische Dualismus der Sonate ergibt sich aus der Notwendigkeit 
von Kontrasten in der Welt des Gefiihls; nicht Musik, sondern Gefiihle werden kom- 
poniert, deren Spannungskurven in der Dynamik, in dem dynamischen Entwicklungs- 
gedanken einen naturwahren Spiegel finden. „Neue" Musik nun ergibt sich — hierzu 
im Gegensatz — zunachst aus einer Auflosuug jener Belastung des Klanglichen, jener 
Belastung mit nur scheinbar urspriinglichen Sinnbedeutungen ; der Materialwert des 
Klanges und des Tons als solcher wird wieder fiihlbar; der Trieb zum Spiel der an 
der Erkenntnis des bedeutungsbefreiten Materialwerts lebendig wird, wird ein Trieb zum 
Bauen, schafft den Wert der Form, macht die Form zum Wert, hebt die unbestrittene 
Gewichtigkeit des Ausdrucks auf. Schonberg lost und zersetzt den Klang, ermoglicht 
die Entdeckung des bedeutungsfreien Klangs; Busoni ersehnt das grofie Spiel des Geis- 
tigen, erlebt die Idee der Struktur; Strawinskij nutzt den Ausdruck, solange er ihn noch 
braucht, zur Parodie, die einstige Selbstverstandlichkeit der „Bedeutung" im Klang vor- 
aussetzend und zugleich mifiachtend, das Neue andeutend. — 

Nur aus einem Wandel des Subjekts, nicht der Musik selbst, ist eine solche Wand- 
lung in den Grundlagen der Erscheinungsformen der Musik zu erklaren. Wir stehen 
heute im Bewufitsein zwischen den Stilen und ihren Selbstverstandlichkeiten, sehen die 
verschiedensten Gestaltungsmoglichkeiten und sind vorerst einmal genotigt, das Eigene 
der jeweiligen Gesetzlichkeiten ohne einseitige Wertung des Stils zu erkennen und 
darzusellen. Solche Betrachtungsform kann man „Phanomenologie der Musik" nennen. 
Diese sieht, da sie nicht wertet und folglich keinen identischen Begriff von der Musik 
als Voraussetzung annimmt, den „Wandel" in der Geschichte, die Metamorphose, nicht 
den Fortschritt. Es ergibt sich, dafi wir keine Musik, sondern „Musiken" haben, die 
einander ablosen. Jeder grofiere Stil offenbart sich als eine andere, neue Musik; und 
jeder grofiere Stil wiederum hat seine zu ihm gehorigen Lehren und Selbstrechtfertigungen, 
seine eigene Asthetik also, jeweils eine der moglichen „Asthetiken" somit, unter denen 
als heutige Form sich jenes relativ unverbindliche Uber-allem-Stehen der Phanomenologie 
ergibt. Unsere Asthetik also wird eine Lehre von der Vielheit der Erscheinungsformen 
der Musik zu sein. Sie stellt die Frage nach der Ordnung dieser Vielheit, sie mufi also 
nach den „Wesensformen der Musik" suchen, die sich als Grundlage der Mannigfaltig- 
keit der Erscheinungsformen erfassen lassen. Denn diese. Mannigfaltigkeit kann nur eine 
Individualisierung, eine Vereinzelung jener Wesensformen sein. Diese Frage nach den 



118 ERICH DOFLEIN 



Wesensformen steht im Kern des Bekker'sclien Buches. Es ist dies die Frage nach der 
Einheit der Musik, im Grunde die ganz einfache und ehrwiirdige Frage nach einem 
Begriff der Musik, der die logische Grundlage dieser Vielfaltigkeit darstellen kann und 
so gefafit sein muiS, dafi er besonders die Notwendigkeit dieser Vielfalt zu erklaren und 
verstandlich zu machen vermag. Die Abgrenzung gegen die anderen Kiinste mu6 die 
Grundlagen dieser Begriffserfassung schaffen. Besteht nun die These der „Einfaltstheorie" 
zu Becht, die die Musik als die Erfindung aus dem „Nichts" gegen die anderen Kunste 
stellt, die in ihrer Materialgebundenheit relativ „Nachahmung" bleiben? Die Antwort 
auf diese Frage ist nun fur Bekker zugleich auch die Beantwortung der angeschnittenen 
grundsatzlichen und philosophischen Frage, die er als eine philosophische stellte, nun 
aber leider ganz primitiv materialistisch beantwortet. Musik ist fur ihn Gestaltung des 
Materials der Luft; Luft ist Material wie Stein und Farbe. Aus dem Aggregatzustand 
der Luft wird die Kontinuitat der Musik abgeleitet. Luft ist fliefiend und beweglich; 
Zeit und Baum werden durch sie in bestimmter Form der Empfindung zuganglich ge- 
macht, fur die Empfindung vermittelt; Musik wird zum Symbol zeitlicher und raumlicher 
Empfindung uberhaupt, wird „Nachahmung" der Zeit- und Baumempfindung in einer 
Form, deren Kontinuitat einzig dem Ohre zuganglich ist. Die Wesensform des Motivs 
z. B. schafft als Zeitsymbol durch die Wiederholung Zeitempfindung, die raumliche 
Wesensbeziehung des Intervalls schafft in der Grunderscheinung des Zusammenklangs 
die klangliche Baumempfindung. Der zeitlichen Kontinuitat enspricht als Form der Er- 
fassung notwendig das Vokale, die Stimme; der raumlichen Ordnung des „Zusammen" 
entspricht als Form der Erfassung notwendig das Instrument. Organische und mecha- 
nische Musik stehen also als zwei Wesensmoglichkeiten der Musik einander gegeniiber; 
die Wesensformen zeigen sich als Materialformen. Aus der Doppelmoglichkeit der Ma- 
terialerfassung, der instrumentalen und vokalen Tongestaltung, ergibt sich fiir Bekker 
die Notwendigkeit zweier polarer Wesensformen. Klang in der wesensvokalen Musik 
ergibt sich als Produkt einer Summierung von unteilbaren Ganzheiten; Klang in der 
wesensinstrumentalen Musik ergibt sich als Produkt der Zerlegung einer Klangganzheit 
und Klangeinheit; sie ist einklangliche Musik, die der prinzipiell mehrklanglichen Musik, 
der summierten, untedbaren, organischen Stimmenklanglichkeit der Polyphonie gegen- 
iibersteht; Polyphonie und Harmonie werden als Wesensbegriffe zu Klangbegriffen und 
zu einem theoretischen Gegensatz. Die stilistischen Vermischungen der Wesensformen 
ergeben die Erscheinungsformen, die nunmehr mit den neuen Wesensbegriffen stilkritisch 
unterscheidbar sind. Das jewedige Primat einer Wesensform — der organ isch-vokalen 
oder der mechanisch-rinstrumentalen — entscheidet iiber die stilistische Zuordnung. Die 
Polyphonie kann zum Diener der Zerlegung, also der Harmonik werden, wie das Har- 
monische zum Diener der Mehrklanglichkeit in einer sinnmafiig vokalen Polyphonie 
werden kann. Die autonome Gesetzlichkeit des jeweds stilbestimmend im Vordergrund 
stehenden Wesensmaterials bestimmt den Charakter der einzelnen Stilepochen. In jeder 
dieser Epochen ist der Dualismus der beiden entgegengesetzten Wesensformen auf eine 
jeweils verschiedene Weise wirksam. Jede Epoche hat ihre Asthetik, in deren Dar- 
stellungsweise die beiden Pole auf irgendeine Weise in der Art der Antithetik zur Aus- 
wirkung kommen, wenn auch die Arten der begrifflichen und sprachlichen Erfassung in 
der jewedigen Antithetik jeweils verschiedene sind. Wir heute fassen diesen Dualismus 



ORGANISCHE UND MECHANISCHE M US-IK 119 

der Prinzipien an der Erkenntnis der Doppelnatur des Klangmaterials. Unsere Zeit ist 
durch das Wachsen der Materialbewufitheit charakterisiert. Dies bestimmt nicht nur 
die heutige Musik, die sich auf die Wesensquellen der polyphonen Formung besinnt, 
sondern audi diese, unsere heutige Form der Astketik, die sich auf die Materialbedeutung 
besinnt und im BewuGtsein der Dualitat des Materials die Mittel zur Definition unserer 
Lage gewinnt. 

2. 

Bekker gibt im letzten Kapitel selbst an, wie man ihn kritisieren soil; entweder 
wird seine ganz individuell erlebte Anschauung unserer Zeitlage anerkannt, wobei die 
Folgerungen zu kritisieren waren, oder man lehnt seinen Ausgangspunkt uberhaupt ab. 
Dieser Ausgangspunkt, namlich das Gefiihl fur das Grundsatzliche im Stilwandel unserer 
Zeit, ist nun keineswegs abzulehnen, auch seine instinktstarken, musikalischen Folgerungen 
nicht, aber ganz grundsatzlich mufi die Art seines Folgerns, die Art, in der zu- 
fallige Ansatzpunkte der Betrachtung zu philosophischen Begriffen und Ausgangspunkten 
werden, abgelehnt werden. 

Alles, was aus einem Gefiihl fiir heutige Musik heraus formuliert wird, ist gut, 
wenn auch die Gegeniiberstellung von Gefiihlskunst und Formkunst wie jeder nicht ab- 
geleitete Dualismus voreilig erscheint, wenn auch der Begriff der Formkunst sehr un- 
verbindlich gefafit wird. Form als bestimmender Faktor in Werk und Stil kann, wenn 
sie in den Vordergrund tritt, nicht dieselbe Bedeutung haben, wie das Gefiihl als wich- 
tigster bestimmender Faktor in Werk und Std. Wird die Form in neuer Musik gegen- 
uber dem Gefiihl bedeutsam. so wird sie dies, weil das Wirkungsziel der Gefiihlskunst 
nicht mehr Wirkungsziel ist. Formkunst kann nicht demselben asthetischen Effekt dienen 
wie Gefiihlskunst. Folgt Formkunst auf Gefiihlskunst, so kann keine einfache Abwechs- 
lung der Mittel vorliegen, die sich vollzieht, wahrend der Sinn der Musik derselbe 
bleibt; die ideelle Einheit des Sinns der Musik lost sich mit der Erkenntnis soldier Wand- 
lungen notwendig auf. Die "Wandlung liegt tiefer, im Sinn, im Menschlichen. Das For- 
male kann wohl als nur asthetische Neuerung lebendig werden; aber es strebt iiber 
soldie unverbindlidie Neuerung hinaus, es fordert eine neue Form der Zuordnung des 
Menschen zur Musik, und es kann sinnvoll nur mit einer Anderung dieser Form der 
Zuordnung zur Selbstverstandlichkeit werden. Dies beachtet Bekker zu wenig. Er setzt 
folglich auch mit seiner Phanomenologie zu friih ein. Die Vielheit der Musik ergibt 
sidi ihm doch wieder aus einem zu einfach, zu eng gefafiten Begriff von der Musik. 
Er mufite notwendig auf den engen, materialistischen Begriff der Wesensform kommen, 
da er den Wandel, den er wohl als den des Subjekts (des Menschen) sah, doch nicht 
so sehr im Menschen suchte, dafi er ihn an den verschiedenen Formen der Wahl des 
Materials und des Widens zu einem bestimmten Material, also an den geistigeh Aus- 
gangspunkten, hatte erfassen konnen. In dem er das Material zum Ausgangspunkt der 
begrifflichen Bestimmung macht, setzt er schon eioen stilbedingten Begriff von der 
Musik an. Denn ist ein Material der Musik denkbar, das nicht schon selbst Musik ist, 
sowie man es nur als Material von Musik auffafit, ist ein Material also denkbar, das 
nicht schon gestaltet ware, das also auch nicht schon irgendwie stdisiert ware ? Hier liegt 
der GrundiiTtum der materialistisdien Denkungsart: Die begriffiiche Erfassung eines von 
der Verbindung mit der Gestaltung losgelosten Materials ist sinnlos und kann niemals 



120 ERICH DOFLEIN 



zur Grundlage einer Theorie von Gestalten werden. Kausale Ursachen werden hier mit 
lcgischen Griinden und geistigen Voraussetzungen verwechiselt. Man mufi auf die Prinzipien 
der' W a hi des Materials zuriickgehen, um die Materialformen der Musik als Wesens- 
formen begrifflich voneinander trennen zu konnen. 

Die Art, in der Bekker die Materialbewufitheit betont, stilistisch ordnet und in 
den Vordergrund heutiger Problematik stellt, ist aber wiederum sehr fruchtbar. Er 
setzt gefuhlsmiifiig das Zeitliche und Raumliche der Musik in einen sehr bedeutungs- 
vollen Zusammenhaag mit dem Vokalen und Instrumentalen, dem Polyphonen und 
Harmonischen, wemi auch die Art, in der er Zeitliches und Raumliches aus dem 
^Material" der Luft und den Moglichkeiten der Gestaltung dieses Materials ableitet, auf 
ein phdosophisches Gewissen nahezu peinlich wirken mufi. Raum und Zeit bleiberi 
vollig unbestimmte Grofien, die in dieser Unbestimmtheit als Grundlagen der musi- 
kalischen Erscheinungsform die Musik von keinem anderen sinnlich wahrnehmbaren 
Gegenstand unterscbeiden. Wird scbon aus der Zeitlichkeit und der Raumlichkeit der 
Musik Spezialeres abgeleitet, so mussen beide Faktoren erst selbst in ihrer musikalischen 
Funktion und in ihrer notwendigen Wechselbeziehung bestimmt werden. Es fehlt bei 
Bekker vollig der Begriff der „Gestalt", der klanglichen Zeitgestalt, an welchem erst der 
Regriff der Musik zu definieren ist, aus -welchem die Art des musikalischen „Materials" 
abzuleiten ware. Raum und Zeit sind erst als Prinzipien der musikalischen Gestalt 
die Prinzipien, vermoge deren der Klang zu einem der Ordnung zuganglichen Material 
wird; die moglichen Verschiedenheiten der Funktion von Raum und Zeit bestimmen 
die Verschiedenheiten der Musik, bedingen vielleicht auch den Unterschied von Vokalem 
und Instrumental em, den Unterschied in der Wahl des Klangprinzips also. Rekker 
aber geht in entgegengesetzter Gedankenfolge vor. — Die Bedingurigen der Verschieden- 
heit von Raum- und Zeitfunktionen also sind zu suchen. Die Einheit dieser Bedin- 
gungen wird jenen Begriff der Musik ausmachen, der weit genug ist, Gesetzlichkeit und 
Notwendigkeit immer neuer Wandlungen zu begriinden. Diese Bedingungen liegen in 
der Verschiedenheit der Zueinanderordnung von Musik und Mensch, denn hier erst 
bestimmt sich die Verschiedenheit des Gestalt-Sinnes, aus welchem sich erst alle weiteren, 
grundsatzlichen Unterschiede der Stilformen ergeben konnen. Die Erkenntnis der Ver- 
schiedenheiten des Gestalt-Sinnes ist nur in einer weit gefafiten Geschichtswissenschaft 
moglich; von dieser aus erst ist das philosophische Eindringen in die Struktur der Ge- 
stalt uberhaupt moglich, da ja die Gestalt allein sich mit dem Wandel ihres Sinnes 
nicht als eindeutige Form musikalischer Bestimmheit fassen lafit. Hier liegt der 
Hauptfehler Bekkers und seiner voreilig begriffenen Phanomenologie : dafi er von 
einem Begriff ausgeht (dem Materialbegriff), der sich in der Geschichte selbst wandelt, 
um mit diesem Begriff den Wandel in der Geschichte zu erklaren. — Die Verschieden- 
heit des Gestalt-Sinnes (die Verschiedenheit der Zuordnung zum Menschen also) als 
scheinbar letzter Punkt in der philosophischen Beduktion aber mufi selbst begriindbar 
sein; diese Begriindung liegt wiederum im Begriff der Gestalt, d. h. in der Notwen- 
digkeit jener Zuordnung der Musik zum Menschen, im Gestaltet-Sein der Musik, in 
ihrer notwendigen Produziertheit. Aus dieser ergibt sich die besondere Einmaligkeit 
der Gestalt: ihre Abgeschlossenheit, ihre Fertigkeit, ihre geheimnis voile iLsthetische Ein- 
zigkeit. Aus einem in diesem Sinne griindhch gefafiten Begriff der Gestalt also ergibt 



RUDI STEPHAN 121 



sich die Notwendigkeit des Immer-Neuen, die Gesetzlichkeit des Wandels der Musik. 
Bekker sucht diesen Wandel zu begriinden, indem er die Notwendigkeit zweier 
polarer Wesensformen erklart, ohne aber die Notwendigkeit dieser Polaritat erklaren zu 
konnen. Der Versuch, diese Notwendigkeit aus der Gegebenheit des Materials, das 
seiner Natur nach auf zwei verschiedene Weisen gestaltbar ist (vokal und instrumental), 
abzuleiten, mufi philosophisch unfruchtbar bleiben, weil er nicht von der Gestalt aus- 
geht, weil das produktionsbestimmte, gewahlte, stil- und traditionsbedingte Material 
unabhangig von der Gestalt erfafit wird. Wohl geht er von der Entstebung der Musik 
aus und bezieht auf diese Weise die notwendige Produktionsbestimmtheit bis zu ge- 
wissem Grade ein ; aber er faftt sie nicht als Prinzip, sondern nur als Tatsacbe, wo- 
durcli sich die ganze Ableitung seines materialen Dualismus nicht als eine phdosophische, 
sondern nur als eine materialistisclie bezw. psychologistische und genetische ergibt. 

Genetische Erklarung der Entstehung der Musik und philosophische Begrundung 
musikalischen Seins gehen mit ihren Begriffen fur Bekker immer wieder ineinander iiber. 
Zum Teil ergibt sich dies aus der Art, in der er uberhaupt den Begriff der Phano- 
menologie fafit, woriiber auch eingehende Kritik moglich und notwendig ware, was 
jedoch nicht in diesen Zusammenhang gehort. Nur einiges vom Grundsatzlichen sollte 
hier kritisiert werden — jedes nahere Eingehen auf philosophische Besonderheiten wurde 
noch weiter in asthetische und philosophische Spezialprobleme fiihren, als dies hier 
schon notwendig war. 



DIE LEBENDEN 

Karl Ho 11 (Frankfurt/Main) 

RUDI STEPHAN*) 

Geboren 1887; gefallen 1915. Diese Daten umgrenzen das menschliche und 
kunstlerische Schicksal Stephans. Zwischen ihnen enthullt sich, was dieses vorzeitig 
abgebrochene Leben fur die Musik bedeutet, warum es noch immer existent ist. 

Der kunstlerische Nachlafi Stephans ist an Umfang gering. Desto schwerer wiegt 
sein Gehalt, als absoluter Ausdruck wie als Ferment im einschneidenden Wandlungs- 
prozefi zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Einstein nennt Stephan einen „Pfadfinder der 
neuen Musik". Icli selbst habe ihn friiher schon — ohne jede Taktik der TJbertreibung — 
als einen „Propheten" bezeichnet, in dem zwiefachen Sinne des Wahr-Sagers und des 
Vorher-Sagers. Mit welchem Becht? 

Die Eosung des „neuen" Stils aus und von der Bomantik vollzog sich in der Idee 
und in der Substanz. Stephan ist, nach Umwelt und Erziehung, zunachst dem roman- 



*) Von den Werken Rudi Stephans sind er3chienen : „Musik Mr 7 Saiten-Instrumente" (auch mehr- 
fach zu besetzen) ; „Musik fiir Orchester" ; ,.Mu^ik fiir Geige und Orchester". „Liebeszauber" (Hebbel) fiir 
Bariton und Orchester. „Sieben Lieder", „Up de eensamc Hallig", „Ich will dir singen ein Hohelied" fiir 
Singstimme und Klavier (teilweise auch mit Orchester erschienen). Zwei ernste Gesange fiir Bariton und 
Klavier. „Die ersten Menschen", Oper in zwei Aufztigen. (Saratlich im Verlage B. S'chott's Sohne, Mainz). 



122 KARL HOLL 



tischen Ideal: „Musik als Ausdruck" unterworfen gewesen. Er hat mit seiner Generation 
das Erne Wagners und Straufiens angetreten, schwelgend im Bausch eines meist auf 
,,Bedeutung" gestellten, diese sinnlich (und leicht iiberschwenglich) spiegelnden , sie 
malerisch, mimisch und gestisch umsetzenden Klingens. Er hat aber bei seinem Lehrer 
Rudolf Louis mit der^feingliedrigen Form eines Brahms und der umschichtigen Tektonik 
eines Bruckner bald auch die Wichtigkeit des von der Klassik und Vorklassik ausge- 
bauten konstruktiven Elements erfahren. Und er ist schon friih zu der dreifachen 
Einsicht gelangt: dafi Musik, um sich nicht selbst aufzugeben, wieder autonom, 
wieder ein Wille werden miisse; dafi dieser Wille der neuen Wirklichkeit entsprechen, 
und dafi er demgemafi eine neue Form finden miisse. Zugleich hat Stephan diesen 
Willen in sich selbst erkannt und sich angeschickt, ihm Bahn zu brechen. 

In der Zeit, da Schonberg seine Kammersinfonie geschrieben hat und sein ns-moll- 
Quartett abschliefit, notiert Stephan, ebenso einsam schaffend, bei der Konzeption eines 
spater unterdruckten Opus 1 fur Orchester: „Keinen poetischen Titel, nicht die Be- 
zeichnung Tondichtung — und garnichts!" ... Der neue Wille erweist sich zunachst 
an der Verneinuhg des Programms. Dann stofit er sich mit dem Entwurf einer 
„Grotesken Orchestermusik" vom Pathos der Romantik ab. Er wirft die „Bedeutung" 
iiber Bord und versucht rein materieU zu musizieren. Motto : „Nu wiillt wi uns ook 
mal fix ameseern" (Ldiencron). Skizze : „Xylophontrillersolo . . . Bafi, Cello, Bratsche, 
tiefe Akkorde . . . Flotenlaufe, Triangeltriller . . . Streicher pizzicato Kadenz . . . Fagott 
mit Pizzicatobegleitung, Oboe geschickt dazu unterbrechend, einzelne Paukenschlage da- 
zwischen . . . Flote: Flatterzunge auf col legno der Streicher. — Mittelsatzchen : Okarina 
mit Ziehharmonika, Indianerlied . . . spater (nach einer Stelle mit vollem Orchester) : 
Bafiklar inetten trill er als Orgelpunkt . . . Oboen : herabtanzende Rhythmen . . . Glocken- 
spiel: Orgelpunkt in oberer Oktave . . Castagnetten: Tanzrhythmus . . . Solocello: 
Orgelpunkt pizzicato; darauf in der 1. und 2. Violine derb robuster Molltanz, der 
fugenartig durchgefiihrt wird". . . . Man bemerkt die Evolution zu einer herberen, 
gelosteren Sinnlichkeit mittels individueller Auftedung des Orchesterklanges ; ja sogar 
eine gewisse Reaktion in Form der Denaturierung des Streicherklanges, der betonten 
Anwendung der Scblaginstrumente sowie der Einfiihrung „profaner" Klangmittel in das 
hochromantisch-neudeutsche Orchester. Zugleich aber wird unter dem Klang-„Stoff" der 
schon in der Namengebung angedeutete neue Klang-„Wille" am Gewicht des Rhythmus 
und an der Heranziehung exotischer Meloddc spiirbar. Der Durchbruch oder besser 
(angesichts der Unvollendung) : Aufbruch dieses Widens geschieht auf dem Wege durch 
die Impression und durch die Exotik. 

Debussy hat dem Westdeutschen Stephan Moglichkeiten einer Sublimierung des 
iiberhitzten romantischen Klanges in harmonischer wie orchestraler Hinsicht eroffnet. 
Die Exotik, Stephan aufierlich wohl schon durch seinen ersten Lehrer Bernhard Sekles 
nahegebracht, hat sein Tonalitatsbewufitsein geweitet; mit alien Konsequenzen fur Harr 
monik, Melos, Stimmffihrung. Aufierdem hat sie ihm rhythmische und rhythmisch- 
motivische Anregungen gegeben. So wenig die Neufranzosen Stephan zum Astheten 
gemacht haben, so wenig haben ihn Capellens Hinweise auf die aufiereuropaischen 
Musiksysteme dem Snobismus ausgeliefert. Stephan ruhte in sich; war in der aufieren 
Haltung Zivdisationsmensch und doch dem Instinkt nach Primitiver. Das hat ihn 



RUDI STEPHAN 123 



vor der ubertriebenen Abstraktion, die damals als Abwehr wie als Gegenexperiment 
in der Luft lag, bewahrt. 

Ab 1911 treten die vollgultig gedachten "Werke ans Licht. Stephan nennt sie — 
ein stilgeschichtliches Symptom ersten Ranges! — samtlich nur „Musik" und unter- 
scheidet sie rein nach der Besetzung. Eine Kammermusik, symphonische Werke und 
Lieder versetzen die deutsche Musikwelt in Spannung. Eine Oper tritt in Sicht, 
wird vollendet und angenommen, aber erst als Werk des Gefallenen 1920 urauf- 
gefuhrt. Und nun fragen wir nach der Substanz dieser so fruh „Stil" gewordenen 
Tonsprache. 

Ihr altestes Dokument: die Ballade „Liebeszauber" fur Bariton und Orchester; 
mit geschickter Ktirzung des Gedicbtes von Hebbel auf plastische Form gebracht. Die 
Partitur zeigt noch wesentlich impressionable Haltung, in jener individualisierten, ge- 
lockerten, teils audi sublimierten Orchesterfarbe, von der schon die Rede war. Linie 
und Harmonik werden stark durch die Ganztonleiter bestimmt. Die dissonanzgeladene 
Akkordik bewirkt, in engstufiger Fiihrung der Stimmen von der Mitte nach aufien 
drangend, eine gewaltige expansive Spannung, die ohne eigentlich tonale Konsequenz 
schliefilich doch in den Durdreiklang mundet. Ein beziehungsreicher, verstarkender 
Ausdruck des inneren und des aufieren Gewitters in der Dichtung selbst. Elemente der 
Exotik machen sich als ausgedehnte Orgelpunkte mit harmonisch freier Melodik und als 
heterophone melismatische Bildungen geltend. 

Erste Instrumentalkomposition: die „Musik fiir sieben Saiteninstrumente", 
in einem Satz und einem Nachspiel. Damals (1911) von einem konservativen Kritiker 
als „Irrsinn und Unmusik" bezeichnet; von heute aus gesehen: Kundgabe einer neuen 
Klangrealitat, erste starke Ausformung des Willens zur absoluten Form, Zeichen all- 
mahlichen, bewufiten Ausbaues der Horizontale. Zwar bleibt auch hier der Klang noch 
grundlegender Stdfaktor. Je mehr sich aber die Stimmfuhrung durch Einbezug freier 
rnelodischer und heterophoner Bildungen sowie unter dem Gesetz strengerer Satztechnik 
yerselbstandigt, desto mehr wird die Hinneigung zu linearer Auffassung und Formbildung 
spiirbar. Dazu: Starkung des Rhythmus fast bis zu barbarischer Kraft, und, bei grofiter 
Fiille, ein differenzierter Klang, der von feinster sinnlicher Kultur bis zu hartester Sach- 
lichkeit reicht. . Man beachte die Besetzung: fiinf Streicher, Iflavier und Harfe. Sie 
entspricht der ideellen Verdichtung, der engen inneren Bezogenheit der Stimmen. 

Die noch etwas ungeziigelte (spater nach Stephans Angaben von mir uberarbeitete 
Form der „Saiten-Musik" wird durch die kompaktere der einsatzigen „Musik fiir 
Orchester" abgelost, die eine Ai - t klassisclie Klarung und Zusammenfassung des bis 
dahin Erreichten darstellt. Die Klarheit des Eindrucks wird durch die ungemein spar- 
same, auf Materialechtheit bedachte Aufteilung des „grofien" Apparats gewahrleistet. 
Der innere Zusammenhalt beruht auf der Eigenart und Keimkraft der Themen sowie 
auf der Intensitat ihrer Verarbeitung. Eine breite Moll-JQage der Streicher mit Nach- 
satz der Holzblaser; ein lyrisch beschwingtes Seitenthema der drei Trompeten; ein 
skurriles Fugenthema der Bafiklarinette. Aus diesen Quellen wird mit alien Kunsten 
der Umkehrung, Verkleinerung, Vergrofierung, Engfuhrung und rhythmischen Variation 
.ein Spiel der Krafte entfesselt, das mit fast dramatisch heifiem Atem bis zur triumphalen 
Dur-Apotheose des Hauptthemas ansteigt. Neu ist aufier der Reinheit des Kolorits, der 



124 KARL HOLL 



voni Vertikalldang schon ziemlicli emanzipierten Kontur der Linie, ihr starker Eigen- 
wille, der sich nicht nur im vehementen Drang nach vorwarts, sondern auch in trau- 
merischer Kantilene und in rein ornamentaler Bewegung kundgibt, durch stark syn- 
kopierte urtiimliche Rliythmik gegliedert. Dem wesenhaften Aufbau und der wesen- 
haften Instrumentation entspricht noch kein restlos klarer, leicht iiberschaubarer Form- 
Organismus, doch ist die Gesamtanlage als Ansatz zu soldi neuer Gestalt zu werten, 
Im ganzen: eine Musik, die mit starkem Gefiihl, mit bauender Kraft und nicht ohne 
Humor die romantischen Klangnebel zerstreut; die, so kuhn sie in das luftige Reich des 
Geistes vor stofit, nie den Boden einer gesunden, allgemeinsamen Sinnlichkeit verliert. 

Ahnlich die „Musik fur Geige und Orchester". Sie greift konstruktiv in 
mancher Hinsicht noch uber den Std der Orchestermusik hinaus, kann allerdings, im 
Kern fruher entstanden. deren klangsinnliche Okonomie nicht erreichen. 

Als Kompendium seines Suchens hat Stephan schliefilich (nach Borngrabers Mysterium) 
die Oper „Die ersten Menschen" gescliaffen. Die Grundidee der Handlung: der 
Mensch zwischen Tier und Got*, ihr Ziel: Einheit des Geistes und der Sinne — er- 
hellen auch die innere Haltung des Musikers. So exemplarisch seine Partitur auch ist, 
man sollte den „Zukunftsmusiker" Stephan nicht nur nach ihr beurteilen. Denn der 
noch immer wesentlich „musikdramatische" Zuschnitt, die starke Bezugnahme auf ethische 
und psychologische Gehalte, auf mimische und illustrative Zwecke kann ohne Zusammen- 
hang mit den „absoluten'" "Werken leicht den Eindruck des individuell gefarbten Wagner- 
und Straufi-Epigonentums erwecken. Im Zusammenhang betrachtet, gibt sich diese 
Oper jedoch dem eindringlichen Blick als eminent zukunftstrachtig zu erkennen. Nicht 
nur werden die Prinzipien und Klangwerte der Impression mit exotischen Momenten 
und der Motivtechnik Wagners zu sehr vielseitigem und plastischem Ausdruck ver- 
schmolzen, sondern auch in Stimmfuhrung, Rhythmus, Form und Farbe neue Perspektiven 
eroffnet. Die akkordisch bedingte „Stimme" erreicht bei der Weite des Tonalitatsbegriffsl 
da und dort schon bemerkenswerte Selbstandigkeit. Bhythmus und rhythmisches Motiv 
kommen zu lapidarer Wirkung, wie sie sich die neue Musik (mit ihrer Renaissance deS 
Schlagzeuges) zu eigen gemacht hat. Die „dramatisch" oft geradezu hemmende musi- 
kalische Geschlossenheit einzelner Szenen darf als Vorzeichen fur die Wiederaufrichtung 
des musikalischen Formprinzips in der Oper gelten. Das Orchester ist trotz uberreichef 
Besetzung (mit charakteristischer Verwendung des Saxophons, der col legno- und pizzi- 
cato-Technik der Srreicher) ein Muster von Ordnung, Reinheit, Sparsamkeit. 

Absichtlich sei hier von den Klangschonheiten dieser Musik, von ihrer Sammlung 
und Wucht, ihrer expressionablen Deutkraft geschwiegen: ebenso absichtlich die Ab- 
hangigkeit der Singstimme vom Instrumentalsatz betont. Stephan hat in den „Ersten 
Menschen" noch eine regelrechte Orchester-Oper geschrieben. Auch in seinen Liedern 
ist das Problem des neuen, von der Singstimme herkommenden Melos, nur bei einzelneti 
Stiicken — wie „Heimat" v „In Nachbars Garten" und „Das hohe Lied der Nacht" — 
tastend angedeutet. 

Grenze der Begabung oder Grenze des unerbittlichen Geschicks? Es ist das Los 
Stephans gewesen, an der Pforte des neuen Klangreiches zu verloschen. Aber er hat^ 
ohne sich den Gesetzen des friiheren ganz entziehen zu konnen, das neue im Geist und 
im Stoff mit vorbereitet. Es gibt in jener Zeit kaum einen anderen Musiker, der so 



RUDI STEPHANS BILD 



125 



wie er erkannt und verwirklicht hat, was einzig fur die Verjiingung seiner Kunst taugen 
konnte: die Losung vom aufiermusikalischen Zweck; die Klarung und Verdichtung der 
Mittel ; deren Unterordnung unter den gestaltenden Willen ; und die Zufuhr unverbrauch- 
ten, unverbildeten Instinkts. In der bauenden Umsetzung der Ergebnisse des reinen 
Impressionismus steht er unter den deutschen Musikern der Zeit neben Reger einzig da. 
Das Ziel der „Expressionisten" nahm er, mit alten Mitteln, zum Teil schon vorweg. 
Vielleicht hatte er das Zeug, eine neue Klassizitat heraufzufuhren. Jedenfalls haben 
Wahrheit und Einfachheit als oberste Kennzeicben seines fragmentarischen Schaffens ihn 
zum hervorragenden Evolution ar bestimmt, gleich weit von Klangnaaterialismus 
und Abstraktion. Wir kennen fast nur seine symphonische und dramatische Schwere. 
Sein Humor harrte noch der Erlosung im „Spiel", als er seiner Kunst entrissen wurde. 
Sie bewahrt sein Erbe als eine Stimme der Gewifiheit in unsicherer, garende Zeit. 



Paul Appel (Homberg) 

RUDI STEPHANS BILD 1 ) 



Aufgedunkelt zur Ewigkeit, 

Berufen, eh' du gerufen wardst und eingingst, 

Blickst du mich an, 

Du Warmer, Lieber, 

O, Mundiger! 

Ich kannte dich nicht. 

Weifi nicht, wie die Stimme dir flofi, 

Hinaus zu den Blumen, 

Zum Immergrun 

Und in die Herzen der 

Wandernden Seelen. 

Weifi nicht, wie dein Weg sich bog, 

Bis sie dich nahm, 

Die freie Stille, 

Dich, den Stillen, Ungestillten. 

Aber ich weifi, mein Freund bist du. 

Und griifie dich so, 

Hiniibertrauernd, 

Hinuberwinkend aus windiger Nacht 

Und griifie dein Bildnis. 

Schon stand deine Seele der Welt 

Und einsam. 

Wie tiber zarte Terassen ein Kind geht, 

Einsam, 

Und zum Kies sich biickt 

Und Blumen trankt in volliger Schone ; 

So tranktest auch du, 

Schenktest auch du, 

Schenktest Lieder, dort und dahin. 



Sangst du des Sommers hangende SQfie nicht 

Und des Herbstes zerstreute Treue? 

Wie Laub der Akazie war dein Lied, 

Ich hor es. 

Du dacbtest der Traume, 

Dachtest der Tranen, 

Vergafiest auch ihn nicht, den Schmetterling, 

Der lind und gestreichelt zum Sterben geht 

Auf dem Stein in dem Waldtal. 

Doch deiner Tone ewigstes Gliick, 

Du gabst es ihnen, 

Den Gartnerinnen unserer Garten, 

Ilinen, den Frauen. 

Und sie ruhrten sich dir, 

Heilten dich hell mit den beiden Handen, 

Sie neigten sich, 

Neigten die Herzen, 

Neigten die Briiste ernst und bunt, 

Beide wie Trauben. 



O, selig das Madchen, Freund, 

Seliger die Frau, 

Die mit dir ging im gebundenen Licht, 

Die dich grufite am Morgen, 

Die das Haar dir streichelte, 

Die sich schauernd dir gab in der singenden Nacht, 

Dem Unsterblichen 

Die Sterbliche, 

Ach, die Unsterbliche I 



J ) Erste Veroffentlichung. 



126 



MELOSKRITIK 



MELOSKRITIK 



Die neue, Her angestrebte Form der Kritik beruht darauf , da6 sie von 
mehreren ausgeiibt wird. Dadurch soil ihre Wertung von alien Zu- 
falligkeiten und Hemmungen abgelost werden, denen der Einzelne 
ausgesetzt ist. Langsam gewonnene gemeinsame Formulierung, aus 
gleicher Gesinnung entstanden, erstrebt einen hoheren Grad von Ver- 
bindlichkeit. Die Werkbesprechung will alle Bezirke gegenwartigen 
SchafFens umspannen. 



Werkbesprechung 

Hans Mersmann, Hans Schultze-Ritter, Heinrich Strobel und Lothar Windsperger 



KURT THOMAS 

Der aufiergewohnlich grofie aufiere Erfolg der Messe und der Markuspassion von 
Kurt Thomas legt die Beschaftigung mit den bisher vorliegenden Werken dieses jungen 
Leipziger Komponisten nahe. Thomas ist aus der Schule Karl Straubes hervorgegangen ; 
sein Opus 1, die Messe in a-moll fur Soli und zwei Chore, war der unmittelbare grofie 
Erfolg des Kieler Tonkunsterfestes 1925. Dieser Erfolg war insofern verstandlich, als 
das "Werk einen durchgehend starken und sicheren Instinkt fiir Chorklang und iiber- 
raschende Ziige plastischer Bildhaftigkeit enthiillt. Wir geben als Beispiel die schwung- 
voll aufsteigende Linie des Osanna-Themas: 



CKor I 



Animato e con fuoco 




eel-sis 



- 



san 



Die Thematik der Messe sucht den geistigen Gehalt des Textes ausdruclcsmafiig 
zu durchdringen. So gelingen Stellen, wie das durcli motivische Verteilung auf Chor 
und Soli eindringlich gesteigerte Miserere im Agnus Dei. Eine archaisierende Harmonik 
gibt dem Chorklang eigenartige und wechselvolle Farbigkeit: 



WERKBESPRE CHUNG 



127 



Soli 



Chor 



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Tenor 



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Die Gestaltung bemuht sich um klare und geschlossene Form, die jede Weitschweifig- 
keit vermeidet. 

Dem gegemiber steht ein Mangel an eigener melodischer Erfindung, der durch 
den geschickten Chorsatz oft verdeckt wird. Schon hier zeigt sich, dafi dem Kompo- 
nisten eine im letzten Sinne schopferische Kraft doch fehlt. Ein Beleg: der matte An- 
fang des „Kyrie" 



Solo 



Tranquillo 




dessen ungespanntes Herabsinken sich zwangslaufig in dem unentschiedenen Schwanken 
des darauf folgenden Choreinsatzes auswirkt. An vielen Stellen treibt der Mangel 
an melodischer Substanz den Ausdruck in effektvolle Aufierlichkeit. So ersetzt im Sanc- 
tus die blofie Farbe, was der Melodik und Harmonik an innerer Spannung fehlt: 
auf einem tiefliegenden Quintenorgelpunkt gleiten das ganze Stuck hindurch Sextakkorde, 
iiber den en Sopran- und Tenorsolo in bedenklicher "Weichheit dahinfliefien. An manchen 
Stellen beruhen die starken Wirkungen ausschliefilich auf einer solchen Farbigkeit. Auch 
die Polyphonie wird von ihr diktiert und gelangt daher nicht zu wirklicher Entfaltung. 



128 



MELOSKRITIK 



In den spateren Chorwerken verstarken sicli die negativen Merkmale. Die Klang- 
wirkungen des Chorsatzes werden im 147. Psalm zur Virtuositat gesteigert. In der 
Markuspassion fiihrt die Ankniipfung an den Stil der alteren deutschen Motettenpassion 
notwendigerweise zu einer starkeren Betonung des Polyphonen ; aber wie die archai- 
sierende Tendenz Thomas in der Messe zu einer an Palestrina gemahnenden Klanglich- 
keit fiihrte, so drangt ihn die hartere Linienfiihrung der deutschen Vorbilder noch mehr 
zur Stilkopie. Hier, wo er freiwillig auf Farbe und Effekt verzichtet, treten die Schwachen 
seiner Erfindung und Gestaltung noch deutlicher hervor. 

Die Kammermusik steht auf einem bedeutend tieferen Gesamtniveau. Was in 
den groften Chorwerken durch positive Momente verdeckt war, tritt im reinen Kam- 
mermusiksatz eindeutig hervor: die gesamte Instrumentalmusik von Thomas, die bis 
jetzt ein Quartett, em Trio und zwei Sonaten umfafit, ist epigonal. Hinter ihr steht 
die EinfluGsphare von Brahms und Beger. Doch gelangt Thomas nicht uber verwasserte 
Nachahmung hinaus. Sie verbindet sich mit einer auffallenden, in der Konservatoriums- 
praxis erworbenen Satzfertigkeit und Boutine. Die Folge davon ist eine immer wieder- 
kehrende unverantwortliche Leichtfertigkeit, mit der er einen Satz, wie das Allegretto 
seiner Violinsonate uber diirftiger, mit karglicher Imitation unterbrochener Achtelbe- 
gleitung thematisch aufbaut: 



Violine 



Leicht bewegtuuchtschnell) 




i*T|j i t n J iTyt^rTiT^ iT ' i r i Tn r i-f-r 



f wicder breiter 



Von hier aus ergibt sich die Moglichkeit, die Musik von Kurt Thomas zusammen- 
fassend zu iiberblicken. Die grofien Erfolge seiner Chormusik erldaren sich auch aus der 
aufierordendich giinstigen Situation ihrer Entstehungszeit. Bei dem Fehlen von neuen 
unbegleiteten Chorwerken grofieren Formats war es leicht, ein gewisses eigenes Gesicht 
zu geben und durch ein Zuriickgreifen auf vorbachische Stilhaltung den Eindruck der 
Gegenwartigkeit zu erwecken. 

Wenn die Chormusik hieriiber noch hatte Zweifel aufkommen lassen, so gibt die 
durchaus epigonale Kammermusik den eindeutigen Beweis. Sie ist bezeichnend fur die 
Musik eines Kreises, der sich allmahlich als reaktionarer Gegenpol zu den wirklichen 
Stromungen unserer Zeit immer mehr bemerkbar zu machen beginnt. Hier steht 
Thomas als starkster Kopf in einer Gruppe, deren gesamte Haltung unserem Musikleben 
darum gefahrlich werden kann, weil sie hinter einer gewissen Fortschrittlichkeit eine 
rein akademische Gesinnung verbirgt. 



AUFFUHRUNGSBESPRECHUNG 129 

Auffuhr ungsb e spr e chung 

Hermann Springer, Heinrich Strobel und Werner Wolffheim 

„ Oedipus Rex" unter Klemperer war das musikalische Ereignis der ver- 
gangenen Wochen. In Strawinskijs neuestem Werk gipfeln die klassizistischen 
Tendenzen, die er seit mehreren Jahren verfolgt. Er gelangt von der Neuformung 
eines Pergolesi in ,,Pulcinella" iiber das bachische Klavierkonzert zur gescklossenen 
und monumentalen Schopfung einer Oratorienoper. Sie ist progi - amniatischer Gegen- 
satz zu der oft phrasenhaften Bewegtheit des Musikdramas. Bei entschiedenem Archaismus 
ist die Objektivierung bis zum Letzten getrieben. Schon in der dramaturgiscben Anlage : 
ein Sprecber erscheint vor alien Abschnitten der Handlung, erzahlt und erklart die 
Vorgange. Das Stoffliche des hihalts wird in lateinischem Text zusammengedrangt, 
Gefiihlspathos ist ausgeschaltet. Die Zeitlosigkeit des Gescbehens wird fuhlbar. Die 
Aneinanderreihung monumentaler Bilder erhalt durch die Musik ungeheure Gespamit- 
heit. Sie ist streng, konzentriert, lapidar, von grofiartig starrer Monotonie. Trotz 
wechselnder Stilelemente ist Einheitlicbkeit erreicht. Es herrscht eine neue, gereinigte 
Tonalitat. Scharfe Rhythmen sind aus dem Spracbmetrum gewonnen. Unheimliche 
Acbtel bohren sich ein. Als Kontrast zu Liturgiscbem und Psalmodierendem sind die 
solistisclien Partien auf breite Kantabilitat, auf unsinnliche Bewegung gestellt. Herb, 
neuartig, durchsichtig der Orcbesterklang. Formale Komplexe, nebeneinander gesetzt, 
stiitzen sicli gegenseitig. Die wuchtigen Blocke des Chors, der nur aus Mannerstimmen 
bestebt, binden das Ganze zur zwingenden Einheit. 

Klemperers Erfulltheit vom "Werk schafft eine vollkommene Auffuhrung in 
Musik und Szene. Snobistiscber Einschlag ist taktvoll gemildert. Der Sprecber erscheint 
nicht im Frack, sondern im neutralen Kostum. Diilbergs Biihnenbild steht pracht- 
voll im Raum: ein kubistiscber Aufbau, hell beleuchtet gegen den tiefblauen, dann 
schwarzen Hintergrund; der Ghor in grauen Gewandern als fast unbewegte Masse 
seitlich unten im Dunkel, dariiber die starren Figuren des Dramas. Die Verkorperung 
des Oedipus und der Jokaste durch Kaspar Koch und Sabine Kalter: grofi und sicher. 

Die Wirkung war stark und tief. Auf „Oedipus" folgte die aufierst exakt musizierte 
kleine Buffooper ,,Mavra" und der von Terpis hubsch einstudierte ,,Petruschka". 

Klemperer braucht auch leichtere Stvicke fur seine Vobisoper. In Gounods 
,,Arzt wider AVillen" besteht ein Widersprucb zwisclien dem possenhaften Text 
Molieres und der Musik, die den Stil der opera comique artistisch weiterfiihrt und der 
klassischen franzosischen Operette nahert. Vom Stoff ausgehend, iibersteigert der 
Regisseur Schulz-Dornburg das liebenswurdige Werk ins Burleske. Billigt man 
diesen Ausgangspunkt, so darf die Berliner Auffuhrung als iiberaus gelungen gelten. 
Das lebhafte, bunt wirbelnde Zusammenspiel des Ensembles und die prazise Inter- 
pretation der feinen Partitur durch Zweig sicherten den Publikumserfolg. Hammes 
bot als Sganarelle viel naturliche Komik, Tilly Blatter mann war eine derbe, hochst 
lustige Amme. 

Das Horthsche Ensemble beschrankte sich auf die Neueinstudierung der „Pilger 
von Mekka" von Gluck im Schauspielhaus. Die Handlung, die den Stoff von 



130 MELOSKRITIK 



Mozarts „Entfuhrung" vorausnimmt, lauft in munterem oder gefuhlvollem Ariettenstil ab. 
Derbe Buffoziige fehlen nicht. Im reichen Biihnenrahmen von Aravantinos eine 
aufs feinste abgestimnite Auffiihrung unter Horth und Kleiber, mit der sensitiven, 
gesanglich hervorragenden Delia Bernhardt als Bezia. 

Die Handelrenaissance, die das Wesen der opera seria als reine Musikoper in 
einer Zeit des Suchens wieder aufgedeckt hat und als Gegengewicht gegen das roman- 
tische Musikdrama wertvoll und fruchtbar wirkte, hat sich allmahlich erschSpft. Diese 
Erkennlnis ware gekommen, auch wenn die Wiedergabe des „Ezio" in der Stadt- 
tischen Oper die wesentlichen Stdforderungen Handels erfiillt hatte. Die Unsicher- 
heit dieser AufTuhrung kam in erster Linie von der Begie Niedecken-Gebhards, 
der sein von Gottingen her bekanntes szenisches Gestaltungsprinzip bedrohlich iibertrieb. 
Anstelle des Barockrahmens, der grundsatzlich nicht aufgegeben werden darf, setzt er 
eine vollig ermichterte Szene: neutrale Hintergrunde mit kahlen Podesten. Die pathe- 
tische Geste Handels wird krampfhaft ins Statische und Tanzerische entstellt. Not holts 
Bearbeitung des „Ezio K , schon in Gottingen erprobt, drangt den Handlungsablauf mehr 
als wiinschenswert zusammen und verbiegt die Bezitativlinie hochst bedenklich. Maria 
Pos-Carloforti und Wilhelm Guttmann bewahren ihre Vertrautheit mit dem 
Handelschen Gesangsstil aufs Neue. Eine Uberraschung ist die scharfe Charakterkunst 
Burgwinkels in der Bolle des Verraters Massimo. Denzler findet als Dirigent 
nicht die innere Kraft und Strenge, welch e die Musik Handels erfordert. *V. E. Wolffs 
Generalbassbegleitung ist vorbildlich in ihrer Verbindung von stilistischer Genauigkeit 
und kunstlerischer Einsicht. 

Hugo Wolfs „Corr egidor", der sich trotz ^vieler Versuche nirgends lebens- 
fahig durchsetzen konnte, wurde von Bruno Walter in der Stadtischen Oper mit 
besonderer Liebe herausgebracht. (Er trat fur das Werk schon in Munchen ein). Der 
Iflang des Orchesters ist prachtvoll gesattigt. Martins Begie arbeitet das Burleske 
deutlich heraus. Maria Bajdl ist eine Frasquita von verfuhrerischer Weiblichkeit, 
Erb ein wundervoll durchgebildeter Gorregidor, Guttmann, ein kraftfroher Muller, 
verstarkt das Pathos des zum Aktschlufi ausgeniitzten Monologs. 



Hermann Scherchen, mit Leidenschaft fiir alle Bezirke neuer Musik sich ein- 
setzend, brachte in einem Bundfunkkonzert drei Urauffuhrungen. Die Sinfonia fugata 
des hochbegabten Busoniscliiilers Wladimir Vogel, dem Andenken des Meisters ge- 
widmet, neigt in Form und Klang zur Mafilosigkeit. Im fugierten Anfang liegen 
mfichtige Spannungen. Ein Blaserscherzo ist ausgezeichnet gelungen. Der starke, inner- 
lich begriindete Ausdruckswille ist unverkennbar. Walter Hub schm amis KLavier- 
konzert, unpersonlicher, fesselt bei linearer Tendenz durch diski - ete Klanglichkeit und 
feine Konti-apunktik, Die riicht ausgereifte, musizierfreudige Sinfonie von Beinhold 
Wolff will durch aufgesetzte Modernitat tiber ihre Traditionsgebundenheit hinweg- 
tauschen. In Scherchens zweitem Konzert interessierte am meisten die Berliner Erst- 
auffiihrung der siebenten Suite von Mathias Hauer. Aus der chorischen Verwendung 
der verschiedenen Gruppen des Orchesters ergibt sich ein Klangeindruck von visionarer 
Kraft, besonders stark im Mittelstiick. Diese rein konstruktive Musik wirkt inspiriert 



DIE JUNGE KOMPONISTENGENEBATION IN LENINGRAD 131 

und fliefiend. Auch Horer, die kein Verhaltnis zu neuer Musik haben, wurden von 
ihr gebannt. Aufierdem enthielt Scherchens Programm das dickfhissige Concerto grosso 
und das Magnificat von Kaminski, die ersten Orchesterstiicke von Webern und 
zwei Psalmen von Ernest Bloch. 

Jascha Horenstein kann seine Begabung nun in im grofieren Rahmen entfalten. 
Mit ekstatischer Hingabe und Inbrunst musiziert er die Fiinfte von Mahler und die 
Neunte von Bruckner. An jedem seiner Abende bringt er auch neuere Werke. 
Buttings Trauermusik ist eine Jugendarbeit von eigenem Gesicbt bei durchaus 
traditionellen Stilmitteln. Das Concertino fur Klavier und Orchester von Karol Bat- 
haus erweist sich nach rhythmisch starkem Beginn als aphoristische Musik von wenig 
personlicher Haltung. 

Bruno Walter fuhrte eine Sinfonie in f-moll des jungen Bussen Dimitri Schosta- 
kowitsch auf, der, unberiihrt vom neuen Kunstgefiihl, in den Bahnen Bimski-Korssakoffs 
wandelt. Er hat einen kultivierten Klangsinn und eine beinahe akademische Gemessenheit, 
Walter dient dieser ihm nahestehenden Musik mit Liebe. 

Die Pianistin Else C. Kraus, die moderne Musik intensiv pflegt, bewahrte er- 
neut ihre Konzentration und ihre vielseitige Gestaltungskraft in einem Konzert, dessen 
Programm von Weber und Liszt bis zu Schonberg und Hindemith reichte. Als Liszt- 
und Busonispieler grofiten Formats erschien Egon Petri. 



AUSLAND 

Igor Gljeboff (Leningrad) 

DIE JUNGE KOMPONISTENGENERATION IN LENINGRAD 

Mein vorliegender Bericht kann aus zweierlei Griinden nicht erschopfend sein: 
Einmal haben diejenigen, iiber die ich sprechen will — die jungen Komponisten — 
noch nicht ihre letzten Worte gesprochen, sondern sind erst kurzlich mit ihr en Werken 
hervorgetreten. Zum anderen kann ich mich nicht lange bei einzelnen Personen und 
einer genauen Kennzeichnung der Ereignisse und Erscheinungen aulhalten, die die 
Grundlage fur die augenblickliche Lage des musikalischen Schaffens in Leningrad bilden. 
Eine solche Charakteristik erfordert eine umfassende Einfiihrung. Ich ziehe es daher 
vor, nur in ganz gedrangter Form einige historische Bemerkungen vorauszuschicken, 
um sofort darauf von dem lebendigen Streben des jungen Geschlechts der Lenin- 
grader Komponisten zu sprechen. — Das Wort „jung" fordert hier eine nahere Er- 
klarung: Ich verstehe darunter nicht die an Jahren Jungen (denn einige der eben erst 
in die Beihe der Komponisten eingetretenen Kiinstler gehoren ihren Jahren nach nicht 
zur fruhen Jugend), sondern die Jugend in Bezug auf ihre Anschauungen, Prinzipien 
und Schaffenskraft. 

Der grofie europaische Krieg und die ersten Jahre der Bevolution — das ist die 
Scheide, die zwischen der jetzt schon der Geschichte angehorenden „Petersburger" Zeit 



132 IGOR GLJEBOFF 



der Musikentwicklung Leningrads und der unsrigen Zeit liegt. Nach dem Tode von 
Rimski-Korssakow (1908) und bis zu dem Kriege herrschte in Wirklichkeit nur eine 
Kompositionsrichtung — einzelne bedeutende Vertreter des sogenannten „Bjelajewschen 
Kreises" (Aldow, Glasunow) und Epigonen der Schule von Rimski-Korssakow, die jenem 
Kreise eng verbunden waren. (Darunter Maximilian Steinberg, der eine bedeutende 
Stellung als Huter der Tradition dieser Schule einnahm.) Der Begabteste und Frischeste 
unter ihnen war Nikolai Tscherepnin, ein Mensch mit lebendigem Streben. Er neigte 
sogar zum Impressionismus, was den streng konservativen Tendenzen der Epigonie 
nicht gerade sehr entsprach. In dieser Zeit entwickelte sicb die Begabung Strawinskijs. 
Er erstarkte schon vor dem Kriege in Paris und war wahrend desselben von der 
Petersburger musikalisclien Kultur vollstandig abgeschnitten. Im Laufe des Krieges 
kam die frische und jugendliche Begabung Prokofjeffs zu Bliite und intensiver Lebens- 
entfaltung. Parallel dazu, aber in einem anderem Tempo, bahnte sich allmahlich und 
hartnackig die Schaffenskraft Mjaskowskis einen Weg ins Freie. Die Namen Strawinskij 
und Prokofjeff waren seine Losung im Kampfe gegen das Epigonentum mit seinem 
ersticlcenden Formalismus. SchlieGlich rife sich Prokofjeff selbst unfreiwillig von der 
Stadt los, die seine ersten Schritte verhatschelt hatte. Ihm folgte Mjaskowski, der in 
den Jahren der Bevolution nach Moskau ubersiedelte und dort als Komponist, Padagoge 
und Organisator eine einflufireiche Fiihrerrolle im Sinne des Fortschritts einzunehmen 
begann. Im Laufe der ersten Jahre der grofien Revolution machte sich in der musika- 
lisclien Kultur Leningrads eine Unbestimmtheit und Wankehmitigkeit fiihlbar, wenn 
auch die ideologische Kampfeslinie gegen Epigonentum und Tradition nicht abrifi. Ich 
nenne hier nicht einzelne Namen, die von Zeit zu Zeit in dieser Periode auftauchten, 
ich weise nur darauf hin, dafi auch damals Paschtschenko ununterbrochen und 
hartnackig an sich arbeitete und seine eigenartigen, kiihnen Chorwerke schuf. Ferner 
erschien damals Wladimir Schtscherbatschew, ein Schider Steinbergs auf der Bdd- 
flache und befreite sich schrittweise von den Fesseln seiner Schule. Seine im Jahre 
1923 erfolgte Berufung bezeichnet den Anfang der Erneuerung und Auffrischung der 
padagogischen Arbeit in Theorie und Praxis der musikalischen Komposition. Durch 
seine Beorganisationstatigkeit sammelte er einen Kreis von ideenmafiig einander nahe- 
stehenden Komponisten, Theoretikern, Padagogen und Schulern um sich. Die besten 
und starksten Begabungen der Jugend gehoren zu dieser Gruppe, die man als den Kern 
der revolutionaren Erneuerungsbewegung der Leningrader jungen Musik bezeichnen 
kann. Zu den Schulern Schtscherbatschews gehort Gabriel Popoff (geb. 1904 in 
Nowo Tscherkassk) dessen hervortretende temperamentvolle und starke Begabung in 
sehr ausgepragtem Streben zu strenger Gestaltung des Materials, zu Konstruktivitat und 
melodischer Dynamik die Aufmerksamkeit aller fortschrittlich gesinnten Musiker auf 
sich lenkt. Im Grunde genommen spiegeln sich in den besten Werken Popoffs alle 
grundlegenden Strebungen der jungen Leningrader Komponistengeneration wieder. Es 
ist das ein dreiteiliges Septett (op. 2) fur Flote, Glarinette, Fagott, Horn, Geige, Cello 
und Kontrabafi und eine grofie Klaviersuite. In dem Septett wurden eine Beihe von 
Gefuhlszustanden aufgerollt mit einer unaufhorlichen Tendenz zur Uberwindung der 
Willenslosigkeit, der Hoffnungslosigkeit und des Schmerzes mit dem Ziele der Behaup- 
tung der Energie, des Willens und der Freude im Leben. Die Entwicklung des 



MODERNE TSCHECHISCHE MUSIK 133 

musikalischen Gedankens wird in der Form einer Dialektik gegeben, und durch diese 
Form steht diese Musik jenseits alien „Literatentums". Die einzelnen Teile werden 
miteinander nach dem Prinzip des Kontrastes und der Antithesen zusammengehalten. 
Der dynamische Gleichgewichtsmangel bedingt ein unterbrochenes, fortwahrendes Vor- 
wartsdrangen. Einen abstrakt formalen, auSerhalb der Eigenart und Beschaffenheit 
des Materiales stehenden Aufbau — das kennt diese Musik nicht. Ein scharfes Gefiihl 
fiir die Klanglinien und ihre Richtungen, ein greifbares Empfinden der musikalischen 
Bewegung — alles fiir das Ohr immer an das Lebende appellierend, die Fahigkeit, die 
in der Bewegung auftretenden Energien zu meistern, sie Schritt fiir Schritt von der 
einen zur anderen nie Materiale potentiell enthaltenen Strebung bis zu einer Reihe 
von Umgestaltungen zu entwickeln — alle diese Eigentumlichkeiten machen den 
wichtigsten und wertvollsten Gehalt in der Musilc PopofFs und der anderen Vertreter 
der Gruppe aus. Fiir sie ist die Musik durch und durch dynamisch und kinetisch. 
Dire bewegende Kraft ist — das Melos; ihre iiberhaupt nicht ausdrvickbare Sprache — 
eine Polyphonie im zeitgenossischen Sinne dieses BegrifFs. 

Teilweise gehort audi Dimitri Schostakowitsch (geb. 1906) zu der genannten 
Gruppe. Ex ist ein Schuler M. Steinbergs, aber scharf ins Moderne abgewandelt. Seine 
Begabung ist von grofiem Schwunge und lebhaftem Temperament getragen und durch 
stark personliche Ziige gekennzeichnet, die sich besonders in seinen letzten Werken 
auspragten. (Eine symphonische Widmung ,,Oktober" und Entwiirfe zu einer Oper 
„Die Nase" nach der gleichnamigen Novelle von Gogol). Leider sind die Unmittelbar- 
keit, Spontanitat und Leichtigkeit, die seinem Schaffen eigen sind, die gleichzeitigen 
Quellen fiir seine Starke und seine Schwache. Starke — deswegen, weil sie die 
Zuhorer bedingungslos zwingen dem Ansturm seiner Musik folgen, und Schwache — 
weil sie Uberhebung und Selbstvertrauen hervorbringen und so die geistige Fort- 
entwicklung der Begabung aufhalten. Die schopferische Kraft eines Popoff ist weit 
mehr diszipliniert und tief durchgearbeitet. Sie scheint mir zeitgemafier zu sein in jeder 
Beziehung. Diejenige von Schostakowitsch dagegen ist anziehend durch ihre Frei- 
gebigkeit und stiirmischen Drang, aber hinterlafit weniger Folgen. Beide Komponisten 
sind Jung, vor beiden liegt noch ein weiter Weg voll Tatigkeit und Wachsen. Man 

mnIS ihnen nur helfen, dafi sie sich entwickeln und aufbluhen. 

(Schluft folgt) 



J. Hutter (Prag) 

STILPRINZIPIEN 

DER MODERNEN TSCHEGHISCHEN MUSIK 

DalS meine und meines seligen Vaters Giundsatze anti- 
rameauisch sind, konnen Sie laut sagen. (Ph. E. Bach). 

Das vorausgestellte Motto lafit erkennen, wie ich die Frage stelle und von welcher 
Seite ich sie beantwortet sehen will. Mir liegt daran aus der neuen tschechischen Mu- 
sik das Entwicklungs-Grundprinzip zu erforschen, ohne von den Begleitfragen aufge- 



134 J- HUTTER 



halten zu sein. Darum wende ich die morphologische Methode an; aus denselben 
Grunden vermeide ich jede Wurdigung der einzelnen Kiinstler und verzichte auf die 
Aufzfihhmg jener Namen, die unter die betreffende Std-Kategorie substrahiert werden 
konnen, also keinen neuen Stilwert in die Entwickelungsstufen beitragen. 

Die moderne tschechische Musik ruht auf zwei Stilprinzipien, die durcli das Ver- 
haltnis Harmonie und Melodie-Polyphonie gegeben sind. Die harmonische Linie legt 
das Gewicht auf die harmonische Struktur, aus ihr entwickelt und baut sie die Melodie, 
und die Entwickelung fiihrt zui 1 ganzlichen Vernichtung der bisherigen Melodik. Die 
homophon-polyphone Linie geht von der Melodie, welche harmonisiert ist, aus, und 
fiihrt einerseits zu einer neuen AufFassung der Melodik, anderseits zur Polyphonie, als 
Vereinigung mehrerer selbstandigen Melodien. Dementsprechend richte ich meine 
Terminologie em. Der Zusammenldang als Koexistenz mehrerer Tone ist zweifacher 
Natur, und zwar: der Zusammenklang relativ statischer Natur, also der Akkord, und 
der Zusammenklang als Bildung dynamischer Natur, als Ergebnis der kinetischen Stim- 
men, also der Zusammenklang im engeren Sinne (ev. nach der Fiihrung der einzelnen 
Stimmen — der Zusammenstofi). 

Als charakteristisches Merkmal der Musik auf tschechoslowakischem Gebiete finde 
ich erstens die Auffassung und Verwendung der Melodie als Haupt-Kompositions- 
prinzip und zweitens den Drang von der Homophonie zur Polyphonie. Es ist klar, dafi 
auf dem Boden der tschechoslowakischen Republik sich verschiedene Impulse und Ein- 
iliisse treffen. Jedoch jener eben erwahnte Gedanke ist nie aufgehoben worden, in der 
nachsmetanischen Musik ist er der fuhrende, tritt spater ein wenig zuriick (es waren 
nicht ausschliefilich musikalische Griinde dazu), nun behauptet er sich wieder auf das 
entschiedenste. Er ist nicht von Heute und wurde nicht kunstlich aufgestellt. Wir 
wissen, dafi bei der Geburt der neuen homophonen Melodie die aus Bohmen und 
Malrren stammenden Kiinstler wie Stamitz, Richter und Benda das Hire beigetragen 
haben, wie es friiher in der polyphonen Struktur z. B. Zelenka, Czernohorsky und seine 
Schule taten. Das liegt also im Kerne des Objektes und kann wohl verstanden werden 
gerade in Deutschland, das vorwiegend mit dem Melos und zur neuen Polyphonie hin- 
arbeitet. 

' Dm das besser verstandlich zu machen, greife ich bis zu Smetana zuriick. Seine 
erste Periode, die neuromantische, ist grofitenteds harmonischer Natur, obzwar er in der 
Art des musikalischen Denkens und der Technik Homophoniker geblieben ist. Die neue 
Periode tritt ein, wo bei ihm eine gewisse Abstinenz im Harmonischen festzustellen ist 
und ein steigendes Interesse an der Polyphonie. Die kiihnen akkordischen Bildungen 
sind in dieser Zeit das Resultat der Stimmfiihrung. Ich mache auf seine Verwendung 
des vergrofierten Quintakkords aufmerksam. In der ersten Periode (Macbeth) ist er 
rein akkordisch, gleichlautend wie spater bei Debussy und in der russischen Musik, aber 
in den letzten Werken (Die Teufelswand, Prager Karneval, II. Streichquartett) kommt 
schon das Ergebnis des Fortschreitens der realen Stimmen vor. Ist er dort eine har- 
monische, obzwar organische Zutat, ohne den Std zu charakterisieren, hier hat er den 
Wert des typischen Zeichens fur die musikalische Logik wie fiir die Technik. Zdenko 
Fibich und Anton Dvorak sind Melodiker mehr oder minder homophoner Pragung. 
Mit ihnen endet auch der ausschliefiliche EinfluS der deutschen Musik und es 



MODERNE TSCHECHISCHE MUSIK 135 

meldet sich die franzosische "Welle (Debussy), obzwar die deutsche, namentlich in Mahler 
fortschreitet. 

Als erster Meister dieser Ubergangsperiode ist J. B. Foerster (1859) anzuzeigen. In 
der Harmonie ist er fortschrittlich gesinnt, jedocli gleichzeitig als Polyphoniker entwickelt 
und an der geistigen Verwandschaft mit Mahler gestarkt. Seine Polyphonie, besonders 
in den Mittelstimmen (zum Unterschiede von Dvorak, seinem Vorbilde, der an Stelle 
polyphoner Stimmen mehr kontrapunktische Linien schreibt), greift zuriick bis weit 
vor den Smetana-Stil und bindet sich an die polyphone Kunst der romisch-katholischen 
Kirche. In dieser Hinsicht fiihrt Foerster die Kantoren-Kunst Czernohorskys weiter. 

Der jungere Vftezslav Novak (1870) stellt schon den durchgreifenden EinfluG des 
franzosischen Stiles dar. Er fiihrt neue Tonkomplexe ein (die Kantate Der Sturm), Ganz- 
tonleiter, (das symphonische Gedicht Toman und die Waldfee), Elemente slowakischer 
Herkunft, (das symphonische Gedicht „In der Tatra"), weil er aus diese.m Material ganz 
neue harmonische Bildungen schopfen kann. Er ist ein Typus so zu sagen rein harmo- 
nischer Richtung und auch seine Technik verwendet aus der polyphonen Kunst nur so 
viel und nur das, was im Stande ist, die harmonischen Werte hervorzuheben. Am 
klarsten sieht man das aus seiner starken Vorliebe fur die slowakische Melodik, in der 
fuhlt er an erster Stelle den Ausklang der alten Kirchentonarten. Diese harmonische 
Einstellung fiillt vollkommen mit der zeitlichen Tendenz zusammen, die Harmonik aus 
der Struktur der Kirchentonarten zu bereichern. 

Auch Josef Suk (1874) ist ein Harmoniker, aber nicht der franzosischen Richtung. 
Man kann ihn in harmonischen Belangen eher mit Richard Straufi vergleichen, mit dem 
verbindet ihn der hervorragende Sinn fur Orchester-, d. i. Instrumentationwerte, so dafi 
auch bei ihm von der instrumentalen (orchestralen) Polyphonie zu reden ist. Die po- 
lyphonisch steigende Linie der symphonischen Werke vom Asrael angefangen bis zum 
Reifen ist der beste Beweis fur unsere Beobachtung. Damit meine ich eine solche 
musikalische Faktur, bei der im harmonisch konzipierten Satze die einzelnen Stimmen 
eine instrumentale Kundgebung sind, ohne auch reale Kompositionsstimmen sein zu 
mussen. 

Leos Janacek (1854) ist eine ausgesprochene Individualitat fiir sich. Im Grunde 
genommen gehort er dem melodischen Typus an. Negativ im Sinne der Zersetzung 
der alten Melodie und der Bildung neuer melodischer Elemente, positiv im Willen zur 
Schaffung eines neuen kompositorischen Typus der Melodik. Man kann ihn in dieser 
Hinsicht, bei Beibehaltung aller Unterschiede, mit Schonberg vergleichen, namlich im 
Schaffen eines melodischen Typus rein konstruktiver Natur. 

Somit haben wir die Bausteine der weiteren Entwickelung festgestellt. Wir sahen 
die Tendenz von der relativen Homophonie zur relativen Polyphonie sich in den beiden 
Stil-Gattungen zu behaupten. Das geschieht in den Werken eines einzelnen Kiinstlers, wie 
bei Suk, aber auch in den Schulen. Selbst die harmonischeste Kunst der Novak-Rich- 
tung geht in den Werken Ladislaus Vycpalek's (1882) zur Polyphonie iiber und zwar so, 
dafi er, der vom Hauptgrundsatz seines Lehrers ausgeht, die polyphone Struktur 
steigert (Kantate Von den letzten Dingen des Menschen). 

Am starksten zeigt sich das bei der Gruppe Foerster, bei Ostrcil u. Zich, die die 
Aufgabe ubernommen haben die Polyphonie als fiihrendes Stilprinzip der modernen 



136 J. HUTTER 



tschechischen Musik zu begriinden und durchzusetzen, ausgehend von der Linie Smetana- 
Foerster. Beiden ist gemeinsam, dafi ihre Polyphonie niclit abstrakter Natur ist, sondern 
dafi sie aus der Individualitat der Instrumente (Vokalstimme) entspringt. Dafi also ihre 
Polyphonie zugleidi auch instrumentale Polyphonie ist. Otakar Ostrcil's (1879) erste 
Werke arbeiten nur kontrapunktisch, im Kurth'schen Sinne punctus contra punctum, 
so wie er diese Technik bei Fibich erlernte. Bei der Ballade fangt die selbstandige 
Polyphonie an und gipfelt im ersten Stadium in der Oper „Die Knospe" und im Or- 
chester-Impromptu, in denen die Stimmfuhrung klangliche Besultate wie beim letzten 
Smetana oder mittleren Mahler (IV. Symphonie) zeitigt. Das zweite Stadium bei Ostrcil 
reprasentieren die Oper „Legende aus Erin" und die Sinfonietta, in welchen die Stimm- 
fuhrung in scharfen Zusammenklangen wie beim letzten Mahler und ersten Schonberg 
(bis Kammersinfonie) endet. 

Otakar Zich (1879) entwickelt bis zur Oper „Die Scliuld" aus der Homophonie 
die Polyphonie im Sinne Smetana-Foerster. Im weiteren Verlauf steigert er die Poly- 
phonie bis zu den krassesten Bildungen der Zusammenklange, wobei die textliche Vor- 
lage der tragischen Oper „Die Schtdd" eine dissonatere Faktur verursacht als in dem 
jiingeren Lustspiele ,,Die Zierpuppen". Die Besultate steigert er noch im tragischen 
Liederzyklus fur Orchester „Die Scherben der Tage". 

Am harmonischen Boden ergiinzt Janacek Alois Haba (1893). Er ist ein harmo- 
nischer Typus. Haba zersetzt die bisherige Harmonie und will mit Hilfe seines Viertel- 
tonsystemes eine konstruktive Gattung der Harmonik schaffen. Trotzdem ist audi er 
bemiiht, aus dem neuen harmonischen System eine neue Melodie zu fhiden. Emil 
Axman (1887) und Boleslav Vomacka (1887) sind Melodiker gezahmter Polyphonie 
und arbeiten an einer neuen harmonischen Grundlage, untereinander durch personliche 
Neigungen verschieden : (Axmann : Janacek, Ostrcil, Vomacka : Novak). Vaclav Kalik, 
von Janacek ausgehend, bevorzugt in seinen Chorwerken die polyphone Arbeit Budolf 
Karel (1880) der letzte Schuler Dvoraks, fiihrt den Dvorak-Stil durch Heranziehung der 
Kirchentonarten fort und pafit diesen harmonischen Interessen seine Technik und Form an. 

Es ist klar, dafi neben den heimischen Ergebnissen auch fremde Techniken, die 
mit grofier Gewandheit verwendet werden, zu finden sind. Diese Gruppe vertritt 
K. B. Jirak (1891) der westeuropaisch gerichtet ist, Jaroslav Rricka (1882) der den rus- 
sisclien Einflufi mit dem franzosischen verbindet, und Bohuslav Martinu (1890) der 
Stravinskij's Bichtung huldigt. Dafi unter den Jtingsten einige (E. F. Burian, Jar. Jezek) 
einen neuen Stil in Jazz-Elementen suchen, ist begreiflich. 

Die Hauptfrage der Stilwandlungen der modernen tschechischen Musik liegt also 
im Kontraste zwischen harmonischer und polyphoner Richtung. Dieses kiinstlerische 
Agon brachte aufierordentliche Resultate. Bewiesen sind sie in der Vielfaltigkeit der 
Technik, die wir zwar gruppieren, nicht aber nivellieren konnen. Blicke ich zuriick in 
der Musikgeschichte und sehe, welche Werke die nie alternde Polyphonie geschaffen 
hat und vergleiche dann die Ergebnisse in der modernen Musik, so kann ich die Uber- 
zeugung nicht unterdriicken, dafi sich die Polyphonie in der tschechischen Musik, wie 
iiberhaupt in der Musik, nie uberleben wird. In ihr liegt namlich das Moderne, im- 
manent und technisch jeder kunstlerischen Aufgabe fahig. 




„DER ZAR LASST SIGH PHOTOGRAPHIEREN- 137 



UMSGHAU 



KURT WEILL 

„DER ZAR LASST SICH PHOTOGRAPHIEREN" 

UraufTuhrung in Leipzig. 

Weill schreibt ein heiteres Gegenstiick zu seinem „Protagonist", ein Satyrspiel zur 
Tragodie. Wieder nimnit er einen Text von Georg Kaiser. Wieder greifen Wirklick- 
keit und Schein ineinander. Der Protagonist kann zwischen realem und gespieltem 
Leben nicht mehr unterscheiden. Aus dieser Verwirrung entsteht die Katastroplie. 
Im „Zaren" sprengen revolutionare Verschworer die reale Handlung. Sie iibernehmen 
die Rollen im photographischen Atelier der Madame Angele. Wollen den Zaren mittels 
einer in die Kamera eingesetzten Pistole wahrend der Aufnahme erschiefien. Der Zar 
flirtet mit der falschen Angele. Die Frau interessiert ihn mehr als die Photographic 
Angele drangt zur Aufnahme. Der Zar weicht immer wieder aus. Angele wird nervos. 
Gerade so reizt sie den lebemannischen Monarehen. Er will sie in ihrer Verwirrung 
photographieren. Aufregendes Spiel um den todbringenden Stuhl. Da meldet man 
die Aufdeckung der Verschworung. Nochmal versucht es die falsche Angele. Sie sieht, 
dafi der Plan mifilingt. Verspricht Liebesgewahrung ohne Photographie — und macht 
sich mit ihren Kumpanen aus dem Staube. Schnell ist das richtige Personal wieder 
auf dem Plan. Die Aufnahme wird gemacht. Militarische Apotheose. Realitat behalt 
die Oberhand im Buffospiel. 

Eine Spannungshandlung wie der „Protagonist". Aber Weill schreibt keine 
Spannungsmusik mehr wie in seinem ersten Einakter. „Royal Palace" hat ihn 
weiter gefuhrt. Er strebt nach einer absoluten musikalischen Gestaltung des Spiel- 
geschehens, ohne daB das dramatische Tempo darunter litte. Die Technik, die in 
fruheren Arbeiten erkennbar, mancbmal auch schon bewufit durchgebildet ist, wird 
nun planmafiig angewendet: Weill baut die Musik in kleinen Formkomplexen auf, die 
im rhythmischen Motiv den jeweiligen Spannungsgrad stilisieren. Immer besteht engste 
Beziehung zum dramatischen Ablauf. Wie Weill das im Text ziemlicb lang ausgesponnene 
Spiel zwischen Zar und Angele durch die Musik steigert und, bei aller Vielgestaltigkeit 
im einzehien, auf eine klare Linie anlegt, wie ein musikalischer Organismus das Stoff- 
liche aufsaugt : das zeigt am schlagendsten der Fortschritt gegeniiber dem „Protagonist". 
Vom Jazz als einem der typischen und allgemein verstandlichen musikalischen Zeichen 
unserer Zeit ausgehend, findet Weill im „Zaren" eine Buffosprache von hochster Be- 
weglichkeit. Sie schmilzt das Deklamatorische in den melodischen Flufi ein. Wo sie 
sich dem Rezitativischen nahert, gibt die rhythmische Zeichnung im durchsichtig be- 
handelten Orchester inneren Halt. Kleine ariose Komplexe losen sich heraus, streifen 
ein neues lyrisches Ausdrucksbereich. Auch in diesem heiteren Werk klingt jenes 
Unheimliche auf, das man aus dem „Protagonist" und aus dem spateren ,J\lahagonny" 
kennt. Etwa, wenn der Begleiter des Zaren die Entdeckung des Komplotts meldet 
und iiber den dumpfen Marschrhythmen die Brummstimmen des im Orchester postierten 
Mannerchors liegen. Und wenn spater, am Hohepunkt der dramatischen Spannung, 



138 



UMSCHAU 



das Grammophon-Solo mit dem Tango Angele einsetzt. Ein genialer Einfall: das 
mechanische Instrument als dramatisches Mittel. Das Liebesduett. dann das Ensemble 
der abziehenden Verschworer, alles im pianissimo gesungen, uber dem Klang des 
Gramophons. Wahrend der Aufnahme ein ubermiitig-frecher Marsch. Das Strawinskijsche, 
das noch im „Protagonisten" scharf heraustrat, ist personlich geformt. Dieser Schlufi- 
marsch hat die Plastik und Unmittelbarkeit der „Mahagonny' - -Musik. Er zeigt den 
Weg, den Weill jetzt einschlagt: die Oper von allem Asthetischen abzulosen und ein 
Zeitstiick zu scbreiben, das die Kraf'te des heutigen Daseins in einfacbste und leicht 
fafiliche Gestalt bannt. Es wendet sich nicht mehr (wie der „Zar") an ein gebildetes 
Theaterpublikum, sondern an die durch keinerlei burgerliche Hortradition belastete 
Masse. 

Unverstandlicherweise wurde in Leipzig zum „Zaren" ein knallig veristisches 
Stuck wie Spinellis „A basso porto" gegeben. Man hatte gerade bei der Ur- 
auffuhrung die beiden Einakter von Weill nicht trennen diirfen. Sie gehoren, schon 
durch die Parallelitat ihres stofflichen Ablaufs, unbedingt zueinander. Es war eine aus- 
gezeicbnet ^durchgearbeitete Auffuhrung. Die Disziplin des Ensembles ist vorbildlich. 
B r e c h e r dirigiert sehr gewissenhaft, doch scheint ihm die Spinellische Naturalistik 
innerlich naherzustehen. Briigmann inszeniert das Stuck ganz aufs Parodistische 
und Groteske hin. Es gibt witzige Einfalle. Manches hatte mehr auf die Musik ab- 
gestimmt sein konnen. Die Hauptrollen sind mit Horand als weltschmerzlich lassigem 
Zaren und Fraulein Janowska als der handfesten falschen Angele sehr gut besetzt. 

Heinrich Strobel (Berlin) 



WEGE ZUR SPIELTECHNIK 



Drei Schriften, die dem gleichen Ziel zustreben, wenn auch von verschiedenen 
Ausgangspunkten her, dtirfen mit innerer Berechtigung gemeinsam besprochen werden. 
Umso mehr, als sie in den Postulaten wie in der Grundanschauung ubereinstimmen. 
Lockerung ist ihr Losungswort. 

Von den bedeutsamen Wandlungen, die in den letzten Jahren auf kiinstlerischem 
Gebiet wie im geistigen Bezirk liberhaupt sich vollzogen haben, konnte naturgemafi 
auch die Padagogik des technischen Instrumentalspieles, der Tonerzeugung im weitesten 
Shine, nicht unberiihrt bleiben. Die Dogmatik einer Zeit, da man, vom grobsten 
Materialismus ausgehend, den physiologischen Tatbestand fur den einzig beachtlichen 
ansah, mufite fallen. Man glaubte mit Anweisungen fur die Fingerhaltung, Armstellung. 
Atemfiihrung auszukommen; die Anweisungen selbst waren freilich variabel. Jeder 
Gesanglehrer ritt sein Steckenpferd und war iiberzeugt, nur auf diesem konne man das 
gesetzte Ziel erreichen. Das bose Wort (angeblich aus Biilows Munde): jeder Gesang- 
lehrer halt alle seine Kollegen fur Esel und jeder hat Recht — kennzeichnet schlagend 
die Situation. 

Es hiefie einem gefahrlichen Optimismus huldigen, wollte man annehmen, dafi 
eine so geartete einseitige Padagogik vollig ausgestorben sei. Mogen uns heute die Be- 



WEGE ZUR SPIELTECHNIK 139 

riclite von Geigenlehrern, die zur Erzielung einer ihnen richtig diinkenden Armhaltung 
den Schuler zwangen, beim Spiel ein Bucli unter die rechte Achsel zu pressen, absurd 
und legendar erscheinen, es steht zu befiirchten, dafi solche Lehrer noch immer und in 
nicht geringer Anzahl ihr Unwesen treiben. Was sie beabsiclitigen, ist klar. Eine ein- 
mal als zweckmafiig erkannte Korperhaltung soil urn jeden Preis und von jedem 
Schtiler wiederholt werden. Was sich bei dieser Forderung zwangslaufig ergibt, ist Krampf. 

Der Pendelschlag, der ja die graphische Figur aller Entwicldung auf geistigem 
Gebiet ist. hat gegenwartig den aufiersten Pol der entgegengesetzen Richtung erreicht. 
Die Einsicht in die Unmoglichkeit, fur so komplexe und individuell differenzierte Dinge 
wie die musikalische Technik eine Einheitsformel zu finden, ist gewonnen. Der leitende 
Gesichtspunkt aber, den jede produktive Padagogik erkennen lassen mufi, heifit in der 
neuen Lehre : Lockerung, Losung von Hemmungen. Das ist, wie sofort auffallt, ein Ge- 
danke aus dem Umkreis der Psycho-Analyse. Und in der Tat weisen die drei in 
Frage stehenden Schriften eine Beeinflussung (sei sie unmittelbar oder auf Umwegen 
entstanden) durch die analytische Psychologie auf. Am deutlichsten wohl die Broschure 
von Willy Bar das '). einmal weil sie ausdrucklich das Problem von der Psychologie her 
angreift, aber auch deshalb, wed dieser so friih verstorbene Pianist sich von den Ideen 
Sigmund Freuds eingestandenermafien starkstens beriihrt fiihlte. Dafi er ausubender 
Kunstler, Padagoge und ein scharfer, ewig zur Beflexion getriebener Intellekt zugleich 
war, gibt seinen Ausfiihrungen ihren eigentlichen Wert. Denn nie wird der reine 
Praktiker oder der absolute Theoretiker Entscheidendes iiber die Technik des Spielens 
oder Singens aussagen kflnnen. Die Vereinigung von Handwerk und Geist darf also 
ideal genannt werden. Bardas besass sie. 

Selbstverstandlich geht auch Bardas von den physiologischen Voraussetzungen aus. 
Er ist viel zu erfahren, urn nicht zu wissen, dafi (wie er selbst sagt) die Ausbddung 
zum Pianisten nicht durch psychologische Betrachtungen ersetzt werden kann. Das „TJben 
der Technik" wird immer unerlafilich bleiben; aber was Bardas seinen Lesern, wie 
fruher seinen Schiilern darlegen will, ist die „Technik des Ubens". Nichts ware ver- 
kehrter, als nach Uberwindung des materialistisch-physiologischen Extrems nun einer 
iiberspannten psycliologisclien Spekulation zu verfallen. „Das Wesen der Klaviertechnik 
ist ein kompliziertes Ineinandergreifen psychologischer und physiologischer Funktionen". 
Der erste psychologische Abschnitt enthalt, neben anderen grundlegenden Auf'schliissen, 
eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Methode. Jede Methode kann ricliig, 
jede aber auch falsch sein. Lrgend einer technischen Methode Allgemeingultigkeit zu 
vindizieren ist unmoglich, wed so ein gleiches Schema auf ungleiche Objekte angewendet 
wiirde. Wohl aber gibt es notwendige Voraussetzungen aller Spieltechnik, sowohl phy- 
siologische als psychologische. Von diesen handelt das Buch. 

Je weiter der Mensch in der Zivdisation fortschreitet, umso mehr unterwirl't er 
sich Konventionen, die als Hemmungen wirksam werden. Wir Heutigen halten an 
einem Punkte der Zivdisation, wo die Summe der Hemmungen das Mafi eines gesell- 
schaftserhaltenden Begulatives weit xiberschritten hat. Solclie uberfhissigen, daher schad- 
lichen Hemmungen beziehen, wie man aus der Psycho-Analyse weifi, ihre storende 
Gewiclitigkeit aus dem Umstande, dafi sie zumeist unbewufit, das heifit, dem Gehemmten 

*) Zur Psychologie der Klaviertechnik. Im Werk-Verlag, Berlin. 



140 UMSCHAU 



uiibekannt bleiben. Gelingt es, sie bewufit zu machen, so lafit sich ihre Beseitigung 
oder doch eine betrachtliche Herabminderuiig erzwingen. In diesem Sinne hat es 
Bardas als seine Aufgabe betrachtet, die zahlreichen Spielhemmungen, die er an seinen 
Schiilern wie bei eigenem Studium beobachten konnte, psychologisch zu ergriinden. 
Der Schiiler sieht in einer mifilungenen Passage etwa zunachst immer nur den Befund 
des MiUlingens, nicht aber dessen Griinde. Versucht er nun, den Fehler auf rein 
mechanischem Wege zu korrigieren, durch „Uben", so kann er wohl mit einer gelegent- 
lichen Besserung rechnen, nicht aber mit jener Sicherstellung, die ihm vorschwebt. So 
weit die Spielhemmungen auf allgemeine psychologische Gesetze zuruckzufiihren, also 
nicht zufallige Sonderheiten des einzelnen Individuums sind, werden sie von Bardas in 
genauester Analyse geschddert und so bewufit gemacht : verfriihte und verspatete Willens- 
einstellung (IU), storende Sympathiebewegungen (VB:) und jener Komplex von Fehl- 
leistungen, die aus der Diskrepanz zwischen technischer und phraseologischer Gliederung 
entstehen (VI). Weit iiber das psychologische Interesse hinaus geht der Abschnitt, in 
dem der Autor von der „imaginaren grofien Hand" spricht. Dort wird in einer 
historischen Skizze des Klavierstiles dargestellt, wie die immer wachsende Extensitat 
der orchestralen Schreibweise im 19. Jahrhundert auch auf das Klavier ubergriff, das 
aber seinerseits gar nicht fahig war, derartige Klangvorstellungen zu realisieren. Aus 
dieser Schwierigkeit ergab sich eine neue Faktur, deren Bewaltigung durch das Phanomen 
der „imaginaren grofien Hand" moglich wurde. Man weifi, dafi die angedeutete Ent- 
wicklung schon in Beethoven ihren Anfang nimmt; gar fur die technische Beherrschung 
der spateren romantischen Musik wie dessen, was der Verfasser „Klavierauszugstil" 
genannt hat, erscheint die stilistische Erkenntnis durchaus als notwendig. Dieses Kapitel 
ist wie auch andere mit itberzeugenden Beispielen belegt, wie Bardas uberhaupt es erfreu- 
licherweise vorgezogen hat, durch Anschaulichkeit klar statt durch Abstraktion tiefsinnig zu 
wirken. Artur Schnabel hat der Schrift anerkennende und bestatigende Worte vorausgeschickt. 
Die Personlichkeit Artur Schnabels, den Bardas seinen Lehrer nannte, stellt, neben 
vielen anderen Beziehungspunkten, die Verbindung her zu einer weiteren Schrift ') 
aus demselben Themenki-eis, weil auch deren Autor August Pes talozzi sich zu ihm als 
seinem Meister bekennt. Wie schon der Titel bekundet, will Pestalozzi das spieltechnische 
Problem von der physiologischen Seite her beleuchten, aber Losung von Hemmungen 
ist auch sein Ziel. Wie er in dem Kapitel „Fast allgemeine Hemmungserscheinungen" 
mannigfache spielstorende Fehler aus falschen Muskeleinstellungen erklart, das bietet 
eine ausgezeichnete Erganzung zu der Studie von Bardas. Voran gehen breiter ange- 
legte „Bewegungsphysiologische Betrachtungen" ; hier werden die viel angewendeten 
Begriffe der Innervation und des Beflexes, der (nach Du-Bois-Reymond) aus einer Verkettung 
von Erregungen sensibler Bahnen mit Erregungen motorischer Bahnen entsteht, erlautert. 
Pestalozzi ist der Ansicht, dafi die hauptsachlichen Storungen der musikalischen Repro- 
duktionstechnik in der mangelnden Kenntnis des Spielers von der Anlage seines Korpera 
ihren Grund haben. „Jeder Chauffeur kennt den Gang seines Motors, jeder Lokomotiv- 
fiihrer den seiner Maschine, aber Musikausubende haben oft gar keine Ahnung von 

1 ) Bewegungsphysiologische Voraussetzungen zur technischen Beherrschung der Musikinstrumente und 
des Gesangs und der Weg, sie zu erreichen. Mit besonderer Berflcksichtigung der Klaviertechnik. Verlag 
Trowitzsch und Sohn, Berlin. 



WBGE ZUR SPIELTECHNIK 141 

Muskel- und Nerventatigkeit". Diese Kenntnis auszubreiten, ist der Endzweck des Buches, 
vermittels einer Methode, die man als physio-analytische bezeichnen konnte. Es wird er- 
sichtlich, in welchem Mafie sich die Gedanken dieser Schrift mit den von Bardas aus- 
gesprocbenen erganzen, sie sind deren physiologisclies Komplement. Auch dafi beide, 
void Klavier ausgehend zu Formulierungen gelangen. die keineswegs auf das Gebiet des 
Klavieres beschrankt bleiben, zeigt die Gemeinsamkeit ihrer Ziele. 

Die Multiplizitat der Ereignisse hat den beiden genannten Biichern ein drittes 
zugesellt. Heinrich K o s n i ck : Lebenssteigerung. 3 ) Es mufi, bei aller Anerkennung der 
hochst personlichen, daher fesselnden Leistung, gesagt werden, dafi dieses Werk in 
hohem Grad bedenklich erscheint. Wenn ein Autor eine Studie, die mit der Losung 
teclmischer Probleme des Instrumentalspiels und des Gesanges sich befasseri soil, mit 
dem Titel ,,Lebensteigerung" uberschreibt, so ist klar, wohin er tendiert: das Musizieren 
als ein Teil zwar nur der menschlichen Lebensinhalte, aber immerhin doch ein dem 
Leben sehr nah verbundener, soil regeneriert werden durch eine Begeneration des 
Lebens iiberhaupt. Wir kennen die Forderung und wissen, dafi auch der Jugendbe- 
wegung etwa ein ahnliches Ideal vorschwebt. Aber hier soil die Losung eines technischen 
Problems, in dem es auf seine physiologischen und psychologischen Gegebenheiten 
untersucht wird, gewissermafien aus dem Kosmischen gewonnen werden. Thesen, wie 
die folgende: „Es erwachst uns die Aufgabe, die Materie in ihrer ansichreifienden Art 
umzuwerten und sie in eine strahlende elektro-magnetische Energie umzuwandeln" ent- 
hullen deutlich, auf welchen Bahnen Kosnick wandelt. Nun sind gewifi Weltanschau- 
ung, Lebensgestaltung und Philosophic der Menschheit grofie Gegenstande — aber ob 
es angangig oder gar von produktivem Nutzen ist, auf solcher Basis eine Spezialfrage 
wie die des Instrumentalspieles aufzurollen, mochte ich bezweifeln. Doch wird eben 
dies der Verfasser nicht zugeben wollen, dafi es sich um eine spezialistische Unter- 
suchung handele, denn es ist ja der Zweck seines Buches, die musikalische Technik in 
den kosmischen Zusammenhang alien Lebens einzugliedern. Heilung des Lebens ist 
das ideelle Motto (wie aus der „Einfuhrung in die Prinzipien der Lebensgestaltung" zu 
entnehmen ist) und die Assoziation von Heil und Heiligkeit wird als so zwingend ange- 
nommen, dafi Feststellungen sich ergeben konnen wie diese: „Es war ein tragischer 
Vorfall, dafi Medizin und Theologie, die nur in der Vereinigung wirkend und helfend 
gedacht werden konnen, sich trennten". 

Den breitesten Baum, vielleicht die bedeutendste Stellung in Kosnicks Buch nehmen 

medizinisch-anatomische Darlegungen ein. Uber sie zu urteilen bin ich nicht befugt, 

das mufi billig den zustandigen Fachleuten uberlassen werden. Doch auch die Hemmungs- 

erscheinungen, von denen Kosniclc wie Bardas und Pestalozzi ausgeht, werden ins 

Medizinische umgedeutet. So heifit es: „Der Geist der Technik und der der Kranken- 

behandlung mufi ein anderer werden". Losung der Hemmungen ist hier wie dort das 

letzte Ziel, Losung durch Einbeziehung in das Bewufitsein. Aber es zeigen sich mit 

beangstigender Deutlichkeit die Gefahren, die das BeWufitwerden mit sich bringt. Sie 

drohen dem Instinkt. Denn es scheint, dafi Kosnick im Willen zur Lockerung einem 

weltanschaulichen Krampf verfallen ist. Hanns Gutman (Berlin) 

3 ) Lebenssteigerung. Ein neuer Weg zur Heilung und zur Losung teclmischer Probleme des Instru- 
mentalspieles und des Gesanges. Zugleich die Begriindung des Gesetzes der synthetischen Anatomic 
Delpliin-Verlag, Miinchen. 



142 UMSCHAU 



ZEITSCHRIFTENSCHAU 

In zwangloser Folge und ohne jeden Anspruch auf Vollstandig- 
keit werden den Lesern unsrer Zeitschrift regelmaftig einige Aus- 
schnitte aus den Musikzeitschriften, besonders des Auslands dar- 
geboten. Es wird vor allem versucht, symptomatische Erscheinungen 
herauszulosen ; das bedingt eine gewisse Einseitigkeit der Auswahl. 

1. ^/WjU.^a.-v. 

Auch Zeitschriften, welche in ihrer Haltung mehr kollektivistisch eingestellt sind, 
geben der Erkenntnis des Gegenwartigen immer mehr Raum. Dabei fallt auf, wie das 
Erlebnis des Jazz immer mehr durchdacht, stilkritisch gefafit und in seinen Voraus- 
setzungen und Folgen untersucht wird. So begegnet im Februarheft der „Musik" eine 
historische Studie iiber Walzer und Jazz von Alois Melichar. Neben ihr steht ein Au£- 
satz von Erik Reger iiber die musikalische Welt im Maschinenzeitalter. In beiden 
Fallen ist die anregende Wirkung zu spiiren, welche von Rernhards Jazzbuch (ausfiihrlich 
besprochen im Dezemberheft unserer Zeitschrift) ausgeht. Im folgen den Heft bietet 
Hermann Scherchen eine eingehende Analyse der grofien Streichquartettfuge Beethovens 
Opus 133, welche sich innerlich mit den von ihm und anderen gebotenen orchestralen Auf- 
fiihrungen dieses "Werkes verbindet. 

Mit viel Lebendigkeit und Initiative tritt die „Neue Musikzeitung" unter 
neuer Leitung und in neuem Gewande auf. Es sei aus den letzten Heften ein Brief 
Franz Werfels erwahnt, der sich gegen die niedrige Ausbeutung eines gegen Beethoven 
gerichteten Zitats aus seinem Verdibuche verteidigt. In dem vorangegangenen Hefte 
findet sich eine weitere programmatische Aufierung eines Schaffenden: Alban Berg 
spricht iiber das Opernproblem und iiber seine kiinstlerischen Absichten im „"W~ozzeck", 

Von einer neuen Zeitschrift soil hier noch kurz die Rede sein, deren erstes Heft 
im Anfang dieses Jahres erschien: die „Zeitschrift fiir Schulmusik", welche von 
Jode. Martens, Miinnich und Susanne Trautwein gemeinsam herausgegehen wird. Die 
Verbindung dieser Herausgeber bezeichnet eine programmatische Richtung: in der Ein- 
heit der Staatlichen Akademie fiir Kirchen- und Schulmusik begegnen sich die musi- 
kalische Jugendbewegung mit den Vertretern der Schulpraxis. Die Zeitschrift, deren 
erstes Heft vor allem aUgemeine begriindende Aufsatze der Herausgeber bringt, ist im 
Verlage von G. Kallmeyer, Wolfenbiittel, erschienen. Ein Seitenblick fiihrt auf den in 
Essen erscheinenden, allgemeinen kulturellen Fragen dienenden „Scheinwerf er" 
unter der Schriftleitung von Hannes Kiipper. Die Auffiihrung von Honeggers „Antigone" 
drangt in musikalische Fragen hintiber und veranlafit eine programmatische Verkiindir 
gung von Rudolf Schulz-Dornburg und einen Aufsatz von Leo Melitz tiber Honegger. 
Aus den andern Heften sei vor allem das eine der Jugend gewidmete erwahnt, welches 
auf Grund sorgfaltiger Beobachtung das schaffende, nachschaffende und aufnehmende 
Kind in Bildern, Gedichten und Auffuhrungsbeschreibungen in den Mittelpunkt stellt. 
Hier scheint Vorziigliches gelungen. Auch eins der letzten Hefte des „ Sturm" stellte 
sich unter das gleiche Problem, wenn auch einseitiger und nicht ganz ohne Tendenz. 

2. 
Unter den englischen Musikzeitschriften fallt vor allem die neugegriindete „The 
Dominant" auf, die monatlich unter der Schriftleitung von Edwin Evans erscheint. 



ZEITSCHRIFTENSCHAU 143 



Sie findet eine gliickliche Form der Spiegelung und drangt Wesentlichstes in kleinstem 
Raume zusammen. Im „Chesterian", der Zeitschrift des Chesterverlages, finden 
wir eine Umfrage iiber die Inspiration, aus der wir ersehen, dafi diese unsinnige Methode, 
ein hochst zweifelhaftes und gefahrliches Problem auf dem Wege zusammengestellter 
Meinungsaufierungen zu klaren, nicht nur bei uns geiibt wird. Es ist charakteristisch, 
dafi sich unter den deutschen Musikern, deren Aufierungen vorliegen, nur und gerade 
Franz Schrecker und Hans Pfitzner (dieser freilich lediglich durch einen Verweis auf 
seine demnachst erscheinenden gesammelten Schriften) in der Beantwortung dieser Frage 
gefallen. Die von der „League of Composers" herausgegebene „Modern Music" 
bringt Alban Bergs vorher erwahnten Essay iiber die Oper, geht ausfiihrlich auf das 
Schaffen Ernst Blochs ein und gibt ausfuhrliche Berichte iiber die deutscben Musikfeste 
des vergangenen Jahres. 

Aucb unter den franzosischen Zeitschriften ist von einer Neugriindung zu berichten. 
Es ist die „ Musi que", die, von Marc Pincherle geleitet, in ausgezeicbneter Ausstattung 
monatlich vorliegt. Der Besuch Arnold Schonbergs in Paris findet in alien franzosischen 
Zeitschriften weitgehende Spiegelung. Die „Musique" iibersetzt aus diesem Anlafi 
Schonbergs Aufsatz „Gesinnung oder Erkenntnis ? ", den dieser fiir das Jubilaumsbuch 
der Universal Edition geschrieben hat. Im allgemeinen fallt bei den franzosischen Zeit- 
schriften (wie iibrigens auch bei den italienischen) auf, wie miihelos und ungezwungen 
die Verbindung von Gegenwartigkeit und Vergangenheil gelingt. Es finden sich in 
ihnen fast immer Aufsatze von ausgesprochen historischer Haltung, die sich aber schon 
durch die Sprache, in der sie geschrieben sind, der Gesamttendenz einpassen. So be- 
schaftigt sich das Februarheft der „Bevue Music ale" mit Hoffmanns „Undine". 
Die „Musique" widmet Berlioz eine ausfuhrliche stilkritische Studie, beschaftigt sich 
in ahnlicher Ausfiihrlichkeit mit Gossec und wiirdigt unter den Lebenden Ducas und 
Ravel. 

Unter den deutschen Komponisten ist es besonders Krenek, dessen auSere Erfolge 
iiber Deutschlands Grenzen hinausdringen. Im „Courrier Musical" (vom 1. Marz) 
findet sich ein sensationell aufgemachter Artikel mit der Uberschrift „Jonny ou le 
Triomphe du Jazz". Es ist sehr charakteristisch, die Spiegelung dieser Oper aid den 
franzosischen Berichterstatter zu beobachten. Er beschreibt seine Fahrt nach Wien, die 
ihn iiber schneebedeckte Flachen fiihrt, gibt eine lustige ldeine Phantasie iiber Bahn- 
hof, Lokomotive, Polizisten, Mdieu und scheint freudig erstaunt, alles das, was er eben 
verliefi, nun auf der Buhne wiederzufinden. Die sich in dem Bericht aussprechende 
ungeheure Uberschatzung des Stofflichen lafit die ganze Gefahr dieser „Zeitoper" deutlich 
werden. Ein anderes Heft dieser Zeitschrift (15. Januar) ist den Fragen der Orgel, der 
Kirchenmusik und der Gregorianik gewidmet und stellt hier Vieles und Wesentliches 
zusammen. 

„Le Menestrel" dient hauptsachlich der Berichterstattung und gibt unter den 
franzosischen Zeitschriften den ausfiihrlichsten Uberblick iiber das internationale Musik- 
leben. Gerade darum scheint es notig, einige grunsatzliche Anmerkungen zu dieser 
Berichterstattung zu machen. Was den franzosischen Lesern iiber das deutsche und 
osterreichische Musikleben vermittelt wird, gibt nicht nur ein absolut liickenhaftes und mit 
einer gefahrlichen Einseitigkeit ausgewahltes Bild, sondern ist auch in der Redaktion 



144 UMSCHAU 



der Mitteilungen bedenklich. Wir finden etwa in dem Heft vom 17. Februar neben 
mehreren vollig belanglosen Notizen die folgende: „Texte d'une melodie empruntee" a 
un „cycle de melodies" chantee a une seance de la Societe Internationale de Musique, 
de Berlin". Was dann folgt, ist eine franzosische Uebersetzung des Textes „Mariechen, 
du susses Viehchen" aus Hanns Eislers „Zeitungsausschnitten". Aber weder der Name 
des Komponisten noch des Werkes wird iiberhaupt nur erwahnt. Statt dessen kom- 
mentiert der Berichterstatter Jean Chantavoine diese Textwiedergabe mit dem Zusatz, 
dafi dieses Mariechen leider wohl audi in Paris seine Bewunderer finden wiirde. 

Es ist nicht ohne Interesse, den Quellen dieser Berichterstattung nachzugehen. An- 
haltspunkt bietet eine wenige Zeilen spater aufti - etende Notiz uber eine Brahmspublikation 
Max Friedlaenders, die als ganz neu angezeigt wird, in der Tat aber schon geraume 
Zeit zuriiddiegt. Beide Notizen finden sich in dem gleichen Heft der ,,Zeitschrift fur 
Musik" (Februar). Der Berichterstatter Eislers war der Kritiker der „Allgemeinen 
Musikzeitung", Adolf Diesterweg. Audi er begniigt sich damit, zwei Texte abzu- 
drucken und, darauf gestiitzt, den Komponisten, das Konzert selbst und das Publikum in 
gehassigster Weise zu beschimpfen. Die Friichte seiner Berichterstattung im „Menestrel" 
werden ihm eine Genugtuung sein. Mit diesem Bilde stimmt es uberein, wenn wir 
in einem der folgenden Hefte dieser franzosischen Zeitschrift Deutschland zwar iiber- 
haupt nicht erwahnt, dagegen die Musik in dem uns Deutschen unbekannten Lande 
„Sarre" in einem Bericht von nidit weniger als 75 Zeilen behandelt finden. Wer das 
Musikleben Saarbriickens kennt, durfte sidi audi hier iiber die Ziele dieser musikalischen 
Berichterstattung im Klaren sein. 

Abschliefiend sei noch eine Neugriindung erwahnt: die„Cahiers de Belgique - ', 
welche sich auf das gesamte belgische Kunsdeben in fortschrittlichster Haltung einstellen 
und audi die Musik in hohem Grade einbeziehen. Zu den musikalischen Mitarbeiterri 
dieser Zeitschrift gehort Paul Collaer. Hans Mersmann (Berlin) 



MUSIKLEBEN 

ZEITSCHAU 

Das „Wiener Volksblatt" hat Preise von 3000. — Schilling fur das „beste deutsche 
Volkslied" ausgesetzt. Eberhard Sagburg bekam den ersten Preis von 1000 Sdiilling 
fiir folgenden lyrisch-nationalen Ergufi, fiir dessen Vertonung zum 1 0. Deutschen Siinger- 
fest abermals 1500 Schilling bereitgestellt wurden: 

DAS ALTE LIED 

Aus dem Raunen deutscher Walder, Yon der Statte deutschen Fleifies, 

Aus der deutsclien Strome Rauschen Aus dem Klange deutscher Arbeit, 

Mahnt die uralt ew'ge Weise, T<mt w i e Hammersclilag vom Werke 

Klingt und singt, bald laut, bald leise, Stolz und froh das Lied der Starke, 

Ewigjunge Melodei: Klingt die alte Melodei: 

Heimat, Heimat, einzigschone, Heiniat, Heimat, wunderreiche, 

Deiner Grofie Hymnus tone Steh' so fest wie deine Eiche. 

Hell zum Himmel, klar und frei I Werde einig, bleibe frei ! 



zeitSchau 145 



Ganz zutiefst im deutschen Herzen 
Hallt in guten, bosen Zeiten 
Heimatlandes Treugrufi wider, 
Und aus jedem seiner Lieder 
Klingt die liebe Melodei: 
Vaterland, in deiner Schone 
Lieben wir Dich. Deine Sohne 
Woll'n wir bleiben stolz und frei. 

Das alte Lied: Die alten Phrasen von der wundersamen Melodei und der starken 
deutschen Eiche, vom markigen Hammerschlag und vom Treugrufi der freien Sohne. 
Die Schuberlfeier als Tummelplatz des nationalen Spiefiertums und des kraftmeiernden 
Dilettantismus. Die Schuberlfeier als Kundgebung reaktionarer Liedertafelei. Schubert 
als Hort amusischen Klembiirgertums. Tausend sangesfreudige Kehlen werden mit ge- 
schwellter Brust dieses Lied in einer hoffentlich ebenburtigen Vertonung hinaus- 
schmettern und sie werden sich mit dem erhebenden Bewufitsein an den Biertisch 
setzen, das Banner der echten und bodenstandigen Kunst in der Zeit der Uber- 
fremdung und Entgotterung erfolgreich hochgehalten zu haben. 

Es liegt ein von Gerhart Hauptmann unterzeichneter Aufruf vor, der die Er- 
richtung eines „Festspielhauses zur Pflege der deutschen Symphonie" in Baden-Baden 
fordern will. Protest gegen die deutschen Kammermusikfeste in Baden-Baden, die dem 
lebendigen Schaffen dienen? Das Festspiel wurde in dieser Zeit zur gesellschaftlichen 
Phrase. Bayreuth ist der Treffpunkt intern ationaler Ungegenwartigkeit, internationaler 
Sentimentalitat. Nun soil auch noch ein Bayreuth fur die Symphonie „fern vom Larm 
des Alltags in seiner einfach-edlen, der Tagesmode es entriickenden Gestalt" verwirk- 
licht werden. Ein Zentrum unlebendiger Musikpllege. Man proklamiert die „vom 
Alltagslarm loslosende" Kunst in dem Augenblick, wo die Musik aus ihrer asthetischen 
Isoliertheit herausstrebt und die Krafte unseres Seins zu gestalten sucht. Die Symphonie 
tragt zum grofien Teil eine Stilentwicklung, gegen die unser Schaffen sich auflehnt 
Sie ist die Basis fur eine konzerthafte Musikausiibung, die allmahlich in Stagnation 
geriet. Kein Zweifel, dafi ein wesentlicher Teil der symphonischen Produktion des 
19. Jahrhunderts fur ein aktives Musikleben nur schwer zu retten sein wird. In dieser 
Situation, die man nur leugnen kann, wenn man die positiven Krafte der Zeit negiert, 
erscheint der Baden-Badener Plan, der im Jahre 1913 gefafit wurde. Man tut so, als 
ob seitdem nichts vorgefallen ware. Und derselbe Gerhart Hauptmann, der vor mehr 
als einem Vierteljahrhundert revolutionare Ideen in seinen Werken vertrat, wird heute 
Wortfuhrer gegenwartsferner, reaktionarer Bestrebungen 

Das Leipziger Gewandhaus ist wieder in einer Dirigentenkrise : Furtwangler 
tritt mit Ende dieser Saison von seiner Leipziger Stellung zuriick. Er will seine Arbeits- 
kraft auf Berlin und Wien konzentrieren. Man hort auch, dafi er kompositorische Plane 
hat. Die Wiener Staatsoper schlofi mit Furtwangler einen Gastspielvertrag zur Leitung 
von Opernauffuhrungen ab. Vielleicht hangt es damit zusammen, dafi sich die Ver- 
handlungen mit dem Frankfurter Operndirektor Clemens Krauss wegen Ubernahme 
einer leitenden Stellung in Wien nun endgiiltig zerschlagen haben. Bruno Walter, 
der in Berlin nur beschrankt als Konzertdirigent wirken kann, soil den grofiten Teil der 
Gewandhauskonzerte in der kommehden Saison leiten. Im iibrigen nimmt man an, dafi 



146 MUSIKLEBEN 



Abendroth aus Koln nun auf den Posten berufen wird, auf dem ihn schon seiner- 
zeit, bei der Wahl Furtwanglers, viele Leipziger Kreise gern gesehen hatten. Auch im 
Rheinland gibt es zu Beginn der neuen Spielzeit Dirigentenwechsel. Paul Schein- 
pflug, der Duisburger Generalmusikdirektor, ausgezeichneter Interpret moderner Musik, 
hat seinen Vertrag mit der Stadt gekiindigt. 

Die Dresdener Oper kiindigt fiir diesen Sommer im AnschluS an die Premiere 
der „Aegyptischen Helena" eine Festwoche zur Fiinfzigjahrfeier ihres von Semper er- 
bauten Hauses an. Vielleicht will Intendant Reucker die Krisenstimmung, von der 
neulich erzahlt wurde, durch eine groGangelegte representative Veranstaltung bannen. 
Mehr als reprasentative Bedeutung kann man diesen Festspielen, die kein einziges fiir 
die Gegenwart bezeichnendes Werk bringen, nicht beimessen. Die Dresdener Oper hat 
ihre Absichten, das Gegenwartsschaffen nachdriicklichst zu pflegen, anscheinend aufge- 
geben und ruht sich auf ihren Hoftheatertraditionen aus. 

Von den beiden wichtigen Opernpremieren des Februar (Strawinskys „Oedipus" 
und We ills „Zar") ist an anderer Stelle die Rede. Darmstadt machte den interessanten 
Versuch, Aubers „Stu.mme von Portici" in einer Bearbeitung von Arthur Maria 
Rabenalt und Karl Bamberger als Revolutionsstuck in modernem Rahmen aufzu- 
fiihren. Auch die Berliner Staatsoper Unter den Linden, die nun definitiv in den letzten 
Tagen des April in ihrer neuen Gestalt eroffnet werden soil, wird die „Stumme" heraus- 
bringen, wahrscheinlich mit Elisabeth Bergner in der Titelrolle. 

Die musikaiische Sektion der Preuftischen Akademie der Kiinste berief in- 
zwischen zwei neue Mitglieder : Igor Strawinsky und Richard Wetz. Den bahn- 
brechenden Fiihrer der neuen Musik und den in seinen Grenzen gewifi schatzenswerten 
Spatling der Neuromantik. Die Wahl beweist die Unmoglichkeit der gegenwartigen 
Zusammensetzung der Akademie. Entweder ist die Berufung in die Akademie lediglich 
die staatliche Bestatigung fiir die Erreichung einer gewissen Altersgrenze, unbeschadet 
der Originalitat und allgemeinen Bedeutung des kompositorischen Schaffens, oder sie ist 
die hochste staatliche Auszeichnung fiir die wirklich schopferischen Musiker der Zeit, 
die sich zu positiver Arbeit zusammenfinden. Ein Kompromifi zwischen beiden Prin- 
zipien fiihrt zur Verwaschenheit, zu einem Zerrbild. Eine Akademie, in die zugleich 
eine grofie und originale Personlichkeit wie Strawinsky und eine fiir das kiinstlerische 
Gesicht der Gegenwart vflllig belanglose Epigonenerscheinung wie Richard Wetz gewahlt 
werden kann, ist eine nicht lebensfahige, unproduktive Institution. 

Heinrich Strobel (Berlin) 

NACHRICHTEN 

KLEINE BERICHTE Die Staats-Akademie der Kunstwissenschaften in 

In Aachen ist eine „Gesellschaft zur Moskau verlieh der Fachabteilung „Tanz" derFolk- 

Pflege neuer Musik" gegriindet worden. Den wangschulen Essen anlafilicn der IV. Internatio- 

Vorsitz hat Generalmusikdirektor Dr. Peter Raabe nalen Ausstellung fur Bewegungskunst in Moskau 

iibernommen. ein besonderes Ehrendiplom. 

Am 9. Oktober 1927 wurde in Leipzig die Einer Mitteilung des Gewandhauses Leipzig zu- 

Bruckner-Gesellschaft ins. Leben gerufen. Eine folge stellt ein soeben ergangenes Urteil des Reichs- 

in dem vorliegenden Heft enthaltene Anzeige ladt finanzhofes fest, dafi — entgegen der bisher herr- 

die Freunde Anton Bruckners zum Beitritt ein. schenden amtlichen AufFassung - konzertierende 



NACHRICHTEN 



147 



Kfinstler nicht als „Angestellte" des Konzertunter- 
nehmers zu gelten haben und infolgedessen der 
Steuerabzug vom Honorar unberechtigt ist. 

Unter dem Vorsitz von Heinrich Mann ist vor 
kurzem ein „ Volksverb and ffir Filmkunst" 
gegriindet worden, der ein iiberaus starkes Echo in 
der Offentlichkeit gefunden hat. Am 22. Februar 
stellte sich der Volksverband im „Capitol" in Berlin 
einem geladenen Publikum in einer Kundgebung vor. 
Die programmatischen Erklarungen wurden von 
Heinrich Mann, Franz Kollerring und Bela Ballacs 
gegeben. Der Verband wdl „ohne parteipolitische 
Bindung, aber mit deutlicher Einstellung gegen alles 
kiinstlerisch und politisch Reaktionare die Forderung 
der wenigen unverlogenen, echten, dem Volke hel- 
fenden, das Volk erschiitternden, das Volk erheitern- 
den Filme." 

AUFFDHRUNGEN 

Im Mai findet im Landestheater in Braunschweig 
die Urauffiilirung der Oper „Die Rache des ver- 
hohnten Liebhabers" (Text von Ernst Toller) 
von Friedrich Wilckens statt. 

Die deutsche Erstauffiihrung von Janaceks 
„Sach e Makropul os" findet an der Berliner 
Staatsoper statt. 

Das Stadttheater Aachen brachte Anfang Marz 
Rimsky -Korssakof f s „Zar Saltan" zur 
deutsclien Urauifiihrung. 

Lothar Windspergers Violin-Konzert hatte 
bei seiner Erstauffiihrung in Mainz bedeutenden 
Erfolg. 

Die Kroll-Oper wird unter Klemperer Hinde- 
mith's Oper „Cardillac" noch in dieser Spielzeit 
zur Berliner Erstauffiihrung bringen. 

Am 15. Marz fand in Wiesbaden die Urauffiilirung 
des „Trio fiir Bratsche, Heckelphon und Klavier" von 
Hindemith und der „Sonate fiir Bratsche allein" 
von Windsperger statt. 

Ernst Toch schrieb zur Feier des 100-jahrigen 
Bestehens des frankfurter Liederkranz" ein Orches- 
terwerk „Fanal", welches im Fest-Konzert zur Ur- 
aufffihrt gelangte. 

Paul Hindemith hat fur die Eroffnungsfeier- 
lichkeiten des neuen Landerziebungsheimes auf der 
Nordsee-Insel Spiekeroog eine neue Spielmusik fiir 
Liebhaber-Orchester geschrieben, die am 24. Februar 
anlafilich eines musikalischen Abends im deutsclien 
Landerziehungsheim Schlofi Bieberstein (Bhon) unter 
Leitung und Mitwirkung des Komponisten urauf- 
gefiihrt wurde. 

In Hamburg brachte Eugen Pabst Honeggers 
„Skatink-Bink", Symphonie choreographique, 
zur Urauffiilirung. 

PERSDNLICHE NACHRICHTEN 

Dr. Heinrich Besseler, Freiburg i. B. ist als 
etatmafiiger a. o. Professor und Direktor des musik- 
wissenschaftlichen Instituts als Nachfolger von Pro- 



fessor H. J . Moser an die UniversitSt Heidelberg 
berufen worden und hat die Berufung angenommen. 
Dr. Friedrich G e n n r i ch hat sich mit einer An- 
trittsvorlesung fiber „Moderne und mittelalterliche 
Musik" an der UniversitSt Frankfurt habilitiert. 

AUSLAND 

Diese Rubrik befindet sich im Ausbau und soil systema- 
tise auf alle Lander ausgedehnt werden. 

Das Zentral-Exekutiv-Komitee der russischen 
Sowjet-Union bestatigte den Entwurf eines fiir das 
ganze Reich geltenden Gesetzes, der grundlegende 
Anderungen im Autorenrecht und Urheber- 
schutz einftihrt. Die wesentlichste Abweichung 
von der bisherigen Begelung ist die Verliingerung 
der Schutzfrist des Urheberrechtes von 25 auf 
40 Jahre, wobei die Frist vom Erscheinen des 
Werkes an rechnet. 

Die Musik-Sektion des Staatl. Instituts fiir Kunst- 
geschichte in Petersburg hat eine Bibliographic samt- 
licher von 1917 bis 1927 in Rufiland erschienenen 
Biicher und Aufsatze fiber Musik zusammengestellt. 
Es ist eine Aufzahlung von fiber 3000 Arbeiten, die 
in der Fach- und allgemeinen Presse veroffentliclit 
wurden. 

Vor ungefiihr 2 Jahren wurde von deutscher 
Seite der Sowjet-Regierung ein Gesetzentwurf zur 
Pruning tiberreicht, um der Vogelfreiheit der Geistes- 
erzeugnisse in Ruftland ein Ende zu machen. Da 
trotzdem in diesem Punkte bisher nichts geschehen 
ist, wird aus Anlafi der deutsch-russischen Wirtschafts- 
besprechung in Berlin vermutet, dafi hierbei auch 
die Grundlagen einer Urheberschutz-Konvention fest- 
gelegt werden. Ob diese Vermutung zu Recht be- 
steht bleibt dahingestellt. 

Kiirzlich fand in Warschau ein polnischer musik- 
wissenschaftlicher Kongrefi statt, auf welchem die 
„Polnische Musikwissenschaftliche Gesell- 
schaft" gegrtindet wurde. 

In Ktirze wird in Warschau die Erstauf- 
fiihrung von Debussy's „Peleas und Melisande" 
stattfinden. 

In Wilna wurde eine neue Rundfunk-Sende- 
station — die fiinfte in Polen — eroffnet. 

An der UniversitSt in Budapest soil demniichst 
eine Professur fiir Musikwissenschaft errichtet werden. 

Das diesjahrige „Schweizerische Ton- 
ic unstlerfest" findet am 21. und 22. April in 
Luzern statt. Es wird u. a. Uraufffihrungen von 
Beck, Schulthess, Schoeck, Honegger, David, Laquai, 
Maurice und Burkhard bringen. 

K. H. Davids Oper „Traum wandel" kam 
Ende Januar in Ztirich zur Urauffiilirung. 

Die sdiweizerieclie Erstauffiihrung von O. 
Schoecks „Penthesilea" ist fiir den April 
geplant. 



148 



MUSIKLEBEN 



In Winterthur kam unter Scherchens Leitung J. S. 
Bach's „Kunstder Fuge" — unter zum Teil 
von W. Grasers Vorschlfigen abweichender Instru- 
mentierung — zur Erstauffiihrung. 

Das italienische Unterrichtsministerium wird von 
Juli bis Oktober 1928 auf Capri eine Sommer-Musik- 
hochschule errichten, in welcher auch Unterricht in 
italienischer Sprache vorgesehen ist. 

Das Amsterdamer Concert-Gebouw feiert im 
April sein 40 jahriges Bestehen mit Auffuhrungen 
einer Reihe von bedeutenden Werken. 

Pressemeldung : „Der Amsterdamer Olympiade 
ist eine Kunstschau sportlichen Einsclilags angegliedert, 
die nicht nur Maler, Plastiker und Schriftsteller, son- 
dern auch Musiker zur Einreichung geeigneter Ar- 
beiten auffordert. Zugelassen sind Werke fiir Gesang 
mit oder ohne Instrumentalbegleitung, Kompositionen 
fiir ein Instrument mit oder ohne Begleitung, fiir 
Kammer-Orchester, fur Symphonie- Harmonie- oder 
Fanfaren-Orchester. Die Werke miissen von einem 
sportlichen Gedanken inspiriert und nicht fiber eine 
Stunde lang sein." 

VERSCHIEDENES 

Der grofie Internationale Au tor en-Kongr ess, 
iiber den bereits in einigen Blattern ungenaue Nach- 
richten erschienen sind, findet, wie uns der deutsche 
Arbeitsausschuft mitteilt, in der Zeit vom 15. bis 
25. April d. J. in Berlin in den Raumen des Herren- 
hauses statt. Veranstalterin ist die „Confederation 
Internationale des Societes des Auteurs et Com positeurs" , 
die sich im Jahre 1926 zum ersten mal in Paris, im 
Vorjahre in Rom versammelt hat. Der deutsche 
Arbeitsausschufi setzt sich zusammen aus der Ge- 
nossenschaft deutsclier Tonsetzer (GDT), Genossen- 
schaft zur Verwertung musikalischer Auffiihrungs- 
rechte (GEMA) und dem Verband deutscher Biihnen- 
schriftsteller und Biihnenkomponisten. 

Das Zentralinstitut fur Erziehung und Unter- 
richt in Verbindung mit der Arbeitsgemeinschaft fiir 
das deutsche Chorgesangwesen (Deutscher Sangerr 
bund, Deutscher Arbeitersangerbund, Reichsverband 
gemischter Chore) und der Stadt Essen hat im Hin- 
blick auf die bevorstehenden Reichstags- und Land- 
tagswahlen beschlossen, die fiir den 14. und 
15. April 1928 in Essen geplante erste Tagung 
fur das Chorgesangwesen in den Herbst d. J. 
zu verlegen. 

Das bekannteste und reichste amerikanische 
Musikinstitut, die New-Yorker Juilliard-Hoch- 
schule fiir Musik, plant eine Zweiganstalt in 
Dresden zu errichten, die den Schiilern eine besondere 
Kenntnis des Opernrepertoirs vermitteln soil. 

Das diesjfihrige Schlesische Musikfest 
wird vom 1. bis 3. Juni in Gorlitz stattfinden. Als 
Orchester sind die Berliner Philharmoniker ver- 
pflichtet worden. 



Das Hoch'sche Konservatoriuni in 
Frankfurt a. M. begeht in Kiirze sein 50 jahriges 
Jubilaum. 

Ein bedeutsamer Han del -Fund wurde in der 
gegenwartig im Britischen Museum befindlichen Musik- 
bibliothek des Earl of Aylesford gemacht : Es handelt 
sich um vier Manuscriptbande, deren Inbalt bislier 
noch nicht veroffentlicht wurde und auch in der 
groKen Ausgabe der Deutschen Handel-Gesellschaft 
fehlt. Der Verlag B. Schott's Sohne brachte soeben 
aus diesen Manuskripten 76 Stiicke fiir Clavicembalo 
(Klavier) — ungefahr ein Driltel samtlicher bekannten 
Klavierkompositionen Handels — in zwei Banden 
heraus. 

Das Preufiische Ministerium fiir Wissenschaft, 
Kunst und Volksbildung hat fiir dieses Jahr 4 staat- 
liche Chormeisterkurse in den einzelnen Provinzen 
bewilligt. Sie finden zu gleicher Zeit und zwar in 
der Woche vom 16. bis 21. April in den Stadten 
Erfurt, Frankfurt a. M., Kiel und Konigsberg statt. 

Die Eroffnung der Staatsoper unter den Linden 
in Berlin ist nun definitiv auf den 28. April festge- 
legt. Nach Mitteilungen aus dem Finanzministerium 
stellen sich die Kosten des Umbaues auf 11 Millionen 
Mark, gegeniiber der im Voranschlag vorgesehenen 
Summe von 4,5 Millionen. Nach Ansicht der Sach- 
verstandigen wird die Staatsoper die technisch weitaus 
beste Btihne Deutschlands sein. Das Eroffnungs- 
programm umfafit: Mozarts „Zauberfl6te", Wagners 
„Meistersinger", Richard Straufi' „Rosenkavalier". 

Namhafte Mitglieder der Vereinigung kiinst- 
lerischer Biihnenvorstande planen einen Bund deut- 
scher Buhnenbildner. Begriindet wird der Plan 
mit dem Hinweis auf die immer grofiere Bedeutung 
der Regieleistung im Theaterbetrieb, auf die Not- 
wendigkeit, ein einwandfreies Niveau zu schaffen 
und auf bedeutende kiinstlerische und wirtschaftliche 
Vorteile. 

Der Vorschlag einer Griindung eines Verb an des 
Deutscher Stimmbildner und Gesangspada- 
gogen hat aus alien beteiligten Kreisen weitgehende 
Zustimmung erfahren. Die endgiiltigen Verbands- 
Satzungen sollen auf der Tagung in Freiburg i. B. 
festgelegt werden. Geschfiftsstelle des Verbandes ist 
einstweilen: Arbeitsgemeinschaft Freiburger Gesangs- 
padagogen, Freiburg i. B., Friedrich Ebert-Platz 1. 

Die Folkwangschulen, Essen, Fachschule fiir 
Musik, Tanz und Spraclie, die unter starker Anteil- 
nahme des offentlichen Kunstlebens im Oktober v. 
Js. eroffnet wurden, konnen mit Ende des ersten 
Semesters ihre Arbeit durch iiberzeugenden Erfolg 
belohnt und gerechtfertigt sehen. Zahlreich ein- 
laufende Meldungen zu dem im April beginnenden 
Sommer-Semester lassen ein starkes Anwachsen der 
Zahl der Studierenden erwarten. 

Das dritte Heidelberger Musikfest findet 
unter Furtwanglers Leitung vom 23. bis 25. Mai statt. 




149 



JorgenBentzon 

IHIHIIIillllllllllllllllllllllllliriimilluiHIIIIIIIItlltlllllllNIIIIHIIIIIIIllllllltllllHll'ilfi 

Kammermusikwerke : 

Sonatine fiir Flote, Clarin. u. Fagott, Op. 7 

(Frankfurt. Intern. Musikfest 1927) 

Partitur Mk. 2.-, Stimmen Mk. 5.50 

Sfreichquartett Op. 3 

Partitur Mk. 2. - , Stimmen Mk. 6.75 

„Praeludio patetico" 

Op. 11 fiir Streichquartett 

[Partitur Mk. 1.80, Stimmen Mk. 5. - 



„Etude rhapsodique" 

Op. 10 fiir Englisch-rlorn Solo 



Mk. 1.50 



BORUPS MUSIKFORLAG 

Alleinvertrieb fiir Deutschland, Oeslerreicli, Ungarn, 
Tschechoslowakei, Schweiz und Holland: 

Fr. Kislner & C. F. W. Siegel, Leipzig 



DEUTCHE MUSIKBUGHEREI 



Ein volkstumliches Beethoven-Bucli I 
Soeben erscheint : 

BAND 63 

Fi s die r - G r a z 
Beethoven a I s M ens ch 

Mit einer Bildnisbeilage 

In Pappe Mk. 5. - , in Ballonleinen Mk. 7. - 

Dies neue Beethoven-Buch fullt eine fiihlbare Lucke im 
gesamten Bee tliovenschrift turn und wild jetzt, wo die 
Woge der Beethoven-Begeisterung aus dem Feat-Jahre 
1927 verrauscht, von alien stillen und steten Verehrern 
de9 Meistera dankbar und freudig begriiftt werden. 
Verlangte doch gerade das Thema „ Beethoven als 
M e n s cli " ltingst nach der Darstellung durch einen 
Dichter, der abseits von rein wissenachaftlicher Be- 
trachtung aua seinem seehsclicn Unterbewufttsein 
heraua sich in das menschliche Erleben einea Beethoven 
zu versetzen vermag. Und dies Werk achenkt una 
hier Wilhelm Fischer-Graz I 

Vorratig in jeder guten Buch- 
und Musikalien-Handlung 1 



GUSTAV BOSSE, REGENSBURG 




Wichtige Neuerscheinung! 

ROBERT TEICHMULLER 
und KURT HERRMANN 

Internationale 
Moderne Klaviermusik 

Ein Wegweiser und Berater 

Dieser Fiihrer gibt erstmalig einen urn- 
fassenden Bericht iibcr das grosse Gebiet 
der modernen Klavierli tera tur aller 
Lander. Die Verfasser haben ein Werk von 
grosser Bedeutung geschaffen. Mit Ver- 
s t a n d n i a und Sorgfalt ist die Aus- 
wahl getroffcn. Geistreiche treffende 
Urteile iiber Komponiaten und ihre Werke 
gestalten daa Buch zu einem unentbehr- 
lichen Berater und zuverla ssigen 
Fiihrer 

Broachiert M. 4.- t in Ganzleinen gebunden M. 5.20 



Gebriider Hug & Co. 
Leipzig und Zurich 



150 



BRUCKNER - GESELLSCHAFT E. V. 



Freunde Anton Bruckners! 



Am 9. Oktober 1927 ist in Leipzig die Bruckner-Gesellschaft ins Leben gerufen worden. 

Wohl hat das Werk Bruckners langst seinen festen Platz in der musikalischen Welt 
erobert; aber ein grofier Kreis von Pflichten bleibt noch zu erfiillen. Die neugegriindete 
Bruckner-Gesellschaft will, was bisher getrennte Verbande in hingebender Werbearbeit sich zum 
Ziel gesetzt hatten, zusammenfassen und fur die Deutung der Person und der Interpretation des 
Meisters in ihren Jahrbiichern ein zentrales Organ errichten. Ohne Biicksicht auf politische oder 
sprachliche Grenzen will sie in der ganzen Welt der Propagierung Brucknerschen Wesens dienen. 

Als wicbtigste Aufgabe hat sie sich die Herausgabe des Gesamtwerkes von Bruckner 
gestellt ; eine peinlich genaue, traditionsgeleitete Textkritik wird das Werk Bruckners von alien 
fehlerhaften Uberbleibseln reinigen und den Urtext liefern, der als Grundlage fur kiinftige 
praktische Ausgaben zu dienen hat. 

Das auf Bruckner beziigliche Schrifttum ist zu erganzen und fortzufiibren, um audi das 
geistige Biistzeug fiir eine wirksame Brucknerpflege zu schaffen. 

Die Pflege und Unterhaltung der Statten, die rait dem Leben des Meisters engstens 
verkniipft sind, ist von ebenso grofier Bedeutung wie die Samndung oder Nachweisung aller 
auf Bruckner beziiglichen Denkwiirdigkeiten und Archivalien. 

Brucknerfeste, Gedenkfeiern und Vortrage sollen einen machtvollen Kreis von Bruckner- 
freunden zu gemeinsamem Dienst an der grofien Sache einen. 

Wir erwarten und benotigen dazu audi Hire Hilfe. Nur wenn unser Buf bei alien, die 
es angeht, tatigen Widerhall findet, kann die weitgesteckte, so ungemein bedeiitungsvolle Auf- 
gabe der Bruckner-Gesellschaft auf Erfullung rechnen. Wir erbitten daher iliren Beitritt, den 
Sie ohne Zogern unserer Geschaftsstelle (Leipzig, Nurnberger-Str. 36) erkliiren wollen. Alles 
Nfihere wollen Sie aus den Satzungen ersehen, die Ihnen die Geschaftsstelle auf Wunsch iiber- 
sendet. Der Jahresbeitrag betrfigt bei Bezug der jahrlichen Verbffentlichungen (Jahrbuch und 
ein bis zwei weitere Ausgaben) Mk. 12. — , ohne Veroffentlichungen Mk. 2. — . Mit Ihrer An- 
meldung wollen Sie bitte gleichzeitig den Jahresbeitrag fiir 1928 (Mk. 12. - bzw. Mk. 2. — , 
fiir Dsterreich S 20. — bzw. S 3.40) auf das Postscheckkonto Breitkopf & Hartel Leipzig 2228 
mit der Angabe ,.fiir die Bruckner-Gesellschaft" einzahlen. 

Wir hoffen keine Fehlbitte zu tun und auf der im Friihjahr e.rscheinenden ersten Mit- 
gliederliste eine stattliche Anzahl von Freunden Bruckners namentlich verzeichnen zu konnen- 



Der Vorstand der Bruckner-Gesellschaft e. V. 



Professor Max Auei 
Vocklabruck 



Dr. Carl Krieser 
Leipzig 



Dr. Hellmuth von Hase 
Leipzig 



151 



Neue wertvolle 
Ghormusik 

(Mannerchor a cappella) 



von 



Erwin Lendvai 





^... 


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* 


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. > 



Frohgesang 

24 LIEDER UND GESANGE 
ALLER VOLKER 

1. Heimweh (Ungarisch) 

2. Entschuldigt (Bohmisch) 

3. Das AViedersehen (Italienisch) 

. 4. Heimkehr von der Aim ( Schwedisch) 

5. Trotz ura Trotz (Bohmisch) 

6. Gesang der Hafenarbeiter (Russiscli) 

7. Der Brautigam (Ungarisch) 

8. Suomis Sang (Finnisch) 

9. Hochlandssohn (Schottisch) 

10. Das grofie Klagelied (Finnisch) 

11. Die Latern ( Schwabisch) 

12. Ach, wozu die Plage (Russisch) 

13. Tanzliedchen (Vldmisch) 

14. Es weht der Wind (Litauisch) 

15. Der Tod von Basel (Deutsch) 

16. Tremiung (Danisch) 

17. Der Treulose (Bohmisch) 

18. An der Mutter Wolga (Russisch) 

19. Die Verlassene (Kroatisch) 

20. Soldatentrinklied (Altfranzosiscli) 

21. Der vertriebene Gaele (Schottisch) 

22. Layeta (Katalanisch) 

23. Das Muhlrad (Deutsch) 

24. Kirchweih (Bohmisch) 

Jeder Chor einzeln. 
Partituren je M. - .80 bis M. 2. - . 
Stimmen je M. -.20 bis M. -.40 



Weltgesang 

DEUTSCHE VOLKSLffiDER AUS 

SECHS JAHRHUNDERTEN IN 

FORM VON VARIATIONEN 

1. Bankelsangerlied 

(Forsters „Fnsche Liedlciii*, 1540) 

2. Der Schlemmer 

(„Lochheimer Liederbuch", XIV. Jalirhundert) 

3. Das Bauerlein 

(Volkstanz, XVII. Jahrhuiidert) 

4. Trinklied 

(Forsters „Frische Liedlein", 1540) 

5. Unmogliche Dinge 

(nach Rhaw, Bicinia 1545) 

6. Das Lieben bringt grofi Freud 

(Volkslied ans Schwaben) 

7. Deutscher Tanz 

(aus Phil. Heinhoferi Lautenbiich cm, 1603) 

8. Alter Volkstanz 

(aus Phil. Heinhoferi Lautenbiichern, 1603) 

9. Die Bauern von St. Polten 

(Werlins Liederwerk 1646, Text XVI. Jahrhuiidert) 

10. Der Abschied im Korb 

(aus dem Hessen-Darmstadtischcn) 

11. Der verteidigte Htisar 

(aus dem Lahn- und Diilkreis, um 1880) 

12. Di e Katze auf dem Dach 

(Tanzlied aus dem XVII. Jahrhundert) 

Partituren zu Nr. 1, 2, 5 je Mk. 2.-, 
zu Nr. 9 Mk. 2.50, die ubrigen je Mk. 1.50 

Stimmen zu Nr. 7 je Mk. -.20; zu Nr. 1 u. 5 

je Mk. -.40; zu Nr. 9 je Mk. -.50; 

zu den ubrigen je Mk. — .25. 



Verlangen Sie die Partituren zur Ansicht. 
Ausfuhrlichcs Verzeiclinis Lendvaischer Chore kostenlos 



B. SCHOTT'S SOHNE / MAINZ UND LEIPZIG 



152 



ZWEI WICHTIGE NEUERSCHEINUNGEN 

R. VAUGHAN WILLIAMS 

CONCERTO ACCADEMICO 

fur Solo-Violine und Streichorchester 
Partitur 15 s. — Ausgabe fur Violine und Klavier 7 s. 6 d. 
Dieses Werk erregte bei der Erstaufmhrung durch Jelly d'Aranyi — der es gewidmet ist — 
grofies Aufsehen und nocli mehr Bewunderung. In der zeitgenossischen Musik gibt es zu 
wenig Werke Mr diese Besetzung und erst recht selten sind Kompositionen von solchem Werte. 
Wirkungsvoll und doch ernsthaft; herb, aber mit Stellen von grofiter Schonheit; geschlossen 
in Form und Ausdruck, doch voll rhythmischen Lebens. 

JOHN IRELAND 

FUNF GEDICHTE 

von Thomas Hardy — In einem Band 5 s. 
Diese Lieder (fur eine Singstimme und Klavier) wurden bereits vor einem Jahr von John 
Goss und dem Komponisten uraufgefiihrt. Die Veroffentlichung wurde mit Spannung erwartet. 
Ein neues Werk von Ireland ist an sich ein Ereignis, besonders nach einer so langen Pause. 
Der Komponist hat in diesem Zyklus die Gehalte der letzten Gedichte Hardys musikalisch 
belebt. Hire Stimmung ist ernst. Die Komposition zeigt alle Vorzuge eines Werkes, dessen 

Erfolg von Dauer sein wird. 



O X F 

LONDON 
Alleinige 



ORD UNIVERS 

Auslieferung fur D e u t s ch 1 a n d : 



I T Y PRESS 

95 WIMPOLE STREET W 1 
HOFMEISTER, LEIPZIG 



NEUERSCHEINUNGEN 



. Ed.-Nr. 2490 M. 2. - 



Fritz von Bose 

op. 20 Suite Nr. 2 fur Klavier zweihandig 

(Praludium, Scherzo, Rdmanze, Finale) . . 

Franz Schubert 

Samiliche Klaviersonaten in Neubearbeitung mit Fingersaiz und 
Erganzungen von Walter Rehberg 

Einzelausgabe Bisher erscliienen : 

Sonate Nr. 3 Asdur Ed.-Nr. 2578 M. 2.- 

Sonate Nr. 9 fmoll (erganzt von Walter Rehberg) . Ed.-Nr. 2584 M. 2. - 

W. v. Bausznern 

Duo fur 2 Klaviere zu 4 Handen ' Ed.-Nr. 2594 M. 4. - 

Joh. Seb. Bach 

Fantasie und Fuge in gmoll fur Orgel 

Fiir 2 Klaviere zu 4 Handen ubertragen von Otto Singer 

Ed.-Nr. 2496 M. 2.50 
Durch alle Musikalienhandlungen (auch zur Ansicht) erhaltlich. 
Verlangen Sie kostenfrei unseren neuen Verlagskatalog. 



Steingraber-Verlag, Leipzig 



153 



Neue Biihnenwerke 


Komponist 


Werk 


Auffiilirungeii 


Friedrick Wilckens 


Die Rache des ver- 
hohnten Liebhabers 

(Ernst Toller) 


Uraufflilirung im Mai 1928 am Landestheater in Braunschweig 


Manuel de Falla 


Ein kurzes Leben 


New-York, Gera, Magdeburg, Osnabrfick, Moskau 


Meister Pedros 
Puppenspiel 


In zahlreichen Stiidtcn des Auslandes u. a, New-York, Paris, 
Ziirich, London, Antwerpen. In Deutsdiland: Kbln, Berlin, 
Oldenburg, Dortmund 


Paul Hindemith 


Gardillac 


Dresden, Mfindien, Berlin, Koln, Wien, Wiesbaden, Mannheim, 
Halle, Darmstadt, Stuttgart, Diisseldorf, Augsburg, Oldenburg, 
Essen, Elberfeld, Barmen, Hannover, Aachen, Prag, Gollia, 
Worms, Weimar, Frankfurt a. M., Magdeburg, Erfurt . 


Morder, 
Hoffnung der Frauen 


Stuttgart, Frankfurt u. M., Prag, Dresden, Liibeck, Essen 


Das Nusch-Nuschi 


Stuttgart, Frankfurt a. M., Prag, Diisseldorf, Essen 


Sancta Susanna 


Frankfurt a. M., Prag, Hamburg 


Hin und zuriick 


Baden-Baden, Darmstadt, Hagen, Heidelberg, Freiburg i. B., 
Dresden, Karlsruhe, Mainz, Dessau, Erfurt, Gotlia 


E. W. Korngold 


Violanta 


An fiber 60 Bfihnen des In- und Auslandes 


D er Ring des Polykrates 


An fiber 60 Biillnen des In- und Auslandes 


Die tote Stadt 


An fiber 60 Bfihnen des In- und Auslandes 


Das "W under der 
Heliane 


Hamburg, Wien, Berlin, Miinchen u. ca. 20 weiterc Bfihnen 


Rudi Stephan 


Die ersten Mensclien 


Frankfurt a. M., Bocllum, Hannover, Minister i. W., Koln, Magde- 
burg, Darmstadt, Mannheim, Gotha, Liibeck, Freiburg i. B., 
Krefeld, Nordhausen, Essen, Worms, Basel, Braunschweig 


Igor Sirawinsky 


Geschicbte 
voni Soldaten 


Berlin, Frankfurt a. M., Karlsruhe, Aachen, Osnabruclc, Baden- 
Baden, Kassel, Darmstadt, Diisseldorf, Plauen, Charlottenhurg, 
Heidelberg, Minister i. W., K61n, Dessau, Hagen, Barmen. Elber- 
feld, u. a. Ferner.in alien bedeutenden Stadlen des Auslandes 


Reinecke (Renard) 


In zahlreichen Stadten des Auslandes; in Deutsdiland bisher: 
Berlin (Staatsoper), Darmstadt 


Russische 
Bauernhochzeit 

(Les Noces) 


In Deutsdiland bisher nur Konzertauifuhrung in Frankfurt a. M. 


Ernst Toch 


Die Prinzessin 
auf der Erbse ' 


Baden-Baden, Darmstadt, Hagen, Danzig, Heidelberg, Mainz, 
Dessau, Stettin, Gotha 


B. Schott's Sonne, Mainz 



154 



In die Universal-Edition iibergegangen 

HEILIGE TONKUNST 

Musikalische Veroffentlichungen des Verbandes der Vereine katholischer 

Akademiker zur PJlege katholischer Weltanschauung 

Herausgegeben von Professor WALTER BRAUNFELS, Direktor der Hochschule fur Musik in K61n. 

Die Sammlung „Heilige Tonkunst" hat es sich zur Aufgabe gesetzt, Meislerwerkc religioser Tonkunst, die nach 

den letztcn sachlichen und kiinstlerischen Kriterien ausgewahlt sind, fiir den Gebrauch in Kirche, Konzert nnd Haus 

in mustergulligen Ausgaben bereitzustellen. Die Veroffentlichungen untersclieiden sicli somit grundlegend von 

Zwecksammlungen, die ohne hohere kiinstlerisciie Zielsetzung entstanden Bind. 

Bis jetzt sind erschienen: 



Band I: 

Altniederldndische Motetten fiir 
A-capella- Chor 
U. E. Nr. 9301 Partitur (mit unterlegtem 

Klavierauszug) Mk. 4. — 

U. E. Nr. 9302 a/d Chorstimmen a Mk. - .80 

Hier finden sidi erlesene Proben aua der Blutezeit der 
religiosen Musik seit PalesLrina zum erslenmal vereinigt. 

Band II: 

Geistliche Arien fiir hohe Stimme 
von W. A. Mozart 

Mit 2 Kadenzen von Walter Braunfels 

U. E. Nr. 9203 Mk. 4. - 

Dieae Sammlung aller wichtigen, in den teilweise nur 

schwer zuganglichen Biinden der Gcsamtausgabe ver- 

steckten geiathchen Arien Mozarts wird in den weitesten 

Kreisen lebhaft begriifit werden. 



Band III: 

16 Alte geistliche Gesdnge fur 
Mannerchor 

U. E. Nr. 9304 Partitur (mit unterlegtem 

Klavierauszug) Mk. 4. — 

U.E. Nr. 9305 a/d Chorstimmen a Mk. -.80 

Dieaer Band enthiiU, teilweise zum erstenmal veroflentlicht, 

Perlen religioser Chorliteratur fiir 3 und 4 Manners timm en 

sowie doppelchorige Kompoaitionen aus der Zeit der 

klassischen Polyphonic 

Band IV: 
Geistliche Gesdnge fiir Mannerchor 
von Jacob Handl 
U. E. Nr. 9306 Partitur (mit unterlegtem 

Klavierauszug) Mk. 3. — 

U. E. Nr. 9307 a/d Chorstimmen a Mk. - .60 
Die vorliegenden Proben von Kompo9Uionen fiir gleiclie 
Stimmen wollen dem Mannerchor neue Anregungen geben. 



Demnachst erscheint: 

Band V: 

Altdeutsche geistliche Chorlieder aus dem XVI. Jahrhundert 

Fiir gemischten Chor. 

Durch jede Musikalienhandlung zu beziehen. 
Prospekte mit genauer Inhaltsangabe der einzelnen Bande gratis. 

UNIVERSAL-EDITION A. G., WIEN-LEIPZIG 



EINBANDDECKEN 

zu alien Jahrgangen von MELOS lieferbar 

Geschmackvolle Ausfiihrung in griinem 
Ganzleinen mit Riickenpragung 

Einbanddecke 

zum VI. Jahrgang (1927) 1.50 M. 

zu den friiheren Jahrgangen je 2. — M. 

(zuziiglich 30 Pfg. Porto) 



Soeben erscliienen : 

IVerzeiclinis 
tanzbarer 
Musik 
neuerer Komponisten 
fiir den Biihnentanz, sowie fiir gymnastische 
und rhythmische TJbungen aus dem Verlage 
B. Schott's Sohne, Mainz 

Zusammengestellt von Dr. Otto Janowitz 

Kostenlose Zusendung auf Wunsch vom Verlage 
B. Schott's Sohne, Mainz 



155 



Jeder Sanger 

und jede Sangerin 

verlangt sofort gratis 
den soeben erschienenen Prospekt 

Zoltan Kodaly 

Ein Meister des Liedes 

Der mit einem Bildnis des Komponisten ausgeslottete 
Prospekt enthiilt cinen in das Liederschaffen Koddlys 
einfiihrenden Aufsatz von Benedikt Szabolcsi, sowie 
ein genauea Verzcichnis seiner Lieder mit Angabe 
des S timmumfanges jedes einzelnen Liedes, Preis- 
angnben und Ausziige aus den internationalen Presse- 
stimmen fiber Kodalys Liederkomposidonen. 

Zusendung kostcnlos durch die 

UNIVERSAL -EDITION A.-G. 

Wien 1, Karlsplatz 6 



Rudi Stephan 



Studie zur Entwicklungs- 
geschichte der Musik am 
Anfang des 20. Jahrhunderts 

von 

Dr. Karl Holl 



2. Auflage 

40 Seiten mit Portrait Stephen's 

M. 2.- 



B. Schott's Sonne, Mainz u. Leipzig 



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Statt 6.50 Mk. nur 2.50 Mk 
VERLAG DER 

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Berlin W 9, Potsdamer Strafie 134a 

Expressionismus ist die Kunst unse- 
rer Zeit. Das entscheidende Buch ist 
soeben in 6. bis 10. Auflage erschie- 
nen, nachdem die ersten Auflagen 
in kiirzester Zeit vergriffen waren : 

HERWARTH WALDEN 

EINBLICK IN KUNST 

Halbleinen gebunden nur Mk. 2.50 
75 ganzseitige Abbildungen der 
Hauptwerke der Expressionisten, 
Kubistenund Futuristen aller Lander. 
Unentbehrlich fur jeden, der die 
Kunst der Gegenwart kennenler- 
nen will. Umi'angreichstes Bilder- 
mateiial der f'uhrenden Meister. 
Das Manifest der internationalen 

EXPRESSIONISTEN 



156 



„Eine der kostlichsten Buffo-Opern der neuen Zeit" 

(Alfred Baresel) 

,Der Zar 



vr 



(.(. 



la&t sich photo graphier en 

Opera buffa in einem Akt. 

Text von G e o r g Kaiser. 

Musik von 

KURT WEILL 



Urauffiihrung unter Leitung von Gustav Brecher und Walter Briigmann 
am Neuen Theater in Leipzig am 18. Februar 1928. 

AUS DER PRESSE: 

„Weill wird mit dem Zaren sein Gliick machen .... nach Kreneks „Jonny" ein neues 
Erfolgstiick der modernen Oper" (Berliner Tageblatt, Karl Westermeyer) 

„Ein geschlossener musikalischer Organismus" (Berliner Borsen-Courier, Heinrich Strobel) 

„AUerbester Komodienstil in dieser Partitur" (Deutsche Allg. Zeitung, Walter Schrenk) 

„Ein kostlicher Groteskstoff' (Berliner Morgenpost, Rudolf Kastner) 

„Ein iiberaus wirkungsvolles, witziges und unterhaltendes Stuck" 

(Leipziger Neueste Nachriditen, Adolf Aber) 

„Von innen her musikalisch durchleuchtet" (Berliner Borsenzeitung, R. A. Sievers) 

„Tango Angele : Kiinstlerisch geformter Zeitgeist. Die populare Wirkung des Stiickes ist 
nicht abzusehen. Jeder wird sich diese Platte kaufen." (Thiiringer Allgemeine Zeitung) 

10 Tage nach der Urauffiihrung angenommen in: Altenburg, Dessau, 
Dortmund, Diisseldorf, Frankfurt, Gei'a, Stettin, Mainz. 

ERSCHIENENE A US GAB EN: 

U.-E.-Nr. 8964 Klavier-Auszug mit Text Mk. 10. - 

U.-E.-Nr. 8965 Texthuch Mk. - .50 

IN VORBEREITUNG: Tango Angele, fiir Klavier. 

Die Grammophonplatte „Tango Angele" ist von der Firma „Parlophon-Beka" 
hergestellt und ini Handel erschienen. 
Illustrierter Prospekt mit weiteren Pressestimmen gratis von der j 

UNIVERSAL-EDITION A. G., WIEN-LEIPZIG 



157 



MARTIN 
SCHLENSOG 

Unsere grofie Siincle 
und schwere Missetat 

Passionsmusik I'iir Chor und Solostimnien 

a cappella. 

BA Nr. 85 Partitur Mk. 1.20. - Sfinger- 

nartitur Mk. 0.50 (bbi Mindestabnahme von 

50 Stiick. 

Martin Schlensog ist tief in den Geisl poly- 
phoner Musik eingedrungen. Das beweist 
dieses scheinbar ^ohue jeden Zwang ,,ei- 
horte Werk", von dessen tieferlebter Ver- 
bundenlieit mit dem Geisle der Passion jeder 
erfafit werdcn wild, der eriisthaft dem Vi'erke 
nabetritt. Eine der wertvollsten Erschcinungen 
fiir Kircheninusik der letzten Jahre. 

(Zeilschrift fiir ev. Kirebenniusik) 

Von Martin Schlensog ist ferner erschienen : 

Zions Stille soil sich breiten 

Motette fiir Chor und Solostinmien a capella 

BA Nr. 86, Partitur Mk. 1.20. Sanger- 

partitur Mk. — .50 bei Mindestabnahme von 

10 Stiick. 

Sechs kleine Stiicke 

cine Passacaglia und eine Partita fiir zwei 
Violinen zuni Spiel fiir Anfiinger und als 

Vorschule zur klassischen Duettmusik. 
BA Nr. 131, 28 Seiten, Preis Mk. 2.40. 

Hoclizeitskantate 

fiir Einzelstimmc, Chov und Instruniente. 
BA Nr. 143, 40 Seiten, Partitur Mk. 3. - 

Serenata im Walde zu singen 

Worte von Matthias Claudius. Fiir eine 
Solostimme, vierstiramigen Chor und Streich- 
orchester (3 Geigen und Cello). Partitur 
BA 83, Mk. - .80. Ins trumcn talstimmen 
neuerschienen : Preis fiir jc I Stimnie 
Mk. -.25. 

IM 

BARENREITER-VERLAG 

ZU KASSEL 



Hermann Reutter 
TANZ-SUITE 

op. 29 

Kir Klavier zu 2 Handen Mk. 2. — 

Landler 

Walzer aus der Ferae 

Tarantella 

Spanischer Tanz 

Valse Boston 

Shimmy 

In dieser sechsaatzigeu Suit** 
sind nntionalc und inodische 
Tfinze vereinigt. Bei jedeni 
gibt Reutter den Extrakt der 
melodischen u. rhythmischen 
Besonderheiten. Von seiner 
Eigenes formenden Hand gc- 
stnltet, entsteht so ein Wcvk 
von ho ch stem Reiz, don - 
technisch nur niittelscliwei - 
— jeden Spicier vor dank- 
bare Aufgnbcn slellt. 

B. Schott's Sohne, Mainz u. Leipzig 



KURT HERBST 



JAZZ 

ETtfDE 



FOR 
KLAVIER 



Ein mit leichter Hand geschrie- 

benesamiisantes Stiick, das die 

rhythmischen u. melodischen 

Besonderheiten des Jazz sich 

geistvollzunutzemacht - 

fiir den fortschrittlich 

orientierten Unter- 

richt eine iiber- 

aus wertvolle 

Erganzung 



M. 

1.50 



B. Schott's Sohne, Mainz u. Leipzig 



158 



DAS NEUE WERK 



HIRAUSOBGeBEN VON 

PAUL HINDEMITH 
FRITZ DODE/// 
HANS NIERSMANN 



GEMEINSCHAFTSMUSIK 
FUR JUGEND UND HAUS 



1. Paul Hindemith, Lieder Fur Singkreise, Opus 43 u 

Vier Lieder zu drei Stimmen nadi Gediditen von Platen, Rainer Maria Rilke 
und Matthias Claudius Singpartitur M. —.00 

2. Ludwig Weber, Hymnen zu gemeinschaftlidiem Singen und Spielen 

In versdiiedener Besetzung fur Kinder=, Frauen=, Manner^ und gemisditen 
Chor, teilweise audi mit Instrumenien Singpartitur M. 1.20 

3. Paul Hindemith, Spielmusik fur Streidiorchester, Floten und 

OboCn OdUS 43^ Studienpartitur mit Spielanweisung (Hockner) M. 2.50 

Stimmen zus. M. 3.50 / Jede Stimme einzeln M. — .40 

4. Paul Hindemith, Schulwerk des InstrumentaUZusammenspiels, 

Opus 44 

fur Sdiuler^OrdSester, Spielkreise und Liebhabervereinigungen, sowie fiir den 
Instrumentalunterricht an < Musiksdiulen und Konservatorien 

I Neun Stiicke in der ersten Lage fur den Anfang 

fur zwei Geigen oder zweistimm, Geigendior Spielpartitur M. —.80 

II Adit Kanons in der ersten Lage fur wenig Fortgesdirittene 
fiir zwei Geigen oder zweistimmigen Geigendior mit begleitender 
3. Geige oder Bratsdie .Spielpartitur M. 1.20 

III Adit Stiicke in der ersten Lage fiir Fortgeschrittenere 
fiir zwei Geigen, Bratsdie und Violoncello <einze(n und chorisch besetzt) 

Studienpartitnr M. 2.- — / Stimmen zus. M. 2.50 / Jede Stimme einzeln M. — .75 

IV Fiinf. Stiicke in der ersten Lage fiir Fortgesdirittene 
fiir Streidiorchester 

Studienpartilur M. 2. — / Stimmen zus. M. 3. — / Jede Stimme einzeln M. — .75 



B. SCHOTT'S SOHNE MAINZ • GEORG KALLMEYER VERLAG WOLFENB0TTEL 



159 



FOIKWANGSC 



IEN EtIE 



Leiiung: MAX FIEDLER RUDOLF S C H U LZ - D O R N B U R G. 



FACHABTEILUNGEN 



MUSI* 

Oreliesterscliiile 9 OpemscLiule 9 Kir- 
ohenmusik 9 Seminnre 9 Theovio 9 Solo- 
u;0horgesa.ng9 Alie Insiriimentnlfiteher9 

TANS 

Voi'DereiiangBkurao 9 A-iishlld. f. Billine 
u. LehrberuE 9 TanzcHoi schule 9 

SPRACHE 

Sprachscuule 9 Solmuspielschule ©Laien- 
sprechlmrse 9 Spvtoliclxorsclmle 9 



LEHRK0RPER 



Dr. H. Erpl (Leuer) • W. Berten # H. Bmch 9 
H. Drews 9 B. Fiedler 9 0. Gerster 9 K. R. Glater 

8 A. Hardbrter9 Prof. F. Jods (a. 0.| ( F. Lehmann 
A. Nowa ows*i 9 E. Poti 9 A. La Roche 9 A. 
ichvtiendorf • L. Webei • W. Woefil 9 u. a. m. 



Kurt Joos (Leilui' 9 E. BrUnauer 
9 S, Leeder 9 I- Urjan u. a. m. 



E. Hamacher 



K. Tidlen 9 E. Hamacher 
Thalholf u. a. m 



9 V. MSnckeberg 9 A. 



Werl>escliriftoii aureli das Secretariat : lissf n.I'i'icdriclistralli) 9 



FACHSCHUIE FUR MUSIK / TANZ / S PR AC HE 



In Ktirze erscheiril : 



Ausgabe Kallmeyer Nr. 6 



Ludwig Weber 

Musik nach Volksliedern 

Heft I 
Stiicke fur gemischteu Chor.mit unci ohne Iustrumente 



12 Seilen Quail 



1. Tad. 



Pai'titur etwa RM. 2.50 



I n h a 1 1 : 



Tagelied: AVacb auf, wach auf / Sterben ist eine harle Pcin 
una mache / Alles neu macht der Mai. 



Bestell-Nr. 258 

rComm, lieber Mai 



Arniin Knub iiber Ludwig Webeis M CliristgelMirl" : 

Hiei' isl die Wie der geb u r t des Volksliedes a us dem GeisLe eines von- der 
neuen Tonkunst herk o mm en den Musikers. Die bewundernswerte Einfachheit und 
Originalitfit seiner . Losungen beweisen ein von jedem Schulgeschmack befreites Konnen. Die 
garnicht zu iiberschS tzende Bedeutung liegt in der seit B a cb s Tod erst- 
inaligcn Verscbm el z un g von Kunstmusik nnd Volksiu usik, die den Weg zu 
einer aus den Quellen des Volkstuma gespeisten aber die letzten Mittel einer vergeistigten 
Tonspraebe einschliefienden Musik weist, die nicht mehr nur Gebildeten oder Fachleuten 
zugiiuglicb ist, sondern alien Volksgliedern. 



Georg Kallmeyer Verlag Wolfenbiittel - Berlin 



IdC 



LOTHAR 
WINDSPERGER 

Ans seincm Schnffen : 

KLAVIER 

Lumen am oris. Ein Zyklus vouFanthaien 
und Fantasietten, op. 4 

Symphoniache Fnntnsic M. 3.- / Cupriccio 
pnssionato M. 2.- / Rommize M. 2.- / 
Ballode M. 2.- / Albumblntt HI. 1.50 / Fnn- 
lasic M. 2.- / Elcgic M. 1.50 / Scherzo M. 2.- / 
DrnmDtisclieSzeneM.2.- / Intermezzo M. 1.50 / 
Humoreske M. 2.- / Apotheose 3.- 

Sonalc cis- mo 11, op. 6 . . . M. 4. — 

15 B a g a 1 e 1 1 e n , op. 7, 3 Hefte je M. 2. - 

Polonaise f i s - m o 1 1 , op. 8 Nr. I M. 2.25 

1 . H h a p s o d i e b - m o 1 1 , op. 9 Nr. 1 M. 2. — 

Dcr m y t h i s ch e Bninncn. Ein 

Zyklusv.7Klavierstuckcn,op.27 M. 4. — 

Son a te C-dur, op. 28 . . . . M. 5. - 

Fa ntasietten -Suite, op. 35 . M. 5.^- 

Klein e Klaviers tiicke, op. 37 

Heft I M. 2.5(i 

iN e ii e Quinten-Uhr f ii r die 
Jugend, 24Praludietten, op. 40 

(in Yorbcreitung) 

KLAVIER UND ORCHESTER 

Klavier-Konzert, f-moll, op. 30 

VIQLINE UND ORCHESTER 

V i o 1 i n - K o n z e r t . op. 39 

ORCHESTER 

Konzert-Ou vert iire G-dur , op. 17 
Symphonie a- moll, op. 22 
Vorspiel zu ein em Drama, op. 29 

AiilRUiriingsiiiatei-inle, sowck keine Preisc angegobcn 

sind, leihweiae. Parti turen zu Studicnzerken noch 

besonderer Vcrcinbnrung. 



B. Schott's Sohne 

M ainz und Leipzig 



A. GLAS 

IIIIIIIIIIIIIIUIIIIHIIIIIIItllllfllllllllllNIIIIIMIIIIlllllllilllllHIIIIIIHiniHIHIIIIIMIIIIIIIIIIIIIU 

DAS SPEZIALHAUS 
FUR GUTE MUSIK 

i itMin iiiii nt i I11MH1II iiiiMiiin iLiiiiiiiiiiniMii iinii mil III1IIIIMIHIMIII1I ti iiiinn 



B. 



weist erneut daratif hiu, daft es 
samtliche "Wevke des Vedages 

Schott's Sohne, Mainz 

vorratig halt. 



* 



Besonderer Beach tung bediirfen die 
Werke der zeitgenossischenKomponisten 
Butting, de Falla, Grainger, Grel- 
chnninoff, Hans, Hindeinith, Jnrnnch, 
Korngold, Kreisler, Milhaud, Ravel, 
Scott, Strnwinsky, Toch,Weigl, Winds- 
perger iisw., die jederzeit nnverbindlich 
eingesehen werden konnen und auf 
Wunsch ansichtpweise zur Verfiigung 
gestellt werden. 



FORDERN SIEBITTE 
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LOGE GRATIS VON 



A. GLAS 



Musikalienhandhmg und Antiquariat 

Berlin W 56 - Markgrafenstrafic 46 

(Eeke Franzosischestr.j 

Telefon: Merkur 5706 
Gegiiindet 1838 



MELOS 

ZEITSCHRIFT FUR MUSIK 

SCHRIFTLEITUNG: PROF. DR. HANS MERSMANN 

Alle Sendungen fur die Schriftleitung und Besprechungsstiicke nach Berlin-Grunewald, Neufertallee 5 (Fernspr. Uhland 3785) erbeten, 
Die Schriftleitung bittet vor Znsendung von Manuskripten urn Anfrage mit Riickporto. Alle Reclite fur samtliche Beitra'ge vorbehalten, 
Fiir Anzeigen und Verlagsmitteilungen verantwortl. : Dr. Johannes Petschull, Mainz / Verlag : MELOSVERLAG {B. Schott's Sohne) 
MAINZ, Weihergarten 5; Fernsprecher 529, 530; Telegr. : Scotson; Postscheck nur Berlin 19425 / Ausliefenmg in Leipzig: Linden- 

strafie 16/18 (B. Schott's Sohne) / Druck: B. Schott's Sonne, Mainz 
Die Zeitschrift erscheirit am 15. jeden Monats. - Zu beziehen durch alle Buch- und Musikalienhandlungen oder direkt vom "Verlag. 
Das Einzelheft kostet 1. - Mk., das Abonnement jahrl. (12 H.) 8. - Mk., viertelj. (3 H.) 2.50 Mk. (zuzugl. 15 Pf. Porto p.H., Ausland 20 Pf. p. H.) 
Anzeigenpreise : 1 j i Seite ICO.— Mk. ') B Seite 60.— Mk. */* Seite 35.— Mk. Bei Wiederholungen Rabattc. Auftrage an den Verlag. 



ZUM INHALT 

Die Frage einer Filmniusik steht noch im Stadium erster Klaruug. Die Un- 
zulangliclikeit der meisten bisher vorliegenden Losungen ist erkannt. Neue Wege werden 
von verschiedenen Se.iten aus gegangen. Um die Begriindung der technischen, geistigen 
und musikalischen Basis der Filmniusik bemiihen sich die Aufsatze des Hauptteils. 

Neben der weiter im Ausbau befindlichen Rubrik AUSLAND wird jetzt von an der 
BUNDFUNK und alle mit ihm zusammenhangenden Probleme in einer besonderen 
Rubrik auftreten. Die verschiedenen, vorlaufig noch auseinanderstrebenden Tendenzen 
der Sendegesellschaiten, die immer wachsende Bedeutung der Musik und der Musik- 
erziehung im Badio A'erleihen alien damit zusammenhangenden Fragen grofite Gegen- 
wartigkeit. Der mit der laufenden Berichterstattung beauftragte Mitarbeiter unserer 
Zeitschrift wird spater regelmafiig einen Uberblick liber die musikalischen Programme 
aller Gesellschaften geben. 

In den anderen Teilen des Heftes steht das Problem der Kritik noch immer im 
Vordergrunde. Wir A r eroffentlichen mit besonderer Genugtuung eine Zuschrift aus dem 
Kreise unserer Leser, die zu der Frage der Gemeinschaftskritik Stellung nimmt, als 
Ausdruck gesteigerten Interesses an diesem Teil unserer Arbeit. 

Die Schiiftleitung 



162 



Tonkunstlerfest 1929 

des Allgemeinen Deutschen Musik -Vereins 

(Opernfestwoche und Kammermnsikfest in Duisburg) 



Oper von jeher 

ein Sorgenkind des 

A. D. M. V. 



Einladung der Stadt 
Duisburg 

Gesnmlplan der Opern- 
festwoche. 



Gewahr fur eine wiir- 
dige Darstellimg der 
angenoimnenen Opern. 



AutTulirungsiiiatcrial. 



Anfruf an alle Opern- 
koniponistcn, 



Einse n dungs - 
hediiigungcn. 



Pruning und Riickgobe. 



Weitere Ausgestaltung 

des Tonkunstlerfestes 

1929. 



Kamm e rinus i k fe s t. 



Zukuuftszicle. 



Von jeher ist die Ftirderung des drama tisch en Sdiadens unsever Zeit vom A. D. M. Y. nls 
cine besonders voidringlichc Aufgobe angcselien worden. Iraracr wieder wurde — dankbar 
sei hier besonders unscrer verstorbenen Milglicdcr Karl Storck und Paul Marsop gcdacht — 
in den Hauptversammlungen erwogen, wie man dieser Aufgabe gerecht werden korine. Trotz 
eifriger Bemiihungen und trotz der Ansammlung cines eigens diesem Zweck gewidmeten 
„Richard Wagiicr-Fonds", der in der Inflation leider wegsehmolz, mufite die Oper bei den 
Tonkunstlcrfcsten i miner inchr oder weniger im Schattcn stehen. 

Nidit genug dankbar kann duher der Verein der Stadt Duisburg sein, die ihm fiir das 
Jahr 1929 die kunsllcrischcn und niianziellen Mitlel zur Yerfiiguiig stcllen will, urn in ganz 
grofiziigigcr Weisc der Musik im Rahnien des Theaters ein cigenes Fest zu widmen. 

Die Opernwodie soil zuniichst tlrei Werke umfassen, deren Auswahl dem A. D. M. V. allein 
zusleht. Dicsc drei Opernwerke sollen dem zeitgcnossisdien SchaiTen angehoron und miiglidist 
nodi nicht aufgefiihrt sein. Zur Abrundimg der Opernfestwoche wird die Duisburger Oper dem 
A. D. M. X. aus ihrem Spiclplan weitere Werke vorschlagcn, von denen der Yorstand drei gc- 
eignete aussucht. Hierbci werden einestcils solche AYerke beriicksiditigt werden. die der breiten 
Olfeiitliehkcit unbekannt sind, AYerke, die der Musiker gern eiumal aid" der Biiline sehen mtidite: 
andernteils solche, die fiir die Arbeit der Duisburger Bulinc besonders charakler'Stisch sind. 

Durch eingehende Prul'ung des ki'mstlerischen Niveaua der Duisburger Oper hat sich 
der Yorstand des A. D.M.Y. davon uberzcugt, dafi die A'orbedingiingen fiir eine wiirdige Wicdcr- 
gabe audi ansprudisvollstei- AYerke im Rahnien der Opernfestwoche gegehen sind; er wird audi 
im Einzeliien daruuf lialten. daK die drei endgiiltig ausgewahllen Opern eine besonders snrg- 
laltige, in Musik, Ausstattung uud Regie uiukcll'reic Aiiu'iihruiig erlidiren. 

Damit von der Heteiligiing an der Opcrnieslwodie niemand ausge.sddossen ist, hat sich die 
Stadt Duisburg bereit erklart, auf Wunsch die Kosten fiir die Ilerstellung des Notcnnialcrials 
der angenonimeneii Wei'ke zu iiberiiehmen. 

Das schoiie Ziel, welches sich der A. D. M. X. und die Stadt Duisburg gesteckt haben, 
namlich einen Uberblick fiber die heute wirkeuden Kriifte zu geben, die fiir cine A\ eiler- 
entwieklung der Oper in Frage koimnen. kann nur erreichl werden, wenn der Plan durdi eine 
wirklich allgemeine Beteiligung aller in Frage kommenden Faktorc 



M. V. 

ell en. 



rich Let daber an alle Operiikomponisten 



l unterstiitzt wird. Der 
das Ersueheu, ilne AYerke 



Interesse der Behorden 
an dem Plan. 



A'orstand des A. D 
zur A r erfiigung zu 

Werke, welelic bei der Opernfestwoche beriicksichtigt werden sollen, konnen vom 1. April 
ah beim Schriflfuhrer des A. D. M. X., Herrn Hermann Bischoif, Miinchen, Haydnstralae 6/1 
cingereidit werden. Der Einreiebungstermin endet am 1. Juni. Auf vorherige Anfrage konnen 
in der Zeit vom 1. Juni bis 1. September noch AYerke eingereicht werden; die Annahme biingl 
in diesem Falle davon ah, oh es noch moglich ist, das UraulTiihrungsmaterial fertig zu slellen. 
Der Sendung ist das ncitige Riiekporto beizulegen. Im Ausland lebende deutsdie Komponisten 
wollen hierfiir die Form des interuationalen Portosclicines (Coupon-Reponse International) wiihlcn. 
Autoren, die dem A. D. j\|. V. noch unbekannt sind, wollen einen kurzen Lebenslauf mil 
Angabe des Studienganges beilegcn. 

Zur Einsendung geniigen vorliiufig Klavierauszug und Textbucb. Bei unvollendet ehigc- 
reiditen Wcrkcn muli zum niindcsten eine rechtzeitige Fertigstcllung durcb die Pevsonlichkeit 
des Autors gewahrleistet sein. In Betraelit kommen nur deutsche AVerke. Die Einsendung 
mchrercr Werke desselben Komponisten ist zuliissig. Die Einsendung erfolgt unter Namens- 
nennung, also nidit anonym. Ohne daft bereits aufgcfuhrle Werke grundsiitzhcb ausgeschlossen 
sein sollen, bebauptcn docb AVerke, die nodi nidit aufgefiihrt sind, den A'orrang. 

Die Priifung erfolgt durdi den A. D. M. X. Ehigcreichte AVerke konnen vor Entschcidung 
der Priifungskommission wedcr zuriickgezogen noch ganz oder in Bruchstiicken anderweitig zur 
Auffiihrung gehradit werden. Der A. D. AI. A r . verspricht sdinclle Erledigung tier Priifuiigs- 
arbeit und ungesaumte Riickgobe der nicht angenommenen AYerke. 

DaR bei der starken Inaiispruchnahme des Duisburger Ordiestcrs durdi die Opernfcstwodie 
nidit daran zu denken ist, audi noch Ordiestcrkonzerte zu veranstalten, ist ohne weiteres ein- 
lcuchtend. Man mag das bedaucrn; aber das von Duisburg dem A. D. M. A r . Angebotene ist so 
aulJergewohnlich, daiA der Vorstand glaubte, es verantworten zu konnen, wenn das sinfonische 
Schaffen einmal ein Jahr iibergangen wurde. 

Dagegen werden die Kammermusikveranstaltungen wic jedes Jahr stattiinden. Der Termin 
zur Einreicbung der hierfiir bestimmlen AVerke — audi Kompositionen fiir Orgel und fiir Chor 
a capella kommen in Betraelit — wird, wie iiblich, nadi Ablauf des Tonkunstlerfestes 1928 
bekannt gegeben werden. 

Der Allgemeine Deutsdie Musikverein sieht in der Neugestultung des Tonkiinstlerfcstcs 1929 
die Moglidikeit einer zukiinftigen Erweiterung seiner Ziele. Sollte der geplante Charaktcr der 
A^eranstaltung sich bewahren, so wird der A. D.M. X. in regelmaliig wiederkehrenden Abstiinden 
weitere Feste anberaumen, die der Oper in besonderer Weise gewidmet sind. Allcrdings bedarf es 
zum Gelingen des Werkes nicht nur der Unterstiitzung der musikalisch Sdiaffenden, sondern 
audi des ollgemeinen Antcils der gesamten Musikwell. Der A. D. M. A r . riditet daruni an alle 
Komponisten, alle musikalisch Interessierten und an alle Musikfreunde die Bitte, das „Ton- 
kiinstlerfcst 1929" (Duisburger Opernfestwodie und Kammcrmusikfest) durch Bekanntmachung 
und Propagierung der hier gekennzeichneten Ziele cifrigst zu fordern. 

Das Preufiische Ministerium fiir Wissensdiaft, Kunst und A r olksbildung bat sein Interesse 
an dem Plan zum Ausdruck gehradit. 



MUSIK 

Guido Bagier (Berlin) 

DER AKUSTISCHE FILM 

Sein Wesen und seine Bedeutung 

1. 

Das Problem, den stummen Film zum lebendigen Klang zu erwecken, ist so alt 
wie die Kinematographie selbst. Die ersten Kritiken des Liclitbilds setzen an ihm 
seine Stummheit aus und weisen daraufhin, dass die Bewegungen von Mensclien ohne 
Laut, von Gegenstanden ohne Klang stets unnaturlich wirken miifiten. Hetite herrscht 
allgemein die Ansicht, dafi gerade die Lautlosigkeit des bewegten Bildes die Phantasie 
des Beschauers besonders anrege. 

Bereits in den Jahren 1897 bis 1901 arbeitet Edison heftig daran, den Ton dem be- 
wegten Bild hinzuzufiigen. Er benutzt seine Erfindung der Schallplatte, die er durcli einen 
sinnreichen Mechanismus mit dem Vorfiihrungsapparat des Kinos kuppelt. Das Haupt- 
problem hierbei war stets die Gleichzeitigkeit oder die Synchronitat von Bild und Ton. 
Sie konnte mit dieser ersten primitiven Methode nur annahernd erreicht werden, 
aufierdem genugte die mangelnde Qualitat des Trichtergrammophons nicht, um einen 
befriedigenden, auch nur annahernd naturgetreuen Klang zu gewahrleisten. Andere 
Lander und Erfinder, wie Messter in Deutschland und Pathe in Frankreich, bemiihten 
sich gleichfalls um die Losung die9er Frage, aber auch sie vermochten nicht ihre 
Apparate in einer fiir die Praxis befriedigenden "Weise zu vervollstandigen. 

Die Entwicklung ruhte vollig bis mit dem Aufkommen gewisser Erkenntnisse auf 
dem Gebiete der Elektrotechnik ganzlich neue Ausblicke der Aufzeichnung und Wiedergabe 
akustischer Eindriicke sich offneten. Es lag nahe, diese Dinge und Konstruktionen, die 
unter dem Begriff Badio rasch die Welt eroberten, auch dem Film dienstbar zu machen. 
Wie heute einwandfrei feststeht, geht diese Bewegung von den drei deutschen Erfindern 
Massolle, Vogt und Dr. Engl aus, die unter dem Nam en „Triergon" ihr aufierst 
geistreiches Verfahren des sogenannteh „sprechenden Films" konstruierten. In 
kurzen Worten beruht diese Methode auf folgenden Gedankengangen : Die akustischen 
Schwankungen der Atmosphare werden durch ein besonders konstruiertes statisches Mikro- 
phon, wie der Erregungsapparat dieser Erfinder sich nennt, in elektrische Schwankungen um- 
gewandelt. Diese werden sodann durch eine geistreich konstruierte „Aufzeichnungslampe" 
in Lichtschwankungen transformiert, welche wiederum als sogenannte Schwarzungen in 
Form eines Phonogramms auf dem Celluloidstreifen selbst neben dem Bild fixiert werden. 
Um fur dieses Phonogramm Platz zu schaffen, wurde der gewohnliche Filmstreifen von 
35 mm auf 42 mm erbreitert, so dafi neben der Perforation Baum genug fiir diese 
Klangaufzeichnung iibrig blieb. Von der Kompliziertheit und Empfindlichkeit dieser 
Methode kann man sich einen Begriff machen, wenn man beriicksichtigt, dafi in einer 
Sekunde 20000 und mehr Eindriiclce festgehalten werden! Diese Empfindlichkeit ge- 
wahrleistet allein die proportionale, gleichmafiige Erfassung samtlicher niederer und 
hochster Schwingungen oder Frequenzen. Die Wiedergabe bedient sich des umge- 
kehrten Weges: In dem Vorfuhrungsapparat lauft der Fdmstreifen unter einer Photo- 



164 



GUIDO BAGIER 



zelle vorbei, welche die Lichtschwankungen in elektrische Energien zuriickverwandelt. 
Diese werden sodann durch besonders konstruierte Lautsprecher in den Raum ge- 
worfen. Audi die Wiedergabe mufi sich entsprechend der Aufnahme hochempfindlicher 
Apparate bedienen, um einen moglichst natiirgetreuen Ton zu erzielen. Das Triergon- 
Verfahren konstruierte hierfur sogenannte : „ S t a t o p h o n e ", d. h. Flachenlautsprecher 
in Serien von mindestens 4, die jeweds nach den Frequenzen abgestimmt sind. Hier- 
durcb wird ein verbliiffend naturgetreuer und zugleich lautstarker Ton erzielt, der in 
der Lage ist, mxihelos den grofiten Raum zu fiillen und zugleich durch eine sinnreiche 
Steuerung sich den jeweiligen Verbaltnissen anzupassen. 

Neben der Arbeit dieser deutschen Erfinder sind eine Reihe auslandischer Ver- 
fahren zu nennen, die auf ahnlichem Wege sich bemiihten das Problem des akustiscben 
Films zu losen. In Europa ist vor alien Dingen das Verfahren der danischen Erfinder 
Petersen und Poulsen zu erwalmen. Im Gegensatz zum Triergon-Verfahren bedient sich 
die Aufzeichnung des Tons eines besonderen Filmstreifens, der bei der Aufnahme und 
Wiedergabe synchron mit dem Rildstreifen gekuppelt wird. Die Wiedergabe selbst ver- 
wendet eine Selenzelle. hi ahnlicher Form konstruierte der Amerikaner Lee de Forest 
ein Verfahren, das den gewohnlichen Filmstreifen benutzt und den notwendigen Raum 
zur Aufzeichnung des Phonogramms durch die Verkleinerung des Rildes gewinnt. Die 
amerikanische Fox-Film-Corporation konstruierte in allerletzter Zeit unter dem Namen 
Movietone ein System, das sich, ausgehend vom Triergon-Verfahren, in geschickter Weise 
der verschiedenen Erkenntnisse bedient und gemeinsam mit diesem fiir die praktische 
Arbeit ungeahnte Ausbliclce erofmet. 

Aber audi die Verbindung des Bildstreifens mit der Schallplatte wurde nach dem 
alten Vorbild von Edison erheblich gefordert. Das System ,,Vitaphone", das in New 
York von Warner Brothers gemeinsam im Western Electric entwickelt wurde, kombiniert 
den Bildstreifen mit der elektrisch aufgenommenen und elekrisch wiedergegebenen 
Platte, deren Laufzeit bis auf 40 Minuten erhoht wurde. Ahnliche Wege beschreitet 
das sogenannte Breusing Verfahren, das in Deutschland vom Lignose-Film bearbeitet wird. 

Es ist ldar, dafi fiir die Praxis die Tonaufzeichnung auf dem Film den Vorzug 
verdient. Hier wird der Ton gleichzeitig mit dem Film geschnitten, beim Reifien des 
Films kann geldebt werden, ohne dafi die Synchronitat verloren geht. Fernerhin wird 
die Qualitat des Tons durch die Verwendung blofier Liclitschwankungen erheblich ge- 
starkt. Selbstverstandlich konnen von dem Negativ beliebig viele Kopien hergestellt 
werden, so dafi die Vertriebsmoglichkeiten des Tonfilms denen des stummen Films 
voUig gleichkommen. 



Die Verwendungsmoglichkeiten des akustischen Fdms sind noch nicht abzusehen. 
Eingangs wurde darauf hingewiesen, dafi die Gegner des sprechenden Films gerade die 
Stummheit des bewegten Bildes als besondere Qualitat rvihinen und die kunstlerische 
Verwendungsmoglichkeit in ihr begriinden. Man mulS sich dariiber ldar sein, dafi prin- 
zipiell mit dem akustischen Fdm eine neue Gattung entstehen wird, dafi somit 
die Produktion auf voUig neue Voraussetzungen und Wirkungen aufzubauen ist. Es 
ist selbstverstandlich, dafi von dem Darsteller, der neben dem mimischen Element audi 
den sprachlichen oder musikalischen Ausdruck beherrschen mufi, ganz anderes zu ver- 



DER AKUSTISCWE FILM 165 

langen ist, als vom ublichen Filmschauspieler. Versuche, die ich wahrend der letzten 
Jahre als Leiter der Tonfilmabteilung der Ufa mit dem Triergon-Verfahren anstellte 
zeigen klar den Weg, der hier zu beschreiten ist. 

Wir begannen zunachst mit Aufnahmen rein musikalischer Natur: Mit beriihmten 
Sangern, Pianisten, Geigern und anderen Instrumentalisten. Die Regiearbeit, die hier 
zu leisten war, erforderte vor alien Dingen ein Hochstmafi an Disziplin sowohl vom 
technischen, wie kiinstlerischen Personal. Der betreffende Sanger kann nicht, wie auf 
der Buhne, sich frei im Raum bewegen, sondern mnfi genau auf die Distanzen, die das 
Mikrophon ihm vorschreibt, Rvicksicht nehmen. Er mufi fernerhin dasselbe Stuck in 
genau der gleichen Weise ofters wiederholen, damit neben dem akustischen Eindruck 
gewisse filmische Wirkungen in Schnitt und Bildeinstellung erzielt werden konnen. Die 
ihm ungewohnte Schminke, die Hitze der Lampen und andere, den an die Buhne Ge- 
wohnten storende Umstande tragen nicht dazu bei seine Leistungsfahigkeit zu erhohen. 
Es ist ' selbstverstandlich, dafi wahrend der Aufnahme selbst im Atelier vollige Stille 
herrschen mufi, da jeder storende Laut mitaufgezeichnet wird. Die Anweisungen des 
Regisseurs konnen nur durch Lichtzeichen gegeben werden, deren Pragnanz und Viel- 
seitigkeit im Vergleich mit dem gesprochenen Wort sehr begrenzt ist. Noch schwieriger 
wird die Technik dieser Aufnahmen, wenn es sich um ein Ensemble oder eine Szene 
von zwei und mebr Personen handelt. Je grofier der Raum ist, desto genauer miissen 
seine akustischen Verhaltnisse ausprobiert werden, um eine gleichmafiige Tonqualitat 
zu erzielen. Wenn man sich vergegenwartigt, wie lange Zeit der Rundfunk darauf ver- 
wendete die Senderaume auszugestalten und auszuprobieren, so ermifit man die Schwierig- 
keiten, die hier angesichts fast stiindlich wecbselnder raumlicher Verhaltnisse vorhanden sind. 

Trotzdem werden diese Hemmungen tiberwunden werden mussen, da die Praxis 
und das offentliche Interesse immer gebieterischer nach einer lebhaften Produktion von 
Tonfilmen verlangt. In erster Linie ist hier natiirlich die Teilnahme der Offenthchkeit 
an aktuellen Personen und Vorgangen zu nennen, die durch den akustischen Film ab- 
solut und naturgetreu aufbew r ahi't w^erden konnen. Verfugte man jetzt iiber Tonbilder, 
die uns eine Phantasie von Beethoven, eine Rede Bismarcks in Wort oder Ton und 
Bild gleichzeitig zeigen, so wiirde dieser Besitz einen unnennbaren historischen Wert 
darstellen. Und seltsam: Gerade diese Art Aufnahmen sind relativ am leichtesten 
herzustellen, da sie muhelos im Freien nur wenige Minuten Konzentration von der auf- 
zunehmenden Person benotigen. Ich erinnere mich einer Aufnahme des Ministers 
Stresemann, die gelegentlich der kinematogi-aphischen Ausstellung in Berlin gemacht 
wurde. Der Apparat war im Garten des Auswartigen Amts aufgesteUt worden. Der 
Minister ging zur Mittagszeit hiniiber zu seiner Wohnung in der Villa jenes Gartens. 
Er trat vor den Apparat, hielt seine Ansprache und schon waren Bild und Ton fur 
immer mustergtiltig fixiert. Als ihm zwei Tage spater diese Aufnahmen vorgefiihrt 
wurden, bemerkte er lachend, er brauche nunmehr keine politischen Reisen 
mehr zu machen, da er ja eine Filmrolle statt seiner entsenden konne, aufierdem hatte 
diese Methode den Vorteil, dafi er durch niemanden in seinen Ausfiihrungen unter- 
brochen werden wiirde. In ahnlicher nicht minder einfacher Weise wurden u. a. noch 
Tonbildaufnahmen von Ludwig Fulda, Wilhelm v. Scholz, dem bekannten Berliner 
Kritjker Alfred Kerr, den Komponisten Franz Schreker und Arnold Schonberg herge- 



166 



GUIDO BAGIBR 



stellt. An grofieren Ensembles sind Aufnahmen der Berliner Staatsoper mit Tino 
Pattiera als Bajazzo, Heinrich Schlusnus als Figaro zu nennen. Audi grofie Chore bis 
zu 400 Personnen wurden niiihelos in Bild und Ton festgehalten. Aus dem Ausland 
wird berichtet, dafi Movietone Sprachaufnahmen des Prasidenten Coolidge, des Duce 
Mussolini, des Prinzen von Wales, Gesangsaufnahmen v6n Frieda Hempel und eine 
Beihe besonders origineller musikalischer Spielszenen herstellte. Nachdem nun die 
technische Basis vorhanden ist, wird es sich jetzt darum handeln, grofiere Projekte 
durchzufiihren, die das eigentliche filmische Element mit den akustischen Moglichkeiten 
in geschickter Weise verbindet. Hier eroffhet sich fiir unsere prominenten Schauspieler 
und Sanger ein reiches Feld neuer kunstlerischer Ausdrucksmoglichkeiten. 

Neben der Entwicklung dieses neuen Stils wird der Tonfilm noch ein anderes 
Problem zu losen berufen sein, das jedem um die Entwickelung der Kinematographie 
ernstlich Besorgten mancherlei Muhe und Zweifel verursachte. Die Verwendung von Musik 
als Begleitung ist jedem Einsichtigen unumganglich, aber die Art der Verwendung der Ton- 
kunst in den Kinotheatern erweckt immer neue Bedenken. Das, was als „musikalische 
Dlustration" zu Spielfilmen geliefert wird, besteht in der Mehrzabl der Falle aus der be- 
kannten losen Aneinanderreihung vonKompositionsteilen, die willkurlich dem Zusammenhang 
der verschiedensten Werke entnommen wurden. Wenn auch in grofieren Lichtspielhausern 
die Art dieser musikalischen Untermalung oft einen hohen Grad der Vollkommenheit 
erreiclit, so ist sie in kleineren Kinos umso primitiver und anspruchsloser. Hier setzt 
die Erfindung des Tonfilins entscheidend ein : Durch die Fixierung und beliebige Ver- 
vielfaltigung des Tons ist es moglich, in absehbarer Zeit zu jedem Film eine originale 
musikalische Begleitung mitzuliefern. Das Ideal dieser Begleitung, die selbstandige 
Komposition zu jedem grofieren Film, wird mit dieser Verwendungsmoglichkeit erheb- 
lich nahergeriickt werden. Die Mechanisierung des Klangs wird dann nicht mehr-storen, 
wenn diese Komposition sich der spezifischen Klangqualitat des Tonfilms anpafit. Es 
lafit sich denken, dafi im Gegensatz zur sogenannten Kunstmusik hier eine Gebrauchs- 
musik entsteht, die das erste Gebot jeder guten Fdmbegleitung berucksichtigt: Den 
Film nicht durch irgendwelche anspruchsvolle Untermalung zu behindern, sondern nur 
eine kaum merkliche Klangausfullung seiner Stummheit zu geben. Die im Anfang auf- 
zuwendenden Mittel fiir diese mechanische "Wiedergabe werden sich rasch durch die 
erheblichen Ersparnisse amortisieren lassen. In Amerika hat man gleichfalls mit dieser 
Art von musikalischer Filmbegleitung den Anfang gemacht. Nach dem ersten Versuch 
des Don Juan-Films von Warner Brothers kommt soeben die Fox-Film-Corporation 
mit einer Filmbegleitung fiir den Film von Murnau „Sonnenaufgang" heraus, die von 
dem Philharmonischen Orchester in New- York in Starke von 140 Musikern gespielt 
wurde. Diese Aufnahme stellt das Vollendetste dar, was bisher auf diesem Gebiete ge- 
leistet wurde. Es ist anzunehmen, dafi diese epochemachende Tatsache bald ihre all- 
gemeine Wh'kung ausiiben wird. 

Man sieht, da6 der Traum Edisons seiner Verwirklichung nahekommt. Es wird 
die Aufgabe Europas und besonders Deutschlands als Ursprung der musikalischen 
Produktion sein, hier fuhrend zu arbeiten und gemeinsam mit den internationalen Er- 
findern das kiinstlerisch und aesthetisch auszuwerfen, was jene technisch in jahrelanger 
Arbeit vorzubereiten wufiten! 



FILMUSIK UND KUNST 167 



Hans Luedtke (Berlin) 

FILMMUSIK UND KUNST 

Musik zum Film nimmt im Leben der Gegenwart einen derart breiten Raum ein, 
da£ sicli ihren Problem en kein ernster Musiker entziehen dtirfte. Das mag nicht an- 
genehm sein. Aber eine Welt- und Massenindustrie fragt nicht darnach. Darum sollten 
die Hiiter der Tonkunst nicht beiseite stehen und die Nase riimpfen, sondern retten, 
was kunstpolitisch wesentlich erscheint. 

Wir stehen doch erst am Anfang. Die Fdmwelt ist vor rund 30 Jahren ent- 
standen, und heute wachsen allerorts Kinopalaste aus der Erde. Ist das etwas andres 
wie die Zeit, als zwischen 1600 und etwa 1630 in Italien ein Opernhaus nach dem 
andern erbaut wurde ? Damals zog die Oper die begabtesten Kopfe ihrer Zeit an sich. 
Doch wir lacheln iiber ihre Partituren. Erst hundert Jahre spater erschien der Oper 
ein Handel. 

Einen ahnlichen Tongestalter elementarer Massenerlebnisse hatte der heutige Film 
notig. Denn er ist industrielle, mechanisierte Darbietung fur Massen. Konnen wir er- 
warten oder hoffen, dafi heute schon Voraussetzungen fur dieses Genie existieren ? 
Kaum. Aber Klarheit mufi herrschen, ob uberhaupt reine Kunstleistung innerhalb der 
Filmmusik denkbar und praktisch zu ermoglichen ist. 

Wenn ja, so ist Filmmusik als Gesamterscheinung wie eine Pyramide, die vom 
Handwerk als breitem Unterbau, iiber Kunstgewerbe hinweg, ansteigt zu einem Gipfel 
von Kunst. Dann lohnt es sich immerhin, zu arbeiten und einer Idee zu dienen. 

Auch unendlich viele mindere Gebrauchsmusik der Kirche war Mitbedingung fur 
das Entstehen von einigen Bachsclaen Kantaten und Orgelwerken hochsten absoluten 
Kunstwertes. AUerdings laftt sich schopferisches Genie weder erzwingen noch voraus- 
berechnen. 

Aber die Moglichkeit einer Fdmtonkunst steht und i'allt mit der Moglichkeit, ihre 
architektonische und rhythmische Gestaltung mit dem Kaleidoskop eines Bddfilm- 
ablaufes zu vereinen, die seelische Schwingungsdauer musikalischen Ausdrucks auf gleiche 
Phase oder Welle abzustimmen, wie sie der entsprechende Bildstreifen besitzt. 

Von vornherein wird damit zu rechnen sein, dafi im Ernstfalle der gestaltende 
Musiker bisweilen in den Bildschnitt hineinzureden gezwungen ist. Wenn er dies bis- 
lang noch nicht darf, so ist das dem Fachniann aus entwicklungsgeschichtlichen Griindeii 
der Filmindustrie nicht verwunderlich. Aber ebenso zwangslaufig wird sich auch eines 
Tages eine Anderung dieses Zustandes ergeben. 

Wenn es sich um den Aufbau im Grofien handelt, so lafit sicli heute schon maU- 
gebenden Personen begreiflich machen, welche Hindernisse eine Filmszene der Anlage 
eines Musilcfinales u. dergl. in den Weg legt. Oft genvigte dem Musiker schon ein 
Mehr oder Weniger von einigen Metern oder eine bestimmte Veranderung des Bild- 
tempos. Meist ist Zeitmangel an solchen Versaumnissen Sclruld. 

Uberhaupt kommt der Musiker zu spat an den Film heran, wenn dieser schon 
fertig gestellt ist. Das zu andern, ist eine Organisationsfrage, die durchaus losbar 
ist, sobald leitende Stellen die Zeit gefunden haben, sich auf sie aufmerksam machen 
zu lassen. 



-,#- 



168 HANS LUEDTKE 



Da Organisation erst recht bei Musikern zu wiinschen iibrig lafit, so ist verstand- 
lich, dafi diese fiir ihre eigne Arbeitstechnik hochst mangelhafte Unterlagen besitzen. 
Unmoglich kann man stets gute Einfalle haben, wenn man den Film meterweise nach- 
recbnen mufi, wenn man keine graphische Ubersicht besitzt, wie etwa die Tanzschrift fiir 
die Pantomime. Hat doch jeder Opern- und Liederkomponist seinen bestimmten Text vor 
sich. Solche Hilfsmittel anzufordern, hat noch keine der heutigen Grofien bedacht 

Man brauchte jedoch nur einen rollenden Papierstreifen zu haben, auf welchem 
wahrend des Anblicks vom Film blofies impulsives Fingerklopfen oder -Zucken ent- 
sprecliende Akzentstiitzen oder ein Kurven-Auf und -Ab notiert. In einem solchen 
Rhythmogramm besafie der Musiker die geringsten Einzelheiten und zugleich die Ge- 
samtubersicht iiber den Film. 

Warum sollte er dann nicht dazu eine Musik komponieren konnen, so wie Richard 
Straufi eine Salome „mit Haut und Haaren" vertont hat? In jedem Liede von Hugo 
Wolf sind, unbeschadet der Gesamtanlage, harmonische und melodische Wendungen 
feinster Art zu finden, die gleichsam im Vorbeigehen einzelne Textwendungen ton- 
malerisch beleuchten. Ebenso wenig leidet die Monumentalitat in Handels Oratorien, 
in Rachs Kantaten unter solchen Tonmalereien und rhythmisch-metrischen Finessen. 
Nur wird Reethovens Wort oberstes Gesetz bleiben miissen : „Mehr Empfindung als 
Malerei". 

Genau so konnte ein Filmkomponist die grofie Linie wahren, sobald er seinen 
Weg weifi, und dennoch „im Vorbeigehen", also ohne Unterbrechung des Gesamtmelos, 
durch eine Chopinsche Koloratur oder einen Zweiunddreifiigstellauf innerhalb eines 
Adagios, durch einen einzigen leeren Ton oder einen kurzen Taktartwechsel und hundert 
andere Mittel Wunder wirken. 

Allerdings herrschen voiiaufig bei filmischen „Sensationen", Kampfen, Elementar- 
ereignissen u. a. gewisse „Furioso"-Larmstiicke, deren „iiberwaltigende" Tonfluten jedes 
Geftihl fiir Vortrag, Dynamik und Phrasierung vernichten. Nicht wenige Musiker 
wiirden gerne zeigen, dafi es anders auch geht. Aber ehe hier nicht Rresche geschlagen 
und dem Mutigen offentliche Hilfe geleistet wird, ist nicht zu hoffen, dafi Aus- 
iibende und Publikum sich iiberhaupt wirklicher Musik nahern. Zwar empfindet es 
jeder Reteiligte als Erlosung, wenn der Larm unterbleibt oder wenigstens gedampft 
wird. Aber mangelnde Selbstdisziplin, die Abstumpfung des Tages und vor allem Angst 
vor dem eignen Mute reifien immer wieder hinein in furchtbare Toniiberschwemmungen. 
Wie wichtig ware es da, wenn Aufienstehende helfen und ermuntern wiirden, statt zu 
verachten ! 

Dafi die wenigen Erkennenden noch weniger in die Tat umzusetzen vermfigen, 
wird aufierdem bei jeder Kategorie heutiger Filmmusik durch anders geartete Ursachen 
mitbedingt. 

Die durchschnittlich geiibte, zusammengewiirfelte Illustration, d. h. die Kinotheken- 
praxis iibt ein Kunstgewerbe aus, welches nie auch nur den Ehrgeiz schopferischer 
Kunstleistung in sich tragt. Obgleich den Meistern des Faches bisweilen Momente gliicken, 
die an „prastabilisierte Harmonie'.'" zwischen Fdm und Musik glauben lassen. Aber Der- 
artiges ist Gliickssache von Sekundendauer. Wichtiger ist, aus den Fehlern der Methode 
zu lernen. 



FILMMUSK UND KUNST 169 



Denn mag sie auch fiir den GroGteil aller Filme stets beibehalten werden miissen, 
wed diese nur als Geschaftsprodukt in Frage komnien, jedenfalls fangt sie beim ver- 
kehrten Ende an : 

Sie will fertige, teste Musikschablonen mit individuellen Filmerzeugnissen ver- 
binden. Fdmtonkunst kann das nie sein. Aber die Virtuositat, mit der solche musika- 
lischen Mosaiksteincben dirrch verschiedene Verschachtelung zur Wirkung gebracht werden. 
der Instinkt, mit welchem ihre Verwandschaft und ihr Grofienmafi abgeschatzt wird, 
wachst von Tag zu Tag. Und stiinde das ungeheure Arbeitsmaterial fur experimental- 
psycliologische Untersuchung zur Verfiigung, so wiirden wohl schon einige typische, viel- 
leicht gesetzmafiige Beziehungen zwischen Bddschnitt und musikalischem Formenaufbau 
zu Tage liegen. 

Die eigens komponierte Originalmusik krankt an dem Gmiidiibel, daS sie zu spat 
bestellt wird. Glaubt trotzdem der Musiker rechtzeitig fertig zu sein, so wird im letzten 
Augenblick bestimmt der Fdm geandert, weil die Zensur ein Machtwort spriclit u. a. m. 
So werden stets die Orcbesterproben statt zu Vortrags- zu blofien Korrekturproben 
grobster Stimmenfehler. 

Aufierdem werden solclie Urauffiihrungen mit grofiem Aufwande herausgebracht, 
aber in den nachsten Kinos mit stark verkleinerter Besetzung weitergefiihrt, deren 
Notenmaterial wiederum erst im letzten Augenblick fertig wird. Auch hier ware es 
Aufgabe ofTentlicher Facbkritik darauf hinzuweisen, dafi es nicht auf die Grofie des 
Orchesters ankommt, sondern auf die gleichbleibende Qualitat der musikalischen Aus- 
fiihrung. Sonst bleibt der Begriff Kammermusik im Kino unbekannt. Vorlaufig gelten 
weniger Mann stets nur als „Ersatz" fiir ein „volles" Orchester. 

Besser wird es der solistische Improvisator auf Klavier und Orgel haben. Zwar 
dem Klavier fehlt die Farbe und Tonfiille fur grofiere Biiume. Aber die moderne Orgel 
vermag die feinsten rhythmischen Akzente und Schwellungen zu geben sowie blitzschnell 
in Tonfarbe und -Starke zu wechseln. Sie ist einem einzigen WiHen untertan. Der 
Vortrag kann gut vorbereitet sein, aber aucb improvisatorisch geandert werden. So 
konnte sie leicbter als Orchester tonmalerische Originalmusik mit fliefiendsten Uber- 
gangen und formgebundenem Aufbau bringen. 

Sie befindet sich eben erst in aufsteigender Entwicklung und ist noch mannigfachen 
materiellen Hemmungen und Feindseligkeiten sowie geistigen Vorurteilen ausgesetzt. 
Noch ist keine Entscheidung abzusehen, was notwendiger ist: Die Uberlegenheit der 
Orchestermusik an vertikaler Farbschichtu'ng und Akzentversti'euung oder die Uberlegen- 
heit der Orgel an tonmalerischer Anpassungsfahigkeit. 

Der tonende Fdm endlich hat natiirlich phantastische Moglichkeiten. Sein Haupt- 
vorted ist die Selbstverstandliclikeit, mit der er von Natur aus synchron mechanisierbar 
ist. Jedoch selbst wenn er technisch auf idealer Hohe ware, so behielte das Parallelitats- 
problem von Musik- und Filmform auch fiir ihn voile Geltung: Schwingungsdauer und 
Phasenverlauf musikalischer und optischer Seeleneindriicke miifiten auch bei ihm in 
Ubereinstimmung gebracht werden. 

Alle Versuche, um ganze Opern usw. mittels „sprechenden Films" darzustellen, 
werden an dem hierdurch bedingten inneren Widerspruche scheitern und eher in die 
Nahe des Panoptikums als der Kunst fiihren. 



170 GIUSEPPE BECCE 



Wiirden jedoch Bild und Ton mit Hilfe rhythmographischer Akzentstiitzen in 
volliger Kongruenz kiinstlerisch mit einander entworfen, wiirde der Synchronismus und 
die Naturtreue der Tonfilmtechnik nur technisch zugunsten verschiedener Gerausche, 
Tonmalereien usw. ausgenutzt, wfihrend man im iibrigen fur tonenden Film gleich einer 
spezifischen Orchesterklangwelt original komponierte — — so konnte Filmmusik mehr 
werden als blofie atmospharische Stimmungskomponente, so mufite sie gleichberechtig- 
ten Eigenwert mit dem Reize optiscber Parallelitat paaren. 

Alle Arbeit, Mtihe und Kosten konnten auf das einmalige Gelingen des tonenden 
Filmbandes verwandt werden. Die Wiedergabe ware durch gleiche mecbaniscbe Struktur 
wie beim Bildfibn sichergestellt. Das ware das Ideal einer Filmtonkuns.t. Vielleicht ist 
seine erste Morgenrote naher, als wir ahnen. 



Giuseppe Becce (Berlin) 

DER FILM UND DIE MUSIK . 

Illustration oder Komposition ? 

„Wir steben zweifellos am Beginn einer Entwickluug, bei der der Musik nicht wie 
bisher die unwurdige, ihr Wesen und ihren Wert gefahrdende Aufgabe zufallt, eine be- 
langlose Zutat zum Film zu bilden, sondern einen organischen Bestandteil des Fibnwerkes." 

So scbrieb Max von Schillings im vorigen Jahre, nachdem er vorher Gelegenheit 
gehabt hatte, sicb praktisch mit einem kiinstlerisch wertvollen Film (Hanneles Himmel- 
fahrt) auseinanderzusetzen. 

Und Bichard Straufi, der' zum Film „Boseiikavalier' : bekauntlicb die Musik scbrieb, 
sagte gelegentlich der Londoner Rosenkavalier -Premiere : „"Wenn icb nur jung genug 
ware, wiirde ich glucklich sein, spezielle Musik fur den Film schreiben zu konneu; aber 
ich bin alt; dazu braucht man viele Jahre." 

Ich zitiere absichtlich die Urteile dieser zwei bedeutenden Komponisten, wed sie 
uns zeigen, dafi die Ansicbt, die Filmmusik sei eigentlich ein notwendiges Uljel, ja so- 
gar ein uberfhissiges Anhangsel, mehr und mehr zu schwindeil beginnt. 

Ja, die Filmmusik ist glucklich erweise nach vielen unfruchtbaren Versuchen dahin 
gelangt, dafi Filmregisseur und Fdmproduzent ihre Bedeutung vollig anerkennen. Aus 
den mir bekannten Fallen mochte ich zwei herausgreifen, in denen der Begisseur beim 
Schaffen des Filnis stets auf das Wesen der Musik Riicksicht nahm, die die betreffende 
Szene zu begleiten hatte. Murnau, dessen neuestes Fdmwerk „Sonnenaufgang" im 
vorigen Herbst im Capitol, Berlin, die UraufFuhrung erlebte, erzahlte mir, dafi er viele 
Szenen bewufit langer gestaltet hatte, weil er aus langer Erfahrung wufite, dafi sonst 
die musikalische Linie bei diesen Szenen nicht zu volliger Entfaltung gekommen ware. 
So schuf er diese Szenen unter einer Art visueller Musik, die zu der absoluten Musik 
in einer gliicklichen Kongruenz stand. 

Ebenso gestaltete Lamprecht die gi-ofie Liebesszene in seinem Film „Der Katzen- 
steg" ganzlich unter Beriicksichtigung der begleitenden nielodischen Linie und ermoglichte 



DEH FILM UND DI]E MU.SIK 171 

dadurch die grofite Wirkung, die sonst sicherlich ansgeblieben ware. Die nachtliche 
gespensterhafte Flucht durch den Wald und spiiter die Klage am Grabe der geliebten 
Frau schuf er ebenso unter der einzig zulassigen Art, die dem Wesen der begleitenden 
Musik Redlining tragt; unter einer Art visueller Musik, die ihre eigene Melodie, ihren 
eigenen Rhythmus hat mid dem illustrierenden Musiker die Freiheit der Linie, die Mog- 
lichkeit der Hohepunkte gewahrt. 

Hiermit stehen wir bei der Frage: Illustration oder Komposition ? 
Praktischerweise kommt fiir die meisten Filme nur die iibliche Illustration in Frage. 
Es liegt im Wesen der ganzen Filmproduktion, dafi dem Illustrator nur sehr kurze 
Zeit fiir die musikalische Begleitung des Films zur Vertugung steht. Was ist aber eine 
Illustration ? 

Man versteht heutzutage darunter die Zusammenstellung von vorhandenen Musik- 
stiicken, die den betreffenden Fdmvorgangen den musikalischen Hintevgrund geben. 
Friiher war die Illustration sehr primitiv. Der Illustrator nahm Stiicke aus Opern, 
Operetten, aus Sinfonien etc. und flickte das Ganze zu einer „Begleitmusik" zusammen, 
die an Geschmacklosigkeit und Stdwidrigkeit nichts zu wiinschen iibrig liefi. Ganz aus- 
gemerzt ist diese musikalische Barbarei noch nicht. Jedoch mindestens in den grofieren 
Fdmtheatern ist heute die Illustration einen Schritt weiter gekommen. Man hat Vor- 
rate von Fdmmusik komponiert, und in den sogenannten Kinotheken katalogisiert. 
Diese Kinotheken helfen zur Illustration typischer und immer wiederkehrender filmischer 
Vorgange und Situationen. Sie bedeuten tatsachlich einen Fortschritt, weil sie erstens 
aus filmischen Situationen entstanden sind und es zweitens. ermoglichen, ihre Lange der 
jewedigen dynamischen Kurve eines Filmstreifens anzupassen. Der Illustrator kann sie 
entstellen, dehnen, verkiirzen, instrumental verandern, urn sie zu einem Ganzen zu 
Schmieden. Dieses ganze Ganze kann sehr wohl einen organischen Charakter erhalten 
durch die erfahrene Hand des Illustrators, der die notwendigerweise entstehenden Nahte 
geschickt zu kaschieren weifi. 

Selbstverstandlich wiirde eine solche Hlustration erst dann ein einheitliches Gesicht 
erhalten, wenn sie aus dem Material eines einzigen Ulustrations-Komponisten stamnien 
wiirde. Dabei konnte der Fall eintreten, dafi eine solche Illustration manchmal viel- 
leicht eine gliicklichere Losung ware, als eine Original-Komposition. 

Fiir den wirklich wertvollen Kunstfilm aber kommt nur die Original-Komposition 
in Frage. Dabei mochte ich von zwei Arten kiinstlerischer Filme sprecheu. Diejenigen 
die in absoluter enger Beziehung zur Musik stehen und diejenigen, die trotz ihres kiinst- 
lerischen "Wertes Szenen aufweisen, die keine Beziehung zur Musik haben. Die ersteren 
sind begreiflicherweise aufierst selten. Bei den zweiten werden die betreffenden Stellen 
immer zu einem Problem fiir den Komponisten. Streng kiinstlerisch genommen, miifite 
die Musik bei solchen ,,musikalisch toten Stellen" schweigen. Komponist und Illustrator 
sind bei solchen Stellen nur durch das „akustische Mufi" gezwungen, begleitende Musik 
zu schaffen. 

Einige Produzenten des kiinstlerischen Films haben dann und wann die Not- 
wendigkeit einer Originalkomposition erkannt und so entstand in den letzten 14 Jahren 
manche Filmmusik, die das Niveau der Filmillustration verbesserte. Leider mu6 man 
feststellen, dafi diese Originalkompositionen (das gilt audi fiir manche gliicklich gehmgene 



172 



ERICH DOFLEIN 



Illustration) nur in wenigen grofien Filmtheatern zu horen sind, manchmal sogar nut, 
in einem einzigen Theater, wahrend der Film bei seiner Abwanderung in die kleineren 
Theater seinem iibhchen bosen Schicksal iiberlassen wird. 

Hier liegt ein Organisationsfehler vor. Es nfitzt keine Originalkomposition und 
keine gute Illustration, wenn der Filmproduzent sich nicht entschliefien kann, zu seinem 
Film (es kommen nur kiinstlerisch wertvolle Fihne in Betracht) em vollstandiges 
Orchestermaterial zu liefern, wie es bei Opern, Operetten etc. geschieht. Dies aber 
wird der nachste Schritt zur Hebung und Entwicklung der Filmmusik sein. 



WISSENSCHAFT 



Erich Do fie in (Freiburg i. Br.) 

ENDE ODER UMFORMUNC DER KRITIK? 



Im AnschluU an Eindriicke des Baden-Badener Musikfestes hatte ich einen ganz 
grundsatzlich gedacbten Aufsatz fiber methodische Fragen der Musikkritik und Fragen 
der Einstellung der Kritik auf die Musik unserer Zeit geschrieben. Dieser Aufsatz war 
langst abgeschlossen, als inir eine bedeutsame Anregung zu Gesicht kam. 

Die schon hier eimnal zitierte Wochenschriit ,,Die literarische Welt" brachte Ende 
Dezember eine Polemik gegen Formen und Einstellungen der Kritik (der Kritik der 
Kritikerstars) ; Anlafi war der 60. Geburtstag des beruhmten Theaterkritikers Alfred Kerr, 
ein Fest, das zeitlich mit dem Selbstmord einer Wiener Schauspielerin, die von der ab- 
lehnenden Kritik irgend eines Skribenten zu dieser Tat getrieben worden sein soil, 
zusammenfiel. 

Das Grundsatzliche dieser Polemik verdient an dieser Stelle Beachtung, ehe jener 
allgemeinere Aufsatz zum Abdruck gelangt, *) da dort von einer theoretischen Stellung 
aus betrachtet wird, was nunmehr jetzt schon aus Aktualitat heraus behandelt werden 
kann, besonders auch in einem Augenblick, als in dieser Zeitschrift eine neue Form der 
Kritik zur Tat wird. Man vergleiche auch den Aufsatz von H. Strobel im letzten Heft 
dieses Jahrgangs. 

Was mein erwahnter Aufsatz mit theoretischer, prinzipieller Einstellung zu formu- 
lieren versucht, spricht Willy Haas in der „Literarischen Welt" mit aktueller Scharfe 
und aus aktueller Bereitschaft heraus aus. 

Er sieht die Opfer der Kritik, die Opfer, die um eines brillanten Witzes, einer 
schriftstellerischen Pointe willen mit ihrer Sache zu Fall gebracht wurden. Er konsta- 
tiert weiter die Tatsache einer nunmehr 30 Jahre wahrenden und in ihrem Niveau 



*) Der Aufsatz „Uber die Grundlagen der Beurteilung gegenwarriger Musik (Kritik der Kritik ; Kritik und 
Gemeinschaft)" wird im iibernachsten Heft erscheinen. 



ENDE ODER UMFORMUNG DER KRITIK 173 

stets wachsenden, genialen Kritik und stellt dagegen den offensichtlichen Verfall der 
intellektuellen Theaterkultur. Tatsachliches Theaterleben (Bedeutung des Theaters fur 
die Mehrzahl, der Menschen) und AusmaGe, Bedeutung und Geistigkeit der Kritik wider- 
sprechen sich. Haas konstatiert die lacherliche Kluft zwischen Geistigkeit, Kultur, Vehe- 
raenz der Kritik und der geringen Lebendigkeit des Theaters, jenes bestimmten Theaters, 
das auf Kritik und Diskussion bezogen ist und sich vom amerikanisierten Theater der 
Massenunterhaltung unterscheidet. Je „geistvoller" ein Kritiker, desto unno tiger ist im 
Grunde heute sein Werk. Eine eindeutige, wenn auch sicherlich immer zu geschwinde 
Uberlegenheit haben dem grofien Kritiker unserer Zeit eine einzigartige Position ge- 
schaffen, einen einzigartigen Thronsessel aufgerichtet, der mit einzigartigen absolutis- 
tischen Bechten ausgestattet ist; er darf regieren, kommandieren, hohere Weihen 
spenden, er darf noch Orden verleihen und fiir vogelfrei erklaren . . . Mafilose Bechte, 
die von der Zeit selbst heute immer mehr bezweifelt werden. Es tritt gerade an den 
Geistigsten die Forderung heran: auf den iiberall bereitstehenden Thronsessel zu ver- 
zichten, Heifer zu werden, Glied der Verbindlichkeit zwischen Kunst und Menschen; er 
mufi aufhoren, den lacherlichen Glauben der Lesermasse an die Unfehlbarkeit des ge- 
druckten Wortes weiterhin eitel auszunutzen; er darf nicht mehr weiterhin mithelfen 
an der Unterbindung der selbstandigen Urteilskraft aller derjenigen, die zur Kunst ge- 
horen, obwohl sie nicht Fachleute sind; er darf also weiterhin nicht mehr die Faden 
jener Verbindlichkeit zerreifien, die sich notwendig nur in einer gewissen Aktivitat des 
Urteils, des selbstandigen Erlebens iiberhaupt anspinnen konnen. 

Diese Einstellung darf nicht als eine literarische Laune, als neue Nuance aufge- 
fafit werden, sondern als Aufierung einer Selbstbesinnung der Kritik, die kommen 
mufite. Die Gedanken von Willy Haas sind hier schon ein wenig zu dem hingebogen, 
was uns davon angeht. Irgend eine „Entscheidung" oder „L6sung" ist jetzt naturlich 
nicht moglich; nur einige Tatsachen sollen noch aufgezahlt werden. Es geniigt, wenn 
die Gelegenheit ergriffen wurde, die Selbstkritik der Kritisierenden einmal bis an einen 
aufiersten Band, bis an die Erkenntnis des fruchtlosen Wegs und eine gewisse Ein- 
sicht in die Sinnlosigkeit des tiiglichen Tuns zu drangen. 

Man darf zuerst nicht vergessen, dafi wir eine disk u tier bare Kunst hatten. 
Die romantische Musik selbst hat mit ihrer eigentlichen Kunstabsiclit die Kritik, dieses 
Wachsen der Kritik aus sich heraus geboren. Es war prinzipiell moglich : unsachlich, 
d. h. mit weltanschaulichen und poetischen Begriffen iiber diese Kunst zu reden und 
an ihr zu deuten, wobei audi der Sinn eines solchen Bedens gut mit immer starkerem 
Gewicht sich auf den Wortsinn, in die Wortabsicht verlegen konnte und von der 
Musik fortfiihrte, ein Eigengebiet der Musikdeutung schaffend, das seine Werte, unab- 
hangig fast von der Musik, in sich selbst hatte. Das Wort wurde zum Wert in sich, 
verlor den Mitteilungs-Sinn und den Kontakt mit der Sache und iibergeistigte mit 
seinen eigenen Werten die Musik, die sich selbst verlor. Dieses durch den Selbstwert 
der Sprache geschaffene hohe Niveau der Kritik schuf einen speziellen geistigen Beruf, 
in den in letzter Zeit gerade immer mehr die lebendigsten Kflpfe gedrangt wurden. 
Eine starke Selbst-, Zeit- und Wert-Kritik liefi diese Menschen den Mangel an einer 
organischen Verwurzelung des Produktiven und des Lehrens im Leben unserer Zeit allzu 
lebendig fuhlen und drangte sie mit dieser Einsicht ab von dem „direkten" Beruf des 



174 ERICH DOFLEIN 



Musikers, Lehrers oder Komponisten in den „indirekten" des Kritikers oder Musik - 
schriftstellers. Das Gebiet der Diskussionen grenzte sich immer mehr als solches 
spezialisiert in sich ab, verlor den Kontakt mit der Produktion, audi wenn sie diese 
selbst bejahte, verlor den Kontakt mit dem Wollen der Menschen, fiihrte die Menschen 
fort von ihrer Verbindlichkeit zur Kunst, indem es den Zwischenwert einer sprachlichen 
Existenz zwischen Musik und Mensch zwangte. 

Die meisten Kritiker wissen nicht, wie sehr ilire Wirkung im Bereiche der Sprache 
bleibt, dafi sie auf den Bereich des Bedens iiber Musik, des Geredes iiber einenKiinst- 
ler, des „Genanntwerdens" einer Personlichkeit besclirankt bleibt. An die Musik selbst 
tritt das garnicht heran. Diese aber hat — in ihrer unromatischen Form - ganz 
andere Moglichkeiten der Verbindung mit dem Menschen. Die Existenz im „Genannt- 
werden" auf Grund einiger Auffiihrungen ist, an soldi en Moglichkeiten gemessen, wirk- 
lich auch nur mehr eine Scheinexistenz, die wirklich audi nur mehr einem ganz 
mechanisch fur sich produzierenden Menschen als „Existenz" von Musik geniigen kann. 
Auf den Gebieten der Gebrauchsmusik (Tanz, Kino usw.) oder der Jugend- oder Ge- 
meinschaftsmusik zeigt sich heute aber schon ein „Existieren" von Musik, das von der 
Diskussion in jener Sphare ganzlich unabhangig und grundsatzlich frei ist. Aber auch 
bei vielen andern Gelegenheiten kann man eine schroffe Unabhangigkeit von der Kritik 
beobachten, die zu der Massenwirkung und Augenblickswirkung der Kritik, die auf den 
Bereich des Wortes besclirankt bleibt, in einem erstaunlichen Gegensatz steht. Be- 
obachtungen zeigen, dafi fast in jedem Falle einer Auffiihrung oder eines Konzertes 
immer irgendeine Kritik „gut" ist; diese wird dann in der Beldame vor einer breiteren 
Dffentlichkeit, als die der zufalligen Leser dieser einer Zeitung, ausgenutzt. So 
eventuell wird Kritik iiber den Bereich des Wortes hinaus noch wesentlidi beachtet. 
Meist aber faUen sonst die eigentlichen Entscheidungen iiber Werte auch fur Theater 
und Verlage aufierhalb der Diskussionen, in einer lebendigeren, ungeistigeren, nicht 
formulierenden Sphare, die fur unsere Zeit immer bestimmender wird. Die iiber- 
blickende Organisation dieser Sphare von ganz anderen Gesichtspunkten aus, dies kann 
die neue Aufgabe der Kritik sein, frei vom Selbstwert des Wortes, einerseits im Leben 
stehend, andererseits von der Sadie selbst handelnd, in der Musik und in ihrem Ge- 
brauch verwurzelt. Die hier bezweifelte Form der im Wortwert sich erschopfenden Kritik 
der gefiihlsmafiigen Deutung darf nicht mit diesen anderen Moglichkeiten : sachver- 
bundener Darstellung, Werbung und Bekampfung verwechselt werden. 

Wenn in dieser Zeitschrift nun eine Gemeinschaftskritik versucht wird, so stellt 
sich damit neben die Forderungen der „Literarischen Welt" auf demselben Weg schon 
eine erste Tat. Diese Form schliefit zunadist einmal jene Farbung des Urteils aus, das 
aus dem Eigenleben der Sprache heraus die Definition einer Sache findet. Zugleich 
wird diese Form des Kritisierens jener EinsteUung gerecht, die erkannt hat, dafi ein 
Einzelner den eigentlichen Entscheidungen in der Kunsterneuerung heute nicht ge- 
wachsen sein und sein Urteil als einzelnes jenen „Verbindlichkeiten" grundsatzlich 
nicht geniigen kann. Allerdings ist bedenklich, dafi es wiederum die Kritik ist, die 
zuerst daran ist, die zuerst die Gemeinschaftlichkeit fiir ein Werk und an einem Werk 
verwirklicht. Wann wird die Zeit da sein, in der sich wieder einmal Komponisten 
zusammengehorig fiihlen? Nicht, dafi sie zusammen komponieren sollten! Wenn sie 



ENDE ODER UMFORMUNG DER KRITIK 175 

nur in eiiiem weiteren Sinne „zusaminen" an einem¥erk, einer Werkgruppe arbeiten 
wiirden, urn den — von einer immer zufalligen ,,Farbung" befreiten — Stil fur irgend 
ein Gebrauchsgebiet, z. B. besonders fiir eine neue Hausmusik zu fiiiden. Oder soil 
die Fahigkkeit zu solcher Gemeinschaftlichkeit nur auf die geschaftstiichtigen Bereicbe 
der simpleren Unterhaltungsmusik beschrankt bleiben? 

Dafi wir eine Spaltung der Musikwerte und Stilformen in der Musik als Grund- 
lage jeiier Verbindlichkeit im Urted, in der Kritik entscheidend zu beachten 
haben, versucbt der andere, theorethischere Aufsatz „TJber die Grundlagen der Be- 
urteilung gegenwartiger Musik" zu beweisen. Die Beacbtung dieser Spaltung als einer 
Folge der „Sachlichkeit", einer Folge der Einstellung auf den Gebrauch erschien dort 
als wichtigster Faktor der unromantiscben Verbindlichkeit zwischen Kunst und Men- 
scben, als wichtigster Faktor jener jeweils verscbiedenen Formen einer Gemeinschaft- 
lichkeit im Erleben der Kunst. 

Willy Haas spricht in seiner erwahnten Polemik schlechtweg vom nahen Ende 
der Theaterkritik. Was wiirde uns ein Ende der feuilletonistischen Musikkritik 
bringen? Wiirde sie uns Musiker bringen die nicht komponieren, um „genannt" zu 
werden, die audi nicht sicli nur scliopferisch ausleben und scbreiben ,,miissen", sondern 
die keinen andern Wunscb haben, als nur moglichst viel gespielt und hierin gekannt 
zu werden, gespielt von vielen, und nicht nur dann und wann in einem Konzert ? 
Wiirde sie uns den Solisten bringen, der aus wirklicher Berufung aufs Podium tritt 
und der Unzahl jener irgendwie von einem Stachel Gejagten, die den Leerlauf unserer 
Konzertkultur verursachen, leichter fiihlbar machen, dafi sie in einen anderen Beruf, in 
dem die Musik zur schonsten Abendfreude werden kann, gehort, oder in das schlichte 
musikalische Handwerk? Wiirde das Ende der Musikkritik dem Menschen wieder zur 
Hausmusik verhelfen ? Wiirde dieses Ende nicht die notwendige und erwartete Selbst- 
verstandlichkeit einer reichen, vielfach gespaltenen und in mannigfachen Formen 
bliibenden Musiklebendigkeit erleichtern und unterstiitzen ? 

Und so ergibt sich zuletzt doch nach allem eine Forderung an die Musik selbst, 
die so sein mufi, dafi „Kenner und Liebhaber" moglich sind, auch wenn die Kunst aus 
dieser Zeit heraus gestaltet ist. Der Theaterbesucher mufi vorher wissen (ohne tiei- 
sinnige ,,Einfiihrung in das Werk"), vim was es geht; derjenige, der zu Hause musiziert, 
mufi wissen : dies ist fiir mich gemacht, dies ist meine Musik. Der Konzertbesucher 
miifi einen Kontrast mit eigenem Musizieren spiiren konnen, im besten Wissen um 
eine sachlich und stilistisch dm - ch die Musilc selbst bestimmte Differenz von Kiinstler 
und Laie, ohne die alte dialektische Sehnsucht: diese Grenze zwischen Kiinstler und 
Laie romantisch verwischen zu wollen. 

An der Erarbeitung und Bewufitmacliung solcher Grenzen, als einer Grundlage 
schopferischer Sicherheit, kann der neue Kritiker, der nicht Fachmann der Sprache, 
sondern der Musik ist, seine neue Aufgabe finden. 



176 HANS MERSMANN 



Hans Mersmann (Berlin) 

ZUR ERKENNTNIS DER MUSIK 

l. 

Audi das Schrifttum zur Theorie und Erkenntnis der Musik lafit allmahlich immer 
deutlicher die grofie Wasserscheide erkennen, welche sich im Schaffen unserer Zeit klar 
herausgelost hat. In der Theorie verschwammen diese Grenzen bisher. Sie folgt der 
schopferischen Musik in einigem zeitlichen Abstaud. Die Krise des Erkennens liegt 
spater als die Krise des Schaffens. So kommt es, dafi Reger und Schonberg Beitrage 
vmd Ausbauten der Harmonielehre gab en, welche in ihrer Haltung abseits ihrer Ton- 
schopfungen stehen. 

Freilich mufi der Begriff: Erkenntnis der Musik weit genug gefafit werden. Er 
umspannt nicht die zahlreichen Ansatze, gegenwartige Musik in ihren neuen Voraus- 
setzungen zu klaren und zu begriinden. Venn selbst die Komponisten zum Wort greifen, 
um die GesetzmJLfiigkeit einer Zwolftonmusik aufzudecken (Schonberg, Hauer), so sind 
diese Klarungsversuche doch hier nicht gemeint. Die Krise der Erkenntnis und der 
Musiktheorie beschrankt sich nicht, ja bezieht sich nicht einmal in erster Lime auf die 
gegenwartige Musik, sondern auf die Musik uberhaupt. Hire Wurzeln liegen tiefer. 

Erkenntnis setzt nicht in der Erscheinung an, sondern in dem Weltbdd, das hinter 
ihi' steht. Sie ist Spiegelung des Menschen, des Menschentypus, der Generation, in 
welcher sie entsteht. Der romantischen Musik entsprach eine wesentlich rationali- 
stische Erkenntnis. Das scheint nur auf den ersten Blick ein Widerspruch. Wie der 
Formwille der Bomantiker trotz aller rhapsodischen Geste, aller schweifenden Phantastik 
und dem so oft betonten Willen zur Grenzenlosigkeit und Unendlichkeit doch im 
Grunde in flachenhafter, klar gegliederter Periodik stagnierte, so ist ihre Erkenntnis 
darauf gerichtet, die Musik nicht zu verstehen, sondern zu erklaren. Jene Musiktheorie 
definiert Melodie als eine Addition von Tonen, Harmonie als eine Addition von Klangen, 
Form als eine Addition von Motiven. Biemann bringt die gesamte Instrumentalmusik 
auf den Nenner der achttaktigen Periode und fiigt, wo es nicht zu stimmen scheint, hinzu 
oder zieht ab. Auch die gesamte Hermeneutik, die poetisierende, auf Assoziationen 
beruhende Ausdeutung des Kunstwerks, gehort in diesen Zusammenhang. Denn auch 
sie will erklaren, f afilich ■• machen. Aus dieser Lage ergib't sich eine Methodik der Er- 
kenntnis, welche unsere ganze Musiktheorie beherrscht. Sie arbeitet mit festen Mafien. 
Darin scheint mir ihre verhangnisvollste Fehlerquele zu liegen. Einmal gewonnene 
Mafistabe werden mit unerbittlicher Starrheit durchgefiihrt. Sie werden dem Kunstwerk 
angelegt und dieses wird so lange gedehnt, bis es pafit. An welcher Stelle das Prinzip 
ansetzt, ist dabei fast gleichgultig. Ob es das Auftaktigkeitsprinzip, die achttaktige 
Periode, die Logik der Quintverwandtschaft oder das Motiv ist, immer steht das gleiche 
Bild rationalistischer Ableitung des Grofieren aus dem Kleineren durch Addition oder 
Multiplikation vor uns. Die Starrheit des Prinzips wird verstarkt durch die Isolierung 
der Gesichtspunkte. Theorie und Erkenntnis sind in Facher eingeteilt, von denen keins 
mit dem anderen etwas zu tun hat. Noch immer haben wir eine Harmonielehre, 
welche den bedauernswerten Schider ein Jahr lang in ganzen Noten denken laftt und 



ZUR ERKENNTNIS DER MUSIK 177 

nicht weift, dafi rhythmische Verlagevung schon zweier Klfinge ihre funktionelle Bedeu- 
"tung verschieben kann. 

Diese Bemerkungeu mufiten vorausgeschickt werden, uin die Stellung zu einigen 
vorliegenden Erscheinungen der erkenntnistheoretischen Musikliteratur grundsatzlich zu 
klaren. Es ist sinnlos, ein solches Werk im einzelnen abzulehnen, ohne die Lage aufzu- 
decken, der es entspringt. Theodor Wiehmayer baut eine ,, Formenlehre in 
Analysen" auf, deren erster Band „Grundformen" vorliegt (Heinrichshofens Verlag, 
Magdeburg). Wiehmayers MaG ist der Klangfufi, den er bisher zur Grundlage 
rhythmischer Untersuchungen gemacht hat und den er nun zum Baustein einer Formen- 
lehre verwendet. „Unter Motiv" definiert er, „ist also der rhy th mis ch- char ak- 
teristische In halt einer metrischen Einheit zu verstehen, wie er sich uns 
in obigen griechischen Versfufiformen darbietet". Von dieser Einstellung aus wird nun 
an zahlreichen Beispielen eine Motivgliederung unternommen. ,,Die Motive werden ein- 
geteilt in normale, grofie und kleine Fufimotive, sowie in Taktmotive. In der Begel ist die 
rhythmische Bewegung so beschaffen, dafi, abgesehen von langeren weiblichen Endungen 
und Pausen, auf jeden Klangfufi ein Motiv entfallt; ein solches Motiv wird „normales 
Fufimotiv" oder kurz „Fu6motiv" genannt." 

Diese Zitate geniigen. Die Bahn ist vorgezeichnet. Aus der Addition von „Fufi- 
motiven" entstehen „Satzgruppen" ; aus ihrer Addition wieder die zweiteilige, drei- 
tedige und ,,unechte zweitedige" Liedform. Unter dieses Mafi fallt die gesamte Musik; 
Volkslieder, Schumanns „Papillons", zwei Sonaten Beethovens, Etiiden von Stephen 
Heller und Alois Schmitt stehen auf zwei Seiten als Beispiele nebeneinander. Es 
handelt sich hier nicht um eine Auseinandersetzung mit dem Verfasser, wenn auch der 
vorliegende Fall vielleicht besonders kraB ist. Aber wir miissen nun endlich einmal 
fertig werden mit dem von ihm vertretenen Erkenntnisprinzip, das in dem Augenblick 
zur Gefahr wird, wo es einer heranwachsenden Generation als „Lehre" geboten wird. 

2. 

Was fur Wiehmayer der Klangfufi war, ist fiir Hemrich Schenker die ,,Urlinie". 
Schenkers Asthetik ist in zahlreichen Werken niedergelegt. Sie findet eine Zusammen- 
fassung in zwei zur Besprechnng vorliegenden Jahrbiichern, die unter dem Titel „Das 
Meisterwerk in der Musik" (im Drei-Masken-Verlag) erschienen und deren Inhalt 
von Schenker ausschliefilich bestritten wird. Er besteht aus einigen allgemeinen Ab- 
handlungen, Analysen einiger Kunstwerke und aphoristischen Gedankeu iiber die Kunst. 
Es gibt Volkslieder, welche eine Gliederung in Motive zulassen ; dieselbe Gliederung 
an einem Symphoniethema durchzufiihren ist ein folgenschwerer Irrtum. Fiir den 
Klavierstd Bachs kann die Herauslosung der „Urlinie" zum Verstehen wesentlich bei- 
tragen, an Mozarts g-moll Symphonie mufi das Prinzip rettungslos zersplittern. Auch 
hier ist es das starre, feste Mafi, das jeden Ausblick hemmt. Es ist kein Zufall, dafi 
der Aufsatz „Die Kunst der Improvisation" sich in seinem ersten Teil ausschiefilicli auf 
Anweisungen Philipp Emanuel Bachs stiitzt. Wir wisseri heute, wie wenig die damals 
wirklich geiibte Kunst der Improvisation mit den Begeln der Theoretiker gemein hatte. 
Es ist unmoglich, Vorschriften, welche sich aus der Lage des Generalbafizeitalters ergeben, 
zu anderen als historisch rekonstiuierenden Zwecken auf die Gegenwart zu ubertragen. 



178 



HANS MERSMANN 



Schenker ist Analytiker. Auch seine allgemeinen Betrachtungen ttber die Urlinie 
kommen iiber einzelne Analysen nicht hinweg. Das ware nicht zu bedauern, wenn die 
Analyse selbst produktiv ware. Aber sie vermag das Individuelle des Kunstwerks nicht 
herauszulosen. Das gelingt nicht einmal bei Bach, aus dessen Tonsprache das Prinzip 
abgeleitet werden konnte. Wie starr Schenkers Einstellung ist, zeigt die Analyse von 
Regers Bachvariationen op. 81, die er als „Gegenbeispiel" bringt mid deven Ergebnisse 
er in folgenden Satzen zusammenfafit : ,,Begev verwechselt die Variation eines Themas 
mit einer Fantasie iiber einzelne Motive desselben . . . Nur in den letzteren Variationen 
ist deshalb anch der Satz gut, der ja Bach gehort; in alien iibrigen Variationen ist der 
Satz schlecht, er steht auf einer hochst uberspannten Geschaftigkeit in der Verbindnng 
niichster Kliinge, die grofiere Znsammenhange unterbindet, also einen AuSeusatz, Aus- 
komponierungszug unmoglich macht". Etwas spater heifit es: ..Auskomponierimgsztige 
fuhren so einfach nicht von G-dur nach Fis-dur oder Cis-dur, wenn ihiien das iiber- 
haupt zugemutet werden darf. Reger hat das alles in der Musik ubersehen, nberhort - 
Auge und Ohr hatte er nur Mr allernachste Beziehungen; nur solche horte er aus den 
Kompositionen anderer heraus, nur solche komponierte er auch selbst". Ilier stehen 
wir vor den letzten Folgen einer musiktheoretischen Erziehung, die ihre Gesetze aus 
Haydn und dem frrihen Beethoven schopft und schon ihrer eigenen Klangwelt gegeimber 
ohnmachtig versagt. 

Was in dieser absichtsvollen Herabsetzung Regers sichtbar wurde, zwingt, noch 
ein wenig bei Schenker zu verweden. Sein Buch hat namlich musikpolitische 
Tendenzen. Und zwar in einem Umfang, welche die Grenzen eines auf sachliche 
Erkenntnis gerichteten Schrifttums auf Schritt und Tritt durchbrechen. Schenker gehort 
zu denen, welche alles, was die Musik unserer Zeit geschaffen hat, fiir schadlich halten 
und bekampfen. Das ware sein gutes Recht und seine private Angelegenheit, wenn 
sich dieses Gefiihl in einer Tendenzschrift, etwa nach der Art Pfitzners, Luft machte. 
Es ist aber dagegen zu protestieren, dafi ein Buch, welches sich „Das Meisterwerk in 
der Musik" nennt und auf sachliche Erkenntnis gerichtet zu sein scheint, dazu benutzt 
wird, die gesamte neue Musik, in der Haltung der Sachlichkeit, herabzusetzen und zu 
verdachtigen. Schon im Vorwort begegnen wir den „Dolchstofien von hinten wider das 
Genie" und der Beobachtung, dafi die Bevolutionen in der Kunst „als blofi scheinbare, 
eingebddete Bewegungen Unberufener, zudem von aufienstehenden Zeitungs- und 
Biicherschreibern bestellt und geschiirt, ganzlich ohne Wirkung und aufierhalb der eigent- 
lichen Geschichte des Geistes bleiben miissen". 

Von dieser Einstellung aus begegnen wir unter den „Urliniebetrachtungen" des 
zweiten Bandes hinter einigen Bachanalysen einem Beispiel aus Strawinskys Klavier- 
konzert, das durch die Bemerkung eingefuhrt wird: „Dafi es in Wirklichkeit aber auch 
ein schlechtes Notenschreiben gibt, das den Namen Musik noch garnicht verdient, will 
ich hier zu mindest an einem Beispiel zeigen". Dann folgt eine sogenannte Analyse 
der zitierten sechzehn Takte, die zu dem Resultat fiihrt: Strawinskys Satz sei „durchaus 
schlecht, unkiinstlerisch und unmusikalisch . . . man wird erkennen, dafi die Hampel- 
manner des Fortschritts einfachste Dinge verdreht haben, nur um sie fiir neu aus- 
zugeben." 



ZUR ERKENNTN1S DER MUSIK 179 

Schenker f'iigt seinen Jahrbiichern einen Anhang an, den er „Gedanken iiber die 
Kunst lind ihre Zusammeuhange im AUgemeinen" neimt. Es finden sich in diesem 
Anhang Aphorismeii, Zitate, Kommentare. Eiues soldier Zitate sei hier noch mitgeteilt : 

Ein Lehrer der Theorie schreibt: „Wiirde Beethoven heutc lcomponieren, so wiirdc sich seine 
Tonsprache eher der eiues Hindemith als eines Clemen ti nahern". Hart stofien hier (konimentiert 
Schenker) Beethoven. Hindemith nnd Clementi zusanimen ! Es sei — doch ist die Losnng der 
Frage weit einfaeher. Gesetzt, Beethoven schriebe „heute" wie Hindemith, mm - schlccht ware 

er wic dicser. ') 

Ich verzichte atif einen Kommentar zu diesem Sclienkersclien Satz. Er sollte nur 
zeigen, mit welchen Mitteln audi von Menschen gearbeitet wird, deren geistiges Arbeits- 
feld eine relative H6he verbiirgen sollte. Aber vielleicht bieten diese Erkenntiiisse, 
trotzdem sie weiter ab zu liegen sdieinen, dodi irgendwie audi einen Mafistab fiir die 
rein sacbliclie Arbeit Schenkers, erklaren die Starrheit und Unproduktivitat seines 
analytischen Denkens. Denn : ,,so wenig der Lebende deh Tod begreift, so wenig kann 
ein geistig Toter das geistige Leben eines Genies verstehen" (Heinrich Schenker: „Das 
Meisterwerk in der Musik", Band I, S. 12). 

3. 

Unter den Gesichtspunkt des Obertitels fallt ein eben ersdiienenes kleines Budi 
,,1'heorie der Ton art" von Gustav Gtildenstein (Verlag Ernst Klett, Stuttgart). 
Dieses Buch gehort zu den ersten ganz produktiven Versuchen, Gesiditspunkte und 
Arbeitsmethoden einer exakten Phanomenologie auf die Musik anzuwenden. Uber da« 
Prinzip soil in diesem Zusamriienhang nur weniges gesagt werden. Wenn es einmal 
gelungen ist, von deni Standpunkt einer neuen Erkenntnis aus die Grenzen alizusdireiten, 
so liegt der Weg eines systematisdien Aufbaus ganz in diseer Bichtung. Hier 
bddet sidi eine neue Methode des Denkens, welche sich in ihrer disziplinierten Klarheit 
wesentlich und produktiv von den Begriindungen unterscheidet, welche Paid Bekker fur 
die Urtatsacheii einer musikalischen Phanomenologie gegeben hat. Guldensteins Theorie 
der Tonart ist in sicherer Abgrenzung und selbstandiger Begriindung gegen die Akustik 
durchgebaut. Schon auf den ersten Seiten begegnet die Feststellung : „Die Akustik kann 
fiir die Musik nichts beweisen und nichts widerlegen". Die Anwendung des Gravitions- 
prinzips auf die Endlichkeit des Tonniaterials fiihrt zur Statuierung der Tonart. Von 
hier aus wircl exakte Einzelarbeit geleistet, welche nacheinander zu den Problemen des 
Funktionsbegriffs, der Dimension, der Molltoiiart und der Chromatik Stellnng nimmt. 
Ein-zweiter kritiscber Teil des Buches stellt sich zur einschlagigen Literatur, besonders 
zu Riemann und Kurth. In einer Zusaiiimenfassung gibt der Verl'asser in einigen Kern- 
satzen die Ergebnisse seiner Betrachtungsweise, aus den en die folgenden Satze an- 
gefidirt sein sollen : 

Ich leite die Touarl ab aus dem Willen des Tones, Dominante zu sein. Dadurch stebt die 
Tonart liicht vor uns da. sondern sie wird vor uns. Die Tonika als Ruhepunkt ist zunachst 
nicht bewirkende Ursacbe, sondern Resultat. Diese Ableilnng macbt zugleich die eigenartige 
Bedeulung gewisser Tone verstandlich. 



') von mir gesperrt 



180 



MELOSKHITIK 



Znm ersten Mai ist hier dargestcllt, dafi der Versuch ,,Unendliches im Endlichen zu gestalten, 
cbenso wie die Tonart audi das temperierte System schaffl und dafi dieses eine vollkommene 
Analogiebildung zur Tonart ist. 

Mir scheint, dafi hier znm ersten Male die beiden in der Molltonart wirkenden Kraf'le 
Symmetric und Analogie deutlich gesehen sind . . . 

Der Begriff der „Funktion im Akkord" ' ist gleichfalls hier neu aufgestellt. Dieser BegrirT 
gibt Einblick in das Wesen des ,,Akkordes als Organism us". Er gab ferner die Mnglichkeit einer 
klaren Aiiseuianderselzung mit der ..dualen Theorie". 



MELOSKRITIK 



Die neue, bier angestrebte Form der Kritik beruht darauf, daft 
sie von mehreren ausgeiibt wild. Dadurch soil ihre Wertung von 
alien Zufalligkeiten und Hemmungeii abgelost werden, denen der 
Einzelne ausgesetzt ist. Langsam gewonnene, gemeinsame Formu- 
lierung, aus gleicher Gesinnung entstanden, erstrebt einen hohereii 
Grad von Verbindlichkeit. So ist jede der vorgelegten Besprech- 
ungen ein Produkt gemeinsanier Arbeit der vier Unterzeichiieten. 



STRAWINSKY: ..OEDIPUS REX- 



Zur Frage der Antikenoper. 



1. 



Die Haiidelrenaissance stellte zum ersten Male wieder antike StoiTe auf unsere 
Opernbiihne. Sie komite zu so grofier Bedeutung gelaiigen, weil sie uns den Sinn i'iir 
das reine Opernspiel in einem Augenblick zuriickgab, in dem das romantische Musik- 
drama sich tot gelauf'en hatte,. Sie stellt dem brunstigen Subjektivismus, den aui'ge- 
peitschten dramatisclien Spannungen des nachwagnerschen Musikdramas ein objektiviertes, 
von aller stofflichen Realistik gereinigtes Spiel gegeniiber. Es konzentriert das Drama 
auf harmonisch genial charakterisierende Rezitative und gibt den Arien die Moglichkeit 
zur Entfaltung absoluter musikalischer Krafte. 

Die in baroclcem Gewand.e erscheinende Antike Handels lost den Menscben aus 
aller psycbologiscben Difi'erenzierung und erreicht dadurcli eine Entpersonlichung, eiiie 
Typisierung, die wir gegeniiber dem romantischen Musikdrama als Lauterung empfinden. 

Die antike Stoffwelt vermittelt mis einen Typus des epischen Dramas, den die 
Entwicklung unserer zeitgenossischen Oper eben jetzt zum ersten Male mit einiger 
Deutlichkeit formuliert (Strawinsky, Hindemith, Weill). Im Gegensatz zu der dynamischen 
Bewegtheit des Musikdramas herscht hier ein statisches Prinzip, das die Handlung in 
geschlossene Formldomplexe von monumentaler Starrheit zersclmeidet. Die innere Lage 
des antiken Dramas: schon das allgemeine Wissen um seine Handlung, die Aufteilung 
des Gescbehens an Chor und Sprecher, schaltet beim Spieler die Individualitat, beim 
Horer das stoffgebundene, am Fortscbritt der Handlung haftende biteresse aus. Es ent- 
steht eine unpersonliche Gestaltungsform, welche Geste und Pathos bandigt, alien Sub- 
jektivismus der Darstellung beschneidet und dadurcli zum Ausdruck eines Gesamtwillens, 



STRAVINSKY: „OEDIPUS REX- 181 

eines Kollektivismus wird, wie er die materielle und geistige Arbeit unserer Zeit auf 
Schritt und Tritt bestimmt. 

Dem gegeniiber steht freilich die Tatsacbe, dafi die antike Welt uns im Grunde 
sehr fern liegt. Unser Verhaltnis zu ihr berulit auf einem Bildungserlebnis. Ihre Aus- 
wirkung bleibt notwendigerweise an einen kleinen Menschenkreis gebunden. Diesen, 
wie es die Antikenoper versucht, zu vergrofiern, ist nicht ohne Gefahr und kann leicht 
zu einer Angelegenbeit des Asthetizismus werden. 

Allerdings bietet die Antike gerade unserer Oper in direr vorher gekennzeicbneten 
Entwicklungslage unraittelbarste Ausdrucksmoglichkeiten : Befreiung des musikalischen 
Ausdrucks von subjektivem Phatos, eine in sich ruhende absolute Formgebung, Verein- 
fachung und Versachlichung des Kolorits. Das sind nicht nur Tendenzen der Oper 
sondern des gegenwartigen Schaffens iiberhaupt. Darait gleichzeitig stehen wir bereits 
vor den Kernfragen der Oedipusoper Strawinskys. 

Die Werke, niit denen Strawinsky in den Jahren vor dem Kriege an die Orfent- 
lichkeit trat, gehoren dem Bereich der Ballettmusik an. Aber wahrend solche Musik 
etwa in der Josefslegende von Bichard Straufi rein illustrierenden, pantomimischen 
Gharakter hat, setzt der russische Komponist unmittelbar in der tanzerischen Bewegung 
an. Es geht ihm nicht um die Ausmalung szenischer Vorgange. Die motivischen 
Kraf'te, die seine Musik von Anfang an durchdringen, Ausdruck seines Volkstums, geben 
seinen Balletten ein vollig neues Gesicht. 

In dieser Friihzeit ist Strawinskys Musik von elementaren Kraften erfuUt, welche 
die melodische Logik, die Ordnung der Klangfolgen und des Formprinzips in Frage stellt 
und ihr den Anschein einer Primitivitat gibt. Diese Vitalitat wird durch wachsenden 
Formwillen gebandigt, der beinahe in jedem Werk einen neuen Typus schafft. Das 
i'iihrt ihn zu einer Auseinandersetzung mit alterer Musik. Er gelangt uber Pergolesi 
(Pulcinella) zu der klassizistischen Strenge des Klavierkonzertes und der Sonate. 

Von dieser Basis aus wendet sich Strawinsky erneut dem Theater zu, fur das er 
in seiner ,.Geschichte vom Soldaten" eine viber das Ballet hinausstofiende, vollig eigen- 
artige und untraditionelle Form geschaffen hatte. Der in der Instrumentalmusik deutlich 
gewordene Wille zur Objektivierung fiihrt ihn in die Nahe der Antike. Die oratorische 
Oper „Oedipus Bex" bezeichnet das vorlaufige Ende dieses Entwicldungsweges. 

2. 

Es ist fur den hier erreichten Grad A'on Objektivierung bezeiclinend, dafi Strawinsky 
einen lateinischen Text komponiert. Das Interesse am dramatischen Vorgang wird da- 
durch kvinstlich erstickt, dafi in Anlehnung an die Idee des Oratoriums ein Sprecher 
die Handlung erzahlt. Die Art, in der hier die Distanz zum Stoff vergrofiert wird, 
ist nicht frei von artistischer Uberheblichkeit. Die Gestalten sind Figuren (nach Stra- 
winskys Vorschrift: „statues vivantes"). Aus ihren wechselnden Gruppierungen entsteht 
die Architektonik des Dramas. 

Der auf absolute musikalische Form gerichtete Wille Strawinskys fand in dieser 
Gliederung der Szene die notwendigen Voraussetzungen. Mannerchore und Arien sind 
auf das feinste gegeneinander ausgewogen. Die die einzehien Szenen wie PfeUer um- 
schliefienden Chorsatze sind homophon und lapidar-skandierend. Sie verzichten auf die 
sichtbaren Wirkungen einer architektonischen Polyphonie. Die Satze fiir Einzelstimmen 



182 



MELOSKRITIK 



haben ein geschlossenes, teilweise dreiteiliges (Kreon, Jokaste) Formbild. Im zweiten 
Teil der Oper werden die Formen gespamiter und komplizierter ; Einzelstinimeii und 
Chor wachsen zu einer Gesamtform zusammen, die in dem Schlufimonolog gipfelt. 
Nachdem die Entwicklungsimpulse Strawinskys bisher wesentlich vom Instrumentalen 
hergekommen waren, liegt im Oedipus ein Werk vor, das primar vokal bedingt ist. 
Strawinsky lost seine Singstimnien aus alleni deklamatorischen Zwang; er ftihrt sie aber 
auch nicht instrumental, sondern gelangt zu einer in grofien Bogen schwingenden, rein 
vokalen Linie. Sie dominiert in den Arien so sehr, dafi das Orchester zu reiner Be- 
gleitung wird. Aus dieser absoluten vokalen Melodik wachst bereits eine erschopfende' 
Cbarakteristik der Figuren, die mit einer ahnlich stilisierenden Orchestersprache 
verschmilzt. So stehen die hellen, gelassen fliefienden Figurationen des Oedipus 
gegen die harte C-dur-Akkordik Kreons und gegen die dunkele, l'eierlicbe Melodik 
Jokastes. 



Oedipus 



A 


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■- be -ra - bo_ Li - 


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ra -bo vos. 


Re - spon-dit De-us: 

Jokaste 


Lai 


UOI 


ul - ki - ski, ul - ki-ski, 


ske - 


lus ul - ki -ski; 


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N 


0)1 


n 1 


e 


• ru 


- t 


e - ski 


te in 


ae-gra «r - 


be cla - ma - re, cla - 


- 


ma 


re cla- ma-re, 



ve - stros do -mes- ti -kos cla - mo - res. 



Im Gegensatz zu der kautabilen Sprache der Singstimmen ist der Chorsatz iiber- 
wiegend von psalmodierender Monotonie. Er ist der Trager der rliytlimiscben Krafte. 
Die Beschrankung auf die Mannerstimmen gibt ihm einen stumpl'en, unsinnlichen Klang. 
Kurze rhythmische Zwischenrufe stellen sicb gegen die Einzelgesange und begrenzen die 
Formklomplexe. 

Der Orchesterklang gehort zu den iiberraschendsten Ziigen des Werkes. Das Par- 
titurbild ist klar und durchsichtig, fast nuchtern. Wie das Orchester auf jede klang- 
malerische Wirkung verzichtet, so halt es sich in der Melodik frei von aller thematischen 
Entwicklung. Die Motive tragen in stilisierter Unbeweglichkeit die einzelnen Teile des 
Formablaufs. Zu den Merkmalen des Orchesterstils gehort vor allem das Ubergevicht 
samtlicher Blasinstrumente iiber die Streicher. 

Trotz der absoluten Geschlossenheit des ganzen Werkes kanu man nicht von einer 
stilistischen Einheit reden. Der schopferische Wille Strawinskys bindet Stdwerte aus 
den entgegengesetztesten Zonen (Gregorianik, russische Volksmusik, auch italienische 
Oper). Klassizistische Einfachheit bewirkt das Vorherrschen einer neuen, gereinigten 
Tonalitat. Sie iiberwinden die Spannung der harmonischen Funktionen und gelangt 
zu absoluten Kondenzierungen: 



ZUR MELOSKRITIK 



183 



Oedipus 


E - 


- 


- 


- go 


ex- sul 


ex 


[_!/ 




P 






„- 


^^-^ 


















staccato 




Chromatik wild als Spannung ausgeschaltet und tritt nur ornamental oder als reine 
bewegende Kraft in Erscheinung : 
Chor 

y A , (Tenore) 




Das Zusammenwirken der hier gekennzeichneten stdistischen Merkmale ergibt ein Kunst- 
werk, das iiber alles Experiment hinaus von der Antike aus zu der denkbar gegenwartigsten 
Losung des Opernproblems gelangt und Endgiiltigkeit in sich tragt. 

Hans Mersmann, Hans Scliultze-Ritter, Heinrich Strobel 
und Lothar Windsperger 



Siegfried Wo hilar th (Frankfurt a. M.) 

ZUR MELOSKRITIK') 



Sehr geehrte Herren ! 

Die Besprechung von Kreneks Oper „Jonny spielt auf" im Januarheft Hirer Zeit- 
sclirift veranlafit micb zu diesem Brief. Er ist lediglich als Anregung gedacht fur Auf- 
satze von berufener Seite, die sicb mit den hier zur Spraclie gebrachten Problemen 
auseinandersetzen und mit deren Veroffentlichung Sie sicb zweifellos ein Verdienst er- 
werben wiirden. 

Hat der Kritiker ein Kunstwerk bzw. das, was auf diese Bezeichnung Anspruch 
erhebt, nur an sich nach seinem Wert oder Unwert zu beurteilen oder ist es nicht viel- 



J ) Wir veroffentlichen diese Zuschrift aus dem Kreise unserer Leser, ohne uns mit ihr in alien Punkten 
zu identifizieren, urn das Problem der Kollektivkritik von alien Seiten zur Diskussion zu stellen. 

Die Schriftleitung. 



184 SIEGFRIED WOHLFARTH 



mehr seine Pflicht, in seineni Urteil audi die Wirkung auf das Publikum (fur das jedes 
Werk letzten Endes doch geschaffen ist) insofern zu beriicksichtigen, als er den wahren 
Ursachen dieser Wirkung nachsptirt, t'erner, und dies ist das wesentlichste, das Werk 
aus der Zeit seiner Entstehung und aus den Bedingungen seines Werdens heraus zu 
begreifen ? Heinrich Strobel hat diese Frage im Januarheft dahin beantwortet, dafi der 
Kritiker „in lebendiger Ftihlung mit den schopferischen Ereignissen der Zeit zu bleiben 
und von ihn en die Mafistabe der Beurteilung a b zuleiten" hat, was ihn leider 
nicht hinderte, als Mitglied der Kommission fiir den erwahnten Urtedsspruch verant- 
wordich zu zeichnen. 

Es ergeben sich also drei Forderuiigen, die jeder Kritiker bei seiner Kritik beriick- 
sichtigen sollte (iiber eine vierte Forderung wird spater zu sprechen sein) : 

1) Das Werk an sich nach seiriem Wert oder Unwert zu beurteden, 

2) Den Ursachen der (positiven oder negativen) Wirkung auf das Publikum nach- 
zuspiiren, 

3) Das Werk aus der Zeit seiner Entstehung und aus den Bedingungen seines 
Werdens heraus zu betrachten. 

Bezuglich der hier zur Diskussion gestellten Jonny-Kritik ist nur Punkt 1 beriick- 
sichtigt worden. 

Die Erorterung des zweiten Punktes, die vielleicht nicht iminer notwendig erscheint, 
ist in diesem Falle schon deshalb unumganglich, weil weder die (im Grunde langweilige) 
Handlung noch die Musik dazu angetan sind, einen so aufierordentlichen Publikums- 
erfolg zu erklaren. Im Gegenteil ; die Musik als solche — unabhangig von der Szene 
gebracht — wiirde allgemein auf Widerspruch stolen, aber nicht wegen ihrer Schwachen 
sondern aus demselben Grunde wie so oft auch gute moderne Musik. Dafi dieser Wider- 
spruch nicht zutage tritt, liegt nur daran, dafi die Musik in dieser Oper eigentlich eine 
recht unbedeutende Bolle spielt, um ein bedeutendes hinter die Szene zurucktritt, oft 
nicht mehr ist als Untermalung des Biihnengeschehens. (Ein Vergleich mit der Film- 
musik liegt nahe, erscheint mir aber doch etwas zu krass). Da weder die Handlung 
(Fabel) noch die Musik den Erfolg erklaren konnen. bleibt hierzu nur das Mdieu iibrig. 
Nicht aber allein, weil dieses Milieu das unserer heutigen Zeit ist, sondern auch, weil 
es in der Form eines beliebten Ausdrucksmittels unserer Zeit, der Bevue, gezeigt wird, 
ist der Erfolg ein so grofier. Dies allein ist schon Grund genug fiir die Ewig-Gestrigen, 
die Oper abzulehnen, von dem „kunst- und ktdturschanderischen Wesen, das Jonny 
treibf, zu sprechen. Dies allein aber ist auch Grund genug fiir die mit der heutigen 
Zeit Verbuiidenen, fiir die ihre Notwendigkeit Bejahenden, nicht sich mit „Jonny" ali- 
zufinden, aber den positiven Wert dieser Oper fur die Entwicklung dieses Kunstgenres 
zu beleuchten und durch seine Diskussion fruchtbar zu machen. 

Ich bin hiermit bereits bei Punkt 3 angelangt. Unsere Zeit ist eine Zeit der 
Krise auf alien Gebieten. Unter Krise versteht der allgemeine Sprachgebrauch meist 
nur Zerfall oder drohenden Zerfall. Die eigenthche Bedeutung des Wortes aber ist 
„Wende". Zu einem Wendepunkt gelangt man immer dann, wenn es auf dem alteii 
Wege nicht mehr weitergeht, wenn das Weiterschreiten Zerfall bedeutet. Wie auf vielen 
anderen Gebieten (nicht nur der Kunst) geht es auch in der Musik auf dem alten 
Wege nicht mehr weiter. Es ist hier nicht der Platz, das Warum zu erortern. Wir 



ZUR MELOSKRITIK 185 



9 erkennen die Tatsache des Zerfalls, des Untergehetis einer einmal grofi gewesenen 

: Kultur und wir spiireii, dafi etwas Neues im Entstehen begriffen ist, von dem wir nicht 

,j_" wissen, wie es in seiner endgiiltigen Gestalt aussehen wird, und das nur im Widerstreit 

": mit dem Alten wachsen kann. (Es ist dies nichts anderes als der Kampf der Gene- 

rationen im taglichen Leben). Der Schauplatz eines solchen Kampfes ist Kreneks Oper 

„Jonny spielt auf". Es hat wold nocb niemand behauptet, dafi ein Kampfplatz (um 

das Wort Scblachtfeld zu vermeiden) einen erfreulichen Anblick bietet. Es wird aber 

jeder einsehen, dafi die Kampfe, und damit das Sichtbarwerden von Kampfplatzen, not- 

wendig sind. 

Es kann nun nicht behauptet werden, dafi Krenek sehr grtindlich gekampft hat. 
Rein musikalisch ist „Jonny" der Kampfplatz einer unentschiedenen Schlacht. Die 
„beiden Spharen" stehen nebeneinander, die eine vielleicht starker als die andere, aber 
sie stehen nebeneinander. Daher das Kompromiss zwischen romantisierender Oper und 
Jazz. — Die formale Anlage ist oft ebenso fliichtig wie der Musik vielfach die Tiefe 
mangelt. Dies ist eine fur Kreneks Oper als Kunstwerk vernichtende, aber wahre 
Tatsache, die nicht entschuldigt aber erklart werden kann mit dem Tempo unserer 
hastenden Zeit, in der die meisten ihre Plane nicht reifen lassen, sondern sie so scrmell 
als moglich in die Tat umsetzen wollen. Insofern ist „Jonny" ein echtes Dokument 
unserer Zeit, eine echte Gegenwartsoper. Denn ihr Negativ spiegelt das Negativ unserer 
Zeit. Da dieses Negativ unserer Zeit, eine Zeit des Verfalls einer Kultur, notwendig 
in der Entwicklungsgeschichte der Kulturen der Menschheit begriindet ist, ist auch die 
Oper Kreneks in der Entwicklungsgeschichte der Musik (bezw. enger gefafit: der Oper). 
begriindet. Und wie allenthalben das Werden einer neuen Kultur in unserer Zeit er- 
kennbar wird (ohne dafi wir ihre Gestalt bereits zu erkennen vermogen), so wird auch 
in Kreneks Oper das Werden einer neuen Opernform erkennbar, deren endgiiltige Ge- 
stalt wir tins noch nicht vorzustellen vermogen,. die aber zweifellos von der Revue 
befruchtet sein wird. (Diejenigen, die hieriiber die Nase riimpfen, seien daran erinnert, 
da6 der einstmals so verponte Walzer Eingang in heute allseitig anerkannte Kunstwerke 
gefunden hat. Nicht nur die Form, auch ihr hihalt gibt den Ausschlag fur den wahren 
Wert eines Kunstwerkes). Kreneks Oper weist auf eine neue Form. Doch weder sie 
noch ihre Inhalte vermochte er zu gestalten. Aber dafi die Redeutung von „Jonny" als 
Anregung fur das Opernschaffen unserer Zeit (das immer noch ein Tasten und Suchen 
ist) ein bedeutendes Positivum bedeutet, selbst wenn man zu einer Ablehnung des 
Werkes an sich kommt, miifite in jeder Kritik betont werden. 

Das Problem „Jonny" ist hiermit erschopfend behandelt, nicht aber das Problem 
„Kritik". Ich frage: Ist der Kritiker ein Richter, der ein Werturteil zu fallen hat (das 
dann unantastbar sein mtifite) oder ist er nicht in gewisseni Sinne Kunstler, indem er 
gemafi seinem inneren Fiihlen, gemafi dem Eindruck. den das Werk auf ihn gemacht 
hat, die Wirkung des Werkes auf ihn wiedergibt, das Werk also nach der Seite seiner 
Wirkung hin erganzt? Denn dieser Erganzung, ob sie nun niedergeschrieben wird oder 
nicht, bedarf jedes Kunstwerk, um ein solches zu sein, weil nicht durch sich selbst 
sondern durch seine Wahrnehmung durch den Menschen jedes Werk, uberhaupt jedes 
Ding erst Daseinsbestatigung erhalt. Hieraus ergibt sich als vierte Forderung an den 
Kritiker: Jede Kritik mu6 subjektiv sein! Wilhelm v. Scholz schreibt in seinem Apho- 



186 IGOR GLJEBOFF 



rismenbucli „Lebensdeutung" sehr richtig, dafi def schwerste Vorwurf, den man gegen 
einen Kritiker erheben konne, Objektivitat sei. Demi Objektivitat verlangt Beurteilung 
nach feststehenden Normen, miifite also, logiscb bis ins Extrem befolgt, ziir Ablehnung 
eines jeden Fortschritts fuhren. 

Die hier dargelegten Ansicbten werden heute noch vielfacb starkem Widerstand 
begegnen, weil der Bildungshochmut nicbt nur in der Kritik, sondern in der gesamten 
Wissenschaft noch zu grofi ist, weil jeder auf seine Fachwissenschaft pocht mid schwort, 
sicb meist um nicbts anderes kiimnierl, vor lauter Wissen und Bildung den Menschen 
vergifit. Es ware hieruber viel zu sagen, scblagende Beispiele, wie sehr unsere Zeit da- 
runter leidet, liefien sich in Massen aufFiihren, wurde aber hier zu weit fiihren. lch 
begniige mich mit dem Hinweis darauf. Dafi aber audi hier ein "Wan del sich durch- 
zusetzen beginnt, beweisen u. a. die von dem Rektor der Frankfurter Universitat, Prof. 
Drevermann vertretenen Ansichten. 

Mit diesen Ausfuhrungen ist nicbts gegen die Einrichtung einer Kommission fur 
Werkbesprechung gesagt. Im Gegenteil — ich halte diese Einrichtung fur tiberaus 
gliicklich, wenn die Kommission alle 4 Punkte berucksichtigt. Denn die haufigste Fehler- 
quelle der Kritik eines einzelnen hat darin ihren Ursprung, dafi dieser einzelne — je 
nach Veranlagung, manchmal audi augenblicklicher Stimmung — mehr Auge und Ohr 
fur das positiv zu wertende oder mehr Auge und Ohr fur das negativ zu wertende hat. 
Um bei dem Beispiel „Jonny" zu bleiben: iiber die — fur viele freudige — Erkenntnis, 
dafi Krenek den Weg zu einer neuen Opernform angedeutet hat, haben diese alles 
andere kaum beachtet. Erst der Hinweis derjenigen, die sich nicht von der Freude 
iiber das wirkliche Positivum der Oper (die doch berechtigt ist) haben berauschen 
lassen, zwang auch die anfangs bedingungslos Zustimmenden zu einer Rektifizierung 
ihres Urteils, indem sie den Wert der Oper einschrankten (nicht verneinten). Diese 
Fehlerquelle wird durch die Kommissionsbesprechuhg wohl weitgehendst ausgeschaltet 
werden. 

Naturlich bedeutet das hier Gesagte keinen Einwand gegen die Kritik eines Ein- 
zelnen. Diese ist immer — wie sie auch aussehen mag — von Wert, wenn man den 
Kritiker in der oben dargelegten Begrenzung als Kimstler ansieht und seine Kritik nicht 
als ein Werturteil auffafit, auch wenn ein solches der Form nach ausgesprochen erscheint. 

Mit vorzuglicher Flochachtung 
Siegfried Wohlfarth 



AUSLAND 

Igor Gljeboff (Leningrad) 

DIE JUNGE KOMPONISTENGENERATION IN LENINGRAD*) 

Eine interessante und ernste Erscheinung unter den Leningrader Musikern der 
neuen Formation ist Christophorus Kuschnareff (geb. 1890, armenischer Ab- 

*) Schlufi ; erster Teil erschien im Marzheft. 



DIE JUNGE KOMPONISTENGENERATION IN LENINGRAD 187 

stammung, studierte in Tiflis und aul dem Konservatorium in Leningrad). Kuschnareff 
geht einen eigenen Weg. Indem er sich in seinen theoretischen Anschauungen an 
Tanejeff anschlofi, scliuf er seinen neopolyphonen Stil, der die Dynamik der Bachschen 
Polyphonie mit der Dynamik der Beethovenschen Harmonie zu vereinigen bestrebt ist. 
Die besten und interessantesten "Werke sind eine, ..Passacaglia mit Fuge" und eine 
„Sonate" fur Orgel. Der Sinn fur die formulierende Bedeutung der Melodie und be- 
sonders der Dynamik der Volksliedweise zieht Kuscbnareff in das Gebiet der Erforscliung 
und Ausnutzung des orientalisclien Folldorismus. 

Im Sinne eines ebenso feinsinnigen Verstandnisses und Hingezogenwerdens zur Kultur 
des Volksliedes — des grofirussischen wie des ukrainischen — muS hier Peter 
Rj ass an, off (ein Schuler Schtscberbatsclieffs) genannt werden. Sein Scbaffen bewegt 
sich niclit auf der engen, formell-asthetischen Linie der ,,Bearbeitung" von Volksliedern, 
sondern in der Bichtung der Aufdeckung der Prinzipien der melodischen Komposition, 
ihrer [Dynamik und Kinetik, mit dem Ziel, sie bei ganz verscbiedenen Arbeiten zu 
benutzen. Die AVerke Bjasanofl's tragen den Stempel eines anziehenden Intellektualismus 
(Ein Zyklus Bomanzen auf Texte von Block und eine Suite fiir Klavierj. Durch seine 
interessanten Experimente iiber Melodie-Komposition aid' der Grundlage des alten 
russischen Kirch en- und Volksmelos zeichnet sich Michael Judin aus. Die lyrisch-besimi- 
liche Bichtung lebt in dem sympathischen Schaffen eines Karnowitsch undTjulin ruhig 
weiter fort, der unmittelbar temperamentvoUe Emotionalismus in den Sonaten und 
Bomanzen von S chap or in. Er hat eine ganze Beihe neuer und witziger Einfalle auf 
dem Gebiet der konstruktiven Ulustrationsmusik zu verscbiedenen Theaterstiicken auf- 
zuweisen. Dieses Schaffensgebiet Schaporins enthalt viele in bezug auf Klangwirkung 
und Form interessante Versuche. Parallel mit ihm arbeitet auf demselben Gebiet 
Wladimir Deschewoff (1889 in Petersburg geboren). Bei seiner eigentumlichen, 
individuell stark gepragten, wenn auch nicht weitumfassenden Begabung miissen wir 
etwas langer verweilen. 

Das Talent Deschewoffs wirkt durch seine Selbstandigkeit und Frische so anziehend. 
Leider haben ungiinstige Lebensbedingungen seine Entwicklung stark behindert. De- 
schewoff ist der feinsinnige Komponist der russischen Gegenwart. Wie kein anderer 
versteht er Melodie und Bhythmus des heutigen Lebenskampfes und wandelt sie im- 
pressionistisch in wahrhaftige Musik von heute um. Das revolutioniire Sti-aBenmelos 
fand in seiner Musik seine helle und feine Brechung, die Rhythmen der Maschinen 
haben bei ihm einen lebendigen Widerhall gefunden. Mit seiner Fahigkeit, Bewegungen 
unmittelbar in Musik umzusetzen, hat es Deschewoff fertig gebracht, die Kinetik des 
heutigen Lebens eindrucksvoll abzubilden. Die Musik Deschewoffs ist in ihrem Stil 
ganz auf lebendigen Eindriicken aufgebaut und kennt keine Kabinett-Abstraktionen ; 
sie fiihrt vom Leben zum Leben und dringt — wenn man sich so ausdriicken darf — 
m die Stadtluft ein; denn diese Musik ist ausgesprochen stadtisch. Einen grofien symphon- 
ischen Schwung kennt Deschewoff nicht; seine Formen sind flach, launenhaft und impressio- 
nistiscli, aber ein eiserner Bhythmus schweiBt sie zusammen. Seine Musik verhalt sich zu den 
akademischen Symphonien wie gemutliche Malerei zur klassischen Leinwand und ihrer 
Grofie. (Ich meine das Verhaltnis, nicht die Ahnlichkeit). Als Theaterkomponist 



188 IGOR GLJEBOFF 



zeichnet sich Deschewoff durch Erfindungsgabe, Reich turn der Einfalle und eine andere 
wertvolle Eigenschaft aus: er versteht lakonisch zu sein. 

Nicht wegen der Gemeinsamkeit der Musik selbst, aber wegen der Gemeinsamkeit 
der Tendenzen und Prinzipien der musikalischen Formulierung (des kinetischen Im- 
pressionismus) und auch wegen der Verbundenheit rait dem Revolutionsleben kann 
man neben Deschewoff das SchafFen Schillingers stellen; umsomehr als beiden 
Komponisten die Neigung zur scharfen und launeiihafteii Groteske eigen ist, die nach 
Sergei Prokofjeff iiberhaupt zur Petersburger kunstlerischen Kidtur gehort (Gogol, 
Dostojewski, Dargoraischski, Tschaikowski). 

Die Musik Josef Schillingers (geb. 1895 in Charkow) zeichnet sich durch 
eine interessante harmonische Sprache aus, die rait Dynamik gesattigt ist. In -ilir ver- 
einigen sich grelle Impressionismen, schone Rhythmen und eine Foriiiulierungsnianier 
von konstruktivem Charakter. Als anregendes Moment fur die Formulierung dient 
dem Komponisten nach seinen eigenen Angaben die Technik des Kino. Ich konnte 
in Kiirze nieine Meinung iiber Schillinger etwa folgendermafien ausdriicken: der Im- 
pressionismus hat sein Gefiihl fiir die Wirklichkeit und das Lebenswichtige geschiirft, 
das Revolutionsmelos gab seiner Musik den Atem und der Konstruktivismus des Kinos 
gibt ihr den geschaftigen Drang und den bunten Schwann der Eindriicke. Die besten 
Werke SchiUingers sind die, die mit dem Ausdruck des Revolutions-Pathos ver- 
bunden sind; so z. R. das Heldengedicht (aus den Stricken fur Klavier op. 12), 
die Sonate-Rhapsodie (op. 17) und die symphonische Rhapsodie ,.Oktober" (op. 19). 
Der charakteristische Zug der Entwicklung von Schillingers Begabung ist das Streben 
aus der Sphare der subjektiven Lyrik in das weite Gebiet des durch sein spannendes 
Tempo und seine Dynamik packenden sozialen Lebens zu gelangen. 

Uber das Schaffen von Paschtschenko, der etwas als Sonderhng dasteht, 
handelte seiner Zeit ein Aufsatz in ,,MELOS". Er arbeitet unermudlich weiter und 
ist gegenwartig mit interessanten Opernplanen beschaftigt. Seine Chorwerke — eine 
selbstandige, lebensvolle Musik — sind mit grofiem Schwung geschrielien. Seine 
Symphonien (zweite und dritte) leiden etwas miter stilistischer Ungleichmafiigkeit und 
emotionaler Grobheit, dafur sind sie aber dank ihrer ,,rohen" Unmittelbarkeit als 
„musikalische Dokumente" recht wertvoll. Demi sie sind ja ein Ausdruck des strengen 
und rucksichtslosen Lebenskampl'es inmitten des elementaren Tobens primitiver Instinkte 
und heldenhaften intensiven Dranges zu einem neuen Leben. Die Dynamik der 
russischen Revolution klingt in den Vokal- und Instrumentalwerken von Paschtschenko 
deutlich wieder. Ein breiter Schwung ist seiner Musik eigen, die sehr dekorativ ist. 
Die ungenugende Klarheit in der Auswahl der Mittel, die Naivitat des musikalischen 
Gedankens und das Auseinanderfliefien der Formen stort jedoch stark den Eindruck. 

Ich habe langst nicht ahe Erscheinuiigen des augenblicklichen musikalischen Schaff'ens 
in Leningrad darstellen konnen. Nur in Kiirze stellte ich die lebeiidigen Richtungen 
und die wichtigsten Komponistenindividualitaten dar. Trotz der Verschiedenheit der 
einzelnen Talente sind doch gewisse allgemeine Wesensziige ihrem Sti'eben 
iiberaU eigen: ein scharfes Gefiihl fiir die Wirklichkeit, das sich bei einigen mit 
einer Neigung zur Groteske verbindet; der kinetische Impressionismus (d. h. vom Ira- 
pressionismus wird der ihn wertvoll machende Real ism us des Eindrucks iibernomnien, 



„BORIS GODUNOW" IN DER AUTORFASSUNG 189| 

seine Passivitat und Zustandsfreude jedoch abgelehnt); der Verzicht auf traditionelle 
formelle Schemen, die Tendenz zum Konstruktivismus , die neuzeitliche dynamische 
Empfanglichkeit fur die Form und fur die Formbildung und Stoffgestaltung (Empfanglich- 
keit des Gehors, nicht der Augen!); die Neigung zum polyphonen Denken und das hart- 
nackige Hinstreben zu den Problem en des Melos und der melodiscben Spannung. — Wenn 
es auch nicbt bescheiden ist, pro domo sua zu sprechen, so kann icb doch nicht umhm, 
darauf stolz zu sein, dafi die von mir vor Jahren geaufierten Anschauungen sich als 
lebendig wirksam erwiesen haben. Sie entsprecben vollstandig der gegenwartigen Ent- 
wicklung in der Musikkultur von Leningrad. 



Roman Gruber (Leningrad) 

..BORIS GODUNOW" IN DER AUTORFASSUNG 

Unsere musik-theatralischen Annalen haben sich vor kurzem durch ein Ereignis 
aufierordentlicher Wichtigkeit bereichert, welches bereits eine ganze Literatur um sich 
gezeitigt hat. — Am 16. Februar gelangte das bekannte Volksmusikdrama Moussorgskis 
,,Boris Godunow" zur Wiederauffuhrung auf der Buhne der Staatlichen akademischen 
Oper, und zwar in urspriinglichen Fassung. Dieses Werk, das vor etwa 60 Jahren 
geschaffen worden ist, wurde in den letzten Jahrzehnten mit Kurzungen und Anderungen 
aufgefiihrt, die von der redaktionellen Bearbeitung durch Rimski-Korssakow herruhreii; 

Der im Jahre 1870 vollendete „Boris Godunow" stand seiner Epoche soweit 
voran, dafi er von dem Repertoirerat der damaligen Kaiserlichen Oper als minderwertig 
(sic!) abgelehnt wurde und sich einer Reihe von Anderungen unterziehen mufite, die 
der l Verfasser im Hinblick auf den herrschenden Geschmack und die Zensurforderungen 
A r orgenommen hat, bevor er, erst 1874, zur Auffuhrung gelangte, um ziemlich bald 
aus dem Repertoire auszuscheiden. Nach Moussorgskis Tode hatte sein Freund 
Rimski-Korssakow, von dem aufrichtigen Wunsche geleitet, die Oper von dem vermeint- 
lichen „technischen Analphabetentum" zu befreien und ihr einen effektA r olleren Charakter 
zu verleihen, eine Umarbeitung vorgenommen, die sich in der Hauptsache auf die 
Orchestrierung bezog (worin Rimski-Korssakow bekanntlich ein grofier Meister war). 
Tatsachlich aber hatte er umfangreiche Anderungen auch in der Stimmfuhrung, sowie 
in der Rhythmik und der Form uberhaupt Raum gegeben. Dadurch hat die Oper 
zweifellos an aufierer Pracht gewonnen, zugleich aber vieles an Eigenart der musikalischen 
Schreibweise, an Ftille von sehr gewagten musikalischen Wendungen und an Nahe zum 
echten und unverblumten russischen Volksmelos eingebvifit. Aus dem dusteren volkischen 
dynamischen Musikdrama von rauh-asketischer Farbung, wo machtige Chormassen und die 
durch dramatische Ausdruckskraft und Plastizitat ganz aufiergewohnliche „Sprachmelodie" 
der Monologe und Dialoge als die hauptsachlichsten „Triebkrafte" wirken, — entstand 
unter Rimski-Korssakows Handen ein pomposes, in statischem Plane gehaltenes grandioses 
Schauspiel (im buchstablichen Sinne des Wortes), wo das Orchester mit seiner 
dekorativen Pracht als gleichberechtigte, pravalierende „Person" in die Handlung einriickt. 

Gerade in dieser Form, d. h. als Werk zweier Autoren — Moussorgski und Rimski- 
Korssakow, ist die Oper uberall bekannt. 



190 ROMAN GRUBER 



Seither hat es nicht einmal Versuche einer Wiederauffiihrung des „Boris" in seiner 
urspriinglichen Fassung gegeben und zwar infolge einer festgefiigten „Legende" von der 
Undurchfiihrbarkeit der Urfassung wegen ihres „orchestertechnisclien Analphabetentums". 
Erst in den allerletzten Jahren, nachdem das russische und westeuropaische Musik- 
schafFen an einer Reihe von Beispielen die Richtigkeit des von Moussorgski genial an- 
gewiesenen Weges bestatigt hat, nachdem es sich im Lichte der musikalischen Gegenwart 
erwiesen hat, dafi dasjenige, was als Analphabetentum gait, in den meisten Fallen auf 
Moussorgskis Unlust zuriickging, aiisgetretene Schemata des festgeronnenen musikalischen 
Kanons einzuhalten — ist eine Reihe russischer Musikforscher (in erster Linie P. A.Lamm 
aus Moskau, sowie auch Igor Gljebow) nach sorgfaltigem Studium der ursprung- 
lichen Fassung Moussorgskis in Klavier- und Orchesterpartitur zur Uberzeugung gelangt, 
dafi diese Fassung sowohl im Ganzen, wie auch in Einzelheiten absichtlich in einem 
ganz bestimmten Plane gehalten ist, erne Reihe wertvollster Einzelmomente und sogar 
eine ganze Szene (vor der Kirche Wassilij Blashenni) enthalt, die auf die Buhne gar- 
nicht gebracht wurden (offenbar, teilweise aus zensui'ellen, teilweise aus redaktionellen 
Riicksichten), dafi schliefilich diese Fassung auf der Buhne zweifellos durchfuhrbar ist. 
Noch mehr, trotz ihrer „asketischen" Orchestrierung oder vielmehr dank ihr, entspricht 
diese Fassung den wahren Absichten Moussorgskis und seinem Ideal eines Volksmusik- 
dramas zweifellos in hoherem Mafie als die spateren Fassungen. 

Nach Uberwindung mehrerer Schwierigkeiten, die mit der Auffuhrung und Um- 
lernen der Partien zusammenhangen, fand am 16. Februar die erste Auffuhrung des 
„Boris" in der Urfassung statt.*) (Dirigent W. A. Dranischnikow, Regie S. Radlow, 
Dekoration Dmitriew). 

Diese Auffuhrung, welche die Aufmerksamkeit unserer gesamten musikalischen 
Offejitlichkeit auf sich gelenkt hat, hat offenbar dem Standpunkte derjenigen recht 
gegeben, die eine Auffuhrung der Urfassung befiirworteten. (Unter ihnen ist in erster 
Linie Igor Gljebow zu nennen, der eine spezielle Artikelsammlung, als Verteidigungs- 
schrift fur den „echten" Boris veroffentlichte). Zugleich aber konnte ein lebhafter 
Meinungsaustausch fiir und wider nicht ausbleiben, denn es gibt noch eine nicht geringe 
Anzahl solcher, die immer noch die dekorative Aufienseite, sogar durch Preisgabe der 
Integritat der aUgemeinen Konzeption erkaufen woUen. Die Frage ist hiermit schon 
auf prinzipiellen Boden geriickt: ist es zulassig aus Streben nach maximalem „Farben- 
reichtum" dem Kiinstler ein ihm durchaus nicht eigenes Kolorit aufzudriingeii (man 
denke etwa an eine „Verbesserung" finsteren Kolorits bei Bembrandt durch Auftragen 
von Farben eines Delacroix usw.)? 

Der gegenwartige Standpunkt der „organischen Kritik" wird sich, wie wir meinen, 
dagegen wehren. Wie das Leben selbst die Frage losen wird, wird nur die Zukunft 
zeigen. Einstweilen miissen wir aber sowohl das bezeichnende Datum der Wiederauffuhrung 
eines der Meisterwerke des russischen musik-theatralischen Schaffens, als auch das Ver- 
dienst der Staatlichen Leningrader Oper konstatieren. 

*) Es ist zu bemerken, dafi, obwohl bei dieser Auffiibrung eben die erste Fassung Moussorgskis 
als Grundkonzeption angenommen wurde, sie noch] durch einige von Moussorgski selbst bei der Um- 
arbeitung neugeschriebene Szenen erganzt ist; dafi also, streng genommen, es sich hier um eine ,,synthetische" 
Zusarnmenfassung des von Moussorgski Geschaffenen handelt. 



RUNDFUNK 



Ernst Latzko (Leipzig) 

RUNDFUNK UND NEUE MUSIK 

1. 

Als im vergangenen Herbst die Wiener Musikzeitschxift „Pult und Taktstock" ein 
Rundfunkheft herausgab, habe ich in einem Artikel „Rundfunk-Probleme" auch dieses 
Thema gestreift. Schon damals wurde darauf hingewiesen, daft der Rundfunk ein Propa- 
gandamittel wirksamster Art fur die neue Musik sein konnte, weil hier auf selten gliickliche 
Weise materielle und ideelle Widerstande aus dem Weg geschafft werden konnen. Hier 
fallt nicht nur das finanzielle Risiko weg, weil die Sendegesellschaft sozusagen allabend- 
lich ein ausverkauftes Haus hat, hier konnen durch Zuhilfenahme des erklarenden 
Wortes dem Verstandnis entgegenstehende Schwierigkeiten ganz oder teilweise behoben 
werden. Eine verantwortungs- mid zielbewuftte Sendeleitung konnte also hier Auf- 
klarungsarbeit im besten Sinn des Wortes leisten. Leider scheint dafiir wenig Geneigt- 
heit zu bestehen, denn eine im gleichen Heft gesellte Rundfrage : „Gibt es Stilgattungen, 
die sich fur den Rundfunk schlecht eignen ?" ergab von seiten einer Reihe von Sende- 
gesellschaften Antworten, die mit geringfiigigen Abweichungen immer darauf hinaus 
liefen, daft Neue Musik sich ihrer Polyphonie und ihres Reichtumes an Dissonanzen 
wegen fiir die Rundfunkiibertragung nicht eigne. 

Im Auffinden von Grvinden, warum das Neue mit alien Mitteln unterdriickt werden 
miisse, war die Welt von jeher nicht verlegen. 

Wie sieht es aber in Wirklichkeit mit diesen angeblich aus der Ubertragung sich 
ergebenden Schwierigkeiten oder Unmoglichkeiten aus? Richtig, das herfit technisch 
genau wiedergegeben und unter giinstigen akustischen Verhiiltnissen aufgenommen und 
gesendet, klingt mit Ausnahme der durch die Obertone bedingten Farbung jede Musilc 
in der Ubertragung ebenso wie bei der Aufnahme, also genau so verstandlich oder 
genau so unverstandlich. Weder wird die Dissonanz dissonanter, noch wird die Poly- 
phonie polyphoner. Verandert wird lediglich die Klangfarbe. Daher mtiiSte beispiels- 
weise viel eher der Einwand, dafi impressionstische Musik, die ihre Wirkung zum 
grofiten Teil koloristischen Momenten verdankt, die im wesentlichen Klangf'arbenmusik 
ist, durch die Ubertragung ihren Hauptreiz A^erliert, gemacht werden. Aber gerade der 
Impressionismus wird durch das Interdikt der Sendegesellschaften nicht getroffen, denn 
seine Dissonanzen regen heute niemanden mehr auf und Polyphonie gehort nicht zu 
seinen eigentlichen Ausdruclcsmitteln. 

Und ebensowenig wie impressionistische Musik konnen im Rundfunk jene letzten 
Auslaufer der Romantik klingen, die von einer Uberhitzung der Harmonik, dem Reich- 
tum an Fiillstimmen und Ornamenten, dem Raffinement der Instrumentation das Heil 
erwarten. Hier hat der Kompositionsslil auch zu einem neuen Stil der Wiedergabe ge- 
fiihrt, einem Stil, dem es weniger auf Technik als auf Ausdruck und Wirkung ankam. 
Bezeichnenderweise spricht der Hauptvertreter dieser Richtung, Richard Straufi. von 
einem „al fresco"-Stil und stellt ihn dem durch ..absolute Klarheit" und durch „Aus- 



192 ERNST LATZKO 



fuhrbarkeit jeder Figur durch jedes Instrument's diarakterjsierten „klassisclien" Stil gegen- 
iiber. (Berlioz: Instrumeiitationslehre, erganzt und revidiert von Richard Straufi). 
Dieses ,,al fresco", das im Orchester darauf hinaus lauft, dafi bei den cliorisch besetzten 
Streicbern jeder einzelne schwierige Stellen sich auf seine Art erleichtert, wodurch — 
fiir Werke dieses Stils — tatsachlich ein effektvollerer Gesamteindruck entsteht, als 
wain die S telle leichter gescbrieben und von alien korrekt gespielt worden ware, wirkt 
sich im Rundfunk katastrophal a us. Kein noch so grofier Ausdruck, kein noch so 
schmifiiger Elan kann bei der Rundfunkubertragung uber die akustische Unklarheit 
hinweghelfen, die durch technische Mangel entsteht. Werke dieses Stils werden deshalb 
hier immer verzerrt wirken und wenn sie trotzdem verhaltnisniafiig oft gespielt werden, 
so beweist das nur, dafi akustisiie Riicksichten bei der Programmbildung weniger den 
Ausschlag geben als konservative Einstellung der Sendeleitungen und Riicksichtnahme 
auf die reaktionfire Majoritat des Publikums. 

Betrachten wir nun den Stil der heutigen Zeit, mag man ihn nun mit dem 
Schlagwort „Neue Sachlichkeit" oder mit dem sein Wesen weit treffender charakterisierenden 
Namen „Neuer Klassizismus" bezeichnen, auf seine Eignung fiir die Rundfunkubertragung 
hin. Zwei Momente kommen hier zu allererst in Betracht: Die erhohte Bedeutung 
des formalen Elementes und die Objektivierung der Musik, ihre moglichst vollstandige 
Emanzipierung voii der Personlichkeit. Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, dafi auch 
im Konzertsaal der musikalische Eindruck des Laien durch Eindriicke des Auges, Bewegungen 
und Gesichtsausdruck des Sangers, des Instrumentalisten, des Dirigenten, gefordert 
werden kann. Fiir das Horen nun, das wie das Rundfunkhoren auf jede optische 
Uilterstutzung verzichten mufi, bietet die Gesetzmafiigkeit, die in der Beobachtung der 
Form liegt, eine wesentliche Hilfe und besonders das ungeschulte und ungebildete Laien- 
ohr konnte, entsprechend vorbereitet, aus den im Formalen enthaltenen Erinnerungs- 
momenteu die grofiten Vorteile ziehen. 

Noch viel bedeutsamer miifite sich der zw r eite Faktor, die Objektivierung der 
Musik, im Rundfunk auswirken. Demi gerade die Trennung von der Personlichkeit, 
die die Neue Musik ideell anstrebt, ist im Rundfunk materiell insofern erreicht, als die 
Personlichkeit des Ausfuhrenden vom Horer ortlich getrennt ist und dieser dadurch 
tatsachlich die Musik bis zu einem gewissen Grade ,,entsubjektiviert", ohne jenes Fluidum, 
das raumliche Nahe, ohne jene Beeinflussung, die Gesichtsausdruck und Korperbewegung 
erzeugen, gesendet erhalt. Also gerade, was die Neue Musik anstrebt, die Beseitigung 
aller Auswiichse „personlicher Auffassung" (die durch das Gesehenwerden zweifellos 
quantitativ und qualitativ gesteigert werden), die Eindammung des Ausdrucks auf ein 
naturliches Mafi, wird durch' die eigentumlicben Bedingungen des Rundfunkhorens bis 
zu einem hohen Grad erfiiUt. 

Des weiteren verzichtet die Neue Musik auf alle koloristischen und ornamentalen 
Wirkungen und wird dadurch erst recht zur Ubertragung geeignet. Die Klangfarbe, das 
Resultat der Obertone, wird wohl immer das Stiefkind des Rundfunks bleiben, der 
aus akustischen Griinden gerade auf moglichste Unterdriickung der Obertone durch 
Dampfung aller Art bedacht sein mufi und dessen Leistungen desto klarer sind, je 
mehr es ihm gelingt, nur die wirldich erzeugten Tone zu senden. Aber eben diesen 
neutralen, geraden, wirklichen Klang strebt die Neue Musik an und es wird kaum 



RUNDFUNK UND NEUE MUSIK 193 

eine Stilgattung geben, deren Klang-„Bild" durch die Buudfuiikiibei'traguiig so weuig 
getriibt wird. In der gleichen Bichtung wirkt der Verzicht auf das Ornament, die 
Abkehr von alien nur auf schwelgerische "Wirkung berechneten FiUlstimmen, die Brick - 
kehr zu stranger, realer Stimmfuhrung. Demi das durch diesen Stil bedingte Musizieren 
ist eben jenes, das audi der Rundfunk fiir seine besonderen Zwecke braucht, ein 
Musizieren, das die Freude an der Technik wiedergewonneii hat, das iiufierste Pra- 
zision nach alien Richtungen als hochstes Ziel anzustreben hat, aus clem Ausdruck mid 
Wirkung sich von selbst ergeben mufi. Also gerade das Gegented von deni frtther 
erwahnten ,,al fresco". 

Hand in Hand mit diesem Verzicht auf alle nur auf „Wohlldang" berechneten 
Fullstimmen vollzieht dieser neue Stil in der Orchestermusik die Abkehr von dem 
Riesenapparat der „Sinfonischen Dichtungen" und ,,Programmsinfonien" und bevorzugt 
audi hier ein kammermusikalisches, auf intime, solistische "Wirkungen gestiitztes Musizieren. 
Jedev, der erfahren hat, wie schadlich sich im Rundfunk jedes klangliche Extrem, 
jeder Masseneffekt auswirkt, mufi in dieser Einschrankung der orchestralen Mittel 
eine weitere Beziehung erblicken, die den neuen Stil fur die Ubertragung hervorrageud 
geeignet macht. 

Man sieht also, wie viele und wie dichte Faden den Rundfunk mit der Neuen 
Musik verknupfeii. Ja, diese Beziehungen sind so enge, dafi in dem gleichzeitigen Eut- 
stehen der ,,Neuen Sachlichkeit", der Ausbreitung unci Vervollkommnung des Bund- 
funks und schliefilich audi in den immer intensiver auftretenden Mechanisierungsbe- 
strebungen in der Musik keine zufallige Erscheinung, sondern eine Art Gesetzmafiigkeit 
erblickt werden mufi. 

Die sich aus all dem ergebenden Folgerungen sind nicht schwer zu ziehen. Dem 
Rundfunk erwachst die Pflicht, einer Musik, zu deren Wiedergabe er unbedingt geeignet, 
in mancher Beziehung sogar entschieden pradestiniert ist, seine Pflege angedeihen zu 
lassen und so zu ihrer Verbreitung beizutragen. Ohne Biicksicht auf Sympathien oder 
Antipathien der fiir die Programmbildung verantwortlichen Personeu, ohne Biicksicht 
auf die vielleicht anfangs ablehnende Haltung eines Teiles des Publikums. Natiirlich 
will diese Aufgabe mit Verstand gelost sein und nichts ware falscher als hier mit der 
Tiire ins Haus zu fallen und den unvorbereiteten Horer durch AVerke, die er unmdglich 
verstehen kann, kopfscheu zu machen. Die Auswahl geeigneter Werke, ihre Zusamnien- 
stelluug mit komplementaren Werken anderer Stilperiodeu. der Blick fiir das richtige 
Mafi des einem naiven Publikum mit Aussicht auf Erfolg zu Bietenden verlangen Sach- 
kenntnis und Begeisterung. Jedes „zu viel" und jedes „zu oft" ware naturlich ein 
ebenso schwerer Fehler wie ein „zu schwer". Durch die Moglichkeit einfuhrender Vor- 
trage hat es der Bundfunk in der Hand, Entwiddungen deutlich zu machen, Zusammen- 
hange klarzulegen und so den Horer vorzubereiten. Und wird diesem klargemacht, wie 
dichte Faden sich von der Musik des 18. Jahrhunderts zu der heutigen spinnen, mit 
welchem Becht man darum von dieser als von einer Neuen Klassik sprich, dafi unsere 
neu erwadite Liebe fiir jene alte Klassik aus den gleichen Quellen entspringt wie 
unsere Begeisterung fiir die „Neue Sachlichkeit", aus der Erkenntnis, dafi unsere Zeit 
eine von Uberschwang und Sentimentalitat ebenso wie von allem nur auf Wohlklang 
berechneten Ornament befreite Musilc braucht, in der Form und Inhalt, Technik und 



194 ALICE JACOB LOEWENSON 

Ausdruck sich gegenseitig die Wagschale halten, warum deshalb die Bomantik des 
19. Jahrhunderts in unserer Wertung so lange zuriickstehen rnuK, bis eine Renaissance 
wieder sie in den Vordergnmd riickt, wenn dies alles deni Horer klar gemacht wird, 
wenn er daraiif hingewiesen wird, wie dieser musikgeschichtliche Prozefi nur im Zusammen- 
hang der ganzen Kulturgeschichte, als Folgeerscheinung des gesamten historischen Ent- 
stehens und Vergehens zu begreifen ist, dann wird auch seine Einstellung der Neuen 
Musik gegeniiber eine verstandnisvollere werden, die weder an Polyphonie noch an 
imgewohnten Harten der Stimmfiihrung Anstofi nehmen wird. 

Wenn der Rundfnnk sich seiner volkserzieherischen Aufgabe bewuftt ware, miifite 
er erkennen, dafi diese von alien aufiermusikalischen Einfliifien befreite Musik, die in 
Inhalt nnd Form nur ihren eigenen Gesetzen, nicht denen der Literatur oder der bil- 
denden Kunst, gehorcht, mithelfen konnte, das Volk zu einem naiven, gedanken- 
unbeschwerten Musikhoren zuriickzufuhren. 

Der Rundfunk, der seine Sendung richtig erfafit, kami sich nicht als Konkurrenz 
der Konzerte und Theater betrachten sondern als eine Erganzung, der die Pflege der 
von jenen vernachliifiigteii Gebiete zu allererst obliegt. Mit Wiedergaben der „Eroica K 
und des „Tristan" erfiillt er jedenfalls nicht seine Kulturaufgabe, denn hier behauptet 
die Konzert- oder Theaterauffiihrung doch eine Uberlegenheit, ftir die BUligkeit und 
Bequemlichkeit noch kein angemessenes Aquivalent bedeuten. Ganz anders, wenn der 
Rundfunk bewufit sich jener Literatur zuwendet, an der der Theater- und Konzertbetrieb 
aclitlos vorubergeht. Hier faUt die Vergleichsmoglichkeit weg und hier fullt der Rund- 
funk tatsachlich eine Liicke aus. Wenn er diese Aufgabe zugleich mit dem richtigen 
Tnstinkt fur die Forderungen der Zeit erfiillt, dann wird der Rundfunk in der Kidturwelt 
die Stellung einnehmen, die ihm durch seine technische Redeutung zukommt. 

Von dem durch die vorhergehenden Ausfiihrungen fixierten Standpunkt soil nun 
in Zukunft das Geschehen im Rundfunk begleitet und besprochen werden. 



U M SCHA U 



Alice J a c o b - L o e w e n s o n (Berlin) 

BUSONI: DIE SONATINA SECONDA 

Busonis Vorstudie zum ,,Doktor Faust' -- 

Busonis ..Sonatina seconda", das gespenstische Kind aus der Zeit der Faust-Konzeption, 
ist schon 1910 entstanden. Die iramer orchestrale Diktion — oft einem Klavierauszug 
gleichend — die Schattenhaftigkeit der nieist nur angedeuteten Thenien, die sich kaum 
mehr an die pianistische Gestaltung wendet, langatmige Parlando-Stellen und herber 
Klaviersatz machen sie zu einem Stiel'kind der Pianisten. ' Zudem ist sie in ihrer 
radikalen, wenn audi ausgeglichenen, Atonalitat und Konzessionslosigkeit der Form 



DIE SONATINA SECONDA )95 



erst etwa zehn Jahre nach ihrer Eutstehung zeitgemass und , i'iir die Interpretation 
zuganglich geworden. Der reifste Stiel des letzten Bnsoni ist darin vorweggenommen. 

Ihr Aufbau ist sehr klar. Diese ,,Sonatina" ist keine „kleine Sonate", sondern 
mehr eine Fantasie in zwei Satzen. Jeder der beiden Satze baut sich aus einer Reihe 
variation-ahnlicher Perioden auf, die rnn ein Hauptthema gruppiert sind. (Man kann 
hier freilich nur zSgernd von einem „Thema" sprechen ; der Terminus passt nicht mehr 
recht anf solche Grundgebilde.) — Der ganze erste Satz wirkt trotz der Selbstandigkeit 
seines Baues als Auftakt des zweiten, zumal seine Dynamik steigend, die des zweiten 
falleud ist. Der zweite Satz verarbeitet am Schlufi Reminiszeuzen aus clem ersten. 

Nun ist durcli Parallelstellen im ,,Doktor Faust" die Moglichkeit gegeben, den 
Inlialt der entsprechenden Stellen in der „Seconda" — soweit die Darstellung eines 
solchen iiberhaupt im "Wesen der Musik-Beschreibung liegt — wenigstens vage anzudeuteu. 

Zwei Stimmungscharaktere beherrscben die „Sonatina seconda" als Haupt-Kontraste. 
Ihre imiere Art und Affekt-Ricbtung sind durch die Vorspiele des „Doktor Faust" diktiert. 

Eine Gruppe von Perioden betont das Traumhafte, Halbclunkle, Geheimnisvolle: 
Themen und Figuration sind wie fliehende Schatten. Alles ist irreal, doch wie die 
Realitaten bereitend. Als wollten klagende Geister zux Wbldichkeit erlost werden. 

Als Gegensatz bierzu fungiert ein sehr aggressives, ruckhaft stecbendes Motiv, welches 
das „Damonische" auszudrucken scheint. Im „Doktor Faust" tritt es an Stellen auf, wo 
das Hexenhafte in Mensch, Geist, Ding in Aufruhr gerat. So beim Ziscben der 
alchymistischen Substanz im Tiegel und beim Auftritt und Weggang der ,,drei Studenten". 

In der „Sonatina seconda" tritt dieses Motiv zuerst in monumentalster Form als 
Hauptthema auf. Es ist hier wie der Ansprung des Menschen Faust gegen die Wande 
der Geisterwelt. — Dynamischer Hohepunkt wird dies Motiv am Schlufi des ersten 
Satzes, wo es zu unerhort konzentriertem „Con fuoco, energicissimo" ansteigt. 

Man konnte bei diesem Werk von einem ..stilisierten" Naturalismus sprechen. — 
Man hort ordentlich das Gold im Tiegel zischen — weifi aber zugleich jeden Moment, 
dafi dies nicht natur-nachahmender Klangeffekt, sondern geistige, geformteste Musik ist. — 
Dieses geistige Moment soldier Partieen wird in der Seconda besonders deutlich, weil 
sie hier unabhangig und losgelost von ihren illusti'ativen Urspriingen in der Oper 
erscheinen. (Ahnliches empfindet man bei Mozart'schen Motiven in Sonaten und 
Konzerten und ihi-er Beziehung zu Parallelem in seinen Opern.) 

Ein genauer Vergleich der beiden "Werke ergibt, dafi in der „Sonatma seconda" 
iiberhaupt nur wenige Takte stehen, die nicht engste thematische Beziehung zum „Faust" 
haben. Vor allem sind es die dramatiscben Situationen des ersten Vorspiels: Faust 
am Herde, mit der Beobachtung eines werdenden chemiscben Vorgangs beschaftigt und 
vollig hierm vertieft-, Wagner, die drei Studenten anmeldend; den lateinischen Titel 
des magischen Werkes nennend; das Motiv des Auftretens der Studenten; ihre Vor- 
stellung ; ihre Verehrung des Meisters ; die Andeutung ihrer Anspriiche im Jenseits und 
Fausts allmahlicbes Begi-eifen, dafi es die Sendboten des Teufels sind; im zweiten 
Vorspiel verscbiedene Stimmen (die 1, 6, 7.) der erscheinenden Geister; auch in der 
einleitenden Symphonia „Ostervesper und Fruhlingskeimen" : - alles dies und noch 
einiges andere findet sich thematisch, wenn auch keineswegs in der Reihenfolge der 



196 HANS MEHSMANN 



Oper, meist wortlich, mitunter nur angedeutet oder etwas modifiziert, in der ,,Sonatina 
seconda". 

Durch die mit deni „Doktor Faust" zusanimeiihaiigeiideii stofflichen Elemente ist 
der Stil der ,,Seconda" eigentlich noch impressionistich zu nennen, wean audi Melos, 
Polyplionie und Klanggestaltung, Harmonik und Rhythmik ein so freies, reiches und 
souveranes Geprage zeigen, wie es erst die spiitere Musik ermoglicht hat. Als ob eine 
Epoche schon nach der nachsten ihre Fangarme ausstreckt. 



II a n s M e r s m a n n (Berlin) 

MUSIKWISSENSCHAFTLIGHE LITER ATUR 

,,Carmen ist nocli immer die beliebteste Oper aid' dem Erdenrund und docb weils 
die bunte Menge, die in den Theatern ergriffen das Scliicksal der braunen Zigeunerin 
miterlebt, fast garnichts von dem noch ergreifenderen Scliicksal jenes einzigartigen 
Musikers Bizet . . ." So beginnt Edgar Ist el das Vorwort seines Buches ,,Bizet und 
Carmen", das jiingst unter den „Miisikalischen Volksbuchern" des Verlags Engelhorn, 
Stuttgart, erschien. Eine deutsche volkstumlich geschriebene Monographic des Carmen- 
komponisten tritt in eine Liicke ; die bisher vorliegende deutsche Literatur ist gering. 
Istel findet einen guten Ausgleich zwischen Wissenschaftlichkeit und Volkstiimlichkeit. 
Eine kleine monographische Studie zeigt den Aufstieg bis zu Bizets Hauptop'er. Weitere 
Kapitel decken die Zusammenhaiige zwischen dem Textbuch und der Novelle von 
Merimee auf. Die Geschichte der Oper, ihre Auswirkung, des jungen Bizet bald darauf 
folgender Tod vollenden das Buch. Der in Spanien lebende Verfasser beschaftigt sich 
ausfiihrlich mit den Einfliissen spanischer Volksmusik auf die Carmenpartitur und gibt 
durch Notenbeispiele anschauliche Gegeniiberstellungen. Das Buch ist leicht und fliissig 
geschrieben und kommt als „Volksbuch" den Absichten der Herausgeber in weitem 
Mafie entgegen. 

Bobert Haas gibt (im Verlag Gustav Bosse, Regensburg) ein Verzeichnis der 
Es te n si sch en Musik alien. Sie stammen aus ein em Schlofi der italienischen Adels- 
familie Obizzi bei Padua aus der Zeit um 1700. Derartige Inventare sind fur die 
niusikgeschichtliche Forschung von grofiter Bedeutung. Sie geben einen Querschnitt 
durch die Produktion einer Zeit, einen Einblick in die Musikpflege, zeigen, was von 
dem Werke vergangener Generationen erhalten geblieben ist. In diesem FaU ist das 
Bild von grofier Gesclilossenheit; die Sammlung enthalt viele unbekannte Namen, um 
deren Indentifizierung und Einordnung sich der Herausgeber bemiiht. Die Entstehungs- 
zeit der hier gesammelten Musik liegt zwischen 1650 und 1725 und umschliefit da- 
durch eines der interessantesten Kapitel aus der Frub geschichte der Kamniermusik : die 
Entstehung und Festigung der viersatzigen Kirchensonate vom Typus Corellis und die 
Stellung dieses Sonatentypus zu der benachbarten Sonata da camera, zur reinen 
Viblinsonate und zum Konzert. Der Katalog ist als thematisches Verzeichnis gegeben, 
um dessen Veroffentlichung sich der Verlag ein gi'ofies Verdienst erworben hat. 



..ARNOLD SCHDNBERG: DIE GLUCKLICHE HAND" 197 

Als eine wissenschaftliche Leistung hohen Ranges enveist sich die elfte Auf- 
lage von Hugo Hiemaims Musiklexikon, dessen vier erste Lieferungen bisher 
vorliegen. Diese 240 Seiten gehen noch nicht tibei- die beiden ersten Buchstaben des 
Alphabets hinaus. Doch soil auch diese Auflage, die zweibandig gedacht ist, noch 
immer so weit als moglich handlicb bleiben (Max Hesses Verlag, Berlin). Der Vergleich 
dieser Auflage mit der vorangegahgenen lafit die enorme Arbeitsleistung des Heraus- 
gebers, Alfred Einstein, von fern erkennen. Kaum ein Artikel ist unverandert ge- 
blieben. Uberall hat sorgfaltigste Nachprufung, Berichtigung, Erganzung eingesetzt. 
Die Ergebnisse des von dem gleichen Herausgeber bearbeiteten Neuen Musiklexikons 
sind eingearbeitet worden. 

Die Bedeutung dieser neuen Auflage liegt darin, dafi sie auf dem natiirlichen mid 
begriil&enswerten Weg von Riemanns zu Einsteins Musildexikon einen entscheidenden 
Schritt bezeichnet. Schon die bis jetzt vorliegenden Anfange lassen erkennen, dafi diese 
Wandlung im Begriff ist, sich zu vollziehen. Wenn das Lexikon wirklich lebendig 
bleiben will, so ist dies der einzige Weg. Gerade auf dem Gebiete der Terminologie 
und Musiktheorie mufiten die teilweise unfruchtbar einseitigen oder sogar tendenziosen 
Artikel Riemanns ersetzt werden, weil sie unserer Zeit nicht mehr entsprechen. Dariiber 
hinaus ist das Lexikon eine Angelegenheit zielsicherer raumlicher Ukonomie. Die 
Forderung der Gegenwartigkeit, die Einbeziehung zeitgenossischen Schaffens macht 
Raumvertedung zum Problem. Hier ware vielleicht an manchen Stellen noch starkere 
Konzentration moglich und empfehlenswert. Es ist wohl nicht unbedingt notig, dafi 
ein Koinponist von notorischer MittelmaiSigkeit einen Artikel von mehr als fiinfzig 
Zeilen mit vollstandig auf gefidir tern Werkeverzeichnis, einschliefilich der Jugendwerke, 
erhalt. Hier konnten ldeine Beschneidungen die Wesentlichkeit des grofiziigig ange- 
legten Werkes erhohen. 

Zwei kleinere Schriften verdienen noch eine Erwahnung. Die erste ist das 
Januarheft der „Pad agogischen ¥arte". welches den Fragen des evangelischen 
Kirchenliedes gewidmet ist. Das Heft wird mit einer gut orientierenden Studie Friedrich 
Blumes iiber den evangelischen Gemeindegesang in Geschichte und Gegenwart eingeleitet. 
Die andere ist das dritte Beiheft zu der Zeitschrift „Bucherei und B il dungs - 
pflege" (Stettin), in welchem Wolfgang Engelhardt ,,Beetho venliteratur in 
der Volksbucher ei" zusammenstellt. Die kleine Schrift aber ist viel mehr als eine 
Literaturzusammenstellung. Engelhardt • macht zu den Biichertiteln ausgezeichnete An- 
merkungen und gibt einen einleitenden Aufsatz, der sich dem Besten, was das 
Beethovenjahr gebracht hat, an die Seite stellt. 



Peter Epstein (Breslau) 

ARNOLD SCHONBERG: „DIE GLUCKLICHE HAND- 

Reichsdeutsche Urauffxihrung in Breslau 

Frans Masereel hat in einem Holzschnittwerk das Schicksal des Kiinstlers geschil- 
dert. Der Scbopfer entlaftt tranenden Auges die eben gefundene idee in eine Welt, 



198 PETER EPSTEIN 



wo ihr tausend Gefahren drohen. Sie lebt mid iiberwiudet Holm und Verfolguug, 
wahrend ihr Schopfer das Argste fur sie eileidet. Doch als sie nach bewegten Ge- 
schicken endlich in die Zelle ihres Erzeugers zuriickkehrt, da hat er, ihrer vergessend, 
eine neue Idee geboren, die nun sein ganzes Denken erfullt. Auch sie mufi er der 
feindlichen Welt iiberliefern ; das abermalige Opfer schliefit den Kreislauf. 

hi Arnold Schonbergs Drama mit Musik „Die ghicldiclie Hand" ist ein ahnlicher 
Gedanke gestaltet. „Ein von Ungliick geschlagener Mann rafft sich auf. Das Gliick 
lachelt ihm wieder. Er vermag Leistungen zu vollbringen wie in friiheren Zeiten. 
Doch abermals erweist sich alles als triigerisch, und von neuen Schicksalsschlagen ge- 
troffen, bricht er zusanimen." (So Erwin Stein nach Worten Schonbergs.) Was der 
Mann in dieser bewegten Handlung auch schuf und ersehnte, am Ende begrfibt wiederum 
die Last des Schicksals seinen Leib. Und wieder wird der Kreislauf begiiiiien, wie das 
Martyrium des Kiinstlers in jener Bddfolge aufs Neue anhebt. 

Was aber der Graphiker in mehr denn 80 Szenen erzahlt, der Musiker driingt es 
in den Ablauf von 23 Minuten zusanimen. Aufstieg aus tiefster Erniedrigung, Gliick 
und Sturz in die Tiefe des Anfangs ziehen in dieser kurzen Spanne voruber. Eine 
unerhorte Intensitat des Aul'nehmenden wird bei dieser Partitur von 255 Takten 
vorausgesetzt. Zum ersten Mai seit der wenig benierkten Urauffiihruiig Turnaus in 
Wien hat sich ein Publikum zu dieser Aufgabe bereit gefunden. Oder vielmehr : Josef 
Turnau, ' der heutige Intendant der Breslauer Oper, glaubte die erste deutsche Auf- 
iihrung wagen zu diirfen, ja mehr: er gab ihr durch Schonbergs erklarende Worte und 
die zweimalige Darbietung des Werkes den Charakter einer Lehrstunde im neuen Horen. 
Somit war es moglich, unter den gunstigsten Voraussetzungen das Werk Schonbergs 
auf seine klingende Wirkung zu priifen. 

Fehl ginge, wer das Klanghche dieser Sckopfung in den Vordergrund riickte. 
Schonberg hat ja nicht allein die Musik dieses Dramas geschrieben, er hat auch die 
Handlung und die Worte geschaffen, hat den Schauplatz, die Farben und die Beleuch- 
tung mitkomponiert. Damit ist er weit iiber sein Monodrama „Die Erwartung" hinaus- 
gegangen, dem noch ein fremder, freilich Schonbergs seelischer Haltung sehr ver- 
wandter Text zugrunde lag und in dessen Biihiiengestaltung dem Nachschaffenden viel 
mehr Freiheit verblieb. Ein Monodrama ist auch „Die gluckliche Hand" insofern, als 
der Mann allein handelt und die Figuren des Weibes, des Verfuhrers, der schmiedenden 
Manner nur als seine Uniwelt Bedeutung haben, stumm bleiben. Sie sind gewisser- 
mafien der lebendige Gipfel der „Szenerie". Sie sind ein Ted jener AuSenwelt, aus 
der dem Mamie, um dessen Leiden und Handeln es in diesem Stiicke geht, sein Schick- 
sal entspringt. Und entscheidend ist, dafi Alles in diesem Drama durch das Medium 
des Mannes gesehen, empfunden, gespiirt und zum kiinstlerischen Ausdruck geformt ist 
— mit Ausnahme der beiden Bahmenszenen, in denen der Chor mit Anklage, Urteil 
und Frage dem Geschehen aus seiner objektiven Schau einen Sinn geben mochte: ge- 
wissermafien die hohere, jenseitige Ordnung aufrichtet, in der (wie im antiken Drama) 
das Diesseitige aus seiner Zufalligkeit erlost und der ewigen Gesetzlichkeit eingeordnet 
wird. „Du armer Buheloser" besagt Anfang und Ende des in seiner Grundeinstellung 
pessimistischen Werkes; dazwischen liegt alles Erleben eines Daseins, alle Traume des 
Gliicks, aUe Sehnsucht, mit der „glucklichen Hand" den herrlichsten Besitz zu fassen. 



ARNOLD SCHONBERG: „DIE GLDCKLICHE HAND" 199 

Vernichtung ist das Ende, und des Chores ernste Frage : „Mufitest du's wieder erlehen, 
was du so oft schon erlebt ? Kannst du niclit verzichten ? nicht dich endlich bescheiden ? 
Ist kein Friede in dir! noch inimer nicht? Suchst zu lass en, was dir nur ent- 
schliipfen kann, wenn du's haltst . . . . Fassest nur, was du greifst, fuhlst du 
nur, was du bemhrst ?" Diese Worte kntipfen an die Begiebeme.rkung gegen Ende des 
zweiten Bildes an : „Der Mann achtet nicht, dafi sie fort ist. Er hat sie" — vermeint- 
lich — „an seiner Hand, auf die er ununterbrochen hinsieht." Sein Schlufiwort in 
dieser Szene „Nun besitze ich dich ganz!" ist tragischer lrrtum, die gliickliche Hand, 
mit der er die Frau zu beruhren glaubte, hat ihn getauscht. 

Die Stelle mufite so ausfuhrlich besprochen werden, weil sie nach des Kompo- 
nisten Aussage den Titel „Die gliickliche Hand" erklart, jenen Titel, der von den 
Dunkelheiten des Dramas am dunkelsten ist und durch Schonbergs an jene Regie- 
bemerkung ankniipfende Deutung noch symbolbeladener, dunkler wird. Es gibt Be- 
schreibungeii der „Glucklichen Hand", wie die von Egon Wellesz („Arnold Schonberg". 
1921) und Erwin Stein (Sonderheft 1927/28 - 14 der Blatter des Breslauer Stadt- 
theaters), die an jenem Zusammenhang voriibergehen, der in Schonbergs Sinue der 
Angelpunkt des Geschehens in der „Ghicklicheii Hand" ist und ihr den Namen gab. 
Wahrscheinlich hat Schonberg in seiner Breslauer Bede zum ersten Male so den Schluftel 
des Dramas gegeben. 

Die nachpriifende Betrachtung hat Grund, sich audi weiterhiii an Schonbergs 
"Worte zu halten. Als Aufgabe des Musikers auf dem Theater schwebt ihm vor, „mit 
den Mitteln der Bidine zu musizieren". AVie Tone, im Grunde nur Luftschwingungen, 
durch die Art Hirer Verbindung kiinstlerische, seelische Eindriicke hervorrufen konnen, 
so mufien audi andere Materien zum Mittel des Ausdrucks werden, bringt man sie 
nach tieferen Gesetzen in Verbindung. Das musikalische Kunstw r erk der Buhne wird 
der erzielen, der idler die Skala des Mienenspiels, den Rhythmus des Lichts ebenso 
souveran gebietet, wie iiber das Beicli der Klange. Das Kunstwerk, das so entsteht, 
wird dem „Expressionismus" angehoren oder — mit Schonberg zu reden — sich die 
Darstellung der inneren Vorgange zum Ziel setzen. Die ..Gliickliche Hand" ist expres- 
sionistisch, besser: sie war es schon, ehe noch die Sturmflut der ungehemmten Geiuhls- 
ausbriiche einsetzte. Denn dieses Drama ist 1913 vollendet! 

Schonbergs op. 18 steht im Mittelpuukt jener Schafl'ensperiode von op. 15 — 22, in 
der sich der Meister von aller musikalischen Tradition in Form, Harmonik und Melos 
in stiirmischem Fortschreiten entfernte. Llnidiertroffen ist bis zur Stunde die Kiilinheit 
dieser Partitur — und doch scheint sie heute, nach lunfzehn Jahren und ihreni Ge- 
schehen, einer versunkenen Zeit anzugehoren. Schonberg selbst spricht von den 
,,romantischen" Ziigen seiner Konzeption, empfiehlt ironisch dem Kritiker, dies Werk 
der Vorkriegszeit als „schon sehr veraltet" abzustempeln. Doch ist es so uberheblich, 
wenn wir heute in der Tat wo anders zu stehen glauben ? Steht nicht SchOn berg selbst 
als ein Anderer da? Nichts Einzelnes ist es, was heute stort: im Gegenteil: neuere 
Musik ist seither nicht geschrieben worden, freier (und gleichwohl belierrscht) ist 
Orchestersprache nicht denkbar. Der Widerspruch aber liegt zwischen Gegenstand und 
Mitteln des Kunstwerkes. Wenige Horer - der stumpfen oder boswilligen gar nicht zu 
gedenken — sind der Aufgabe gewachsen, das Geschehen der kurzen Handlung in so 



200 PETER EPSTEIN 



unerhorter Konzentration zu begreifen. Es ginge, wenn alle Einzelheiten vor dem 
grofien- Gedanken verschwanden. Die Szene aber haftet noch an Einzeldingen : da be- 
hangt sicli der Mann niit Turkenkopfen, vollbringt in der Schmiede eine sehr reale Tat, 
die symbolisch seine Kraft bezeugen soil; da sind in einem Biihnenbild, das „nicht die 
Nachahmung eines Naturbildes, sondern eine freie Kombination von Farben und 
Formen" seiu soil, dennoch Nadelbaume mit silbergrauen Asten vorgeschrieben. 

Das sind aufiere Widerspriiche ; der innere liegt darin, dafi ein solch ungeheurer 
Apparat fiir eine so nach innen gerichtete Angelegenheit in Bewegung gesetzt wird. 
Schonberg dringt an die Grenzen des seelischen Geschehens vor; seiner differenzierteu 
Psychologie vermag nur ein ebenso differenziertes (neunzigkopfiges) Orchester gerecht zn 
werden, das gewissermaGcn in jede Verastelung des Denkens und Fiihlens folgen kann. 
Und dieses Riesenorchester musiziert nach innen! Wie bezeiclmend die dreifache 
Relation dynamischer Abstufung : Hauptstimme — Nebenstimme — Begleitung. Ein 
piano der Hauptstimme setzt leiseren, doch deutlich abgehobenen Vortrag der Neben- 
stimmen, noch leiseren Untergrund der Regleitung voraus. Dies Verhaltnis der drei 
dynamischen Stufen ist konstant und ermoglicht, aus dem riesigen Klangkorper, die 
feinsten Schattierungen herauszuholen. Doch heute herrschen Realitaten; der Luxus 
eines ungeheuren Aufgebots fiir ein "Werk mehr des Herzens, denn der Lungenkraft, ist 
heute iiberwunden, ja er steht der wahren Erkenntnis des Kunstwerks im Wege, fiihrt 
die unentrinnbare Komplikation mit sich. Schonbergs Apparat ist unerschopflich in 
seinen Moglichkeiten, reich wie das Leben der Seele selbst, um das es hier geht. Doch 
kein Kunstwerk war je so vermessen, diesen Reichtum ausschopfen zu wollen! 

Ein Beispiel, das wiedemm Schonberg in seiner Rede gab, otfenbarte den Abstand 
zwischen der Vorstellungswelt des Komponisten und der Fassungskraft selbst des 
willigsten Horers. Der Sprechchor des ersten Bildes ist untermalt von einem durch 
die ganze Szene festgehaltenen Akkord der Streicher : Gis — fis — cis' — g 1 — h 1 . Er soil das 
musikalische „Ostinato" darstellen, das dem szenischen Ostinato der starr auf das Opfer 
gerichteten Blicke entspricht. Das aufmerksamste Ohr wird in manchen Takten dieses 
pianissimo-Klangs nicht einmal als Farbe gewahr werden; er lebt stellenweise nur in 
der Phantasie des Schopfers, ist — ideell ein unentbehrlicher Teil der Partitur — im 
realen Shine iiberfliissig. 

Die Darstellung der „Glucklicheu Hand" im Breslauer Stadttheater wai" eine Tat 
des jungen Spielleiters Herl^ert Graf. Fritz Cortolezis leitete iiberlegen das ausgezeich- 
net studierte Orchester. G. H. Andra gab, der Einheit von Gesang und Spiel wold 
bewutet, den Mann, Inge Swedlund tanzerisch die Frau. Hans Wddermanns Bidmen- 
Jdlder wurden ohne sklavische Auslegung der anspruchsvollen Forderung des Textes 
gerecht; wundervoU wandlungsfahig in der exakt befolgten Dynamik des Lichts der 
phantastische Schauplatz der dritten Szene. Die Wiederholung war geeignet, die Ge- 
schlossenheit dieser Auffiihrung nachdrucklich zu ervveisen; sie offenbarte zugleich die 
unerbittliche Eigengesetzlichkeit des Schonberg'schen Werkes. Doch da6 der Kreislauf 
audi dieses Berichtes geschlossen sei : in Masereels „Idee" zeigt das Schlufibdd den 
Wiederbeginn des Spieles an. In Schonbergs Schlufitakten pocht leise, doch unaufhorlich die 
Bratsche; ihr Rhythmus scheint weiterzugehen, wenn das Stiick langst geendet. Ein Quar- 
tenakkord lebt iiber den Schlufi hinaus, ^ r erhei6t neuen Beginn, neues Werden und Vergehen. 



ARTHUR HONECGER: „JUDITH" 20,1 

Ernst Latzko (Leipzig) 

ARTHUR HONEGGER: „JUDITH • 

Die deutsche Urauffuhrung in Leipzig 

Fiir den, der Honeggers „Konig David" keiint, bietet die ..Judith'' in keiner Be- 
ziehung eine Uberraschnng. Die beiden Werke teilen nicht nur das biblische Milieu, 
noch viel auffallender ist die beiden gemeinsame Metamorphose, die dort aus einer 
Schauspiehnusik, hier aus einer Oper ein dem Oratoriuni ahnliches Werk entstehen 
lafit. Am bewunderungswiirdigsten der Instinkt fiir die Bediirfnisse der heutigen Zeit, 
den Honegger dabei beweist. Das Gefiihl, da£ die heutige Baschlebigkeit und INervo- 
sitat selbst dem biblischen Stoff nicht die Dimensionen und den langen Atem der Passion 
oder des Oratoriums friiherer Zeiten zubilligt, fiihrt auch bei der ..Judith" zu einem 
Werk von nur etwa einstundiger Auffiihrungsdauer, das in 13, auf&erlich und innerlich 
stark contrastierende Nimmeni eingeteilt ist. Das hat Schattenseiten und Lichtpunkte. 
Zunachst konnte die Umwandlung aus einer Oper in ein Werk des Konzertsaales 
nicht ohne Gewaltsamkeit vor sich gehen: die Ersetzung der hier fchlendeu Haudlung 
durch einen ,,Erzahler", der aber nicht wie seiu Vorganger — der Evangelist der 
Passion — seinen Part siugt sondern sprichl. Der dadurch bedingte fortwahrende 
Wechsel von Musik, Bezitation und Melodram ist zuerst nicht ohne Beiz, wirkt auf 
die Dauer aber nicht als logischc Notwendigkeit sondern uneinheitlich. Die kurze 
Dauer der einzelnen Nummern gibt dem Werk ausgesprochen aphoristischen Charakter. 
wirkt dem Aufkommen jeder I^angweile entgegen, unterbindet aber fbrmale Gestaltung 
und Aufbau. 

Verbliiffend die Geschicklichkeit Honeggers, die miisikalischen Ausdrucksmittel 
zweier Jahrhunderte so zu amalgamieren, dafi ein ausgesprochen modern wirkendes 
organisches Etwas dabei herauskommt. Dieses Werk vereinigt die Dreiklange der 
Klassik und Bomantik ebensogut mit den schwelgerischen Harmonien der neudeutschen 
Musik und den zarten Pastellfarben des Impressionismus wie mit den Quartenharmonien 
Schonbergs und den geraden, strengen Ijinien alter und neuer Sachlichkeit. Trotz aller . 
dieser prinzipiellen Einwande ein Werk, das die biblische Stimmung ausgezeichnet trill't, 
das, ohne zu erwarmen und zu begeistern, von der ersten bis zur letzten Note inte- 
ressiert. Gewissermafeeu ein Versuch, auch das Oratorium, das sich lfinger als andere 
musikalische Formen in einer Sphare der Zeitlosigkeit. absoluten Schonheit und Lang- 
weile behauptet hat, dem Tempo und Bhythmus der heutigen Zeit zuzufiihren. 

In Harmonik, Bhythmik und Melodik zeigt dieses Werk die Eigentiiinlichkeiten 
friiherer Ilonegger'scher Arbeiten. Man findet wieder seine Vorliehe fiir Gegenbew r eg- 
ungen, die sich in harmonischer wie melodischer Beziehung charakteristisch auswirken, 
man begegnet seinen eigentiimlichen Umkehrimgen des punktierten Rhythmus, die den 
kurzen vor den langen Notenwert setzen und man bemerkt fast auf jeder Seite sein 
Sympathisieren mit ostinater Wiederholung kurzer melodischer und rhythmischer Floskel. 
Aber alle diese Eigenheiten sind noch nicht zur Manier erstarrt unci vorderhand wohl 
geeignet, der musikalischen Dilction Honeggers ein charakteristisches und sympathisches 
Profil zu verleihen 



202 OSKAR GUTTMANN 



Ausgezeiclmet ist die Iustrumeutation, die nicht nur klingt sondern alien Stim- 
mungen nachkommt und der geschickte Chorsatz fuhrt, ohne den Ausfuhrenden in 
musikalischer wie stimmlicher Beziehung allzuviel zuzumuten, zu prachtvollen Wirkuiigen. 
Angenehni fallt audi die Behandlung der Singstimme auf, nur die Titelpartie durfte 
ihres grofien Uml'anges nacli Tiefe und Hohe wegen wenige ideale Vertreterhinen findeu. 

Im einzelnen sei auf die Trostlosigkeit des „Trauergesanges" hingewiesen (Nr. 4 des 
im Verlag Otto Junne in Leipzig erschieneiien Klavierauszuges, dessen deutsche Uber- 
setzung — leider rein mechanisch hergestellt — unerfreuliche Deklamationsfehler ent- 
halt), auf die beabsichtigte Monotonie der „Anrufung" (Nr. 5), die in ihrer rhythndsch 
einformigen Wiederholung des gleichen Tones an die Besponsorien der katholischen 
Kirche erinnert, an die ,,Szene an der QueUe" (Nr. 8), die mit ihrer aus der Feme 
heruberklingenden Tenorstimme ein Stiick von unverfalscht irapressionistisclier Wirkung 
darstellt, schliefilich an den „Siegesgesang" (Nr. 13), in dem die Lobpreisung der Judith 
sich mit dem „Hosianiiah" des Chores zu einem gewaltigen Hohepunkt vereinigt. 
Alles in allem ein ungemein sympathisches und audi erfolgsicheres Werk, dem zu 
letzter, tiefer, echter Wirkung leider zwei Momente fehlen : Einheit des Stiles und Logik 
der Form. 

Leider vermochte die Aufluhrung (Biedel-Verein und Sinl'onieorchester unter Leitung 
von Max Ludwig im Bahmen der Philharmonischen Konzerte) nur ein sehr Masses Bild 
dieser Musik zu geben. Am besten sdinitt nodi der gut studierte Chor ab, bei dem 
allerdings die mannlicheii Stimmen den weiblichen auffallend unterlegen waren. Dirigent, 
Solisten und zu allererst der unmusikalisdie Erzahler standen dem eigenartigen Stil 
dieses Werkes ziemlich ratios gegeniiber und ersetzten Klarheit und Schlichtheit durdi 
hohles Pathos und Sentimentalitat. Statt scharfer Konturierung, plastisdier Heraus- 
arbeitung der Gegensatze, die diese Musik so dringend braucht, romantisch-impressio- 
nistisdie Versdiwommenheit, die sich vor allem in der Nivellierung der dynamischen 
Gegensatze und Verschleppung der Zeitmafie aufierte. Der schlimmste Fehler war es 
aber, diesem Werke Liszts ,,Preludes" und drei Chore von Hugo Wolf vorauszuschicken. 
Trotz aller dieser negativen Momente : Die Auffiihrung des wertvollen, fur das Gegen- 
wartsdiaffen markanten Werkes mufi den Verantwortlichen als holies Verdienst ange- 
rechnet werden, fiir das die dicht besetzte Albert-Halle audi durch iiberaus herzlichen 
Beifall dankte. 

O s k a r Guttmann (Breslau) 

FRITZ CORTOLEZIS: ,,DER VERLORENE GOLDEN" 

Eine Woche nach Schciiibergs ..Gliickhcher Hand' - und dem szenischen „Josua" von 
Handel folgte diese Spieloper; inchts zeigt besser die Verwirrung im Opernschaffen 
unserer Tage und die Sinnlosigkeit, mit der heute ein Opernbetrieb zusammengehalten 
werden mufi, weil es das Publikum (nicht die Opernleitung! die darf ja nicht anders!) 
so will, das seinerseits von einer der neuzeitlichen Musik verdutzt gegenidierstehenden 
Presse in seinem hergebrachten Trott nur bestarkt wird. 

Die Absicht, die Cortolezis und seine Textdichterin Beatrice Dovsky bei Abfassung die- 
ser Spieloper hatten, ist gewili zu begriiften. Das Singspiel in edelster Form soil wieder be- 



ZEITSCHAU 20,' : 



lent, die Volksoper soil gefordert werden. Warum nicht? Es komiiit nur darauf an, was da- 
bei herausgekommen ist. Bei einer solchen Oper ist das Libretto sehr wichtig, es mul5 not- 
wendig packend und gut mid vor allem nicht albern sein, od'er es ist nicbts mit der 
ganzen Gattung. In dieser Spieloper gibt es aber zunachst drei Wiener Madel, die haufi'g 
Terzett singen. Dami gibt es eine Schusterstochter — der Vater ist das, was man in 
der Wiener Stadt eineii' Rauhzer nennt — die den Gesellen liebt. Sie trifl't aber ihrer- 
seits auf den nach Wien waiiderndeii jungen Hans Sachs und kiifit ihn und liebt ihn 
so lange, bis dieser zu Gunsten des anderen Gesellen verzichtet, die Hochzeit mit Hili'e 
eines verlorenen Geldstiickes zu stande bringt und miter Absingen eines Liedes aid' 
Wien davon zieht: „Dafi dies Wien gedeih und wachs, wiinscht heut und allezeit Hans 
Sachs". 

Eine Iuhaltsangabe ist noch keine Kritik, hier aber ist es schon diese ganz kurze. 
Man will ja schliefilich ernst bleiben, obwohl das nicht immer leicht ist. So wird man 
die deutsche Spieloper nicht beleben. 

Auch mit dieser Musik nicht. Sie hat nicht einmal hervorragende Mangel, sie 
klingt, oft freilich klingt sie zu gut, aber sie hat kein Gesicht, kein Profil und pendelt 
urn die Gefuhlssphare lieruni, die man mit dem Naraen Kienzl nicht gern bezeichnet. 
Dabei ist die Beschraiikung aid' sieben Holzblaser, zwei Horner, zwei Trompeten nur zu 
loben. Die Volksoper wird man dabei nicht fordern, daran wird auch der aufiere 
Puhlikuniserfolg, den das Werk ohne Zweifel hatte, nichts andern. Von dem Geschmack, 
der eine solche Musik und eine solche Oper iiberhaupt schatzt, zu dem, der Schonberg 
als einen wichtigen Exponenten lieuzeitlicher Musik ernsthaft und respektvoll wertet, 
gibt es gar keine Briicke. Die heutige Jugend hat vor den „Alten" immer noch Respekt 
genug, nm selbst ein solches Werk, wenn auch leicht lachelnd, zu tolerieren. Dies 
wiirdige Alter aber kann es nicht vertragen, da6 ihm neues geboten und von ihm ver- 
langt wird, sich in ihm Ungewohntes einzuiuhlen. Daher sind die Alten immer grober 
und hohnischer gegen das Kommende, als dieses gegen das Gewesene. Es gilt Schillers 
Worte ernsthaft, wenigstens in der neuzeitlichen Kunst, zu revidieren: „Schnell fertig 
ist das Alter mit dem Wort". 



M U S I K L E B E N 



H e i n r i c h S t r o b e 1 (Berlin) 

ZEITSCHAU 

Der Preufiische Beethovenpreis wurde in diesem Jahre dem greisen Arnold 
Mendelssohn in Darmstadt und dem jiingeren Heinrich Kaminski in Ried bei 
Miinchen zuerteilt. Die Kommission behielt das Vertedungsprinzip des Vorjahres bei. 
Sie erkennt den Preis einem Musiker der alteren und einem der gegenwartigen Generation 
zu. Arnold Mendelssohn kommt zu einer spaten und verdienten Ehrung. Hervorragender 
Padagoge, ist er der Lehrer von Paul Hindemith. Man hatte freilich gern eineii jungen 
Komponisten unter den Preistragern gesehen, der noch mitten im Kampf um seine 



204 HEINRICH STROBEL 



kiinstlerische Position steht, der gerade in diesem Augenblick der immerhin nicht un- 
betrachtlichen finanziellen Unterstiitzung besonders bediirftig gewesen ware. Kaminski 
ist liingst anerkannt. Er hat Beziehungen zum neuen Stilw.ollen. Aber er ist eigentlich 
kein Reprasentant der jungen Generation. Wir grufien in ihm einen Musiker, der un- 
beirrt semen Weg ging. Das Resultat der Preisverteilung ist auf alle Falle weit gliick- 
licher als im vorigen Jahre. Seinen wirklichen Zweck wiirde der Beethovenpreis abet- 
erst erfiillen, wenn er unbekannten, strebenden Kraften den Aufstieg erleichterte. Man 
niufi diese Talente snchen. Dazu bedurfte es allerdings einer etwas aktiver besetzten 
Komraission. Es gilt zu fordern, was nicht in traditionellen Bahnen schreitet, in denen 
die Akademie immer noch das Ileil erblickt. 

Das deutsche Theater ist auf der Suche nach zugkraftigen Stricken. Man kann 
nicht ewig „.Jonny" geben, obwohl volkische Radaulustigkeit unentwegt fur ihn Reklame 
macht. Immer wieder : es fehlt an Stricken, die aus der Zeit wachsen und allgemein 
verstandlich sind. Man greift zuriick zum viel geschmahten 19. Jahrhundert, das wir, 
trotz der Gegenlage, da bewundern, wo es wirklich grol&e Werte geschaffen hat. In 
der Musik sind es, gemessen am unbegreiflich reichen 18., freilich nicht allzuviele: 
Schubert, Bruckner, Verdi. Die Kurve Verdis steigt immer noch. Vor einigen Tagen 
gab man in Barmen-Elberfeld Verdis „Rauber", die vor den drei mittleren Meister- 
opern entstanden sind, mit starkem Erfolg. Nach dem shakespearischen Verdi wird 
der schillersche entdeckt. („Luisa Miller" in Berlin). In der Berliner Stadtischen Oper 
soil noch in dieser Spielzeit der „Simone Boccanegra" in der Bearbeitung von 
Franz Werfel kommen. Dresden macht ..Macbeth". 

Zwei beachtliche Premieren stehen in Wiesbaden bevor. Zwei Versuche, zeit- 
genossische Oper zu schaffen. Beide Male Einakter, und das gewifi nicht zufallig. 
Wir haben die fiinfaktige Breitfliissigkeit Wagners satt. Zuerst bringt Intendant Bekker 
die drei Operas-minutes aus antiken Stoffkreisen von Darius Milhaud. Eine. die 
„Entluhrung der Europa" wurde schon beim letzten Baden-Badeuer Fest gegeben. Spater 
im Mai, die drei Einakter von Ernst Krenek. 

Der bisherige Wiesbadener Opernspielleiter Dr. Hans Schiiler, wird iibrigens 
als Opernintendant nach Konigsberg gehen. Er ist ein sehr begabter Opern- 
regisseur. Er wird hoffentlich in das konservative Musikleben der deutschen Oststadt 
etwas lebendigen Zug bringen. Die Dirigentenverschiebungen haben sich konsolidiert. 
Bruno Walter, lebhaft nach Wien tendierend, hat fur ein weiteres Jahr mit Berlin 
abgeschlossen. Er stellte recht ansehnliche Forderungen. Schliefilich wurden sie Jie- 
willigt — und er wird trotzdem nur 180 Tage in Berlin sein. Furtwangler soil an 
der Wiener Staatsoper mehrere Neuheiten dirigieren. Der Mannheimer Generalmusik- 
direktor Ernst Lert geht nach Breslau an die Stelle von Fritz Cortolezis. 

s- 

In einer Reihe von Tageszeitungen war zu lesen, dafi Otto Klemperer die durch 
Scheinpflugs Weggang frei gewordene Generalmusikdirektorstelle in Duisburg iiber- 
nehmen werde. Diese Meldung ist selbstverstandlich falsch. Sie ist, ebenso wie die 
Glossen, die viele Tageszeitungen bei dieser Gelegenheit machen. symptomatisch fiir 



NACHBICHTEN 205 



die planmafiige Hetze, die seit einiger Zeit in Berlin und in der Provinz gegen die 
aufbauende Arbeit Klemjierers betrieben wird. Als Klemperer vor etwa vier Wochen 
einen ihm vertragsmaBig zustehenden Erholungsurlaiib antrat, setzte sie ein. Man 
sprach von „Mifierfolgen", von „Berlinmudigkeit". Man versicherte, das Kultusministerium 
werde Klemperer unter diesen Umstanden sicher aus seinem noch 9 Jahre laufenden 
Vertrag entlassen. In einer Bheinischen Zeitung wurde pathetisch geschrieen : „Hande 
weg" von diesem Mann, der den „Kulturb anker ott der Reichshauptstadt" ins Rheinland 
tragt, wenn ihn Dnisburg engagierte. Was sie aber nicht hinderte, ein paar sparer Tage die 
lautesten Hymnen anf Klemperer zu singen, Strawinsky konne sich bei ihm bedanken, 
daft er den „Oedipus" mit ,,deiitschem Ernst, mit eiserner Energie und kongenialem 
Kiinstlertum hocb fiber jede Sensation gestellt habe". Weder das Kultusministerium 
noch Klemperer wird sich durch die Quertreibereien reaktionarer Kvdturpolitik irre 
machen lassen. Klemperer kehrt, alien stillen und offeiien Wfinschen zum Trotz, nach 
Ostern zuriick und bereitet die Berliner Premiere von Hindemiths „Cardillac" vor. 

* 

Siegfried Ochs kann in diesem Monat seinen 70. Geburtstag in v oiler Frische 
feiern. Grander und Leiter des (inzwischen liquidierten) Berliner Philharmonischen 
Chores, ist er einer der fiihrenden deutschen Chorpadagogen. An der Wiedererweckung 
Bachs und Handels hat er hervorragenden Anted. Er war einer der ersten, die alte 
Musik konsequent pflegten. Er ist aus der Geschichte des deutschen Konzertwesens um 
die Jahrhundertwende nicht hinwegzudenken. 

Eine lustige Episode, typisch fur die Unentwegtheit gewisser konservativer Lager, 
wenn es Gegenwiirtigkeit zu bekampfen gilt. Das goldne Wiener Herz prozessiert wegen 
Profanierung der guten alten Zeit. Der Leipziger Operndirektor Briigmann liefi in 
seiner „Fledermaus"-Inszenierung im zweiten Akt einen amerikanischen Schlager singen. 
Fix waren der Verleger Josef Weinberger und die Witwe Johann S t r a u 6 mit einer 
Klage auf dem Plan: „wegen materieller und ideeller Schadigung 3000.— M. Schaden- 
ersatzanspruch". Feierliche Verhandlung in Berlin. Die Textdichter der „Fledermaus" 
Carl Haf fner vind Bichard Genee sind schon iiber dreiftig Jahre tot. Also ist ihre 
geistvolle Dichtung fur Neubearbeitungen frei. Kostenpflichtige Abweisung der Klager. 
Ob diese grofien Idealisten die Tantiemen der Leipziger Aufluhrung, die einen aufier- 
ordentlichen Erfolg hatte, am Ende gar zuriickwiesen, weil sie eine Schandung des 
Werkes bedeutete ? — icli habe nichts davon gelesen. 



NACHRICHTEN 

KLEINE BERICHTE Komponisten Mysliweczek (Venatorini), der 1781 in 

Zu der kurzlich durch die Presse gegangenen Rom gestorben ist. 
Meldung iiber die Auffindung des Mozart zugeschrie- Die Berliner Tanzkritiker haben sich nach dem 

benen Oratoriums „Isaac", Text von Metastasio ist Vorbild der Musikkririker und Theaterkritiker zu 

inzwischen ein Widerruf ergangen. Es handelt sich einem Verband zusammengeschlossen. Zum Vorstand 

bei dem betreffenden Werk ausweislich einer in der des Verbandes wurden gewahlt : Fritz Bohme, Dr 

Miinchner Staatsbibliothek befindlichen Abschrift um Artur Michel, Michael Charol, Elise Miinzer, Dr. P. .1. 

eine Komposition des bohmischen Opern- und Messe- Bloch. Den Ehrenvorsitz iibernahm Prof. Oskar Bie. 



206 



MUS1KLEBEN 



Die dicsjahrige Hauptversammlung der Genossen- 
scliaft Deutscher Tonsetzer fand am 15. April statt. 
Vor Beginn wurde die Biiste Roeschs feierlich enthiillt. 

Pressemeldungen zufolge wird auf Grund eines 
Stadtverordneten-Beschlufies in Breslau das Theater- 
orchester und das Schlesische Landesorchester zu. 
sammengelegt und auf diese Weise ein einheitliches 
Orchester von 120 Musikerh unter einem General- 
interidanten geschaffen. 

AUFFUHRUNGEN 

Am 29. Marz wurde H i n d e m i t h s Konzerl 
fiir Viola d'amore und Kammerorchester op. 46 Nr. 1 
in Koln uraufgefiihrt. 

In Meiningen kam Honeggers ,,Konig David" 
zur Erstautl'iihrung. 

Das "Wiirtt. Landesthealer in Stullgart brachte 
am 1. Marz ,,Scherz, List und Rache" (nach Goethe) 
von Eg on AVellesz zur Urauffiihrimg und kiindigt 
fiir den 28. April „Nero" von Arrigo Boito an. 

Am 13. April wurde in Hannover Willi elm 
Grosz ,, Das Baby in der Bar", Egon Wellesz 

4 Tanzstiicke, Paul Hindemith „Das seltsame 
Hans" (komponiert fiir eine mechanische Orgel) und 
am 14. April Ignaz Liliens Oper „Beatrys" mauf- 
gefiihrt. 

Freiburg i. Br. veranstaltete an drei Abenden 
eine Bachfeier. Johannis- und Matthaus-Passion, 
beide ungekiirzt, sowie Stiicke aus der vermutlich 
nicht von Bach stammenden Lukas-Passion, weiter 

5 Stiicke der „Trauer-Ode" auf die sachsische Konigin 
Christiane Eberhardine mit den sparer von Bach 
selbsl dafiir bestimmten, jetzt ncu unterlegten 
Picander'schen Texten der Marcus-Passion. 

Am 1. April brachte das Braunschweiger 
Landestheater Rudi Stephana Oper ..Die ersten 
Menschen" zur Erstauffiihrung. 

Das Stadttheater Koblenz bringt am 22. April 
die Uiauffuhrung Her m a n n U n g e r s Oper 
„Ri ch m o dis". 

■Korn golds Oper „ D a s fundcr d e r 
H e 1 i a n e " wurde am 31 . Marz in M ii n ch e n 
und am 5. April in Berlin erstaufgefiihrt. Wien 
brachte am 27. Marz die erste Rundfunk-Ubertragung. 

L o t h a r W i n d s p e r g e r a grofie „Missa sym- 
phonica" haben die Musikvcreine in Bottrop und 
in Go th a zur Auffiihrung erworben. 

PERSONLICHE NACHRICHTEN 

Hermann Scherchen hatte als Gastdirigent mit 
Strawinsky, Reger und Haydn in Konigsberg einen 
aufierordentlichen Erfolg. Man versucht, ihn mit 
alien Mitteln zu halten und bot ihm audi die Mit- 
arbeit an der Oper an. 

Dr. Erich Steinhard wurde zum Professor fiir 
Musikgeschichte und Asthetik an der deutschen 
Akademie fiir Musik und darstellende Kunst in Prag 
ernannt. ' 



Dr. Hermann Unger, der an der Kolner Hocli- 
schule fiir Musik wirkende Komponist, wurde voni 
Preufi. Kultuaministerium zum Professor ernannt. 

Paul Hindemith arbeitet augenblicklich an einer 
komischen Oper. Das Buch stammt von Marcellus 
Schiffer, der audi den Text zu ,,Hin und zuriick" 
geschrieben hat. Es ist damit zu rechnen, dafi das 
neue Werk Hindemiths zu Beginn der kommenden 
Spielzeit fertig vorliegen wird. 

Strawinsky vollendele soeben ein Requiem. 

Arthur Honegger arbeitet an einer Sporl- 
symphonie, die er ..Rugby" nennen will. 

Zwischen Furtw angler und der Direktion der 
Wiener Staatsopcr ist ein versuchsweiaer Vertrag 
zustande gekommen, nach welchem Furtwangler voni 
Beginn der Spielzeit 1828/29 an ein neues Werk und 
einige neue Einstudierungen an der Wiener Staats- 
oper vorbereiten und an insgesamt 10 Abenden 
lei ten wird, 

AUSLAND 

Diese Itubrik bejindet sich im Ausbau und soil syslcma- 
tisch auf alte Lander ousgedehnt werden. 

Die Musical Found Society in Philadelphia (407 
Sanson Street) hat ein Karamermusik-Preisausschreiben 
erlassen. Als Endtermin der Einsendungen ist der 
31. Dezember 1928 festgesetzt. Die Preise betragen 
5000, 3000 mid 2000 Dollar. 

Die Jahresversammlung der britischen Society 
of Musicians beschaftigte sich in einer langen Dis- 
kussion mit der Auswirkung der mechanischen Musik- 
wiedergabe auf die Lebensbedingungen im Musiker- 
beruf. Der Prasident der Gesellschaft, Dr. Markham 
Lee, erklarte in seinem Referat, durch den wach- 
senden Einflufi von Grammophon und Rundfunk sei 
im letzten Jahr im englischen Musikleben eine schwere 
Depression eingetreten. Die Konzertsale konnten 
sogar mil Freikarten kaum noch gefiillt werden. 
Oper und grofie Symplioniekonzerte seien nur durch 
erhebliche Zuschiisse zu halten. Er verlangte die 
Einfiihrung einer Diplompriifung fiir ausiibende Mu- 
siker als Voraussetzung fiir offentlichc Betatigung und 
fiir die Arbeit als Musiklebrer. 

Nach Pressemeldungen verhandelt der franzosische 
Autorenvcrband gegenwartig mit den verschiedenen 
kirchlichen Behorden iiber die Abgeltung der An- 
spriiche lebender Komponisten fiir kirchliche Auf- 
fuhrungen ilirer Werke. Der Verband der protestan- 
tischen Kirchen Frankreichs hat sich bereits einver- 
standen erklart,die gewunschteiiTantienienzubezahlen. 

Ein Gastspiel der Freibtirger Oper im Basler 
Stadttheater vermittelte der Schweiz die 
Bekanntschaft mit Rudi Stephana Oper „Die 
ersten Menschen". 

Das Zurich er Stadttheater brachte als zweite 
deutschsprachige Opernbiihne A. B o r o d i n s „Fiirst 
Igor" zur Auffuhi'Ling. 



NACHHICHTEN 



207 



Die Berner Ortsgruppe der I. G. N. M. brachte 
unter personlicher Mitwirkung von Alfredo C a s e 1 1 a 
neuitalienische Musik zu Gehor. 

H. Scherchen brachte J. S. Bachs „Kunst der Fuge" 
(Graser) in Zurich zur Auffiihrung. 

Der Hausermannsche Privatchor (Leitung K. Dubs) 
brachte in Zurich Kurt Thomas „Markus-Passion" zur 
Auffiihrung. 

In Moskau steht die Veroffentlichung eines The- 
aters mit dem Namen „Der Zeitgenosse" bevor. Es 
wird sich zunSchst der Oper zuwenden und als erste 
Auffiihrungen Tschaikowskys „Pique Dame" u. ,,Eugen 
Onegin" bringen. 

Das Moskauer Volksbildungs-Kommissariat regte 
beim Preuss. Kultus-Ministerium die Einrichtung von 
Austausch-Professuren fiir Musikpadagogik und Kom- 
positionslehre an. 

Einer Neger Schauspielertruppe wurde vom Zen- 
tral-Komitee der ,,Arbeiter der Kunst" das Gesuch 
um Einreise-Erlaubnis mit der Begriindung der Un- 
zweckmafiigkeit soldier Veranstaltungen abgelehnt. 

VERSCHIEDENES 

In W ii r z b u r g findet vein 23. bis 30. Juni das 
7. Mozartfest statt. 

Das Zentralinstitut fiir Erziehung und Unterricht 
veranstaltet vom 7.-9. Mai in Gottingen die erste 
,,Tagung fiir Bund funk musik". Auf dieser 
Tagung sollen die technischen, kiinstlerischen, sozio- 
logischen und padagogischen Fragen der Rundfunk- 
musik von Fachautoritaten behandelt werden. Die 
immer griifier werdende Bedeutung des Rundfunks 
Mr die Musikpadagogik hat das Zentralinstitut ver- 
anlafit, den vielen Fragen nachzugehen, die mit der 
kiinstlerisch und akustisch einwandfreien Ubertragung 
musikalischer Werke im Zusammenhang stehen. In 
enger Fiihlung mit den mafigebenden Stellen ist der 
Plan fiir eine erste Tagung fiir Rundfunkmusik ent- 
standen, die den Anlafi zu einer Erorterung der 
verschiedenen akustischen, phonetischen, technischen 
und musikalischen Fragen bieten soil. 

Pfingsten 1928 wird mit Unterstiitzung des vor- 
maligen Herzogs von Anhalt ein Internationales 
Musikfest in B a 1 1 e n s t e d I stattfinden. Es ist 
beabsichtet, dieses Fest absolut in den Dienst der 
modernen Musik zu stellen und es als dauernde Ein- 
richtung im deutschen Musiklebcn in Parallele zum 
Baden Badener Musikfest zu enrwiekeln. 

Die diesjfihrige Bayrische To nk ii n s tie i - 
woche, veranstaltet vom Miinchner Tonkiinstler- 
verein, findet vom 4. - 12. Mai statt. 

Vom 15. bis 20. Oktober wird in M (inch en 
die 7. R e i ch s s ch u 1 m u s i k w o ch e tagen . 

Der P.-V. Bheinland des R. D. T. M. errichtete 
anlafilich des 100. Todestages Beethovens eine 
Beethoven-Stiftung, aus der alle zwei Jahre 
ein Geldbetrag fiir eine vom Prufungsausschufi fiir 
wiirdig befundene Komposition verliehen wird. Die 
Komponisten der einzureichenden Werke miissen ge- 



borene Rheinlander rsein, oder beim Zeitpunkt der 
Einreichnng seit zwei Jahren ihren stiindigen Wohn- 
sitz im Bheinland haben. Der Preis wird erstmalig 
in H6he von M. 600. - ausgeschrieben. Die Werke 
sind bis spatestens 1. Oktober 1928 im Biiro des 
P.-V., Barmen, Neuerweg 53 (Sievert-Konservatorium) 
einzureichen, von wo auch nahere Einzelheiten zu 
erfahren sind. 

In dieser Nummer der Zeitschrift erscheint eine 
Anzeige iiber das Tonkiinstlerfest 1928 des 
A. D. M. V. in Schwerin und das Tonkiinst- 
lerfest 1929 des A. D. M. V. in Duisburg. 
Wir empfehlen die Ankiindigungen der besonderen 
Beachtung unserer Leser. 

Eine interessante Pressenotiz : Der Zuschufibedarf 
der sogenannten gemeinriiitzigen Theater in Deutsch- 
land stellt sich fiir das laufende Jahr 1928 auf rund 
40 Millionen Mark. Weitaus an der Spitze stehen 
die Preufi. Staatstheater in Berlin, Wiesbaden und 
Kassel mit rund 7 Millionen Mark. Dann folgen die 
Bayr. Staatstheater mit rund 3,2 Millionen, Frank- 
furt a. M. mit 2,3 Millionen, Koln mit 2,24 Millionen, 
Hannover mit 1,9 Millionen, Stuttgart mit 1,6 Mill., 
Mannheim mit 0,58 Millionen, Dresden mit 1,58 Mil- 
lionen, Dortmund mit 1,25 Millionen Mark. 16 deut- 
sche Theater haben einen jahrlichen Zuschufibedarf 
von je 1— 7 Millionen Mark. Das Theater mit dem 
kleinsten Bedarf ist die Coburger Landesbiihne mit 
450000 Mark. 

Im Anschlufi an die in unserem Marzheft ge- 
brachte Notiz gibt die Juillard-Stiftung bekannt, 
dafi sie 15 Stipendien eingerichtet habe, die es 
amerikanischen Musikstudierenden ermoglichen sollen, 
ihr Opernstudium an der Staatsoper in Dresden 
durchzufuhren. 

Notiz: Seit dem Tode Carusos 1921 haben die 
Schallplatten mit den Aufnahmen des beriihmten 
Tenors 750.000 Dollar an Tantiemen abgeworfen. 

Vom 13. bis 17. Mai findet in Bonn ein Musik- 
fest statt. Es werden in der Beethoven-Halle Werke 
von Bach, Mozart, Reger, Hindemith, Busoni und 
Jarnach aufgefiihrt. 

Der Miirznummer der Mitteillungen der Ge- 
n o s s e n s ch a f t d e u t s ch e r Tonsetzer ,,Der 
schaffende Musiker" entnehmen wir die Mitteilung, 
dafi der Einsendungstermin fiir den angekiindigten 
Schubertpreis bis zum 30. April 1928 verlangert 
wurde. 

Die Wiirtt. Hochschule fiir Musik in 
Stuttgart bereitet in Verbindung mit mafigebenden 
Stellen und Verbanden eine „Siiddeutsche Tagung 
fiir Musikerziehung" vor, in der durdi Vortrage und 
Vorfiihrungen das Problem der heutigen Musiker- 
ziehung theoretisch und praktisch behandelt werden 
wird. Das ausfiihrliche Programm der Tagung, die 
in der Woche nach Pfingsten voraussichtlich in den 
Tagen vom 30. Mai bis 2: Juni stattfinden soil, wird 
in Balde bekannt gegeben werden. 



208 



Nachrichten des Verlages B. Schott's Sohne 

NEUERSCHEINUNGEN 



KLASSISCHE MUSIK 
G. F. Handel 



Stiicke f. Clavicembalo (oderKlav.). Herausgegeben 
von W. Barclay Squire und J. A. Fuller-Maitland. 
Erstveroffentlichung. Zwei Bande . je M. 3. — 
s. a. Anzeige Seite 215. 
Tivadar Nachez 



Klassische Violmiibertragungen. A. Vivaldi, 
Konzert A-dur fur Violine und Klavier M. 3. — 
G. Tartini, Arioso fiir Violine u. Klavier M. 1.50 
Erwin Schulhoff 

Divertissement fiir Oboe, Klarinette und Fagott 
(Ouvertiire — Burlesca — Romanzero — Char- 
leston — Tenia con variazioni e fugato — Flo- 
rida — Rondino-Finale) Taschenpartitur M. 2. — 

Stimmen M. 6. - 
Andres Segovia 

Konzert-Programme fiir Guitarre solo. 
Moderne spanische Musik : 

G.-A.Nr. 102JoaqninTurina,Fandanguillo M. 1.80 

„ 103 F. Moreno Torroba, Nocturno M. 1.80 

„ 104 F. Moreno Torroba, Suite castellana (Fan- 

danguillo — Arada — Danza) . M. 1.80 

„ 109 Manuel M. Ponce, Theme varie et 

Finale M. 1.80 

„ 110 Manuel M. Ponce, Sonata III (Allegro 

moderato - Cancion - Finale) . M. 2.50 

,, 111 Manuel M. Ponce, Ties canciones popu- 

laires mexicanas M. 1.80 

,,112 Manuel M. Ponce, Preludio . M. 1.50 
,. 113 F. Moreno Torroba, Burgalesa M. 1.50 
,; 114 F. Moreno Torroba, Preludio . M. 1.50 
„ 115 F. Moreno Torroba, Serenata burlesca 

M. 1.50 
Klassische Transkriptionen. 
J. S. Bach: 

G.-A.Nr. 106 Vol. I, Prelude - Allemande - 

Minuetto I - Minuetto II . . . M. 1.80 

., 107 Vol. II, Courante - Gavotte. M. 1.80 

,. 108 Vol. Ill, Andante - Bourree - Double 

M. 1.80 
ZEITGENOSSISCHE MUSIK 

A. Copland 

Zwei Stiicke fiir Violine und Klavier 

1. Nocturne M. 1.50 - 2. Ukulele Serenade M. 2.50 

Sam. Dushkin 



Transkriptionen fiir Violine und Klavier. 
G. Pierne, Impressions de Music Hall: Girls 
(French blues) — Little Tich (l'Exentrique) — Ber- 
ceuse — Clowns musicaux (les Fra tellini) kplt. M. 5. - 
Berceuse, einzeln M. 1.50 

Joseph Haas 

Christuslieder, op. 74. Siebeu Gedichte von Rein- 
hard Johannes Sorge fiir hohe Singstimme und 



Klavier (Eingang - Wie fafit du an - Er blickt 
mich an im Hang - Sehnen Abends — Er- 
gebung - Ich gleite hin - Christus) . M. 2.50 

Kurt Herbst 

Jazz-Etiide fiir Klavier M. 1.50 

Erich Wolfg. Korngold 

aus „Das Wunder der Heliane" 
Gesang der Heliane (Szene des Gerichts) fiir Ge- 
sang und Klavier, Originalausgabe Fis dur (hoch) 
I. und II. Teil. „Ich ging zu ihm -" M. 2.50 
Ausgabe in Fdur II. Teil: „Nicht hab ich ihn 

geliebt" M. 2. - 

Zwischenspiel (vor Akt III) fiir Klavier M. 2. — 
Gesang der Heliane fiir Violine u. Klav. M. 2. — 

Hermann Reutter 

Tanz-Suite op. 29 fiir Klavier M. 2. — 

Heinrich Kasp. Schmid 

Sonate fiir Violine und Orgel, op. 60 . M. 3. — 

Cyril Scott 

Konzert fiir Violine u. Orch. Klav.-Ausz. M, 6. — 

(Aulmhrungsmaterial nach Vereinbarung) 

Die Hummeln (Bumble-Bees) fiir Viol, solo M. 1.50 

Lothar Windsperger 

Konzert fiir Violine und Orchester, op. 39 

Klavierauszug M. 8.— 

(Auffiihrungsmaterial nach Vereinbarung) 

Sonaten fiir Viola da gamba und Klavie r 

Neuausgaben von Christian Dobereiner 
K. F. Abel, Sonate e moll - A. Kiihnel, Sonate 
Nr. 7 Gdur; Sonate Nr. 9 Ddur . je M. 4. - 
Dieselben Sonaten erschienen fiir Cello und Kla- 
vier in der Sanimlung Cello^Biblio thek als 
Nr. 68, 69 und 70 je M. 1.80 

IN VORBEREITUNG 
Conrad Reck 

Sinfonie Nr. 3 fiir Streichorchester 
Arthur Benjamin 

Concertino fiir Piano und Orchester 
Ernesto Halffter 



Sinfonietta fiir grofies Orchester 

Paul Hindemith 

Sonate fiir Viola d'amore und Klavier 
Sing u. Spielmusiken f. Liebhaber u. Musikfreunde, 
op. 45. Nr. 1 Frau Musica. Nr. 2 Kanons (fiir 
2 Singstimmen mil Instrumenten), Nr. 3 Der Jager 
aus Kurpfalz (fiir Streicher una Holzblaser) 
Konzert f. Viola d'amore u, Orchester op. 46 Nr. 1 
Konzert fiir Orgel und Orchester op. 46 Nr. 2 



209 



Fritz Kreisler 

Kadenzen zum Violinkonzert v. Beethoven; Ka- 
denz zum Violinkonzert von Brahms; .T.S.Bach, 
Sonate E-dur. 

Franz Scliuberl 



Neue Lieder-Auswahl von Johannes Messchaert. 
2 Bande. Ausgabe fur hohe Stimme. 

Ernst Toch 

Fanal ftir grofies Orchester und Orgel, Op. 4.5 
Egon und Emilie. Kein Famdiendrama von 
Chr. Morgenstern in einem Akt, Op. 46 



Alexander Tansman 

Konzert fur Klavier und Orchester 

Friedrjch Wilckens 

Die Rache des verhohnten Liebhabers. Ein galantes 
Puppenspiel in zwei Aktcn, Text von Ernst Toller, j 

Lothar Windsperger 

Neue Quinten-Uhr fiir die Juge.nd. 
24 Praludietten. op. 40 

Das Lied der Yolker (Heinrich Moller) 

Band XII: Ungarische Volkslieder 



Deutsche ! 
Kauft nur deutsche Erzeugnisse ! 



SIOEWER 



STOEWEff* 
GQEIF 



STOEWER 
RECORD 



SIOIWER 
ELITE 




4 Meisterwerke 

Deutscher Feinmechanik 

Verkaufsstellen in alien grofieren Stiidlen 



Deutsche Musikbucherei 



ZUM DEUTSCHEN 
rONKUNSTLERFEST IN SCHWERIN 

fl a s m e i s I b e g e h r 1 i' W e r k 
Bond 18/19 

PROF. DR. ARTHUR SEIDL 

NEUZEITLICHE 
TONDICHTER 

UND ZEITGENOSSISCHE 
TONKUNSTLER 



8°-ForniQt, 2 Bande von je4C0Seiten mil 

50 Bildtafcln. Jedcr Band in Pappband 

Mk. 5.-, in Ballonleinen Mk. 7. - 

Wer eine Elnstelliing zum rciclien 
SchafTen und eine CJbersieht fiber die 
Entwicklung der neueren Tonkunsl 
gewinnen will, findet in diesem Werkc 
Weg und Erkenninis. 



GUSTAV BOSSE, REGENSBURG 



Die schonste und grundlegende Darstellung der musikalischen Kultur aller Zeiten und Yolker ist das 

Handbuch der Musikwissenschaft 

Herausgegeben von Professor Dr. Ernst Biicken von der Universitat K6ln unter Mitwirkung einer 

grofien Anzahl von Musikgelehrten. 

Etwa 1300 Noteilbeispiele 1 gegen monatliche 3 Gmk'. 
und etwa 1200 Bilder } Teilzahlungen von ^g^^^g^^ 

Man iiberzeuge sich durch Angenschein und verlange Ansichtsenduiig M Nr. 4 von 
ARTIBUS ET UTERIS, Gesellschafl fur Kunst- und Literaturwissenschaft in. b. H., POTSDAM 



210 



Neuere Orchesterwerke 



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Komponist, AVerk 


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I 6 


Komponist, Werk 


"3.5 


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I. Albeniz 






G. F. Malipiero 






Iberia-Suile (Arbos). In Yorbereit. 


— 


14 




20 


21 


A. Casella 

Pupazzetti (5 Sliicke) .... 


22 


15 
35 
35 


Groteske 

Impressioni dal \evo. Suite II 


7 

20 
30 




Conrad Beck 




15 


La Ciraarosiana. Suite .... 


12 


5 


Sinfonie Nr. 3 fur Streichorchester 


20 




D. Milliaud 






M. de Fnlla 




21 


Saudades do Brazil, Suitev. Tfinzen 


40 


28 
28 


Niichte in spanischen Garten. 

(Klavier nnd Orehester) . . 
Zwischenspiel nnd span. Tanz 


35 


35 


G. Pierne 

Impressions de Music Hall 


20 




aus .,Ein kurzcs Lebcn" . 


15 




M. Ravel 




33 


Drei Tanze aus ,,Der Dreispitz" 


25 


37 


Alborada del Gracioso .... 


10 


14/19 


P. A. Grainger 

Mock-Morris, Irischer Tanz . . 


3 


34 
15 


Une barque stir l'ocean 


8 

5 


7 


— fur 7 st. Streichorchester . 


3 




W. Schulthcss 




21/28 


Molly on the Shore 


6 


19 


op. 9, Serenade f. kl. Orehester . 


30 


7 


— fur 7 st. Streichorchester . 


6 




Cyril Scott 

Zwei Passacaglien 

Egyptische Suite 




28/34 
8 


Shepherds Hey (Morris-Tanz) 
Irish Tune fiir Streichorchester 


5 
5 


40 
23 


25 
25 


15 


Jos. Haas 

op. 64 Variationen iiber ein alles 




38 


B. Sekles 

,,Sommergedicht". 3 Satze . 


12 




Rokoko-Thema 


40 




Itudi Stephan 




18 


Ernesto Halffter 
Paul Hindemith 


35 


36 

7 

29 


Musik f. sieben Saiteninstrumente 
Musik fiir Geige und Orehester . 

I. Strawinsky 

Feuerwerk. Fantasie . . . . 
Suite Nr. 1 fiir kleines Orehester 


20 
25 
20 


12 

10 


op. 24 Nr. 1 Kammermusik Nr. 1 
op. 28 Konzertsuite aus ,,Der 

Damon" 

op. 38 Konzert fur Orehester . 
op. 41 Konzertmusik furfilasorch. 
Tanze aus Nusch-Nuschi 


30 

25 

17 

15 


36 
17 


8 
15 


26 
22 
33 


19 
11 
31 


Suite Nr. 2 fiir kleines Orehester 
Feuervogel-Suile 


15 
12 
30 










B. Stunner 






Ph. Jarnach 




14 




10 


35 


op. 11 Sinlonia brevis .... 


22 


14 


op. 25 Zeitgesichtc, 3 Tanze . 
E. Toch 


10 


31 


op. 19 Morgenklangspiel 


15 








E. W. Korngold 




6 


op. 30 Tanz-Siute 


25 


32 


op. 4 Schauspielouvcrtiire. . 

up. 5 Sinfonietta 

op. 11 Suite aus ,,Viel Larmcn 


16 


10 




20 


31 


45 


22/27 


op. 39 Spiel fiir Blas-Orchester . 


10 


19 




28 


op. 42 Komodie fiir Orehester 


18 




25 


28 




10 


44 


op. 13 Symph. Ouverture ,,Sur- 




15 


Vorspiel zu eineiu Miirchcu 






22 




L. Windsperger 




40/41 


Vorspiel u. Karneval a. ,,Violanla" 


18 


32 


op. 22 Sinfonie in a moll . 


55 


33 


Zwischenspiel aus ,,Das Wunder 




31 




18 




der Heliane" 


12 


30 


Vorspiel zu einem Drama . 


12 



Ansichtsmaterial bereitwilligst 



B. S C H O T T ' S S O H N E , M A I i\ Z 



21 



HENRY PURGELL 



Dido und Aeneas 

Herausgegeben von E. J. Dent 

Prasident der Intern. Ges. f. Nene Musik 
Mit englischem u. deutschem Text 
(Ubers. von Dr. Anton Mayer) 

In Anbelracht des augenblicklich in Deutsch- 
land gesteigerten Interesses an dem Werk 
Pnrcells, wild diese neue Ausgabe seiner bc- 
deutendsten Oper fiir Institute und Chor- 
vereinigungen besonders willkommen sein. Sic 
ist eine Bestarigung der hohen Meisterschaft 
und erfahrenen Hand eines Professor Dent. 

Dieses entziickende Werk ist fiir die durch- 
schnittlichen Chorvereinigungen leieht ausfiihi- 
bar. Trotzdem beweisen seine Erfolge an der 
Wiener Staatsoper, in Minister nnd in Basel, 
dafi audi grotee Institute mit der Aufnahme 
dieser neiien Bearbeitnng eine gliickliche Wahl 
getroffen haben. 

Komplett 3s. 6d. / Chore Is. 6d. 
Text (Englisch u. Deutsch) Is. 6d. 

Auffuhrungsmateriale (Partitur u. Streich- 
orchesterstimmen) leihweise. 



Henry Pure ell 

von 

Dennis Arundell 

Dieses ist das bedeutendste Werk iiber Pureed. 
Es behandelt den Menschen und sein Schaffen 
in einer verstiindnisvollen, riickhaltlosen Art. 

Das Buch Arundells wird viel dazu beitragen 
die falschen Ansichten fiber Purcell zu be- 
seitigen und ein besseres Verstandnis des 
grolSten Komponisten Englands zu ermoglichen. 

Mit 8 Illustrationen und vielen 
Notenbeispielen 3 s. 6d. net, 

OXFORD UNIVERSrJY PRESS 
LONDON W 1 

95 WIMPOLE STREET 

Alleinige Auslieferung fiir Deutschland: 
HOFMEISTER, LEIPZIG 



Vorzugsangcbot 1 1 

Statt 6.50 Mk. nur 2.50 Mk 
VERLAG DER 

STURM 

Berlin W 9, Potsdamer Strage 134a 

Expressionismus ist die Kunst unse- 
rer Zeit. Das entscheidende Buch ist 
soeben in 6. bis 10. Auflage erschie- 
nen, nachdem die ersten Auflagen 
in kiirzester Zeit vergriffen waren : 

H E RWARTH W A L D E N 

EINBLICK IN KUNST 

Llalbleinen gebimden nur Mk. 2.50 
75 ganzseitige Abbildungen der 
Hauptwerke der Expressionisten, 
Kubisten und Fu turisten aller Lander. 
Unentbehrlich fiir jeden, der die 
Kunst der Gegenwart kennenler- 
nen will. Umfangreichstes Bilder- 
material der fuhrenden Meister. 
Das Manifest der internationalen 

EXPRESSIONISTEN 




212 



Neue Buhnerrwerke 


Komponist 


Werk 


Auffiihrungeii 


Gay und Pepusch 


Die Bettler-Oper 

Bcarbeitung von Dr. O. Ehrhard 
und Dr. Kurt Ehvenspoek 


In Vorbereilung 


Friedrich Wilckens 


Die Rache des ver- 
hohnten Liebhabers 

(Ernst Toller) 


Urauffuhriiiig am 19. Mai 1928 am Landestheater in Braun- 
schweig 


Julius Bittner 


Der Musikant 


An zahlreidien Buhnen dcs In- und Auslandes; in den letzten 
Spielzeiten ncn in: Wien, Niirnberg, Breslau, Salzburg, Bern, 
Liibeek, Danzig, Aufiig, Briinn, Troppau, Keichenberg 


Jan Brandts-Buys 


Die Schneider von 
Schonau 


An 2ahlreichen Bulinen des Inn- und Anslandes; in den letzten 
Spielzeiten neu in: Dessau, Augsburg, Danzig. Sondershausen, 
Bielefeld, Weimar. Bcuthen, Breslau, Uhn 


Der Mann im Mond 


Dresden, Rostock, Mainz. Berlin, Liibeek, Plauen 


Manuel de Falla 


Ein kurzes Leben 


New-York, Cera, Magdeburg, Osnabriick, Moskau 


Meister Pedros 
Puppenspiel 


In zahlreidien Stadten des Auslandcs n. a. New-York, Paris, 
Zurich, London, Antwerpen. In Deutschland: Koln, Berlin, 
Oldenburg, Dortmund 


Paid Hindemith 


Cardillac 


Dresden, Miinclien, Berlin, Koln, Wien, Wiesbaden, Mannheim, 
Halle, Darmstadt, Stuttgart, Diisseldorf, Augsburg, Oldenburg, 
Essen, Elberfeld, Barmen, Hannover, Aachen, Prag, Gotha, 
Worms, Weimar, Frankfurt a. M., Magdeburg, Cassel, Erfurt 


M order, 
Hoffnung der Frauen 


Stuttgart, Frankfurt a. M., Prag, Dresden, Liibeek, Essen 


Das Nuscb-Nuschi 


Stuttgart, Frankfurt a. M., Prag, Diisseldorf, Essen 


Sancta Susanna 


Frankfurt a. M., Prag, Hamburg 


Hin und zuriick 


Baden-Baden, Darmstadt, Hagen, Heidelberg, Freiburg i. B., 
Dresden, Karlsruhe, Mainz, Dessau, Erfurt, Gotha, Magdeburg, 
Chemnitz, Basel 


E. W. Komgold 


Violanta 


An iiber 60 Buhnen des In- und Auslandes 


Der Ring desPolykrates 


An iiber 60 Buhnen des In- und Auslandes 


Die tote Stadt 


An iiber 60 Buhnen dcs In- und Auslandes 


Das "W under der 
Heliane 


Hamburg, Wien, Berlin, Munchen u. ca. 20 weitere Buhnen 


Musik zu Shakespeares 
„Viel Larmen um 

Nichts" 


Wien. Miinclien, Prag, Koln, Gera, Dresden. Oldenburg, AuiJig, 
Meifien, St. Gallen, Osnabriick 


B. Schott's Sohne, Mainz 



213 



Neue Biihnenwerke 


Komponist 


Werk 


Auffiihrungen 


N. Rimsky- 
Korssakoff 


Der goldene Hahn 


Berlin, Frankfurt a. M., Turin, San Francisco, Antwerpen, Bor- 
deaux, Paris, London, Warsehau, Buenos-Aires 


Rudi Stephan 


Die ersten Menschen 


Frankfurt a. M., Bochum, Hannover, Miinster i. W., Koln, Magde- 
burg, Darmstadt, Mannheim, Gotha, Liibeck, Freiburg i. B., 
Krefeld, Nordhausen, Essen, Worms, Basel, Braunschweig 


Igor Strawinsky 


Geschichte 
vom Soldaten 


Berlin, Frankfurt a. M., Karlsruhe, Aachen, Osnabriick, Baden- 
Bnden, Kassel, Darmstadt, Diisseldorf, Plauen, Charlottenburg, 
Heidelberg, Miinster i. AV., Koln, Dessau, Hagen, Barmen. Elber- 
feld, Mainz, M.-Gladbach, Gera, u. a. Ferner in alien bedeu- 
tenden Su'idten des Auslandes 


Reinecke (Renard) 


In zahlreichen Stiidten des Auslandes; in Deutschland bisher: 
Berlin (Staatsoper), Darmstadt 


Russische 
Bauernhochzeit 

(Les Noces) 


In Deutschland bisher nur KonzertuufTuhrung in Frankfurt a. M. 


Der Feuervogel 
Ballett 


Paris, Berlin, Oldenburg, Kiel, Stockholm, Antwerpen, Briissel 


Ludwig Thuille 


Lobetanz 


An zahlreichen Biihnen des In- und Axislandes; in den letzten 
Spielzeiten ncu in: Liibeck, Brcmcrhaven, Altenburg, Bochum, 
Duishurg, Darmstadt, Mainz, Saarbriicken, Niirnberg, Osna- 
briick, Kiinigsberg, Diisseldorf, Kaiscrslautern 


Ernst Toch 


Die Prinzessin 
aid' der Erbse 


Baden-Baden, Darmstadt, Hagen, Danzig, Heidelberg, Mainz, 
Dessau, Stettin, Gotha, Chemnitz, Bern, Basel 


Egon und Emilie 

Kein Familien-Dramn Ton 
Chr. Morgenstem 


In Vorbereitung 


Julius Weismann 


Schwanemveiss 


Darmstadt, Halle, Kassel, Freiburg i. Br., Bielefeld, Plauen 


Franz Schubert 


Der treue Soldat 

Die 

Weib erverschworung 

Bearbeitung von R. Lauckner 
und Fritz Busch 


Stuttgart, Bremen, Dessau, Basel, Altenburg, Plauen, Chem- 
nitz, Bremerhaven. Briinn, London, Darmstadt, Braunschweig, 
Duishurg 


B. Schott's Sonne, Mainz 



214 



In Vorbereitimg befindet sich : 

JACOBUS CLEMENS NON PAPA (1556) 

SOUTERLIEDEKENS 

15 Volkslieder im dreistimmigen Satz 

Fur zwei Manner- unci eine Frauenstimme oder zwei Frauen- und eine Maiinerstimme zu singeii. 

Neu herausgegeben von Wilhelm Blanke. / Preis kart. etwa 1.50 RM. 

P r e i s e r in a fi i g u n g 

B e s t e 1 1 - N r . 2 6 8 

Nach beinalie 400 Jahren treten diese alten deutschen Volkslieder, die, mit flamischen 
Psalmtexten versehen, 1556 von Clemens non Papa dreisrimmig gesetzt wurden, in ilireni 
urspriinglichen Gewande nun als weltliche Volkslieder wieder unter uns. 

Die bekannte Weise darin „Es gingen drei Gespielen gut" laftl von der Schonheit der 
Souterliedekens ahnen, die in ibrem leichten und doch wertvollan Satz eine willkommene 
Gabe sein werden. 

Verlagsverzeichnis kostenlos. 



GEORG KALLMEYER * VERLAG 4 WOLFENBUTTEL -BERLIN 



Eine Aufsehen erregende VeroEentlichung zum Schubert -Jalir 



FRANZ SCHUBERT 

SAMTLICHE MANNERCHORE 

ERSTE VOLLST1NDIGE GESAMTAUSGAB1C 
Herausgegeben von VIKTOR KELDORFER 

Ehrencliornicister ties Wiener Schubert-Bundes und Altchormeisler des Wiener jYIamiergesaiigvereines 



I. Band 
Chore a cappella 
u. E. Nr. 9439 Partitur . . . . 
U. E. Nr. 9440 a/d Cliorstimmen a 



Mk. 6.- 
Mk. 1.50 



II. Band 
Chore mit Ins trumen tal-Begleitung 
U. E. Nr. 9441 Partitur .... Mk. 6. — 
U. E. Nr. 9442 a/d Cliorstimmen a . Mk. 1.50 



Als Grundlage fur die Revisionsarbeit. die endlich alle zum Teil seit des Meisters Tode mit- 
geschleppten musikalischen und textlichen Febler und Willkiirlicbkeiten spaterer Herausgeber 
ausmerzt, dienten in erster Linie die Handschriften Schuberts, sowie Erstdrucke und die Gesamt- 
ausgabe von Breitkopf und Hartel. Der Herausgeber war bemfiht, die Chore originalgetreu 
zu uberliefern und die Ausgabe fur die Praxis brauchbar zu machen. 

Durch jede Musikalienhandlung zu beziehen. Genaue Prospekte gratis 

UNIVERSAL-EDITION A. G., WIEN-LEIPZIG 



215 




G. F. HANDEL 
Stiicke fur Klavier 

(Clavicembalo) 

Herausgegeben von 

W. B ar clay - Squire - J. A. fuller- M ait land 

76 bisher verschollene Klavier stiicke von Handel 

werden hier zum ersten Mai veroffentlicht 

Die Stiicke (eine Reihe erstrangiger Werke) stannnen aus einer jiuig.sl 
in England aufgefundenen Manuskript-Sanmilung. Sie maclien iingn- 
fiihr ein Drittel sdmtlidier bekannter Klavierkomposilionen Handels 
uits. Bei der heutigen Handel-Renaissance ein doppelt bedeutsames 
Ereignis fiir die gesamte niusiktreibende Welt und zugleicb eine uu- 
geahnte Bereicherung der altklassisclienKlavierliteratiir. — Keines der 
Stiicke ist in der grofien Ausgabe der Handelgesellscbaft enthalten. 

Zwci Bonde (Ed. Schott, Nr. 149/150) je n. M. 3- 

B. SCHOTT'S SOHNE. MAINZ UND LEIPZIG 



Soebenerschienen zwei neue Bande der 

Denkmaler der Tonkunsi in Osterreich 



Herausgegeben unier 

XXXV. 

I. Teil, Band 67 

EMANUEL A. FOSTER 

KAMMERMUSIK 
Bearbeitet von Karl \V e i g 1 

Quartett op. 16 Nr. 4 C-dur 

Quartett op. 16 Nr. 5 F-moll 

Quartett op. 19 C-moll 

Quartett op. 20 A-moll 

Quartett op. 26 Es-dur 

Preis des Bandes Mk. 25. — 



Leitung von Guido Adler 

JAHRGANG 

II. Teil, Band 68 

JOHANN STRAUSS VATER 

WALZER 
Bearbeitet von Hans G a 1 
Tauberln-Walzer op. 1 / A\ 7 iener Karneval 
op. 3 / Elisabethen-Walzer op. 71 / Philo- 
melen-Walzer op. 82 / Myrthen-Walzer 
op. 118 / Masken-Lieder op. 170 / Die Adep- 
ten op. 216 / Die Sorgenbrecber op. 230 
Preis des Bandes Mk. 25. - 



F e r n e r e r s c h i e n Band XV d e r 

Studien zur Musikwissenschaft 

(Beihefte der Denkmaler der Tonkunst in Osterreich) 

Karl Koletschka. Esaias Reusner der Jiingere und seine Bedeutung fiir die deutsclie Lautenmusik des 17. Jahr- 

hunderts; Karl August Rosenthal, Stenano Bernardis Kirchenwerke; Alfred Schien erl. Die kirchlichen 

Kompositionen des Giuseppe Bonno; Felix Salzer, Die Sonatenforni bci Scliubert. 

Preis des Bandes Mk. 10. - 

Vollstandige Verzeichnisse der bisher erchienenen Bdnde der „Denkmaler der Tonkunst in Osterreich" und der „Studien 
zur Musikwissenschaft" an Interessenten kostenlos 

UNIVERSAL-EDITON A. G. / WIEN-LEIPZIG 



216 



LUDWIG KUBA 

Slaventum in seinen Liedern 

aiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii[iiiiaiiiiiiiiiiiiitii>iiiiiiiiiiiiiijiiiiiiiii>iiiiiiii)iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiifiEiiiiiiiiiii)iiiifitiiiiiiiiiiiiiiiii<iii>iiiiiiiiifiiaiiiiiiiiiriiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiEiii[iiiiini!iiiiiii 

Eine Sammlung nationalcr unci nation alve rwaii cite r Liecler 

aller slavischen Volker mit Origin altexten unci 

tschechischen Ubersetzungen 



Vergriffene Werke, Band 1 - V 
(Neue Ausgabe steht in Aussicht) 



I. Tschechischc — 
III. Slovakische - IV. 



II. Mahrische und schlesische — 
Polnische unci V. Wendiscbe Liecler 



Restauflage der Bcinde aus der Originalcaisgabe : 

VII. Slowenische Lieder . (123 auf 254 Seiten) . Gftl. 2.25 

VIII. Montenegrinische Lieder (70 aid' 124 Seiten) . „ J 20 

IX. Kroatische Lieder . . (62 auf 124 Seiten) . „ 1.50 

X. Dalmatische Lieder . (88 auf 128 Seiten) . „ 1.50 

Neue Ausgabe n : 

VI. I. Teil: Kleinrussischc Lieder GM. 4.50 

II. Teil: Grofi- und Weifirussiscbe Lieder . . „ 4.50 

XI. Serbische Lieder (aus dem Konigreich) ... ,, 3.60 

XII. Bosnisch-herzegowiniscbe Lieder „ 7.50 

In Vorbereitung: 

XIII. Lieder aus Alt-Serbien und Makedonien 

XIV. Bulgarische Lieder 

Kubus JVerk ist die Zusammenfassung des unermefilirhen Sclialzes von Folksliedern, die gerade 
bei den slavischen Volkeni den starksten Ausdriick der Volkspoesie darstellen. Kuba isl. lieule 
der groJStc Kenner des slavischen Liedes. In seinen lilernrischcn JVerken fiber das slavische Lied, 
die gteichzeitig ersclieinen, bringt er ganz neue Entdeckungen, Ansichlen und Unterlagen. 



HUDEBNI MATIGE UMELECKE BESEDY 

PR AHA III.-487. Dum Umelecke Besedy. 
Bescdni ul. 3 



i 



217 



Zeiigenossische 
Musik 



Giinlcr Raphael 

op. 3 

Sechs Improvisaiionen fur Klavier 2hdg. 

(PraUidium, Romnnze, Intermezzo, 
Scherzino, Fughctte, Burleske) 

Ed. Nr. 2468 M. 2.- 

Ein gcnialer Wurf des erfolgreichen jungen Kompo- 
nistcnl Die tcilwcise ganz virtuos klingenden und im 
Charakler schr gegensatzlich.cn Improvisation en sind 
auch im Konzertsanl von aufierordentlicher Wirkung. 

Hermann Scherchen 

op. 1 

Sireidiquariett Nr. 1 

Parritur (16") Ed. Nr. 2266 M. 1.50 
Stimmen Ed. Nr. 2267 M. 6.- 

„Berausehende Musik von grofier Linie, kraftvollem, 
poetischem Schwung, sicherem Bon und lebendigen 
Gcdankcn. Eine gli'mzcnde Instiiimcntation holt aus 
den vier Instrunienteii eiiien Klangrciclituni, wie er 
selten zu finden ist. Sehweiz. musikpad. Blotter. 

Ewald Sirasser 

op. 52 

Sireichquariett Nr. 5 g moll 

Parritur (16°) Ed. Nr. 2433 M. 1.50 
Stimmen Ed. Nr. 2434 M. 6.- 

„Kamniermusik im hestcn Sinne des Wortcsl" 

Die Musik 
op. 54 

Kleine Sonate fiir Klavier 2hdg. 

Ed. Nr. 2467 M. 2.- 

Die Sonate zeigt die Hand eines liebenswurdigen 
Meistcrs und weist eine Kultur dev Empfindung anf, 
wie mnn sie hetite selten mehr antrifft. 

Fritz von Bose 

op. 9 

Suite Nr. I fiir Klavier 2hdg. 

(Praludium, Scherzo, Intermezzo, 
Menuetto, Gavotte, Finale) 

Ed. Nr. 2055 M. 1.50 

op. 20 

Suite Nr. II fur Klavier 2hdg. 

(Praludium, Scherzo, 
Romanze, Finale) 

Ed. Nr. 2490 M. 2.- 

v. Bose ist Meister eines echtcn gekonnten Klavicr- 

stils, in dem er die Gedanken seiner frischen, liehens- 

wiirdigen Roman tik mitteik. 

Durch jede Musikalienhandlung (auch zur 

Ansicht) erhaltlich. Verlangen Sie den neuen 

„Sieingraber-Gesamtkatalog" 

S teingraber - Vcrlag 
Leipzig 



Dietrich Buxtehude 

SOLO- 

KANTATEN 

fur den praktisclien Gebraucli heraus- 
gegeben von 



Karl Matthae 



i 



Nr. 1 : 



,Singet dem Herrh ein neues 
Lied" 

Solokantate fiir Sopran mit Begleitung von einer 

Violine und Basso continuo (Orgel) 

BA Nr. 121. Orgel- und Singstimme out Violin- 

stimme M. 1.80 

Nr. 2: ,,Heir, anf dicli traue ich" 

Solokantate fiir Sopran niit Begleitung von zwei 

Alolinen und Basso continuo (Orgel) 

BA Nr. 126. Orgel- und Singstimme mit Violin- 

stimme M. 1.80 

Nr. 3: 

Nr. 3: „SlCUt Moses" 
Solokantate mit Begleitung von zwei Violinen, 
Violoncello und Basso continuo (Orgel) 
Orgel- fund Singstimmen 



BA 



Nr. 127. Orgel- fund 

Instrumentalstimmen M. 



mit 



2.- 



Nr. 4: „0 Gottes Stadt" 

Solokantate fiir Sopran mit Begleitung von zwei 

Violinen, Violoncello und Basso continuo (Orgel) 

BA Nr. 128. Orgel- und Singstimmen mit 

Streicherstimmen M. 2.40 



Der Ugrinogesellschaft komnit das grofie Ver- 
dienst zu, daft gegenwartig unter Mitwirkung 
von Professor Dr. Gurlitt die Kantaten von 
Buxtehude in vorbildlicher Weise veroffentlicht 
werden. Die vorliegende Ausgabe will keine Be- 
arbeitung sein, sie beschriinkt sich darauf, den 
Notentext in getreuer Weise nach der Original- 
parti tur unter Hinzufiigung einer ausgeschriebenen 
Continuostimme wiederzugeben. Die Ausgabe ist 
mit feinem inneren VerstSndnis besorgt. Auch 
das Aeussere derselben ist beachtenswert. 

(Die Kirchenmusik Jahrg. VIII/89) 

Der Barenreiter-Verlag zu Kassel 



218 



ERNST KRENEK 


IIIIIIIIIIIIIMIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIHIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIMIIIIIIIIIIIIUIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIMIIIIIIIIIIIIIIIIIIIHIIII 


DREI EINAKTER 


ininiiininiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiniiiiiiiiiiMiiiiiiiiMiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiniiiiiiiiiiiiiiiMiiiMiiiiiiniiiiiiiniiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiMiiMiiiiti 


DER DIKTATOR 


SCHWERGEWICHT ODER DIE EHRE DER NATION 


DAS GEHE1ME KONIGREICH 


Urauffuhrung am Staa tstheater in Wiesbaden am 6. Mai 1928. 


Klavierausziige und Textbucher in Vorbereitung 


UNIVERSAL-EDITION, WIEN-LEIPZIG 



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Zu obiger Ausstattung sind 
s&mtliche Hefte erschienen 



DIE ERSTEN HEFTE DER NEUEN SERIE 

DER MODERNE TANZ 
IN DER KUNSTMUSIK 



U.-E. Nr. 



Fiir Klavier zu 2 Handen 



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9507 Wilhelm Grosz, Tango aus „Baby in der Bar" 1.50 
8791/94 Alois Hdba, Vier Tanze a 1.- 

(1. Shimmy-Blues - 2. Blues - 3. Boston - 4. Tango 

8871 Ernst Krenek, Blues, „Leb' wohl mein Schatz" 

aus „Jonny spielt auf" 1.50 

8954/58 Eiwin Schulhoff, Cinq Etudes de Jazz . . a 1.20 

(1. Charleston - 2. Blues - 3. Chanson - 4. Tango 
5. Toccata u. d. Shimmy „Kitten on the Keys") 

8900 Kurt Weill, Alabama-Song. Blues aus „Maha- 

gonny" (mit Gesangsstimme) . . . . . 1.50 



Durch j e d e Musikalienha n'd lung zu beziehen 

UNIVERSAL-EDITION A.-G., WIEN-LEIPZIG 



219 



58. TONKUNSTLERFEST 
des Allgemeinen Deutschen Musikvereins 

vom 20. bis 24. Mai 1928 in SCHWERIN i. Mecklb. 
Fest-Programm 

20. Mai 

18.30 Uhr: 1. Orchester unci Chorkonzert: 

v. Keufiler, Symphonie — v. Wolfurt, Tripelfuge fur Orchester — 
Lechthaler, Stabat mater 

21. Mai 
11 Uhr: 1. Kammerkonzert : 

Gebliard, Sonatine — Weber, Streichtrio — Hans Ebert, Riblische 
Balladen fur Sopran — Geiser, Suite fur Violine unci Klavier — 
Sternberg, Streichquartett Nr. 2 

20 Uhr: Im Staatstheater : 

Petyrek, Die arme Mutter unci der Tod — A. Reufi, Glasblaser 
mid Dogaressa. — Dir. : 1. Kapellmeister W. Lutze 

22. Mai 
20 Uhr: 2. Orchester-Konzert : 

Geierhaas, Thema mit Variat. fiir Orch. — Maler, Suite f. Cemb. 
und Orch. — Pisk, Hymnus an die Liebe — Hoffer, Symphonie 

23. Mai 
19 Uhr: 2. Kammerkonzert: 

Weismann, Madrigal — Butting, Klavierstucke — Hermann, 
Chorsuite — Raphael, Streichquintett — Marx, Motette 

24. Mai 
19.30 Uhr: 3. Orchester-Konzert: 

Goldschmidt, Partita fiir Orchester — Hindemith, Bratschen- 
konzert — Reutter, Tripelkonzert — Prohaska, Passacaglia 

Mitwirkende : 

Amar-Quartett - Frieda Dierolf - Irene Eden - Professor Havemann und Quartett - 

Frau Hoffmann-Behrendt — Paul Hindemith — Ludwig Kentner — Lotte Leonard — 

Johannes Straufi - Aug. Rapold - Herm. Reutter - Herm. Schey 

Dir. eig. Kompositioneil : G. v. Keufiler, B. Goldschmidt 

Chdf6 ' "-* 1, Holies Madrigalchor - Gesangverein, Lehrerges.-Ver., Liedertafel, Staatstheater- 
chor, Schwerin — Volkschor-Parcnim, Musikverein Wismar 

Orchester : Die verstarkte Staatskapelle . 

FeStdiligent: Prof. Willihald Kaehler, Meckl. Generalmusikdirektor 

Anderungen vorbelialten 
Kartenbestellungen zu richten an: Althen & Claussen, Konigstr. 71, Schwerin i. Mecklb. 



220 



L. WINDSPERGER 



Aus seinem Schaffen : 
VIOLINE 

Sonate Adur fur Violine allein, 

op. 13 Nr. 2 . M. 4. - 

15 Improvisationen fiir Violine allein 
op. 14 3 Hefte je M. 2. - 

Konzertstiick D tl u r fiir Violine u. Klavier 

op. 12 Nr. 1 M. 4. - 

Scherzo h m o 1 1 fiir Violine mid Klavier 

op. 16 Nr. 2 M. 2.- 

Scherzo f is moll fiir Violine und Klavier 

op. 16 Nr. 2 M. 1.50 

Intime Melodien fiir Violine und Klavier 

op. 19 2 Hefte je M. 3. - 

Sonate d m o 1 1 fiir Violine und Klavier 

op. 26 ■ . . . M. 6. - 

Kleine Stiicke fur Violine u. Klav., op. 38 

(in Vorbereitung) 
Sonata brevis (quasi una Fantasia) 
op. 41 Nr. 1 (in Vorboreitung) 

Sonate fismoll fiir Violine und Orgel, 
op. 11 Nr. 1 M. 6.- 

VIOLA 

O d e c m o 1 1 f. Viola allein, op. 1 3 Nr. 2 M. 2. - 
Sonate fiir Viola allein, op. 42 
(in Vorbereitung) 

VIOLONCELLO 

Sonate dmoll fiir Violoncello allein, 
op. 3 Nr. 1 . . . M. 3. - 

Sonate Ddur fiir Violoncello allein, 
op. 3 Nr. 2 M. 3. - 

Sonate Ddur fiir Violoncello und Klavier, 
op. 15 Nr. 1 ...... M. 5. - 

Kleine Konzert-Suite dmoll fur Violon- 
cello und Klavier, op. 15 Nr. 2 M. 3. - 

Rhapsodie-Sonate Cdur fiir Violoncello 
und Klavier, op. 20 M. 8. - 

Sonate Edur fiir Violoncello und Orgel 
op. 11 Nr. 2 M. 8.- 

KAMMERMUSIK 

Trio hmoll fiir Klavier, Violine u. Violon- 
cello, op. 18 ... Stimmen M. 8. — 

Quartett gmoll fiir 2 Violinen, Viola und 
Violoncello, op. 21 
Stud.-Part. M. 2. - , Stimmen M. 8. - 

Drci Suiten fiir 4 Ventilhiirner, op. 31 

Turmmusik - Waldmusik - Abenclmusik 
(Stininien leihweise) 

B. S chott's Sohne 

Mainz und Leipzig 



A. GLAS 

lllllllllllllll IIIIIIIIIIIUIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIMIIIIIUIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII 

DAS SPEZIALHAUS 
FUR GUTE MUSIK 

IIMIIIIIIIIIIIIIMllllllllllllllllllllllllllllllllHIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIMIIHIIIIIIIIINIIIIIIIIIIlllll 



weist enieut darauf hin, dafi es 
samtliche "Werke des Verlages 

B. Schotfs Sohne, Mainz 

vorriitig liiilt. 



* 

Besonderer Beachtung hediirfen die 
AVerke der zeitgenossischenKomponisten 
Butting, de Fnlln, Grainger, Gret- 
chaninoff, Haas, Hindemith, Jarnach, 
Komgold, Kreislcr, Milhaud, Ravel, 
Scott,Slrawinsky,Toch,WcigI,Winds- 
perger usw., die jcderzeit unverbindlich 
eingeselien werden konnen und auf 
Wunsch ansichtsweise zur Verfiigung 
gestellt werden. 



FORDER1N SIE BITTE 
KOMPLETTE KATA- 
LOGE GRATIS VON 



A. GLAS 



Musikalienhandlung und Antiquariat 

Berlin W 56 - Markgrafenstrafie 46 

(Ecke Franzosiscliestr.j 

Telefon: Merkur 5706 
Gegrundet 1838 



MELOS 

ZEITSCHRIFT FDR MUSIK 

SCHRIFTLEITUNG: PROF. DR. HANS MERSMANN 

Alle^Sendungen fiir die Sdiriftleitung und Besprecliungsstiicke nadi Berlin-Grunewald, Neufertallee 5 (Fernspr. Uhland 3785) erbcten. 
Die Schriftleitung bittet vor Zusendung von Manuskripten um Anfrage mit Rfickporto. Alle Redite fiir samtliche Beitrtige vorbchalten. 
?6r Anzeigen und Verlagsmitteilungen verantwortl. : Dr. Johannes Petschull, Mainz / Verlag: MELQSVERLAG (B. Schott's Sohne) 
MAINZ, Weihergarten 5; Fernspredier 529, 530; Telegr.: Scotson; Postscheck nur Berlin 19425 / ^Aiislieferung in Leipzig: Linden- 

strafic 16/18 (B. Sdiott'a Sohne) / Druck: B. Sdiott's Sohne, Mainz 
Die Zeitschrift erscheint am 15. jeden Monats. — Zu beziehen durdi alle Buch- und Musikalienhandlungen oder divekt voni Verlag. 
Das Einzelheft kostet 1. - Mk., daa Abonnement jfihrl. (12 H.) 8. - Mk., viertelj. f3 H.) 2.50 Mk. (zuziigl. 15 Pf. Porto p.H., Ausland 20 Pf. p. H.) 
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ZUMINHALT 

Die schon in friiheren Heften begonnenen und systematisch ausgebauten Beziehungen 
zur russischen Musikkultur werden hier wieder aufgenommen. Dei - Fragenkreis 
umspannt diesmal ein raumlich und sachlicli geweitetes Stoffgebiet. Unter den ersten 
Gesichtspunkt fallt die zusammenfassende Darstellung der ukrainischen Entwicklung, 
welclae deren geistiger Fiihrer Philipp Kositzki, der Leiter der Musikabteilung des ukrainischen 
Volkskommissariats fur Bildungswesen, vorlegt. Der Aufsatz fiihrt in einen uns Deutschen 
bisher vollig unbekannten Bereich. Zu den sachlichen Erweiterungen gehoren die Unter- 
suchungen liber die Entwicklung der Musikkritik in Rufiland. Der den Lesern des MELOS 
bereits bekannte Verfasser leitet, was nicht ohne Interesse sein durfte, da es Xhnliches 
bei uns noch nicht gibt, ein Seminar fur Musikkritik am Staatlichen Kunsthistorischen 
Institut in Leningrad. 

Die neue Form unserer Notenbedage erlaubt uns, auch geschlossene Stiicke in 
kleinerem Umfang vorzulegen, wie in diesem Falle ausgewahlte Proben kirgisischer 
Volksmusik, von der bisher kaum irgend eine Kunde zu uns geiangte. 

Die Rubrik RUNDFUNK bringt in diesem Hefte zum ersten Male einen Uber- 
blick iiber die musikalischen Programme der letzten Monate. Die MELOSKRITIK stellt in 
der Werkbesprechung Honeggers neue Musik in den Mittelpunkt. Die letzten dramatischen 
Werke dieses Komponisten lassen deutlicher, als es bisher moglich war, die Impulse 
seiner kunstlerischen Entwicklung erkennen. Seine ,,Antigone" bezeichnet einen charak- 
teristischen Typus gegenwartigen Opernschaffens. 

Die Schriftleitung 



M U S I K 

Wolfgang Greiser (Elbiiig) 

BETRACHTUNGEN ZUR FRAGE DER ENTSTEHUNG DER 
RUSSISCH-KUNSTLERISCHEN MUSIK 

Es ist ein augenscheinlich auffallendes Moment, dafi man in ganz Europa ebenso 
wie in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, in den Kulturteilen Asiens ebenso 
wie in denen Afrikas unter den gewifi A r ielseitigen Ktinsten des Rufilands der Gegen- 
-wart der jiingsten Kunstrichtung dieses Landes, seiner Musik, ein ganz besonderes Interesse 
entgegentragt. Auffallend ist dieses Moment umsomehr, als russische Kunst sonst eigentlich 
im allgemeinen einen recht schweren Kampf urn ihre Anerkennung auszufechten hat. 
Auf dem Gebiet der Musik aber hat das an sich als kultiireh zuriickstehend behan- 
delte Land anscheinlich alle Errungenschaften der musikalischen Fortschrittlichkeit 
anderer Lander leicht aufzunehmen und zu assimilieren und die Ergebnisse dieser Acht- 
samkeit raschest in das Betiitigungsfeld eines Volkes einznsteUen gewufit, dessen musika- 
liches Rediirfhis ungemein grofi, dessen tonsprachliches Leben individuellst und zugleich 
audi harrend in dem Drange nach Mitteilsamkeit stand. So kommt es, dafi alle russische 
Musik bis in die neueste Zeit hinein den geradezu als uppig zu bezeichnenden Schatz 
der Volksliedpflege zur Grundlage und zum Fundament seines Aufbaues tragen mufite; 
denn erst aus dieser Erscheinung heraus enstand Rufilands rein kiinstlerische Musik. 

Als erste Stufe dieser kiinstlerischen Entwicklung russischer Musikpflege ist gleich- 
sam die von Westeuropa importierte leichtere und schwerere Theatermusik aufzufassen. 
Aus ihrer Vielgestaltigkeit heraus war es vor alien Dingen zunachst einmal die Oper, 
die im zaristischen Rufiland des 17. Jahrhunderts den Interessen der damals russischen 
Aristokratie am eindringlichsten nahe kam. Doch waren es in erster Linie nicht 
russische Komponisten, die diese Musikrichtung im Zarenreiche zu entwickeln vermocht 
hatten, sondern mit der italienischen Oper audi deren Komponisten, die sich gern in 
den Dienst des Zarenhofes zu stellen bereit waren, und nach Araia, Galuppi und Paesiello 
nur ungern den spater herbeigerufenen franzosischen Nachfolgern Platz machten. 

Russische Meister begannen sich erst Ausgangs des 1 8. Jahrhunderts als selb- 
standige Kiinstler in der Musik bemerkbar zu machen. Sie entstammten zumeist dem 
russischen Adelsstande, traten aber doch allgemein, selbst in den damals fuhrenden Ge- 
sellschaftsschichten, noch so schwach in Erscheinung, dafi man getrost behaupten darf, dafi 
Rufiland zu Zeiten unseres Karl Maria v. Weber und unseres Schubert so gut wie gar 
keine eigene Opernmusdc besafi. Es bedurfte erst der Arbeiten eines Michael Glinka 
(1804 — 1857), um Werke von Klang und Achtung schaffen zu konnen, die in ihrer gehalt- 
vollen musikalischen Tonkunst eine Gegentiberstellung zu den gleichgerichteten Kom- 
positionen Westeuropas ertragen konnten. Die Bourgeoisie schenkte ihnen demzufolge 
audi gern eine recht anerkennende Beachtung, und war in Glinkas „Russlan und Ludmilla" 
audi oft eine ganz enge Anlehnung des Komponisten an Webers und Mozarts Satz- und 
Thementechnik vorhanden und feststellbar, so traten hinter Glinka doch alle seine Zeitge- 
nossen russischer Mitarbeiterschaft so stark in den Schatten, dafi er sehr bald der ge- 



ENTSTEHUNG RUSSISCHER KUNSTMUSIK 223 

feierte russische Fiihrer der Oper im Zarenstaate war. Glinkasche Rhythmen sind ja auch 
uns Deutschen nicht fremd geblieben. 

Trotz alledem fanden weder Glinka n,och seine Zeitgenossen und Mitarbeiter 
russischer Opernkompositionen, so sehr diese aucb dem Bediirfnisse des heimatlichen Landes 
entnommen worden waren und entsprachen, nicht die Resonanz und den Aufhahme- 
kreis im Volke, den man den ebenso fleifiigen wie reizvollen Arbeiten eigentlich hatte 
wiinschen mogen. Aber es waren an sich eben zu begrenzte und zu beengte Volks- 
kreise, die das durchaus intelligente Schaffen dieser ersten musikaliscben russischen Schule 
guten Konnens stiitzten, und so blieb der begonnene Anlauf zur Entwicklung einer 
russiscb typischen Kunstmusikpflege eigentlich nach kurzem Aufleben auch schon wieder 
auf halbem Wege stehen; denn es gelang weder der Aristokratie noch der damaligen 
sehr einflufireichen Adelsgruppe der Rasnotschinzy die Atmosphare der Auswirkung dieser 
ersten Kompositionsschule auf einen ganz starken Untergrund zu stellen. 

Dieses Fehlen einer grofien Basis konnte sodann natiirlich auch nicht sofort 
durcli Neuanlehnungen Rubinsteins und selbst Tschaikowskis an neuartige West- 
molive europaischer Kompositionen ersetzt werden, und so bedurfte es erst des Drei- 
gestirnes Rorodin, Mussorgski und Rimsky-Korssakow, um die Psych ologie 
der tragenden Volksmasse durch die Verkniipfung des Volksliedes mit der Technik 
der kunstlerischen Komposition kollektiv gewinnen zu konnen. Drei Gliederungsgruppen 
sind hierfiir charakteristisch und bedeutsam ge worden, der Skrjabinsche Ton- 
symbolismus, die Strawinskische Koloratur und der Neoklassizismus Pokrofjews. 
Niin brauchte nur noch Glasunow zu den soeben genannten Komponistengruppen 
hinzuzutreten, um den Ruf russischer Musik unmittelbar vor Kriegsausbruch in alle 
Welttede treten zu lassen. Zu ihm gesellte sich dann noch der ruhmreiche Rachmaninoff 
mit seiner schopferischen Kraft, und treten selbst jetzt noch trotz alien eigenen Schaffens 
der Einflufi Wagners und Debussys immer und immer wieder unableugbar in Er- 
scheinung, so nahm die russische Musik nunmehr doch zugleich auch eine so feine 
Stilkultur an sich selbst vor, dafi sie neben die Opernpflege nur noch die Kammer 
zu treten lassen brauchte, um bei aller Sympathie zum Westen das charakteristisch 
nationale Merkmal in ihr als ein Vermachtnis festhalten zu konnen, das bis in unsere 
Tage hinein immer wieder tiberrascht. 

Als Rufiland im Weltkriege von der Revolution und ihren Auswirkungen erfafit 
wurde, rief diese naturgemafi auch auf dem Gebiete der Musik zunachst einmal eine 
starke Verwirrung hervor. Diese machte sich bei einem Teile aller russischen Kunstler 
darin bemerkbar, dafi sie sich in das Ausland begaben, wahrend ein anderer Teil im 
Inlande verblieb. Der zuriiclcgebliebene Teil erwies sich aber als ungemein geschwacht, 
da eben die Resten auch hier die „Front" verlassen hatten. Raclimaninoff, Pokrofjew, 
Metner, der Dirigent Kussewitzki, die Pianisten Borowski und Orlow und viele andere 
waren fluchtartig ins Ausland gewandert. Zugleich hatte aber auch das Publikum als 
Musildiebhaber eine vollige Abwandlung und Auswechselung erfahren. Uber die Ideinen 
Kreise der Aristokratie des Einst war nun die Millionenmasse der arbeitenden Bevolkerung 
emporgewachsen imd zeigte im Einvernehmen mit ihrer Jugend ein geradezu ungeheuerlich 
reiches Mafi neuen Musikbediirfnisses. Die Konzertsale wm - den jetzt von der neuen 
Zuhorerschaft forndich gestiirmt, Konzertgruppen und Orchester allerorts organisiert und 



224 



PHILIPP KOSITZKI 



vom Volkskommissariat fur Bddungswesen in jeder Weise weitest protegiert. Selbst auf 
die Zusammensetzung der Programme gewannen die neuen Musikgemeinden Einflufi. Das 
Problem des Spielplanes wurde sogar zur aktuellen Frage der Menge, die Hebung ihres 
kunstlerischen Niveaus darin erstrebt und doch mit den Allgemeinerlebnissen der 
Revolution derart eng verkniipft und verbunden, dafi zum Inhalte jetzt nur noch die 
neue Gestaltung zu treten brauchte, um neben den Sinn der Musikpflege nun auch die 
Methode der Neuwahl treten zu lassen. Die unter freiem Himmel abgehaltenen Revolutions- 
massenfeiern forderten auch eine hierfiir geeignete Musik. Der „Proletkult" gab ihr 
neue Ausdrucksweisen, und gegenwartig ist der „Musiksektor des Staatsverlages in Rut- 
land" der Hauptverbreiter dieser Sonderart revolutionarer Musikliteratur. Damit stiitzt 
er insonderheit die Qualitaten Gnesin, Krein, Glier und andere aktive Krafte. 

Zu alledem brachte auch die allgemein eingetretene wirtschaftliche Festigung des 
Landes nach und nach wieder eine Dezentralisierung vom Kriegsepoche-Kommunismus, 
und so bestehen in einzelnen GroCzentren Rufilands, z. R. in Moskau, Leningrad und 
Odessa, zur Zeit besondere Abonnementssysteme zwecks materieller Fundierung der tat- 
sachlich in vorderster Reihe marschierenden Arbeiterintelligenz. Von Moskau bis hin in 
die entlegensten Provinzwinkel reichen heut somit die Organisationen der an Zahl 
immer grofier werdenden Symphonie-Orcliester, und die Riesenerfolge der Beethoven- 
feiern in Leningrad, Odessa und Tiflis reden ungezwungen in lauten Tonen vom Einflusse 
dieser Art Musikkronung auf Rufilands Arbeiterklubs. Die Konzerte hochqualifizierter 
Virtuosen konnten wiederholt vor einem reinen Arbeiterauditoritlm stattfinden, und der 
Umstand, dafi die Moskauer, Leningrader und Odessaer Philharmonie sowie die Moskauer 
Assoziation fur moderne Musik enge Verbindungen mit Westeuropa geschaffen und auf- 
recht erhalten haben, cbarakterisiert zur Geniige die gegenwartige kiinstlerische Musik- 
lage RuClands als machtvoll, stark und als den Ausdruck eines Willens, in dem sich des 
Volkes Herz und Seele auf boher Musikbasis finden. 



Philipp Kositzki (Charkow) 

MUSIK IN DER SOWJET-UKRAINE 



Zur Beurteilung der seit der Revolution erzielten Fortschritte auf dem Gebiet der 
Musik mufi man die Tatsache in Beti-acht ziehen, dafi bis 1917, d. h. in der Periode 
des zaristischen Regimes die ukrainische Kultur, ganz gleich in welcher Form sie sich 
aufierte, unterdriickt worden war. Wir woUen nicht die Repressalien in Schule, Presse, 
Literatur, Theater usw. auffiihren, bemerkeia nur einige Tatsachen, die die Musik direkt 
angehen: es dixrfte wold bekannt sein, dafi in den 80 er Jahren des vorigen Jahr- 
hunderts der Komponist Lissenko wegen des Verbots, offentlich uki'ainische Musilc zur 
Auffuhrung zu bringen, in einem Konzert ukrainische Volkslieder in franzosischer 
Sprache singen lassen mufite. Rei Schulfeiern waren ula-ainische Volkslieder und Komatki 
(ukrainische Weihnachtslieder) verboten. Die Geistlichkeit forderte von den Lokal- 
behorden, vorwiegend in den Dorfern, das Verbot, ukrainische Vollcslieder zu singen. 



MUSIK IN DER SO WJET-UKRAINE 225 



Auf diese Weise erstrebte man, die Entwicklung der Liedkomposition zu unterbinden 
und das ukrainische Lied aus dem Leben des Volkes zu enti'erneii. 

Konservatorien nnd Musikschulen in der Ukraine haben bewufit das ukrainische 
Volkslied ignoriert; die an der ukrainischen Musik Interessierten mufiten sich privatim 
Lehrer suchen oder halb illegale Musikschulen griinden. Daher ware es vergeblich, 
unter solchen Bedingungen irgend eine nennenswerte Entwicklung der idcrainischen 
Kultur, nationaler Form en zu erwarten. 

Einzelne Kiinstler, die auf diesem Gebiete arbeiteten, mufiten bereit sein, iiber 
sich allerhand administrative Gegenmafinahmen ergehen zu lassen, die auch nicht selten 
vorgekommen sind. So fanden bei bedeutenden Komponisten ihrer Zeit, wie Lissenko, 
Stezenko u. a. Haussuchungen, Verhaftungen und auch Verschickung statt. Trotz alle- 
dem gingen aus der Ukraine eine Reihe Komponisten hervor, die eine ansehnliche 
Musikliteratur (Chore, Lieder, Kammermusik, Opern) geschaffen haben. Es waren die 
Komponisten Lissenko, Nischtschinski, Stezenko, Stepowij, Seniza, Leontowitsch u. a. 
sowie Chordirigenten, von denen einige, z. B. Koschitz, weithin bekannt geworden sind. 
Was die Volkskomposition anbetrifft, so gibt sie ein in kultureller Beziehung sehr wert- 
volles Material ab, das bisher noch nicht vollstandig gesammelt und erforscht ist. So 
war, in kurzen Ziigen gezeichnet, die Lage der Musik in der Ukraine, die auf dem 
Territorium des zaristischen Rufilands eine Bevolkerung von iiber 28 Millionen zahlte. 

Die Oktoberrevolution 1917 brachte fiir die ukrainische Musik die nationale Be- 
freiung. Der ukrainische Sowjetstaat proklamierte als Losung die „Liquidierung des 
musikalischen Analphabetentums der Massen". Der Sowjetstaat (bewuSt der Bedeutung, 
die Musik als Hilfsmittel fiir politische Erziehung der Massen hat) bemiiht . sich, die 
bestmoglichen Bedingungen zur Entwicklung des selbsttatigen MusikschafFens der Arbeiter- 
und Bauernmassen, als der musikalisch am riickstandigsten Schichten, zu erzeugen und 
dadurch die Bedingungen fiir eine dem Inhalt nach proletarische, der Form nach 
nationalen Musik zu schaffen. 

Unser System der musikalischen Bddung entspricht unserem allgemeinen Bildungs- 
system und hat drei Arten von Musikschulen: Institut, Technikum und Berufsschule. 
Institut und Technikum sind HochschuUn, die sich in der Art der Qualifikation, die 
der Student dort erhalt, unterscheiden. — Institute bilden aus : Padagogen, Dirigenten, 
Komponisten, Musiktheoretiker und Instruktoren fiir musikalische Massenarbeit. Die 
Techniken : Insti'umentalisten und Sanger fiir Konzert, Oper etc. Die Musikberufs- 
schiden sind jMittelscbulen, die Schiller fiir Institute und Techniken vorbereiten. In 
einzelnen Fachern (Blaser, Klavierstimmer usw.) geben sie den Schiilern eine voile 
Qualifikation. 

1926 — 27 haben wir in der Sowjetukraine 3 Musikinstitute (Charkow, Kiew, Odessa), 
6 Techniken und 26 Musikberufsschtden. Aufierdem gibt es fiir Erwachsene, die ihres 
Alters wegen nicht in Berufsschulen, resp. Techniken oder Institute aufgenommen werden, 
sogenannte „Musikkurse", in denen sowohl elementare Kenntnisse in Verstehen und 
Ausiiben der Musik beigebracht als auch die Schiiler bis zur Konzerti'eife herangehildet 
werden. Gegenwartig haben wir zehn solcher Musildcurse. ' 

Eine elementare Musikbddung erhalten die Kinder teils in den Arbeitsschulen, 
teils in den Kinderabteilungen, die an den Musikberufsschulen bestehen, teils in den 



226 PHILIPP KOSITZKI 



Musikzirkeln der Klubs *), In letzter Zeit geht man dazu tiber, einzelne Arbeitsschulen 
mit einem bestimmten musikalisclien Einschlag im Scliulprogramm einzuricbten. 

Neben der Reorganisation des Systems der Musikbddung wurde eine grofie Arbeit 
durchgemacht in Bezug auf die Proletarisierung und Ukrainisierung der Musikschulen. 
Die Schwierigkeit in dieser Hinsicht kann man erst wiirdigen, wenn man in Betracht zieht, 
dafi einerseits bis 1917 die Schiller an den Musikschulen vorwiegend aus Kreisen des 
Biirgertums und der biirgerlichen InteUigenz stammten, andererseits die national- 
ukrainischen Formen absolut ignoriert wurden. 

In den letzten Jahren konnte man in dieser Hinsicht Fortschritte feststellen, die 
durch folgende Tabelle **) veranschaulicht werden: 





Arbeit er 


Bauern 


Angestellte 


Andere 


Insgesamt 


Musikinstitute 


11,5% 


11,6% 


62,7 % 


14,2% 


100% 


Musik-Techniken 


8,7% 


2,3% 


78,4 % 


10,6% 


100% 


Berufsschulen 


14,2% 


3,7 % 


54,6% 


27,5% 


100% 



Auf dem Gebiete der Ukrainisierung: der Unterricht wird zum grofiten Ted in 
ukrainisclier Sprache gefuhrt. Neue Facher sind eingefuhrt: Geschichte der ukrainischen 
Musik, Studium ukrainisclier Volkslieder, ihr Bau, ihr Std, musikalische Bearbeitung 
ukrainischer Volkslieder (als Pflichtfach in Kompositions- und Theorieklassen). 

Einen weiteren Fortschritt bilden die vielen Musikvereinigungen offentlich-gesell- 
schaftlicher Art (Chore, Vokal-Ensembles, Quartette u. a.). Die Chore der Klubs nicht 
mitgerechnet, gibt es gegenwartig in der Ukraine etwa 1500 Chore. Diese sind in drei 
Typen eingeteilt : Orts-, Bezirks- und Staatschore. Die . ersten treten nur in ihrem 
Wohnort auf, die Bezirkschore konzertieren innerhalb Hires Bezirks, (Okrug = Provinz), 
die letzten bereisen die ganze Ukraine. — Der beste Staatschor „Dumki" ***) bereiste 
seit seiner Griindung vor ca. 8 Jahren schon einige Male die ganze Ukraine, konzertierte 
audi in Weifirufiland, in Moskau, Leningrad, Kaukasus usw. — Audi die Quartette ***), 
Vokal-Ensembles ***), usw. bereisen die Ukraine. Die Kiewer Kobsarenkapelle ***) 
(Spieler ukrainisclier Nationalinstruniente) hat in den letzten zwei Jahren auf ihren Konzert- 
reisen in der Ukraine fast in jedem Stiidtchen gespielt und tiber 200 Konzerte gegeben. 

Um breiteste Schichten der Bevolkerung zur Musikpflege heranzuziehen, hat das 
Volkskommissariat fur Bddungswesen, unter engster Mitarbeit der offentlich-gesellschaft- 
lichen Musik organisationen und der Musikschulen, im Dezember 1926 den „Tag der Musik" 
als eineu staatlichen Feiertag bestimmt. Als erste Aufgabe die dieser Tag erfullen 
sollte, war gestellt: Heranziehen der Massen zur Musik, Popularisation der national- 
ukrainischen und der auslandischen Musik unter den Massen, Propaganda fur Musik 
und Hire soziologische Bedeutung. — Der Eintritt zu den anlafilich des „Tages der 
Musik" veranstalteten Konzerten, denen Vorlesungen vorausgingen, war frei. Es wurden 
Konzerte niclit nur in den Stadten und Arbeitervierteln, sondern vielfach audi auf 

*) Der Klub ist die Kulturpflegestelle fur die Gesamtbelegschaft eines jeden Unternehmens. Solche 
Klubs sind jeder Fabrik, jedem Unteinehmen staatlichcr und genossenschaftlicher Art, jeder Gewerkschaft, 
jeder Behorde usw. angeschlossen. — Auf dem Dorf ist es das Dorfhaus (Selbudynok). 

**) Nacli Angaben der offiziellen Statistik des Volkskommissariat fur Bildungswesen fiir das 
Lehrjahr 1925-26. 

***) der allukrainisclien Musikgesellschaft ,,Leonlowitsch" angeschlossen. 



MUSIK IN DER SOWJET-UKRAINE 227 

dem Lande veranstaltet. — Das Interesse breiter Massen war aufierordendich grofi. 
Eine Menge Fragebogenmaterial, das in diesen Konzerten verteilt worden war, um 
Geschmack, Wimsche, Eindruck usw. der Besucher zu erfahren, wird jetzt durchgesehen 
und durchgearbeitet. 

Einen ahnlichen Massencharakter trug die Feier anlafilich Beethovens lOOjahrigem 
Todestag, wenngleich diese Feiern vorwiegend in den Stadten stattgefunden haben, 
wo Musikschulen mid Orchester besteben. In Charkow wurde die Beethovenfeier mit 
einem grofien Meeting in der Oper eroffnet, dem Orchester-, Kammermusik- und Solisten- 
konzerte folgten (vom 26. Marz bis 15. Mai 1927). Die Kammermusik und Solisten- 
konzerte wurden vielfach in den Arbeitervierteln wiederholt. 

Der politisch-aufklarende Erfolg dieser Beethovenfeiern bestand darin, dafi breitere 
Massen Beethovens Werke kemien lernen konnten, und daft man dabei seine Werke und 
Bedeutung von der sozialen Seite aus hat beleuchten konnen. 

Solche Musikkampagnen sind fur uns von grower Bedeutung; iiberaU beleben sie 
die musikalische Tatigkeit, ziehen alle aktiven Elemente (Chore, Orchester, Musikschulen) 
in die Arbeit hinein, lenken die Aufmerksamkeit breiter Schichten auf musikalische Er- 
eignisse, erwecken Interesse an Musik und bringen die Massen in ein naheres Verhaltnis 
zur Musik. 

2. 

Ein besonderes Ereignis war 1925 die Eroffmmg der ukraiiiischen Staatsoper in 
Charkow. 1926 begannen auch die Staatsopern in Kiew und Odessa Opern in 
ukrainischer Sprache zu bringen. Diese drei Opernbiiluien sind im Operntrust ver- 
einigt, werden einheitlich verwaltet und unterstehen unmittelbar dem Volkskommissariat 
fur Bildungswesen. Durch diese Vereinigung war es dem Operntrust moglich, die 
besten Kiinstler und Krafte heranzuziehen. — Von Aufluhrungen, die in kiinstlerischer 
Hinsicht besonders wertvoll waren, kann man „Furst Igor" (in ukrainischem Stil), „Jahr- 
markt von Sorotschin", „Schmuck der Madonna", „Meistersinger", „Barbier von Sevilla", 
„Cai'men" und einige andere russische Opern hervorheben. 

Der Operntrust veranstaltet durch sein Konzertbiiro eine Beihe symphonischer 
Konzerte, zum Teil unter Mitwirkung oder Leitung von Gastkiinstlern (Oskar Fried, 
Malko, ProkoffiefF, Medtner, Kubelik u. a. m.). 

An ukrainischen konzertierenden Vereinigungen haben wir das Streichquartett 
„Leontowitsch", das vorwiegend neue Quartettliteratur bringt, das Streichquartett ,,Villome", 
Symphonieorchester, Kobsarenkapellen in Charkow, Kiew und Poltawa; von Choren: 
„Dumki", „Duch" u. a. — Auch die Musikschulen entfalten eine intensive Tatigkeit 
durch verschiedenste Konzertverstanstaltungen. 

Eine besondere Erwahnung verdient die bereits genannte MusikgeseUschaft „Leon- 
towitsch", der weit iiber 1000 Musikorganisationen und zehntausende Mitglieder angehoren. 
Diese 1921 gegriindete Gesellschaft begann auf offentlich-gesellscliafdicher Basis Musik 
unter der Losung „Oktober in der Musik, Musik fur die Massen" zu propagieren. Von 
Jahr zu Jahr wuchs die Popularitat dieser GeseUschaft, die sich sowohl in organisatorischer 
Hinsicht weit verzweigte, als auch einen grofieren Einflufi auf das Musikleben in der 
Ukraine gevvann. Gegenwartig hat diese Gesellschaft in alien grofieren Stadten der 
Ukraine ihre Ortsgruppen, die durch Unterteilung bis in die Dorfer hinein organisatorisch 



228 



ALOIS MELICHAR 



verbunden sind. Die Zentralleitung hat ihren Sitz in Charkow. Die Arbeit der Ge- 
sellschaft wird von Sektionen fiir Konzertieren, Komposition (an der fast der gesamte 
Kompoiiisteimachwuchs tednimmt), Musikwissenschaft, Methodologie, Musikverlag usw. 
durchgefiihrt. Ihr Organ besitzt die Gesellschaft in der Zweimonatssckrift „Musyka" 
der einzigen Musutzeitschrift der Ukraine, die sowohl musiktheoretische Beitrage bringt, 
als auch das jeweilige Musikleben in der Ukraine wiederspiegelt. /Vuf mtisikwissen- 
schaftlichem Gebiet wird aufier der entsprechenden Sektion der Gesellschaft iin Musik- 
ethnographischen Kabiuett der ukrainischeii Akademie der Wissenschaft in Kiew (miter 
Leitung des Ethnographer! K. Kwitko) und in den Musikforschungszellen der Musik- 
institute (besonders in Kiew unter Leitung des Musikhistorikers Prof. Grintschenko) 
gearbeitet. 

In der neueren ukrainischeii Musik kann man von zwei Richtungen sprechen, ein- 
mal diejenige, die neue Formen und neue Klangfarben sucht, die andere, die auf der 
Basis des national-ukrainischen Volksliedes in seinen verschiedensten Formen zur kiinst- 
lerischen Hohe strebt. — Von jetzt in der Sowjetukraine lebenden Komponisten sind 
folgende zu verzeichnen : Seniza, Werikowski, Rewuzki, Janowski, Lisowski, Kositzki, 
Zolotarew, Kostenko, Liatominiski, Boguslawski, Meitus, Dremzow, Tolstiakow, Werho- 
winez, Batiuk, Popaditsch, Jazinewitsch ; von den jiingsten Steblianko, Koliadu, Pogarski, 
Borisow. 

1st es im Rahmen ernes Artikels nicht moglich, ein erschopfendes Bild von der 
Musik in der Sowjetukraine zu geben — wir haben das weite Gebiet der musik- 
aufklarenden Arbeit, wie sie in den Klubs, in den Dorfern, unter Arbeiter- und Bauern- 
massen durchgefiihrt wird, kaum erwahnt — so hoffe ich doch, einen kleinen Uber- 
blick gegeben zu haben. 

Als standige Erscheinung auf aUen Gebieten der Musik sehen wir einen dauernden 
Zuzug neuer, frischer, junger Krafte, der uns die Uberzeugung gibt, dafi die Entwick- 
lung der ukrainischeii Musik, die Jahrhunderte hindurch in kmistlichen Grenzen ge- 
halten wurde, fortschreiten wird. 



Alois Melichar (Berlin) 

DAS KIRGISISCHE LIED 



■ In einer erlebnisreichen Periode meines Lebens fuhr ich einmal (es war imjanuar 1925) 
mit einem Oeldampfer von Baku uber das Kaspische Meer nacli Krasnowodsk; nach 
einer anschliefienden sechzigsttindigen Schnellzugsfahrt durch die Turkestanische Wiiste 
sah ich mich in die Jugendgenlde eines Tausendundeinenacht-Marchens versetzt: Ich 
befand mich in Samarkand. Wer vermochte diese Wunderstadt, dieses „6stliche Juwel" 
zu schildern ? Wessen Feder besafie die Fahigkeit, von dieser zur Wirklichkeit gewordenen 
Traum- uud Fantasiestadt mit ihren orgiastischen Formen- und Farbenexzessen ein auch 
nur annahernd der Wahrlieit entsprechendes Bdd zu vermitteln? Ich stand auf dem 
„Registan", jenem in ganz Mittelasien beruhmten Platz, der von drei rechtwinkelig 
zueinanderstehenden riesig dimensionierten Moscheen-Medresen *) gebildet wird. Diese 

*) Medresa - orientalische Hochschule, in der hauptsachlich der Koran und seine Exegese gelehrt wird. 



DAS KIRGISISCHE LIED 229 



im reinsten persischen Stil aufgefiihrten Gebaude gewahren durch ihre liohen Minaretts 
und Torbogen (den sogenannten Pischtak's), besonders aber durch die Wandbekleidung 
mit buntfarbigen, die wmiderbarsten Arabesken aufweisenden Fayenceziegeln einen feen- 
haften Eindruck. Die vierte Seite des Platzes lafit den Blick frei nach dem Bazar mit 
seinem den Europaer so anziehenden lebhaften Getriebe: feilscbende Sarten, Perser, 
Usbeken in glanzenden Seidenchalaten und bunten Turbans, Turkmen en und Kirgisen 
mit riesigen Lammfellmutzen, Tataren, Armenier, Russen im Leinenkittel, tief vermummte 
muselmanische Frauen mit dem schwarzen Rofihaargitter vor dem Gesicbt, gestickte 
Seidentucher anbietend, Manner, die sich von schmierigen Strafienbarbieren den Schadel 
glattrasieren lassen, schwer bepackte Kamelkarawanen usw. Es ist ganz naturlich, dafi 
dieses mir fremde Leben und Treiben meine Aufmerksamkeit im hochsten Grade 
absorbierte ; nichtsdestoweniger sollte sie alsbald durch ein weit anziehenderes Objekt 
gefesselt werden. 

Aus der Portalnische einer Moschee ertonte eine getragene, schwermutige Melodie, 
von einer Mannerstimme mit grofiem Pathos und leidenschaftlichem Schwung vorgetragen. 
Ich nahernde mich dem Orte von wo der Gesang herkam und konnte bald erkennen, dafi 
sich die Melodie in der mixolydischen Tonart bewegte. Als charakteristisch drangte 
sich mir noch ihre freie rhapsodische Form auf, die weniger periodische als deklama- 
torische Gestaltungsprinzipien verriet. Bald war ich so nahe gekommen, dafi ich den 
Sanger ins Auge fassen konnte. Vor mir stand, in einen zerlumpten Seidenchalat 
gehiillt, ein Mann, dessen stark geschlitzte Augenlider und breite Backenknochen ohne 
weiters die mongoliscbe Abstammung erkennen liefien. Als er sein Lied beendet hatte, 
fragte ich ihn, wer er sei und woher er komme. Er antwortete mir in gebrochenem 
Bussisch, er sei ein Kirgise aus der Umgebung Taschkents und bringe sich durch Singen' 
und Spielen auf dem „Kobyz" fort. Er wies dabei auf ein merkwiirdig geformtes 
Saiteninstrument mit einem birnenformigen, durch einen Einschnitt in zwei Halften 
zerfallenden Resonanzkorper, dessen obere den Saiten zugekehrte Halfte mit 
einem Fell iiberzogen war, walrrend der untere, breitere Ted unbedeckt blieb. Von 
merkwiirdiger Beschaffenheit waren die beiden Saiten, die sehr hoch, ungefahr 2 cm 
vom Griffbrette abstanden. Es waren zwei Biindel schwarzer, lose zusammengedrehter 
Rofihaare. Ein drittes Biindel bildete den Bezug eines plumpen holzernen Bogens. Ein 
grauweifier Strich, an der SteUe wo die Bogenhaare die „Saiten" beriihren, verriet die 
Anwendung von Kolophonium. Ich gab dem Musikanten ein 50-Kopekenstiiclc (fur ihn 
eine unerwartet hohe Einnahme) und bat ihn, auf dem Instrument ein Stuck zu spielen. 
Er fing wieder zu singen an und begleitete sich auf dem nach der Art eines Violoncellos 
zwischen die Beine geklemmten Kobys, in der Weise, dafi er auf der hoheren Saite 
die gesungene Melodie heterophon umspielte, wahre'nd er auf der tieferen Saite lang- 
gezogene Grundtone aushielt oder manchmal mit der Melodie in seltsam klingenden 
parallelen Quinten oder Quarten mitging. Der Klang des Saiteninstrumentes selbst war 
ganz eigenartig. Mit den Bezeichnungen diinn, flach, naselnd, winselnd konnte man 
am besten sein Charakteristikum geben. 

Einige weitere Lieder, die der Mann noch sang und die mich in ihrer fremdartigen 
Schonheit und Urspriinglichkeit aufierst anzogen, erweckten in mir den lebhaften 
Wunsch, naheres tiber die kirgisische Volksmusik zu erfahren. Leider war mein Aufenthalt 



230 ALOIS MELICHAR 



in Transkaspien von zu kurzer Dauer, als dafi ich eine mehr als oberflachliche Kenntnis 
von ihr hiitte erwerben konnen. Als ich aber im Sommer 1926 ini Russischen Staats- 
verlag in Moskau nach interessanten Neuerscheinungen herumstoberte, was mir mit 
einer nur dem Russen eigenen Freundlichkeit und Bereitwilligkeit gestattet wurde, fiel 
mir ein Ruch in die Hande, das mir geeignet schien, meinen Wissenshunger in opulenter 
Weise zu befriedigen. Sein Titel war: Alexander Satajewitsch, ,,1000 Lieder des 
Kirgisischen Volkes", Staatsveiiag Orenburg, 1925. Staunt man iiber die aus diesem 
Titel hervorgehende, bisher unbekannt gebliebene musikalische Potenz eines Volkes, so 
erhoht sich noch dieses Staunen, wenn man in der fesselnd geschriebenen Einleitung 
des Verfassers best, dafi er in drei Jahren tiber 1500 kirgisische Lieder aufschreiben 
konnte. Satajewitsch, der in den letzten Jahren vor Beginn des Weltkrieges Musik- 
kritdter russisclier Zeitungen in Warschau war, kam 1920 nach mehreren Jahren ruhelosen 
Herumwanderns nach Orenburg, das eben zur Hauptstadt der neuerrichteten Kirgisischen 
Raterepublik erhoben worden war. Der heftig einsetzende Zustrom kirgisischer Steppen- 
sohne aus alien Teilen des ungeheuren Landes (50.000 geographische Quadrat-Meilen) 
in die junge Hauptstadt barg die Moglichkeit in sich, seine Volkslieder aufzuschreiben, 
ohne schwierige, in den damaligen Hunger- und Epidemiezeiten kaimi durchfuhrbare 
Reisen unternehmen zu miissen. Satajewitsch hat, wie sein Werk zeigt, diese Moglichkeit 
reich ausgeniitzt. Es ist amiisant und riihrend zugleich zu lesen, mit welchem Eifer, 
ja Eanatismus er sich seiner von ihm selbst gestellten Aufgabe unterzog. Er notierte 
uberall : zu Hause, in Gesellschaften, Schulen, Kasernen, auf Kursen und Theaterkorridoren, 
im Larm der Bazare und auf „schmutzigen Pritschen oder zerfetzten Teppichen" oder 
Karawansereien, mit einem Wort, uberall wo nur gesungen wurde. Und wo singt der 
Kirgise nicht? 

Satajewitsch erzShlt, dafi Gesang und Musik die unzertrennlichen Begleiter jedes 
Famdienereignifies sind: Hochzeiten, die ihr vorangehenden Zermonien, Gastempfange, 
Beerdigungen, Leichenmahler etc. sind ohne Musik nicht denkbar; mit Instrumental- 
vortragen werden die Pausen in den feierlichen Sitzungen und Beratungen der Axakalen, 
d. h. der Altesten des Stammes oder des Aids ausgefiillt ; unter geheimnisvollen Gesangen, 
die auf dem „Kobys", jenem von mir eingangs geschilderten Instrument, begleitet 
werden, gehen die Krankheitsbeschworungen der kirgisischen Schamanen*), der so- 
genannten „Baxen", vor sich; singend umkreisen die kirgisischen „Weihnachtssanger" die 
benachbarten Aide; sogar die Politik verquickt sich bei ihnen mit Gesang. Es kam vor 
dafi Allkirgisische Kongresse von seinen Deputierten mit Liedern eroffnet und begriifit 
wurden, die sie eigens zu diesem Zwecke gedichtet und komponiert hatten; in Liedern 
tragt man den Behorden seine Wiinsche vor, z. B. Bittgesuche um die Aufnahme des 
Sohnes in die Schule; des Liedes bedient sich der Kirgise, um irgend jemand fur eine 
hafiliche oder verbrecherische Handlung mit Tadel oder Verachtung zu strafen. 

Grofier aber noch als die Zahl dieser praktischen Zwecken dienenden Lieder ist 
die ungeheure Menge von Gesangen und bistrumentalstucken, die als „Prodiikte der 
freien, subjektiven Schaffenskraft und Fantasie" auftreten. 

Da sind vor ahem die sogenannten „01jbng's", d. h. lyrische Gesange, die der 
Schilderung der erotischen Beziehungen breiten Raum leihen; haufig tritt neben der 

*) Zauberer 



DAS KIRGISISCHE LIED 231 



Frau als Objekt der dichterischen Verherrlichung die jedem Kirgisen teure Steppe, das 
Meer, die blauen Berge, mit einem Wort, die seinem Herzen nahe Natur auf. Von den 
kriegerischen Heldentaten der „Batyren" (Recken) in grauen Vorzeiten erzahlen die 
„Jyr's" (Sagen); Lieder belehrenden Inhalts sind die ,,Tjerme". 

Satajewitsch erzahlt, dafi es nocli heute miter den Kirgisen Leute gibt, die langere 
Zeit hindurch in Versen zu reden, Improvisatoren, die in eiiiem fein ziselierten Rhythmus 
und in klangreichen Reimen Rede und Antwort zu stehen vermogeii. Als Beispiel 
kirgisischer Volkspoesie fiihrt Satajewitsch ein kleines Liebesgedicbt an, das in der 
Reinheit seiner Gefuhlsaufierungen und in der Bildhaftigkeit und Klarbeit seiner Ver- 
gleicbe typisch ist; es lautet, von mir ziemlich wortlich aus dem Russiscben iibersetzt, so : 

„Chan-Zada, der Zufall verknupfte iinsere Wege ! 

Wie soil mich deine Schonheit nicht entziicken, 

Da du, wie mich ein hoheres Wesen ahnen Iafit, 

Dem Kreis der Engel zu entstammen scheinst. 

Wir wufiten bis jetzt nichts voneinander, 

Aber da kamst du aus deiner wiinderbaren Heimat und trafst auf mich. 

Ich konnte dir nicht gerade in die Augen sehen, 

Denn ihr Schimmer, einer Luftspiegelung 

An heifien Sommertagen gleichend, blendete mich. 

Ou-oj erkeml Ou-oj erkem I 

Mein Biberkappchen mit den Uhufedern I 
Du gleichst dem aufgehenden Mond 
Und silbern klingt dein Lachen 
Wie ein muntres Bachlein in den Bergesschluchten I 

Dem textlichen Inhalte nach teilt Satajewitsch die Lieder ein in. 

Erzahlende und sagenhafte; Historische; Gebrauchslieder und zwar a) Hochzeits- 
lieder, b) Trauer- und Gedenklieder ; Revolutionslieder ; Heimatlieder ; Lieder, welclie den 
Namen kirgisisjher Stamme tragen; Steppenlieder-, Meerlieder ; Bergliedcr; Lieder uber 
die AYandelbarkeit des Lebens und uber das wankelmutige Schicksal; Lieder der Blinden, 
Lahmen usw. ; Wettstreitlieder ; Lustige mid humoristische; Lieder iiber und „an Pferde"' 
Lieder, welch e den Namen von Gegenden und solche, welclie den Namen eines indivi- 
duellen Autors tragen; lieder der Stamme der Kara-Kirgisen. 

Bezeichnend fiir den Musiksinn der Kirgisen ist die AVertschatzung, deren sich ihre 
„01jongsch's", d. h. die Berufssanger erfreuen; eine Verehrung aber, wie sie bei mis 
nur den Minnesangern und Troubadours erwiesen wurde, geniefien die „Akyn's", d. h. 
die Siingerautoren. 

Nun zu dem musikalischen Inhalt des Buches selbst. Satajewitsch gruppiert ihn, 
nach geographisclien Gesichtspunkten. Aus alien zehn Gouvernements, bzw. Kreisen, 
in die die Kirgisische Sowjeti'epublik zerfallt, fanden sich sangeskundige Menschen, die 
ihm ihren Vorrat an Liedern freigebig zur Verfugung stellten. Das Verzeichnis der 
Person en, die ihm vorgesuugen haben, zahlt nicht weniger als 279 Namen! 

Schon bei einer fluchtigen Durchsicht des migeheuren Materiales fallt der grofie 
Unterschied zwischen dem kirgisischen Liede und der anderen orientalischen Musik ins 
Auge. Wird diese charakterisiert durch eine Anhaufung von Mordenten, Vorschlagen 
und Trillern in der meistens chromatisch fortschreitenden Melodie, so weist jenes eine 



232 ALOIS MELICHAR 



europaisch anmutende Einfachheit *) der Linienfuhrung und einen strengen Diatonismus 
auf. In den 1500 Liedern die Satajewitsch notierte, findet sich kein einziges tiber- 
mafiiges Intervall, keine einzige chromatische Fortschreitung. Ein weiteres Kennzeichen 
ist das haufige Vorkommen der alten Kirchentonarten ; aufier del - dorischen, phrygischen 
mixolydischen und aolischen Tonart tritt vereinzelt auch die lydische auf. In den 
Liedern der ostlichen Kirgisen lierrsclit die jonische Tonleiter, also unser modernes Dur 
vor. Es gibt auch Beispiele fur das Vorkommen von „gemischten" (hybridischen) Tonleitern. 
In formaler Hinsiclit kann man an den mitgeteilten Liedern zwei Haupttypen unter- 
scheiden; die grofiere Mehrheit von ihnen lafit einen deutlich ausgepragten periodischen 
Aufbau erkennen, wahrend die anderen „angesichts des Fehlens einer gesetzmafiigen 
Folge von bestimmten Akzenten" mehr als Muster des vollkommen freien Metrums 
anzuselien sind. Ein haufig auftretendes Formschema ist dieses: nach einer Periode, 
dessen Vordersatzchen meistens wiederholt wird, tritt ein frei gebildetes, rezitativisch 
vorgetragenes Zwischensatzchen in breiterem Zeitmafi auf, dem sich ein wieder im 
Anfangstempo gehaltener „Refrain" (russisch: pripjeff) anschliefit. Dieser Schlufisatz steht 
oft in einer Nebentonart. An einem der schonsten Lieder der Satajewitsch 'schen Kollektion 
„Kukemai-Bjupemai"' kann man diese Eigenheiten schon studieren. (Notenbeispiel 1)**) 

Einer Erkliirung bedixrfen vielleicht die beiden abwarts weisenden Schlangenlinien 
im Refrain. Sie bezeichnen eine ganz merkwtirdige Singmanier, die ich auch bei einigen 
kaukasischen Volkersckaften wie z. B. bei den Georgiern und Osseten beobachten konnte : 
Durch das plotzliche Entspannen der stark angespannten Stimmbander wird der fortissimo 
gesungene Schlufiton einer Phrase in die Tiefe gezogen, es entsteht ein jahes glissando 
nach abwarts, das unten auf keiner musikalisch fixierten Tonstufe, sondern irgendwo 
in der Sprechregion landet. Der Effekt dieser Manier ist aufierst lebendig, innervierend 
und leidenschaftlicli. 

Ein Beispiel fur die Verwendung des Dreitakters als aufbauendes Formelement 
bietet das Beschworungslied „Kor-Uly" (Sohn des Grabes), mit dessen Hdfe der „bose 
Geist" von den Besessenen ausgetrieben wird. (Notenbeispiel 2) 

Als Beispiel fur den zweiten Typus, den der freien rhapsodischen Gestaltung, fuhre 
ich ein prachtvolles Hochzeitslied an, das in breitem melodischen Flufi dahinstromt 
(Notenbeispiel 3). 

Interessant als Beispiel des begleiteten Gesanges, ist das Beschworungslied „Sary- 
Baksy (Der bleiche Zauberer), von dem auch die Begleitung auf dem Kobys mitgeteilt 
ist (Notenbeispiel 4).\ 

Einer ungleich groBeren Beliebtheit und Verbreitung als der Kobys aber erfreut sich 
bei den Kirgisen die Dombra. Sie ist ein kleines, zierliches Zupfinstrument mit einem 
eigenartig geformten Korper, einem langen, diinnen Hals und zehn je nach Bedurfnis 



*) Ahnlich aufiert sich Oskar Fleisdier fiber gewifie indische Melodien : „Eine reine, ausgesprochene 
Diatonik trifft da des Europaers Ohr, ein gleichformiger Rhythmus, eine fliefiende, weder durch ubermaUige 
Halte nodi durch das storende Beiwerk melodischer Verschnorkelungen unterbrochene Melodik und eine teste 
naturliche Kadenzierung und Tonart tritt dem Europfier heimatlich entgegen". (Ein Kapitel vergleichender 
Musikwissenschaft). 

**) Die Notenbeispiele siehe auf der Notenbeilage zu diesem Heft. 



DIE MUSIKKRITIK IN RUSSLAND 233 

in Quarten oder Quinten gestimmten Darmsaiten *). Die Dombra dient sowohl zum 
Akkompagnement der Stimme als zur Ausfiihrung virtuoser, speziell fiir sie geschriebener 
Instrumentalmusik. Man nennt diese in rhythmischer und harmonischer Bezieliung 
aufierst merkwurdigen Stiicke „Kjuj's". Aus den ca. zwanzig Kjuj's, die das Bnch enthalt, 
sei einer hier mitgetedt. Diese Instrumentalstiicke, die von den Kirgisen als Gipfel aller 
Musikausubung geschatzt und den schonsten Liedern vorgezogen werden, sind von 
Satajewisch erstmalig aufgeschrieben worden und gelangen hier zum erstenmal vor 
die Leserscbaft einer europaischen Musikzeitschrift (Notenbeispiel 5). 

Dieses Stuck ist so glanzend im Aufbau, so interessant im Rhythmus und in der Har- 
nionie, da6 man es als eine kompositorische Leistung allerhochsten Ranges ansprechen mufi. 
Icb glaube nicbt zu tibertreiben, wenn icb behaupte, dafi in ihm etwas wie vom Geiste 
einer Bachiscben Invention zu spuren ist. Dabei weisen die verscbiedenen Kjuj's eine 
formale und inhaltliche Mannigfaltigkeit auf, die in Erstaunen setzt. Es befuiden sicb 
unter ihnen Stiicke, die Ansatze zur Programm-Musik zeigen, (z. B. der reizende ,,Jagd-Kjuj"), 
andere. die das Gewicbt und die Wirkung ernes ausgewachsenen Symphoniesatzes haben, 
(der Kjuj „Aksak-Kulan" **), ein Tonstiick ernsten, grofiartigen Charakters, ziihlt 228 
Takte). In den Kjuj's hat sich das Ausdrucksbedurfhis des Kirgisen, das die ganze Skala 
menschlicher Leidenschaften, .von der diistersten Verzweiflungbiszur tollsten Ausgelassenheit, 
umfafit, eine groftartige, urwiichsige Form geschaffen. Nut ein Volk, in dem ganz un- 
geheure musikalische Krafte schlummern, konnte, unbeschadet seiner sonstigen primitiv- 
nomadischen Lebensformen, zu einer solch hochwertigen musikalischen Produktion 
gelangen. 

Es ist natiirlich unmoglicb im Rahmen eines Aufsatzes etwas Erscliopfendes oder 
Abschliefiendes ixber dieses umfangreiche Material zu sagen; es sei zum Schluft nur der 
Wunsch und die Hoffhung ausgesprochen, da6 das schone, verdienstvolle Buch durch 
eine Ubersetzung auch den deutschen interessierten Kreisen zuganglich gemacbt werde- 



WISSENSGHAFT 

Roman Grube r (Leningrad) 

DIE MUSIKKRITIK IN RUSSLAND 

bidem der Musikforscher von heute sich der Wichtigkeit einer Erforschung nicht 
nur einzelner musikalischer Kunstwerke, sondern auch ihrer gesamten kidturellen „Um- 
ringung" bewufit wird, wachst das hiteresse fiir die Musikkritik, sowohl als aktuellen 
Faktor der Musildcultur, wie auch als musikhistorische Quelle von grundlegender Be- 
deutung. Denn die Musikkritik im weitesten Sinne des Wortes ist ja nichts anderes, 

*) Der Vollstantligkeit halber erwahne ich noch das dritte Kirgisische Nationalinstrument, die „Ssybysgy", 
eine lange holzerne Schalmei mit 12 Locliern. Sie ist sehr wenig verbreitet; ich habe sie audi wahrend meines 
Aufenthaltes in Turkestan nicht zu Gesicht bekommen. Sie soil im Klangcharakter der baschkirischen „Kuraj" 
Shneln, die einen ganz seltsamen, geheimiiisvollen, fahlen Klang liat. 

**) Der lahme Kulan. 



234 



ROMAN GRUBER 



als eine Reaktion, hervorgerufen durch jede am musikalischen Horizonte der Epoche 
erscheinenden Tatsache, und in diesem Shine ist die Geschichte der Musikkritik eben 
die Geschichte des Reagierens einer bestinimteii Musikkultur auf alles, was von ihrem 
eigenen Schaffen, wie auch von dem auswarts Hinzutretenden ausgearbeitet wird. 
Andererseits stellt auch die musikalische OfFentlichkeit durch Vermittlung der Kritik 
ihre Forderungen an das MusikschafFen. Hieraus ergibt sich, dafi die Geschichte der 
Musikkritik gleichzeitig die Geschichte dessen bedeutet, wie eine bestimmte Kultur im 
MusikschafFen die Fragen des Moments beantwortet. Diese doppelte Rolle der Musikkritik 
erscheint besonders bedeutsam in den Perioden musikalischer und sozialer Krisen wie der 
gegenwartigen. Eine natiirliche Folge hieraus ist das uberall gerade heute auftretende 
Streben einerseits ein maximal rationelles Funktionieren der aktuellen kritischen Tatig- 
keit zu sichern, andererseits Versuche einer theoretischen Regriindung ihrer Grundlagen 
und einer Klarlegung ihres historischen Flusses einzugehen. 

In den vorliegenden Zeilen geben wir eine fliicbtige Ubersicht der Hauptetappen 
einer Geschichte der Musikkritik Rufilands bis auf ihren heutigen Zustand und schicken 
ihr einige allgemeine Retracbtungen theoretisch-methodologischen Charakters voraus. ') 

1. 

Die Grundkomponenten jeder Musikkultur bilden sich einerseits aus dem Musik- 
schafFen und seinen Ergebnissen, andererseits aus dem MusikgenieCen und seinen Bediirf- 
nissen. Wenn die Ergebnisse des SchafFens den Forderungen des Geihessens stets und ganz- 
lich entsprachen, ware eine regulierende Mittelinstanz unnutz. Da jedoch ein derartiges 
ZusammentrefFen hochst selten stattfindet, da, umgekehrt, der Zwiespalt zwischen „Produk- 
tion" und ,,Konsumption" im Musikbetrieb bisweilen soweit geht, dafi von wirldichen 
„Krisen" die Rede sein kann, so erscheint gerade die Kritik — Produkt der Wechselwirkung 
beider Spharen — als jener regrdierende Faktor. welclier das Gleichgewicht im Gebiet 
des Musikbetrieb es feststellt und fiir die musikalichen Angelegenheiten des Momentes als 
feinfiihliger Anzeiger dient, der den Grad der geseUschaftlichen Aktualitat des Musikwerks 
in jedem gegebenen Angenblick fiir jede Schicht der Horerschaft registriert. 

Die Musikkritik ist also — im Unterschied vom MusikschafFen — kein primares, 
sondern ein sekundares Produkt der Musikkultur, sozusagen „Funktion" einer Reihe 
„veranderlicher Grofien", vor allem des Musikschaffens und des Musikgeniefiens. Folglich 
erweist es sich als notwendig, urn die Rolle der Musikkritik richtig zu erklaren, parallel 
mit der Fixierung ihres historischen Flusses auch etwaige Veranderungen in der Reihe 
dieser, die Grundlage bildenden, veranderlichen Grofien in Erwagung zu ziehen. 

Als besonders kompliziert stellt sich die Klarlegung der Wechselbeziehung zwischen 
Musikkritik und Musikgeniefien dar. Im einfachsten Falle ist die erstere eine unmittel- 
bare ,,Wiederspiegelung" eines gewissen um eine bestimmte Epoche herrschenden 
mit tier en Niveaus des Tonempfindens, das sidi nur aufierst langsam verandert und 
eine verhaltnismafiig leicbte „Kalkulation" zulafit (die jeder musikalische Geschaf'tsmann - 
z. B. ein Konzertvermittler — mit dem Geschmack der Masse spekulierend, meist fehler- 
los durchf'iihren kann). 

») Ausfiihrlicher wild das Thema in dem Aufsatze : „Die Musikkritik als Gegenstand iheorelischor 
und historischer Forschuug" („De Musica" II, 1926, russ.) besprochen. 



DIE MUSIKKRITIK IN RUSSLAND 235 

Ofters aber — und das sind die schwierigeren Falle — entspringt die Musikkritik 
den Musikanschauungen, welche mit dem dtirchschnittlichen Niveau divergieren (formiert 
sich in Abhangigkeit von rein professionellen Forderungen, von irgend einem System 
musiktheoretischen Wissens usw.). Da wir auBerstande sind alle Variationen der 
musikalisclien Kritik des Moments zu verfolgen, sind wir gezwungen, jedesmal eine 
Wahl zu Gunsten derjenigen Richtung zu treffen, die fur den gegebenen Moment die 
aktuellste ist, d. h. den kiinftigen Lauf der Musik in maximaler Weise voraussieht 
und die wirksamsten Ergebnisse der zeitgenossischen Musikkultur zu erschauen pflegt. 

Es erweist sich aber audi eine Auswahl in anderer Hinsicbt als notwendig. 
Durchaus nicht jedes intellektuelles „Reagieren" darf „Musikkritik" in genauerem Sinne 
des Regriffs genannt werden. Dieses erfordert nicbt nur eine Kristallisierung der 
Reaktion in verstandesmaBige Urtede, sondern audi das Moment der Offentliclikeit 
d. h. so einer auBeren Gestaltung kritischer Ergebnisse, die auf eine Umstellung der 
offentlichen Meinung in gewiinschter Richtung berechnet ware. Auf diese Weise fallt 
erstens, eine Reihe bisweilen auBerst wertvoller Zeugnisse des „Geschmacks" in Briefen, 
Tagebiichern, Memoiren usw. fort und entsteht, zweitens, das Problem der formellen 
Struktur einer musikkritischen AuBerung, Problem der kritiscben „Genres" (Bericht, 
Artikel uber Musik, Skizze usw.) '), was besonders interessant wird, wenn wir an die 
normale Pramisse des Empfindens musikkritischer Urtede denken : der Leser wertet 
die letztere nicht als selbstandige Leistungen, sondern indem er sie meistens mit dem 
primaren Tonwerk (Objekt kritischer Erlauterung) in Beziehung setzt. 

Nur bei Einbaltung beider aufgezahlten Bedingungen werden wir mit der Musik- 
kritik, als einem Faktor des offentlichen Musikwesens zu tun haben, welcher fiir das 
MusikbewuBtsein mehr oder minder zahlreichen Ilorerschaft bezeichnend ist und, also 
als eine reelle kulturhistorische Grofie betrachtet werden kann. 

2. 

Wenn wir mit diesen Kriterien an die Gescliichte der russischen Musikkritik heran- 
treten und vorerst unsere Aufmerksamkeit auf die sowohl eigenen als audi fremdlandischen 
Musikwerte lenken, welche im Musddeben RuBlands der zwei letzten Jahrhunderte 
dominierten, so mlissen wir vor allem folgendes konstatieren : ein hervorragend spates 
(im Vergleich mit dem Westen), aber auch auBerst rasches Auf bliihen des gesamten 
Musiklebens (bezw. des Musikschaffens). — Wie bekannt, wurden die grofien Formen 
weldicher Musik (Oper, Symphonie) der russisclien Horerschaft — und zwar nur aus- 
gewahlten Scliicliten: den Hofkreisen — bloB im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts 
zuganglich (als „Import" zuerst der italienischen, dann der franzosischen Operntruppen), 
und das eigene weltliche Musikschaffen wird noch spater sichtbar (Ende des 18., erstes 
Drittel des 19. Jahrhunderts). 



s ) Es ist moglich, z. B. eine musikkritische Gestaltung im Sinne der musikalisclien Novellen von 
E. T. A. Hoffmann, wo kiinstlerische Phantasie des „Kritikers", von der Musik impulsiert, ein neues, „secun- 
dares" Kunstwerk im Gebiete der Literatur hervorbringt, weldies dieselbe kunstlerische Einstellung vom 
Leser verlangt, wie audi das „primare" Tonwerk - Ursaclie des kritischen Urteils ; ferner ist eine ausge- 
bildete asthetisdi-philosophisdie Analyse des Kunstwerks und seines asthetischen ,,Gegenstandes" moglidi ; eine 
rein Sufierlidie „technisdie" Analyse, weldie sogar nidit zur Logik des musikalisclien Denkens, sondern bei 
den gewolniheitsmafiigen Schemen professioneller Ausubung apelliert u. a. 



m 



236 ROMAN GRUBEH 



Die musikalische OffentLichkeit (sogar im primitivsten Simie des Begriffs — ent- 
wickeltes Konzertleben, JVorhandensein mehr oder minder zahlreichen Schichten der 
Horerschaft) existierte uberhaupt nicbt. Oper und einzelne Konzerte auslandischer 
Virtuosen J ) waren nur Privatsache des Hofs und der Mazenaten. 

Es ist naturlich, dafi von der Musikkritik una selbst vom musikaliscben Rezen- 
sententuni (von speziellen Musik-Zeitschriften nicht zu spreclien) noch — trotz iippiger 
Ausbreitung der Zeitpresse seit den 60 er Jahren des 18. Jahrhunderts und grofiem 
Literesse fur Fragen der literariscben und Theaterkritik — keine Rede sein konnte. 2 ) 

So brachten also die Ergebnisse westeuropaischen Musikschaffens, welche russischem 
Musikbewufitsein der Zeit konstant angeboten wurden, keinen geniigend scharfen 
intellektuellen Widerklang in der Masse des Publikums. 3 ) Das selbstandige 
Musikschaffen aber, welches aus den Handen der Leibeigenen und Klembiirger gegen 
Anfang des 19. Jahrhunderts zu den hoheren Adelskreisen, einer Plejade „aufgeklarter 
Dilettanten" uberging, war im allgemeinen so schlaff und unselbstandig, ging so am 
Gangelband des herrschenden Geschmacks, dafi es n o cb keiner Vermittelung der Kritik 
bedurfte. Letztere ist nicht notig da, wo das Musikbewufitsein des Tonkunstlers vollig 
mit dem des Horers ubereinstimmt! 

Und plotzlich — ein scharfer Ruck. Glinka, seiner Epoche weit voranschreitend, 
legt den Grundstein fur die ureigene Linie russischen Musikschaffens, wo successiv Ton- 
werke von Dargomyshsky, Balakirev und des „machtvollen Haufleins" auftauchen. Der 
Kontakt zwischen k Schaffen und Geniefien ist jah unterbrochen, der herrschende Ge- 
schmack schon durch Glinkas Wirken verbliifft und betroffen, in den progressiven 
Gesellschaftschichten erheben sich heifie Stimmen „pro" und „contra" — der Boden fiir 
Musikkritik ist geschaffen. 

Und tatsachlich sehen wh - , dafi schon das erste urwiichsige Werk — Glinkas 
Opern (1836 — 42) — auch den ersten ernstgemeinten kritischen Widerhall wachrufen. 
V. F. Odojevsky, Senkovsky sind die Namen, welche es verdienen, hier bervor- 
gehoben zu werden. Bezeichnend bleibt, dafi in ihrer Zahl nicht ein einziger pro- 
fession eller Musiker zu verzeichnen ist: Senkovsky war Schriftsteller und Orientalist, 
Odojevsky — Philosoph-Schellingianer, Fanatiker und Dilletant in der Musik, welcher 
in der russischen Musikliteratur eine merkbare Spur durch seine phantastischen 
musikalischen Novellen im Geiste E. Th. A. Hoffmanns hinterliefi. 4 ) Erwahnen 
wir noch des feinfuhligen, asthetisch gebildeten gi-ofien Liebhabers der M^usik W. Botkin, 5 ) 
des Provinzlehrers und Autodidakten Srebrjanskys mit seinen tiefsinnigen, vom Geiste 



J ) Die in Privatliausern sich zu Konzertzwecken einrichten mufiten. 

2 ) Ubrigens haben sich schwache Widerklange des Musikwesens in der allerdings hochst interessanten 
Memoirenliteratur 'jener Zeit erhalten (Bolotoff, Wiegel), die aber keineswegs zur Musikkritik 
im engeien Sinne angehorten. 

3 ) Es ist bezeichnend, dafi selbst eine Tatsache, wie Beet h ovens Tod nur in einer Zeitschrift 
fliichtig erwahnt wurde. 

4 ) „Das letzte Quartett Beethovens" ; „J. S. Bach" ; „Improvisator" (alle drei im Jahr 1844 erschienen). 

5 ) Bemerkenswert ist die Tatsache, dafi Botkin — trotzdem er, als intimer Freund von Belinsky, 
Stankewitsch, Bakunin und als Mitglied ihres „Kreises" im Brennpunkte aller sozialen Fragen des Moments 
stand - blofi speziell asthetich-philosophische Musikkritik getrieben hat: das Musikbewufitsein der Zeit 
war noch nicht gereift fiir andere, breitere Problemstellung. 



DIE MUSIKKRITIK IN RUSSLAND ^237 

der Naturphilosophie umwehten „Gedanken iiber Musik" (erster Versuch einer russischen 
„Musikphilosophie", der bei Belinsky begeisterten Widerhall fand), so erbalten wir einen 
Begriff von der ersten Etappe des russisclien musikphilosophischen mid -kritiscben 
Denkens (30 er und 40 er Jahre) : die musikalisch gebildete offentliche Meinung, wie 
aucb der musikalische Professionalismus, blieben nach wie vor fort; das mittlere Niveau 
des musikalischen Gescbmacks uberscbritt nicbt die Grenzen feuilletonischer mondaner 
Plaudereien („Severnaja Ptscbella" = „Die nordliche Biene"); die scbopferische Energie 
Glinkas konnte nur bei vorgescbrittenem Vertretern des philosophisch-asthetischen 
Denkens, bddender Kunst und Literatur (Brulow, Kukolnik, Puschkin, Shukovsky . . .) 
Anklang finden. 

Die nachste Stufe russischer Musikkultur kennzeichnet sich durch weiteren ele- 
mentariscben Wuchs des selbstandigen russiscben ScbafFens, welches den Bruch mit dem 
Mittelniveau des Tonempfindens dieser Epocbe immer mehr vertiefte. 

Nun mufite ein energiscber Kritiker als Verkiinder der Nationaltendenzen kommen. 
Und er kam in der Person W. St as sows J ), der auch nicht professioneller Musiker, 
sondern Kunstforscher und Archaologe und dazu prinzipieller Feind jeglichen 
musikaliscben Professionalismus war. Mittlerwede weitet sicb aucb der Andrang des 
westeuropfiischen Schaffens. Dieses wird unterstutzt durch das personliche Erscheinen 
von „Missionaren" solchen Banges, wie Liszt, Berlioz, spater Wagner. Gegen Ende der 
50 er Jahre entsteht eine neue Gruppierung mit Rubinstein an der Spitze, die (im 
Gegensatz zu den Tendenzen Stassows, Cui und des „Haufleins") den musikalischen 
Professionalismus in Bufiland begriindet. Das russische MusikbewuStsein steht vor der 
Aufgabe: die sich ihm erschliefiende reiche Leistungen des Westens aufzunehmen und 
sich in den schon vorhandenen Stromungen der russischen Musik zurechtzufinden ; und 
dieses nicbt allein im Plane abstrakter ideologischer Diskussionen, sondern auch einer 
Feststellung einer konkreten Evolution der Mittel der Tongestaltung. Da erhebt sich 
denn, dem parteiischen Stassow und dem farblosen, aber treuen Bitter des herrscbenden 
Gescbmacks Bostislav (F. M. Tolstoi) gegeniiber, die wucbtige Figur eines Musikers bis 
ins innerste Mark (und zukiinftigen ansebnlicben Komponisten), Sserows, der die 
progressiven Errungenschaften des Westens, von Beethovens „Neunter" bis Wagner, mit 
Feuereifer vertritt. Vielseitiger allgemeinkultureller Weitblick, biegsames, elastisches 
kritiscbes Feingefiihl und sturmisches Temperament stempeln Sserow zu einem wabren 
Kritiker, der nicht nur die musikalischen Kenntnisse des russischen Publikums syste- 
matisierte und die Evolution der musikalischen Grundformen (Oper, Symphonie) 
historisch klarzustellen pflegte, sondern audi als Erster eine Beihe von Fragen der 
musikalischen Off entlichkeit — Bedeutung der Musikkritik, Bolle der musika- 
lischen Bildung, „spezifisches Gewicht" des Vitrtuosentums im Konzerdeben usw. — in 
der Presse aufstellte. 

Sserows war es auch der 1867 2 ) die erste russische musikkritische Fachschrift 
„Musik und Theater" grundete. Bemerkenswert ist, dafi diese Zeitschrift, trotz der 



1 ) Zum Teile in der musikkritischen Tatigkeit des Komponisten Cesar Cui, welcher in seinen 
scharfen zugespitzen Rezensionen immer trefflich die Resultante der Musikanschauungen des „Haufleins" 
in zuganglicher Salonart zum Ausdruck brachte. 

2 ) Also etwa anderthalb Jahrliunderte nach dem Erscheinen von Mathesons ,;Critica musica''! 



238 ROMAN GRUBER 



Popularitat Sserovs, wegen dem Mangel an Abonnenten, schon im ersten Jahre einging. 
So gering war noch der Kreis musikgebildeter Leser. 

Zu dieser Zeit liatten die von den Brudern Rubinstein in St. Petersburg und 
Moskau, in den 60 er Jahren gegriindeten Konservatorien nicht nur Vertreter des 
„Haufleins" (Rimsky-Korssakow !) an sich gezogen, sondern auch aus der Zahl Hirer Zoglinge 
solclie Namen in den Vordergrund geriickt, wie Tschaikowsky und Sergei Tanejew. 
Nach der „Sturm- und Drangperiode", die ja gewohnlich mit dem Aufbluhen der 
nationalen Kulturen zusammenfallt, aufierte sich ein Bediirfnis nach dem „Kultus der 
Meisterschaft", nach mehr oder minder formeller „konstruktiver" Zergliederung der Ton- 
gebilde und Bewertung ihrer spezifisch „musikalischen" Eigenschaften (im Sinne Hans- 
licks). Als russischer Hanslickianer J ) erscheint denn auch der Konservatoriums- 
zogling und Freund Tschaikowskys und Tanejews Laroche. Sein historischer Verdienst 
liegt in der konkreten Erlauterung der Tonwerke bis zur genauesten technischen Ana- 
lyse ; in Propaganda der Notwendigkeit eines Verstandnisses fur die Grundlagen des 
polyphonen Denkens, auf Grund eines eingehenden Studiums europaischer 
Meisterwerke ; diese Ansicht fand ihre Begriindung in der von ihm dargelegten 
historischen Lehrmethode der Musiktheorie, d. h. Aufstellung eines Prinzips 
der successiven Aneignung verschiedener stilistischer Manieren des kompositorischen Ver- 
fahrens in der Ordnung, welche ihrer historisch folgerichtigen Abwechslung entspricht. 

Auf der Wende des 20. Jahrhunderts stand die russische Musikkultur — die nun 
wesentlich erstarkt erschien, Werte von Weltbedeutung geschaffen hatte (Moussorgsky, 
Tschaikowsky, Korssakow . . .) und mit Hilfe Sserows, Stassows und Laroche's sowohl 
in die eigenen Errungenschaften (aufier Moussorgsky!) als auch in die Musikleistungen 
Westeuropas bis Wagner vorgedrungen war — vor neuen Aufgaben : die Musik der 
nachwagnerischen Periode (Beger, Hugo Wolf, B. Straufi, franzosische ' „Impres- 
sionisten") die schon gewaltig an die Tiir pochte, in sich aufzunehmen und sich des 
jungen Sprosses ihres eigenen nationalen schopferischen Wachstums bewufit zu werden, 
vor ahem Skrjabins, dann Strawinskys, Prokoffjews u. a. Diese Aufgabe zu be- 
waltigen war nicht leicht: der herrschende Geschmack der Epoche war noch immer 
dabei, Wagner zu Ende zu „kauen" und baumte sich bei den Tonen der „neoklassischen" 
Musilc Regers und G. Francks hoch auf. Der nun an die Reihe gekommene Kontakt 
fand seine Verwirklichung durch progressive musikalische Kreise mit V. Karatygin an 
der Spitze, zu dessen Verdiensten auch die „Entdeclcung" Moussorgskys zu rechnen ist, 
der erst in der Beleuchtung der Novatoren des 20. Jahrhunderts in alien Eigentiimlich- 
keiten seines Schaffens verstandlich wurde. 

Gleichzeitig reiften aber in der russischen Musikkultur nocli ganz neue „Ver- 
ruckungen": es begann sich eine offentlich-musikalische Meinung zu bilden, die fast das 
ganze 19. Jahrhundert hindurch fehlte; es entstanden „Abende zeitgenossisclier 
Musik" und die Konzert-Unternehmungen von Siloti und Kussewitzky; dies alles rief 
das Bediirfnis nach einer fachmafiigen musikalischen Zeitpresse wach: neben der, seit 
1894 existierenden, sozusagen „offizi6sen" „Russischen Musikzeitung" (Red. N. Findeisen) 
griindet V. Dershanovsky 1910 in Moskau die progressive Wochenschrift „Musik", 
und entsteht 1915 in St. Petersburg ein gemassigteres Organ fur allgemeine Musikkultur 

') U. a. Verfasser einer vortrefflichen Ubersetzung ins Russische des Werkes „Vom Musikalisch-Schonen". 



DIE MUSIKKRITIK IN RUSSLAND 239 

(Red. A. Rimsky-Korssakow) — „IMu8ikalischer Zeitgenosse". Schliefilich erwacht das 
Interesse fur Probleme musikphilosophischen mid (zum ersten Male!) musikvissenschaft- 
lichen Charakters: in den „Buchern iiber Musik" „Melos" — gegriindet im Jahre der 
Oktob err evolution — postuliert Igor Gleboff die Notwendigkeit das Wesen der Musik 
vom philosophischen und allgemeinkulturellen Standpunkt anzugreifen ; er ist es auch, 
der (zugleich mit E. Braudo, S. Bulitsch, W. Karatygin u. a.) die Grundsteine fiir russische 
Musikwissenschaft legt, welche eine reelle Basis in staatlicliem Mafistabe erst in den 
Verhaltnissen der Sowjetregierung erhielt. 

So sehen wir denn, dafi im. Laufe etwa 80 Jahre in der russischen Musikkritik 
ein Ubergang von verschwommenen, romantischen Betrachtungen „uber Musik im AU- 
meinen" zur wissenschaftlich begriindeten und vertieften Kritik sich vollzogen hat. 
Gleichzeitig beginnt die letztere audi eine reelle Position im Musikbetrieb einzunehmen, 
indem sie durch Konzertorganisationen (Ziloti und Kussewitzky) teilweise das musika- 
lische Repertoire zu regulieren imstande ist. 



Die Oktoberrevolution hat die russische Musikkultur (wie auch alle anderen 

Seiten des Lebens) in neue, nie dagewesene Verhaltnisse geruckt und zwar mit einer 

solchen Energie und Plotzlichkeit, dafi es zu Anfang schien, als sei eine Feststellung 

irgendwelcher allgeineiner Schliisse iiberhaupt unmoglich. Nun, wenn wir auf das ver- 

flossene Jahrzehnt einen Riickblick werfen, konnen wir schon mit Gewifiheit behaupten, 

dafi die Entwicklung der Musikkultur, insbesondere der Kritik, nicht nur nicht ver- 

kummert und stehen geblieben ist, sondern sich mit nie geahnter Energie und Viel- 

seitigkeit entfaltet hat. Und dieses nicht blofi quantitativ, sondern auch in der Ver- 

tiefung alter und der Aufstellung neuer Probleme. Vor allem ist eine wesentliche 

Komplizierung des Musikbetriebes und der gesamten musikalischen OfTentlichkeit ein- 

getreten. Wenn wir bisher fast ausschliefilich mit der Linie des Musikschaffens als 

„veranderlicher Grofie" zu operieren hatten indem der durchschnittliche Geschmack 

der Massen keine aktive Bolle spielte, irgend ein System musiktheoretischer Anschauungen 

fast vollig abwesend war, so andert sich jetzt die Situation auf das Wesentlichste : es treten 

viele Millionen frischer Kunstgeniefier mit ihren spezifischen Anforderungen an das 

Musikschaffen ins Feld; andererseits erstarken musikwissenschaftliche Institute, deren 

Tatigkeit zum Teile aus der Musikkritik selbst erwachsen, ihrerseits eine Tat- 

sache bietet, nach der die Musikkritik sich zu rich ten hat. Im Endergebnis fallen der 

Musikki'itik — die in den Verhaltnissen der Sowjetregierung nicht nur eine ausgleichend- 

versohnende Bolle spielt, sondern auch sich in eingehendster Weise an der ganzen 

musikkiinstlerischen Politik beteiligen mufi — grofite Aufgaben zu: 

1. Erforschung der frisch hinzugekommenen Schichten von Horerschaft und Ver- 

standnis fiir ihre gesunden kunstlerischen Bediirfnisse. Die Schwierigkeit der Auf- 

gabe in dies em Plane liegt darin, dafi letztere sich nun nicht mehr auf die 

Wiederspiegelung des geschmacklichen Mittelniveaus beschranken darf, sondern he- 

strebt ist, auf dieses einzuwirken und es bis zum Begreifen der hochsten Errungen- 

schaften der Vergangenheit emporzuheben. So wird die Kritik mit der Sphare 

der musikalischen Bildung der Horerschaft in ihren Tiefen eng verbunden, 



240 ROMAN GRUBER 



sowie mit der Popularisierung nicht nur der Musik selbst, sondern auch der 
Literatur ,.iiber Musik". 

2. Im Zusammenhang hiermit tritt die organisch mientbehrliche „Revision" aller musika- 
lisclien Werte der Vergangenheit, eine Ablehnung derjenigen, die ihre Aktualitat 
in Umstanden des heutigen Tages schon veiioren, und ein Propagieren derer, die 
ihre Wirksamkeit erhalten haben. 

3. Weiterhin, insofern die soziale grofie Umwfilzung in der U. S. S.R. mit der ebenso grofien 
musikalischen „Krisis" im Westen zusammenfallt (die wohl ihrem Umfange nacb 
mit den Epoch en der ars nova und der nuove musiche zu vergleichen ist), 
muss dieselbe Kritik auch nach dieser Richtung hin arbeiten: die wertvollen und 
den gesunden Redurfnissen unserer Horerschaft entsprechende Leistungen festzu- 
stellen und sie dem Musikbewufitsein der Massen eigen zu machen. 

4. Endlich soil die Kritik auch weiterhin auf das vaterlandische Musikschaffen (leider 
im letzten Jahrzehnt recht zaghafte), welches nun auch seine Anforderungen an den 
„Musikbetrieb" stellt, irgendwie reagieren. 

Diese Aufgaben mufiten notwendigerweise die eigentlicben Formen und Methoden der 
Kritik, sowie auch ihren Umfang verandern. Das dogmatische, parteiisch-voreinge- 
nommene und formell-technische Verhalten wird allmahlich durch ein kultur-historisch 
bedingtes abgelost, es werden Probleme aufgestellt, wie: des musikalischen Milieu, des 
musikalischen „Alltagslebens" (Konzert — Haus — Strasse), der Stadt- und Dorfmusik; ihr 
reziprokes Verhfiltnis und ihr wechselseitiges Einwirken; es werden besonders aufmerksam 
die „Statten" der Musikkultur in Arbeiterregionen ins Auge gefafit, wo jetzt nicht eng- 
begrenzte Schichten spezieller Professionalisten Vorbereitung linden, sondern in jedem 
Staatsbiirger die Ubung fur aktives Musikempfinden erzogen wird. 

Beziiglich der Tongebilde, isoliert genommen, tritt auch eine neue Einstellung ein, 
die das Tonwerk vom Standpunkte der ihm selbst innewohnenden inneren Gesetz- 
massigkeit und funktioneller Logik beurteilt und nicht mit einem, von auswarts auf- 
gedrangten Kriterium zu messen sucht (dies konnte am richtigsten mit dem Namen 
„organische Kritik" bezeichnet werden). 

Natixrlich, alle diese Veranderungen in Form und Wesen der Musikkritilc stellen 
auch neue Forderungen an ihren Trager — den Musikkritiker. Von diesem wird 
heutzutage — abgesehen von kritischer Intuition — umfassender allgemeinkultureller 
und musikwissenschaftlicher Weitblick verlangt, sowie Kenntnisse im Gebiete letzter 
wissenschaftlicher Errungenschaften. Die Verwirklichung dieser Forderungen wird durch 
das Heranziehen fachmannisch gebildeter Musikkritiker erzielt, und zwar aus einem 
Kreise von Personen, die eine griindliche Schi.de der Musikliunde durchgemacht haben. 1 ) 

Vorstehend haben wir eine Reihe von Aufgaben aufgezahlt, die der Musikkritik 
im Laufe des letzten Jahrzehnts gestellt wurden. Viele dieser Aufgaben finden aber 
auch schon ihre Verwirklichung. 

So entspricht z. B. die von Igor Gleboff im „Melos" angebahnte und in den 
„Symphonischen Etiiden" (1922, die einer Feststellung stilistisch-psychologischer Eigen- 



') Ein solches „musikkritisches Seminar" fur Personen, vvelche die Musikabteilung kunstwissen- 
schaftlicher Kurse am Staatlichen Kunsrhistorischen Institut in Leningrad absolviert haben, f'uhrt der Schreiber 
dieser Zeilen. 



DIE MUSIKKRITIK IN RUSSLAND 241 

tumlichkeit der russischen Oper gewiclmet sind) weitergefiihrte „Umwertung der Werte" 
einer vom Leben selbst hervorgerufenen „Aussoiiderung" der miisikalischen Werte und 
wird zur Zeit in weitgehender Weise durchgefiihrt. 

Im Plane des Begreifens der „Neuen Musik" des "Westens ist eine intensive 
la'itisclie Arbeit geleistet worden, wie in der allgemeinen periodischen Presse, so aucli 
in speziellen Zeitschriften („Die gegenwartige Musik' 1 " in Moskau, „Neue Musik" in 
Leningrad). Im Endresultat haben sich alle Haupterrungenschaften des Westens — 
Schonberg, Hindemith, Krenek u. a. mit eingeschlosseii — das „Burgerrecht" auf der 
Konzertbiihne, wie aucli im piidagogischen Repertoire erworben. 

Endlich bleibt noch die zentrale Mission der Sowjet-Musikkritik iibrig — die 
tiffentliche, kultur-soziologische, die immer volleren Ausdruck in den einander ablosenden 
Musikzeitscliriften : ,,Zu neuen Ufern", „Das musikalische Neulicht", „Die Musikkultur", 
,,Musik und Oktober", „Musik und Revolution", „Musikbildung", „Musik und das All- 
tagsleben" 2 ) findet. Aber eben hier hat die Kritik auch die grofiten Schwierigkeiten 
zu iiberwinden, insoi'ern sie es mit zwei Krisen — der sozialen und miisikalischen — 
zu tun hat, die einander nicht „decken". Mit anderen Worten, soweit die ,,revolutionaren" 
Errungenschaften der westeuropaischen ,,Neuen Musik" nicht vollig mit den Redurmisseii 
der von der Revolution bei uns in den Vordergrund geriickten Horerschaft zusammen- 
fallen (und umgekehrt : die musikalischen Bedurfhisse letzterer sehr hjiufig als „reaktionare" 
erscheinen) — mufi die Musikkritik eine Synthese festzustellen suchen, die die Elemente 
der sozialen und musikalischen Gegenwart in sich vereinigt. Zu einer solchen kann 
aber nur ein Produkt des vaterlandischen Musikschaffens werden und zwar erst 
clann, wenn es nicht kiinstlich und sklavisch den Bedingungen des Moments folgt, 
sondern auf natiir liche Weise, organisch dem Boden der Revolution entsprossen 
ist. In Erwartung dieses schopferischen Erbliihens (noch ist es nicht da; die Ge- 
schichte lehrt, dafi es in allernachster Zeit auch nicht kommen kann) bleibt nur der 
Kampf mit den reichlich aufspriefienden Surrogaten der quasi-revolutionaren Musik 
und die Vorbereitung der weiten Massen fur das Empfinden der Zukunftskunst an der 
Hand der besten Musikproben der Vergangenheit und Gegenwart. 

Das ist die verantwortungsvolle Rolle, die der jungen russischen Kritik von heute 
zugefallen ist, wohl aim ersten Mai in der Geschichte der musikalischen Offentlichkeit. 

* 

Im Rahmen eines gedriingten Artikels ist es schwer eine detaillierte Analyse der 
reziproken Reziehungen zwischen musikalischen und gesellschaftlichen Ki'aften zu geben, 
deren Funktion die Kritik ist. Ganz unmoglich aber ist es, das innere Wesen der 
kritischen Aussagen und ihre aufiere Gestaltung zu besprechen. Wir haben versucht 
die Grundetappen der Musikkritik in Verbindung mit der Linie des Musikschaffens, 
der Entwicklung der musikalischen Offentlichkeit und dem System der musiktheoretischeu 
Anschauungen zu verfolgen. Wir wollen nicht behaupten, dafi der Entwicklungsgang 
des russischen musik-kritischen Bewufitseins in vollem Mafie allgemein giiltig sei. Doch 
sind wir der Meinung, dafi eine Reihe von Situationen, (gleichzeitiges Entstehen mit 
dem Aufschwung des nationalen Schaffeils, Ablosung der romantischen Einstellung 
durch die formell-technische und spater die historische, Ubergang von den „aufge- 

2 ) Die drei letzteren Zeitschriften existieren auch jelzt, 



242 MELOSKRITIK 



Marten Dilettanten" zu den Professionellen, und v. a.) recht typisch ist und — soweit 
das rasche Wachstum des Musikbetriebes in Rufiland in einem kurzen Zeitraum ver- 
fliefit — ein leichtes Erfassen ermoglicht. Im westeuropaischen Leser, wenn er Ver- 
standnis nicht nur fur einzelne Vertreter des zeitgenossischen Musikschaffens, sondern 
audi fiir die Lage der Musikkultur — und Bewufitsein insgesamt gewinnen will, kann 
das besprochene Thema aber audi Interesse in anderer Hinsicht wecken, indem der 
Leser allmahlich, auf Grund einer historisch durcbgefiihrten, wenn auch fliichtigen Dar- 
stellung einiger Quellen und kulturhistorischer Ursachen des heutigen Musikwesens 
bewufit wird. 



MELOSKRITIK 

Die neue, hier angestrebte Form der Kritik beruht darauf, daft 
sie von mehreren ausgeiibt wird. Dadurch soil ihre Wertung von 
alien Zufalligkeiten und Hemmungen abgelost werden, denen der 
Einzelne ausgesetzt ist. Langsam gewonnene, gemeinsame Formn- 
lierung, aus gleicher Gesinnung entstanden, erstrebt einen hoheren 
Grad von Verbindlichkeit. So ist jede der vorgelegten Besprech- 
ungen ein Produkt gemeinsamer Arbeit der vier Unterzeichneten. 

Werkbesprechung 

NEUE WERKE VON ARTHUR HONEGGER 

Arthur Honegger stand in dem Kreise der „Six" : jener sechs Komponisten, die 
sich nach dem Kriege in Paris zu einer fortschrittlichen Gruppe zusammenschlossen. 
Diese Gruppe, zu der auch Milhaud und Poulenc gehorten, hatte in Frankreich das 
Erbe des Impressionismus auszutragen. Auch Honeggers friihe Musik steht in ent- 
scheidender Abhangigkeit von Debussy. Doch iibernimnit er nicht so sehr die kolo- 
ristische Seite Debussys als seine prazise und subtil durcbgefeilte Rhythmik und seine 
ornamental geloste Melodik. 

Wahrend sich diese Haltung vornehmlich in den friihen Liedern ausspricht, stehen 
die ersten Violin- und Bratschen-Sonaten unter dem Einflufi des akademisch gerichteten 
Kreises um Cesar Franck. Die in dieser Schola Cantorum arbeitenden Komponisten 
hielten auf durchgebildete formale Architektur, satztechnische Reinheit und vermieden 
angstlich alles literarisch angeregte Musizieren. 

Aber diese beiden Einfluftspharen werden von Honegger rait einer ursprunglichen, 
schopferischen Frische erfafit, die sie bis zu einem hohen Grad personlich durchdringt 
und an einzelnen Stellen zu einer eigenen, von impressionistischer Tradition sich ent- 
fernenden Haltung vorstofit. Hier begegnen wir Entwicklungswerten, welche fiir 
Honeggers spateres Schaffen von grofiter Bedeutung sind. Die gleiche inelodische Knapp- 
heit, die bei Debussy den Charakter des Passiven und Andeutenden hat, wird bei 



NEUE WERKE VON ARTHUR HONEGGER 243 

ihm zum Ausdruck einer personlichen Kraft. Eine zur Objektivierung neigende Bhyth- 
mik scheint auf die Quellen slavischen Volkstums zuriickzugehen, gewinnt aber durch 
den Grad ihrer Einschmelzung ein typisch franzosisches Geprage. Das Zusammenwirken 
dieser Krafte spiegelt das Prestothema seiner ersten Violinsonate (Notenbeispiel 1 *). 

Was sich an solchen Stellen aus farbloserer Umgebung heraushebt, verdichtet sich 
raehr und mehr zu einer eigenen Sprache. Es ist wohl anzunehmen, dafi die Bekannt- 
schaft mit Strawinsky, dessen Einflufi auf das Schaffen der jungen franzosischen Generation 
garnicht zu uberschatzen ist, diese En twiddling beschleunigt hat. 

Noch im „Konig David" liegen fur eine analytische Betraditung vollig entgegen- 
gesetze Stilelemente nebeneinander. Eine ardiaisierende Tendenz, die sich schon friiher, 
besonders in den Sonaten fur Melodieinstruinente, eindeutig vorbereitet hatte, gewinnt, 
durch den religiosen Stoff angeregt, gesteigerte Bedeutung. Sie fiihrt ihn, etwa in dem 
Psalm Nr. 3, nach der Art Handels zu einer reinen, konstruktiven Diatonik (Notenbei- 
spiel 2). 

Daneben liegen Einfliisse Strawinskys (Sacre). Sie aufiern sich einmal in einer 
feinen impressionistischen Farbigkeit, die sich mit fruheren in dieser Bichtung liegenden 
Stilmerkmalen (Debussy) verbindet, daneben aber in einer brutalen Tanzrhythmik, die 
ihr Vorbild eindeutig erkennen lafit. Wir belegen sie durch einige Takte aus dem 
„Tanz vor der Bundeslade", (Notenbeispiel 3). 

Und doch schliefien sich alle diese heterogenen Stilmerkmale im Gesamteindrudt 
zu einer schopferischen Einheit zusammen. Es ist schon ein Wille zur Monumentalitat 
da, der das ganze Werke bindet. 

Dieses Werk, das wir als ein stark nach vorwarts weisendes Wegzeichen in der 
Entwicklung Honeggers erkennen, ist urspriinglich als Biihnenmusik geschrieben. Es 
verbindet sich uns mit seiner Musik zu Shakespeares „Sturm" und der Ballettmusik 
zum ,,Horace victorieux". Honeggers Stil spitzt sich in dieser Zeit mehr und mehr 
aufs Theatralische zu. Auch seine Instrumentalmusik wird in diese Kreise hineingezogen - 
Seine 1923 entstandene Symphonische Dichtung „ Pacific 231" ist von solchen 
iUustrativen Absichten getragen, die sich hier auf die Erfassung der unmittelbaren, 
Jebendigen Gegenwart richten. Sie wdl „nicht den Larm der Lokomotive nachahmen, 
sondern einen visueUen Eindruck und einen physischen Genufi ins Musikalische iibersetzen . . . 
die Pathetik eines Zuges von dreihundert Tonnen, der mit 120 km pro Stunde durch 
die tiefe Nacht stiirmt". (Honegger). Wenn wir diese letzten Endes noch rein im- 
pression is tische Musik mit dem „Konig David" vergleichen, so sind damit wohl die beiden 
Pole bezeichnet, zwischen denen Honeggers Musik liegt. Sie umspannt jetzt einen 
weiten Baum, eine Fiille von mit klugem Eklektizismus ausgewahlten stilistischen 
Moglichkeiten. 

n. 

Von hier aus setzt sich eine aUmahliche Verfestigung der stilistischen Haltung 
Honeggers ein, die ihn zu seinen bisher wesentlichsten Werken fiihrt. Die beiden Opern 
„ Judith" und „ Antigone" tragen die vom „K6nig David" ausgehende Entwicklung in der 
Bichtung wachsender Vereinheidichung zum Drama hin weiter. Die andere Linie. 

*) Die Notenbeispiele siehe in der Notenbeilage zu diesem Heft. 



244 MELOSKRITIK 



der reinen lnstrumentalmusik lauft in deni Concertino fiir Klavier und Orchester 
(1924) aus. Es nimmt den Klassizismus seiner eigenen friiheren lustrum entalwerke auf 
und gerat zugleich in starke stilistische Abhangigkeit von der ahnlich gerichteten Ent- 
wicklungsphase Strawinskys (Klavierkonzert, Klaviersonate), ohne dafi dies aber fiir 
seine eigene Entwicklung so weit tragende Folgen gehabt hatte wie bei Strawinsky 
(Oedipus). Denn in der „Judith" (1925), dem nfichsten Hauptwerk auf diesem Ent- 
wicklungsweg befreit sich Honegger endgiiltig von den letzten impressionistischen Resten. 

Die Musik zur ,Judith" ist ein geschlossener, in drei Akte geteilter Formverlauf, 
im Gegensatz zu der plastischen Vielgliedrigkeit des „David." Das entspricht der nun 
erreichten Einheitlichkeit des Stils. Honeggers knappe, pragnante Thematik fiihrt ihn 
hier zu einer Motivtechnik, welche das dramatische Geschehen trflgt, ohne es im Sinne 
des Leitmotivs zu entwickeln. Noch liegt der Schwerpunkt in den Choren, wahrend 
den Soloszenen der grofie Zug fehlt. In ihnen fixiert das Orchester mehr die Stimmung 
der einzelnen Situation, indessen ohne in reiner Farbigkeit zu verharren, sondern mit 
starker Tendenz zu melodischer Enfaltung. Daneben treten hier zum ersten Male als 
dramatische Akzente kurze, widerhaarige, oft scharf synkopierte Rhythmen auf. Sie er- 
scheinen auch zu den Choren, die an Unmittelbarkeit und StoGkraft weit iiber den 
„David" hinaussragen. Schon in dieser Oper riickt Honegger die Singstimme aus der 
Zone des pathetischen Affekts heraus und nahert sie einer mehr rezitativischen, melodisch 
gesteigerten Deklamation. 

Gerade diese Merkmale intensiviert die jiingste Oper Honeggers „Antigone" bis 
zu letzter Konsequenz. In der Vorrede zu diesem Werke sagt der Komponist selbst : 
Es war mein Restreben, „das Rezitativ durch eine melodische Fiihrung der Singstimmen 
zu ersetzen, welche sich aber nicht in gehaltenen Noten der hohen Lagen ergehen 
sollte (da diese stets den Text zur Unverstandlichkeit verdammen) ebensowenig aber 
in rein instrumentalen Linien. Sie sollte im Gegenteil eine melodische Zeichnung suchen, 
die durch das Wort selbst hervorgerufen wird". Wie weit die uberlieferten Elemente 
der subjektiven Ausdrucksmelodik durch Honegger uberwunden werden, zeigen die Worte, 
die Antigone kurz vor ihrem Tode singt (Notenbeispiel 4). 

Die leitmotivischen Ansfitze der Judith verdichten sich zu einem „engmaschigen, 
symphonischen Gewebe". Es gelingt ihm hier mit Hdfe stilisierter, sich nicht ver- 
wandelnder Motive eine Art dramatischer Kontinuitat zu schaffen. Dabei gefahrdet die 
sehr durchsichtige Orchestersprache weder die Deutlichkeit der Singstimmen noch den Ge- 
samteindruck. So ruht die Eingangsszene beinahe ausschlieiJlich auf den ersten vier 
Takten des Orchesters (Notenbeispiel 5). 

Sie sind kennzeichnend, bis zu welcher Scharfe und Pragnanz der Thematik 
Honegger hier fortgeschritten ist, zugleich fiir ein neues Stilmerkmal dieser Oper: die 
Koppelung verschiedener rhythmisch-plastischer Motive in der Gleichzeitigkeit. Daneben 
steht in den instrumentalen Teilen der Oper eine konstruktive Harmonik, welche auf 
konsequeuter chromatischer Stimmfiihrung und klanglicher Gegenbewegung beruht: 
(Notenbeispiel 6). 

Wesentlichstes Merkmal der Oper ist die organische Formgebung, die Honegger 
hier erreicht. Die formbildende Kraft des Motivs bewirkt die Geschlossenheit der 
einzelnen Szene, Dem entspricht die Gesamtform des Dramas in ihrer ausgewogenen 



AUFFUHRUNGSBESPRECHUNG 245 

Verteilung von Soloszenen, Choren und instrumentalen Zwischenspielen. Gerade diese 
Ausgewogenheit lafit mis die „Antigone" als etwas in sich Vollendetes und Endgiiltiges 
in der immerhin sprunghaften und heute noch niclit ganz zu iibersehenden Entwicklung 
Honeggers erscheinen. 

Hans Mersmann, Hans S ch u 1 1 z e - B i 1 1 e r , H e i n r i ch S t r o b e 1 
und Lothar Windsperger 



Auffiihrungsbesprechung 



Nach zwei Jahren raumlicher Bedrangnis kann die Arbeit der Staatsoper sich 
ungehindert entfalten; der erneuerte Bau U liter den Linden ist eroffhet. Bei um- 
fassender Modernisierung des Biilinenliauses ist es gelungen, das altgewohnte Bild des 
Zuschauerraumes zu erhalten und die Akustik vielleicht ■ noch zu verbessern. Zum Ein- 
weihungsabend wurde vor den vom PreuSischen Staatsministerium geladenen Festgasten 
die ,, Zauberf'lote" in neuer Inszenierung gegeben. Die Auffiihrung verlief leider 
nicht ohne Hemmungen: durch. Umbesetzungen in letzter Stunde wurde Tempo und 
Prazision des Ablaufs beeintrachtigt. Horths Inszenierung war auf eine bunte und 
geloste Miirchenphantastik gesteUt. Aravantinos schuf die Bilder: gedampfte Farbigkeit, 
weite Flachen fur die Sarastrosphare. Bei lockeren Formen ist das Sakrale betont, das 
audi in Kleibers gehaltener Darstellung der Musik in Erscheinung trat. In voll- 
kommener Reife hoben sich heraus: die Paniina der Delia Beinhardt, Lists Sarastro 
und Schorrs Sprecher. Als nachste Auffiihrung im neu en Hause zogen die „Meister- 
singer" unter Blech voriiber, in prachtvoll durchgearbeiteter unci gesteigerter Fuhrung 
und feinsteni Erfiihlen des Stils. Die Wiedergabe, stark in den Einzelleistungen mit 
Schorr als Sachs und dem jungen Fritz Wolff als Stolzing, fesselte aufierdem durch 
die Echtheit des Zeitbddes, das Bernhard Pankok aus genauester Kenntnis gestaltete. 
Letzter Festabend: der „Bosenkavalier" unter Straufi, den Georg Szell vorbereitet 
und Horth in lebendiger Bewegung aufgebaut hatte. Eine ausgezeichnete Besetzung 
mit Barbara Kemp, Delia Beinhardt, mit der neuen Sophie der sympathischen 
Marion Clare und mit dem fur den erkrankten Schiitzendorf aus Dresden herbeige- 
holten Adolph Schopflin, der als Ochs von Lerchenau durch nattirlichen Ton 
iiberzeugte. 

In der Stadtischen Oper nahm sich Bruno Walter des „Wunders der Heliane" 
von Korngold mit grofier Liebe an. Karlheinz Martin versuchte die Handlung 
mit ihrer zeitlosen Symbolik durch energische Gliederung und Aktualisierung zu ver- 
starken. Strnad unterstiitzte diese Absicht durch Bilder von verwegenem Konstruk- 
tivismus. Mit der betont zeitgemafien Aufmachung war dem Werk nicht gedient. 

Bruno Walter brachte ferner eine auf hochste, mitunter iibergrofie Diskretion aus- 
gehende Neuauffuhrung von ..Figaros Hochzeit", aus der auch der Begisseur Martin 
alle lauten Tone fenihielt. Auch der Buhnenbildner Emil Preetorius hatte die Szene 
in ruhigen Linien und zarten Farben abgestimmt. Als Gastdirigent fiir den wieder im 
Ausland tatigen Bruno Walter ist Dr. Fritz Stiedry verpflichtet worden, den man 



246 



ERNST LATZKO 



allzu lang verrnifit liatte. Es ist zu wiinschen, dafi seine Kraft auch weiterhin fiir die 
Stadtische Oper nutzbar gemacht wird. 

Ein bescheidenes und liebenswiirdiges Werk der guten franzosischen Spieloper, 
der „Schwarze Domino" von Auber, wurde vom Klemperer -Ensemble unter Fritz 
Zweig auf das Sauberste herausgebracht. Der Gastregisseur Artur Maria Rabenalt 
machte die Situationskomik des Scribeschen Intriguenlustspiels mit grofiem Geschick 
wirksam. 

Im Gange des Konzertbetriebs erschienen bemerkenswerte Stiiclce neuer Musik. 
Kleiber fiihrte die erste Symphonie von Schulhoff auf, der bier zum ersten Mai 
die grofie Form sucht. Er bleibt seiner musikantischen Art treu, die von Slavisch- 
Volkshaftem angetrieben wird. Bei klanglichem Reichtum, der von impressionistischer 
Verfeinerung bis zu absichtsvollem Pathos geht, wird doch die Spannung des sym- 
phoniscben Stils nicht erreicht. In einer vollendeten Auffuhrung horte man ferner 
unter Kleiber das durch seine Strenge und rhythmische Vielfaltigkeit packende Klavier- 
konzert von Bartok, das der Komponist selbst spielte. Fur twangler, der seine phil- 
harmonischen Konzerte in grofiem Zuge zu Ende fiihrte, brachte eine von starken 
dramatischen Spannungen erfiillte, breit ausladende Ouvertiire von Karol Rath a us 
zu eindringlicher Wirkung. Eine nachschopferische Leistung von hochster geistiger Samm- 
lung und intuitiver Kraft war die Darstellung der Matthauspassion, die Furtwangler 
mit dem Kittelschen Chor zum ersten Mai auffuhrte. 

Aus dem „Schulwerk", das Hindemith im Geist des neuen Form- und Musik- 
empfmdens und grofiter Einfachheit des Technischen geschrieben hat, spielte das 
Amar-Hindemith-Quartett einige bezeichnende Stiicke von starkster Konzen- 
tration. Uber alle Publikumssensation hinaus wurde das Wiederauftreten von Pablo 
Casals zu einem bedeutenden ktinstlerischen Ereignis durch die absolute Sachlichkeit 
der allem Effekt abgewandten Kunst eines iiberlegenen Meisters. 

Hermann Springer und Heinrich Strobel 



RUNDFUNK 



Ernst Latzko (Leipzig) 

RUNDFUNK-UMSCHAU 

(Januar - Februar — Marz — April) 



Der Rundfunk will „ein fiir Belehrung und Unterhaltung bestimmtes Kultur- 
instrument''' sein. Diese Definition war vor kurzem in der „Bayrischen Radio-Zeitung" 
zu lesen und tatsachlich treffen beim Rundfunk so viele positive Momente teclinischer, 
geistiger, sozialer und materieller Art zusammen, dafi er in unserer heutigen demo- 
kratisehen Zeit die in dieser Definition ausgedriickte hohe Mission tatsachlich ver- 



RUNDFUNK, UMSCHAU 247 



wirklichen konnte. Aber gerade wenn man die Rundfuiikprogramme eines grofieren 
Zeitraumes sichtet und sich bemfiht, das Wesentliche daraus zusammenzustellen, wird 
man gewahr, wie von den drei in der obigen Definition enthaltenen Begriffsmpmenten 
die Unterhaltnng bei Weitem an erster Stelle steht, die Belehrung in einigem Abstand 
nachfolgt, wahrend die Kultur vorlaufig noch in der letzten Reihe zu stehen kommt. 
Damit soil nur eine Tatsacbe und kein Vorwurf ausgesprochen sein, denn der offentliche 
Rundfunk ist kaum f'unf Jahre alt, fiber die Periode der Kinderkrankheiten also noch 
lange nicbt hinaus. Immerhin scheint es, als ob das biogenetische Grundgesetz, dem- 
zufolge die Entwicklung einer Gattung sich in verkfirztem Mafie beim Einzelwesen 
wiederholt, irgendwie audi bei der Entwicklung des Rundfunks sein Wesen treibt, denn 
anders ist es kaum zu erklaren, dafi Geschmacklosigkeiten, die mit Mfihe und Not im 
Konzertsaal zu Grabe getragen worden sind, nun im Senderaum eine frohliche Aufer- 
stehung feiern. Das Unterhaltnngsbedfirfnis des Rundfunkhorers in alien Ehren, aber 
mnfi man es wirklich mit dem „Lenz" von Hildach oder dem Posaunensolo ,,Das Grab 
auf der Haide" befriedigen, wie es im Rundfunk fast allwochentlich geschieht ? Dieser 
Punkt ist wichtig genug, um nicht mit geschlossenen Augen daran voriiberzugehen, 
wichtig genug, urn diese Rundschau zu eroffnen und ware es auch nur, um das Uner- 
freuliche hinter sich zu haben. 

Ich frage also : Ist es nicht eine Geschmacklosigkeit, eine Reihe der von Fritz Kreisler 
fur die Geige bearbeiteten Stficke alter Meister unter dem Namen ,.Kreisleriana" 
zusammenzufassen und dadurch die Phantasie des wenig gebildeten Hovers eines billigen 
Wortwitzes wegen auf eine ganz falsche Fahrte zu locken, wie das von Hamburg 
geschieht? Ist es nicht eine noch schlimmere Geschmacklosigkeit, in einem Programm, 
das schon den vielversprechenden Titel „Musikalisches Schaferstundchen" ffihrt, unter 
anderem die ,,Hirten"-Musik aus dem Weihnachts-Oratorium und Lassens „Der Schafer 
putzte sich zum Tanz" zusammenziikoppeln, wie das Breslau fur notwendig befmdet? 
Straubt sich einem nicht das Haar, wen man das von Hamburg angezeigte Programm 
„Opernfantasien im Lichte violinischer Virtuositat" liest? Sollten die Konzerte des 
„Mundharmonikavereins deutscher Jungmannen" die Koln sich von Dusseldorf aus vor- 
blasen lfisst wirklich unentbehrlich sein ? Aus der unerschopflichen Fiille des auf diesem 
Gebiet Geleisteten seien jetzt noch zwei Programme in extenso vorgefuhrt, von denen 
das eine durch seine kurkapellenartige Zusammenstellung unvereinbarer Gegensatze, das 
andere wieder durch die konsequente Anhaufung von gleichgearteten Unmoglichkeiten 
als abschreckendes Beispiel dienen moge. Koln sendet als Abendkonzert: Lanner, 
„Hofballtanze"; Beethoven, „Egmont"-Ouverture ; Wagner, Melodien aus „Lohengrin" ; Grieg, 
„Ich liebe dich" ; Svendsen, „Romanze" ; Liszt, „Polonaise" ; Lehar, Potpourri aus „Zigeuner- 
liebe". Und Frankfurt macht sich folgender Stinde wider den.heiligen Geist schuldig: 
Leuchtkaferchens Stelldichein, Parade der Zinnsoldaten, Siamesische Wachtparade, La 
lettre de Manon, Auf einem persischem Markt (Orgelsolo), Parade der Maikafer, Locken- 
kopfchen, Die Mfihle im Schwarzwald, Heiligtum des Herzens (Orgelsolo), Heinzelmannchens 
Wachtparade. Und so etwas pflegt dann mit den Wfinschen der Horer entschuldigt 
zu werden. Als ob die Sendeleitung nicht gerade dazu da ware, auf den Geschmack 
ihrer Hohrerschaft veredelnd einzuwirken. Aber verlassen wir nun dieses Gebiet der 
Unerfreulichkeiten, um tins freundlicheren Eindrucken zuzuwenden. 



248 



ERNST LATZKO 



Schon im letzten Heft wurde ausgefiilirt, wie der Rundfunk seine kulturellen Auf- 
gaben am ehesten erfullen wird, wenn er sich als Erganzung von Oper und Konzert 
betrachtet und Gebieten seine Pflege angedeihen lasst, die von jenen beiden vernach- 
lassigt werden. DaG die neuesle und die vorklassische Musik bier die dankbarste 
Betatignngsmoglichkeit liefern, begt auf der Hand. Ebenso, wenn nicht einzelne Momente 
herausgegriffen, sondern gro£ere Etappen der Mnsikgeschicbte in zykliscber Zusammen- 
stellung beleuchtet werden, wobei jedesraal das erklarende Wort die musikalischen 
Eindriicke zn verstarken hat. In diesein Zusanimenhang muG zuerst der Ostmarken- 
Rundfunk (Konigsberg, Danzig) genannt werden, der nicht nur die Entwicklung der 
Orchestermusik und die Entwicklung des Klaviertrios auf diese Art veranschaulicht, 
sondern eine besonders dankenswerte Veranstaltung in dem Zyklus „Von Reger bis 
Hindemith" zeitgenossische Komponisten im Spiegel ihrer Hausmusik vorfiihrt. Klavier- 
werke von Bartok. Strawinsky, CaseUa, Jarnach, Petyrek, Tocb und Krenek wurden init 
einfuhrenden Erlauterungen in dem besprochenen Zeitraum den Horern geboten. 

Zu den zyklischen Veranstaltungen erfreulicher Art gehort weiter die von Leipzig 
gebrachte „Tonende Operngeschichte". Die an sich ausgezeichnete Idee, die Entwicklung 
der Oper von ihren allerersten Anfangen bis zur Gegenwart an besonders pragnanten 
Beispielen zu zeigen und durch einleitende Vortrage das Verstandnis des Zusammen- 
hanges zu erleicbtern, ist zwar durch die Ausfuhrung nicht ganzlich gelost worden — 
bisher waren zu horen: zwei Abende mit Brucbstiicken von Peri, Caccini, Monteverdi, 
Lully, Rameau, Reinhard Keiser, Graun, Hasse. Ferner Hiindels „Otto und Theophano", 
Glucks „Alli:estis", Mozarts „Zaide". Spontinis „Vestalin'', Roieldieus ,,Johann von Paris", 
Donizettis „Liebestrank", Flotows „Allessandro Stradella" und Marscbners ,,Templer und 
Jiidin" — der sti - enge Kritiker wird also sicher Beispiele a us der neapolitanischen Oper. 
aus Purcells Schaffen vermissen, es audi kaum verstehen, wie in solchem Zusanimen- 
hang Carl Maria von Weber ubergangen werden konnte, wfihrend er auf Flotowsche 
Plattheiten gerne Verzicht geleistet hatte, - aber von diesen Schonheitsfehlern ab- 
gesehen ist der Versuch do'ch sehr zu begriifien und nur zu wiinschen, dafi das neue 
Opernschaffen noch gehorige Beriicksichtigung finde. 

Ein auch Jvon Leipzig veranstalteter Zyklus „Mitteldeutsche Komponisten" sollte 
jungen Schafienden Gelegenheit geben, mit ungedruckten Werken vor das Publikum zu 
treten und ihnen so den Weg in die Offentlichkeit und zum Verleger erleicbtern. Wenn 
bei den Veranstaltungen dieses Zyklus auch haufig mitteldeutsche Abstammung fur den 
Mangel [an kompositorischer Regabung entschadigen mufite, so darf doch die soziale 
Seite des Unternehmens anerkannt werden und die Stunde mit Werken Hermann 
Ambrosius' und Georg Winklers Streichcfuartett konnten fiir manchen Versager entschadigen. 

Miinchen brachte im Verlauf eines Zyldus „Die Entwicklung der Orgelkomposition" 
ein das England des 17.Jahrhunderts beleuchtendes Programm mit Werken von John 
Bull, Ryrd und Gibbon. 

Last not least gehort in diesen Zusammenhang die von Berlin veranstaltete „Stunde 
der Lebenden". Von 'Adolf Weifimann eingeleitet, kamen in dem besprochenen Zeitraum 
von besonders markanten Werken drei Gesange japanischer Lyrik mit Begleitung von 
zwei Floten, zwei Klarinetten, zwei Violinen, CeUo, Bass nnd Klavier von Strawinsky, 
die Sonate fiir Horn. Trompete und Posaune von Poulenc, Lieder von Milhaud und 



RUNDFUNF-UMSCHAU 



249 



Honegger unci die Sonate fur Klavier mid Violine von Ravel zur Auffiihrung. Damit 
sind wir bei dem Schmerzenskind der Sendegesellschaften, dev neuen Musik, angelangt 
und ira Anschlufi sei gleich auf die wenigen aber umso kraftigeren Lebenszeicben 
bingewiesen, die sie im Rundfunk von sich gibt. 

Hier darf an erster Stelle Hindemith genannt werden, der verhaltnismalMg oft 
im Sender erscbeint. Sein Streichquartett op. 22 wurde von Berlin, Breslau und Koln 
gebracht, die Sechs Stiicke fiir Streichquartett op. 44 von Breslau, die Sonate fur Cello 
und Klavier von Koln, die Sonate fiir Bratsche und Klavier von Berlin, das Violinkonzert 
von Miinchen. Als Verdienst mufi Koln die Ubertragung eines offentlichen Konzertes 
angerechnet werden, in dem Hindemiths Konzert fiir Viola d'amore zur Urauffiihrung 
gelangte und aufierdem sein Bratschen- und Klavierkonzert gespielt wurden. Und 
schliefilich brachte nocb Frankfurt die Urauffiihrung seines Konzertes fiir Orgel und 
Kammerorchester, das Hindemith zur Einweihung der Orgel des Frankfurter Senders 
geschrieben und das er diesem Sender auch gewidmet hat. So vermag auch der 
Rundfunk ein Bild von der beispiellosen Fruchtbarkeit und Vielseitigkeit dieses einzig- 
artigen Mannes zu geben und wird dabei von dem reproduzierenden Kiinstler Hindemith, 
der als Solist wie als Quartettspieler, auf der Bratsche wie auf der Viola d'amore fiir 
sein eigenes Schaffen eintritt, wesentlich unterstiitzt. 

Bela Bartoks Streichquartett op. 7 wird von Berlin und Frankfurt gebracht, seines 
Landsmannes Kodaly Cellosonate wird in Koln gespielt. Jarnach erscheint eben dort 
iiiit Klavierstiicken, wahrend Frankfurt seine Solosonate fiir Violine bringt. Der Pariser 
Sender verbreitet Honeggers „Konig David", London und Daventry die Klaviersonate 
Strawinskys, Breslau Kaminskis F-Dur-Streichquartett und Stuttgart Milhauds „Saudades 
do Brazil". Ernst Toch kommt in Berlin mit Klavierstiicken und der Sonate fiir Klavier 
und Violine zu Wort, Schonberg-Lieder werden in Koln gesungen und Miinchen erwirbt 
sich ein besonderes Verdienst durch die Auffiihrung der drei „Woyzeck"-Bruchstiicke von 
Alban Berg und bringt aufierdem als einziger Sender moderne Chore (Krenek und 
Hindemith), Man sieht, fiir den Zeitraum von vier Monaten ist die Auslese an neuer 
Musik nicht allzu iippig aber bei der Mehrzahl der deutschen Sendeleitungen sind doch 
Anzeichen beginnender Regsamkeit auf diesem Gebiet festzustellen. Umso uiibegreiflicher 
ist die Inaktivitat der Sendeleitungen in Hamburg und Leipzig, die es als einzige fertig 
bringen, in dieser ganzen Zeit nicht zwei Takte reprasentativer moderner Musiker ihren 
Horern vorzufiihren. 

Manches Anerkennenswerte wurde auf dem Gebiet der alten Musik geleistet. Die 
von alien Sendern gepflegten sonntaglichen Morgenfeiern geben haung Gelegenheit, 
kleinere Stiicke aus vergangeneii Jahrhunderten der Vergessenheit zu entreiften. In grofterem 
Ausmafi bietet die Passionszeit Anlafi, verborgene alte Schatze zu heben und es ist 
durchaus zu begriifien, d&ii der Rundfunk sich nicht mit den Rach'schen und anderen 
bekannten Passionsmusiken begniigt, sondern zu Unrecht vergessene Werke neu belebt. 
So war es ein Verdienst Leipzigs, die der heutigen Generation fast unbekannten ,,Sieben 
Worte des Erlosers am Kre.uz" von Haydn aufzufiihren. Von nocb grofierem Unter- 
nehmungsgeist zeugt der Versuch Frankfurts, bis ins 16. Jahrhundert vorzudringen und 
Leonhard Lechners „Leiden unseres Herrn .Tesu Christi aus deiriT Evangelium Johannis" 
den Horern zu bieten. Eine willkommene Erganzung soldier Veranstaltungen, die dem 



248 ERNST LATZKO 



Sch on im letzten Heft wurde ausgefiilirt, wie der Bundfunk seine kidturellen Auf- 
gaben am ehesten erfiillen wird, wenn er sicli als Ergfinzung von Oper und Konzert 
betrachtet und Gebieten seine Pflege angedeihen liisst, die von jenen beiden vernach- 
lassigt werden. Da6 die neneste und die vorldassische Musik hier die dankbarste 
Betatigungsmoglichkeit liefern, begt auf der Hand. Ebenso, wenn nicbt einzelne Momente 
herausgegriffen, sondern gro£ere Etappen der Musikgeschichte in zykliscbe.r Zusammen- 
stellung beleucbtet werden, wobei jedesmal das erklarende Wort die musikalischen 
Eindriicke zu verstarken hat. In diesem Zusainmenhang mufi zuerst der Ostmarken- 
Rundfunk (Kcinigsberg, Danzig) genannt werden, der nicht nur die Entwicklung der 
Orchestermnsik und die Entwicldung des Klavier trios auf diese Art veranschaidicht, 
sondern eine besonders dankenswerte Veranslaltung in deni Zyklus ,,Von Reger bis 
Hinderaith" zeitgenossische Komponisten im Spiegel direr Hausmusik vorfidirt. Klavier- 
werke von Bartok, Strawinsky, Casella, Jarnach, Petyrek, Toch und Krenek wurden mil 
einfiibrenden Erlauterungen in deni besprochenen Zeitraum den Ilorern geboten. 

Zu den zyklischen Veranstaltungen erfreulicher Art gehort weiter die von Leipzig 
gebrachte ,,T6nende Operngeschichte". Die an sich ausgezeichnete Idee, die Entwicklung 
der Oper von ihren allerersten Anfangen bis zur Gegenwart an besonders pragnanten 
Beispielen zu zeigen und durch einleitende Vortrage das Verstandnis des Zusammen- 
hanges zu erleichtern, ist zwar durch die Ausfidirung nicht ganzlich gelost worden — 
bisher waren zu horen: zwei Abende rait Bruchstiicken von Peri, Caccini, Monteverdi, 
Lully, Rameau, Reinhard Keiser, Graun, Hasse. Ferner Handels „Otto und Theophano", 
Glucks „AUcestis", Mozarts „Zaide". Spontinis „Vestaliii<', Boieldieus ,,Johann von Paris", 
Donizettis ,,Liebestrank", Flotows „Allessandro Stradella" und Marschners „Templer und 
Jiidin" — der strenge Kritiker wird also sicher Beispiele a us der neapolitanischen Oper. 
aus Purcells Schaffen vermissen, es audi kauin verstehen, wie in solchem Zusammen- 
hang Carl Maria von Weber ubergangen werden konnte, wahrend er auf Flotowsche 
Plattheiten gerne Verzicht geleistet hatte, — aber von diesen Schonlieitsfehlern ab- 
gesehen ist der Versuch do'ch sehr zu begriiCen und nur zu wiuischen, dafi das neue 
Opernschaffen noch gehorige Beriicksichtigung finde. 

Ein auch Jvon Leipzig ^'eranstalteter Zyklus „Mitteldeutsche Komponisten" sollte 
jungen Scliafl'enden Gelegenheit geben, mit ungedriickten Werken vor das Publikum zu 
treten und ihnen so den Weg in die Offentlichkeit und zum Verleger erleichtern. Wenn 
bei den Veranstaltungen dieses Zyklus audi hiiufig mitteldeutsche Abstammung fur den 
Mangel [an kompositorischer Begabung cntschadigen mufite, so darf doch die soziale 
Seite des Unternehmens anerkannt werden und die Stunde mit Werken Hermann 
Ambrosius' und Georg Winklers Streichquartett konnten fur manchen Versager entschadigen. 

Miinchen brachte im Verlauf eines Zyklus „Die Entwicklung der OrgeUcomposition" 
ein das England des 17. Jjahrhunderts beleuchtendes Progranim mit Werken von John 
Bull, Byrd und Gibbon. 

Last not least gehort in diesen Zusainmenhang die von Berlin veranstaltete „Stunde 
der Lebenden". Von^Adolf Weifimann eingeleitet, kainen in deni besprochenen Zeitraum 
von besonders markanten Werken drei Gesange japauischer Lyrik mit Begleitung von 
zwei Fdoten, zwei Klarinetten, zwei Violinen, Cello, Bass mid Klavier von Strawinsky, 
die Sonate fiir Horn, Trompete und Posaune von Poulenc, Lieder A r on Milhaud und 



RUNDFUNF-UMSCHAU 249 



llonegger und die Sonate fur Klavier mid Violine von Ravel zur Auffuhrung. Damit 
sind wir bei dem Schmerzenskind der Sendegesellschaften, der neuen Musik, angelangt 
und im Anschluft sei gleich auf die wenigen aber umso kriiftigeren Lebenszeicben 
bingewieseu, die sie im Rundfuiik von sich gibt. 

Hier darf an erster S telle Hindemith genaunt werden, der verhaltnismafiig oft 
im Sender erscheint. Sein Streichquavtett op. 22 wurde von Berlin, Breslau und Koln 
gebracbt, die Sechs Stiicke fur Streichquartett op. 44 von Breslau, die Sonate fur Cello 
und Klavier von Koln, die Sonate fur Bratscbe und Klavier von Berlin, das Violinkonzert 
von Munch en. Als Verdienst mufi Koln die Ubertragung eines offentlichen Konzertes 
angerechnet werden, in dem Hindemiths Konzert fur Viola d'amore zur Urauffiihrmig 
gelangte und aufierdem sein Bratschen- und Klavierkonzert gespielt wurden. Und 
schliefilich brachte nocli Frankfurt die Urauffiihrung seines Konzertes fiir Orgel und 
Kammerorchester, das Hindemith zur Einweihung der Orgel des Frankfurter Senders 
geschrieben und das er diesem Sender auch gewidmet hat. So vermag auch der 
Rundfunk ein Bild von der beispiellosen Fruchtbarkeit und Vielseitigkeit dieses einzig- 
artigen Mannes zu geben und wird dabei von dem reproduzierenden Kiinstler Hindemith, 
der als Solist wie als Quartettspieler, auf der Bratsche wie auf der Viola d'amore fiir 
sein eigenes Schaffen eintritt, wesentlich unterstiitzt. 

Bela Bartoks Streichquartett op. 7 wird von Berlin und Frankfurt gebracht, seines 
Landsmannes Kodaly Cellosonate wird in Koln gespielt. Jarnach erscheint eben dort 
ni it Klavierstiicken, wfihrend Frankfurt seine Solosonate fiir Violine bringt. Der Pariser 
Sender verbreitet Honeggers „Konig David", London und Daventry die Klaviersonate 
Strawinskys, Breslau Kaminskis F-Dur-Streichquartett und Stuttgart Milhauds „Saudades 
do Brazil". Ernst Toch kommt in Berlin mit Klavierstiicken und der Sonate fiir Klavier 
und Violine zu "Wort, Schonberg-Lieder werden in Koln gesungen und Miinchen erwirbt 
sich ein besonderes Verdienst durch die Auffuhrung der drei „Woyzeck"-Bruchstiicke von 
Alban Berg und bringt aufierdem als einziger Sender moderne Chore (Krenek und 
Hindemith), Man sieht, fiir den Zeitraum von vier Monaten ist die Auslese an neuer 
Musik nicht allzu iippig aber bei der Mehrzahl der deutschen Sendeleitungen sind doch 
Anzeichen beginnender Begsamkeit auf diesem Gebiet festzustellen. Umso unbegreiflicher 
ist die Inaktivitat der Sendeleitungen in Hamburg und Leipzig, die es als einzige fertig 
bringen, in dieser ganzen Zeit nicht zwei Takte reprasentativer moderner Musiker ihren 
Horern vorzufiihren. 

Manches Anerkennenswerte wurde auf dem Gebiet der alten Musik geleistet. Die 
von alien Sendern gepflegten sonntaglichen Morgenfeiern geben haufig Gelegenheit, 
kleinere Stiicke aus vergangenen Jahrhunderten der Vergessenheit zu entreifien. In grofierem 
Ausmafi bietet die Passionszeit Anlafi, verborgene alte Schatze zu heben und es ist 
durchaus zu begriifien, dafi der Rundfunk sich nicht mit den Bach'schen und anderen 
bekannten Passionsmusiken begniigt, sondern zu Unrecht vergessene Werke neu belebt. 
So war es ein Verdienst Leipzigs, die der heutigen Generation fast unbekannten „Sieben 
Worte des Erlosers am Kreuz" von Haydn aufzufuhren. Von noch grofierem Unter- 
nehmungsgeist zeugt der Versuch Frankfurts, bis ins 16. Jahrhundert vorzudringen und 
Leonhard Lechners ,,Leiden unseres Herrn Tesu Christi aus dem Evangelium Johannis" 
den Horern zu bieten. Eine willkommene Erganzung soldier Veranstaltungen, die dem 



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250 ERNST LATZKO 



Passionsgedanken von der kunstlerischen Seite her beizukommen suchen, war die von 
K6ln gebrachte liturgische Passionsmusik, die das kirchliche Moment in den Vorder- 
grund stellte. Nachahmenswertes bringt oft Leipzig in den „Alte Hausmusik" be- 
nannten Programmen, die an Dienstag- und Freitag-Nachmittagen auch von derDeutschen 
Welle verbreitet werden. Als Beispiel sei hier das Programm „Die Familie Bach" er- 
wahnt, das Werke von Joh. Bernhard, Joh. Ernst, Joh. Sebastian, Wilhelm Friedemann, 
Karl Phil. Emanuel, Joh. Christof und Joh. Christian Bach enthielt. Mit derartigen 
Programmen wird dem Horer gleichzeitig ein Abrifi Musikgeschichte geboten. Mitglieder 
des Collegium musicum der Universitat Erlangen brachten im Miinchener Bundfunk 
Musik aus dem 12., 13. und 14. Jahrhundert (Schule von Notre Dame, Guillaume de 
Machault) zur Auffiihrung und nicht minderes Interesse verdient eine in Konigsberg 
veranstaltete Auffiihrung alter Musik auf historischen Instrumenten (Altviola, Theorbe, 
Blockflote, Clavichord). Endlich sei auch noch ein Konzert Leipzigs mit selten gehorten 
Orchesterwerken des 18. Jahrhunderts erwahnt, unter denen ein Rondo fur Klavier und 
Orchester des Prinzen Louis Ferdinand und Dittersdorfs „Vier Weltalter" besonderes 
Interesse erweckten. Hier ist also entschieden ein Gebiet, auf dem der Rundfunk in 
steigendem Mafie sich der Hohe der seiner harrenden Aufgaben bewufit wird. 

Aus der Fulle der iibrigen Veranstaltungen sei nocli Einzelnes kurz gestreift. 
Ein Verdienst der Wiener Sendeleitung war es, die Wiederholung des einzigen von 
Franz Schubert unternommenen eigenen Konzertes zu iibertragen und damit einen 
wiirdigeii Auftakt fur das Schubertjahr zu scbaffen. Ansatz zu einer bewufiten Pflege 
des Volksliedes war ein auch von Wien gebrachter Volksliederabend des deutschen 
Volksgesangvereins. Einen ahnlichen Zweck verfolgte das von Munchen gebrachte 
Programm „Das auslanddeutsche Lied" mit altvlamischen, sudetendeutschen und Tiroler 
Liedern. Damit ist ein Gebiet beruhrt, auf welchem dem Rundfunk noch viel zu tun 
bleibt: Die systematische Pflege des Volksliedes als Einzelgesang, als Solistenensemble, 
als Chor, begleitet und a cappella gibt Gelegenheit zu zyklischen Veranstaltungen kleinen 
und grofien Stiles, die in gleichem Mafie dem Bildungs- wie dem Unterhaltungsbe- 
diirfhis des Bundfunkhorers entgegenkommen konnten. 

Die musikalische Behandlung des Volkstrauertages mufite zum Widerspruch reizen. 
Von den deutschen Sendern brachten vier die „Eroica" (Frankfurt, Hamburg, K6ln, 
Konigsberg, dieser allerdings nur den Trauermarsch), zwei Brahms' „Tragische Ouverture" 
je einer den Trauermarsch aus der „G6tterdammeruiig" und Straufi' „Tod und Ver- 
klarung". Hier diirfte von den Verantwortlichen wohl etwas mehr Phantasie erwartet 
werden, die einen solchen Tag nicht mit Werken abspeist, die aus dem Konzertbetrieb 
zum Uberdrufi bekannt sind. 

Der zehnjahrige Todestag Debussys (26. 3. 1928) wurde vom Rundfunk nur sehr 
wenig beachtet. Allerdings darf den deutschen Sendegesellschaften darob kein grofier 
Vorwurf gemacht werden, da sogar Paris sich in Stillschweigen hxillte. In Deutschland 
gedachte nur Frankfurt des Tages, im Ausland Wien und Prag. Und doch sollte der 
Rundfunk solchen Gedenktagen, besonders wenn sie Personen betreffen, deren Schaffen 
bei der Allgemeinheit noch nicht immer die verdiente Beachtung findet, ruhig etwas 
mehr Liebe zuwenden. Er hat die Zeit und in der Regel auch das Geld, die dem 
heutigen Konzert- und Theaterbetrieb fehlen, um bei solchen Gelegenheiten nicht nur 



RUNDFUNK-UMSCHAU 251 



stets Gewohntes zu bringen. So ware auch dem 25. Todestag Hugo Wolfs eine weniger 
konventionelle Behandlung zu gonnen gewesen. 

Eine gute Idee, die Nachahmung verdient, das Bestreben namlich, Zusammenhange 
in scheinbar weit Auseinanderliegendem aufzudecken, lag dem von Steuermann in 
Frankfurt gespielten Programm zugrunde, das Bach, Alban Berg, Schonberg und Busoni 
verkniipfte. Etwas Ahnliches schwebte den Veranstaltern wohl auch bei dem gleichfalls 
von Frankfurt gesendeten „Abend der Gegensatze" vor, . nur war hier die Gegenuber- 
stellung nicht immer gelungen. An dem Gegensatz, wie Paisiello und Bossini die Ver- 
leumdungsarie im „Barbier" komponierten, kann dem Horer sicher manches klar gemacht 
werden, dagegen bleibt unerfindlich, in welchem Zusammenhang die Agathen-Arie und 
der „Liebestod" gebracht werden soil. Aber gerade solche Gegenuberstellungen, wenn 
sie mit geschickter Hand getroffen werden, konnen dazu dienen, im naiven Horer Ver- 
standnis fur sonst scheinbar Unzusammenhangendes zu erwecken. 

Einige besondere Bemerkungen sind noch den vom Bundfunk verbreiteten Opern 
zu widmen. Wenn er die im Spielplan der Operntheater schon zur Geniige ausge- 
schlachteten beliebten Bepertoirewerke iibertragt, so kommt er sicher damit den Wiinschen 
vieler Horer entgegen aber die besonderen, ihm obliegenden Aufgaben erfullt er auf 
diese Weise keineswegs. Denn auch hier gibl es eine Beihe von Werken, die trotz 
aller in ihnen enthaltenen Werte sich aus irgend einem Grunde auf der Biihne nicht 
behaupten konnen und daher dem grofien Publikum so gut wie fremd sind. Gerade sie 
miifiten zu allererst im Bundfunk ihre Auferstehung feiern. Aus diesem Grund ist es 
freudig zu begriifien, daG Stuttgart sich des herrlichen „Dalibor" von Smetana annimmt, 
dafi Berlin einen Versuch mit der „Nachtwandlerin" macht, Leipzig Pergolesis reizenden 
„Maestro di musica - ' hervorholt und Miinchen die Schonheiten der „Euryanthe" seinen 
Horern vor Ohren fiihrt. Aufierdem verdienen aber auch die Ubertragungen einiger 
selten zu horender Opern werke aus dem Theater Erwahnung. Koln und Paris bringen 
auf diesem Wege „Pelleas und Melisande" zu Gehor, Berlin den „Corregidor", Hamburg 
Wolf-Ferraris liebenswiirdige „Vier Grobiane" und ein ganz besonderes Verdienst erwirbt 
sich Breslau durch die Ubertragung des Verdischen „Don Carlos". 

So auf den Baum weniger Druckseiten komprimiert, scheint diese Umschau eine 
starke Aktivitat der Sendeleitungen auf dem Gebiet der ernsten Musik zu ergeben. 
Aber diese Tauschung wiirde rasch schwinden, wenn man diesem Extrakt viermonatiger 
Arbeit einmal die Ergebnisse des wahrend des gleichen Zeitraumes in all den Mittags- 
konzerten, Nachmittagskonzerten, Bunten Abenden, Unterhaltungskonzerten, Akademien, 
Funkbretteln, Tanzmusiken, Popularen Konzerten, Heiteren Stunden, Lustigen Abenden 
— und wie die hier unerschopfliche Phantasie der Sendegesellschaften alle diese dem 
plattesten Amusierbedurfnis gewidmeten Veranstaltungen noch nennen mag — Ge- 
botenen gegeniiberstellen wollte. Die grofie Gefahr, die dem Bundfunk droht, ist die, 
dafi das fur jedes Kulturinstrument unumganglich notwendige richtige Verhaltnis 
zwischen Intensitat und Extensitat zugunsten der letzteren verschoben wird. Mit anderen 
Worten : dafi der Bundfunk aus einem Kulturinstrument zvi einem Bddungs-Warenhaus 
wird. Eine radikale Anderung ware nur von einer vernunftigen Ai'beitsteilung unter 
Sendegesellschaften zu erwarten. Vielleiclit erleben wir es noch, dafi eine Gesellschaft 
nur ernste Konzerte sendet, eine andere nur Literatur, eine dritte nur Opern, eine 



252 



HANS MERSMANN 



vierte nur Funkbrettl usw. und alles TJbrige sich von ihren Schwestergesellschaften iiber- 
tragen lafit. Vielleiclit wird das Beispiel der ,,Deutschen Welle", die schon heute sich 
allein auf das Vortragswesen konzentriert und alle weiteren Bediirfhisse von anderen 
Sendern befriedigen lafit, einmal richtunggebend. Es leuchtet ohne weiteres ein, dafi 
das Niveau der einzelnen Darbietung durcb diese Intensivierung sich um ein Vielfaches 
heben wiirde. Trotzdem scbeint diese Arbeitsteilung vorderhand eine Fata morgana 
zu sein und dem musikalischen Beobachter bleibt nur iibrig, als vorlaufige Mindest- 
forderung den Wunsch auszusprechen, dafi jede Gesellschaft an jedem'Tage 
mindestens eine Stunde wertv oiler Musik, nach kiinstlerische n Ge- 
sich tspunkten geordnet und einem einheitlichen Stilwillen unter- 
w or fen, ihren Horem bieten nioge. 

* 
Die Tageszeitungen bringen die Meldung, dafi Hermann Scherchen im nachsten 
Jahr nach Konigsberg geht und dort neben den stadtischen Sinfoniekonzerten, die 
musikalische Leitung des Bundfunks iibernimmt. Die Bichtigkeit der Meldung voraus- 
gesetzt, ware dieses Ereignis nach zwei Bichtungen hin symptomatisch. Einmal iiber- 
nimmt mit Scherchen zum ersten Mai ein prominenter Dirigent und eine iiberragende 
Personlichkeit die musikalische Leitung in einer Sendegesellschaft und von diesem Ge- 
sichtspunkt aus darf die Berufung sicher nur mit Genugtuung begriiftt werden. Dann 
wird aber auch hier zum ersten Mai eine Personalunion zwischen dem stadtischen 
musikalischen Leiter und dem musdcalischen Leiter des Bundfunks hergestellt und hier 
mufi erst die Zukunft lehren, ob diese „Fusion" der ganzen Entwicklung zum Segen 
gereicht. Vorlaufig scheint es, als ob die Erganzung, die sich als das naturliche Ver- 
haltnis zwischen offentlicher Musikpflege und Bundfunk herausgestellt hat, durch diese 
Personalunion bis zu einem gewissen Grade gefiihrdet erscheint und es bleibt abzuwarten, 
ob dieser NachteU durch die auf der anderen Seite zweifellos erreichte Vereinheitlichung 
wettgemacht whd. Sicher aber ist diese Berufung nur ein weiterer Schritt in jenem 
grofien Aufsaugungsprozefi, der sich zwischen Bundfunk und ausiibendem Kiinstler 
abspielt und als solcher wohl geeignet, die heutige Macht des Bundfunks zu beleuchten. 



UMSCHAU 



IT a n s M e r s m a n n (Berlin) 

KUNSTPOLITIK 



l. 



Die Auswirkung der in dieser Zeitschrift vertretenen Gesinnung macht es not- 
wendig, einige Fragen noch einmal zu steUen, die im Grunde langst geklart sind. Die 
Heftigkeit, mit der sich in diesen Jahrzehnten der Kampf zwischen alter und neuer 
Musik abspielte, brachte es mit sich, dafi sich die Gegensatze iiber den engeren Baum 
einer Kunstanschauung hinaus weiteten. Aus der Gegeniiberstellung der kampferischen 



KUNSTPOLITIK 253 



Begriffe „fortschrittlich" und ,,riickstandig" wurden unversehens bei steigender Tempera tur 
der Polemik die Begriffe : „bolschewistisch" und ,,reaktionar". Wenn audi die Formulierung 
des Schlagworts „musikalischer Bolschewismus" das Verdienst Pfitzners bleiben soil, 
so ist doch die Zahl derer, die es heute wieder aufgreifen, so grofi, dafi es zum Kampf- 
ruf eines ganzen Kreises geworden ist. Es wurde in letzter Zeit dieser Zeitschrift 
gegeniiber so oft angewandt, dafi eine Klarung zweckmafiig erscheint. 

Kunst und Politik haben nichts miteinander zu tun. Beide aber sind doch in 
irgend einem Kern nicht von einander zu trennen. Diese Zusammenhange liegen 1'reilich 
tiefer als die Vertreter der Schlagwortpolitik es meist annehmen. Darum soil hier audi 
nicht der Versuch gemacbt werden, eine Auseinandersetzung mit ihnen herbeizufuhren ; 
denn diejenigen, welche eine foi'tschrittliche Kunstgesinnung mit aufiermusikalischen 
Motiven angreifen, wissen meist garnicht, worum es sich in Wirklichkeit handelt. Sie 
zitieren, gehidlt in den Mantel eines nationalen Bewufitseins, Wagner als Hiiter heiligsten 
deutschen Kulturguts und schleudern von dieser Position aus Bannfliiche gegen die 
modernen bolschewistischen Musiker. Wenn sie hierbei das Gliick haben, gerade aui' 
Strawinsky zu ti'effen, scheinen ihre Schlagworte zu passen; bei Hindemith ware der 
Fall schon schwieriger. 

Dabei mufi zunachst festgestellt werden, dafi die Verschiebung der Plattform aui' 
das Gebiet schwankender politischer Schlagworte immer von denjenigen vorgenommen 
wird, welche sich ihrer zuerst bedienen. 

Die junge Musik beiindet sich heute in keiner Kampfstellung. Sie hat aufierlich 
erreicht, was sie wollte. Werke junger, unbekannter Komponisten werden haufiger als 
je aufgeiuhrt, sie linden iiberall gutwillige Ohren. Die Klarheit der Beurteilung ist ge- 
wachsen. Die vor einigen Jahren noch mogliche Tauschung, ungekonnte Talentlosig- 
keiten unter dem Deckmantel einer atonalen Tonsprache als revolutionare Ereignisse 
einzufuhren, kann heute nicht mehr gelingen. Man kann vielleicht sagen, dafi wir jetzt 
im Begriffe sind, eine Umschichtung zu vollenden, die sich seit etwa zwei Jahrzehnten 
langsam vollzieht. Allmahlich aber unerbittlich werden die Gralshuter der Bomantik, 
die Bekampfer alles Neuen, Fortschrittlichen aus Gesinnung in die Minderheit gedriingt. 
Das alles erklart die noch einmal auflammende Heftigkeit der Abwehr, die sie nach 
aufiermusikalischen Scblagworten greifen lafit. 

Das kiinstleriscbe Werturteil, welches sie bekampfen, ist seiner Natur nach vollig 
unpolitisch. Es bejaht oder verneint und meint damit nur das Werk, seine schopferische 
Kraft, seiiae innermusikalischen Beziehungen. Erst der Angriff tragt aufierkunstlerischc 
Momente in die Diskussion. Besonders, wenn er sich auf die Situation stiitzt, dafi ein 
tilterer Komponist, als kiinstlerische Personlicbkeit durchaus epigonenhaft and daher 
in letztem Sinne unschopferisch, gering bewertet und ein jiingerer fortschrittlicher Musiker 
anerkannt wird. Hier ist der Boden, auf dem Schlagworte, wie die vorher ange- 
deuteten, wachsen. 

2. 

Das einzelne Werturteil steht nicht allein. Bleibt es sich selbst treu, so verdichtet 
es sich zu einer Haltung. Wird diese Haltung eindeutig und fortgesetzt, etwa durch 
eine Zeitschrift, zum Ausdruck gebracht, so entsteht etwas, was man Kunstpolitik 
nennen kann. Auch Kunstpolitik hat mit Politik im anderen Sinne noch nichts zu 



254 HANS MERSMANN 



tun. Das wird gerade in unserer Zeit deutlich, in der wir beobachten konnen, wie 
politisch radncal links orientierte Gruppen noch imraer einem vollig riickwarts ge- 
wendeten Kunstideal huldigen und ihre Erfullung in ihm find en. Seltener ist das 
Gegenteil. Den Grunden gerade dieser Erscheinung miissen wir spater noch nachzu- 
gehen versuchen. Einstweilen stellen wir fest, dafi auch die Voraussetzungen einer 
Kunstpolitik nur und ausschliefilich in der Kunst liegen. 

Kunstpolitik hat es wohl immer gegeben, doch wird sie als Kraft erst in den 
letzten Jahrhunderten unserer Entwicklung spiirbar. Sie wachst an Bedeutung mit der 
Reife einer Zeit zu historischer Erkenntnis. Denn sie setzt Bewufitheit und Abstand 
voraus. Es gibt Zeiten in den en eine Kunstpolitik kaum notig ist. Die Entwicklung 
verlauft unbedroht und gradlinig. Auch die Erkenntnis kann sie nur miterleben und 
geschehen lassen. In solchen Zeiten, vermag ein kunstpolitischer Wille allein, die Er- 
scheinungen zu ordnen und zu sichten. Dabei werden gleichgerichtete kiinstlerische 
Personlichkeiten gegeneinander ausgespielt, es entstehen Parteien. Solche Parteien, 
deren jede ihren Helden hat und propagiert, sind noch aus der Geschichte der deutschen 
Romantik hinlanglich bekannt. Das 18. Jahrhundert kannte gewichtigere kunstpolitische 
Probleme. In ihrem Zentrum stand die Frage der nationalen Gegensatze und der 
damit verbundene Kampf um die Hegemonie. Etwa die Kampfe, die an der Pariser 
Oper um Gluck und Piccini ausgefochten wurden, haben einen eminent kunstpolitischen 
Charakter. 

Die in kunstpolitischer Hinsicht wesentlichsten Raume der Entwicklung sind aber 
immer deren Knotenpunkte, die Stellen, an denen sich die Ablosung eines alteren 
Stiles durch einen jungen vollzieht. Hier treffen Richtungen aufeinander. Der Ab- 
losungsprozefi ist ein natiirlicher Kampf: der Generationskampf der Kunst. Vorher 
hatte der Kampf der Parteien etwas vom Spiel; sie standen im Grunde auf dem 
gleichen Boden, hatten garnicht Abstand genug von einander, um sich ernstlich zu 
treffen. Erst jetzt klaffen Gegensatze auf, die umso bedingungsloser werden, je inten- 
siver der Gegensatz der Stile selbst ist. 

Wir erlebten diesen Kampf in einer nie gekannten Scharfe. Nicht nur ein neuer 
Stil sondern eine neue Epoche hat hegonnen. Die Gegenkrafte, die hier aufeinander- 
prallen, erinnern an die grofie Stilwende vor dreihundert Jahren. Sie werden durch 
ein gefahrlich, fast bedrohlich angewachsenes Schrifttum getragen. Kein Kritiker kann 
mehr iiber Erscheinungen berichten, ohne durch die Art seines Urteils Kunstpolitik zu 
treiben. Die Fragestellung kouzenti'iert sich einseitig auf eine Parteinahme .in dem 
Kampfe zwischpn junger und alter Musik. 

Uber die Notwendigkeiten und Grunde einer solchen Parteinahme ist an dieser 
Stelle wohl nichts mehr zu sagen. Der Kreis derer, die sich dem Jungen und Wer- 
denden zuwenden und sich innerlich vom Vergangenen ablosen, wird immer gro£er. 
Dieser Ablosungsprozefi ist die Erfiillung eines Naturgesetzes und konnte sich still und 
ohne Erregung der Offentlichkeit voUziehen. Erst die Kunstpolitik tragt ihn auf das 
Forum der Rhetorik. Und so stellt sich diese Zeitschrift bewufit auf die eine 
der beiden Seiten und versucht, alles Werdende und Junge mitzutragen, soweit es sich 
als rein und stark genug erweist. Aber sie redet- iiber Kunst. Uber Politik reden erst 
ihre Gegner. 



KUNSTPOLITIK 255 



Es wurde bereits vorher angedeutet, dafi die ganze Frage des Zusammenhangs 
zwischen Kunst und Politik mit den vorliegenden Gedanken nicht erschopft ist. Bisher 
wurde versucht, die Grenze zwischen beiden Begriffen reinlich und scharf zu ziehen. 
An einer Stelle aber gibt es doch eine Deckflache zwischen ihnen: das ist die sozio- 
logische Struktur unseres Musiklebens. 

Lange Zeit ist das musikalische Schrifttum an den Fragen der Soziologie ganz 
vorbei gegangen. In den letzteu Jahren aber treten sie immer scharf er und deutlicher 
hervor. Wir beginnen zu erkennen, welche Bedeutung soziologische Fragen fur die 
Musikgeschichte haben. Dariiber hinaus aber wird immer klarer, wie tief alle Um- 
walzungen unserer Kunst soziologisch bedingt sind. 

Schonbergs Verein fur musikalische Privatauffuhrungen und die nach seinem 
Vorbild gegriindeten zahlreichen ldeinen Gesellschaften, in denen vor einem ausgewahlten 
Kreise von Horern neue Musik gemacht wird. sind der letzte Exponent einer Entwicklung 
des 19. Jahrhunderts, welche iiber Brahms und Reger geht. Hier sollte dem Mifi- 
verstandnis des Kunstwerks durch die grofie Menge vorgebeugt werden, indem man 
sie garnicht erst zuliefi. Musik erscheint in letzter, hochster Verfeineruug, als ein Luxus- 
objekt. 

Wir befinden uns heute in entgegengesetzter Entwicklungslage. Eine nach Darstellbar- 
keit und innerer Einfachheit strebende Musik sucht einen neuen Typus des Horers. 
Der Krise des Schaffens folgte dieKrise des Erkennens; dieser aber folgt die Krise des Horens, 
Die Umschichtung des Horerkreises, welche von entscheidenden Werken neuer und 
gereinigten Auffuhrungen alterer Musik ausgeht, ist nicht mehr rein musikalisch zu ver- 
stehen. Sie wird deutlich, wenn man heute etwa das Publikum eines von einem iiber- 
ragenden und in der Mode stehenden Dirigenten geleiteten Abonnementskonzerts mit 
dem Publikum einer Volksoper vergleicht. Dafi dieses iiberhaupt in die Oper kam, ist 
nicht mehr aus rein kiinstlerischen Gesichtspunkten heraus zu erklaren. Das Problem 
der Volksbuhne ist ein kulturpolitisches und von Fragen reiner Politik nicht zu trennen, 
Hier, an dieser einzigen Stelle, tritt eine Uberschneidung ein, die keineswegs nur zu- 
gegeben werden soil sondern auf welche gerade mit starkster Betonung hingewiesen 
werden mufi. 

Eine vorwartsgerichtete Kunstpolitik mufi sich audi hier auf eine von beiden Seiten 
stellen. Die Entscheidung dafiir liegt wiederum ausschliefilich im Kunstwerk. Hatten 
wir nicht Kunstwerke, welche einen andern Horertypus innerlich forderten, so wiiren 
alle Bemuhungen um soziologische Erneuerung des Publikums vergeblich. Aber solche 
Werke sind da. Sie beschranken sich durchaus nicht mehr auf die Oper (wenn die 
ganze Frage audi hier am klarsten erkennbar wird), sondern greifen auch auf die andern 
Gattungen der Musik iiber. Diesen Weg vorzubereiten und ebnen zu helfen, ersclieint 
als eine der dringlichsten Aufgaben unserer Zeit. Wir gehen an sie heran, auch auf 
die Gefahr hin, dafi die privilegierten Huter des Deutschtums sich iiber die Politisierung 
der Musilc erregen mochten. 



J 



256 



ROBERT ENGEL 



Robert Engel (Berlin) 

NEUE RUSSISCHE MUSIKLITERATUR 



Gleichzeitig mit der soeben erscliienenen deutsclien Ausgabe der Chronik meines 
musikalischen Lebens von N. A. Rimskij-Korssakoff (Deutsche Verlags-Anstalt, 
Stuttgart) ist in Moskau die dritte, sehr gut ausgestattete, russisclie Auflage dieses unge- 
wohiilichen Werkes herausgegeben worden. In einer tiefgriiiidigeii und breit angelegten 
Einfiihrung zur letzteren erwahnt der Sobn des Komponisten Andreas Rimskij-Korssakoff 
u. a. die bemerkenswerte Tatsache, dafi in der russischen Presse bisher eigentlich noch 
keine Kritik dieses Bucbes gegeben worden ware, d. h., dafi eine erschopfende historisch- 
ki'itische, psychologische und literarische Analyse der „ Chronik" noch immer auf sich 
warten lafit. Ich glaube, da£ diese Analyse nur von einer dem grofien russischen Ton- 
dichter ganz nahestehenden Person unternommen werden kann und darf, was ja teil- 
weise durch die obenerwahnte Einfiihrung, die wir gern audi der nachsten deutsclien 
Ausgabe beigefiigt sehen mochten, bestatigt wird. Darf aber eine Autobiographie von 
solch ungeheurem Inhaltsreichtum, von hohem literarischen und kulturhistorischen Wert 
iiberhaupt kritisiert werden ? Der Umstand, dafi der Verfasser sein intimes, sein Famdien- 
leben mit fast schamhafter Schiichternheit umging, dafi er zu einigen Komponisten (z.B. 
Mussorgskij ) eine andere EinsteUung als wir hatte, dafi einige Musiker, wie z.B. der 
Kritiker Laroche oder der Dirigent Naprawnik etwas zu kurz abgeschnitten haben, kann 
ihm durchaus nicht zum Vorwurf gemacht werden, denn er hat die Chronik seines 
musikalischen Lebens geschrieben und diese ist, wie das sein Sohn Andreas sehr treffend 
sagt „eine Widerspiegelung seiner tiefen Forscherbegier, seines unerbittlich ernsten kiinst- 
lerischen Gewissens und riicksichtsloser Aufrichtigkeit im Verhalten zu sich und anderen". 
Wenn die „Chronik" auch nicht die Moglichkeit gibt, iiber den Menschen Bimskij-Korssakoff 
endgidtig zu urteilen — denn hierzu ist das Studium des reichhaltigen biographischen 
Materials erforderlich — so widerspiegelt sich in ihr der Musiker — Bimskij-Korssakoff 
so erschopfend, wie das nur hochst selten in Tonkunstler-Selbstbiographieii der Fall ist. 
Das personliche Ich wird iiberall zugunsten des musncalischen Ich unterdrviclct. Daher auch 
die Bezeichnung : Chronik meines musikalischen Lebens. Fiir die russische musik- 
geschichtliche Literatur ist die „ Chronik" seit bald 20 Jahren ein wichtiger und unent- 
behrlicher Born; sie wird als soldier auch fiir alle diejenigen unentbehrlich sein, die sich 
bei uns so oder anders mit der Personlichkeit und dem Schaffen dieses Komponisten be- 
schaftigen wollen. 

Die deutsche Ausgabe ist nach der ersten russischen Auflage vom verdienstvollen 
Vermittler russischer Musikkrdtur Oskar v. Riesemann mustergiiltig iibersetzt und mit 
Anmerkungen versehen. Aufierdem ist dem Buch ein kinzes Vorwort A. N. Bimskij- 
Korssakoff's beigefiigt, das dem deutsclien Leser zur richtigen Einstellung verhilft. 

Es bleibt zu wunschen, dafi dieses fiir die zweite Halfte des vorigen Jahrhunderts 
musikliistorisch ebenso wertvolle, wie menschlich schone Buch, auf dessen Einzelheiten 
hier naher nicht eingegangen werden kann, auch beim deutsclien musikinteressierten 
Leser den ihm gebiihrenden Anklang findet, da es nicht nur einen tiefen Einblick in 
einen Abschnitt der russischen Musik- und Geisteskultur gewahrt, sondern auch Vergleiche 



DIE NEUZEITLICHE DEUTSCHE VOLKSSCHULE 257 

■ — man beachte z. B. die Schilderung einiger Auswiichse des Musiklebens — zu ziehen 
ermoglicht. Ein Buch, das nicht warm genug empfolilen werden kann. 

* 

Die rulirige Musik-Sektion des Staatsverlages in Moskau, die audi die „Ghronik 
meines musikalisclien Lebens" herausgab, hat die Biogr a phienserie m o denier 
.1 (rich tiger ware gesagt: zeitgenossischer) russischer Komponist^en aus der Feder 

| alter und jtingerer russischer Musikschriftsteller, wie Victor Beljajeff, Ssergej Bugoslawskij, 

Anatoli] Drosdoff, Wassilij Jakowleff, Leonid Ssabanejeff und S. Tscheniodanoff in 
deutscher und russischer Sprache (beides gleichzeitig in einem Bande) herausgebracht. Es 
i sind sauber ausgestattete Bandchen, die ihrem Wesen nach keinen Anspruch auf Tief- 

I griindigkeit und Wissenschaftlichkeit erheben, aber auf 30 bis 60 Seiten in leichtfafilicher 

| Form, alles Wissenswerte uber das Schaffen und Leben russischer Komponisten sagen, 

| die zum Teil vorlaufig nur in Rufiland, zum Teil aber auch weit liber die Grenze ihrer 

I Heimat Anerkennung gefunden haben. Vorlaufig sind folgende Komponisten beachtet 

I worden: Anatoli] Alexandroff, Ssergej Wassilenko, Alexander Gedicke, Reinhold Gliere, 

f Michail Gnessin, JN'lichail Ippolitoff-Iwanoff, Alexander Krein, Nilcolaj Medtner, Nikolaj 

| Mjaskowskij und Ssamuil Feinberg. 

| Jedeni Bandchen ist ein Bild des Komponisten und das Verzeichnis seiner Werke 

| beigegeben. 



Hans Kuznitzky (Berlin) 

DIE NEUZEITLICHE DEUTSCHE VOLKSSCHULE 

Musikalische und korperliche Erziehung auf dem Berliner Kongrefi 

Schon vor dem Weltkriege (gelegentlich der Weltausstellung in Liittich) hat ein 
erster „Internationaler Volksschul-Kongrefi" stattgefunden. Geplante berufsstandische Zu- 
sammenfassung wurde mitten im Aufbau durch den Kriegsausbruch verhindert. Erst 
1927 gelang es in London die „Internationale Vereinigung der Lehrerverbande" zu 
griinden, die sich als vornehmsten Aufgabenki'eis die Einrichtung eines Urkundendienstes 
iiber das Schulwesen, eines Austauschdienstes fiir Kinder und Lehrer ersieht. — Dem 
Berliner Lehrerverband whd man Dank wissen, weil er diesen Aufgabenkreis erstmalig 
kongrefimaCigem Arbeiten erschlossen hat und zwar im Zeichen der Volksschi.de als der 
gegebenen Grundlage des Schulwesens. 

Fiir die uns hier angehenden Fragen der musikalisclien und korperlichen Erziehung 
kann gesagt werden, dafi noch kein padagogischer Kongrefi ein so erfreuliches Uberwiegen 
der Praxis gezeitigt hat, wie dieser. Ist schon an sich der padagogische Wirkungsraum 
der Volksscbule am verhaltnismafiig wenigsten reflektorisch belastet, so kommt noch 
hinzu, dafi Musik und Korperbildung organisch und mechanisch allzu ausgiebigem Referate- 
spinnen sich widersetzen. 

Fritz Jode, der werktatige Pionier zeitgenossischer Erziehungsarbeit, sprach iiber 
musikahsche Ei'ziehung. Wir wissen, dafi er die Welt des Kindes als Ganzes 



_J 



258 HANS KUZNITZKI 



„musikalisch", schwingend, tonend erfafit mid dafi sich ihm aus dem spontanen Mit- 
teilungsbedurfuis des Kindes der Ansatzpunkt zu einem freundschaftlichen Vertrartens- 
verhiiltnis zwischen Lehrer und Schiiler ergibt, auf Grund dessen die padagogischen 
Erfordernisse, unbeschadet des schopferischen Eigenerlebnisses im Kinde in wohltatigem 
Wechselverhaltnis sich auszuwirken vermogen. 

Ein Lied aus dem kindlichen Eigenerlebnis als gestalteter Niederschlag zu gewin- 
nen und im Bewufitsein zu bewahren, lebrt die Liedeinfiihrung. Das- Hervorrufen ge- 
genstandlicher und gedanklicher Assoziationen, die zwanglos, auch unter Zuhilfenahme 
korperrhythmischen Mitarbeitens hervorgerufen werden, lassen allmahlich im Rohbau 
die Umrisse einer Liedweise erstehen. Maria Mantius wufite diesen Arbeitsgang mit 
Madcben aus dem zweiten (!) Jabre der Grundschule sehr iiberzeugend darzutun. Bei 
etwas alteren Kindern zeigte Ekkehart Pfannenstiel ,,Wege ins Lied" auf. Die ein- 
driugliche Korperraumplastik der Tonika-Do-Handzeichen dieiit dazu, urn den Spursinn 
fiir die Verlaufsgesetze der Melodie, ihre an- und abschwellenden Bogen, ihre Wende- 
punkte und Abschnitte, ihre Periodizitat zu wecken. Im Anschlufi daran zeigt dann 
die Vorfiihrung ,,Lied und Instrument" die Erarbeitung der Mehrstimmigkeit und der 
die Kinder immer besonders anregenden A^ariation (WechseLvirkung von Vokal- und 
Instrumentalchor in den verschiedensten Zusammensetzungen). — Fritz Jode selbst 
machte Improvisationen, wobei es zu unverhofften und vielfach sehr ergotzlichen 
Situationen kam. Die ministerieUen Richtlinien fur die Volksschtde „Die Musik soil 
das Leben der Kinder mit Freude und Frohsinn erfiillen" sind hier in idealer Weise 
verwirklidit und die tedweise hSchst aktive Mitwirkung der grofien Kinder im Zuhorer- 
raum ergab die Bestatigung. Wie die Siime hier fiir die Unterscheidung feinster Ab- 
stufungen in Wort und Ton gescharft und zur Aufflndung von Losungen gemeinschafts- 
bildender Verbindlichkeit angeregt werden, das iiberzeugt unmittelbar. — Aus der 
markischen Tanzki'eisbewegung sind die Bestrebungen von Bernhard Schmidt hervorge- 
gangen, das Tanzlied aus dem Eigenrhythmus des kindlichen Korpers aufzubauen. Vor- 
gange und Begehungen des schaffenden Lebens werden aus der Anschauung dieser 
Madclien krinstlerisch gestaltet. Tanze wie etwa das „"Weberschiffchen" in absoluter 
Ubereinstimmung von Wort, Weise und korperlicher Verraumlicliung sind wirklich erfiillt. 
Wir durfen hier eine der wirksamsten Waffen gegen Verkitschung und Verspiefierung 
der Kindesseele erbliclcen, die obendrein noch den Vorted hat, durch Position, nicht 
durch einseitig zersetzende Negation zu wirken. — Die „Offene Singstunde", die Jode 
abhielt, gab zum ersten Male einer grofieren Teihiehmerschaft Gelegenheit, Einblick in 
das vom Geiste der Musik erfiillte Gemeinschaftsleben junger Menschen zu gewinnen, 
das aus eben diesem Geiste bewegende Krafte zur schopferischen Gestalt verdiclitet. 

Im Verlaufe dieses Kongresses konnte die Musik notn^endigerweise nur als Teil- 
gebiet sich manifestieren. Die gewonnenen Erfahrungen, besonders hinsichtlich des 
Uberwiegens von Praxis iiber Theorie nutzbar zu machen, miifi Aufgabe zukiinftiger. 
musikpadagogischer Kongresse bleiben. 



MAX ETTINGER: „FRUHLINGS ERVACHEN" 259 

I Ernst Latzko (Leipzig) 

f MAX ETTINGER: ,,FRUHLINGS ERWACHEN" (nach Wedekind) 

ik Urauffiihrung am Neuen Theater in Leipzig 

Es ist uicht ganz leiclit, fiber dieses niclitssagende Werk etwas zu sagen. Damit, 
dafi Ettinger uberhaupt auf die Idee verfiel, Wedekinds Kindertragodie, die sicb in 
ihren wesentlichsten Teilen der Musik verschliefit, in Musik zu setzen, dafi er zur Er- 
reichung dieses Zweckes das Stiick fast in sein Gegenteil umbiegt und aus dieser An- 
klage gegen Eltern und Lehrer eine sentimentale Liebesgeschichte herausdestilliert, war 
die Lebensunfahigkeit dieses Versucbes am untauglicben Objekt scbon besiegelt, bevor 
audi nur eine Note der Musik geschrieben war. 

Man vergleiche eininal den SchluG des ersten Aktes bei Wedekind und bei Ettinger, 
die in ihren sadistischen und masochistischen Aufierungen sicher wenig appetitlich aber docb 
wenigstens folgerichtig und zielbewufit durchgefiihrte Szene erwachender Sexualitat mit deni 
kokett-ruhrseligen Liebesgeplankel und man weifi sofort, welch er Abgrund Ettinger von 
Wedekind trennt. Das Problem, das Wedekind anschneidet, ist so heikel und mimosenhaft, 
dafi es vielleicht besser nie auf die Buhne gekommen ware; aber es ist auch so ernst, 
dafi, wenn man den Versuch der Dramatisierung wirklich macht, es auch nicht verzartelt 
und verweichlicht werden darf, sondern in seiner ganzen Herbheit angepackt werden mufi. 

So hatte also auch eine weniger farblose Musik an dem Gesamtergebnis wenig 
andern konnen. Das Einzige, was an dem Musiker Ettinger sympathisch berixhren mufi, 
ist die Bescheidenheit und Aufrichtigkeit, die ihn vor Exkursionen in ein ihm wesens- 
fremdes Gebiet bewahren. So schreibt er. mit beiden Fuften in der Romantik stehend, 
eine Musik, die in ihrer molluskenhaften Verschwommenheit wenig zu den Forderungen 
der jetzigen Zeit passen will. Aber von diesen Stilfrageii ganz abgesehen, weder das 
Konnen noch die Erfindung Ettingers sind stark genug, um im Iirirer das Gefidd einer 
Notwendigkeit hervorzurufen. Dieses ewige Tremolo, diese stereotypen Begleitungs- 
figuren, dieser Verzicht auf Polyphonie, sie verlangten zuin Aquivalent eine melodische 
Kraft, mit der etwa Verdi alle theoretischen Einwande zum Verstummen bringt. Aber 
nach der wird man vergeblich suchen. Was fiir Musiziermoglichkeiten hatten die neun 
Zwischenspiele zwischen den kurzen Bildern bieten konnen. Dieser haufige Szenen- 
wechsel ist eigentlich der einzige Moment bei Wedekind der nach Musik verlangt. Man 
denke einmal an „Pelleas und Melisande", selbst an das ..Jntermezzo" — um sich 
sagen zu mussen, dafi hier nichts von der Gestaltungskraft, von dem Vermogen, den 
Horer aus einer in die andere Stimmung zu fuhren, vorhanden ist. 

Bei dieser seiner Einstellung hatte Ettinger sicher noch besser getan. den AVede- 
kindschen Scldufi des Werkes zu andern. An der Symbolik des vermummten Herrn, 
an der tragischen Groteske des kopflosen Moriz muBte seine einformige Sentimentalitat 
Schiffbruch leiden. Das war sogar an der Wirkung auf das Publikum zu bemerken, das — 
zunachst durch die Unproblematik der Musik sichtlich angenehm iiberrascht, durch den 
haufigen Szenenwechsel vor jeglicher Langeweile bewahrt — mit diesem Schlufi nichts 
Bechtes anzufangen wufite. Immerhin brachte die ausgezeichnete Auffuhrung unter 
der musikalischen Leitung Brechers und der szenischen Briigmanns dem Werk einen 
unwidersproclienen groUen Erfolg. 



260 HEINRICH STROBEL 



MUSIKLEBEN 

Heinrich St rob el (Berlin) 

ZEITSCHAU 

Sommersaison: die Prominenten gelien auf Reisen. Bruno Walter hat die 
Londoner Opern-Season eroffhet. Wieder gastieren eine Reihe hervorragender deutscher 
Kunstler an der reprasentativen Opernbiihiie Englands. Die Wiener Oper spielt in 
corpore in Paris, das immer wieder am starksten lockt. Zimi Ausgleich fahren die 
Mitglieder der Kolner Oper nach Wien. Man begann mit „Fidelio" und „Don Giovanni". 
Starker Erfolg bei Pnblikum und Presse. Gewifi: diese Gastspiele sind wenig be- 
zeichnend fur die wirklich schopferischen Krafte und Ideen des deutscben Operntheaters. 
Aber sie fordern, iiber das gesellschaftlicb Sensationelle hinaus, die geistige Annaherung 
zwischen Frankreicb und Deutschland. Sie tragen dazu bei, dafi sich die Nachwehen der 
Kriegspsychose allmahlich verlieren. Audi Furtwangler besucht auf der tradition ellen 
Reise mit seinen Berliner Philharmonikern im Mai Paris und dirigiert dort zum ersten 
Male. Die Reise begann diesmal in Kopenhagen, wo man Dirigenten imd Orchester 
mit Ehrungen iiberhaufte, und wird in der Schweiz enden. 



Jubilaen und Festtage mehren sich. Man lafit keine Gelegenheit voriibergehen, 
sie zu feiern. Man lafit sich ehren, man gratuliert sich gegenseitig. Ein schones, viel- 
leicht auch verdienstliches Bemuhen - in dem Mafie, wie es augenblicklich gepllegt 
wird, aber auf jeden Fall ubertrieben und unproduktiv. Billige Schonrederei schiefit 
iippig ins Kraut. Wir sehen auch, wohin Geschaftigkeit und Ehrgeiz das Schubert- 
jubilaum gefiihrt haben: es ist die sommerliche Fremdenattraktion der Stadt Wien 
mit ihrem goldenen Herzen. 

Vor einiger Zeit eroflhete Franz Schreker den Reigen musikalischer Geburtstags- 
jubdare. Es gab ein Sonderheft und viel Gluckwiinsche. Jetzt folgte Max v. Schillings, 
der sympathiscbe und geistvolle Kampfgenosse eines Richard Straufi. Es gab wieder 
ein Sonderheft und noch mehr Gliickwiinsche. Inzwischen ist Straufi selber schon 
wieder am Jubilaum, zwar nur mittelbar — die Genossenschaft deutscher Ton- 
setzer, der er vorsteht, beging ihr 25 jahriges Bestehen. Ihr bleibendes Verdienst: 
daft sie als erste Organisation die Verwertung musikalischer Aufmhrungsrechte plan- 
mafiig durchfiihrte. Es diirfte interessieren, dafi „die neu begrvindete Sonderabteilung 
fiir mechanische Rechte im Geschaftsjahr 1927 einen Zuwachs von 229 Prozent an ver- 
einnahmten Lizenzgebuhren erzielt hat" - ein zahlenmiifiiger Beweis fiir den enormen 
Aufschwung der mechanischen Musikixbung. Dabei erfafit die GDT nur einen Teil 
der Auffiihrungsrechte. Man darf bedaufig erwahnen, dafi es zwischen der GDT und 
ihrer Konkurrenzorganisation, der Gema, in letzter Zeit heftige Auseinandersetzungen 
wegen der Verteilung von Bundfunk-Rechten gegeben hat. 



ZEITSCHAU 261 



Noch em Jubilaum : die Hamburger Philharmonic, eines der konservativsten 
Konzertinstitute, besteht hundert Jahre. Sie gibt representative Festabende grofiten 
Stils. Muck und Pabst dirigieren. Kreisler spielt das Beethovenkonzert. Das Programm : 
xiur Musik des 19. Jahrhunderts, welche diese Art von Konzertauffiihrung voraussetzt. 
Es ist nicht immer Voreingenommenheit und Boswilligkeit, wenn die an philharmonischen 
Traditionen gewohnten Horer zu neuer (und, seien wir offen, alter) Musik kein Ver- 
haltnis [linden — sie ruht auf anderen soziologisclien Voraussetzungen, ist nicht zur 
inneren Erhebung einer tausendkopfigen Horerschaft geschrieben, verlangt eine andere 
Kunstgesinnung, die wenigstens bei den alterern Horern unserer groUen Konzertinstitute 
kaum erwartet werden kann. Sie klammern sich begreiflicherweise in dieser Zeit umso 
fester an representative, nach riickwarts gerichtete Feiern, spiegeln sich bei dieser Ge- 
legenheit eine Welt vor, die in Wirklichkeit garnicht existiert. 

Die Aufgabe der wirklich zeitbewufiten Dirigenten mufi es sein, die vielfach in 
der Nachahmung einer gestrigen Praxis steckende Konzertpflege wieder zu einer leben- 
digen auszugestalten und den noch nicht verkalkten aktivierungsfahigen Teil der Horer 
zu einer heutigen Musikgesinnung zu erziehen. Es wird sich zeigen, ob das im her- 
kommlichen Auffuhrungsbetrieb moglich ist. Es ist notwendig, dafi moderne Dirigenten 
endlich an die verantwortlichen Stellen kommen. "Wir brauchen Verjiingung. Manche 
grofie Musikstadt Deutschlands konnte sich ein Beispiel an Konigsberg nehmen, die 
Hermann Scherchen als Leiter ihrer Konzerte und als musikalischen Direktor des 
Ostmarken-Rundfunks berufen hat. Ubrigens wird audi der um die Pllege neuer Musik 
in Oldenburg sehr verdiente Werner Lad wig nach Konigsberg gehen und zwar als 
erster Kapellmeister der Oper. Dem Konigsberger Kunstleben wird diese grundliche 
Auffrischung gut tun. 

Als Oberleiter der Diisseldorfer Oper wurde der aufierordentlich befahigte junge 
Berliner Dirigent Jascha II or ens t ein verpflichtet. 

* 

Zur Eroffnung der umgebauten Staatsoper Unter den Linden in Berlin 
hat der Leiter ihrer Pressestelle, Dr. Julius Kapp, eine Festschrift ,,125 Jahre Staats- 
oper" (Atlantic-Verlag) herausgegeben. Kapp umreiiit die Geschichte des Instituts in 
einem ebenso wissenschaftlich griindlichen wie anschauhchen Leitaufsatz. Anschliefiend 
eine Auffiihrnngsstatistik, die aufierst aufschlufireich ist. Der meistgegebene Komponist 
in 185 Jahren, obwohl erst ein Halbjahrhundert auf dem Spielplan, ist natiirlich Wagner, 
mit tausend Auffuhi'ungen weniger folgt Mozart, beinahe anderthalb Jahrhunderte im 
Repertoire; auf gleicher Hohe: Verdi und Meyerbeer. Unter den Einzelwerken aber 
erreicht die hochste Auffuhrungszahl nicht Wagner, sondern Weber mit seinem „Frei- 
schiitz". ,,Fidelio " und „Cavalleria" kommen sich gleich — typisch fur die Situation des 
deutschen Operntheaters. Noch interessanter aber die Urauffixhrungen. In der ersten 
Halfte des 19. Jahrhunderts zwei bedeutende Premieren: „Freischutz" und „Lustige Weiber". 
Wahrend der fast siebzigjahrigen Ara Hulsen-Hochberg-Hiilsen-Haeseler nur drei Ur- 
auffuhrungen: „Goldenes Kreuz" von Briihl, „Evangelimann" und „Roland" von Berlin 
(Leoncavallo). Kunstniveau der letzten Hohenzollern! Seit 1 923 allein sieben Urauffidirungen 
mit bedeutenden Namen wie Ki-enek, Strawinsky, Berg, Weill. 



262 HEINRICH STROBEL 



„MELOS" hat in den letzten Wochen bei einigen wackeren Kampen galliges Ent- 
setzen erweckt, das sie in diversen Artikeln abreagieren. Es ist sinnlos und nnfruchtbar, 
darauf einzugehen. Aber Spafi soil sein. Wir konnen es nicht verantworten, unsern 
Lesern einige Zitate aus dem (uns bislang unbekannten) „Stimmwart" vorzuent- 
halten, der in derselben Nummer die zweite Fortsetzung eines Aufsatzes viber „Der 
Fluch Alberichs, eine Vokal- und Konsonantenstudie" bringt — man sieht, welche Pro- 
bleme ihn qualen. Der „Stimmwart" also laGt sich wie folgt vernehmen: 

„Es handelt sich im Melos urn eine ganz bestimmte Tendenz, die von alien Kunstbeflissenen 
st an dig verfolgt, niedriger gehangt und mit ] alien nur denkbaren Waffen bekampft werden sollte. 
Diese Tendenz der Zeitschrift „Melos" arbeitet teils versteckt, wie ein schleichendes Gift, teils ganz 
offen mit dem riicksichtlosen Hasse ernes Bolchewisten und geht dahin : einmal in die Kunst die Politik 
und zwar die Politik des Kommunismus einzuschmuggeln und an Stelle der Metaphysik der Musik 
den nackten, oden Materialismus zu betonen und damit alles, was deutsch und religios (besonders 
christlich) ist, zu verhohnen imd unsere Kultur, die das Fundament unseres Lebens ist, zu untergraben. 
Das ist der allgemeine Eindruck, den die „melodischen" Druckseiten auf jeden Parteilosen liervorrufen. 
Ein ganz gewolmlicher, „satanischer" Geist spricht aus ihnen. 

. . . Der Zufall wollte es, dafi anlafilich der Auffuhrung seines Opernwerkes „Oedipus Rex" 
Strawinsky, der Abgott der „Modernen", in einer illustrierten Zeitung mit dem Dirigenten Klemperer 
abgebildet wurde. Ich erschrak iiber diese verwaschene Physiognomic Alles andere als ein Haupt, 
in dem geistige Krafte ringen. Vergleichend mit dem Kopf eines Wetz rief ich unwillkurlich aus: 

Solch ein trefflicher Monarch ! 
Apoll bei einem Satyr I (Hamlet) 1 ' 

Dann vergniigt sich der „Stimniwart" ausfuhrlich mit verscliiedenen Aufierungen des 
Schreibers dieser Zeilen, dessen „Verstand ebenso vertrocknet wie sein Std", um 
schlie£lich zusammenzufassen : 

,,Da6 ein mit dem Titel Prof. Dr. vcrsehener Herausgeber, von dem man doch Gefiihl fiir 
ein lesbares Deutsch erwarten darf, solchen mit hilflosesten Ausdriicken geschriebenen Unsinn durch- 
gehen liifit ! DaK es sich noch der tote Wagner, der zu Lebzeiten von einer dem „Melos" nahver- 
wandten Presse alles Unter-Menschliche gefallen lassen mu6, dafi er . . . (Wo bleibt das Stilgefiihl, 
Ihr Stimmwartei'? Der Zitator) . . . ach was rede ich? Musikschreiber vom Schlage der Mei'3mann, 
Strobel Of Co., denen man schon an ihrem Stil anmerkt, wie so ganzlich ohne Liebe, ohne Feuer> 
ohne jede hohere Leidenschaft, wie so bar jeglichen Geistes sie sind. . . . dafi solche Stieflcinder der 
Kunst sich auf den Thron des Kiinstlers setzen und die Stirn haben, entscheiden zu wollen, was 
Kunst ist, wie der Kiinstlcr zu komponieren hat, wclchen Rang er einzunehmen hat . . ., wo ist 
die Geifiel, die Hand, die solche Schadlinge der Kunst aus dem Tempel peitscht ?•' 

Der „Tempel der Kunst" mit dem Thronchen epigonaler Apollos, umnebelt vom 
feierlichen Gefasel des ,,Stimmwart" — wir Melosleute wollen uns da drinnen nicht lang- 
weilen, wir ffihlen uns wohler drauKen in der frischen Luft, inmitten unserer Satyren. 

NACHRICHTEN 

KLEINE BERICHTE. „Sinfonie"; 2. Preis (250 Dollar) Kurtv. Wolf urth 

Aus dem internationalen Wetlbewerb, den die (Berlin), ,,Variationen und Chara kterstiicke 

Columbia Phonograph Comp. Ltd., New-York an- iiber ein Thema von Mozart", 3. Preis 

lafilich der Schubert-Feier ausgeschrieben hatte, gingen (,,Ehrenzeugnis") Johann C. Berghout (Arnhem), 

in der deutsch-hollandischen Zone als Preistrager her- ..Sinfonie Gdur". Einige andere sehr beachtenswerte 

vor: 1. Preis (750 Dollar) Hermann Wunseh (Berlin), Werke konnten nicht in Betracht gezogen werden, 



NACHRICHTEN 



263 



da sie den Bedingungen des Ausschreibens nicht ent- 
sprachen. Die Jury, welche unter den 30 preisge- 
kronten Werken aller 10 Zonen den internarionalen 
Hauptpreis von 10000 Dollar zu bestimmen hat, 
wird im Juni in Wien tagen. 

Auf Einladung von Mary Wigman haben sich 
bedeutende Schulen des modernen kunstlerischen 
Tanzes und die daraus hervorgegangenen Tanzer, 
Padagogen und Regisseure zum Fachverband „Deutsche 
Tanz-Gemeinschaft E. V.", Bund fur tanzerische 
Korperbildung (Berlin), zusammengeschlossen. Es soil 
eine entschiedene Front des neuen kunstlerischen 
Tanzes darstellen. Vorstand: Mary Wigman, Valerie 
Kratina, Graf Palucca, Jutta Klamt, Margarete Wall- 
mann, Yvonne Georgi, Vorsitz : Dr. Felix Emrael, 

Am 3. Mai fand die Eroffnungsfeier der Funkver- 
suchsstelle bei der Staatlichen akademischen Hoch- 
schule fur Musik in Berlin-Charlottenburg, Fasanen- 
strasse 1 statt. Neben TJbertragungen wurden Vor- 
triige mit Lichtbildern und Filmvorfuhrungen sowie 
mit praktischen Versuchen durch Prof. Dr. Leithiiuser 
und Prof. Dr. Schunemann gehalten. 

AUFFDHBUNGEN 

„Die Rache des verhohnten Liebhabers", 
Oper von Friedrich Wilde ens gelangt am 19. Mai 
in Braunschweig zur Urauffuhrung. 

Hindemiths Konzert fur Viola d'amore und 
Kammerorchester, op. 46 Nr. 1 hatte bei seiner Ur- 
auffiihrung durch den Komponisten in K6ln einen 
bedeutenden Erfolg. 

Anlasslich einer vom 9. bis 17. Juni in Swine- 
miinde stattfindenden Festspielwoche wird die deutsche 
Uraiiffiihrung der G 1 u ck ' schen Oper „L'Ivrogne 
corrige" in der Bearheitung Vincent d'Indy's 
stattfinden. 

Das neue Chorwerk von James Simon 
„ H y m n u s an das L e h e n " gelangt in Dresden 
demnachst zur Urauffuhrung. 

„Die schwarze Kammer", eine heitere Oper 
in 3 Akten, Text und Musik von Ernst R o t h e r s 
wird Anfang Oktober in Darmstadt als Festoper ge- 
legentlich des Tonkunstlerfestes des RDTM urauf- 
gefiihrt. 

Wiesbaden brachte als Urauffiihrung die drei 
Einakter voii Ernst Krenek ,,Der Diktator", 
„Das geheime Konigreich" und „Schwerge- 
wicht oder die Ehre der Nation". 

„Nero" von Arrigo Boito erlebte am 5. Mai 
an der Staatsoper Stuttgart die deutsche Urauf- 
fiihrung. 

Am 27. April fand in Dresden die Urauffuhrung 
J. G. Mraczeks ,,Variete", Szenen fiir Orchester, 
statt. 

In Elherfeld wurde das Chorwerk „Heilands- 
klage" von Hermann Grabner zur Urauffiihrimg 
gebracht. 

Das Leipziger Sinfonie-Or Chester hat 
das erste deutsche Konzert ohne Dirigenten mit Er- 



folg veranstaltet. Die Anregung kommt aus Rufi- 
land, wo man die Moglichkeit des kollektiven kunst- 
lerischen Musizierens mit fiihrerlosen Konzerten 
heweisen will. 

Wiesbaden brachte „Die Entfiihrung der 
Europa", „Die verlassene Ariadne" und „Der 
befreite Theseus" von Darius Milhaud zur 
Auffiihrung. 

Im Essener Opernhaus wurde „Salat", Ballett 
von Darius Milhaud uraufgefiihrt. 

Von Walter Braunfels kamen kiirzlich zur 
Urauffiihrimg: „KIeine Messe v.o m alle'r- 
heilig-sten Nam en Jesu" in Solingen und das 
Org el konzert in Leipzig. 

In Miinchen fand die Urauffuhrung des Chor- 
werks „Werkleute sind wir" von K. Marx statt. 

In Berlin steht die Urauffuhrung der Kantate fiir 
Chor, Tenor solo und Kammerorchester von Wolf- 
gang Jacobi bevor. 

Verdis „ Macbeth" wurde in Dresden urauf- 
gefiihrt. 

PERSONLICHE NACHRICHTEN 

Prof. Dr. Arthur Seidl, Lehrer fiir Musikge- 
schichte, Literatur und Asthetik am Leipziger Kon- 
servatorium, Musikschriftsteller und Dramaturg ist 
am 11. April in Dessau verstorben. 

Emil Bohnke verungluckte am 11. Mai todlich. 

Die Pianistin Else C. Kraus hat einen Buf an 
die Staatl. Akademie fiir Kirchen- imd Schulmusik 
in Berlin angenommen. 

Heinz J o 1 1 e s wurde an die Kolner Hochschule 
fiir Musik (Klavierfach der Schulmusik -Abteilung) und 
an die Kolner Bheinische Musikschule (Ausbildungs- 
klasse fiir Klavier) berufen. 

Egon Petri hat einen Buf als Leiter' der Klavier 
klasse an das Konservatorium Krakau angenommen. 

Heinz Bongartz wurde als Generalmusikdirektor 
des Staatlischen Kurorchesters in Bad Nauheim ver- 
pflichtet. 

AUSLAND 

Diese Rubrik befindet sidi im Aiisbau und soil systema- 
tisch auf alle Lander ausgedehnt werden. 

Ein neues Orchesterwerk „D e r Do m" (Pralu- 
dium-Passacaglia-Finale) von Fred G. Hay (Genf) 
fand bei der Urauffuhrung in Bern starke Beachtung. — 
Ein Concertino fiir Klavier und Orchester von 
Conrad Beck kam in einem Straram-Konzert mit 
Walter Frey (Zurich) als Solisten zur erfolgreichen 
Urauffiihrmig. — Hindemiths „Hin und zuriick" 
kommt zusammen mit E. T o ch s „Die Prinzessin auf 
der Erbse" in Basel zur Schweizer Erstauffiihrung. — 
Die Schweizer Uraufftihrung von Othmar Schoecks 
„Penthesilea" fand am 10. Mai am Ztircher Stadt- 
theater statt. — Walther Schulthess' neue Lieder 
nach Gedichten von Karl Stamm fanden in Luze'rn 
und Zurich starkste Beachtung. — KreneksKla- 



264 



MUSIKLEBEN 



vierkonzert unci seine . zwei Suiten op. 26 
brachte Franz Josef Hirt in Bern zur Erstauffilhrung. — 
In Basel hat eine Tagung von Musikforschern aus 
acht Lfindern in Ausfiihrung der Beschliisse der vor- 
angegangenen Wiener Tagung zur Griindung einer 
Internationalen Gesellschaft fiir Musikforschung gc- 
fiihrt. Als Mittel wurden festgelegt : ein standiges 
Auskunftsburcau in Basel, Kongresse, historische Kon- 
zerte und bei zureichenden Mitteln eine Zeitschrift. 

Giuseppe Mule's Oper ,, D a p h n e " hatte in 
Bom einen bedeutenden Erfolg. — Das Konserva- 
toriura in Parma bat als erstes einen Lehrauftrag 
fiir Geigenbaukunst erteilt und in diese Stellung den 
geschatzten Geigenbauer Gaetano Zarabotto be- 
rufen. — Gegenwartig tagt in Rom die Internatio- 
nale Urbeberrechts-Konferenz. Im AVesentlichen han- 
delt es sicb um eine Revision des Berner Uberein- 
kommens vom Jahre 1908 und um eine Anpassung 
der Bestimmungen an die Verhaltnisse, die durch das 
Aufkommen der Schallplatte, des Films und des 
Rundfunks gescbaffen sind. Weiter steht die Frage 
der Verlangerung der Schutzfrist auf der Tages- 
ordnung. 

In Paris hatte de Falla's „Ein kurzes 
Leben", „Lieb esz aub er" und „Meister Pe- 
dros Puppenspiel" bedeutenden Erfolg. — 
Milhauds Violinkonzert gelangte in Paris zu ein- 
drucksroller Viedergabe. 

H i n d e m i t h ' s „ K o n z e r t f ii r O r ch e s t e r " 
war der bedeutendste Erfolg der Biiisseler Konzert- 
saison. — Casella's „ Partita" erweckte bei der 
Auffuhrung in Briissel grofies Interesse. — Die „Nou- 
veaux Concerts d'Anvers" brachten unter der Mit- 
wirkung des ausgezeichneten Chores „CaciIia" wichtige 
Fragmenle aus „L'Orestie" von Milhaud zur Auf- 
fiihrung. 

Der Kongrefi der ^British Music Society" 
findet im Mai in Bornemouth statt. — Die „ S i n - 
f o n i e in e - m o 1 1 " von Arnold B a x hatte in Lon- 
don starken Erfolg. 

In Kopenhagen wurden uraufgefiihrt : Karl 
Nielsen, „ Adagio und Impromptu fiir 
Klavier" und „ P r a 1 u d i u m und Presto" fiir 
Solovioline. Der Musikverein brachte Ravel's 
„ D a p b n i s und C h 1 o e " und d e F a 1 1 a ' s 
„Liebeszauber" zur Auffuhrung. 

Mit Mirkung vom 1. 4. 28. ist Finnland der 
revidierten Berner Ubereinkimft von 1908 beigetreten. 

In Leningrad fand Straw ins ley's „ Oedipus 
Rex" als Eistauffiihiung begeisterte Aufnahme. — 
Die Leningrader Oper bringt im Juni die russische 
ErstaufTuhrung von „Jonny spielt auf". — Die 
Akademische Oper in Moskau beschlofi furs nachste 
Jahr eine durchgreifende Erneuerung ihres Spielplans 
mit starkerer Beriicksichtigung der deutschen Oper. 



In Prag wurden „ P i 1 o m e 1 a und i h r N a r r " 
von Malipiero und „Akaga" von Provaznik 
uraufgefiihrt. 

Das Budapester Konigl. Opernhaus beabsichtigt 
in der kommenden Spielzeit Bachs „ M a 1 1 h a u s - 
Passion szenisch zur Auffuhrung zu bringen. 

In Konstantinopel wurde vor eiiiiger Zeit das 
,,Nationale Konservatorium" gegriindet, welches sich 
zum Ziel setzt, Musiker heranzubilden, die in der 
Lage sind, an die Stelle der im Lande tatigen aus- 
landischen Musiker zu treten. 

VERSCHIEDENES 

Voraussichtliches Programm des VI. Musikfestes 
der Internationalen Gesellschaft fiir Neue Musik in 
Siena (Beginn friihestens 10., spatestens 17. Septbr.): 

I. Konzert; Tomasini, 2. Streichquartett ; K. Haba, 
Sonatine fiir Flote und Klavier, op. 13; Hindemith, 
Kleine Klavierstiicke aus „Klavieiiibungen, Teil II" ; 
Ravel, Sonate fiir Violine und Klavier ; v. Zemlinsky, 
3. Streichquartett (C dur). 

II. Konzert : Bridge, 3. Streichquartett ; Tiessen, 
Duo fiir Violine und Klavier, op. 35 ; v. Webern, 
Trio fiir Violine, Viola und Cello, op. 20 ; de Falla, 
Konzert fiir Cembalo und fiinf Instrumente ; Blum, 
Musik fiir acht Instrumente. 

III. Konzert; Martinu, 2. Streichquartett; Alfano, 
Sonate fiir Cello und Klavier ; Prokofieff, Quintett 
fiir Oboe, Klarinette, Violine, Viola und Bass, op. 39 ; 
Bloch, Quintett fiir Klavier und Streicher. 

Rahmenkonzerte u. a. : T. Walton, „Fassade" fur 
Bezitation und Instrumente ; Haba, Diskurs iiber 
Vierteltonmusik ; E. F. Burian, Voice-band-Musik ; 
Strawinsky, ,,Noces" ; Konzerte alter italienischer 
Musik (Sixtinische Kapelle, Augusteumorchester). 

Das Zentral-Institut fiir Erziehung und Unter- 
Berlin veranstaltet in Gemeinschaft mit dem Reichs- 
verband Deutscher Tonkiinstler und Musiklehrer vom 
28. Mai bis 2. Juni in Kassel einen „Ersten Fort- 
bildimgs-Kursus fiir Privatmusiklehrer und Musik- 
lehrerinnen". Anmeldungen bis 20. Mai an Fraulein 
von Meibom, Kassel, Standeplatz 10. 

Der diesjahrige zweite deutsche Tanzer-Kongrefi 
ist fiir die Tage vom 22. bis 26. Juni in Essen vor- 
gesehen. 

Vom 20. bis 22. Mai linden die historischen 
Konzerte in Bruchsal statt. Zur Auffiihrung gelangen 
nur Kompositionen des 18. Jahrhunderts, die aus dem 
GrSilich Schonborn'schen Musik-Archiv ausgegraben 
wurden. 

Der Tonika-Do-Bund e.V. kiindigtArbeitstagungen 
fiir Musiklehrer in Baden und .in Schlesien an. 
Nahere Auskiinfte erteilt die Geschaftsstelle Berlin W 57, 
Pallasstrafie 12. 



. Zu diesem Heft gehort eine vierseitige Notenbeilage. Aufierdem liegt der .Jahres- 
bericht 1928" iiber „Zeitgenossische Musik aus dem Verlage B. Schott's Sohne" bei. 



265 



Soeben erschien 

THEORIE 
DER TONART 



Von Dr. Custav Gtildenstein. Mit zahlreichcn 
Notenbeispielen. Geh. M. 6.50, in Lwd. geb. M. 8.— 

„Keine tier mir liekannLen Harmonielehrcn hat in 
so exaktcr, wissenschnftlichcr Form einc Brticke von der 
. alten Musiktheorie zuni lebendigen Musikschaffen unserer 
Tage geschlngen, wie die des Dr. Guldenstein". 

Prof. Felix Pctyrek, Allien 
„Dieses Buch gehort zu den ersten ganz produktiven Ver- 
suchen, Gesichtspunkle nnd Arbeitsmethoden einer exakten 
Phaenomenologie ouf die Musik anzuwenden." 

Prof. Dr. H. Mersmann im „Mclos" 
„Das Buch ist reich an wertvollen und verbessernden 
Vorschldgen und Beitriigen fur die Melodie- iind Harmonie- 
lehre. Es ist offenbar aus der lebendigen Lehrpraxis und 
im Nachdenken iiber den kimstlerischen Sloff insbesondere 
hinsiclitlich seiner Lehrbarkeit entstanden.'* 

Prof. Dr. R. G'sdirey in der NMZ 

Ernst Klett (Carl Griininger Nachf.) 

Stuttgart 



N E U E MUSIKBUCHER 



Eine bedeutsame ■Neuerselieiming 
der deutschen Musikwissenschaft. : 

Robert Haas : 

Die Estensischen 
Musikalien 

Thematisches Verzeichnis mit Einleitung. 

Grofioktav, 232 Seiten, Mit zahlreichen Notcn- 

beigaben. 

Geheftet Mk. 8. - , in Ganzleinen Mk. 10. - 

"Wien besilzt in der beruhmten Estensischen Musiksnmm- 
lung eine der bedeutendstcn Instrumenten-Sammlungen 
des Konlinents. Dieser IiisLrunienlensnmmlung angeglicdert 
ist eine Musikaliensnmmlung mit reichen tuid heute noch 
meist unbeknnnten Schiitzen an Manuskripten, die nur 
cinmalig in dieser Sammlung vorhanden sind. Dr. Robert 
Haas, der Vorstand der Musikobteilung an der National- 
bibliotliek zuWien, hat das Verdienst in dem vorliegenden 
AVerke diese reichen Schiitze der OlTcntlichkcit zuganglich 
gemacht zu hahen. 

Gustav Bosse / Regensburg 



Niitzliches Festgeschenk 
Fiihrer durch die 
Violinliteratur 

Verzciclinis ausgewahlter Werke fiir Violine, Bratsclie und 
Kammermusik, zusammengestellt von 

A. BAUDET-MAGET 

mit viersprachiger Einleitung. Musikalien aller Lander 
enthaltend, ca. 1600 Komponisten. Unentbehrlich fiir alle 
Violinisten, Lehrer und Schuler, sowie fiir alle sich urn die 
Kammermusik interessierenden Musiker. Preis des 295seit. 
Bandes Fr. 7.50 

Foetisch freres A. -G. 

Musikverlag, Lausanne 

Zu bcziehen durdi samtliehc Musi kali enhandlungen 



Das romantische 

BEETHOVEN-BILD 

Darstellung und Kritik. Von Priv. -Doz. Dr. Arnold 

Schmitz-Bonn. M. 9.— , geb. M. 11.— 
*,Zeigt des Tondich ters cigene Stellung zur Romantik in 
seiner Kunst und seinem Leben auf, womit gleichzeitig 
eine garize grofle Charakterologic und "Welt- und Kunst- 
ausscnauungslehre des Tonmeisters gebolen wird. . . Gehort 
zum Besten, was das Gedenkjahr an neuen Schriftwerken 
gebracht hat." Dr. M. Unger in der Musik 

BEETHO VEINS „ Z W E I PRINZIPE" 
Hire Bedeutung fiir Themen- und Satzbau. Von Priv.-Doz. 
Dr. Arnold Schmitz-Bonn. M. 3. — / „Ein sehr wertvoller 
Beitrag zur Kcnntnis des Beethovenschen Stiles." 

(H. Abort i. d. D. Literaturztg.) 

Ferd. Diimmlers Verlag, Berlin S W 68 



Die schonste und grundlegende Darstellung der musik alisch en Kultur aller Zeiten und Volker ist das 

Handburfi der Musikwissenschaft 

Herausgegeben von Professor Dr. Ernst Biicken von der Universitat Koln unter Mitwirkung einer 

grofien Anzahl von Musikgelehrten. 

Etwa 1300 Noteiibeispiele I gegen monatliche 3 Gmk 
Ulld etwa 1200 Bilder J Teilzahlungen von ^^ m ^ m ^^ 

Man iiberzeuge sich durch Augenscheiri und verlange Ansichtsendung M Nr. 4 von 
ARTIBUS ET UTERIS, Gescllscliaft fiir Kunst- und Literaturwissenschaft m. b. II., POTSDAM 



266 



ALEXANDER 



TSCHEREPNIN 



KOMPON 

UND 

PIANIST 



ST 



Q Solist in Orchesterkonzerten 

Klavierkonzert Nr. 1 FDur 

(Verlag Schott) 

Klavierkonzert Nr. 2 a moll 

(Verla g Heugel) 

Die Konzerte sind leicht auffiihrbor und bencitigen 
nur eine Orcllesterprobe. Beide Werke sind eintedig 
und konnen on einem Abend zur Auffuhrung gelangen. 
Ansicbtsmaterinl stebt zur VeW'iigung. 




Sonatenabende mit dem Cellisten 

PAUL GRUEMMER 

Werke von Tsclierepnin, Prokofieff, 
Mjaskowsky, Marx, Reger u. a. 

+ KLAVIERABENDE 

Eigene Kompositionen und Werke 
moderner russischer Autoren. 



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3 tn 



Alle Anfragen an die Konzerdirektion 

I T H M A 

Wien I, Schellinggasse12 

Tel. 72 47 — Telegr. Musikithma Wien 




f 



267 




DIE KUNSTLER DER ITHMA: 

(All«invertretungen) 

• SOLISTEN IN ORCHESTERKONZERTEN 



SER6E PROKOFIEFF 

BELA BARTOK 

ERNST TOCH 

EDUARD STEUERMANN 

ALEXANDER TSCHEREPNIN 

LOUIS W. KRASNER 

RUZENA HERLIN6ER 

GASTDIRIGENTEN 



NIKOLAI MALKO 
6RE60R FITELBER6 
STEFAN STRASSER 

KAMMERMUSIK 



spielt sein 2. und 3, Klavierkonzert 

spielt sein Klavierkonzert und Rhapsodie op 1 

spielt sein Klavierkonzert 

spielt moderne und klassische Klavierkonzerte 

spielt seine 2 Klavierkonzerte 

spielt das Violinkonzert von Achron und klassische 

Violinkonzerte 

singt Berg, Bruchstiickc aus „\Vozzeck", slavische 

Gesa'nge und klassische Arien 



Direktor der Philharmonie in Leningrad. Moderne und 
klassische Werke, insbesondere russische Programme. 

Direktor der Philharmonie Warschau, Moderne und 
klassische Werke, insbesondere polnische Programme. 

Moderne und klassische Werke, insbesondere ungar- 
ische Programme (Bartok-Klavierkonzert) 



DAS WIENER (KOLISCH)-STREICHQUARTETT 

Moderne und klassische Werke, Schubertieiern 

TRIO FUR ALTE MUSIK 



Paul Hindemith, Viola d amore / Maurits Frank, 
Viola da Gamba / Alice Ehlers, Cembalo / Vor- 
klassische nnd klassische Musik 

DAS WIENER PIERROT LUNAIRE-ENSEMBLE 

unter Leitung von Arnold Schonberg oder Erwin Stein 

Kammermusikalische Vokalmusik (u. a. Debussy 

„Proses lyriques"). Moderne und klassische Klavier- 

werkc 

Vorklassische italienische, moderne franztisische und 

ungarische Klavierkompositionen 

Violinsonatenabende mit 



HERLIN6ER-STEUERMANN 
BELA BARTOK 



— JOSEF SZI6ETI ode r 

— RUDOLF KOLISCH oder 

— STEFI 6EYER 

ALEX AN D ER TSC H E R EPN I N Kompositionsabende, moderne russische Klavierwerke 

Cellosonatenabende mit 

— PAUL 6RUEMMER 
SER6E PROKOFIEFF 

ALFRED JER6ER 



Neue russische Musik unter Mitwirkung der Sangerin 
Lina Llubera-Prokofieff 



Erster Bariton der Wiener Staatsoper, Liederabende 
zu eigener Begleitung, Schubertzyklen usw. 

Sonderprospekte stehen zur Verfugung. 



i 



Alleinvertretung : ITHMA WJEN, Schellinggasse 12 

° Tel. 72 47 / / Telegramme Musikitnma Wien 

Internationale Theater- und Musikagentur Ges. m. b H. 



268 



Musik 



4* 
W 



im 



\/olksvereins- Verlag 

und 

tiihrer- Verlag 



zu 



M.-Gladbadi 



Musik im Haus 

Eine Folge von Heften, die erne gesunde Musik, 
neue wie alte, in bester Ausstattung moglichst 
billig in weiteste Kreise tragen soil. Herausgegeben 
von Johannes Hatzfeld. 



M u s ica or arts 

Eine neue Sammlung religioser Musik, bietet dem 
ernsthaften Freund neuer religioser Musik er- 
lesene Proben aus dem Schaffen unserer Zeit. 
Herausgegeben von Johannes Hatzfeld. 

/) as Studienwerk 

I Neue und alte Musik zum Studieren und Musi- 
zieren. Herausgegeben von Johannes Hatzfeld. 

Sonder-Reihe 

Tandaradei Ein Buch deutscber Lieder mit ihren 
Weisen aus adit Jahrbunderten. Von Jobs. Hatzfeld. 
Text-, Singstimmen- und Klavierausgabe. / Susani. 
Ein Weihnacbtsbuch fur das deutsche Haus. Von 
Johs. Hatzfeld. Noten- und Textausgaben. / Mmik- 
spiele Mit Aufl'uhrungsmaterial und Szenen- 
entwurfen. / heudeutsche Musiksdiaren. I. Kleine 
Stiicklein fiir N. D. Feierstunden. II. Handbiichlein 
der Instrumentalmusik. III. Das grofie Zusamraen- 
spiel. IV. Singbiicher. 

fy fusik im £eben 

Eine Zeitscbrift der Volkserneuerung. Herausgeber : 
Professor E. Jos. Muller, Koln ; Schriftleiter : Walter 
Berten, Essen. 

Prospekte kosfenlos :: Durch alle guten Buchhandlungen. 



269 



Soeben e r s c h i e 11 e n : 

Histor.-Biographisches 

Refardt Musiker-Lexikon 
der Schweiz 

Umfang: 360 S. Lexikonformat 

Preis: In Ganzlcinen Rm. 20.— 

In Halbleder Rm. 24.- 



Umfafit die Namen, kurzc 
Biographien nebst Quel- 
lenaugabcn u. vor allemdie 
Werkc v. 2440 verstorben. 
u. Iebendeu Komponisten 
u. Musikforschern in der 
Schweiz, von den mittel- 
alterliclien Anfangen bis zur 
Gegenwart nnd bildet damit 
das uinfassendste und zu- 
verlassigste Material fiir 
eine kiiuftige schweizer. 
Musikgeschiclite. 
Auflage 1000 Exemplare. 
Intcressenlen, namentlidi 
Bibliotheken, niogen bald 
bestellen, da eine Neuauf- 
lage vielleicht nie erfolgen 
wird. 



Gebruder HUG & Co. / Ziirich 

Yerlag gcwichligster scliweizcrischer Komponisten wie 
Andrcae, Barblan, Brim, David, Hegar, Hans Huber, 
Lauber, Schoeck, Schulthefi, Sutcr, Wehrli usw. nsw. 



ANTON FELIX SCHINDLER 

Ludwig van Beethoven 

5. Aufl. hersg. v. Fritz Volbach. 716 S. mit 

Bildern RM. 6.—, Halbleiiienband RM. 8.50 

Halbleder RM. 11.— 

Anton FelLc Schindler hat mit seiner Biographic des Meisters 
ebenso der Forschung ivie den ernsten Musikfreunden einen 
groJSen Dienst erwiesen; denn es we/tt einem das un- 
mittelbare Erie bnis des Meisters daraus entgegen. . . 
Tm iibrigen sei noch der Aschendorffsdien Verlagsbuch hand lung 
fur die wiirdige Ausstattung gedankt. 

Dr. Max Unger in der „Musik (f 

FRITZ VOLBACH 
Handbuch der Musikwissenschaft 

Band 1 ; Musikgeschiclite, Kulturquerschnitte, 
musikalische Formenlehre, Tonwerkzeuge unci 
Partitur. 354 S. RM. 6.—, Leinenband RM. 7.20 

Infialt und Ausschmu diung sind bei dieseni Buche in ghicher 
Weise vorziiglich zu nennen, sodaJS, audi in Anbetracht des 
billigen Preises, dieses Handbuch der Musikwissenschaft zum 
B es ten der einsch lagigen L it era tur gerechnet werden 
mufS. ■ Organon 

Durch jede Musikalienh auditing 
VERLAG ASCHENDORFF, MUNSTER i. W. 



Soeben erscliien: 

Fritz Tutenberg : Die Sinfonik Job. Christian Bachs 

Ein Beitrag zur Eiitwicldungsgeschichte der Sinfonik von 1750 — 80 

464 Seiten, 1. Tsd., Kart. RM. 8. - . Ganzleinen RM. 9. - 

Restell-Nr. 246 und 246 G 

Das oben genannte Werk beabsichtigt, streng wissenscbaftlich die zeitlichen Grundlagen von Job. Chr. 
Bachs Sinfonieschaffen aufzufinden. Dabei ging der Verfasser von dem Standpiinkte aus, daft man 
einen Komponisten nicht als Glied einer Kette auffassen diirfe, sondern daft auch seine ktinstlerische 
Personlichkeit nur im engsten Zusammenhang mit allem zeitgenossischen Schaffen zu verstehen ist. 
Bei keinem anderen ist diese prinzipielle Einstellung so fruchtbringend wie gerade bei Chr. Bach. 
So werden nach einer ausfuhrlichen Einleitung, die alle zum Aufbau der Sinfonie notigen Faktoren 
wie Melodik, Harmonik, Rhythmik, Form, Instrumentation in iliren zeitlichen wie raumlichen Phasen 
betrachtet sowie an Hand der Sinfonien ein Bild von des Meisters Personlichkeit zu entwerfen suclit, 
in einem besonderen Teil die Sinfonik Pli. E. Bachs, Jommelis. Majos, Galuppis, Sacchinis, der 
Buffonisten Guglielmi, Paisiello, Anfossi, Piccini, der alteren mid jiingeren Mannheimer, der Wiener 
Monn, Wagenseil imd des jungen Haydns besprochen, wobei die auf dem Gebiete der Form gewonnenen 

neuen Forschungsergebnisse, die vori einscbneidender Bedeutung sind, benutzt werden. 
In einem zweiten Teil erfolgt die Besprechung der bisher aufzufindenden sechzig Sinfonien Joh. Chr. 
Bachs (mit Bibliographie und thematischem Katalog), die nicht nur in ihrem Aufbau, sondern auch 
m ihren Beziehungen zur zeitgenossischen Kunst behandelt werden. Anhangsweise werden auch die 
„Sinfonies concertantes" herangezogen, die bisher inimer zu stiefmutterlich angefafit wurden. Diese 
Gattung gerade erlebt bei Bach eine hohe Ausbildung und stellt sich vollwertig (relativ I) neben die 

anderen Sinfonien. 



GEORG KALLMEYER / VERLAG / WOLFENBUTTEL - BERLIN 



270 



NEUE MUSIK 



WILLIAM WALTON 

F A g A D E 

Suite fiir Orchester nach Gedichten von 

Edith Sitwell. 

Fiir Klavier zu vier Hiinden bearbeitet von 

Constant Lambert 

M..6.50 

Die Jury fiir das Internationale Musikfest 1928 

(Sienna) wahlte dies Werk fiir die Auffiihrung in 

der Originalfassung. Es bietet ein glanzendes 

Beispiel fiir Anwendung der Satire in der Musik. 

Die einzelnen Satze stellen einen altmodischen 

Walzer, ein modernisiertes Schweizer Jodellied 

und eine Burleske im Stil der „Mediterranean", 

„Tarantella Sevillana" betitelt, dar. 

M. GRETCHANINOF 

ECOLE DU CHANT 

(mit dentscbem, franzosischem, russischeni und 

englischem Text) 

M. 10.50 

Die Absicht des Autors besteht darin, mit dieseni 

Werk Unterrichtsmaterial zu liefern 

1. zur Erlangung der Technik im Singen, 

2. zur Gehorbildung, 

3. zur Erziehung kiinstlerischen Geschmacks. 

W. G. WHITTAKER 

PSALM CXXXIX 

Singpartitur mit deutschem u. lateinischem Text 

M. 5.- 

Das Werk wurde beim Frankfurter Musikfest 

1927 aufgefiihrt 

R. VAUGHAN WILLIAMS 

Concerto Accademico 

fiir Solo-Violine und Streichorchester 
Partitur M. 15. - . Klavierauszug M. 7.50 
In der zeitgenossischen Musik gibt es zu wenig 
Werke fiir diese Besetzung und erst recht selten 
sind Kompositionen von solchem Werte.Wirkungs- 
voll und doch ernsthaft ; herb, aber mit Stellen 
von grofiter Schonheit ; geschlossen in Form und 
Ausdruck, doch voll rhythmischen Lebens 

OXFORD UNIVERSITY PRESS 

LONDON Wl / 95 W1MPOLE STREET 

Alleinige Auslieferung fur Deutsdiland : 

HOFMEISTER LEIPZIG 



Zeiigenossische 
Musik 



Gunter Raphael 

op. 3 

Sechs Improvisationen fiir Klavier 2 hdg. 

(Praludium, Romanze, Intermezzo, 
Scherzino, Fughette, Burleske) 

Ed.-Nr. 2468 M. 2.- 

Ein genialer AVurf des erfolgreidien jungen Kompo- 
nistenl Die teilweise ganz virtuos klingenden und im 
Gharakter sehr gcgensii tzlidien Improvisation en sind 
auch im Konzertsaal von aufierordentlidier "Wirkung. 

Walter Niemann 

op. 62 a 

Ein Tag auf Schloss Durande 

Romantisclie Novelle in 6 Kopiteln nadi Worten von 
EicliendorlT fiir Klavier zweihandig 

Ed.-Nr. 2223 M. 2.- 

W. N. ist zura Interpreten Eichendorffs, d. h. zu seinem 
musikalischen Nachdiditer von Natur aus beslimnit. 
Er bietet uns hier eine herrliclie Tonsdiopfnng, die 
ihrer Wirkung im Konzertsaal, vor allem aber in in- 
timen Musikzirkeln siclier ist. 

Hermann Kogler 

op. 30 

Variationen iiber ein eigenes Thema 
(fit-moll) fur Klavier zweihandig 

Ed.-Nr. 2279 M. 1.20 

„ . . . Mit dem Vortrag seines op. 30 besthtigte Kogler 
von neuem das vielseitig ancrkannte Urteil iiber aoin 
auiSergewohnliclies Kompositionstalent. Wer nacb 
Brahms in der Zeit der freien Kompositionsbetotigung 
im weitesten Sinne Variationen schreibt in der QnaliUit 
"wie diese, darf die Kraft in sicli fiihlen, an der Fort- 
entwicklung der bleibenden Musikliteratur mit zu 
scliaffen". Leipzigcr Zeitung 

Willy Renner 

op. 3 Suite fur Klavier 2 handig 

(Allemande, Air, Gavotte et .Carillon, Capriccio) 

Ed.-Nr. 2124 M. 1.20 

op. 6 Praludien fiber BACH 

Ed.-Nr. 2125 M. 1.20 

op. 7 Impressionen 

Ed.-Nr. 2126 M. 1.20 

„Die Suite verbindet den Charakter der historischen 
Tanzform mit modernem Empfinden und moderncr 
Tcdinik" Prof. Franz Odis, Berlin 

„ . . . Seine Tonsprache hat etwas 9trenge3, herbes, 
aber audi kraftvollcs, markiges und zeidinet sidi durdi 
cine eigenartig kiihnc, bin und wieder ans Exzentrisdie 
streifende Harmonisierung aus . . ." 

Sdiweiz. Musikzeitung 

Durch jede Musikalienhandlung (auch zur 

Ansicht) erhaltlich, Verlangen Sie den neuen 

„Steingraber-Gesamtkatalog" 

Steingraber-Vcrlag 
Leipzig 



NEUE ORCHESTERWERKE 

S o e b e n e r s c h i e n e n die Parlituren von 



271 



Bela Bartok 

DEE WUNDERBARE MANDARIN 
Musik nach der gleichnamigen Pantomime 
U. E. Nr. 8909 Partitur .... M. 30. - 

J. Matthias Hauer 

Op. 48 SUITE VII 

Fiir Orchester 

U. E. Nr. 9429 Partitur .... M. 20. - 

Die Musik dieses in seineni Srhajfen konsequent forl- 
schreilenden Koniponislen hut beim Frankfurter Musik- 
feste einen grofeen, spontanea Publikumserfolg errungen, 
der sicli iw kurzem in Berlin unier Schercnen wieder- 
holl lial. 

Zoltan-Kodaly 

HARYJANOS-SUITE 

Fiir grofies Orchester 

U. E. Nr. 8493 Partitur .... M. 30. - 

Mil durchsclilagendein Erfolg von Afengeiberg in New 

York uufgefiilirt. Nachsle Auffiihrungen in Berlin, 

Amsterdam tintl Budapest. 

Egon Kornauth 

SINFONISCHE OUVERTURE 

Fiir grofies Orchester 

U.KNr. 9414 Partitui- .... M. 20. - 



Ernst Krenek 

Op 54 POTPOURRI 

Fiir grosses Orchester 

U. E. Nr. 9411 M. 20.- 

G. Francesco-Malipiero 

L^ESILIO DELL'EROE 

Fiir grofies Orchester 

U. E. Nr. 8903 Partitur .... M. 20. - 

Nicolaus Mjaskowsky 

Op. 26 SYMPHONIE Vllf 

Fiir grofies Orchester 

U. E. Nr. 8905 Partitur .... M. 40, - 

Mil sltirksten Erfolg in Wien uufgefiilirt. Ferner in 
Boston, New York und Paris. 

D. Schostakowitsch 

Op. 10 SYMPHONIE F-MOLL 

Fiir grofies Orchester 

U. E. Nr 9029 Partitur .... M. 26. - 

U. E. Nr. 9058 Klavierauszug 4 ms. M. 13.- 

Aufterordentlicher Urauffuhrungserfolg in Berlin. 

Arthur Willner 

Op. 37 CONCERTO 

Fiir Streichorchester 

U. E. S. Nr. 39 Partitur .... M- 5. - 

GroJSer Erfolg in Wien und Koln. 



SOLOINSTRUMENTE UND ORCHESTER 



Ernest Bloch 

CONCERTO GROSSO 

Fiir Klavier und Streich-Orchester 

Partitur M. 42,- 

In zahlreichen Sta'dten mil gioftcm Erfolg aufgefuhrl. 



Issai Dobrowen 

Op. 20 KLAVIERKONZERT 
U. E. Nr. 8975 Partitur .... M. 25. 

Ein vie/gespie/tes K/avierkonzert. 



Alfredo Casella 

SCARLATTIANA 
Divertimento nach Musik von Domenico 
Scarlatti. Fiir Klavier und kleines Orchester 
U. E. Nr. 8888 Partitur .... M. 30. - 
U. E.Nr. 9530 2 Klav., 4 hdg. . . M. 10.- 

Zahlreiche Auffiihrungen im In- und Ausland. 



G. F. Malipiero-Corelli 

CONCERTO PER ORGANO 
E ORCHESTRA D'ARCHI 
dall' opera quinta di Arcangelo Corelli 
U. E. Nr. 9403 Partitur .... M. 8. 

Umuffuhrung in Karlsruhe. 



Ansichtsinateriale bereitwilligst v o m V e r 1 a g der 

UNIVERSAL-EDITION A. G. / WTE N-L EIP ZI G 



272 



y 



/ 



L'EOS JANACEK 

dessen Buhnenwerke siegreich durcli die Welt ziehen, ist zugleich 
einer der erfolgreichsten tschechischen Komponisten, deren Konzert- 

werke auf den Internationalen Musikfesten immer siegen. 
Spezielle Janacek Konzerte, die nur Janacek's Werke auf dem 
Programme hatten, wurden in London, Berlin, Wien und Paris 

veranstaltet. Nicht nur seine Opern, sondern audi seine 

ORCHESTERWERKE 

werden in der ganzen Welt gespielt. 
S o e b e n e r s eh i e n e n : 

TARAS RULRA 

Rhapsodie fur Orchester. 

Orcliesterbesetzung: 2 flaute, 1 flauto piccolo (llauto IQ) 
2 oboe, 1 corno inglese, 2 clarinetto in B, 2 fagotte, 1 conti-a- 
fagotto (fagotto III), 4 corni in F, 3 trombe, 3 trombone, 1 basso 
tuba, violini I, II, viole, violoncelle, conri-abasse, 1 arpa, campane, 
timpane, ti'iangolo, tamburo piccolo, piatte, organo. 

Grofee Paititur GM. 15. - / Klavierauszug zu 4 Hand. GM. 7.50 

Im Auslande sind f'olgende Auffuhrungen in Aussicht: 

London (Sir Henry Wood), Paris (Walther Straram), Berlin 

und Leipzig (Bruno Walter) 

LAGHISCHE TANZE 

(Partitur in Druck — Stinimen leihweise) 
Em Pendant zu den ,,Slavischen Tanzen" von A. Dvorak 

Verlanget Janacek's Prospekte direkt vom Verlag 

HUDEBNI MATICE UMELECKE BESEDY 

PRAG III - Besedni 3 



NOTENBEISPIELE ZUR MELOSKRITIK 



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3 




5.]Btia>t/ee _ ___ ^ ^ i l 




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Beilagexu ME LOS 19ZS/Mai 



Notenbeispiele zu dem Aufsatz „Melidiar, Das kirgisische Lied". 

KUKEMAI-BJUPEMAI 



7))a.*ij=ivoePrAjii<l] J. * AOh- 



Mitgeteilt von IrgaR Aldungaroff, 
Fcdorowischer Kreis, Tschubartenizischer 



Bezirk 





"Ca.nij&a.iner, >v-it tin Tpec'fatiir 




> y r > , > i > *{ > , 



a m — • — » — » — ■ — ■ — ■ =*» ■ — 4 — 4 » ■ ' 4 — •— ■ — ■ — -•> * « — ■-* — >—4 — 

*£ tZ/-ti <*.;-# &i-fi< gtj: <xi-fii p/'-ji ff/'-ji fe#.' -^ 



/• 



KDR-ULU 

(Der Sohn des Grabes) 



Tj/rfyaStn mifTfntrfie. Jr-fog 



, Mitgeteilt von Mohamed Farooff, 
Kustanaischer Kreis, Arakaragaischer Bezirk, Aul No. 1 




ft*;, j- jn i r j - h f r iv, n j lv. m j 1 1 rr i j ^ fp 



■>» 



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*) Der Busse gibt das h, das seine Sprache nicht kennV, mit einem g wieder; wahrscheinlich heifit diese 
kirgisische Interjektion : Hiki hiki hiki hej. 



3 
SARU-CHABIBA 

(Weiblicher Vorname) 

Mitgeteilt von Alikei Utekin 

Tschcrlakowischer (fruherer Omskischer Kreis, 

Kaitassischer Bezirk, Aul No. 4) 



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tjU J \ ujLSJ t u i f i ? ^ F 



Addee, 



j&dpteee 




SARY-BAKSY 

(Der bleiche Zauberer) 



7MMM/f J « %a 



Mitgeteilt von Zakarija Karibajeff 
Tsehubalanischer Bezirk, Aul No. 2 



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im't nJiaetncfti; pe)en»nijit/oPPfr&t/fimte 






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SCHALKMA 



Jfubnurtct e U Ati 9i yenau an 7fyyty, VUJ *. J = 208 



Mitgeteilt von Habdul Bukcjchanoff 
Urdynischer Kreia, Kalmykiecher Bezirk 




B. Schott'sSohne, M«jnx 



MELOS 

ZEITSCHRIFT FUR MUSIK 

SCHRIFTLEITUNG: |PROF. DR. HANS MERSMANN 

Alle Sendungen lur die Schriftleitung unci Besprechungsstiicke nach Berlin-Grunewald, Neufei'tallee 5 (Fernapr. Uhland 3785) erbeten, 
D»e Schriftleitung bittet vor Zusendung von Manuskripten nm Anfrage mit Riickporto. Alle Rechte fur siimtliche Beitrtige vorbehalten, 
Ffir Anzeigen und Verlagsmitteilungen verantwortl. : Dr. Johannes PetschuU, Mainz / Verlag: MELOS VERLAG (B. Schott'a Siihne) 
MAINZ, Weihergarten 5; Fernaprecher 529, 530; Telegr. : Scotson; Postscheck nuv Berlin 19425 / Auslieferung in Leipzig: Linden. 

strata 16/18 {B. Schott's Sonne) / Druck: B. Schott's Sonne, Mainz 
Die Zeitschrifl erscheint am 15. jeden Monats. - Zu beziehen durch alle Buch- und Musikalienhandlungen oder diiekt vora Verlag. 
Das Einzelheft kostet 1. - Mk., das Abonnement jahrl. (12 H.) 8. - Mk.. vierlelj. f3 H.) 2.50 Mk. (zuzugl. 15 Pf. Porto p.H., Ausland 20 Pf. p. H.; 
Aiizeigenpreise : ! /i Seite ICO.— Mk. '/ 8 Seite 60.— Mk. '/* Seite 35.- Mk. Bei Wiederholungen Rabattc. Auftrage an den Verlag. 



ZUM IN HALT 

Wenn wesentliche Fragen der Musikerziehung den Hauptted dieses Heftes 
bestimmen, so liegt der Grund in der immer wachsenden Bedeutung des Themas. Die 
Kxise des Schaffens schwingt in grofien Wellen avis. Sie erreicht nun uber den Horer 
hinweg auch den Musikerzieher. Die Gefahren einseitiger und isolierter, in Facher ge- 
teilter Ausbddung werden erkannt. Aus der Erkenntnis wachsen Vorschlage zu lieueni 
Aufbau. Besondere Aktualitat gewinnt in diesem Zusaramenhang der Versuch, den so 
vielfach angefeindeten Jazz-Unterricht ini Frankfurter Konservatorium methodisch zu 
begriinden. Der Verfasser ist als Lehrer eben jener Jazzklasse am ehesten dazu be- 
"xufen; wir geben seinen Gedanken gem Raum, denn der Kampf urn die Berechtigung 
dieses Lehrgebiets kann nur von sachlichen und nicht von musikpolitischen Gesichts- 
punkten aus gefiihrt werden. 

Das Zentralinstitut fiir Erziehung und Unterricht veranstaltete kiirzlich in Gottingen 
den ersten Kongreft fur Ruudfunkmusik. Die Wichtigkeit der dort behandelteu 
Fragen veranlafit eine Erweiterung dieser Rubrik in unserm Heft. Mit dem Aufsatz 
JKritik und Gemeinschaft" beschliefien wir zunachst eine mit dem Anfang dieses Jahr- 
gangs begonnene Reihe von Aufsatzen, deren Ziel in der Klarung der Voraussetzung 
tind Grenzen gegenwartiger Musikkritik lag. 
f Die Schriftleitung 



MUSIK 



Licco Amar (Frankfurt a. M.) 

GEDANKEN UBER ERZIEHUNG ZUR MUSIK *) 

Sehr geehrter Herr Direktor, 

Sie hatten die Freundlichkeit, micli aufzufordern, meine Bedenken gegen das an 
Ihrer (ubrigens besonders hochstehenden) Anstalt gehandhabte Unterrichtssystem dar- 
zulegen. Dies veranlafit mich zu einer kurzen Kritik unserer heutigen Musikerziehung 
im allgemeinen, denn Hire Anstalt unterscheidet sich letzten Endes von keiner anderen, 
aufier vielleicht in der Auswahl der Haupt- und Nebenfacher sowie der personlichen 
Methoden der einzelnen Lehrer. Fur die musikalische Gesamtsituation bleibt es schlieGlich 
gleich, ob Aesthetik, Formenlehre und Chorgesang als Pflichtfacher gelehrt werden oder 
nicht; auch ist es gleichgiiltig, ob z. B. beim Violinunterricbt Joachim, Flesch oder die 
franzosisch-belgische Schule Pate stehen, ebenso, ob in der Harmonielehre Biemann oder 
Schenker gehuldigt wird. Beziiglich dieser Einzelheiten ware ja auch so manches zu 
sagen, ich mochte indes fur heute vor allem das Gesamtbild der Musikerziehung be- 
trachten, so wie es an Ihrer Schule und an alien anderen Anstalten in Erscheinung tritt. 
Um es gleich auszusprechen : ein einheitliches Erziehungsideal (wie es z. B. das huma- 
nistische Bildungsideal einst war) ist nirgendwo zu erkennen, denn die Verschmelzung 
der Einzelfacher zu einem hoheren Ganzen ist nicht vorhanden. Und Sie werden mir 
zugeben, dafi es in puncto Erziehung (und auch sonst) letzten Endes nicht nur auf die 
in den einzelnen Fachern erworbenen Fertigkeiten und Kenntnisse ankommt, sondern 
auf die Anwendung dieser Kefintnisse in ihrer Gesamtheit je nach der Eigenart 
des betreffenden Stoffes. 

Dies ist so zu verstehen: der theoretische oder instrumentale Unterricht, Kammer- 
musik und Orchesteriibungen (so wie das alles heute gehandhabt wird, namlich als 
isolierte Facher „an sich") vermogen stets nur die eine oder die andere Seite des 
musikalischen Gesamtkomplexes zu beleuchten; erst die gegenseitige Durchdringung der 
einzelnen Disziplinen, mit anderen Worten : die Zusammenfassung dieser einzelnen Strange 
zu einem Biindel fuhren zum Ziele, namlich zur Heranbildung der musikalischen Schlag- 
fahigkeit und der Kraftigung des Willens zur kiinstlerischen Wahrheit. 

Heute aber ist der Zustand der, dafi wir durch Vermittlung (haufig sehr anfecht- 
barer) Kenntnisse dem Schiiler Werkzeuge reichen, deren Anwendung auf die Musik 
selbst ihm nicht beigebracht wird. 

Uberzeugen Sie sich selber. Lassen Sie einige Ihrer fortgeschrittenen Schiiler 
„Modulationen nach gegebenem Plane" ausfiihren, und es wird Ihnen hochstwahrscheinlich 
vorziiglich gelingen. Danach lassen Sie dieselben Schiiler ein an Modulationen reiches 
Werk, z. B. eines von Schubert spielen und sehen Sie, was sich daraus ergibt. Ich 
brauche.wohl nicht zu betonen, dafi diese Modulationen innerhalb der einzelnen Satz- 
teile nicht nur einer bunten Laune des Komponisten entspringen, sondern fur den 



*) In der Form eines offenen Briefes, dessen Empfanger nicht eine Personlichkeil sondern ein Typue 
ist. Die Schriftleitung. 



GEDANKEN UBER ERZIEHUNG ZUR MUSIK 275 

Aufban und den Ausdruck des Werkes von hochster Wichtigkeit sind, in Verbindung 
mit den iibrigen melodischen und rhythmischen Faktoren. Nun, von alledem wird in der 
Ausfiihrung des betreffenden Werkes durch den, die Modulationen als solche beherr- 
schenden, Schiiler wenig zu merken sein. Lassen Sie sicb ferner von begabten und 
wohlausgebildeten Instrumentalisten Beliebiges vorspielen und achten Sie genau auf die 
Anwendung ihrer Technik. Sie werden finden, dafi ihre Fertigkeit in keiner Beziehung 
zur musikalischen Linie steht, sondern dafi Fingersatze, Bogenstriche, hochstens besondere 
instrumentale Effekte zum Vortrag gebracht werden. Gehen Sie aber auch in die 
Konzertsale. horen Sie ohne Uneinvorgenommenheit und ohne sich von zufalligen Begleit- 
erscheinungen blenden zu lassen, was von der Struktur und der kiinstlerischen Bedeut- 
samkeit der gespielten Werke zum Vorschein kommt. 

Es gibt zwar Ausnahmen : entweder solcbe Personlichkeiten, die durch Instinkt (ein 
immer rarer werdender Artikel, auf den man sich lieber nicht verlassen sollte) das 
Bichtige treffen; oder andere, die durch langwierige Arbeit an sich selber und eine da- 
durch errungene Unabhangigkeit des Geistes die kiinstlerische Wahrheit zu erreichen 
suchen. Sehen Sie sich nur die allgemeine Verwirrung der Geister betreffs des „Gut 
und Bose" im musikalischen Sinne an; schon allein dieser Umstand mufi Ihnen beweisen, 
dafi in den Fundamenten unserer musikalischen Bildung und Ausbildung etwas nicht 
richtig ist. Und wie ■ viele Begabungen gelien unter, weil sie, von vornherein falsch 
orientiert, unrichtig gehandhabt und auf ein unnatiiiiiches Ziel gerichtet worden sind ? 

Ahnliche Beispiele, die alle fur unser musikalisches Denk- und Unterrichtssystem 
symptomatisch sind, konnte ich Ihnen noch viel meh-r anfuhren: angefangen bei dem 
Meisterschuler, der anlafilich eines Orchesterprobespiels beim Vomblattlesen einer 2. Geigen- 
stimme versagt, bis zu dem am 8 /* Takt eines Haydnschen Menuetts scheiternden, aber 
sonst gottergleichen Generalmusikdirektor. 

Audi das Vorhandensein weniger Ausnahmen ist nur ein Beweis gegen das iibliche 
System, und die Feststellung einer „uberragenden Begabung" erklart in solchen Fallen 
noch nicht sehr viel. Talent ist zwar eine conditio sine qua non, entscheidend aber ist 
erst die Schulung und Bearbeitung dieses Bohmaterials. Solange diese Schulung eine 
im Wesendichen abstrakte, zur Musik selbst nur in vagen und fragwiirdigen Beziehungen 
stehende sein wird, ist fur die Mehrzahl der jetzt Studierenden, so wie fur die spater 
durch letztere zu erziehende kommende Generation, kein Heil zu erwarten. Die Beform 
scheint mir daher dringlich zu sein, denn dem Unheil kann immerhin erst nach lang- 
wieriger Arbeit gesteuert werden. In diesem Zusammenhang waren allerdings auch noch 
soziale Probleme zu erwiihnen, auf die ich aber hier nicht eingehen kann. 

Eine kleine Einschaltung : betrachten Sie Ihre Schiiler aufmerksam und sie werden 
finden, daft die heutige Generation zu alien Dingen eine ganz andere Stellung einnimmt 
als wir selbst vor etwa 15 Jahren. Die jungen Leute wollen in jeder Hinsicht von 
Grund aus wissen, woran sie sind, in dem richtigen Gefiihl, dafi ihre Besti-ebungen nur 
dann Erfolg haben konnen, wenn sie in den Besitz von geistigen Hilfsmitteln gelangen, 
die in der praktischen Anwendung nicht versagen. Die Frage nach dem" „wie" ist 
zuruckgetreten zugunsten des „wozu" und „warum". Die Periode des Materialismus 
beginnt erst jetzt in der Musik. Die Anwendung naturwissenschaftlicher Denkmethoden 



276 LICCO AMAR 



wiirde uns iibrigens fiir eine Weile garnicht schaden; erst wenn wir das Material wiedcr 
ganz beherrschen, komien wir ,,zwischen den Zeilen lesen". 

Aus dem weiter oben Gesagten ergibt sich, dafi der Herausbildung eines einheit- 
lichen musikalischen Weltbildes vor allem die Zusammenhanglosigkeit und absolute 
Trermung der musikalischen Wissensgebiete im Wcge steht. Es ware wohl audi mal 
der Midie wert, bei Gelegenheit festzustellen, ob und in wie weit das in den einzelne 
Fachern Gelehrte noch unseren heutigen Anschauungen und Bedurfnissen entspricht. 
Doch bleiben wir bei dem allgemeinen Aspekt unserer musikalischen Kultur, insofern 
er sich im Lehrwesen kundgibt. Kennzeicbnend fur unseren heutigen Zustand ist die 
Diskrepanz die unser Musikwesen kennzeichnet: auf der einen Seite spekulativ-theoretische 
Betrachtung, auf der anderen Seite eine ganzlich unbekummerte Praxis, die den unbe- 
stimmten Einfliissen einer in Fetzen herunterhangenden Tradition sowie personlicher 
Willkur und ,,individuellem Temperament" preisgegeben ist. Zweifellos bat die noch 
junge Musikwissenschaft eine Beihe von Erkenntnissen zu verzeichnen, die bei praktischer 
Auswertung geeignet sein konnten uns wieder festeren Boden unter die Fiifie zu sdiieben 
Allerdings gehort dazu eine grundliche Bevidierung aller bestebenden Einrichtungen und 
Gepflogenheiten, gerade auf dem Gebiete des Erziehungswesens und andererseits eine 
griindlichere Bekanntschaft mit den Erfordernissen des musikalisdien AUtags von Seiten 
der Manner der Wissenschaft. Denn was nlitzt uns die Erkenntnis der ,,Fortspinnungs- 
technik" Bachs, der Vorhalte im Tristan, der „gleitenden Ilarmonie" Begers, wenn sich 
niemand um die sich daraus ergebenden Konsequenzen fiir die Interpretation kiimmerl ? 
Solange diese Begriffe nicht fiir die lebendige Darstellung nutzbar gemacht werdeu, um 
sich im Klangerlebnis kundzutun, bleiben sie fiir die Musik unfruchtbar. Jedem j^n- 
fanger werden in der ITarmonielehre die Begriffe der verschiedenen Kadenzen vorge- 
tragen, manchmal sogar am Werke selbst demonstricrt; es wird ihni aber nicht gesagl, 
wie er es anfangen mufi, um diesen funktionell hervorrageud wichtigen Vorgang beiin 
Spielen plastisch darzustellen. 

Was kann nun geschehen, um das schadliche Auscinanderfallen der einzelnen 
Wissensgebiete zu verhindern und um sie im Unterricht in cinem Brennpunkt zu vcr- 
einigen? Ein Blick auf die vorklassische Zeit scheint mir in dieser Hinsicht nicht 
uninteressant zu sein, obgleich irgendwelchc praktischen Folgerungen aus den damaligen 
Zustanden, die unter einer solchen Spaltung noch nicht litten, heute fiir tins unmoglich 
sind. Damals war es noch so, da.fi die Einheitlichkeit des musikalischen Lehrganges 
das natiirlich Gegebeuc war, und, wer Klavierspielen lemte, lernte in einer u'ns heute 
schwer vorstellljaren Einheit zugleich beim selben Lehrer audi das, was wir heute 
Komponieren, Instrumentieren, Dirigieren usw. nennen. Dieser an sich ideale Zustand 
wird natiirlich nie mehr errcichbar sein, da, nebst manchen anderen Griinden, die fort- 
schreitende Spezialisierung und das ungeheuer angewachsene Material unserer Musik- 
pflege cine solche Personalunion des Lehrers und des Musikers iiberhaupt nicht inehr 
zulassen. An die Stelle der einen, allumfassenden Persoidichkcit sollte aber heute e i n e 
wohlorganisier te Zusaiiimen arbei t der Lehrer treten. Theorie und Praxis 
iniissen in Wechselwirkung zu einander gebracht und aufeinander bezogen werden. Die 
analytische Behandlung des Musikwerkes in Bezug auf seine harinonischen, slimmfiihrungs- 
mafiigen, rbythmischeu und sonstigen Erscheinungen (nicht „Bestandteile" !) soil funktionell 



GEDANKEN UBER ERZIEHUNG ZUR MUSIK 277 

gewertet unci in der lebendigen Darstellung geiibt werden. Das Kunstwerk soil darauf- 
hin untersucht werden, welche Art der Organisierung des Klangmaterials 1'iir das Werk 
seibst und seinen Stil maGgebend ist, und die Ricbtlinien fur den sinngemafien 
Vortrag miissen aus der so gewonnenen Erkenntnis abgeleitet werden. Das hierzu ein 
enges Hand-in-IIand-Arbeiten des ganzen Lehrerkollegiums gehort, ergibt sicb von 
seibst: das jeweilig gewahlte Studienmaterial mufi gemeinsam bearbeitet werden, so 
weit das nur irgend moglich ist. Auf diese Art wiirden bald die herraetisch abge- 
schlossenen Grenzen zwischen den einzelnen Fachern fallen, nicbt nur zum Vorteil der 
Schiiler, sondern auch der Lebrer, deren einseitige Befangenheit zugunsten der Erforder- 
nisse ilires eigenen Fachcs oft allzu weitgchend ist. Damit wiirde auch bald der Zustand 
aufboren, dais der Schiller, iiberbtirdet mit allerhand Fachern und vollgestopft mit 
Einzelkenntnissen, letztere auf das Kunstwerk nicbt anzuwenden vermag und keinen 
Zusannnenhang sieht zwischen dem, was er gelernt hat und der Aufgabe, vor die ihn 
das Leben stellt. Was die Methodik dieses Unterrichts betrifl't, so sei hier etwas aus- 
gesprochen, was so selbstverstandlich erscheint, aber noch kaum durchgefiihrt wird : je.de 
Erziehung sei ,,werkzeugscharfend", das heifit, es koinmt auf die Entwicldung und 
Schulung des Instinktes, der Shine, des logischen Denkvermogens an. Unser gesamtes 
Unterrichtssystem, nicht nur das musikalische, ist heute noch viel zu sehr mittelalterlich- 
scholastisch eingestellt, indem es Kenntnisse tibermittelt, statt Fahigkeiten zu entwickeln. 
(Welcher Schiiler, ja welcher fertige Musiker ist auch nur einigermafien imstande, Bach 
aus dem Originaltext sinngemafi zu spielen? In Erniangelung eines selbstandigen, 
logisch geschulten kiinstlerischen Denkapparats miissen „instruktive" und andere Aus- 
gaben herhalten. Ergebnis ? Gehcn Sie in die Konzertsale und horen Sie.) 

Wie sieht nun in praxi ein soldier Unterricht aus, welches ist sein Gang, und vor 
allem, sein Lehrmaterial, an dem die gewunschte Synthese vollzogen werden kann ? 
Die Antwort darauf ist verhaltnismafiig einfach. Da das AVesen der Musik im Spiel 
und Widerspiel mehrerer, harmonisch gebundener oder polyphon gearteter Stimmen 
zu erblicken ist (wirkliche Einstimmigkeit kommt nur als Vorstufe in Frage), so ist das 
geeignete Objekt fiir einen solchen Lehrgang alles, was unter den weitesten Begriff der 
Kammermusik fallt, ihre historischen Vorlaufer mitinbegriffen. Es diirfte nicht schwer 
sein aus diescm ungeheuren Material einen sich stufenmafiig aufbauenden Lehrgang zu 
entwidceln, der dem Schiiler von Anfang bis zu Ende der Lehrzeit als Hauptfach dient. 
Kaminermusikunterricht wird zwar auch jetzt schon mehr oder weniger griindlich erteilt, 
dieser Unterricht miisse aber besonders vertieft und nach jeder Bichtung hin ausgestaltet 
werden, um seinen neuen Zielen dienen zu konnen. Um diesen zentralen Lehr- 
gang gruppieren sich, wie die Trabanten um ihren Planeten, die erganzenden Facher 
mehr oder weniger theoretischer Art. Diese Unterweisung am lebendigen Objekt sei 
das Riidtgrat des Unterrichts. AUe Probleme der Musik, die der Harmonie, der Form, 
Instrumentation, Geschichte usw. konnen zugleich an demselben Unterrichtsstoll'e ]je- 
arbeitet werden unter successiver Leitung der einzelnen Fachlehrer, die aber unterein- 
ander iiber den einzuschlagenden Weg einig sein miissen. Ob die analysierende Be- 
traditung oder das Spielen der Werke vorangehen soil, mochte ich heute nicht ent- 
scheiden, beide Methoden haben ihre Vorteile. Auf alle Falle wird auf die Art ver- 
hindert, dafi der Studierende mit Theoremen gefiittert wird, deren praktische Bedeutung 



278 LICCO AMAR 



und Funktion ihm fremd bleiben. „Wir wissen etwas nur, wenn wir es ausdriicken, 
d. h. machen konnen." (Novalis). Selbstverstandlich braucht die analytische Betrachtung 
nicht beim reinen Anschauungsunterricht stehen zu bleiben, sie soil vielmehr verall- 
gemeinern, erganzen, Gegensatzliehkeiten zu anderen Arten der musikalischen Organi- 
sierung betonen und, nicht zuletzt, praktisch nachahmen. (Hier beginnt das Bereich 
des eigentlichen Kompositionsunterrichts.) Das Orchesterspiel, das ich, in verniinftiger 
Weise angewendet, nicht vermissen mochte, gehort nicht in diesen Zusammenhang, da 
die dabei unbedingt erforderliche Unterordnung des Spielers wenig Spielraum lafit fiir 
die aktive Teibiahme an der Darstellung des musikalischen Organismus. 

Neben diesem gesamtmusikalischen Lehrgang soil der technische Instrumentalunter- 
richt gehen. Sein Gebiet umfafit alle Werke, die fiir das betreffende Instrument allein 
geschrieben worden sind (z. B. Klaviersonate, Etiiden) und solche, in denen es bevor- 
zugt behandelt wirdj:[(Konzert). Auch hier soil, neben dem physisclien Training, die 
Beobachtung der musikalischen Faktoren fur die Darstellung und auch fiir die Bewalti- 
gung der technischen Schwierigkeiten mafigeblich sein. (Welche Konsecpxenzen hat die 
symmetrische Periodizitat Mozarts fiir die Fingersatze, die Bogenbehandlung und die 
Art des Ubens seiner Violinkonzerte iiberhaupt? Wie steht es damit bei Beetho\en, 
bei Hindemith ? Hier liegen die Aufgaben fiir die Verfasser moderner Violinschulen, 
nicht nur in „der Beriicksichtigung der zeitgenossischen Werke im Unterricht".) Hier 
ware noch eine Forderung auszusprechen : alle Werke miifiten aus Urtextausgaben 
gespielt werden. Die Privatansichten der Revisoren und Bearbeiter gehen uns nichts 
an, denn sie verhindern nur die Entwicklung des musikalischen Denkvermogens, ganz 
abgesehen von der allgemeinen Unbekommlichkeit dieses „von den Vatern iibernommenen 
Gutes". Damit steht im Zusammenhang die Notwendigkeit von Ubungen im stilgemafien 
Aussetzen bezifferter Basse. Leider ist heute noch die Beschaffung der Urtexte haufig 
unmoglich, mindestens aber schwierig und mit grofien Kosten verbunden. 

Damit glaube ich, wenigstens in groben Ziigen, Ihnen meine Anschauungen betrefl's 
der notigen und moglichen Veranderungen auf dem Gebiete des Musikunterrichts dar- 
gelegt zu haben. Da Sie nicht nur Letter einer grofien Anstalt, sondern auch ein her- 
vorragender Musiker und urteilsfahiger Mensch sind, so wird es Ihnen nicht schwer 
fallen, dort, wo es notig ist, das Bild abzurunden. Ich mochte nur noch bemerken, daii 
die Befolgung dieser Grundsatze weniger ein Umlernen der Lehrer, als eine U m - 
gruppierung erfordert, und zwar so, dafi immer eine Anzahl Schiiler der verschiedenen 
Instrumente zu Gruppen zusammengefafit werden, die an Hand des annahernd historiscb- 
progressiv zu ordnenden Lehrmaterials von einer Anzahl Lehrkrafte unterrichtet werden, 
welche sich beziiglich der einzelnen Gebiete erganzen und nach einem vorgefafiten Plane 
arbeiten. Spezialisierungen, wie Kapellmeister, Komponist, Instrumentalvirtuose, diirften 
erst nach Absolvierung eines entsprechenden Teiles dieses Gesamt-Lehrganges beriick- 
sichtigt werden. 

Freilich, es ist schwer, wenn nicht unmoglich, diese Grundsatze an einer bestehen- 
den und auf ihre Art wohlfunktionierenden Anstalt durclizufiihren. Irgend etwas mufi 
aber geschehen, urn diese ungiinstigen Zustande zu andern. Wie ware es, wenn Sie mit 
einer kleinen Anzahl interessierter Lehrer eine .,Versuchsstation" fiir Musikunterricht 
griinden, bezw. Hirer Anstalt angliedern wiirden ? Ich glaube, es wiirde sich lohnein 



MUSIKLEHRE 279 



kein Schiiler hatte Einwande gegen eine solche Verlebendigung des Unterrichts, und 
das Vorhandensein eines solchen „Versuchsfeldes" wurde mehr Erfolg zeitigen, als samt- 
liche Diskussionen, Abhandlungen und Vorlesungen uber Padagogik und ahnliches mehr. 
Eine JQarung unserer an Unsicherem und Problematischem allzu reichen Zeit kann nur 
durch eine Revision unserer gesamten Stellung zur Musik erfolgen, und wo soil diese 
Revision beginnen, wenn nicht auf dem Gebiete des Unterrichts? 

Ihr sehr ergebener 
Licco Amar 



Hans Mersmann (Berlin) 

MUSIKLEHRE J ) 

l. 

Auch die Musiktheorie wird nun in die grofie Krise hineingezogen, welche unsere 
Musik durchlebt hat. Sie war ein Produkt des 18. und 19. Jahrhunderts und spiegelte 
Haltung und Weltbild jener Zeit. Das kommt dadurch zum Ausdruck, dafi sie den 
Eigenwert einer Melodielehre uberhaupt nicht, Polyphonie allein in den Erscheinungs- 
formen von Kanon und Fuge kannte und ihren Schwerpunkt in Harmonik und Formen- 
lehre sah. Diese beiden mit einiger Konsequenz durchgearbeiteten Gebiete aber suchen 
ihre Gesetze in einem engen Zeitausschnitt der Entwicklung, etwa bei Haydn und dem 
fruhen Beethoven. Nicht einmal mehr Schuberts Harmonik vermochte die Harmonie- 
lehre zu begriinden. 

Das 19. Jahrhundert versuchte, sich durch Ausbau und kleine Anbauten zu helfen. 
Auch die Schaffenden haben an dieser Entwicklung Teil genommen. Aber noch Reger 
bediente sich zur Erklarung seiner differenzierten und zu letzten Konsequenzen ausge- 
bauten Chromatik des „neapolitanischen Sextakkords". 

Unsere Zeit beginnt, sich des immer weiter auseinander klaffenden Abgrunds be- 
wufit zu werden. Von verschiedenen Seiten aus wird der Aufbau einer neuen Musik- 
theorie versucht. Er setzt weit unterhalb der Musik an. Wenn Ernst Kurth definiert: 
Melodie sei „stromende Kraft", so miissen wir das als ein Symbol nehmen. Denn jene 
altere Musiktheorie erklarte Melodie als eine Addition von Tonen, Harmonik als eine 
Addition von Klangen, Form als eine Addition von Motiven. Sie war es auch, die als 
„Hermeneutik" die inneren Zusammenhange des Kunstwerks zu erklaren, mefibar zu 
machen versuchte. 

Damit zugleich sind die Forderungen umschrieben, die nun entstehen. Musiklehre 
darf nicht mehr trennen und zerschneiden, sondern mufi, wie das Kunstwerk selbst, 
zusammenschauen und zusammenwachsen lassen. Sie kann nicht mehr Klange ver- 
binden, ohne die sich aus dieser Verbindung zwanglaufig ergebenden melodischen und 
rhythmischen Vorgange einzubeziehen. Sie sucht Form nicht aus der Anreihung synime- 
trischer Bauglieder sondern aus dem Wachstum einer Kraft. 

Musiktheorie ist Erkenntnis und Lehre. Scharfer vielleicht als vorher werden 
diese beiden Gebiete sich scheiden, aber nur, damit sie um so tiefer zusammmenwachsen 

J ) Vorwort und Gliederung eines entstehenden Buches. 



280 HANS MERSMANN 



konnen. Musiklehre aber ist nicht mehr in Facher zu teilen, die gegeneinander abge- 
sperrt sind. Schon von den ersten Versuchen an, mit den Elementen schopferisch zu 
arbeiten, wachsen Melodik, Harmonik, Rhytbmik und Form zu einer unlosbaren Einheit 
zusammen. 

2. 

Der Weg, der von hier aus geht, weitet sich in „wachsenden Ringen". Urn den 
Mittelpunkt der einfachsten Ton- und Klangverbindungen offnen sich immer grofiere 
konzentrische Kreise. Der harmonische Kadenzvorgang ordnet sich zu bestimmten 
melodischen und rhythmischen Grundformen. Die gemeinsamen Grundkrfifte liegen 
blofi. Der harmonischen Evolutionskurve entspricht die melodische. Sofort zeigt sich, 
dafi auch die Form als ein primares Element in den Kreis der Erlebnisse einbezogen 
werden mufi, Schon die vier- oder sechstaktige Kadenz gewinnt ein vollig anderes 
Gesiclit, wenn sie als zweiteilige Periode durchgebaut ist, in zwei proportional wachsen- 
den Kurven schwingt oder in einem einzigen unteilbaren und asymmetrischen Bogen 
ausstromt. 

Das Erlebnis weitet und ordnet sich. Einbeziehung der Nebendreiklange tragt 
Farbwerte, der Umkehrungen Gewichtsverschiebungen in die Kadenz hinein. Dem 
entspricht eine Melodik, in der nicht mehr jeder Ton Exponent eines Klangvorgangs ist. 
Diesen melodischen Zwischenwerten begegnet eine subtilere Rhythmik, welche langsam 
die Spannungsformen der Punktierung, der Auflosung und der Synkope einbezieht. Auch 
der Formverlauf koinpliziert sich dadurch. Sekundare Funktionsbeziehungen stellen alle 
der Quintverwandtschaft moglichen Akkordverbindungen her. Sie werden wichtigste 
Trager der harmonischen Evolution. Der Begriff „Modulation' ; hort auf, zu existieren. 
Er ist ein Willensakt. Das Kunstwerk moduliert nicht von einer harmonischen Ent- 
wicklungsstufe zur andern, sondern wachst von einem harmonischen Zentrum aus und 
kehrt zu ihm zuruck. Individuelle Ausdrucksformen dieses Wachstums sind: Melodik, 
Rhythmik, formales Gestaltungsprinzip und stilistische Haltung. 

Wenn auf einer hoheren Stufe diese Einheit der Elemente nicht mehr in vollem 
Unrfang aufrecht erhalten werden kann, so ist das lediglich eine Frage der Methodik. 
Zunachst bleiben die harmonischen Zusammenhange im Vordergrund. Sie steigern den 
Spannungsvorgang iiber die Quintverwandtschaft zur Terzverwandtschaft und Chromatik 
und miinden in die absolute Harmonik der gegenwartigen Musik. 

In einem dritten Kreise riickt die Melodik ins Zentrum. Hire verschiedenen 
Krafte werden deutlich. Reine Melodik, von alien latenten harmonischen Funktions- 
beziehungen abgelost, sucht neue Moglichkeiten der Formgebung und eine neue Art 
der Raumspannung. So entsteht Polyphonie, die nicht als ein Gegebenes hingenommen 
wird, sondern sich zwanglaufig aus der Melodik entwickelt. Ihre natiirlichste Aus- 
drucksform ist der Kanon. Neue Moglichkeiten ergeben sich aus der Cantus firmus- 
Polyphonie. Sie wird dadurch bestimmt, dafi der Cantus firmus nicht eine starre, zum 
Zwecke des Kontrapunkts konstruierte Linie, sondern wiederum ein Lebendiges, etwa 
eine Liedmelodie ist. Hier wachst die Polyphonie auch aufierlich zum ersten Male iiber 
die Zweistimmigkeit hinaus. Spater verschmelzen die bisher durchschnittenen Raume, 
werden konstruktive und lineare Polyphonie bewufit gegeneinander gestellt. Die erste ist 
funktionsharmonisch bedingt und fuhrt rhythmisch zu Abwandlungen des Symmetric- 



JAZZ ALS ERZIEHUNGSMITTEL 281 



gesetzes in den Beziehungen der Stimmen aufeinander. Die lineare Polyphonie ent- 
steht aus der reinen Melodik, sucht Idangliche Bindungen zwischen den Stimmen, stellt 
sich aber bewufit aus dem Kreise der funktionsharmonischen Beziehungen heraus. 

Als letzter selbstandiger Inhalt tritt der Formbegriff in das Zentrum. Wahrend 
es sich bis hierher durchaus nur darum handelte. schopferisch nachzuerleben, werden 
jetzt neben eigenen Versuchen die formalen Ergebnisse fruherer Losungen abstrahiert. 
Als Aufgabe ware hier ein Prinzip einzufuhren, das in der Malerei dem Kopieren alter 
Meister entspricht. Auch hier ergibt sich aus dem Zusammenwirken der Elemente eine 
ganz neue Perspektive : etwa den Formverlauf eines Kunstwerks mit anderm thematischen 
Material nachzuschaffen. 

Musik, aus dem unlosbaren gemeinsamen Wachstum der Elemente begriffen, 
bleibt von ihren ersten Anfangen an lebendig. Ftihrt schon die Verbindung einfachster 
melodischer und harmonischer Vorgange zu einem Volkslied oder einem Symphonie- 
thema, so geht der innere Zusammenhang mit dem Kunstwerk an keiner Stelle ver- 
loren. Musiklehre, wie sie hier gemeint ist, steht der Praxis iiberhaupt nicht mehr im 
alteren Sinne gegeniiber, sondern ist ein Teil von ihr. So verliert sie auch den Zu- 
sammenhang mit der Entwicklung nicht und kann stilistisch immer wieder bis an die 
Probleme der gegenwartigen Musik herangetragen werden. 

Die Durchfuhrung einer solchen Musiklehre setzt eine Kenntnis der alteren Musik - 
theorie nicht voraus. Sie braucht nicht mit technischen Gesetzen uberlastet zu werden. 
Denn die ganze Lehre von den Klangverbindungen und falschen Fortschreitungen, welche 
die Harmonielehre iiberbetont, ist in wenigen Satzen zu formulieren. Ihr Wesentlichstes 
sind Noten, nicht Zitate, sondern praktische Losungen und Aufgaben. Um jedes Bei- 
spiel steht ein groJJer Kreis von Moglichkeiten und Fragestellungen. Schon von den 
ersten praktischen Aufgaben an ist das Grundsatzliche in voller Ausdehnung erkennbar. 
Ob ich einen- bezifferten Bafi ausfiille, einen Sopran harmonisiere oder ob ich ein en 
nur durch die Folge seiner Funktionen bestimmten Kadenzverlauf harmonisch, melodisch 
mid rhythmisch durchbaue, ist nicht mehr ein Unterschied der Methode, sondern wird 
zum ersten Versuch jener vorher angedeuteten Erneuerung der Fundamente. 



Maty as Seiber (Frankfurt a. M.) 

JAZZ ALS ERZIEHUNGSMITTEL 

„Hat ein ernstlich geleitetes Konservatorium das Becht? . . ." Mit 
dieser Frage fing das seither recht beruhmt gewordene Bundschreiben des Herrn Direktor 
B. Sekles an, mit dem er die Aufstellung der „Jazzklasse" am Frankfurter „Dr. Hoch's 
Konservatorium" angekiindigt hat. "Wenn wir nun zu der Sache etwas naher treten 
und das Problem des Jazz-Unterrichts an sich betrachten, konnten wir zu dieser Frage 
noch andere hinstellen, namlich: „Soll man?" und „Kann man?" 

Ob man Jazz unterrichten soil, wollen wir in den folgenden Auseinandersetzungen 
davon abhangig machen, ob ein praktischer Musiker — gleich welcher Art — durch 
dieses Studium etwas gewinnen kann. Ganz aufier Acht gelassen jetzt den werdenden 



282 



MATYAS SEIBER 



Jazzmusiker, der selbstverstandlich durch eine systematische Schulung und Ubungsstofl' 
nur gewinnen und sein Spiel nur verbessern kann, wollen wir sehen, ob auch aus- 
iibende Musiker anderer Art — z. B. Orchestermusiker usw. — von diesem Studium 
einen Nutzen ziehen konnen ? — Zugleich soil audi die andere Frage, ob man Jazz 
unterrichten kann, (und wie man es machen kann) hier beriihrt werden. 

Zwei grofie Aufgaben kann die Jazz-Schulung haben : die Erreichung einer geradezu 
maschinell-exakten rhythmischen Prazision, zugleich aber auch rhythmischen Gelostheit 
und Freiheit; dann die Entwicklung einer improvisatorischen Fahigkeit. Den meisten, 
auch rhythmisch gut geschulten Musikern bietet bei den Jazz-Rhythmen die Haupt- 
schwierigkeit das eigenartige, aber auch bezeichnende Verhaltnis von Rhythmus und 
Metrum, das im Jazz eine grofie Rolle spielt: da treffen wir niimlich oft den Fall, daft 
Rhythmus gegen das Metrum auftritt: durch „Verschiebung" der Akzente bilden sich, 
im scharfsten Widerspruch mit dem eigentlichen Metrum, „Scheintakte", (da wir die 
betonte Note immer als Kopf, als Anfang einer neuen Gruppe zu horen geneigt sind). 
Diese „Scheintakte" bereiten meistens viel grofiere Schwierigkeiten, als die so viel er- 
wahnten „Synkopen", mit welchen diese noch immer sehr oft verwechselt werden. 
Der Spieler muft sich namlich in solchen Fallen cpiasi in 2 Teile teilen, und wahrend 
er gegen das Metrum spielt, anderseits muft er das Pulsieren des Metrums, wie eiserne 
Hammerschlage, durch alle Verschiebungen durchfiihlen, selbst bei Stellen, wo scheinbar 
plotzlich das ganze rhythmische Fundament aufgelost wird (wie z. B. in den „Breaks"). 
Um diesen Kampf zwischen Bhythmus und Metrum mit dem Schiiler deutlich fiihlbar 
zu machen, muft dieser einige, direkt zu diesem Zweck konstruierte rhythmische Klopf- 
iibungen vornehmen. Diese Ubungen, die teils mit den Handen, teils mit Hand und 
Fufi auszufiihren sind, verwirklichen den Widerspruch Rhythmus-Metrum im eigenen 
Korper: indem z. B. der Fufi das Metrum vertritt, arbeitet die Hand, mit Verschiebung 
der Betonung, immer dagegen. Die Ausfiihrung dieser Ubungen verlangt im Anfang 
eine ziemlich grofte Konzentration — vielmehr „Diszentration" in die zwei verschiedenen 
Systeme — aber wenn sie solange geubt werden, bis sie vollstandig sicher und unge- 
fahr automatisch geworden sind, bringen sie eine grofie rhythmische Gelostheit und 
Freiheit, eine Unabhangigkeit der Korperteile, ein gelostes Korpergefiihl, worauf 
es beim Jazz sehr ankommt. Auf dieselben rhythmischen Probleme ist auch eine 
Reihe von 2-, 4-, 8- und 16-taktigen (vom Verfasser dieser Zeilen geschriebenen) rhyth- 
mischen Etuden fiir Jazz-Ensemble, gebaut, die durch die auf dieser Weise erweckten 
Spielfreudigkeit, eine amxisante Abwechslung zu den Klopf-Ubungen bringen und zu- 
gleich demselben Zweck dienen. Neben diesen praktischen Ubungen werden auch 
theoretische Rhythmus-Analysen — mit Zuhilfenahme der mathematischen Permutation — 
vorgenommen, die Rhythmisierungs- und Synkopierungs-Mogliclikeiten ausgerechnet, die 
Beziehungen zwischen den einzelnen Rhythmus-Arten und -Gruppen erortert und schliefi- 
lich auch praktisch geiibt. 

Die meistvorkommende Verschiebung im Jazzgebrauch ist diejenige, die durch 
8 /*-Betonung gegen das Grund-Metrum 4 /* (oder alia breve) entsteht. Ein grofier Teil 
der Unabhangigkeitsubungen und Etuden ist auf diesem Prinzip aufgebaut, wie z. B. : 
(Notenbeispiel 1). ] ) 

*) Siehe Notenbeilage. 



JAZZ ALS ERZIEHUNGSMITTEL 283 

Die typische Jazz-Betonung, die mit unserer normalen Betonung so sehr im Wider- 
spruch steht und deswegen dera in diesen Stil Unbewanderten so fremd und schwierig 
ist, namlich die Betonung des 1., 4. und 7. Achtels statt dem 1. und 5., lafit sich audi 
als eine Einteilung der Achtel in je 3 zu einer Gruppe, erklaren (Notenbeispiel 2) 

Eine ganze Beihe von verschiedenen Rhythmen ist von dieser Betonung abzuleiten, 
u. a. auch der beruhmte ,, Charleston -Bhythmus", — der schon von jeher ab in der 
amerikanischen „Bag-Music" eine grofie Bolle gespielt hat (dieser Bhythmus ist eigentlich 
nichts anderes als das betonte 1. und 4. Achtel). (Notenbeispiel 3). Diese und dieser 
Art Rhythmen werden durch eine Beihe weiterer Ubungen systematisch studiert. 

Die standige Ubung solcher Art Bhythmen hat sehr wichtige Folgen beim Schider; 
dadurch, dafi er sich gewohnt, Taktteile, an denen man sonst, ohne sie besonders zu 
ffihlen, vorbeigeht, ein besonderes Leben, sozusagen ein JBewufitsein" durch Heraus- 
hebung vom Takt zu schenken, bildet sich bei ihm mit der Zeit ein Gefuhl aus, das 
wir am besten ,,absolutes Rhythmusgefuhl" nennen konnten, als Analogie zum „absoluten 
Gehor": so. wie man durch das absolute Gehor sozusagen den „Platz" jeder Tonhohe 
im gesamten Tonbereich kennt und fiihlt, so fiihlt man mit diesem „absoluten Rhyth- 
musgefuhl" genau den „Platz" jedes Bruchteiles im Bahmen des Taktes. Wie wichtig 
die Erreichung dieser Faktoren fiir jeden Musiker sein kann, lafit sich bald erkennen, 
wenn wir die Bhythmik des neuen Musikschaffens verfolgen. Die „Verschiebung" spielt 
da eine durchaus wichtige Rolle, nennen wir nur z. B. Strawinsky, in dessen Bhythmik 
(besonders in den Werken der „mittleren Periode", ungefahr bis 1923) diese Erscheinung 
sozusagen die Hauptrolle spielt; aber auch bei anderen (Bartok, auch Hindemith usw.) 
nimmt sie einen wichtigen Platz ein. Denken wir nur an folgende, durch Verschiebung 
entstandene Bhythmen bei Strawinsky (Notenbeispiele 4) („Les Noces"), oder an 
den umgekehrten Fall, der bei ihm ebenso oft vorkommt: namlich, dafi bei einer auf- 
genommenen rhythmischen Figur, die stereotyp beibehalten wird, das Metrum selbst, 
also das „Koordinatensystem", in dem die rhythmische Figur Platz nimmt, „verschoben" 
wird. (Die meisten Beispiele dafur in „Histoire du Soldat", Notenbeispiel 5). 

Ein heutiger, auf dieser Rhythmik nicht eingestellter und nicht ,,trainierter" 
Musiker wird da krampfhaft zahlen mussen, urn nicht aus den Takt zu kommen, ungefahr 
so, wie ein Anfanger-Instrumentalist im Anfang seines Studiums im einfachsten 4 /4-Stiick 
krampfhaft zahlt, um im Takt zu bleiben. Spater hat er das natiirlich nicht mehr notig? 
da sich das Rhythmusgefuhl schon automatisiert hat: so wird auch derjenige der durch 
das fleifiige und grundliche Studium dieser Verschiebungs- und Betonungs-Ubungen das 
„absolute Bhythmus-Bewufitsein" und die Fahigkeit, sicli auf einmal in zwei verschiedene 
Rhythmus- und Metrum-Systeme einfiihlen zu konnen, sich errungen hat, mit einer 
ganz gelosten Freiheit, ohne zahlen zu mussen (also „gefuhlsmafiig" — im guten Sinne) 
diese Rhythmen, die in modernen Kompositionen so oft vorkommen, leicht spielen 
konnen — was dem ganzen Spielen natiirlich erweise einen ganz anderen Schwung und 
viel grofiere Spannkraft verleihen wird. 

Das andere* grofie padagogische Ziel des Jazz-Unterrichts ist — wie wir schon 
sagten — die Entwicklung einer gewissen improvisatorischen Fahigkeit, dafi diese Impro- 
visations-Kunst keineswegs unerlernbar ist, wie es manche glauben, davon konnen wir 



284 MATYAS SEIBEB 



uns gleich iiberzeugen. Gewifi, die Amerhjaner machen es ganz „unbewufit", also un- 
gefahr so, wie der Zigeuner in Ungarn die Melodie ausschmiickt, umspielt, „nach Gehor" 
„Gegenmelodien" hineinspielt usw., aber wir miissen bedenken, dafi der Amerikaner 
sozusagen inmitten dieser Musik aufwachst. Er hort sie entgegentonen von jeder Strafien- 
ecke, von jedem Laden, von jedem Haus, durch den Lautsprecher, Grammophon oder 
durch die Orcbester selbst; diese Musik spielt in Amerika quasi die Rolle der „Volks- 
musik" und „Popularen Musik", hat ihre Tradition und im engsten Shine des Wortes, 
„sitzt" sie durch das viele Horen jedem Amerikaner „im Blute' - , ohne daU er sie besonders 
lernen miifite. Bei den Europaern stehtxdie Sache aber anders : selbstverstandlich gibt es 
auch Europaer, die infolge eines besonderen Interesses sich derartig in den „Jazz-Stil" 
eingelebt haben, da6 sie die Sache ebenso gut und ebenso „unbewufit" machen konnen 
wie die Amerikaner selbst; die meisten miissen aber die Regel dieser Improvisations- 
Kunst erst bewufit lernen und anwenden, bis diese mit der Zeit und Ubung ganz 
automatisch, also „unbewufit" werden. Selbstverstandlich fordert das Improvisieren beim 
Spieler einige Geschicklichkeit und Begabung und die Qualitat der Improvisation wird 
immer von den psychischen Gegebenheiten des Spielers determiniert sein, jedoch der 
technische, handwerkliche Teil der Improvisation und deren Regel sind sehr einfach 
zusammenzufassen, sind zu unterrichten und zu lernen. Dafi lafit sich sofort einsehen, 
wenn wir einige Jahrhunderte zuriickgreifen und die Analogie der Jazz-Improvisations • 
Technik mit der iihnlichen Spielpraxis des 16. Jahrhunderts entdecken. Wie bekannt, 
wurden in dieser Zeit, ganz wie heute beim Jazz, die Musikstiicke nicht genau so ge- 
spielt, wie sie geschrieben waren, sondern je nach Belieben und Geschmack des Spielers 
ausgeschmuckt und verziert. Dafi dieser Gebrauch auf einer Hochbhite im 16. Jahr- 
hundert stand, zeigen uns eine Reihe aus dieser Zeit erhaltene Lehrbucher und Schulen 
(meistens von italienischen und spanischen Verfassern) die die Anwendung dieser Aus- 
schmuckungen („diminutioni", „glosas") zu systematisieren versuchen. Die wichtigsten 
dieser Denkmaler sind: die Werke von Juan Bermudo ') (fur Klavier), Thomas de 
San eta Maria 2 ) (fur Klavier), Girolamo D i r u t a a ) (fur Klavier), Silvestro di Ganassi 
dal Fontego *) (fiir Flote), Diego Ortiz 5 ) (fur die Viola-Familie), Girolamo dell a 
Casa di Udine 6 ) (fur samtliche Instrumente und Gesang) und Giovanni Luca 

1 ) Juan Bermudo: Declaracion de instrumentos musicales (Ossuna 1555). 

2 ) Thomas de San eta Maria: Arte de tafier fantasia assi para Tecla como para Vihuela . . . etc. 
(Valladolid 1565). 

Siehe iiber diese zwei Werke ausfiihrlicher : „Klavier und Orgel in der Musik des 16. Jahrhundert" 
von Otto Kink eld ey (Leipzig, Breitkopf & Hartel, 1910). 

8 ) Girolamo Diruta: „II transilvano" . Dialogo sopra il vero modo di sonar organi & instrument! 
da penna. (Venetia 1597). 

Siehe daruber ausfuhrliche Abhandlung von Karl Krebs: Girolamo Dirutas „Transilvano". Ein 
Beitrag zur Geschichte des Orgel- und Klavierspiels im 16. Jahrhundert (Vierteljahrsschrift fiir Musikwissen- 
schaft, Vffl. (1892) s. 307 ff.) 

4 ) Silvestro di Ganassi dal Fontego: Opera intitulada Fontegara la quale insegna a sonare 
di flauto . . . etc (Venetia 1535^. 

5 ) Diego Ortiz: Tratado de glosas sobre clausulas y otros generos de puntos en la inusica de 
violones (Roma 1553) Neuausgabe von Max Schneider, Berlin, Liepmanssohn, 1913). 

6 ) Girolamo della Casa di Udine: II vero modo de diminuir, con tutte le sortidi stromenti di 
fiato e corda e di voce humana (Venetia 1584). 



JAZZ ALS ERZIEHUNGSMITTEL 285 

Conforto 1 ) (fur Gesang). Fiir unsere Vergleiche sind vielleicht die von grofiem 
padagogischen und systematischen Sinn zeugenden Beispiele des Diego Ortiz am 
interessantesten. Ortiz bringt im ersten Teil seines Werkes Beispiele fiir die Verzierungen 
(glosas), iiber Kadenzen (clausulas) und andere Notengattungen (otros puntos), ahnlich, 
wie es auch Sancta Maria, Conforto usw. auch tun: er zeigt namlich, wie man bei der 
Verzierung vorgeht, wenn die Melodie eine Secunde, Terz usw. steigt oder fallt (para 
subir y baxar). Dieser Teil ist quasi wie ein Nachschlagebuch zu benutzen, wie es 
Ortiz auch deutlich sagt 2 ): man suche im Bucbe denjenigen Tonschritt, den man ver- 
zieren will, autund setze dann diejenige Verzierung, die man fiir die Stelle am. besten 
halt, statt den einfachen No ten ein. Zu einem ganz ahnlich en Gebrauch sind auch die 
heute schon allgemein verbreiteten „Break-Sammlungen" 3 ) geschrieben, indem der 
Spieler den „Break", den er fiir die fragliche Stelle am besten halt, einfach herausr 
nimmt und im Stiick anwendet. Das soil natiirlich nur ein Hilfsmittel fiir den Anfang 
sein, ebenso heute wie damals (wie Conforto es auch deutlich schreibt 4 ) ; das zu er- 
strebende Endziel war und ist auch, in der Sache solche Ubung zu gewinnen, dafi man 
das Buch nicht mehr notig hat und fahig ist aus dem Stegreif zu spielen. 

Im zweiten Buche seines Werkes zeigt dann Ortiz trnter anderem wie der Viola^ 
spieler vorgehen mufi, wenn er mit Cembalo spielt und iiber ein fertiges, komponiertes 
Stiick Variationen machen will. Das Stiick selbst (vierstimmiger Vokalsatz) wird auf dem 
Cembalo gespielt und der Violaspieler hat zwei Moglichkeiten vor sich : entweder nimmt 
er eine Stimme heraus und verziert diese nach seiner Art, oder spielt er eine neue, 
freie ; Stimme (una quinta voz) hinein. Bei der heutigen Jazz-Improvisation handelt es 
sich lediglich auch nur um diese zwei Moglichkeiten und es entstehen schon ver- 
schiedene bessere oder schlechtere „Anleitungen" fiir die verschiedenen Instrumente, die 
diese zwei Arten von Improvisieren behandeln und dem Spieler beibringen wollen. 
Zum Vergleich soil hier nur ein Beispiel fiir eine freie Stimme-Improvisation von Ortiz 
und von einer heutigen, der Posaune bestimmten Anleitung stehen: (Noten- 
beispiel 7 und 8). 

Sogar der einfache, schlicht-handwerkliche Stil der heutigen Jazz-Anweisungen er- 
innert uns an die Lehrbiicher des 16. Jahrhunderts und zeugt von einem verwandten 

') Giovanni Luca Conforto: Breve et facile maniera d'essercitarsi a far passagi (Roma 1593). 
Neuausgabe : Veroffentlichung der Musikbibliothek Paul Hirsch, Frankfurt a. M., herausgegeben von Jobannes 
Wolf (Berlin 1922, M. Breslauer). 

2 ) ... „quando llegare a donde quiere glosar, yr al libro y buscar aquella rnanera de puntos . . . 
y mire allii todas les diferencias que estan escritas sobre aquellos puntos y tome la que meior le estuviere 
y pongale en lugar delos puntos llanos . . ." Auch ahnlich bei Conforto : „ . . . audate alle simili del 
libretto & di esse recanatane i passaggi segnati . . ." 

3 ) „Break" ist eine fiir den Jazz-Gebrauch sehr charakterische Erscheinung. Es wird darunter eine 
meistens kurze virtuose, rhythmisch interessante Passage gemeint am Ende einer Phrase (meistens dort, wo 
der Mittelteil des ABA-Form zeigenden Stiickes endet und die Harmonik in einem Halbschlufi kulminiert 
— also meistens im 15. und 16. Takt des Mittelteils) ; die ubrigen Instrumente brechen da mit der Melodie 
plotzUch ab und lassen das eine, das den Break ausfuhrt, allein, um in 1 oder 2 Takten mit maschineller 
Genauigkeit wieder einzusetzen, z.B.: (Notenbeispiel 6). 

4 ) ,, . . . in venti 6 poco piu (giorni) essercitandoli si possono, fare, cantando sicuramente in ogni 
libro all improvise'- 



286 MATYAS SEIBER 



Zeitgeist. (Vergleiche damit, was Paul Bernhard in seinem Jazz-Buch ') iiber ahnliche 
,,Herstellung" der Gebrauchs-Musik damals und heute schreibt.) 

Es handelt sich beim Jazz also audi nur um die zwei Arten der Improvisation: ent- 
weder wird die Melodie variiert, verziert, verzerrt, umgespielt („played around") je nach 
den Moglichkeiten des betreffenden Instruments, oder wird eine ganz neue, zum har- 
monischem Geriist passende Melodie dazugespielt. Von der ersten Art, wenn es gleich- 
zeitig von mehreren Instrumenten gespielt wird, konnte sich ebenso eine „heterophone" 
Art des Musizierens herausbilden, wie wir das von der javanisclien Gamelan-Musik, 
chinesischer Theater-Musik, usw. bereits kennen, — was aber beim Jazz bisher nicht 
geschehen ist, obzwar Ansatze dafiir manchmal zu beobachten waren. Die zweite Art. 
namlich eine neue Melodie hinzuspielen ist im wesentlichen viel primitiver, als die ent- 
sprechende Technik des 16. Jahrhunderts ; gegeniiber der damaligen linear-melodischen 
Haltung der neuen Stimme, handelt es sich hier meistens um auf gebrochenen Akkorden 
basierenden Passagen, mit einigen harmoniefremden Tonen („Chord Embellishments") ge- 
schmiickt. Die meistgebrauchten unter diesen „Chord Embellishments" sind: die „Gliss 
notes" (untere chroma tische Wechselnote), „Wierd notes" (obere chromatische Wechsel- 
note) „Raised notes" (obere diatonische Wechselnote) usw. Charakteristisch und neu ist 
aber die Benutzung der sogen. „Blue notes" (von der „blauen" Stimmung (auch im 
„Blues"), die sie ausdriicken sollen) : diese sind in einem Dur-Dreiklang, als harmonisches 
Fundament, die kleine Septime und kleine Terz hineingespielt. Durch die erstere ent- 
steht also ein „Dominantseptakkord" — (ohne aber eine Modulation nach den Sub- 
dominante zu bewirken ! — ), durch die zweite der durch die Impressionisten bevor- 
zugte Akkord mit der Dur-Terz (unten) und der Moll-Terz (oben) zugleich. Den 
Schiiler auf den Gebrauch der einzelnen harmonischen und harmoniefremden Tonen 
systematisch hinzuweisen, ist dann Aufgabe des Jazz-Unterrichts. 

So eine wichtige Zeiterscheinung, wie es der Jazz heute ist, bewegt naturlich die 
Gemiiter mit voller Kraft ihrer Aktualitat und reifit diese in das eine, jene in das 
andere Extrem; aber man mufi die Objektivitat auch gegeniiber dem Jazz bewahren: 
ebenso, wie es iibertrieben ware, auf die alleinseligmachende Wirkung des Jazz zu 
schworen, ware es ein grofier Fehler und Unrecht, ihm die vielen guten Wirkungen und 
Anregungen, die er ausubt, abstreiten zu wollen. Denn was haben wir dem Jazz zu 
verdanken? Eine neue Definition und einen neuen Teil der Rhythmik, der bisher un- 
beachtet und unbekannt war, und die Wiederbelebung einer Praxis, die uns seit Jahr- 
hunderten verloren gegangen war und jetzt durch den Jazz ihre Auferstehung erlebt. 
Und wenn man das alles iiberlegt, mufi man, glaube ich, auf die im Anfang aufgestellten 
Fragen mit „Ja" antworten. 



*) Paul Bernhard: Jazz, Eine musikalische Zeitfrage. ^Delphin-Verlag, Munchen, 1927) Seite 76. 



GRUNDLAGEN DER BEURTEILUNG 287 

WISSENS CH AFT 

Erich Doflein (Freiburg i. Br.) 

UBER GRUNDLAGEN DER BEURTEILUNG GEGEN- 
WIRTIGER MUSIK *)' 

(Kritik und Gemeinschaft. Kritik der Kritik.) 

1. 

Man erkemit, dafi die Frage nacli dem Sinn ernes neuen Musikwerkes immer 
gewichtiger iiber dessen Wert entscheidet. Das naive Schon-Finden mufi als Form 
des strengen Werturteils zuruckgestellt werden; es ist kein Urteil von Gewicht mehr, 
da es der bequenien, gewohnten Horeinstellung entspringt, die das Geniefien ganz selbst- 
verstandlich dem Erlebnis und der Idee einer tieferen Fesselung vorzieht. Geandert 
und gesteigert haben sich fiir uns gegenuber der Tradition der Romantik zwei wesent- 
liche Grundlagen der Kunst : der Anspruch auf Gemeinsamkeit unter Menschen in ihrer 
Beziehung zum Kunstwerk und die Idee von Graden und Formen dieser Gemeinsam- 
keit, beginnend beim „Gebrauch" und steigend bis zur Idee der Gemeinschaft. 

Die Moglichkeiten und Variationen der Gesellschaftsordnung geniigen als mensch- 
licher Hintergrund der Musik nicht mehr, entsprechen in keiner Weise mehr der heutigen 
Lage. Denn eine grundlichere Gemeinschaft von Menschen ist auf der Basis des nur 
gemeinsamen Schon-Findens im „freien asthetischen Wohlgefallen" nicht moglich; dieses 
aber bestimmt notwendig das Werturteil der „Gesellschaft". 

Mit diesen Anderungen in den Grundlagen der Werturteile anderte sich selbst- 
verstandlich audi der Begriff vom „Sinn", anderte sich ebenso audi die Form des 
Urteilens selbst. 

Sinnvoll ist ein Werk nicht mehr, das wie eine einsame Insel entdeckt werden 
kann (oder audi nicht), und trotzdem „ist" ; ein Werk, das irgendwo in einem Schreib- 
tisch ruht und hierdurcli im strengen Sinn als einsame Vollendung durchaus sein sach- 
liches Dasein erfiillt, seinem Begriffe geniigt und ,,irgendwie schon einen Sinn" hat. 
Diese ideelle sinnlose Sinnhaftigkeit, dieser Sinn, der sich schon darin erfiillt, dafi das 
Werk nur geschrieben, nur geschaffen zu werden brauchte, war Prinzip einer Einstellung, 
die das Kunstleriscbe als Selbstzweck fassen durfte und ein eigenes Gebiet, ein System 
der „subjektiven Allgemeingultigkeit" aus der Kunst machte. Dieser Art des „Sinnes' ? > 
und dieser Art der Giiltigkeit entsprach die Form des Urteils iiber Kunst und Werk,' 
das „frei" war und Wohlgefallen wie Geschmack als gesicherte Prinzipien voraussetzte, 
Zugleich w^ar ein solches Urteil notwendig immer das Urteil eines „Einzelnen", der sich 
der asthetischen Geltung, dem kunstlerischen Wert gegenuber, aufierordentliche Bechte 
in der Beurteilung zuerkennen durfte. 

Die Forderung einer' Bindung in den Gebrauch oder in die Idee einer Gemein- 
schaft andert den Begriff des „Sinns" ganz grundsatzlich ; seine eben genannten Momente 

2 ) Der vorliegende Aufsatz kniipft an die Gedanken des Aufsatzea: „Ende oder Umformung der 
Kritik?" an, der im vorletzten Heft zum Abdruck kam. 



288 ERICH DOFLEIN 



zerfallen. Der Konzertsaal ist heute weder ein Ort des Gebrauchs, noch eine Represen- 
tation von Gemeinschaft, und er war beides in fruherer Zeit auch nur in gewissem 
Mafie. Ein, im Hinblick auf den Konzertsaal, auf eine vielleicht einmal mogliche Auf- 
fiihrung komponiertes Werk realisiert wie der ganze geistige Stil der Romantik einen 
idealistischen Selbstzweck. Dieser idealistische Selbstzweck als hochster Ausdruck des 
„Sinns" lost sich heute mit der Umlagerung des „Sinns" auf, tritt seine Funktion an 
die Forderung einer realeren Notwendigkeit ab. Diese Notwendigkeit aber mufi auf 
einer Sicherung ruhen; sie ist nur „Notwendigkeit" durch eilie Sicherung bestimmter 
Art. Diese Sicherung nun liegt in der Zugehorigkeit eines musikalischen Werkes zu 
einem bestimmten Bezirk des menschlichen Lebens, der sich von den zahlreichen anderen 
musikbezogenen Bezirken dieses Lebens jeweils scharf abgrenzt. Friiher waren dies 
Tanz, Abendunterhaltung von Volk und Adel in Stube und Schlofi, war es die Kirch e. 
Heute werden es wieder ahnliche und doch durchaus andere Bereiche sein : Tanz, Kino, 
Cafe, Musizieren in Schule und Haus, das Kammermusikkonzert und die Kammerbuhne 
fur ausgesprochene Kenner und Freunde, die Ausstattungs-Sinfonik und die Revue-Oper 
fiir Massenhorer und die isolierte Kultmusik einzehier Sonder-Gemeinschaften. Viel 
weniger eine soziale, als eine intellektuelle Schichtung bestimmt hier die Spaltung der 
Menschen wie auch die Spaltung im einzelnen Menschen selbst, die die einzelnen 
Bereiche fiir die Musik scliafft. Die lebendige Kraft soldier verschiedener Lebensbezhke 
strahlt in ihre jeweilige Musik ein und gibt dieser die fiir den reflektierenden Horer so 
geheimnisvolle Sinnerfiilltheit, die wir aus alter Musik heraushoren; gibt ihr fiir den 
naiven Horer jener die zweifelsfreie Selbstverstandlidikeit, die erst eigentliche Lebendigkeit 
und Kultur ausmacht, scliafft die Fornien der Kunst als eindeutige Typen, (worin eine 
Starke liegt; der Roman tiker hatte hier von einer „Schwache" gesprochen!), ermoglicht 
eine langsame Riickeroberung des vargesseneii Sinnes der Form, der lebendigen Form- 
Erwartung. Das iibertriebene Espressivo, d. h. der Ersatz dieser sinnvollen Begriindung 
aufierhalb der Musik durch den Ausdruck mid die Intensitat in der Musik selbst, mufi 
hier hinfallig werden. Die „Sachlichkeit", auch als Moment des Ausdmckes, ergibt sich 
oline Programm von selbst. 

Die Form des Beurteilens andert sich entsprediend. Das Urteil kann nicht mehr 
das eines Einzelnen sein; es ist nicht mehr prinzipiell Einzelurteil und nicht mehr in 
erster Hinsicht asthetisch, d. h. durch Wohlgefallen und Geschmack im isolierenden 
Genufi bestimmt. Es mufi naive Entscheidung sein, Entscheidung iiber den „Sinn", 
iiber das Hingehoren an eine Stelle des Gebrauches und iiber die Erfiillung des Sinns, 
d. h. Urteil iiber die Art, in der ein Werk den Erfordernissen jener seiner Stelle des 
Gebrauchs entspricht, ein Urteil iiber die Brauchbarkeit schlechthin. Dafi dieses Beur- 
teilen nicht mehr Aufgabe eines Einzelnen sein kann, ergibt sich somit als Folge dieser 
Einordnung in den Gebrauch, dieser anderen Sinn-Grundlage ; das Recht zu einem an- 
mafienden Gericht von Seiten eines Einzelnen ist ersetzt durch die Moglichkeit einer 
Selbstrechtfertigung, die das Werk im Bereich seiner Zugehorigkeit, seines Gebraucht- 
Werdens leisten und bestehen wird. Das Sich-Durchsetzen eines Werkes im Konzert- 
saal ruhte nicht auf dieser lebendigen Rechtfertigung. Gerade in letzter Zeit wurde 
hier immer mehr die Zufalligkeit des Erfolgs als eine Folge der Beurteilung durch 
Einzelne peinlich erkennbar. 



GRUNDLAGEN DER REURTEILUNG 289 

Nicht unbedingt schaltet sich hierbei die Mflglichkeit einer offiziellen „Kritik'' 
(durdi Einzelne) aus. Nur die Grundlagen und Bechte sind andere. Romantische 
Musikiibung im weitesten Sinn stand unter dem einheitlichen Zeichen einer Idee von 
Musik. Die Spaltung und Abwandlung dieser Idee gemafi der Vielfaltigkeit des Gebrauchs 
zwingt den Kritiker nunmehr zu einer Abwertung in konsequenter Bezugnahme auf 
diese Vielfalt der Zwecke; die einlieitliche Idee, die immer gleiche Erwartung von 
Musik als Mafistab der Beurteilung wird und mufi versagen. Die Abwertung der Zwecke, 
besonders aber der Kampf gegen ein Erstarren im Zweck und ein Lassigwerden im 
Gebrauch, die Erkenntnis der jeweiligen „Brauchbarkeit", dies werden die neuen, die 
zum Teil prinzipiell neuen Aufgaben der Kritik sein, deren einseitige Einstellung auf 
asthetische Gradmessung hier vollig sinnlos wird. Viel weniger die Personlichkeit des 
Komponisten, als die jeweils besondere, rein musikalische und tecbnische Faktur der 
Werke und ihre geistige Einordnung in unser Leben mussen auf diese Weise Gegen- 
stand der Kritik werden. — So ist aucb „neue Sachlichkeit" in den Formen des 
Beurleilens moglich. Die Voraussetzung zu dieser Sachlichkeit mufi allerdings in einer 
Sicherung der „Sache*' selbst gegeben sein. in einer Ordnung der Sache, d. h. im Bewufit- 
sein der Vielfalt und Verschiedenheit der Gebrauchsorte fur Musik also, in einem 
lebendigen System von Gegensatzen und Eigengesetzen. Die romantische Musik konnte 
keine „Sache" kennen; sie deutete den Menschen utid diente dadurch der Kunst selbst. 
Sachlichkeit ist erst in der geordneten Mannigfaltigkeit des Gebrauchs, in der Deutung 
der Kunst im Dienst am Menschen moglich; erst dann ist sie als „Haltung" auch keine 
asthetische Laune mehr, sondern eine ernste und warme Kraft. 



Solche Betrachtungen sind jedoch nur Ausblidce in mogliche Ergebnisse unserer 
Zeit, sind Feststellung von prinzipieUen Momenten, die den Veranderungen an der 
Oberflache zu Grunde liegen; sie sollen der Mitarbeit an einer notwendigen Klarung 
dienen. Daft in soldier Kiirze nur Andeutungen gegeben werden konnen, ist selbst- 
verstandlich. 

Es ist sicherlich das eigentliche Musikproblem unserer Tage, das hier umzeichnet 
wurde: die Scheidung und Schichtung in Zweck- und Gebrauchsstile. Die Aufgabe 
einer klarenden Arbeit ist es folglich, diese Vielfalt, die der unendlichen Gespaltenheit 
des modernen Lebens und der Spaltung einer heutigen Einzelindividualitat entspricht, 
in einer sinnvollen Ordnung zu sehen, als Schichtung zu verstehen, als Gliederung 
selbstverstiindlich zu machen und als kulturelle und soziale Stilbasis unserer Zeit zu 
begreifen und zu festigen. Das Baden-Badener Musikfest iin letzten Sommer hatte 
dieses Problem gestellt und an der Klarung dieser Lage zu arbeiten begonnen. Jugend- 
musik (Gemeinschaftsmusik), medianische Musik, Film-Musik und Kammer-Oper sind 
Formen einer Gebraudismusik, von sehr verschiedener Bedeutung allerdings, aber 
gleichermafien der Einheitsidee des Konzertsaals und dessen spezifischer Form von 
ideeller, selbstgewifier und selbstgeniigsamer Zweckhaftigkeit entruckt. Und ein Komponist 
wie Paul Hindemith lebt dieses Problem. Er gestaltet nebeneinander fur jedes dieser 
Zweckgebiete. Sein enormes Talent: das jeweils zur Sache Passende an Ausdruck 
Mitteln und Form schlagkraftig bereit zu haben, macht ihn zu dem aktuellen Musiker 



290 ERICH DOFLEIN 



schlechthin. Auf „Zukunft" der einzelnen "Werke komrat es hierbei garnicht an; der 
„Siiin", d. h. die Stelle an die ein Werk hingehort, entscheidet vorerst iiber dessen 
Gewicht. Erst viel spater werden wir wieder von Zukunft und Personlichkeit wertend 
spreclien konnen. 

Diese Einstellung auf Gebrauch und Gebraucbsstile ist das eigentliche, den Bereicli 
der Schlagworte viberwindende Ergebnis der „Neuen Sachlichkeit". Die nahere Ver- 
bindung der Musik mit dem Menschen mid der Menschen untereinander in ihrer Be- 
ziehung zu einer Musik, eine menschliche Losung also ergab sich. aus der Idee der 
Sacblichkeit. Verschiedene Grade der „ Genie ins ch a ftlichke it " sind es, die sich hier 
in dieser menschlichen Losung auswirken und mit ihren verschiedenen Fornien die nicht 
mehr „gesellschaftliche" Basis des [Vlusiklebens bestininien. Den aufiersten Grad dieser 
verschiedenen Formen der Aneinaiiderbiiidung von Musik und Menschen stellt die 
Gemeinschaftsiiiusik dar, die als leitende Idee selbstandig macht, was auf den geiiannten 
anderen Gebieten nur als ein treibendes Moment in den stilwandelnden Kraften mitwirkt. 
Ein Anfangsgrad soldier Auswirkung des Drangs zum Gemeinschaftlichen wiirde etwa 
andererseits in der Forderung eines „aktiven" Horens fur die Erfassung polyrythmischer 
Gebilde moderner Kammermusik zu erkennen sein. 

Alle wesentlich erneuernden Tendenzen, die sich gegen die Stilhaltung der gesell- 
schaftlichen Musik des vorigen Jahrhunderts richten, sanimeln sich in diesen Aus- 
wirkungen der Gemeinschaftsidee, weim diese sich audi nur in sehr verschiedenen 
Graden durchsetzt. Die Uberwindung der Isolierung im Erleben und der Idee der 
Einzigkeit, die Uberwindung der Bechte und der positiven Bewertung der Isolierung 
bestimmt die allgemeine Ziehichtung. Sei es nun die Masse, die Gemeinschaft, oder die 
Gemeinde, die sich in der Stellung zur Kunst um eine neue Tradition bemuhen, alles 
sind verschiedene Fornien einer neuen Zusammengehorigkeit von Menschen, die der 
Gesellschaft entgegengesetzt sind. 

Hiervon war am Anfang dieser Ausfuhrung schon die Bede. Dort wurde auch im 
Hinblick auf eine These Kants, der bei der Bestimmung der asthetischen Geltung das 
asthetische Urteil als Einzelurteil fixiert hat, von der asthetischen Beurteilung durch den 
Einzelnen (die als asthetische prinzipiell durch einen Einzelnen ei-folgt) gesprochen. Es 
wurde nicht verkannt, dafi die Bestimmung Kants einen transzendentalen Sinn, d. h. 
eine methodentheoretische Bedeutung hat und keine empirische Definition sein will. 
Aber hierin liegt ja gerade der Unterschied gegen die heute mogliche Einstellung. Er- 
lebnis der Musik ist nicht mehr als mogliche Form einer spezifisch „methodischen" Ein- 
stellung moglich, nicht mehr als in sich isolierte, asthetische Haltung denkbar. Der 
erlebende „Vollzug" also, die psychologische Seite der asthetischen Geltung, die sachlich 
zu ihr gehort und jene notwendige Vereinzelung bestimmt, hat durch das Moment der 
Gemeinschaftlichkeit und die Forderung einer gesteigerten „Aktivitat" des Horens einen 
neuen Sinn erhalten; einen neuen Sinn, der zugleich die Entfernung von den metho- 
dischen Rechten des Asthetischen bestimmt; ist ja doch auch die Idee des „Selbstzwecks", 
d. h. die Wertigkeit „ohne BegrifF" (Kant) durch den Bezug auf die einzelnen Zweck- 
gebiete und die begriffliche Erfafibarkeit der Gliederung dieser Zweckgebiete relativ auf- 
gelost. Dies sollte hier jedoch nur angedeutet werden. Die Verfolgung einer Frage 
dieser Art mufi dem Spezialisten iiberlassen bleiben. 



GRUNDLAGEN DER BEURTE1LUNG 



291 



H 



Diesev Anderung der asthetischen Urteilsform entsprechend, andert sich auch die 
Bedeutung eines anderen prinzipiellen Gesichtpunkts von dem in diesem Zusammen- 
hang ebenfalls ausfiihrlicher die Rede war. Die Erkenntnis der verschiedenen Formen, 
Spaltungen und Zwecke der Musik lafit die Idee der „Einheit" der Musik, die Idee einer 
einzigen Musik ganz in den Hintergrund treten; der Begriff der Musik verdunkelt sich 
bei der Erkenntnis von der Vielzahl der Formen seiner Verwirklichung. Es scheint, 
dafi Musik als Begriff immer nur im Rahmen eines Stiles fafilich ist, dafi nur vom 
lebendigen Boden eines gelebten Stiles aus der Begriff der Musik — und dann also 
notwendig einseitig — formuliert werden kann. Wir aber seben heute die Vielzahl 
dieser Stile selbst beim Blick in die Vergangenheit; zugleich sind wir im Begriff jeweilige 
Zweckformen der Musik in der Gegenwart stilistisch von einander zu trennen; der 
Gedanke der Einheit mufi sich also ganz anders und neu darstellen-, selbst die Bestim- 
mungen der Kantischen Philosophic, die mit der Festlegung der Form einer Begriffs- 
fassung im Bereich des Kiinstlerischen dessen Seinsform und folglich auch dessen Einheit 
und Einzigkeit fixieren wollten, zeigen sich als stilbedingt, zeigen sich durch die Ein- 
steUung auf das prinzipiell einmalige asthetische Urteil (im Vollzug durch einen „Ein- 
zelnen") als Theorie einer bestimmten, schon spezialisierten Einstellung auf Kunst ; einer 
Einstellung, die spater zu jener Haltung geworden ist, die wir im weitesten Sinne als 
„Romantik" bezeichnen und deren Tendenz zur Auflosung aller Momente einer — viber 
das individuelle hinausgehenden — Gemeinschaftseinstellung heute wieder durch eine 
langsam beginnende Gegenbewegung Halt geboten werden soil. Es wird und mufi sich 
also mit dem Fortschritt einer Ordnung im Bewufitsein von den Wesensspaltungen und 
Stilschichtungen der Musik die Moglichkeit ergeben, die Einzigkeit und Einheit der 
Musik als Idee neu zu fassen, erweitert von einer Theorie des asthetischen Urteils als 
Ausgangspunkt auf eine allgemeine Theorie von der Gestalt und den Wandlungen ihres 
Begriffs und ihrer Zweckart im AVechsel der Stile. Allerdings wird sich solche Erfassung 
in ihren Grundlagen dann grundsatzlich von der heute iiblichen Phrase unterscheiden, 
die verkiiiidet: es gibt keine alte und keine neue Musik, es darf keiiae hohere oder 
niedere Stilform geben, es gibt nur eine einzige Kunst der Musik. Solche Einstellung 
ist kleinburgerlich gewordene romantische Stilbefangenheit, Befangenheit im Abklang 
eines Stils, dessen grofie Idee allerdings einmal die Verwirklichung der Einheit der 
Musik in Werk und Darstellung gewesen war. Der Mensch des 19. Jahrhunderts, fiir 
den — im Anschlufi an Kant — zuerst einmal die Moglichkeiten des Geistes als 
einzelne „Verniogen" im Tranzendentalen, methodischen Sinne auseinander traten und in 
ihrer Wechselbezogenheit erkenntlich wurden, dem dann aber in steigender Differenzierung 
diese „Vermogen" der Seele sich in psychologische Potenzen auflosten, die immer mehr 
von einander getrennt fafibar waren, dieser Mensch wollte in seiner Musik all diese 
getrennten Bereiche seines „Ich" wieder zusammenschmelzen: das Asthetische mit dem 
Beligiosen, die Erkenntnis mit dem Ethos, die Musik als „Sprache" mit der Psychologie, 
die Deutung des Menschen mit der Selbstanalyse seiner Nervositat; Ethos aus dieser 
Analyse gestaltend, aus dem Ethos Erkenntnis und Beligiositjit ableitend, alle Momente 
zusammenfassend in der einsamen Form des Asthetischen. Die neue, die sachliche 
Musik versucht all diese Momente wieder auseinanderzulegen, in ihre Eigengebiete zu 
verweisen, die Schichten trennend und folglich auch das eigentlich Asthetische, den 



292 MELOSKRITIK 



Selbstzweck auflosend. Der Mensch aber, der dies mit seiner neuen Musik versuclit, 
versucht audi andererseits — im Gegensatz zum 19. Jahrhundert — in seinem „Lebens- 
gefuhl" unabhangig von der Kunst die getrennten „Vermogen" sowohl, wie auch seine 
psychologischen Potenzen wieder zu organischer Einheit znsammen zu fassen (die Trennung 
der Gebiete den Saclien selbst iiberlassend) ; er versucht dies in alien Bereichen; man 
denke an den theoretischen Philosoph, der das „Icb" als „Monade" organisch zu gliedern 
sucht, oder vielleicbt an einen Ideentrager der Jugendbewegung, der die organische 
Einheit in der Tat seines Lebens selbst bewaltigen will. — Dafi tibrigens auch jene 
psychologisch-asthetischen und metaphysisclien Theorien von der Musik, die die Ein- 
stellung Kants iiberwunden zu haben glaubten, in naivster Form einen einheitlichen 
Begriff von der Musik gemafi dem Stil ihrer Zeit vorausgesetzt haben, soil — fur die 
Mehrzahl jener Theorien geltend — hier nur erwahnt werden. 

Aber auch die Verfolgung solcher Gedanken mufi spezialerer Facharbeit iiberlassen 
bleiberi. Besser als solche Abgrenzung gegen Vergangenes ware es jedoch, vorerst 
aus der Lebendigkeit der heutigen Problemlage heraus, d. h. a us dem BewuGtsein 
jener Schichten und Spaltungen heraus, ganz neu, ohne theotorischen Btickblick und 
Besinnungen imd Bestimmungen zu beginnen. Einen aufierst fruchtbaren Versuch der 
theoretischen Besinnung von diesem Ausgangspunkt aus hat schon Heinrich Besseler 
unternommen, dessen Aufsatze ] ) uber asthetische Probleme, von der hier analysierten 
neuen Sinn-Haltung ausgehen und dem Verfasser dieser Zeilen die entscheidendsten 
Anregungen gegeben haben. 

Aber nicht nur in der Wissenschaft, sondern gerade in dem offentlichen Musik- 
Beurteilen des Alltags miissen die hier besprochenen Wandlungen berticksichtigt werden.' 
Es ist wirklich ebenso sinnlos, selbstgewifi von Tag zu Tag weiter zu kritisieren, ohne die 
grundsatzlichen Anderungen in der Ziel- und Ideesetzung zu beriicksichtigen, weil es sinn- 
los ist, ohne standig Umschau zu halten „fur sich" weiter zu komponieren, in der Meinung, 
durch Einsamkeit dieser unmutigen Art noch ein Recht auf Ewigkeit erobern zu konnen. 

MELOSKRITIK 

Die neue, hier augestrebte Form der Kritik beraht darauf, dafi 
sie von mehreren ausgeiibt wird. Dadurch soil ihre Wertung von 
alien Zufalligkeiten und Hemmungen abgelost werden, denen der 
Einzelne ausgesetzt ist. Langsam gewonnene, gemeinsame Formu- 
lierung, aus gleicher Gesinnung entstanden, erstrebt einen hoheren 
Grad von Verbindlichkeit. So ist jede der vorgelegten Besprech- 
ungen ein Produkt gemeinsamer Arbeit der vier Unterzeichneten. 

W erkb e spr e ch ung 

PAUL H1NDEMITH: CARDILLAC 

Anderthalb Jahre nach der Dresdener Urauffuhrung bringt die Berliner Staatsoper 
unter Klemperers Leilung den „Cardillac" von Paid Hindemith heraus. In diesen 

*) H. Besseler: Grundfragen der Musikasthetik, Pctersjahrbuch fiir 1926; fufiend auf einein Aufsatz 
„Grundf'ragen des musikalischen Horens" Petersjahrbuch fiir 1925. 



HINDEMITH: CARDILLAC 293 



anderthalb Jahren ist die Oper uber etwa funfundzwanzig Biihiien gegangen. Diese 
Zahl bezeiclmet keinen Sensationserfolg sondern die immer zunehmende Wertung eines 
Werkes, das durcli sein inneres Gewicht und seine Konsequenz einen damals vollig 
neuen Operntypus aufstellte. Es hat sich herausgestellt, dafi dieses in seiner Faktur 
komplizierte Werk, gerade an mittleren und kleineren Buhnen, die nicht mehr durch 
Wagnersche Spieltradition belastet sind, bei weniger voreingenommenen Horern starke 
Wirkung hatte. Der Gesamteindruck des Werkes hat sich, unterstiitzt durch die gegen- 
wartige Situation der Oper uberhaupt, inzwischen soweit geklart, dafi es in seinen 
stilistischen und entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhangen deutlicher vor uns liegt. 
Zugleich lassen sich die Fehlerquellen der Mifiverstandnisse erkennen, die sowohl durch 
stilistisch verfehlte Auffuhrungen wie auch durch die von falschen Voraussetzungen aus- 
gehenden Einwande der zunftigen Kritik entstanden. 

Sie schienen einem Stoff gegeniiber berechtigt, der nicht nur im MUieu sondern 
vor allem in der Anlage einer auf Spannungsdramatik gerichteten Handlung noch ganz 
auf dem Boden der Bomantik steht. Denn dieser Goldschmied Cardillac, der, von 
dem Fluch getrieben, das von ihm Geschaffene wieder zu besitzen, die Kaufer seiner 
Kunstwerke ermordet, ist der typische Held des romantischen Erlosungsdramas im Sinne 
Marschners und Wagners. Doch treten schon in der Gestaltung dieses StofFes selbst 
Momente hervor, die sich von der Logik des Musikdramas aus nicht mehr begreifen 
lassen. Die Art, wie im ersten Akt Personen als' Trager der Handlung eingefuhrt 
werden und spater einfach verschwinden, deutet ein Prinzip an, das bereits in einigem 
Widerspruch zum Stoff steht. Wesentlicher aber ist die sti - eng formale Anlage des 
Buches, die den Stoff in geschlossene Einzelszenen gliedert und, ihn so aus der Begion 
des Musikdramas wegruckend, zum Textbuch einer von musikalischen Formgesetzen 
diktierten Nummernoper macht. 

So begegnen wir Begriffen wie Arie, Duett, Chor, Szene und Quartett, Wechsel- 
gesang (Passacaglia). Die Art, wie die Oper durch je eine grofie Chorszene eingeleitet 
und geschlossen, wie der zweite Akt durch die beiden Arien des Cardillac eingerahmt 
wird, wie bewegte und ruhige Stiicke sich ausgleichen, bezeugt den arcliitektonischen 
Plan, der die Gesamtanlage bestimmt. 



Diese Gesamtanlage in geschlossenen Einzelformen entspricht dem ganz auf die 
Musik gerichteten FormwiHen Hindemiths, der sich in Instrumentalwerken von polyphon- 
konzertanter Haltung individuell gefestigt hatte. Dieser polyphon-konzertante Std be- 
herrscht auch die Partitur des „Cardillac". Die nach rein musikalischen Gesetzen 
gestaltete Oper gelangt gleichwohl zu dramatischen Wh'kungen. Musik und Drama 
stehen hier in einem neuen Verhaltnis : die Musik saugt die dramatischen Inhalte ein 
und hebt sie auf eine hohere Ebene. Was sie ihnen an unmittelbarer Aktualitat ent- 
zieht, gibt sie ihnen an Intensitat und Konzentration. 

Den Einzelformen fehlt die durchlaufende musikalische Gharakteristik, fehlt fast 
jede dramatisch-psychologische Entwicldung im Sinne des Musikdramas. Sie umreifit 
v elmehr gleich in ihren ersten Takten eindeutig Situation und Personen und beharrt, 



294 



MELOSKRITIK 



das thematische Material manchmal konzertant durchfiihrend, in der einmal gegebenen 
Grundlage. Demgemafi fehlen auch die groGen musikdramatisclien Steigerungen und 
Hohepunkte. Durch diesen Verziclit auf jede handgreifliche Dramatik ergab sich bei 
schiefer Einstellung den Eindruck des Undramatischen. 

In Wahrheit aber werden hier durch die Eigengesetzlichkeit der Musik Krafte aus- 
gelost, an denen das Musikdrama meist voriibergeht. Diese Krafte sind nicht subjektiv- 
psychologische sondern objektiv-musikalisclie. Das einmal festgesetzte Thema wird in 
mannigfaltigster Art und immer in einer tiefer liegenden Beziehung zur Szene, doch nur 
mit musikalischen Mitteln, abgewandelt. Zu diesen Mitteln zahlt das ostinate Motiv, die 
unisone Linie, reine zwei- und dreistimmige Polyphonie. Die Melodik meidet das Es- 
pressivo, sie ist eher spannungsarm und kurzatmig als affektvoll ausladend, sie ergeht 
sich nicht in grofien Intervallen, sondern bevorzugt eine herbe Diatonik. Die Folgen: 
eine konstruktive Melodiefiihrung, die zwangsliiufig auch die Polyphonie bestimmt. 
(Notenbeispiel 1). ] ) 

Es ist bezeichnend, dafi dies das Thema eines Fugato ist, zu dem die Tochter 
spater den unterlegten Text singt. Wie sahe diese Stelle in einem Musikdrama aus! 
Die Musik objektiviert hier den seelischen Gehalt und driickt ihn zugleich voll aus 
In diesem Grad der Stilisierung liegt ein wesentliches Merkmal der Oper. Das Beispiel 
belegt ferner, dafi die Singstimme weniger nach ihren dynamischen und klanglichen 
Moglichkeiten verwendet ist, sondern sich vielmehr als gleichberechtigten Faktor 
in den instrumentalen Satz eingliedert. Trotz solcher Stilisierung vermag sie 
doch die AfTektspannung der jeweiligen Situation zu halten. Die Erregung des Gold- 
handlers, als er in Cardillac den langgesucliten Morder entdeckt, ist in der zackigen, 
rhythmisch verschobenen und doch konstruktiv gebundenen Melodik eingefangen. 
(Notenbeispiel 2). 

Freilich ist dieses dramatische Gestaltungsprinzip ohne jede Starrheit und durch- 
aus nicht immer konsequent durchgefiihrt. Die arios-schwellende Gesangslinie in der 
zweiten Arie des Cardillac gemahnt noch an die Geste des romantischen Musikdramas. 
(Notenbeispiel 3). 

An anderen Stellen werden derartig exponierte Singstimmen meist durch kon- 
struktive Orchesterthematik paralysiert. 

Auch das Kolorit entspricht mit absoluter Folgerichtigkeit dem dramatischen Ge- 
staltungswillen Hindemiths. Es verzichtet auf sinnliche Reizwirkungen und gewinnt 
aus der vorwiegend festgehaltenen Dreistimmigkeit eine klare und harte Farbgebung. 
Daraus erklart sich die Ausschaltung aller Fullstimmen und rein koloristischen Effekte. 
Ahnlich wie die Thematik festgehalten wird, bleibt das einmal gewonnene Klangbild 
innerhalb einer Szene ohne Differenzierung und gelangt hochstens zu registrierenden 
Verstarkungen und Abschwacliungen. Die Farbverteilung selbst charakterisiert indivi- 
duell die Situation der einzelnen Szenen. Besonders Schlagzeug und Blaser erhalten 
neue Selbstandigkeit und ein neues Gewicht, wahrend der Eigenwert und die Sinnlich- 
keit des Streicherklangs entkraftet sind. 

Durch alle diese Merkmale erweist sich Hindemiths „Cardillac" als ein wesentlicher 
Wegstein in der Entwicklung der jiingsten Oper. Die Verwirklichung dieses Typus der 

1 ) Siehe Notenbeilage. 



DIE ROLLE DER MUSIK IM RUNDFUNK 295 

reinen Musikoper mufi als eine um so grofiere schopferische Leistung gewertet werden, 
als es Hindemith gelang, sie an einem so kontraren, eigentlich in eine ganz andere 
Richtung weisenden Stoff zu gewinnen. Dabei bedeutet aber der Begriff „Musikoper" 
keine Zerstorung sondern eine Sublimierung des Dramatischen. 

Hans Mersmann, Hans S chultze-Ritter, 
Heinrich St rob el und Lothar Windsperger 



RUNDFUNK 

Hanns Gut man (Berlin) 

DIE ROLLE DER MUSIK IM RUNDFUNK 

„Es gibt auch noch andere Reschaftigungen als Musik" 
Der Rektor der Universitat Gottingen. 

Es mufi einmal von dem gesproclien werden, was man mit einem unfreundlichen, 
aber zutreffenden Wort Musikpest nennen konnte. Dieser Ausdruck, dessen ich mich 
da so schamlos bediene, ist durchaus nicht neu, niemand darf ihn als Zeichen zeitge- 
nossischer Kulturschande anprangern und sagen, eine solcbe Gemeinheit sei in der guten, 
alten Zeit doch nicht denkbar gewesen. Denn der Kritiker Eduard Hanslick, allerdings 
ein Mann von einer verdachtigen Helligkeit des Verstandes, hat schon im Jahre 1900 
einen Artikel geschrieben mit dem ergotzlichen Titel „Gemeine, schadliche und gemein- 
schadliche Klavierspielerei" und da heifit es: „Ich glaube alien Ernstes, dafi unter den 
hunderterlei Gerauschen und Mifiklangen, welche tagiiber das Ohr des Grofistadters zer- 
martern und vorzeitig abstumpfen, diese musikalische Folter die aufreibendste ist" und 
weiterhin: „Ich halte die herrschende Seuche fiir unheilbar und glaube, dafi wir nur 
mittelbar, auf weiten asthetischen und padagogischen Umwegen dahin gelangen konnen, 
ihren verheerenden Fortgang allmahlich einzudammen". Guter Professor Hanslick, Sie 
haben das schon vor dreifiig Jahren empfunden und ihre Bedenken zu formulieren 
gewagt und haben doch nur das Klavier gemeint, sogar nur das manuell betriebene, 
an das elektrische haben Sie nicht gedacht, auch nicht an Grammophon und Radio, weil 
Sie das alles garnicht kannten. Aber wenn Sie damals, um Ihren Klageruf mit einem 
trostlichen Abschlufi zu mildern, die Hoffnung aussprachen, warnende Stimmen und die 
tatige Einsicht der Musiker wiirden mit der Zeit heilsam einwhken, so mufi Ihnen heute 
posthum geantwortet werden, dafi Sie sich geirrt haben. Schlimmer als jetzt ist es nie 
gewesen. Aber es kann noch viel schlimmer werden. 

Freilich, die Klavierseuche ist nicht mehr so gefahrlich. Einmal ist die Zahl der 
Havierstumpernden Tochter infolge der wirtschaftlichen Situation stark vermindert worden, 
vor allem jedoch hat die schwerere Krankheitsform der musikalischen Elefantiasis die 
leichtere unwesenthcher gemacht. Allen Ernstes, es ist hochste Zeit, der Musikpest Ein- 
halt zu gebieten, denn der gefahrdete Patient ist weniger der gepeinigte Horer als viel- 
mehr die Musik selbst. Alle, die es gut mit ihr meinen, Kiinstler, Kritiker, Liebhaber, 
Erzieher und soziale Reformer, sollten sich zusammenfinden, um ihren entwertenden 
Verschleifi zu verhindern. 



296 



HANNS GUTMAN 



Soweit das vollig unokonomische Uberangebot an Musik freibleibend gemacht 
wird, hat sich das Publikum langst zur Wehr gesetzt. Der immer augenscheinlichere 
Verfall des Konzertwesens besagt es deutlich. Aber wie zahheich sind die Falle, wo 
man gegen die Agressivitat des Klanges wehrlos ist! Die Augen kann man nach Be- 
lieben schliefien, die Ohren leider nicht-, was schon Kant bemerkt hat, als er die Musik 
eine „zudringliche Kunst" hiefi. Ich darf ein an sich hflchst unwichtiges personliches 
Erlebnis hier anfiihren, weil es typisch fiir einen Zustand ist, der bekampft werden 
mnfi. Kiirzlich besuchte ich in einem Berliner Opernhaus eine Vorstellung des Sieg- 
fried" und ging in der Pause in das dem Theater verbundene Bestaurant, um dort zu 
essen, was bei der korperlichen Inanspruchnahme durcli ein Wagnersches Mammutdrama 
kaum zu vermeiden ist. Ein hiibsches Lokal, recht geeignet fiir ein paar friedliche 
Minuten der Ausspannung. Aber man gonnt sie den Besuchern nicht. Kaum hatte ich 
mich gesetzt, als eine Salonkapelle in Aktion trat, um mich mit einem italienischen 
Potpourri, hernach mit einem Tango zu begliicken. Kein Mifiverstandnis bitte: ich 
empfand nicht etwa den „Siegfried" als profaniert, auch war der Tango ausgezeicbnet ; 
dennoch eine unertragliche Belastigung. Musik in alien Lebenslagen; es scheint, dafi es 
zwischen Scylla und Charybdis kein Entrinnen gibt. 

Von Nietzsche stammt der wunderschone Ausspruch: „Das Leben ohne Musik ist 
einfach ein Irrtum, eine Strapaze, ein Exil". Niemals ist ein gutes Wort schmahlicher 
mifiverstanden, falscher angewendet und groblicher ins Gegenteil verkehrt worden. Da- 
durch namlich wird die Uberschwemmung mit Musik so verheerend und gleichzeitig so 
schwer angreifbar, dafi sie zu allem Ungliick auch noch geistig unterbaut wird. Da 
spuken alte humanistische Ideale, man erinnert an die Volker der Antike, die doch aus 
dem Nahrboden der Musik die schonsten Frtichte ihrer Kultur gezogen haben, man 
entsinnt sich, dafi Plato sogar den Staat musikalischen Gesetzen unterstellen wollte, und 
glaubt anscheinend, es geniige, Musik in ungeheuren Mengen zu produzieren, um die 
bewunderte Kalokagathia der Griechen wieder zu erlangen. Musik wird empfohlen als 
standige Begleitung auf dem Holzwege zu Kraft und Schonheit. Musik beim Turnen, 
Musik beim Ruhen, Musik beim Arbeiten, Musik beim Essen — das Leben ohne Musik 
ist einfach eine Unmoglichkeit. 

Soviel vom Tatbestand. Nun lafit sich garnicht leugnen, dafi an den geschilderten 
Mifiverhaltnissen die mechanische Musik, exakter gesagt, die mechanische Vermittlung 
von Musik mitschuldig ist. Die leichteste, bequemste und billigste Beschaffung \on 
musikalischem Stoff bietet zur Zett der Rundfunk. Uber ihn, insbesondere tiber seine 
Beziehung zur Musik, diskutierte jiingst ein Kongrefi in Gottingen, den das Berliner 
Zentralinstitut fiir Erziehung und Wissenschaft einberufen hatte. Man sieht, die Padagogik 
wagt als erste geistige Instanz den Vorstofi, nimmt den Bundfunk ernst und versucht, 
seine Stellung im kulturellen Zusammenhang zu ergriinden. Hier ware der Punkt ge- 
wesen, die Frage nach der Bolle der Musik im Bundfunk aufzuwerfen, einmal den An- 
spruch dieser Apparatur auf die Musik zu priifen, statt ihn als gegeben und in jedem 
Umfang berechtigt vorauszusetzen. Das geschah nicht, oder doch nur sehr andeutungs- 
weise. 39 Prozent aller Darbietungen waren im Jahre 1927, nach dem Bericht von 
Df. Magnus, musikalischer Natur; er erklarte das Vorherrschen der Musik damit, dafi 
sie der einzige Weg des Rundfunks zum Herzen der Horer sei. Man macht sich, scheint 



DIE ROLLE DER MUSIK IM RUNDFUNK 297 

mir, iibertriebene Vorstellungen von den Herzen der Menschen, die das Hauptkontingent 
der Radioempfanger bdden. Aber selbst wenn diese an der supponierten Weitherzig- 
keit leiden sollten, so ist doch soviel ganz sicher, dafi sie nicht ewig mit Musik ab- 
gespeist werden wollen. Allenthalben werden Stimmen gegen die musikalische Uber- 
fiitterung laut. Max Butting konstatierte in seinem Referat, man habe der Tonkunst 
defihalb einen so breiten Rauni in den Programmen zugestanden, weil man ihr keiner- 
lei Anstofiigkeit, weder politische noch sittliche, nachsagen konne. In der Tat ist die 
Musik die assoziationsloseste unter den Kiinsten, in dem Sinne, dafi sie zu keiner ge- 
danklichen Assoziation zwingt. Das Faktum ist nicht zu bestreiten, eine Begriindung ist 
es nicht; ob eine gleichgiiltige Neutralitat die Bestimmung des Rundfunks sein kann, ist 
noch sehr die Frage. Viel eher mochten wir glauben, was Professor Honigsheim in 
seinen soziologischen Ausftihrungen formulierte : ein anstandiger Mensch ist nie neutral. 

Fur mich unterliegt es keinem Zweifel, dafi die Rolle der Musik im Rundfunk 
beschriinkt werden mufi. Man frage mich aber, bitte nicht, was an ihre Stelle zu setzen 
sei. Ich bekenne freiwillig, ich weifi es nicht. Eine Vermehrung der wissenschaftlichen 
und belehrenden Vortrage wird man auch nicht befiirworten wollen. Solange man 
nichts Anderes, Neueres, Erregenderes finder, kurze man die Programme. Musik ist nicht 
dazu da, Lucken zu biissen, sie wehrt sich dagegen, als Verlegenheitsartikel zu rangieren. 
Ludwig Kapeller, der sogar eine Herabsetzung des Sendeprogrammes auf zwei bis drei 
tagliche Stunden verlangte, ist von ahnlichen Gesichtspunkten ausgegangen. 

Musik wird, gleichviel in welchen Mengen, immer ein Gegenstand des Rundfunks 
bleiben. Was gesckieht ihr, wenn sie gefunkt wird? Offenbar dies, dafi sie in reinen 
Klang umgesetzt wird, unter Ausschaltung von visueUen Momenten. Ob nun die der 
bisherigen musikalischen Reproduktion zwangslaufig verbundenen optischen Eindrucke 
fiir die Erscheinung von Bedeutung seien oder nicht, dariiber wurde gestritten. Butting 
bejahte, Frank Warschauer verneinte es, indem er jede Komposition, unter der Voraus- 
setzung einer radiogemafien Darstellung, fur mikrophonfahig erachtete. Die Frage ist 
wichtig, denn nach ihrer Losung entscheidet sich, inwieweit die vorhandene Literatur 
einen Platz vor dem Mikrophon hat. Ist die sinnliche Gegenwart wirklich ein wesent- 
liches Ingrediens, so mufi die rundgefunkte Musik unvollstandig sein. Die Frage ist 
zweifellos mit jener anderen nach dem absoluten Gehalt des Werkes nah verwandt. Je 
absoluter, also programmfremder eine Musik ist, um so restloser kann sie im reinen 
Klang wiedergespiegelt werden. Doch ist auch der gesellschaftliche Hintergrund in 
Betracht zu ziehen. Die wenigsten Werke werden in abstrakter Willktir geschaffen, die 
meisten sind soziologisch determiniert. Die Kantate Bachs, das Klavierkonzert Mozarts, 
die Sinfonie Beethovens, sie meinen alle ganz bestimmte Horer, seien sie nun glaubig, 
adlig oder biirgerlich. Die vollige Andersartigkeit des soziologiscben Befundes beim 
Radio schliefit daher Werke aus, die sehr eng mit ihren geseUschaftlichen Voraus- 
setzungen verwachsen sind. So ist die viberlieferte Form der Oper, fiir mein Gefiihl, 
im Lautsprecher der pure Nonsens. 

Aus alledem ergibt sich die dringende Forderung einer eigenen Produktion fiir 
den Rundfunk. Die Komponisten sollten sich ihr nicht verschliefien, sie finden hier den 
gangbarsten Weg, um eine isolierte Position zu verlassen, die ihnen schon lange nicht 
mehr zusagt. Die Gesetze einer typischen Radiokomposition werden zweckmafiig durch 



298 



HANNS GUTMAN 



Experimente eruiert; dafi sie, wie Butting sagte, einer „Logik des reinen Horens" unter- 
liegen mussen, leuchtet ein. Tiber die besonderen Bedingungen des Vokalstiles eineiv 
seits, der Instrumentierung andrerseits war in den Gottinger Vortragen von Dr. Heinitz 
und Alfred Szendrei viel Wissenswertes zu erfahren. Fur die Schaffenden wird die 
praktische Erprobung der Begeln noch fruchtbarer sein. Die Moglichkeit dazu ist ihnen 
gegeben: an der Berliner Hochschule wurde, unter Leitung von Professor Schunemann, 
eine Funkversuchsstelle eroffnet. Uber dieses hochst dankenswerte Beginnen mufi noch 
einmal ausfiihrliclier gesprochen werden. 

Wenn eine staatliche Kunstanstalt dem Bundfunk ihre Tore offnet, wenn das 
Zentralinstitut ihm eine Tagung widmet, so ist die positive Stellungnahme der Erzieher 
gekenzeichnet. Auf dem Kongrefi wurde die Padagogik durch Professor Mersmann 
reprasentiert. Was er, neben anderen produktiven Gedanken, iiber die Aussichten einer 
„indirekten Erziehung" durch das Badio verkiindete, verdient gesteigertes lnteresse. 
Gewifi braucht man auf das erklarende Wort, auf die methodische Beeinflufiung der 
Horerschaft nicht zu verzichten, aber von gleicher Wichtigkeit (vielleicht sogar von 
starkerer Wirksamkeit) ist die mittelbare Forderung durch Auswahl und Anordnung 
dessen, was man an Kunstwerken vorbringt. Zu verlangen ist unbedingte Trennung 
des Getrennten, zu verurteilen jede Verwischung der Grenzen. Tanzmusik etwa und 
alle anderen Gattungen des unterhaltenden Kunstgewerbes sind kein Anlafi zu scham- 
voller Verschleierung ; verderblich ist nur ein unangebrachter Bildungsstolz, der solche 
Dinge vergeblich und unnotig zu sublimieren sucht. Diese scharf umrissenen Grund- 
lagen wurden von Dr. Hans Fischer, der iiber den Schulfunk sprach, in einem Detail 
ausgebaut. 

Auch als sekundares Hilfsmittel, nicht nur als Selbstzweck, hat die Musik ihre 
Bolle im Senderaum. Wieweit sie aber fahig ist, als akustische Kulisse zu wirken, das 
heifit also Schauplatze klanglich zu versinnbildlichen, steht noch dahin. Prof. Hagemann, 
der Berliner Intendant, will sie weitgehend in soldier Absicht verwendet sehen. Er 
stellte acht Begeln fur den Musikgebrauch im Sendespiel auf, die indes alle darauf 
hinauslaufen, das klangliche Material psychologisch nutzbar zu machen. Anders ist es 
nicht aufzufassen, wenn etwa in einer Sendebearbeitung des „G6tz" die jeweilige Wieder- 
kehr des selben Baumes durch das Ertonen des gleichen Musikstiickes angedeuvet wird, 
das stimmungsmafiige Abwandlungen erfahrt. Ein derartiges Verfahren grenzt bedenk- 
lich an die Handhabung des Leitmotives bei Wagner, die wir radikal zu vermeiden 
gewillt sind. 

Was hier gesagt wurde, beansprucht keineswegs, als Kongrefibericht der Gottinger 
Tagung zu gelten ; sonst hatte vor allem auch der zahlreichen instruktiven Vortrage 
aus dem Munde beriihmter Techniker und Akustiker gedacht werden mussen. Es sollte 
vielmehr, unter Beziehung auf einige absichtsvoll gewahlte Gedankengange, die Bolle 
der Musik im Bundfunk prinzipiell betrachtet werden. Die mafilose Uberschatzung 
dieser Bolle, nicht nur auf dem Gebiete des. Badio, wurde evident; sie sinnvoll einzu- 
dammen und ihr gerade dadurch nCue Geltung zu verschaffen, ist unsere Aufgabe. Alle 
Gutgesinnten sollten mithelfen zu dem Ziele, dafi wir das Leben ohne Musik wieder 
als ein Exil empfinden konnen, statt das Leben mit ihr fur eine Strapaze halten zu 
mussen. 



RUNDFUNK-UMSCHAU 299 



Ernst Lalzko (Leipzig) 

RUNDFUNK-UMSCHAU (Mai) 

Immer deutlicher wird es offenbar, dafi die Sentimentalitat, die in der offentlichen 
Musikpflege momentan in Acht und. Bann getan ist, sich im Rundfunk als ihrem letzten 
Stiitzpunkt gesammelt und in hochstem Mafi konzentriert hat. So ist es kein Wunder, 
dafi der Monat Mai, der seit jeher ein Privileg auf „Liebe und Triebe", „Sonne und 
Wonne" und ahnliche Empfindsanikeiten hatte, dem im Rundfunk mehr oder weniger 
latenten Hang zum „Popularen" in weitestem Mafi entgegenkommt. Wer konnte der 
Versuchung, den Wonnemonat Mai zu feiern, widerstehen? Berlin, Hamburg, Kflnigs- 
berg und Koln widerstehen ihr auch nicht und in Wort und Lied, durch „Fruhlings- 
glaube 1 ' und „s'Mailufterl" versichern sie dem ahnungslosen Horer: „Der Mai ist ge- 
kommen!" Aber mit dieser feierlichen Begriifiung sind die sentimentalen Fruhjahrs- 
regungen der deutsien Sendeleitungen keineswegs erschopft. Und da im Mai erfahrungs- 
gemafi Vog'el singen, Blumen duften, Nachtigallen schlagen, Menschen sich verlieben, fehlt 
es auch nicht an einem Programm „Blumenduft und Vogelsang" (aus Konigsberg), in 
dem Beethovens Fruhlingsonate sich sonderbar genug ausnimmt, einem weiteren „Fruh- 
ling und Liebe" betitelten (aus Hamburg), in dem die Ouverture zur „Gartnerin aus 
Liebe" ebenso deplaziert erscheint und ihren Hohepunkt erreicht diese empfindungge- 
schwellte Linie in der Breslauer Sendung: „Das Mikrophon belauscht den Fruhling. 
Nachtigallenkonzert aus einem Breslauer Park. Bei ungiinstiger Witterung wird das 
Konzert verschoben." 

Auch der Muttertag, der immerhin die Moglichkeit zu einer etwas hoheren Ein- 
stellung gewahrt hatte, wurde vom Rundfunk nur als Anlafi zu erneuter Gefulilsduselei 
begriifit, die ihre Spitzenleistungen im Siegfried-Idyll, Maria Wiegenlied, Gounods „Ave 
Maria" und „Mammi, du bist fur mich die schonste Frau der Welt" erreichte. 

Nun aber zu Ernsterem. Zweifellos konnte der Rundfunk bei Tagungen und Ver- 
sammlungen kiinstlerischen oder wissenschaftlichen Charakters eine wichtige Aufgabe 
durch Ubertragung der wertvollsten und geeignetsten Programmteile erfiillen. Die Er- 
gebnisse solcher Veranstaltungen wiirden nicht auf die Versammlungsteilnehmer beschrankt 
bleiben, sondern konnten in einem weit hoheren Grad als durch farblose Zeitungsbe- 
richte Allgemeingut des \ olkes werden. Gerade im Mai konnte man gute Beobachtungen 
machen, wie weit der Bundfunk diesen kulturellen Forderungen nachkommt. Von der 
Gottinger Bundfunk-Tagung, die durch die Behandlung prinzipieller funkischer Fragen 
jeden Horer interessieren mufite, wurde nicht ein einziges Referat iibertragen. Fast die 
gleiche Indolenz dem Schweriner Tonktinstlerfest gegeniiber, das gerade in diesem Jahre 
mehrere Werke brachte, die Anspruch auf weitere Verbreitung gehabt hatten. Ein 
einziger Sender (Hamburg) hat es der Miihe wert gefunden, ein einziges Konzert von 
dort zu aibertragen. Wenn aber der Verein fur Wartburgfreunde seine Tagung abhalt, 
wenn dabei ein Konzert mit den abgedroschensten "Werken von Wagner und Liszt ver- 
anstaltet wird, wenn dieses Konzert von einem anerkannt minderwertigen Dirigenten 
geleitet wird, dann ist der Rundfunk auf dem Posten und erfullt seine kulturelle Pflicht 

Ein anderer Punkt von grundsatzlicher Bedeutung. Immer mehr reifit beim Rund- 
funk die Unsitte ein, aus zyklischen Werken (Sinfonien, Sonaten, Suiten) einzelne Teile 



300 ERNST LATZKO 



herauszunehmen. Diese aus Konservatoriumskonzerten entlehnte iible Gewohnheit wird 
aber noch bei weitem (lurch die Geschmacklosigkeit iibertroffen, zwischen zwei Satzen 
eines solcben zyklischen Werkes anderes zum Vortrag zu bringen. Es ist Frankfurt 
sicher sehr hoch anzurechnen, dafi es sich als einziger deutscher Sender des Todestages 
von Gustav Mahler erinnert. Nur wird dieses Verdienst durcli die nachfolgende Programm- 
aufstellung in sein Gegenteil verkehrt: 4. Sinfonie, 1. Satz — Zwei Lieder — 2. Sinfonie, 
2. Satz — Zwei Lieder — 4. Sinfonie, 3. Satz. 

Die Alte Musik war im Monat Mai fast uberall gut vertreten. Die hollandischen 
Abende wurden von Munchen und Stuttgart in iiberaus verdienstvoller Weise dazu be- 
nutzt, alte niederlandische Meister der Vergessenheit zu entreifien. Munchen brachte 
Chansons aus dem 15. und 16. Jahrhundert von H. Isaak, Gilles Binchois, Lasso und 
erhohte den Reiz der Darbietung durch Verwendung alter Instrumente (Diskantviola, 
Viola d'amore, Viola da gamba, Bafi viola da gamba) und Stuttgart erfreute seine Horer 
mit einer Motette von Josquin Despres und Madrigalen von Willaert und Lasso. (Uber 
diese „Nationalitatenabende" wird gelegentlich noch einiges Grundsatzliche zu sagen sein.) 

Alte Hausmusik wird von fast alien Sendern verbreitet. Leipzig gab Beispiele aus 
der Virginalmusik, Gesange von Purcell und allerlei Kostbarkeiten franzosischer Clave- 
cinisten; altenglische Liebeslieder und altschottische Balladen, unterbrochen von Klavier- 
stiicken von Byrd, Bull, Gibbons werden von Koln gesendet; der gleiche Sender ver- 
breitet auch alte Streichmusik und Duette von dallAbaco, Corelli, Telemann und Keiser. 
Deutsche Hausmusik mit Werken von Melchior Frank und Joh. Christ. Bach stand auf 
dem Breslauer Programm; Sologesange und Duette von Astorga, Marcello, Bononcini, 
Leo, Erlebach, Keiser, Hauler werden in Stuttgart gesungen und Frankfurt ubertrfigt ein 
historisches Konzert aus dem Schlofi in Bruchsal, das neben der 5. Partie aus der 
„Musikalischen Ergotzung" von Pachelbel Werke von Sacchini, Paer, Stamitz und zwei 
unbekannten Komponisten des 18. Jahrhunderts enthalt. Eine nachahmenswerte Be- 
lebung des Programms bildete eine Guitarre-Kammermusik mit Originalkompositionen 
von Guiliani und Carulli. Ein sehr erfreuliches Interesse wird Handel zugewandt. Eine 
Konzert-Auffuhrung seines ,,Josua" in Esslmgen wird von Frankfurt und Stuttgart uber- 
tragen, das gleiche Oratorium wird vom Breslauer Sender aus dem dortigen Stadttheater 
ubernommen und Daventry sendet den ,,Messias''. 

Auf dem Gebiet der Neuen Musik hat Hamburg das radikalste Werk gebracht, das 
Streiclitrio von Webern (Ubertragung von Scliwerin). Ebenda wurde auch das Iflavier- 
konzert von Prokoffief gespielt. In einem „Sinfonie der Maschine" betitelten Programm 
von Koln erschienen Bruchsriicke aus Kreneks „Zwingburg" und Honeggers „Pacific 231". 
Stuttgart bringt das Gregorianische Konzert von Bespighi und in einer Ubertragung aus 
Freiburg Kaminskis „Magnilicat". Der Frankfurter Sender verbreitet ein Chorkonzert der 
Darmstiidter Liedertafel mit Erstauffiihrungen von Lendvai, Rudi Stephan und Josef 
Haas. Als Verdienst mufi es Munchen angerechnet werden, Kloses selten gehortes. 
„Leben ein Traum" vorzufiihren. Audi auslandische Sender sind mit Erfolg um Ver- 
breitung Neuer Musik verdient. Bei Kopenhagen fallt eine starke Aktivitat auf dem 
Gebiet des franzosischen Impressionismus auf: ein Orchesterkonzert das ausschliefilich 
Debussy gewidmet ist, ein zweites mit dem sinfonischen Fragment „Daphnis und Chloe" 
von Ravel und der sinfonischen Suite „E1 amor brujo" von de Falla. Noch weit er- 



RUNDFUNK-UMSCHAU 301 

freulicher ist die Tatsache, dafi die unter der Leitung Stravinskys stehende AufRihruhg 
seines „K6nig Odipus" von Daventry und am folgenden Tag von London gebracht wird. 
Allen deutschen Sendeleitungen als nachahnienswertes Beispiel empfohlen ! 

Auf dem Gebiet der wiederkehrenden Veranstaltungen brachte Konigsberg seinen 
uberaus verdienstvollen Zyklus „Von Reger zu Hindemith. Zeitgenossische Komponisten 
im Spiegel ihrer Hausmusik" mit einem Hindemith-Programm (Klavierstiicke aus der 
Suite 1922 und aus op. 37) und einem Vortrag „Was ist atonale Musik?" in diesem 
Monat zum Abschlufi. Die „Tonende Operngeschichte" in Leipzig ist bis zur franzosischen 
grofien Oper nnd dem deutschen Musikdrama vorgedrungen. Aber Meyerbeer ist nichts 
fiir den Rundfunk, sein Werk verlangt nach dem Prunk der Szene, nach unbeeintrach- 
tigtem Glanz der Stimmen und das Fehlen dieser beiden Momente raubt ihm Wesent- 
lichstes. Und der Versuch, die musikgeschichtliche Bedeutung des deutschen Musikdramas 
durch die Brautgemachszene des ,Lohengrin" und den ersten Walkurenakt zu charak- 
terisieren, kann nicht einmal durch Richard Wagners Geburtstag entschuldigt werden. 
In dem Zyklus „Die Entwicklung der Orgelkompositibn" (Miinchen) erschien ein gutes 
Programm mit Werken aus dem 17. Jahrhundert von Hafiler, Pratorius, Scheidt und 
Erlebach. 

Aus der Fulle der ubrigen Veranstaltungen verdient wieder ein von Wien gesen- 
deter VolksUederabend des deutschen Volksgesangvereins hervorgehoben zu werden, der 
Beispiele aus der Volksmusik Nieder- und Oberosterreichs, Karntens, der Steiermark und 
des Salzkammerguts brachte. Das Pfingstfest war fur Leipzig und Munchen der Anlafi, 
der Herrlichkeiten Bachscher Kantaten zu gedenken. 

Auf dem Gebiet der Oper sind einige pragnante Ereignisse zu verzeichnen. Stutt- 
gart und Frankfurt ubertragen dankenswerter Weise eine in Basel stattfindende Auf- 
fuhrung von Purcells „Dido und Aneas". Nicht minder interessant war die „Macbeth"- 
Auffiihrung der Dresdener Oper, die von Leipzig und Frankfurt ubertragen wurde. 
Briissel erwarb sich ein Verdienst dm - ch die Auffiihrung von Dukas ,.Ariane und Blau- 
bart" und auch die Ubertragungen von Charpentiers „Louise" (Daventry), Smetanas 
.,Dalibor" (Prag), Wolf-Ferraris „Neugierigen Frauen" (Munchen) und von Weismanns 
neuer Oper „Regina del lago" (Stuttgart) sind anerkennend und dankbar zu begriifien. 

Das Gesamtergebnis ist ziemlich unverandert geblieben: Manche hoffnungsvolle 
Ansatze, auf dem Gebiet der Alten Musik eine erfreulich zunehmende Regsamkeit, auf 
dem Gebiet der Neuen eine von wenigen Ausnahmen durchbrocbene allgemeine Inak- 
tivitat. Uberall mehr ein „Sich in Einzelheiten verlieren" statt des Aufsuchens von 
richtunggebenden Grundsatzen in der Programmbildung. 

Die leider notwendige Trockenheit dieser Umschau zu beleben, sei zum Schlufi 
noch ein Kuriosum erwahnt, das der Griindlichkeit der Briinner Sendeleitung ein ehren- 
volles Zeugnis ausstellt: Sie zeigt fiir den 29. Mai 19 — 19,15 Uhr an: Einfuhrungsvprtrag 
zur Operette ,,Die geschiedene Frau"! 

In ihrer Nummer 19 vom 11. Mai veroffentlicht die „Norag - ', die Programmzeitung 
des Hamburger Senders, dessen Plane fiir den Sommer. Soweit sie uns hier zu be- 
schaftigen haben — auf dem Gebiet der Musik — verdienen sie aufmerksamste Beob- 



302 



HEINRICH STROBEL 



achtung. Was hier im letzten Heft als besonders dringende Aufgabe dem Rundfunk 
ans Herz gelegt worden ist : eine zielbewufite Pflege des Volksliedes. scheint sich zu einem 
grofien Ted fur das Gebiet des Hamburger Senders verwirklichen zu wollen. Die Sende- 
leitung plant dort eine Volks- und Jugendmusikpfiege grofiten Stiles und hat fiir die 
Durchfiihrung ihrer Idee in Fritz Jode eine Personlichkeit gewonnen, die einen reichen 
Ertrag dieser Veranstaltungen verbiirgt. Neben der Pflege des Volksliedes in ein-, zwei- 
und dreistimmigem Satz soil ein musikalischer Unterricht einhergehen, sodafi das pada- 
gogische Moment mit dem der Erbauung zweckmafiig verkniipft ist. Die Disposition 
des Arbeitsplanes gliedert sich in drei grofie Gruppen. Die erste: „Das Volkslied in 
der Kinderstube" sieht alle mogfichen Arten von Kinderspielen und die verschiedenen 
Kinderlieder (Krippenlieder, Wiegenlieder, Arbeitlieder, Abzahlreime usw.) vor. Die 
zweite: „Volkstumriche Singstunde" will die Horer mit dem deutschen Volkslied, mit 
der Kunst des Kanons, mit einzelnen fiir das volkstumliche Lied besonders wichtigen 
Erscheinungen (Reichardt, Zelter usw.) und schliefilich mit dem volkstumlichen Schaffen 
der Gegenwart (Hindemiths Hausmusik, Ludwig Weber usw.) bekannt machen. Die 
dritte: „Die niederdeutsche Liederstunde" wird das niederdeutsche Volkskinderlied, den 
nieder deutschen Volkstanz, das niederdeutsche Volkslied und das niederdeutsche Kunst- 
lied behandeln. Die dieses Singen unterstiitzende padagogische Unterweisung wird 
Gehoriibung, Improvisation und Musikdiktat umfassen. Durch die Verlegung des Unter- 
richts in den Senderaum wird die Verquickung von Erziehungs- und Erbauungstendenzen 
eine weitere Forderung erfahren. 

Dem Unternehmen der Hamburger Sendeleitung kommt hochste Bedeutung zu und 
wenn die Ausfiihrung dem Plan entspricht, hat der Rundfunk hier wirklich einmal seine 
Aufgabe richtig erfafit und in grofiem Format kulturelle Arbeit geleistet. 



UMSCHAU 

Heinrich Strobel (Berlin) 

DAS TONKUNSTLERFEST IN SCHWERIN 



Die Krise des Allgemeinen Deutschen Musikvereins ist bekannt. Er wurde in der 
Zeit des Kampfes um die Neudeutsche Romantik auf einer kiinstlerischen und soziolo- 
gischen Basis gegrundet, die nicht mehr die unsere ist. Er diente der Propagierung und 
Durchsetzung neudeutscher Fortschrittsideen und veranstaltete Musikfeste zu diesem 
Zweck. Die Richtung des Vereins war damals eindeutig, die Tonkunstlerfeste waren 
damals eine Notwendigkeit. Man kampfte fiir eine Idee. Heute hat diese Idee keinen 
Inhalt mehr. Heute ist der neudeutsche Fortschrittsgedanke hinfallig geworden. An 
die Stelle der Zielbewufitheit von ehedem trat unsicheres Lavieren im A. D. M. Man 
war vorsichtig genug, die neuen Stromungen nicht vollig zu negieren. Aber duldete sie 
nur unter dem Druck der Verhaltnisse. Neue Werke wurden aufgefiihrt, um der Oppo- 
sition den Mund zu stopfen. Im Stillen beteten Vorstand und Mitglieder zu den alten 



DAS TONKUNSTLERFEST IN SCHWERIN 303 

Gottern. Der Musikausschufi, in den jiingere und zeitbewufite Personlichkeiten ein- 
drangen, mufite sich auf die bedenklichsten Kompromisse einlassen — ein neues Werk 
ging nur gegen ein paar epigonale Arbeiten durch, an deren Lebensfahigkeit der konser- 
vative Vorstand noch immer glaubte. 

Die Tonkiinstlerfeste nach dem Kriege zehrten von der Tradition des Vereins, die 
wir audi heute noch gebuhrend acbten. Was aber in diesen Jahren an wirklich produk- 
tiver Arbeit geleistet wurde, das geschah aufierhalb des A. D. M. und seiner Tonkiinstler- 
feste. Der immer heftiger hervorbrechende neue Stilwille scliuf sich eine Form musik- 
festlicher Zusammenkunft, die sich sehr erheblich von der Praxis des A. D. M. unter- 
schied. Dem schwankenden Bild der Tonkiinstlerfeste setzte Donaueschingen sein kom- 
promifiloses Bekenntnis zur Zeit entgegen. Donaueschingen und spater Baden-Baden 
reprasentierten die lebendige Musik. Hier wagt man das Experiment. Hier sucht man 
Probleme zu losen, welche unsere Zeit stellt. Man versteckt sich nicht hinter eine er- 
starrte Musikpflege, fur die der augenblickliche Opern- und Konzertbetrieb symptomatisch 
ist. Auf den Festen des Allgemeinen Deutschen Musikvereins dagegen macht man nichts 
anderes, als was man heute in alien groGeren deutschen Stadten im Verlauf einer Saison 
macht: man gibt eine Uberschau, d. h. — man ver sucht eine Uberschau zu geben. 
Demi in Wahrheit hindern die tausend Kompromisse, durcli die ein Festprogramm 
allein zustande kommen kann, die Herausstellung der wirklich typischen Werke und die 
Ausscheidung des Uberflufiigen. Wer das deutsche Musikleben der Gegenwart kennt, 
wird zugestehen miissen, da6 die Programme der groften Konzertinstitute, wenigstens der 
unter Leitung von verantwortungsbewufiten Dirigenten stehenden, eine weit besser ge- 
siebte Uberschau iiber die Lage bieten als ein Tonkiinstlerfest. Worin liegt also seine 
Notwendigkeit ? Die guten und wesentlichen Arbeiten werden sowie so aufgefiihrt. Fiir 
die unbedeutenden geniigt es, wenn sie irgend eine lokale Darbietung erleben. Neue Be- 
gabungen zu entdecken, darf man sich beim A. D. M. kaum anheischig machen. Dafiir 
haben wir Baden-Baden, das auf Grund seiner gegenwartsbejahenden Tendenz die ent- 
wicklungsfahigen Talente ohnehin zu sich zieht. Noch einmal: was hat in dieser Zeit 
und in dieser Situation ein Tonkiinstlerfest in der hergebrachten Gestalt noch fiir einen 
produktiven Zweck? 

2. 

Die Antwort kann. gerade , nach Schwerin, kaum mehr zweifelhaft sein. Wie viele 
ganzlich belanglose Arbeiten! Wie viel nutzlos vertane Zeit! Drei Abende von den 
sechs zumindest iiberfliifiig. Eine ganze Beihe von epigonalen Werken: — gewifi sehr 
tiichtig und gekonnt, manche durchaus sympathisch, begabt — aber eben an dieser Stelle 
nicht notig. Waren es Experimente, wenn audi noch so unfertige, die irgendeinen 
aktuellen Aufgaberikreis anschneiden, man wiirde sie hinnehmen, sie konnten vielleicht 
sogar fruchtbringend sein. Hier hort man nur, was schon tausendmal gesagt wurde. 

Am deprimierendsten war der Theaterabend. Wahrend es in der jungen deutschen 
Opernproduktion schon eine ganze Anzahl von reprasentativen Werken gibt, die man 
auf einem Tonkiinstlerfest hatte zeigen konnen — fiihrte man Musterbeispiele von 
Nebensachlichkeit auf. Ein symbolisch verschwommenes Melodram nach einem Ander- 
senschen March en mit einer blafilich untermalenden Musik: „Die arme Mutter und der 
Tod" von Felix Petyrek. Eine sehr anstandig gearbeitete Ballettpantomime in Munch en er 



304 HEINRICH STROBEL 



Akademietradition mit einigen hiibschen alten Tanzstiicken : „Glasblaser und Dogaressa" 
von August Reuss. 

Die Wiedergabe dieser Werke war von provinzieller Bescheidenheit. Man darf 
daraus den Schweriner Kthistleni keinen Stride drehen. Sie gaben sich alle Muhe. 
Setzten ihre ganze Kraft ein, ebenso wie die von auswarts bedeutend verstarkte 
Schweriner Staatskapelle in den Orcbesterkonzerten das Mogliche leistete. Der Vorwurf 
trifft den Allgemeinen Deutschen Musikverein, der immer wieder kleine Stadte zu Fest- 
orten wahlt, die nicht die Gewahr fur einwandfreie Auffuhrungen bieten konnen. (Dafi 
xibrigens audi das Interesse der Mitglieder fur diese Feste in kleinen und entlegenen 
Stadten gering ist, liegt auf der Hand.) Willibald Kahler, der Schweriner General - 
musikdirektor, hat als Wagnerdirigent einen ausgezeichneten Ruf. Er gehort zum engsten 
Bayreuther Stab. "Warum zwingt man ihn hier, an Aufgaben heranzutreten, die er bei 
seiner Einstellung nicht bewflltigen kann? Er hat kein Verhaltnis gerade zu den paar 
neuen Werken des Programms, die als ergiebig geken konnen. Die mangelhafte Wieder- 
gabe kann fiir den Komponisten verhangnisvoll werden. Man weifi, wie sehr gerade 
das Neue einer sinngemafien Interpretation bedarf. 

3. 

Die inkorrekte, verwisclite Auffuhrung des Bratschenkonzerts von Paul Hiiidemith 
war peinlich. Wer dieses fiir das neue Musikwollen ini hochsten Grad typische Werk 
in Berlin unter Klemperer gehort hatte, vermochte es diesmal kaum wieder zu erkennen. 
Man muK neben Hindemiths sachliches, konzenti'iertes, unbekummert musikantisches 
Konzert die fast einstiindig sich hinziehende C-Dur Symphonie von Gerhardt von 
Keussler halten, um die riesige Kluft zu begreifen, die zwei aufeinanderfolgende Ge- 
nerationen trennt. Die Notwendigkeit der Stilwende wird evident. Personliche Be- 
kenntnismusik war bis zum Aufiersten iibersteigert worden. Gegen die Echtheit des 
personlichen Ausdruckswillens stelit die Abnutzung des Klangmaterials, steht das schopfe- 
rische Unvermogen und der vollige Mangel an gestaltender Kraft. 

Hindemiths Konzertt) r pus wirkt bereits weiter. Konzertante Spielfreude lost liber- 
all in der jungen Generation symphonische Problematik ab. Im Cembalokonzert des 
Kolner Wdhelm M a 1 e r ist der Einflufi Hindemiths unverkennbar, wenigstens im polyphon 
gebundenen ersten Satz. Erst allmahlich setzt sich der helle Klang des Cembalos durch: 
in der Sinfonia iiber pizzicato-Bafien, in einer lockeren Musette, in einem Schlufimarsch, 
der Malers feinen Witz, aber audi die Grenzen seiner musikalischen Vitalitat umreifit. 
Wieder ist Hermann R e u 1 1 e r zu nennen. Seit mehreren Jahren schon als sympathisches 
Talent erkannt, sehr schwankend in den letzten Arbeiten, gelingt ihm diesmal ein 
Tripelkonzert fiir Klavier, Violine, Cello und Orchester von starker personlicher 
Haltung, ausgezeichnet in der kontrastreichen Satzfolge : Fantasia, klar gegliedert, den 
breiten Rhythmus sehr schon durchhaltend — Perpetuum mobde des Concertinos — 
Notturno, zarte Holzblaserpolyphonie aus leisen Schlagzeugakzenten sich losend und 
wieder darin versinkend — schwebendes Tanz-AUegretto. Reutter neigt zum Lyrischen, 
zum Weichen. Er liebt das Genrehafte, das ehedem Spezialgebiet der Romantiker war. 
Auch bei ihm fehlt, wie bei Maler, ein letzter, unmittelbarer Impuls. Vor neue Auf- 
gaben gestellt, in einer anderen Umgebung, dem gegenwartigen Leben naher als in 
Stuttgart, konnte sich Reutter vielleicht besser entwickeln. 



DAS TONKUNSTLERFEST IN SCHWERIN 305 

Bertold Golds chmidt kennt man voin Chemnitzer Fest her als virtuosen Or- 
chestertechniker. Er hat sich inzwischen gewandelt, den neuen Tendenzen angeschlossen. 
Schreibt eine Partita fiir grofies' Orchester, ohne unbedingt zu iiberzeugen. Er be- 
miiht sich polyphon und sachlich zu musizieren, aber es drangt ihn zu starken Es- 
pressivos, zu massiger Klangreibung. Ein Adagio wird als Sarabande verbramt, ist aber 
doch symphonisch gesteigerte Ausdrucksmusik. Die Schlufifuge rafft sich erst gegen 
Schlufi zusammen. Man mufi abwarten, ob Goldschmidt in spateren Arbeiten eine 
eigene Sprache finden wird. 

Die Sinfonie von Paul Hoffer kannten wir schon von der Berliner Urauffuhrung 
unter Bohnke. Die giinstigen Eindrucke werden diesmal bestatigt. Ein sturmisches 
"Werk, dessen fugierte Partien zu heftigen Entladungen treiben, rhythmisch von starker 
Plastik, mit breiten melodischen Entwickhmgen. Von tanzhafter Unmittelbarkeit der 
letzte Satz. Dem Ganzen fehlt es noch an Ordnung, an planvoUer Gliederung, an Ziel- 
sicherheit und Konzentration. Aber — hier ist eine verheifiungsvolle Begabung. 

Uber den ,,Hymnus an die Liebe" von Paul A. Pisk kami man schwer etwas 
sagen. Die Auffiihrung war so wenig vorbereitet, die Sangerin absolut ungeniigend. 
Pisk zertedt den Byronschen Hymnus nach Art einer Kantate, durchsetzt ihn mit mager 
kolorierenden Partien. Das Dithyrambische der Dichtung scheint der Musik zu fehlen. 

4. 

Donaueschinger Anregungen wii'ken sich auf Tonkunstlerfesten fruchtbar aus. Uber- 
all erwacht das Interesse an a capella-Musik. Eine notwendige Folge der neuen Stil- 
haltung: der a capella-Gesang bietet Moglichkeiten zu absolutem Musizieren, die Jahr- 
zehnte hindurch verschuttet gewesen waren. Es ist selbstverstandlich, dafi Hugo Herr- 
mann die mittelalterlichen Liebeslieder in seiner Chorsuite nicht mehr malerisch-charak- 
terisierend aussetzt, sondern sie als in sich geschlossene Gebdde nach rein musikalischen 
Gesetzen formt. Dabei lehnt er sich mit grofiem Geschick an instrumentale Tanztypen 
an und ubertragt sie ins Vokale. Es entsteht ein lebendiges, mit hervorragendem 
Konnen und feinstem Gefiihl fur die spezifischen Bedingtheiten des Chorklangs 
modelliertes Formgefiige. Tanzlied, Tarantella, IN'lusette, Arioso und Madrigal reihen sich 
aneinander, sti'eben zur ungemein beweglichen Fuge hin, werden durch den thematischen 
Ghoralsatz fest umrahmt. Bei leicht archaisierender Tendenz erstaunlicher Beichtum der 
Harmonik, hiibsche Biegung des Melodischen. "Wie sein Landsmann Reutter ist Herr- 
mann in den zarten Stiicken besonders gliicklich. 

Mehr auf das Aufierliche ist die Motette „Werkleute sind wir . ." des Mtincheners 
Karl Marx gerichtet: ein ausgezeichnet aufgebautes Stiick, von packendem Schwung und 
hochster Virtuositat der Stimmbehandlung. Es gibt einige Momente, in denen die 
Hintergrixndigkeit des herrlichen Gedichtes von Rilke auch in der Musik durchschimmert- 
Ein Stabat mater von Leonhard Lechtaler ist im traditionellen osterreichischen 
Kirchenstil komponiert — dank seiner Klangmafiigkeit unbedingt von "Wirkung, Idug 
auf Soli und Chor verteilt, in ganzen doch technisch zu schwer, um als katholische 
Gebrauchsmusik gelten zu konnen. 

Unter den verschiedenen Kammermusikwerken ist nur das neue Streichtrio von 
Anton Web em als ein Stiick von imponierender Abseitigkeit zu erwahnen. Hier ist 
die Grenze erreicht, wo weder Melodik noch Rhvtbmik mehr greifbar sind, wo Musik 



306 WERNER KNAUER 



nur mehr zerspaltener Klang ist und lediglich als nervenmafiig zu erspiirendes Gerausch 
wirkt. Fruhere Stiicke von Webern fesselten durch ihre beispiellose Konzentration. 
Dieses Trio zerfallt, als Klangeindruck, vollstandig. (Ubrigens waren auch die „Neu- 
leipziger Klassiker" vertreten: mit einem Streichquintett von greisenhafter Sterilitat, das 
Giinther Raphael zum Autor hat.) 

Von Max G e b h a r d wurde eine spielfrohe, sehr knapp gestaltete Klavier- 
sonatine aufgefiihrt. 

5. 

Die Hauptversamndung des A. D. M. nahm mit grofier Mehrheit einen Antrag 
an, demzufolge eine Arbeitsgemeinschaft zwischen dem A. D. M. und der 
Internationalen Gesellscliaft fur neue Musik, Sektion Deutschland, geschaffen werden 
soil — mit dem Ziel einer spateren Verschmelzung beider Korporationen Diese Tat- 
saclie ist von Bedeutung. Sie beweist. dafi man audi innerhalb des A. D. M. — vor 
allem wohl im Musikausschufi — von der Unhaltbarkeit der gegenwartigen Situation 
iiberzeugt ist. Ob dieser Zusammenschlufi zweier Vereinigungen von so gegensatzlichen 
Zielen zu einer fruchtbaren Arbeit fiihren wird, das lafit sich heute nicht iibersehen. 
Auf alle Falle mufi der A. D. M. eine griindliche innere Regeneration durchmachen, 
wenn dieser Zusammenschlufi iiberhaupt moglich werden soil. Wird er dazu noch genug 
Spannkraft besitzen oder wird er am Ende diese Belastungsprobe nicht vertragen ? Auch 
das kann man heute nicht iibersehen. Immerhin bleibt erfreulich, dafi iiberhaupt ein- 
mal etwas vor sich geht, dafi man die veranderte Lage iiberhaupt einmal beriicksichtigt. 
Erfreulich auch, dafi man im niichsten Jahr von der uberlebten Form dieser Tonkiinstler- 
feste abweichen und 'eine Veranstaltung auf vollig anderer Grundlage versuchen will: 
eben jene Opernwoche in Duisburg, von der auch an dieser Stelle sclion die Rede war. 
Sinn kann diese Opernwoche freilich nur haben, wenn sich der A. D. M. endlich ent- 
scliliefit, mit dem Lavieren und den Kompromissen zu brechen und sich eindeutig zur 
Gegenwart bekennt. 



Werner Knauer (Erfurt) 

GESANGVEREIN ODER SINGGEMEINDE ? 

Gedanken zum Preufiischen staatlichen Chormeisterkurs 

Die Tatsache, dafi der preufiische Staat Mittel zur Forderung der Chorgesangs- 
pflege, insbesondere des Mannergesanges, bereitstellt, zwingt dazu, nach der Zweclc- 
mafiigkeit dieser Zuwendungen zu fragen. 

Die allgemeine Lage auf diesem Gebiete (von wenigen besonderen Erscheinungen 
abgesehen) stellt sich doch so dar, dafi die Mannerchore, die sich von jeher als Huter 
des Volksliedes berufen fiihlten, unter dem Rufe „Vorbei mit sentimentaler Liedertafelei" 
audi heute noch durch gefiihlvollen harmonisclien Satz oft sinnwidrig entstellte Volks- 
weisen erklingen lassen, die aber auch fast jeder Reziehung zu diesem unserem schonsten 



GESANGVEREIN ODER SINGGEMEINDE 307 

musikalischen Gut entbehren. Von dem gewohnten abendfullenden Beiprogramm spricht 
man besser nicht. Nimmt es da Wunder, dafi dann in dieser Zeit allgemeiner Konzert- 
krise gerade die Man.nercb.6re am meisten zu leiden haben ? Sehen wir doch, wie 
selbst die urlebendige Kraft der Kosakenchore durch internationalen Konzertbetrieb 
geschwacht in der Unmittelbarkeit ihrer Wirkung nachlafit. Um wieviel mehr mufi 
dies fur unsere, in der Tradition des Vereinslebens langst erstarrten Mannerchore 
Geltung haben. So versucht man es im Zeitalter des Sports mit dem Hinweis auf 
den hygienischen Wert des Singens, der die Gesangtibung dem Sporte gleichkommen 
lasse! Schliefilich, wenn alles versagt, sucht man die Verbindung mit den Kraften der 
Zeit, die frisch und unverbraucht als Werkjielfer der neuen Zeit sich erwiesen haben, 
mit den Volks- und Jugend-Musikgemeinden. Man fiihlt an sich die Krisenerscheinungen 
des inneren Verfalles. (Dem aul&eren Verfall steht noch die steigende Mitgliederzahl 
entgegen. Dies scheint mir jedoch die Gefahr in sich zu bergen, dafi die Manner- 
gesangvereine sich zum Wasserkopf des deutschen MusiHebehs auszuwachsen drohen). 
So glaubt man- durch die fast krampfhafte Betonung der Verbindung mit der Jugend- 
bewegung zu alien Zeiten (1848, Wandervogel nacb 1900, Hohe-Meifiner-Tagung) die 
drohenden Alterserscheinungen abzuwenden. Jeder Eingeweihte kennt die Stellung beider 
Gemeinschaften und weifi, dafi sie durch Welten getrennt sind. Die stillschweigende 
Ablehnung jeglichen Gemeinschaftsgedankens von seiten der Jugendbewegung, deren 
musikiibende Krafte sich heute zu Singkreisen und Musikantengilden zusammengeschlossen 
haben, gibt hiervon beredtes Zeugnis. 

Man vergleiclie doch einmal die in Mannerchorvereinen tibliche Art der Musik- 
iibung mit der der Jugend- und Volksmusikgemeinden. Hier die Freude am Nur-Singen, 
die sich iiber selbsterlebtes Rhythmus- und Tonempfinden zu schonen Leistungen selbst- 
tatig steigert. Durch das Singen aus der Partitur kennt jeder Sanger jede Stimme, der 
Gedanke der musikalischen Gemeinschaft gewinnt so Gestalt. Dort eine meist aufier- 
liclie Zucht; der Stab des Dirigenten vereinigt die mehr oder weniger fremd neben- 
einander verlaufenden Stimmen, er wird zum Gradmesser der weniger rhythmischen, 
mehr taktlichen Bewegung. Meist steht alles unter dem Druck des nachsten Konzertes, 
wenn nicht gar Sangerwettstreites. In den Musikantengilden Neubelebung edelster 
Schatze der Vergangenheit (der Madrigalisten u. a.), enge Verbundenheit mit dem 
Schaffen der Zeit („Das neue Werk"), in den Mannerchoren starres Festhalten an iiber- 
nommenem, oft lebensunfahigem Gut, freudlose, meist widerstrebende Auseinander- 
setzung mit der wesentlichen Musik der Gegenwart So sind sie, ohne je in der tiefen 
Bedeutung des Wortes Jung gewesen zu sein, nur Mechanismus und eben nur „Verein". 
Dagegen ist die junge Volksmusikbewegung, aus innerer Notwendigkeit, ja Not geboren, 
zum keimkraftigen Organismus, zur lebendigen Gemeinschaft geworden. 

Ist es da verwunderlicli, dafi es dem Mannergesang nie gelungen ist, die Krafte 
der Jugendbewegung an sich zu ziehen? Ist es nicht durchaus verstandlich, dafi die 
Vertreter der Musikantengdden dem staatlichen Chormeisterkursus fernbleiben? So 
drangt denn alles zu der Frage, in wie weit eine staatliche Unterstiitzung des Manner- 
gesanges Dienst am Volke und an der Zeit ist, was j a doch die Voraussetzung dieser 
Einrichtung sein soil. Ist eine Erneuerung der Mannerchore iiberhaupt moglich ? Glaubt 
man damit, die Kunst dem Volke naher zu bringen, als bisher? Solange der Gemein- 



308 WERNER KNAUER 



schaftsgedanke und die selbstlose Freude an der Musik vor dem heifien Ehrgeiz nach 
„kunstlerischen" Leistungen, nach Sangerfestpreisen zuriicktreten miissen, solange ist 
dem ein grundsatzliches Nein entgegenzusetzen. Eine innere Erneuerung der Manner- 
chore liegt durchaus im Bereich des Moglichen. Aber sollen sie doch erst zeigen, dafi 
noch Entwicklungsmoglichkeiten in ihnen ruhen und nur der Entfaltung harren. Dann 
wird immer noch Zeit fur tatkraftige Hilfe sein, zumal ja das Bewufitsein innerer Kraft 
und Werthaftigkeit von jeher starker und wesendicher gewirkt hat, als von aufieri 
kommende und daruni eben nur aufieiiich wirkende Unterstiitzung. Darin ist keine 
Gefahr zu erblicken, dafi die geringen Mittel der Mannerchore seltener Konzertauf- 
fiihrungen ermoglichen. Das gibt Zeit zur Besinnung auf die eigentlichen Aufgaben. 
Dafi der Staat in hoher Verantwortungsbewufitheit um die Erneuerung der musika- 
lischen Kultur Mittel und Wege erschliefit, um diesem Ziele naher zu kommen, erhalt 
seine Bedeutung durch sich selbst. Ware es aber nicht dringlicher, diese Mittel fur die 
Gemeinschaften anzuwenden, die auf diesem Wege schon ein gut' Stuck aus eigener Kraft 
vorwarts gekommen sind, ehe man Versuche an einem zweifelhaften Objekt macht? 
Eine abwartende Haltung den Mannerchoren gegeniiber ware ja kein Zeichen des Mifi- 
trauens oder der Geringschatzung, sondern lediglich der Klugheit, unisomehr als hier 
ein Erfolg eben so lange in Frage gestellt werden mufi, bis die Zeichen innerer Er- 
neuerung zu Tage getreten sind. 

Bleibt nach diesen Gesichtspunkten eine giinstige Auswirkung der staatlichen 
Aktion abzuwarten, so mufi sie umsomehr in Frage gestellt werden, wenn der vom 
Staat bestellte Kursusleiter seiner bedeutungsvollen Aufgabe in keiner Weise gewachsen 
erscheint. So war zum Leiter eines dieser Kurse (wie wohl ublich) der staatliche 
Musikberater des Bezirkes, Studienrat Walter bestellt worden. In dieser Eigenschaft 
hatte er durch ein ablehnend gehaltenes Gutachten iiber einen Knabenmotettenchor die 
Unmittelbarkeit seiner Beziehung zu den in dieser Gemeinschaft wirkenden Kraften 
vermissen lassen, deren kiinstlerische und kulturelle Werte von der Fachkritik vieler 
Grofistadte des Reiches anerkannt sind. In der ErofTnungsfeier eines dieser Kurse hat 
nun der Kursusleiter in derart bedenklicher Weise irrefuhrende und unpadagogische 
Ansicliten xiber das musikalisclie Zeitbild geaufiert, dafi bei der volligen Einseitigkeit 
seines Standpunktes eine parteiische Beeinflufiung der Kursusteilnehmer die notweiidige 
Folge sein mufite. Dabei scheute er sich nicht, einen „gewissen" Teil der Tagespresse 
als Fxirsprecher dieser „nur konstruktiven Musik eines modernen unpersonlichen Artisten- 
tums" herabzusetzen. 

Ferner, soil die in den staatlichen Kursen zu leistende Arbeit lediglich Priifungs- 
charakter tragen, oder soil sie richtunggebend. instruktiv Wege weisen zu wirldicher 
musikalische Werte erschliefiender Lehrweise? Verspricht sich der Staat von seinen 
Bemiihungen um eine zeitgemaGe sinnvolle Musikpflege ernsthaft Erfolg, wenn in 
seinem Chormeisterkursus z. B. in der Abteilung ,.Gehorbildung" den Horern einmalig 
zwei achttaktige Perioden zum Nachschreiben und ein vierstimmiger Satz zum Feststellen 
falscher Noten vorgelegt werden ? Liefie sich niclit in einem solchen Kursus Wesent- 
licheres sagen, was zur Schulung und Kraftigung des musikalischen Gehors beitriiger' 
Konnten nicht in einer solchen Stunde Fingerzeige und Weisungen gegeben werden, 
die nachdrucklicher t und zumindest dauerhafter eine Steigerung der musikalischen 



URAUFFUHRUNGEN IN DRESDEN 309 

AufFassungsfahigkeit (und somit die Eignung und Teilnahme an einer musikalischen 
Gemeinschaft) bewirkten, als eine solclie wenig bedeutungsvolle und fragwiirdige 
Examination. 

So ist nach dieser Richtung der Erfolg dieser Kurse sehr zweifelhaft. Die Be- 
stimmung dieser Zeilen ware erfullt, wenn sie dazu beitragen wiirden, tatsachlich vor- 
handene Mifistande beseitigen zu helfen und fur die Zukunft anregend zu wirken. 



He in rich Strobel (Berlin) 

URAUFFUHRUNGEN IN DRESDEN 

Verdi: „Macbeth" — Straufi: .^Agj'ptische Helena" 

Die Verdi-Benaissance greift immer tiefer. Sie wird durch die gegenwartige 
musikalische Situation gefordert. Auflehnung gegen die Problematik des Musikdramas 
mufite notwendigerweise zu einer neuen Bejahung der elementaren Musikoper Verdis 
fiihren. Kein Zufall, daft man sicb heute gerade um den friiheren und mittleren 
Verdi mit besonderem Eifer bemiiht. Er verkorpert den Typus der unpsychologischen 
italienischen Oper am reinsten. In einer Zeit, die auf dem Gebiet des musika- 
lischen Theaters nach neuen, ihr gemafien Form en strebt, ohne bis jetzt zu allgemein 
gultigen Losungen zu gelangen, halten sich die Biihnen an die sichere Grofie Verdi. 
Das Bepertoire ist in Not. Viele Theater scheuen sich vor den paar wichtigen neuen 
Werken, weil sie die Opposition ihrer meistenteds inaktiven Horerschaft furchten — 
da erscheint Verdi als Ausweg. Urauffiihrungen winken, Ehrgeize konnen sich entfalten 
Das aUes ohne Bisiko. So sehr wir innerlich heute zu Verdi uns hingezogen fiihlen — . 
man darf diese aufieren Tatsachen nicht unterschatzen. So sehr wir diese Benaissance 
bejahen und sie als produktiv erkennen — sie ist ein Zeichen der Krise unseres 
Operntheaters. Verdi wird nicht verhindern, dafi es sich iiber kurz oder lang doch 
sehr griindlich mit dem Zeitschaffen auseinandersetzen mufi, wenn es nicht in 
Tradition en erstarren will. 

Die Schilleropern des jungen Verdi* liegen zum Teil wieder vor. Berlin stellte 
„Luisa Miller" heraus, Barmen-Elberfeld die zwei Jahre frxiher entstandenen „Baubei"'\ 
Nun bringt die Dresden er Staatsoper den „Macbeth", 1847 fiir Florenz komponiert, 
zwanzig Jahre spater fiir Paris umgearbeitet. Man kann verstehen, dafi der Florentiner 
Macbeth ein Durchfall war. Die Italiener kannten Verdi nur in seinen nationalen 
Jugendopern. Sie erwarteten von ihm wieder ein Werk auf dieser Linie. Gewifi gibt 
es auch im „Macbeth" eine Menge traditioneller Opernschablone. Banquo, spater auch 
Macbeth singt in weicher Kantabilitat iiber der stereolypen Begleirung. Das Trinklied 
ist da, der leierige Mannerchor, auch die Banda hinter der Szene und der reifierische 
Marsch. 

Aber sclion wie das Trinklied in das Finale des zweiten Aktes eingebaut ist, 
deutet darauf hin, dafi das Dramatische in dieser Oper dominiert. Verdi erkennt 
Fiille und Kraft der Shakespearischen Situationen, und Piave, der Vielgelasterte, holt 



310 HEINRICH STROBEL 



sie mit grofiem Geschick aus der englischen Tragodie heraus. Erster Akt: Ermordung 
des Konigs Duncan. Zweiter: Ermordung Banquos und Festmahl mit Erscheinung 
seines Geistes. Dritter: Hexenszenen, wieder mit Erscheinung. Vierter: Chor der 
schottischen Fltichtiinge, Nachtwandelszene der Lady, Schlacht und Sieg Macduffs. Es 
ist noch nicht lange her, dafi man sich, vollig von den Ideen des literarischen Musik- 
dramas befangen, iiber die unpsychologische Plumpheit dieser verdischen Libretti er- 
eiferte und in ihnen eine Verballhornung dichterischer Meisterwerke erblickte. Wir 
haben inzwischen wieder einsehen gelernt, dafi die Dramaturgic der Oper iiberhaupt 
nicht zu vergleichen ist mit der des Schauspiels. "Wir haben das psychologisch ixber- 
steigerte Theater satt bekommen und bewundern die Sicherheit, mit der dieser Piave 
das aus Shakespeare zurechtformte, was der Musiker Verdi brauchte. Verdi selber hat 
audi an der Anlage des Szenariums zu „Macbeth" mitgearbeitet. Ungewohnlich 
genug — und sicher fur den Mifierfolg im Jahr 1847 ausschlaggebend — dafi die 
Liebeshandlung, dafi der tenorale primo uomo fehlt. Erst im letzten Akt treten die 
Tenore auf. Die dramatischen Hohepunkte werden Hohepunkte der Musik. Im ersten 
Finale baut Verdi einen riesigen Komplex auf, beginnend mit Macbeth Zaudern vor 
dem Mord an Duncan. Das folgende Duett mit der Lady steht auf der Hohe des 
reifen Meisters. Unerhorte dramatische Schlagkraft im drangenden f-moll, in den 
scharfen Akzenten. In den machtigen Gefuhlsausdruck Macbeths klingt der beifiende 
Spott der Lady. Wie dann, nach Entdeckung der Tat, iiber einem Paukendonner das 
Unisono des Massenensembles hereinstiirzt, wie der melodische Bogen sich weit aufreckt: 
das ist von hinreifiender Wirkung. Von ahnlicher Unmittelbarkeit, doch nicht ganz so 
geschlossen, ist das zweite Finale mit den Halluzinationen des Macbeth. 

Dann sinkt die Spannungslinie. Die Darstellung der Hexenszenen konnte dem 
Bealisten Verdi nicht gelingen. Schon bei Shakespeare empfinden wir sie als theatralischen 
Spuk. Hier sind sie vollends matter Opernflitter. Eine flachige, unphantastische 
Ballettmusik mit durchschnittlichen italienischen Mitteln. Verdi erkennt die Schwachen 
dieses dritten Aktes spater selbst, als er den „Macbeth" fur Paris einrichtet und die 
Instrumentation stark eindiistert: er fiigt ein kleines Duett Macbeth-Lady hinzu. 
Aber er rettet damit das Ganze nicht mehr. 

Im vierten Akt steht die bedeutendste Szene der Lady, deren Partie, verschiedentlich 
in den Bereich der Leonore des „Troubadour" vorstofiend, aufierst schwierig ist. In 
der Nachtwandel-Arie schwingt die italienische Kantilene, die audi in den dramatischen 
Teilen des „Macbeth" absolut dominiert, in reicher Auszahnung iiber einem hochst 
differenzierten Orchester. Welcher Abstand gegeniiber der iiblichen Bravourarie! Man 
mufi auch die schonen Chore des Schlufiaktes noch erwahnen. Der Trauergesang der 
Fliichtlinge : schlicht, sparsam in den Mitteln, von edelster melodischer Fiihrung. Selbst 
das iibliche „Auf zum Kampf" hat eine neue leidenschaftliche Spannung. 

„Macbeth" als Ganzes: ein Werk der Verheifiung — von Jugendkraft erfiillt, 
keineswegs immer konsequent, machmal unsicher, tiberall schopferische Aufierung des 
Genies. 

Die Dresdener Auffiihrung war sehr gut, obschon nicht zwingend. Otto Ehr- 
hardts Regiewille, auf musikalische Gestaltung ausgehend, konnte sich nicht gleich- 
mafiig durchsetzen. Es gab neben ausgezeichneten Gruppierungen auch Konventionelles. 



URAUFFUHRUNGEN IN DRESDEN 311 

Kutschbach war der gewissenhaft fiihrende, kraftig unterstreichende Dirigent. 
Burgs Macbeth: eine hervorragende dramatische Leistung, gesanglich nicht ganz den 
Ansprtichen italienischen Belcanto gemigend, ebenso wie die heroisch iibersteigerte Lady 
der Eugenie Burkhardt. Es wurde zu viel deklamiert. Prachtvoll der Banquo Ivar 
Andresens, eine der beaten Bafistimmen, die man heutc horen kann. Sehr gut 
studierte Chore. 

Ein paar Wochen spater ist man wieder in Dresden. Diesmal zu einer Premiere 
grofiten Stils: Urauffuhrung der „Agyptischen Helena" von Richard Straufi, mit 
der die Dresdener Staatsoper ihre Festspiele zur Feier ihres ftinfzigjahrigen Bestehens 
eroffnet. Diese Festspiele: representative Rtickschau auf die Glanzzeit der Dresdener 
Hofoper. Die ,,Agyptische Helena": Nachhall eines Schaffens, dessen Ruhm von dieser 
Hofoper ausging. Das prunkvolle Bild einer Vorkriegspremiere. Reiche Aufmachung, 
gesellschaftlich festliche Horer. Tosender Beifall, zahllose Hervorrufe. 

Vor einem Vierteljahrhundert Fuhrer der Jugend, vorwartsdrangend und sturmend, 
steht Richard Straufi heute als Typus einer Epoche vor uns — eben jener Vorkriegs- 
zeit, deren aufiere Lebensformen sich immer iippiger gestalteten, die im bequemen 
Genufi sich erschopfte. Den Ideen Wagners zugetan, ist Straufi das Genie dieser Epoche. 
Nicht frei von Selbstherrlichkeit, will er der klassische Meister, der Gereifte, in sich 
Gefestigte in der Zeit neuen Werdens scheinen. So sehr er Wagner verbunden ist, seine 
Sehnsucht strebt nach der klassiscken Reinheit Mozarts. "Wir verdanken ihr sein e zu_ 
kunftsweisendste Schopfung — die „Ariadne". Aber schon da erkannte man die Grenzen - 
Die klassische Haltung war nur aufierlich, im Stofflichen, in iibernommenen Stilelementen, 
in der l'ormaleii Anlage.- Die ausladende Lyi'ik, das Raffinement des Kolorits, das fie- 
rauschende — das alles waren Zeichen einer muden, zert'allenden Kultur, die Antike 
und Rarock als iisthetische Reize heraufbeschwor, A\ r ahrend es vorher in „Elektra" ge- 
lungen war, die antike Tragodie mit den modernen Jlitteln des Musikdramas unmittel- 
bar zu fassen. 

Nun, im Spatwerk der „Agyptischen Helena"', soil die Antike ein phantastisches 
Spiel tragen. Es ist wieder die Antike, wie sie Hoffmanns thai schonheitssiichtig von 
seinem spatbarocken Wienertum aus sieht. Er verliert sich in ihr, vermengt sie mit der 
Symbolik und dem Psychologismus seines eigenen dichterischen Schaffens. Die Mtirchenwelt 
der „Frau ohne Schatteii"', hier mit unverkennbarer Beziehung zur ,,Zauberflote", klingt 
herein. Es ist eine Synthese von mancherlei Stilelementen erstrebt, aber nur eine ver- 
wirrende Menge von Andeutungen, ein spannungsarmes Nebeneinander erreicht. Noch 
weniger als in „Frau ohne Schatten" wird der Horer aus der Dichtung klug. Ihren viel- 
fachen Hintergrtindichkeiten nachzuspiiren, konnte fiir den Literaten reizvoll sein — das 
Opernbuch verlangt vor allem Plastik. 

jMenelas und Helena sind auf der Heimfahrt nach Bcendigung des trojanischen 
Krieges. In Menelas regt sich Eifersucht gegen Helena,' die inzwischen anderen Mannern 
angehorte, die schuld ist an dem zehnjahrigen Blutvergiefien — er will sie toten. Zur 
rechten Zeit wird dieses Vorhaben durch eine weltweise Lautsprecher-Muschel der Zauberin 
Aithra berichtet. Aithra beschliefit die schonste Frau der Welt zu retten. Eurypides 
hilft Hoffmannsthal : Helena, die Paris nach Troja entfuhrte, sei nur ein Lidtgebild ge- 



312 HEINRICH STROBEL 



wesen, um die Manner zu narren, die wirkliche Helena liaben die Gotter zu sich ge- 
nommen, um sie nacli dem Krieg als unberuhrte Frau dem Gatten zuriickzugeben- 
Aithra mischt, um Menelas von der Richtigkeit dieser Tatsachen zu iiberzeugen, aller- 
hand Tranke des Vergessens, Tranke der Erinnerung, sie zaubert Pliantome, idylliscbe 
Liebesoasen vor. Am Schlufi jedes Aktes — es sind zwei — erliegt Menelas den weib- 
lichen Reizen. Zuerst der phantomhaften, dann der echten Gattin, die in Wahrheit em 
und dieselbe ist. Daraus ergibt sich Parallelitat des Handlungsablaufes der beiden Akte. 
Der erste hat immerhin noch di'amatisclie Gliederung. Dem zweiten geht sie vollstandig 
ab — trotz Aufgebot aller moglichen orientalischen Requisiten, trotz dieses Monostatos- 
Altair, der Helena umgirrt und ad oculos demonstrieren soil, dafi man mit einer so 
schonen Frau eben nicht in Frieden leben kann. Aber noch ist Aithra zur SteUe, die 
mit Zauberkraft aUe Liisternheit unterdriickt, die Hermione, Helenas und Menelas 
Tochter, unvermutet herbeiholt und die gliicklich Wiedervereinten (nach altem Opern- 
braucli auf drei lebendigen Pferden) gen Sparta abreiten lafit. Antike mit gutburger- 
licher Famdienmoral. 

Der EinfluS Wagners ist unverkennbar — nicht nur in den zahlreich gemixten 
Tranken, auch in der allmahlich „wissend werdenden" Helena. Uberraschend genug: 
Wagner steht auch hinter der Partitur. StrauJi entsinnt sich des .,Guntram", er ent- 
sinnt sich auch aller seiner fruheren Opern. Die Hoffmamisthalsche Symbolik verwirrt 
ihn nicht. Er musiziert sich aus. Freilich nicht mehr mit der Ursprunglichkeit, mit 
dem glan?enden Elan, mit der Fulle von ehedem. Ein Fazit aus dem Vorhergegangenen, 
mit blendender Routine ausgefiihrt. Die Substanz ist abgeschwacht, das Handwerkliche 
herrscht. Der Klang des Riesen-Orchesters, die breit stromenden kantabilen Melodien 
wollen einen Inhalt vortauschen. Restimmte Wendungen, aus „Ariadne" entnommen, 
schwelgerische Figuren, schillernde Reihungen terzenverwandter Akkorde wirken ver- 
braucht, so sicher auch die Steigerungen angelegt sind, so sehr das Kolorit bestrickt. 
Das lyrische Gefiihlspathos bricht immer wieder aus den dramatiscli untermalten Partien 
hervor: ungemein leuchtend, stark tonal gefestigt, mit jener fatalen Tendenz zum Trivialen, 
die bei Straufi von jeher vorhanden war. 

Die „Agyptische Helena" wendet sich nach riickwarts. Straufi verdiinnt seinen 
eigenen Stil, indem er ihn kopiert. „Intermezzo" schien lebendiger. „Helena" deutet 
keine Entwicklungmoglichkeiten mehr an. 

Die Auffiihrung war im hochsten reprasentativ, wie man es an dieser traditionellen 
Statte erwarten durfte. In gleichem Ma6e das Verdienst des Dirigenten Fritz Busch, 
der das herrliche Orchester und die Sanger ausgezeichnet ausgleicht und des Regisseurs 
Ehrhardt, der fur siimvolle Bewegung der Szene sorgt. AUes war hervorragend ein- 
studiert. Theodor Fanto stellte den aufieren Rahmen auf bunte Opernhaftigkeit mit 
schon abgetonten Vorhangen, goldenen Saiden und schimmernden Kostiimen. Die 
blaue Riesenschleppe der Helena — Entziicken aller. die in Hoftheatererinnerungen 
versanken. Die Oper verlangt allererste gesangliche Krafte. Dresden hatte sie — die 
wundervolle Elisabeth Rethberg mit ihrer weichen, leuchtenden, bezaubernden Stimme 
als Helena, im Darstellerischen noch zwingender die Aithra der Maria Rajdl: beweg- 
lich, intelligent, mit feinem, hellem Organ. Curt Taucher als Menelas, voll drama- 
tischen Lebens, mannlich und bestimmt. 



ZEITSCHAU 313 



MUSIKLEBEN 



Heinrich Strobel (Berlin) 

ZEITSCHAU 

Die deutsche Musikwelt hat zwei schwere Verluste zu beklagen. Durcli em tod- 
liches Autoungluck wurde Emil Bohnke plotzlich aus einem Wirken gerissen, das neue 
Krafte dieses feinen und ernsten Musikers freizumachen verspracli. Geburtiger Pole, hat 
sich Bohnke als Bratschist des Bandler- und spater des Buschquartetts schnell einen be- 
deutenden Namen gemacht. Vor einigen Jahren gab er diese Tatigkeit auf und iiber- 
nahm die Leitung des Berliner Sinfonieorcb esters, das er durch unermiidliche, von hohem 
Idealismus erfiillte Arbeit vorwartsbrachte. Seine finanzielle Unabhangigkeit kam ihm 
dabei zu statten. Als Komponist entwickelte sich Bohnke, von Brahms ausgehend, zu 
einer selbstandigen Personlichkeit, die viel beachtet wurde. Im Allgemeinen Deutschen 
Musikverein spielte er eine fiihrende Bolle. Weit iiber Berlin hinaus wird man dem 
tragischen Geschick Bohnkes und seiner Gattin lebhafteste Anteilnahme entgegenbringen. 

In Dessau starb funfundsechsigjahrig Prof. Dr. Arthur Seidl. Musiker, Literat und 
Asthet zugleich, war er einer der geistvollsten und aktivsten Verteidiger der Wagner- 
schen Ideen, einer der begeistertsten Vorkampfer fur Bichard Straufi. Lange Jahre hin- 
durch lehrte er audi Musikgeschichte am Leigziger Konservatorium. Obwohl er einer 
anderen Generation angehorte, zeigte er sich lebhaft interessiert auch am jtingsten 
musikalischen Schaffen, mit dem er sich in einer seiner letzten Arbeiten auseinander- 
setzte. Trotz mancher Eigenheiten eine Kunstlernatur durch und durch, ist mit Seidl eine 
der markantesten und verdienstvollsten Personlichkeiten des musikalischen Schrifttums 
aus der Straufi-Epoche dahingegangen. 

Es ist die Zeit der Musikfeste. Schwerin haben wir hinter uns. Eine Beihe von 
rein reprasentativen Festen werden im Juni veranstaltet. Sie pflegeii die Tradition in 
moglichst guten Auffuhrungen. Entspringen mehr einer schonen Gewohnheit als einem 
Bediirfnis. Immerhin ist es bemerkenswert, dafi auch alte Musik auf diesen traditionellen 
Festen eine immer grofiere Bolle spielt. Fast zur selben Zeit ein Bachfest in Niirn- 
berg, ein Handelfest in Kiel — mit einer Beihe historischer Kostbarkeiten — und 
einer Bachfeier unter der autoritativen Leitung Karl Straubes in Leipzig mit der 
Erstauffiihrung des gesamten „Musikalischen Opfers": das ware noch vor dem Kriege 
undenkbar gewesen. Diese Musikfeste sind Zeichen einer reichen und dezentralisierten 
Musikpflege, wie sie aufJer Deutschland kein anderer Staat nur im entferntesten besitzt. 

Die notwendige Arbeit fur die Gegenwart, wird immer wieder nur an einer Stelle 
geleistet: in Baden-Baden, dessen Programm jetzt vorliegt. Kammermusik ist dies- 
mal ausgeschaltet. Auf diesem Gebiet sind alle neuen Moglichkeiten hinlanglich erprobt. 
Dagegen fuhrt man die Versucbe der Kurzoper weiter. Arbeiten von Beutter (Sard), 
K n e i p (Tuba mirum), Gronostay (In zehn Minuten) und M o s s o 1 o w (Der Held) 
werden aufgefiihrt. Mit Kantaten werden die vokalen Versuche aus den vergangenen 
Jahren aufgenommen. Auf das Kammeroratorium nach Holderlin von J. M. Hauer ist 



314 HEINHICH STROBEL 



man besonders gespamit. Ein Abend dient moderner Orgelmusik, die Jarnach, 
Pepping, Finke und Humpert schreiben. Endlich wird an der Losung des hochst 
aktuellen Problems: Musik und Film weitergearbeitet MELOS wird in einem Sonder- 
heft auf die Baden-Badener Fragen eingehen. ') 

Die diesjahrige Pa riser Saison wurde zu einem Triumph fur deutsche Musik. 
Mehrfach wurde an dieser Stelle schon uber die Pariser Gastspiele deutscher Kiinstler 
bericbtet. Ohne einem Gesamtreferat, das demnachst erscheinen wird, vorzugreifen, 
mufi des beispiellosen Erfolgs gedacht werden, den Furtwangler mit den Berliner 
Philharmonikern beim ersten Auftreten in Paris errangen. Es war auch ein gesell- 
schaftliches Ereignis. An einem Friihstiick fur Furtwangler nahmen aufier der ganzen 
Diplomatic auch fiihrende franzosische Musiker wie Ravel und Honegger teil. Kurz 
darauf begann der ., cycle Mozart" unter Bruno Walter. Wieder ein ganz starker 
Erfolg. Zuerst Don Giovanni, danii Cosi fan tutte, jetzt Zauberflote (in deutscher 
Sprache). Walter und das Orchester finden besondere Anerkennung. Walter dirigierte 
auch Strawinskys Klavierkonzert. (In Deutscbland wurde er sicli kavxm dafiir einzu- 
setzen wagen.) 

Die Pariser Gastspiele der Wiener Oper sollen noch ein lustiges Nacbspiel gehabt 
haben. Frau Jeritza war gekrankt weil sie nicht mit ebendenselben Orden wie Frau 
Lehmann ausgezeichnet worden war. Aufregung, Krach an der Wiener Staatsoper. Die 
Wiener Premiere der Agyptischen Helena in Frage gestellt, in der die Jeritza die Titel- 
rolle singen soil. Feierliche Dementi der Staatsoper: Frau Jeritza ist garnicht wegen 
des Ordens beleidigt, der Verzicht auf die Ehrenmitgliedschaft habe andere Ursachen, 
aber es sei Gottseidank gehmgen, die Kiinstlerin zu besanftigen : die Helena kann steigen. 
Lacherliche Komodie, aufgebauscht durch sensationslusterne Korrespondenzen. Die Sorgen 
des Stars. 

Ein anderer Star, Schaljapin, gastierte kurzlich mit eigenem Ensemble in Berlin. 
Als die grofie Sensation der Nachsaison angekiindigt, enorme Eintrittspreise fordernd. 
Vorher Interviews, Empfange — wie bei der Straufi-Premiere in Dresden. Man hatte 
den Bogen uberspannt. Die sechs oder sieben Gastspiele in den drei Berliner Opern- 
hausern waren mafiig, ja schlecht besucht. Und Schaljapin selber: der geniale Naturalist 
der grofien Oper von gestern. 



Einige Personalnotizen. Muck wird nacb seinem 70. Geburtstage als Leiter der 
Hamburger Pbilharmonischen Konzerte zuriickti-eten. Das Wettrennen um die Nachfolge 
setzt bereits ein. Fritz Rainer, der friihere Dresdener Kapellmeister, in Amerika be- 
ruhmt geworden, soil die meisten Chancen haben. Man diirfte aber den uberaus 
tiichtigen Hamburger Eugen P a b s t nicht ubergehen. Amerika, das uns ein paar Jahre 
hindurch die besten Krafte wegnahm, interessiert sich iiberhaupt wieder fiir Deutschland. 
Flesch kehrte zuriick, ubernahm eine Professur an der Berliner staatlichen Hocbschule. 
Gabrilo vvitsch, vor dem Krieg sehr beach tet, wird naehsten Winter wieder in Deutsch- 
land spielen und dirigieren. Kleiber hat ein erneutes amerikanisches Angebot, als 
Oberleiter an die Metropolitan zu gehen, abgelehnt. 



') Das Programn fiir Baclen-Baden siehe im Anzeigeteil. 



r 



jNACHBIGHTEN 



315 



NACHRICHTEN 



KLEINE BERICHTE 

Das Hoch'sche Konservatorium in Frankfurt a. M. 
feierte am 10. Juni sein 50jahriges Bestehen. AVie 
wir hciren haben sich die wegen der A'eistaatlichung 
des Instituts gefiihrten Vcrhandlungen vorlaufig zer- 
schlagen. 

Bei der Neuordnung der Bibliothek der Berliner 
Sing-Akademie wurden ungefahr 250 wertvollc Briefe 
aus dem Nachlass des eheraaligen Direktors der Sing- 
Akademie, Bungenhagen, aufgefunden. Darnnter be- 
fanden sich Briefe von Carl Loewe. Lortzing, Nicolai, 
Spontini, Devrient, Anna Milder-Hauptmann iind 
anderen bekannten Berliner Personlichkeiten aus der 
Mitte des vorigen Jahrhunderts. 

Am 20. Mai land in Schwerin die ordentliclie 
Hauptversammlung des Verbandes deutsclier Orchester- 
und Chorleiter statt. Als bisheriger Vorstand wurden 
einstimmig wieder gewahlt: Dr. AVilhelm Furtwangler, 
Dr. Budolf Cahn-Speyer, Prof. Hermann Abendroth, 
Prof. Dr. S. von Hausegger und Prof. Dr. Peter 
Baabe. 

Im Rahmen der Bildungsabteilung des evangel. 
Johannesstiftes in Spandau ist eine Evangelise he 
Schule fur kirchliche A f oIksmusik unter 
Leitung von Dr. Fritz Beusch gegriindet worden. 
In freien Lehrkursen, Singwochen und semester- 
mafiig aufgebauten Studienzeiten werden *hier Or- 
ganisten, Pfarrer, Lehrer, Diakonen, Jugendfidirer 
und Jugendliche aus dem ganzen Beich mit der Sing- 
bewegung bekanntgemacht und in die Aufgaben einer 
kirchlichen Volks- und Jugendmusikpflege eingefiihrt. 
Zur praktischen Auswertung des in der Kursusarbeit 
Angestrebten wird in Verbindimg mit der Schule 
eine Stiftskantorei eingerichtet. Eine angeschlossene 
Beratungsstelle erteilt auf alle kirchenmusikalische 
Fragen Auskunft. 

Die Genossenschaft Deutsclier Tonsetzer (GDT) 
hat aus Anlafi ihres 25jahrigen Bestehens eine Fest- 
schrift herausgegeben, die sehr interessantes Material 
uber diese Standesvereinigung deutsclier Tonsetzer 
enthalt. 

Der Preuft. Landesverband der akademischen 
Musiklehrer hoherer Lehranstalten halt am 1. Juli 
in Frankfurt a. M. seine aufierordentliche Haupt- 
versammlung ab. Auskunft erteilt Studienrat Vilh. 
Meister (Vorsitzender) Frankfurt a. M., Danneckerstr.33. 

AUFFUHBUNGEN 

Die diesjahrigen Handelfestspiele in Gottingen 
finden vom 5. bis 10. Juli statt. Zur AufTuhrung 
kommen die Oper , .Julius Casar" und die szenischen 
Kantaten ,,Lukretia", „Apollo und Daphne" von 
Handel, sowie „Phobus und Pan" von Bach. (Aus- 
kunft B. Kuhnhardt, Gottingen). 



Das zweite Handelfest der Hiindelgesellschaft 
findet vom 21. bis 24. Juli — zugleich als Schleswig- 
Holsteinisches Musikfest — statt. Auskiinfte und 
Programme durch die Geschaftsstelle der Hftndelge- 
sellschaft, Leipzig, Nurnbergerstr. 36. 

Am 1. Juli begeht die Stadt Leipzig ihre dies- 
jahrige Bachfeier mit der Erstauffiihrung des musi- 
kalisrhen Ojjfers in der Bearbeitung von Hans David 
und einer Aulmhrung der Hohen Messe. Auskiinfte 
erteilt die Geschaftsstelle Leipzig C. 1., Niirnberger- 
strafie 36. 

Das jNiirnberger Bachfest rindet vom 13. bis 15. 
Juli im Bahmen des ..Durer-Jahres" statt. Naheres 
aus der Anzeige in diesem Heft. 

Das Hessische Landestheater in Darmstadt bringt 
die ..Bettleropei"' von John Gay am Anfang der 
nachsten Spielzeit als Deutsche Urauffuhrimg heraus. 

Vom 7. bis 10. Juni veranstaltete die Max Beger- 
Gesellschaft in Duisburg das 6. Begerfest. 

Die Stagione d'Opera Italiana gastierte vom 11. 
bis 13. Juni mit Rossinis ,,Barbier von Sevilla", Puc- 
cinis ,,Tosca" und Donizettis ,,Liebestrank" in Heidel- 
berg. Ein weiteres Gastspiel folgt in Koln gelegent- 
lich der ,,Pressa", 

Schuberts Singspiel „Die Freunde von Salamanka" 
wurde am Stadttheater Halle uraufgefuhrt. 

Hannover brachte am 9. Juni im Bahmen einer 
Festwoche die Erstauft'uhrung von Busonis „Doktor 
Faust". 

In Gijrlitz fand vom 1 . bis 3. Juni das 20. Schlesische 
Musikfest statt. 

PEBSDNLICHE NACHBICHTEN 

Privatdozent Dr. J. Muller-Blattau, Direktor des 
musikwissenschaftlichen Seminars und des Instituts 
fur Kirchen- und Schulmusik an der Albertina ist zum 
a. o. Professor an der Universitat Konigsberg ernannt 
worden. 

A. Casella hat sein neues A r iolinkonzsrt Professor 
Szigeti gewidmet und ihm das alleinige Auffiihrungs- 
recht fur 1928/29 xibertragen. 

Heinrich Werle, Abteilungsleiter an der Stadt. 
Musikhochschule zu Mainz, wurde als Dozent fur 
Musik art das Padagogische Institut der Universitat 
Leipzig berufen. 

Dem a. o. Professor fur Musikwissenschaft an der 
Universitat Berlin, Dr. Kurt Sachs, ist ein Lehrauftrag 
fur Instrumentenkunde erteilt worden. 

Der a. o. Professor fur Musikwissenschaft an der 
Universitat Kiel, Generalmusikdirektor Dr. Fritz Stein, 
ist zum ordeiitlichen Professor ernannt worden. 

Der bisherige Oldenburger Landesmusikdirektor 
Werner Ladwig wurde als Generalmusikdirektor und 
musikalischer Oberleiter an das Stadttheater Konigs- 
berg/Pr. berufen. 



316 



MUSIKLEBEN 



Der Opernregisseur Dr. Wolfgang Herbert wurde 
fiir die kommende Spielzeit als kiinstlerischer Leiter 
und stellvertretender Direktor an das Theater des 
Westens, Berlin, verpflichtet. 

AUSLAND 

Die Salzburger Festspiele wurden nunmehr end- 
giiltig auf die Zeit vom 26. Juli bis 30. August fest- 
gelegt. Der Spielplan sieht folgende Aufftihrimgen 
vor : „Zauberfl6te", „Fidelio", „Iphigenie auf Tauris", 
,,Cosi fan tutte", „Die Riiuber", ,,Jedermann" und 
das ,,Perclitenspiel", 5 Orchesterkonzerte, Benovoli- 
Messe und Serenaden. 

In Salzburg wird von der Internationalen Stiftung 
Mozarteum im Juli und August eine „Zauberfl6te"- 
Ausstellung veranstaltet, die ein vollstandiges musik- 
historisches, literarisches und biihnengeschichtliches 
Bild der Entstehung der Oper, der Erstauffiihrungen 
und des Fortlebens des Werkes bis zur Gegenwart 
geben soil. 

Durch Vereinigung zweier bis dahin gesondert 
bestehender Organisationen hat sich in Wien der 
„ D s t e r r e i ch i s ch e K o m p o n i s t e n b u n d " kon- 
stituiert, der in eine Sektion fiir ernste und eine fur 
heitere Musik gegliedert, nunmehr die Interessen- 
vertretung samtlicher schaffender Musiker Dsterreichs 
reprasentiert. Zum gemeinsamen Prfisidenten wurde 
Dr. Rudolf Sieczinsky gewalilt. In den Vorstand 
wurden entsandt: von der Sektion fiir ernste Musik : 
Dr. Josef Marx (Obmann), Dr. Hans Gal (Schriftfiihrer), 
Alban Berg, Dr. Wilhelm Grosz, Prof. Robert Heger, 
Dr. Karl Weigl, Dr. Egon Wellesz ; von der Sektion 
fiir heitere Musik : Dr. Richard Glueck (Obmann), 
Sylvester Schieder (Schriftfiihrer), Karl M. Jaeger, 
Wilhelm August Jurek, Ludwig Prechtl, Dr. Ludwig 
Rochlitzer, Josef Roscher, Ehrenprasidenten sind Dr. 
Richard StraulS und Franz Lehar. 

Das Budapester Philharmonie-Orchester wird im 
Juni zwei Konzerte in London unter E. von Dohnanyis 
Leitung geben. 

In London findet ein dreitagiges Musikfest statt, 
welches ausschliefilicb der jiidischen Musik gewidmet ist. 

Strawinsky hat soeben sein „Requiem" beendet. 

Bruno Walter hatte in Paris mit dem von ihm 
geleiteten, von der franzosischen Gruppe der inter- 
nationalen Theatergesellschaft veranstalteten Konzert- 
Zyklus bedeutenden Erfolg. 

Die Singakademie zu Berlin gab auf Einladung 
Mailander Konzertgesellschaften unter Professor Gg. 
Schumann mehrere Konzerte mit deutschen Oratorien- 
werken. Bei dieser Gelegenheit kam Bachs h-moll- 
Messe und Handels „Israel in Agypten" zur iiber- 
haupt ersten Auffiihrung in Italien. 

Ottmar Scliiicks Musikdrama „Penthesilea" kam 
an der Ziiricher Oper zur schweizerischen Erstauf- 
fiihrung. 



Unter Professor Malko von der Philharmonie in 
Leningrad hat sich im Verein mit Professor Assafieff, 
Schaperin, Einsburg, Glasunoff und Sandberg ein 
Komitee gebildet, das sich privatim die Pilege musika- 
lischer Beziehungen Rufilands zum gesamten Ausland 
und auslandischen Musikern zur Aufgabe gemacht hat. 

Das von der Regierung der Sowjet-Union nun- 
mehr angenommene neue Urheber-Schutzgesetz sicliert 
dem Autor ein lebenslangliches Recht auf sein Werk 
zu, wahrend die Schutzdauer bisber nur auf 25 Jahre 
festgesetzt war. Eine Ausnahme bilden choreogra- 
phische Werke, Pantomimen, Filmtexte und Film- 
streifen, fiir die das Urheberrecht auf 10 Jahre be- 
schrankt wird, wie audi Lichtbilder, dcren Urheber- 
recht nach dem neuen Gesetz 5 Jahre lang dem Autor 
bleibt. Nach dem Tod des Autors geht das Urheber- 
recht fiir die Frist von 20 Jahren an die Erben iiber. 
Das Recht des Autors an sein Werk kann durch einen 
Verlagsvertrag aufgehoben werden. Ebenso kann es 
von der Regierung der Sowjet-Union bei derjenigen 
Bundesrepublik in der das betreffende Werk zuerst 
herausgegeben wurde, zwangsmafiig, jedoch gegen 
Entgelt erworben werden. 

Die tiirkische Regierung beabsichtigt, Reformen 
nach deutschem Muster am Konservatorium und an 
den Theatern Konstantinopels durchzufiihren. Der 
Dresdener Staatsopernkapelhneister Kurt Striegler, 
der im vergangenen Jahr auf Einladung der Priifektur 
in Konstantinopel sehr erfolgreiche Konzerte mit 
dem Gazi-Orchester leitete, ist als kiinstlerischer Fach- 
berater der tiirkischen Behorden gewonnen worden. 

VERSCHIEDENES. 

Gemfifi BeschluK der internationalen Konferenz 
in Bom bleibt die 30 jahrige Schutzfrist beibehalten, 
d. h. der hisher sehr umstrittene Artikel 7 der Berner 
Konventjon wird unverandert bestelien bleiben. 

Die Philharmonische Gesellschaft Hamburg feiert 
in diesem Jahre ihr 100 jahriges Bestelien. 

Der Bund deutscher Musikpadagogen e. V. halt 
seine ordentliche Hauptversammlung am 17. Juni in 
Hamburg ab. 

Der II. deutscbe Tanzer-Kongress, der vom 22. 
bis 26. Juni in Essen stattfindet, hat in seinem 
Programm folgende Themen in Vortrag und Dis- 
kussion vorgesehen : Tanztheater und Theatertanz — 
Tanzschrift und Chbreologie — Tanzpadagogik — 
Laientanz. Ferner findet erstmalig eine Ausstellung 
fiir Bewegungskunst statt,die einen Uberblick iiber 
die gegenwartige tanzerische Arbeit geben soil. 

Die Columbia Phonograph Comp. in New- York 
hat aufier dem bereits erwahnten 20.000 Dollar 
Wettbewerb, anlafilich der Schubert Jahrhundertfeier 
einen Preis von 1.000 Dollar fiir alle Untersucbungs- 
arbeiten, die zur Entdeckung derjverlorenen „Gastein"- 
Symphonie Schuberts aus dem Jahre 1826 fiihren, 
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Die Rhein. Musik- und Theaterzeitung schreibt : 

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entziehcn, der aus dieaen Blattern weht, 
eine Welt edler Menschllchkeit u. kiinstlerischer 
Grofie erschliefit sich vor unseren Augen." 

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Handbuch der Musikwissenschaft 

Herausgegeben von Professor Dr. Ernst Bucken von der Universitat Koln unter Mitwirkung einer 

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Klaviermusik, op. 37: 

Erster Teil: Ubimg in drei Stiicken M. 4. — 
Zweiter Teil : Keihe kleiner Stiicke M. 6. — 

Tanzstlicke, op. 19 in Vorbereitung. 
Solo^Sonaten: 

Violine allein : op. 31 No. 1, 2 . . . je M. 3.— 
Viola allein : op. 11 No. 5, op. 25 No. 1 je M. 3.— 
Violoncello allein : op. 25 Nr. 3 M. 3.— 

Kanonisdie Sonatine fur zwei Floten, op. 31 
Nr. 3 M. 3.— 

Sonaten mit Klavier: 

Violine u. Klavier : op. 11 No. 1 . . . M. 4.— 
op. 11 No. 2 . . . M. 6.— 
Viola u. Klavier: op. 11 No. 4 . . . M. 6.— 
Violoncello u.Klav.: op. 11 No. 3 . . . M. 6.— 
Viola d'amore u. Klav. op. 25 No. 2 i. Vorb. 

Kammermusik: 
Trio Air Viol., Via. u. Vcl. op. 34 Stud.-Part. 
M. 2.—, Stimmen M. 8.— 

I. Quartett fur 2 Viol., Via. und Vcl. op. 10 

Stud.-Part. M. 3.—, Stimmen M. 10.— 

II. Quartett fur 2 Viol., Via. und Vcl. op. 16 
Stud.-Part. M. 3.—, Stimmen M. 10.— 

III. Quartett ftir 2 Viol., Via, und Vcl. op. 22 
Stud.-Part. M. 3.—, Stimmen M. 10.— 

IV. Quartett fur 2 Viol., Via. und Vcl. op. 32 
Stud.-Part. M. 3.—, Stimmen M. 10.— 

Kleine Kammermusik fur 5 Blaser (Flote, Oboe, 
Klarinette, Horn und Fagott) op. 24 No. 2 
Studien-Partitur M. 2.— 

1 rio f. Bratsche, Heckelphon u. Klavier in Vorb. 

Kammerorchester: 

Kammermusik No. 1, op. 24 No. 1 (mit Finale 
1921),. Stud.-Part M. 4.— 



Kammermusik No. 2 (Klavier-Konzert) op. 36 
No. 1, ftir oblig. Klavier u. 12 Soloinstrumente. 
Stud.-Part. M. 4.— Klavier-Auszug M. 8.— 

Kammermusik No. 3 (Cello-Konzert) op. 36 
No. 2, filr obi. Violoncello und 10 Soloinstr. 
Stud.-Part. M. 4. — Klavier-Auszug M. 6.— 

Kammermusik No. 4 (Violin-Konzert) op. 36 
No. 3 f. Solo-Violine u. gross. Kammerorchest. 
Stud.-Part. M. 4.— Klav.-Ausz. (Singer) M. 8.— 
daraus einzeln: Naclltsttick fttr Viol. u. Kl, M. 2. — 

Kammermusik No. 5 (Bratschen-Ko nz .) op. 36 
No. 4 ftir Solo-Bratsche und Kammerorchest. 
Stud.-Part. M. 4.— Klav.-Ausz.(Willms) M. 8.— 

Kammermusik Nr. 6, op. 46 No. 1. Konzertfur 
Viola d'amore und Kammerorchester 

Konzert fur Orgel und Kammerorch. op. 46 No. 2 

KonzertSuitea.d.Ballettpantomime„DerDamon" 
op. 28 Klavier-Auszug M. 8.— 

Tanz der Holzpuppen (Foxtrott) aus „Tutti- 
fantchen" ftir kleines Orchester 

Grosses Ordiester: 



Konzert fiir Ordiester, op. 38 

Studien-Partitur M. 4. — 

Konzercmusik fiir Blas=Ordiester, op. 41 

Tanze aus „Nusch-Nuschi" 

Ausg.f. Klav. zu4Hdn.(i. Part. gedruckt) M.4.— 

Gesang 

.8 Lieder fiir Sopran mit Klavier, op. 18 M. 3.— 

Die junge Magd. 6 Gedichte von Georg Trakl 
fttr eine Altstimme mit Flote, Klarinette und 
Streichquartett, op. 23 No. 2 
Partitur M. 3. — Klavier-Auszug M. 3. — 

Das Marienleben. Gedichte von E. M. Eilke. 
Ftir Sopran und Klavier, op. 27 
In 1 Band M. 8.— In 4 Heften je M. 2.50 

Die Serenaden. Kleine Kantate nach roman- 
tischen Texten fur Sopran, Oboe, Bratsche 
und Violoncello, op. 35 
Partitur (mit unterlegt. Klav.-Auszug) M. 4. — 



Auffulirungsmateriale, soweit keine Preise angegeben sind, nach Vereinbarung. 



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Fur gemischten Chor 4-6stimmig a oappella 

Partitur vollstiindig M. 4. — 

Chorstimmen each Vereinbarung 

Vom Hausregiment (Luther) 6st. / Frauenklage (Burg- 
gral' zu Hegensburg) 5st. / Art lasst nicht von Art 
(Spervogel) 4st. / Der Liebe Schrein (Heinrich von 
Morungen) 5st. / Heimliches Gluck (Reinmar) 6st. / 
Lands^nechtslied 6st. ' 

Biihnenwerke : 

Cardillac. Oper in 3 Akten (4 Bildern), Text 
nach E. T. A. Hoffmanns „Frivulein von 
Scuderi" von F. Lion, op. 39 
Klavier-Auszug (Singer) . . . M. 18. — 
Ftihrer (Willms) M. 1.50, Textbuch M. 1.— 

Morder, HofFnung der Frauen 

Oper in 1 Akt von 0. Kokoscbka, op. 12 

Klavier-Auszug M. 10.— 

Textbuch zus. mit op. 20 mid 21 . M. —.80 

Das Nusdi=Nusdii 

Ein Spiel fiir burmanische Marionetten 
in 1 Akt von Franz Blei, op. 20 

Klavier-Auszug M. 12. — 

Textbuch zus. mit op. 12 und 21 . M. —.80 



Sancta Susanna 

Oper in 1 Akt von A. Stramrn, op. 21 
Klav.-Ausz. M. 10— Studien-Part. M. 6.— 
Textbuch zus. mit op. 12 und 20 . M. —.80 

Hin und zuriick. Sketch mit Musik. 
Text von Marcellus Schiffer, op. 45 a 
Klavier-Auszug M. 5. — Textbuch M. — .50 

Der Damon. Tanzpantomime v. MaxKrell,op.28 
Klavier-Auszug M. 8. — 

Musik ZU Tuttifantchen. Weihnachtsmarchen 
in 3 Bildern v. Hedw. Michel u.FranziskaBecker 
Klavier-Auszug M. 4. — 

Haus» und Gemeinscfiaftsmusiken : 

Sing= und Spielmusiken fiir Liebhaber und 

Musikfreunde, op. 45 
No. 1 Frau Musica. Musik zum Singen und 
Spielen (Luther). 
Partitur M. 3.— Stimmen zus. M. 2.50 

St. einzeln: Singstimme — .30, Instrum. — ,5J 
No. 2 Acht Kanons fiir 2 Singstimmen mit lnstr. 
Partitur M. 2.50 Stimmen zus. M. 1.80 

Stimmen einzeln : Singst. — .75, Instrum. — .30 
No. 3 Ein Jager aus Kurpfalz, der reitet durch 
den griinenWald. Spielmusik fur Streicher 
und Holzblaser 
Part. M. 2.—, Stimm. zus. M.3. — , einz. M. —.50 
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Oboen, op. 43 I. 

Studien-Partitur M. 2.—, Stimmen M.3.50, jede 
Stimme einzeln M. — .40, Spielanweisung 
(Hockner) M. —.50 

Lieder fiir Singkreise, op. 43 II. 

Vier Lied er zu drei Stimmen nach Gedichten von 
Platen, Eainer Maria Eilke u. Mattiiias Claudius 

Singpartitur M. — .80 

Sdiulwerk fiir InstrumentaUZusammen= 

spiel, op. 44 

1 : 9 Stticke in der ersten Lage fiir den Anfaug 

fiir zwei Geigen oder zweistim. Geigenchor 

Spielpartitur M. — .80 



Sdiulwerk fiir Instrumental=Zusammen= 

spiel (Fortsetzung) : 

8 Kanons io der ersten Lage fiir wenig Fort- 
gesehrittone fiir zwei Geigen oder zwei- 
stimmigen Geigenchor mit begleitender 
3. Geige od. Bratsche. Spielpartitur M. 1.20 

8 Stticke in der ersten Lage fiir Fortge- 
schrittenere ftir zwei Geigen, Bratsche und 
Violoncello (einzeln und ehorisch besetzt) 
Studien-Partitur M. 2.—, Stimmen M. 2.50, 
jede Stimme einzeln M. — .75 

5 Stticke in der ersten Lage f. Fortgescbrittene 
fiir Streichorchester 

Studien-Partitur M. 2. — , Stimmen M. 3. — , 
jede Stimme einzeln M. — .75 



II: 



III 



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Foerster, Jos. B. 

op. 29 Symphonie II Fdur (O. Sin) ,. . GM. 5. - 

op. 70 Fest-Ouverttire (R. Vesely) „ 2.30 

op. 83 Legende vom Cliiclc (R. Vesely) '. „ 1.20 

op. 76 Aus Shakespeare, Suite fur grofies Orchester, Bearbeitung des 

Komponisten , „ 5. — 

Jandcek, Leos 

Taras Bulba, Rhapsodie fur grofies Orchester (B. Bakala) ...... „ 7.50 

Novak, Vit 

op. 33 Von der ewigen Sehnsucht, Symphonische Dichtung fiir grofies 

Orchester (R. Vesely) „ 2.25 

Smetana, Bedrich 

Mein Vaterland. Zyklus symphonischer Dichtungen fiir grofies Orchester. 
I. Vysehrad — II. Vltava - III. Sarka — IV. Aus Bohmens 
Hain und Flur - V. Tabor - VI. Blanik. Bearbeitungen fur 
Klavier von Roman Vesely. Propaganda-Ausgabe mit tschechischer 
deutscher, franzosischer u. englischer Inhaltsangabe. Einzeln je „ 1.50 

II. Streidiquartet t dmoll (R. Vesely) , 2.25 

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endeten Suite fiir grofies Orchester (R. Vesely) „ 1.80 

Siik, Josef 

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und seiner Tochter Ottilie gewidmet. „ 5.40 

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Gebiete moderncr Gesnngs- und Musikpiidagogik bekannt 
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andere seine „Chorgesangssdiule". In semen „Unterridits- 
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jeder Musikfreund ausemanderaetzen, denn dieses Neue 
laftt sidi nicht mehr mit einem Adiaelzucken erledigen. 
Die Orientierung war biaher schwer. Das vorliegcnde 
Werk hat dem abgeholfen. Griindlidier. umfaasender und 
gliicklidier konnte die Aufgabe kaum geloat werden, ala 
von 'diesen beiden berufenen Autoren. . Gesundea Urteil, 
Geist, musikalisdier Weitblick spredien aus jedem der 
knappgefaftten Urteile. 

4. R UTHARDT. Wegweiser dutch die 
Ktavierliteratur. IP. Auflage 

Geheftet Rm. 6.50, gebunden Rm. 8. - 

Ein alter Bekannter. und doch neu, da wiederum vollig 
neu bearbeitet. Beide, Ruthardt und Teidimuller, er- 
ganzen sidi gegenseitig aufs beste ; hier das hewahrte gute 
Alte, dort das beachtcnswerte Neue. 



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Herausgegeben von Jakob Ortner 

Professor an der Akademie fiir Musik 
und darstellende Kunst in Wien 

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samtgebiet der Gitarristik und des 
Liedes, Gitarristische Rundscliau, Li- 
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DER DIKTATOR 

Oper in einem Akt (2 Biklern) 



DAS GEHEIME KONIGREICH 

Marchenoper in einem Akt (2 Bildern) 



SCHWERGEWICHT oder DIE EHRE DER NATION 

Burleske Operette in einem Akt 

Aufeerordentlidier Urauffiihrungserfolg in . Wiesbadeij, 

Die ersten Aiinahiiicn : Berlin (Staatsoper) / Miinchen (Nationaltheater) / Frankfurt (Opern- 
haus)/ Leipzig (Stadttheater) / Halle / Barmen / Kassel /Heidelberg / Cablonz / Stettin etc. 

Ansziige ans den Pressestimmen : 

Mit dem gleichen Instinkt flir die Forderung des modernen Theaters und des modernen 
Publikums, der sich schon in Kreneks ..Jonny" bekundet und der dieses Stuck zum 
grofiten Opernerfblg unserer Zeit werden liefi, sind audi diese drei Einakter gearbeitet. 

Leipziger Neueste Nachrichten (A. Aber) 

. . . ein ungemein reizvolles Triptycbon . . . zweifellos genial gemacht. 

Deutsche Allg. Zeitung (W. Schrenk) 

Krenek hat sich neuerdings als einer der stfirksten Komponisten der jungen Generation 
erwiesen. Berliner Bui sen- Zeitung 

. . . verblii fiend slarke Musik . . . die das Problem der neuen Oper fast iiberraschend 
lost .... Alle drei Wei'ke sind von reifster Klarheit der Form und des Ausdruckes. 
Die Aufnahme durcii das Publikum steigeite sich von Werk zu Werfc. 

Berliner Monlagspost 



. . echtes Genie schlechtliin, 



Hamburger S- Lhr-Blatt 



Auafiihrliche Pressestimmen gratis vom 1 erlug 

Ausgaben : 

U. E. Nr. 9454 Der Diktator, Klavierauszug Mk. 5. — 

U. E. Nr. 9476 Das geheime Konigreich, Klavierauszug Mk. 8. — 

U. E. Nr. 9474 Schwergewicht, Klavierauszug Mk. 5. — 

U. E. Nr. 9535 Drei Einakter, komplettes Textbuch Mk. 1.— 

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ifalienischem Text 

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Fiinf Lieder, op. 5 hodi und tief 

<einzeln> . . . je M. 1.20 

1. Auf ein sdilummerndes Kind (Hebbel) / 

2, Siegesfest (Liliencron) / 3. Die Rosen im 
Silden (Hebbel) / 4. Das letzte Ziel (Lorm) / 
5. Sehnsucht (Sdiiiler) 

Zehn Lieder, op. 23, Nr. 1, 3, 9 je M. 1 — 
die iibrigen ... je M. — .80 

1. Ewig Jung ist nur die Sonne (C. F. Meyer) 
hoch u. tief / 2. Primula veris (Lenau) horn u. 
tief / 3. An die Cikade (Goethe) hodi / 
4. Bitte (Lenau) hodi u. tief / 5. Unter den 
Sternen (C. F. Meyer) hodi / 6. Stumme 
Liebe (Lenau) hodi / 7. Verklarung (H.Winds» 
perger) hodi / 8. Sicilianisdies Lied (Goethe) 
hoch / 9. Die heilige Stunde (Nissen) hodi u. 
tief / 10. Schnitterlied (C. F. Meyer) hoch 

Zwolf Lieder fiir hohe Stimme, op. 24, 
2 Hefte je M. 250 

Heft 1 : Abbild (Hille) / Uber die Heide (Storm) 
/ Der Morgen (Sdienkendorf) / Der Tod (Hol- 
derlin) / Meeresstiile (Lenau) / Friihlingsfeier 
(Heine) Heft 2: Wir gehen am Meer (Dauthcn= 
dey) / Sthifferliedchen (G.Keller) / Abends 
wofke (C. F. Meyer) / Acherontisches Frosteln 
(Liliencron) / Der Wanderer (Schlegel) / 
Winternadit (Lenau) 

Einundzwanzig Lieder fur hohe 
Stimme, op. 25. 3 Hefte je M. 2.50 

Heft 1 : Saerspruch (C. F. Meyer) / Gebet 
(Hebbel) / Zweier Seelen Lied (Dehmel) / Die 
Emschlafenen (Holderlin) / Wenn sdilanke 
Lilien wandelten (Keller) / Brautgesang 
(Uhland) / O Grille sing (Dauthendey) 
Heft 2 1 Vergangenheit (Lenau) / Liebesgegen- 
wart (Tieck) / Vergebt, dafi alle meine Lieder 
klagen (Platen! / Stille Sidierheit (Lenau) / 
Sommerbild (Hebbel) / Z-welfel (EldiendorfF) / 
Rotkehlchen (Lingg) 

Heft 3 : Ecco homo (Nietzsche) / Nadi neuen 
Meeren (Nietzsche) / UnterFelnden (Nietzsche) / 
SchlieOe mir die Augen beide (Storm) / Die 
Stadt (Storm) / Sdilagmitdenflamm'genFlugeln 
(Eichendorff) / Stimme im Dunkeln (Dehmel) 

Chor 

Missa Symphonica fiir 4 Soli, gemisck. 

Chor, Orthester und Orgel, op. 36 

Klavier^Auszug . . . M. 10.— 

Chorstimmen . je M. 1.20 

Auffiihrungsmaterial leihweise 

Requiem. Symphonistfie Totenmesse fiir 
gemisdSt. Chor, 4Solostimmen, grofles 
Ordi. u. Orgel, op. 47 in Vorbereitung 

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324 



Z ii in ersten Male 

Schuberts samtliche Klaviersonaten 

in Neubearbeitung 
mit Erganzung der bisher unvollendeten Sonaten 

Einzclausgabe mit FingersStzen und Vortragsangaben von Walter Rehberg 
Bisher erschienen: 

Sonate Nr. 3 As-dur (1817) Ed.-Nr. 2578 M. 2. - 

Sonate Nr. 9 F-moll. Mit Schlufi von Walter Rehberg. Ed.-Nr. 2584 M. 2. - 

Demnachst erscheinen: 

Sonate Nr. 1 E-dur (1815) Ed.-Nr. 2576 

Sonate Nr. 2 G-dur. Mit Schlufi von Walter Rehberg Ed.-Nr. 2577 

Endlich ist es dem Schuberlverehrer moglicli, daa Erbe, d^a in Schuberts Klaviersonaten vorliegt, aicli zu eigen zu 
maclien. Niclit weniger als 18 Werke dieser Gattung liegen tot, von densn kaum die Halfte in anderen Ausgabcn 
vertreten iat, Teilweise lag das daran, dafi man diesen entziickenden Wcrken, vornehmlich aus der Friihzeit 
Sdiuberlsdien Schaffens, keine Beaclitung schenkte, teilweise aber audi, daft vicr von diesen Sonaten erganzt werden 
mufiten, weil sie Schubert unvollendet hinterlieft. Dieaer Arbeit hat sich der bekannte Pianist und Sdiubert-Spezialist 
Walter Rehberg mit Gliick und feinstcm Stilcinpfinden unterzogen. Yon den zwei bis jetzt eradiienenen Sonaten 
war die bereits an Bruckner gemahnende in f-moll kurz zu erganzen. 

Durch alle Musikalienliandlungen (audi zur Ansicht) erhaltlich 

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Text von Georg Kaiser 

Angenommen, bezw. aufgefuhrt von 30 Buhnen 

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Breslau, Magdeburg, Bremen, Altenburg, Dessau, Dortmund, Kassel, Karls- 
ruhe, Hagen, Stettin, Chemnitz, Basel, Braunschweig, Gera, Mainz etc. 

U. E. Nr. 8964 Klavierauszug mit Text M. 10. - 
U. E. Nr. 8965 Textbuch M. - .50 

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NEUE ORGELMUSIK 

JOHANN PACHELBEL / ORGELWERKE 

Herausgegeben von Karl Matt haei 
2 Bande 

Uber die Bedeutung Pachelbels als Rechtfertigung fiir eine praktische Gesamtausgabe 
seiner Orgelwerke zu schreiben, ist heute iiberfliissig. Jeder Organist und Musikfreund 
wird es mit Freude begriifien, dafi diese Prachtwerke eines Croftmeisters Deutscber 
Orgelkunst endlich zugangig gemacht werden. Der erste Band bringt die Toccaten, 
Fantasien, Praludien, Ciaconnen und Fugen, der zweite Band wird die Choralvorspiele 
enthalten. Ausfiihrliche Vorschlage zur Registrierung erhohen den Wert der sorgfaltig 
nach den Originalen bearbeiteten Ausgabe. 

Der erste Band ist erschienen und kostet Mk. 4. - . Vorausbesteller auf beide Bande 
erbalten 10 Prozent Vorzugsrabatt. BA 238 

SCHULE DES KLASSISCHEN TRIOSPIELS 

Fiinfzehn Orgeltrios von Schlick, Buxtehude, Pachelbel, Bohm, Walther, Bach, Krebs, Homilius, 
Brahms und Reger als Vorschule zu den sechs Sonaten Johaim Sebastian Bach's 

Herausgegeben von Hermann Keller 

Mit dieser Auswahl schoner und instruktiver Orgeltrios mochte der Herausgeber das 
Triospiel in moglichst vielseitigen Formen zeigen. Die Stiicke fiihren vom Leichten zura 
Schwereren. Wer sie durchgearbeitet, darf sich getrost an die Sonaten u. die iibrigen Trios 
von Bach wagen. Aber auch ohne Verfolgung gerade dieses Zieles wild unsere Samni- 
lung, die in ihrer Art bisher dringend vermifit wurde, jedem Organisten willkommen sein. 
Mk. 3. - BA 243 

DIETRICH BUXTEHUDE / SOLOKANTATEN 

Fiir den praktischen Gebrauch herausgegeben von Karl Matthaei 

Nr. 1 : „Singet dem Herrn ein neues Lied." Solokantate fiir Sopran mit Begleitung 
von einer Violine und Basso continuo (Orgel), BA 121. Orgel- und Singstimme mit 
Violinstimme Mk. 1.80 

Nr. 2 : „Herr auf Dich traue ich." Solokantate mit Begleitung von zwei Violinen und 
Basso continuo (Orgel). BA 126. Orgel- und Singstimme mit Violinstimme Mk. 1.80 
Nr. 3: „Sicut Moses." Solokantate mit Begleitung von zwei Violinen, Violoncello und 
Basso continuo (Orgel). BA 127. Orgel- u. Singstimmen m. Instrumentalstimmen Mk. 2. — 
Nr. 4 : „0 Gottes Stadt." Solokantate fiir Sopran mit Begleitung von zwei Violinen, 
Violoncello und Basso continuo (Orgel). BA 128. Orgel- und Singstimmen mit 
Streicherstimmen Mk. 2.40 

FRANZ TUNDER / SOLOKANTATE 

„Wachet auf, ruft una die Stimme." Solokantate fiir Sopran, 4 Streichinstrumente 
und Orgel. Herausgegeben von Hermann Meyer. BA 240. Partitur mit 
Stimmen Mk. 1.80 

Ausfiihrliche Prospekte werden gerne kostenlos 
an jede angegebene Adresse versandt 

DER B ARENREITER-VERLAG ZU KASSEL 



I 



326 



U-E-Ni 

8926 
8954/ 

9504 

7932 
7933 
7934 

8573 

8172 
8173 
8708 

8709 

8429 
8430 

Un 


Erfolgreiche Werke von 

ERWIN 
SCHULHOFF 

Klavier zu 2 Handen 

Soeben erschienen: 


Mk. 
5. 


I Cinq Etudes de Jazz, y 5 a . 

(1. Charleston. 2. Blues. 3. Chanson. 4. 
5. Toccatta u. d. Shimmy „Kitten on the 

Partita 


1.20 

Tango. 
Keys") 

? — 

3.— 




2.— 


Suite II 

Violine und Violoncello 

Puo 


? — 

4.— 


Kammermusik 

Concertino fiir Flote, Viola und Ko 


1 50 

6 — 

ntra- 

1.50 


Buhnenwerke 

Ogelala 

Ein Ballettmysterium nach einem 
antik-mexikanischen Original 


4 — 

6 — 
—.30 


Orchesterwerke*) 
I. Sinfonie 

fiir kleines Orchester 
ter Erich Kleiber mit starkem Erfolg aufgefuhrt. 

Suite 

fiir Kammerorche8ter 

op. 33. 32 Variationen 

fiber ein 8-taktiges Thema 
fiir grofies Orchester 

*) Materiale in Abschrift 


UNIVERSAL-EDITION A 

WIEN - LEIPZIG 


.-G. 



Soeben erschienen : 

M. CASTELNUOVO 
TEDESCO 

I NOTTAMBULI 

(Die Nachtwandler) 

Phantastische Variationen 

F ii r Cello und Klavier 

U.E.Nr.8992 Mk. 5.- 

Castelnuoi'o-Tedesco, (lessen ungemein gefallige, 
edit italienische, melodienreiclie Kompositionen 
steigende Verbreitung finden, gibt mit seineni 
neuen Variationswerk dem Cetlislen eine ztin- 
dende Komposition, bei del sich hohe kunstlerisehe 
Qualitat mit blendender Wirkung vereint. 

Ausubenden Kiinstlern und 
Dilettanten werden diese 
Stiicke gleich willkommen sein ! 

Durch jede Musikalienhandlung zu beziehen. 

UNIVERSAL-EDITION A.-G., 
WIEN-LEffZIG 



FESTBERICHT liber den 

INTERNATIQNALEN 

MUSIKHISTORISCHEN 

KONGRESS 

der im Rahmen der 

BEETHOVEN-ZENTENARFEIEH 

vom 26. bis 31. Marz 1927 in Wien tagte. 

U. E. Nr. 9447 Mk. 10.- 

„ . . . 90 Referate internationaler Gelehrter, 
die der vorliegende Band zum grossten Teil im 
Wortlaut wiedergibt. Dieser Kongressbericht 
vermittelt ein genaues Bild uber den derzeitigen 
Stand der musikwissenschaftlichen Forschungen 
und Ziele. Er hat nicht nur Erinnerungswert 
fiir die Teilnehmer am Kongress, sondern ist 
von grosser Bedeutung fiir den Musikwissen- 
schaftler, den praktischen Musiker und den 
wissenschaftlich interessierten Laien." 

Signale^ Berlin 

Dwell jede Buch- und Musikalienhandlung 
zu beziehen. 

UNIVERSAL-EDITION A.-G., 
WIEN-LEIPZIG 



r 



327 



DEUTSCHE 

KAMMERMUSIK 

BADEN-BADEN 1928 

Kiinstlerische Leitung:^Heinrich Burkarrl — Joseph Haas — Paul Hindemith 



Freitag, den 13. Juli, 20 h 



Sam stag, den 14. Juli, 11 h 



1.K0NZERT 

Fidelio Finke : Fantasie und Fuge fur Or gel 
Darius Milhaud: „DieRiickkehr des verlorenen 
Sohnes", Kantate / Ernst^Pepping: Suite fiir 
Orgel / H. Herrmann: „Galgenlieder", Kantate 

EXPERIMENTAL - VOR^HB.'UNG 

.FILM UND MUSIK" 



•>•>■ 



Samstag, den 14. Juli, 20 h 



2. -KONZERT 

Hans Humpert: Sonate fiir Orgel / Ernst 
Roters: „R.eisebriefe eines Artisten", Kantate 
Philipp Jarnach: Musik fiir Orgel / Jos. M. 
Hauer: „Wandlungen", Kammeroratorium 



So mi tag, den 20. Juli, 20 h 



BUHNENWERKE 



(K A M M E R P 



E R N) 

Hermann Reutterj": ,,Saul" / Gustav Kneip : 
„Tuba mirum" / Walter Gronostay: „In zehn 
Minuten" / Alexander Mossolow: ,,Der Held" 

Anfragcn und Bestellungen : Heinrich Burkard ..Deutsche Kammermusik" Baden-Baden 
In Veibindung mit der „Deutschen Kammerinusik" lindet vom 9. — 15. Juli in Baden-Lichtenlal 
eineTagung „Deutsche Jugcndniusik" dcrMusikantengildeunter Leitung von Fritz Jbde stall. 

Das nachste MELOS-Heft erscheint als 
„Sonder-Nummer Baden-Baden" 

Anzeigonschlufi : 5. Juli 1928 



328 



M. MUSSORGSKY 

BORIS GODUNOW 

Oper in 4 Aufziigen mit Prolog 

Nach den Manuskripten cles Autors 
erneut durchgearbeitet und mit 
bisher noch nicht veroffentlichten 
Rildern, Szenen, Fragmenten er- 
ganzt von PAUL LAMM 

DIE EINZIGE VOLLSTANDIGE 

DEN 

ORIGINvVL - MANUSKRIPTEN 

MUSSORGSKYS 
ENTSPRECHENDE AUSGABE 

Klavier-Ausziige mit Text 

Russisch - Deutsch 

(Ubersetzung von Max Hube) 

Englisch - Franzosisch 
(Ubersetzungen von M. D. Calvocoressi) 

30.^ M. 

EIGENTUM 

FUR ALLE L1NDER 

AUCH DER ORIGINAL- UN- 

VERFALSGHTEN ORCHES- 

TRIERUNG MUSSORGSKYS, 

DIE HIER ZUM ERSTEN 

MALE GEBOTEN WIRD 

(Partitui' und Stimmen — nur lcih- 
. weise — Vom Herbste 1928 an) 

OXFORD UNIVERSITY PRESS 

95 WIMPOLE STREET / LONDON W 1 

SOLE AGENTS — HOFiMEISTER, LEIPZIG 



Esaias Reusner 

Samlliche 
Suiten fur die Laute 

Heft 1 

Suite 1—5 
der „Neuen La ti ten frii elite' 1 (1676) 

Herausgegeben von Walter Gerwig 

Eingeleitet von Friedrich Blume 

1928. 36 Seiten. Quart. 1.-2. Tsd. 

Karl. RM. 2.50 

Bestell-Nr. 201 



Mit tier Ausgabe dieses Werkcs wiril eine Anf- 
gabe erfiilll, die — sowolil seitens dcr prak- 
(isclien Lautenistcn als audi der Musikwissen- 
schaft - liiiigst als dringend betrachlet wird. 
Die Lautensuiten Rcusners nelimen einen Ijc- 
sonderen Ehrenplatz ein, sic sind im Range 
der Klavieriuusik eincs J. J. Froberger ebenso 
wie den Oixhestersuilen eines J. Rosenniiiller 
ebenbiirtig. Diese prachtige Kunst wird deni 
lientigen Lautenisten, aber audi deni Klavier- 
spielcr und Mnsikwissenschaftler bocbwill- 
komnien sein. 

Veilere Hefte in loser Eolge sollen die iibrigen 
Suiten Rcusners aus den „Neuen Lauten- 
frilchten" und den „Deliciae testudinis" bringen. 
Das wicbtige Werk kann nur dann fortgesetzt 
werden, wenn sich geniigend Interessenten 
linden, die anf die weiteren Hefte — etwa 4 
bis 5 — subskribieren. Uber Umfang und 
Preis der Folgehefte werden alle Besleller 
rechtzeitig benacbriebtigt. 



Georg Kallmeyer Verlag 
Wolf enbiitt el-Berlin 



329 



Vorzugsangcbol ! 1 

StaU. 6.50 Mk. nur 2.50 Mk 
VERLAG DER 

STURM 

Berlin W 9, Potsdamer Strafie 134a 

Expressionismus ist die Kunst unse- 
rer Zeit. Das entscheidende Bucli isl 
soeben in 6. bis 10. Auilage erschie- 
nen, nachdeni die ersten Auflagen 
in kiirzester Zeit vergriffen waren: 

HERWARTH WALDEN 

EINBLICK IN KUNST 

Halbleinen gebitrulen nur Mk. 2.50 
75 ganzseitige Abbildungen der 
llauptwerke der ExpressionistenJ 
Kubistenund Futuristen aller Lander. 
Unentbehrlich fiir jeden, der die 
Kunst der Gegemvart kennenler- 
nen will. Unifangreichstes Bilder- 
material der fuhrenden Meister. 
Das Manifest der internalionalen 

EXPRESSIONISTEN 



Neue Verzeichnisse 



ties Verlages 



B. Schott's Sohne, 

Mainz - Leipzig 



Zeitgenossische Musik 

(Jahresbericht 1928) 

lllustrierl, mil biograpliisclien Notizen 

Verzeichnis tanzbarer 
:: Musik :: 

neuerer Koniponisten 

fi'ir den Biilinentanz, sowie f'iir rliYtbmiscbe 

und gyninastische Ubnngen. — Ziisanimen- 

gestellt von Dr. Otto Janowitz 

Die Verzeichnisse werden an Inter- 
essenten kosteulos abgegeben 



E in F u n d v o n g r ofit e r 



T r a g w e it e 



G. F. HANDEL 
Stiicke fiir Klavier 

(Clavicembalo) 

Herausgegeben von 

W. B arc I ay -Squire - J. A. Fu Her- M a i 1 1 a n d 

.76 bisher verscbollene Kla vi erst ii eke von Handel 

werden hier zuin ersten Mai verolTentlicht 

Die Stiidie (eine Beihe erstrangigerWerke) stammen aus einer jiingsl 
in England anfgefundenen Manuskript-Saninilung. Sie inachen unge- 
fiilir ein Drittel sSmtlicher bekannter Klavierkompositionen Hundelx 
mis. Bei der beutigen Hfindel-Benaissance ein doppelt bedeutsames 
Ereignis fiir die gesamte musiktreibende Welt und zugleicli eine 1111- 
geabnte Bereicherung der altklassiscben Klavierliteratur. — Keines der 
Sti'uke ist in der grofien Ausgabe der Hiindelgesellscliaft entbalten. 
Zwci Biindc (Ed. Sclioll, Nr. 149/150) jo n. M. 3- 



R. SCHOTT'S SOHNE. MAINZ UND LEIPZIG 



330 



Neuere Orchesterwerke 


° § 


Komponist, "Werk 


Li — . 


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Komponist, Werk 


3 2 

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■3.5 


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*■* 




3 s 




I. Albeniz 






G. F. Malipiero 






Iberia-Suite (Arbos). In Vorbereit. 


— 


14 




20 








15 




7 


21 


A. Casella 

Pupazzetti (5 Stiicke) .... 


22 


35 
35 


Impressioni dal vero. Suite II 


20 
30 




Conrad Beck 




15 


La Cimarosiana. Suite .... 


12 


5 


Sinfonie Nr. 3 fiir Streichorchester 


20 




D. Milhaud 






M. de Falln 




21 


Saudades doBrazil, Suitev.Tanzen 


40 


28 
28 


Niiclite in spaniscben Garten. 

(Klavier und Orchester) 
Zwischenspiel und span. Tanz 


35 


35 ~ 


G. Pierne 

Impressions de Music Hall 


20 




aus „Ein kurzes Leben" . 


15 




rVI. Ravel 




33 


Drei Tanze aus „Der Dreispitz" 


25 


37 


Alborada del Gracioso .... 


10 








34 


Une barque sur l'ocean 


8 


14/19 


P. A. Grainger 

Mook-Morris, Irischer Tanz . . 


3 


15 


5 


7 


- fiir 7 st. Streichorcbester . 


3 




W. Schulthess 




21/28 




6 


19 


op. 9, Serenade 1. kl. Orchester . 


30 


7 


- fiir 7 st. Streicborchester . 


6 




Cyril Scott 




28/34 
8 


Shepherds Hey (Morris-Tanz) 
Irish Tune fiir Streichorchester 


5 
5 


40 
23 


25 
25 




Jos. Haas 

op. 64 Variationen fiber ein altes 






B. Sekles 




15 




38 


„Sommergedicht". 3 Siitze . . . 


12 






40 




Bndi Slephan 










"36 




20 




Ernesto Halffter 


35 


7 


Musik f. sieben Saiteninstrumente 


25 


18 




29 


Musik fiir Geige und Orchester . 


20 


12 


Paul Hindemitk 

op. 24 Nr. 1 Kammermusik Nr. 1 


30 


36 


I. Strawinsky 


8 


10 


op. 28 Konzertsuite aus „Der 


25 


17 


Suite Nr. 1 fiir kleines Orchester 


15 






19 


Suite Nr. 2 fiir kleines Orchester 


15 


26 
22 
33 


op. 38 Konzert fiir Orchester . 
op. 41 Konzertmusik fiirBlasorch. 
Tanze aus Nusch-Nuschi 


17 
15 
12 


11 
31 


B. Stiirmer 


12 
30 




Ph. Jarnach 




14 




10 


35 


op. 11 Sinfonia brevis .... 


22 


14 


op. 25 Zeitgesichte, 3 Tanze . . 
E. Toch 


10 


31 


op. 19 Morgenklangspiel 


15 






32 
31 


E. W. Korngold 

op. 4 Schauspielouvertiire . 

op. 5 Sinfonietta 

op. 11 Suite aus „Viel Larmen 


16 

45 


6 

10 
22/27 


op. 33 Fiinf Stucke 

op. 39 Spiel fiir Blas-Orchester . 


25 
20 
10 


19 




28 


op. 42 Komodie fiir Orchester . 


18 




25 


28 


Vorspiel zu einem Marchen . . 


10 


44 


op. 13 Symph. Ouverture ,,Sur- 




15 


7 






22 




L. Windsperger 




40/41 


Vorspiel u. Karneval a. „Violanta" 


18 


32 


op. 22 Sinfonie in a moll . . . 


55 


33 


Zwischenspiel aus „Das Wunder 




31 




18 






12 


30 


Vorspiel zu einem Drama . . . 


12 




Ansichts 


naterial bereit 


willigst 






B. S G H T T ' 


S S O H ] 


VE, MAINZ 





331 




Sdiallplatten-Serie 



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Chore / Ordiesferwerke / Gesang- u. 
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Grammophon - Aktiengesellschaf t 

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332 




iliac 



macht 



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Weg... 



Erstaufiuhrung in 

BERLIN 

am 29. Juni 

in der Kroll-Oper 

unter 

Klemperer 



Binhei-ige mid kommende 
Aultuhrunsen : 



SauL 




DRESDEN 

MUNCHEN 

KOLN 

WIEN 

WIESBADEN 

MANNHEIM 

HALLE 

DARMSTADT 

STUTTGART 

DDSSELDORF 

AUGSBURG 

OLDENBURG 

ESSEN 

ELBERFELD 

BARMEN 

HANNOVER 

AACHEN 

PRAG 

GOTHA 

WORMS 

WEIMAR 

FRANKFURT A. M. 

MAGDEBURG 

CASSEL 

KONIGSBERG 



L 



Oper in 3 Akten (-1 Bildern) 

Text narli E. T. A. Hoffmanns 

..Fraulein von Scnderi" von 

Ferdinand Lion 

op. 39 



Klavier-Anszug (Singer) AJ. 18.— 
Fuhrer (Villms) . . M. 1.50 
Textbuch A I. 1.- 



RSaMti&Sabne 



.Mairtz. 



f 



Notenbeispiele zur Mefoskritik <Hindemith, Cardillac, op. 39> 
i.Be/jjp/et 




Jclj bvi'clj mclftttii-antti — un-cirt—>4i}eo4J-mtj*fe-tt/'e tt& J/t>-2 






9 t \ *r'ii \ iii t.iHf miTr / fir m*t 



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dSeij&ftiet 



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itit ddui mir GLe r&ub-te. f 



Notenbeispiele zu dem Aufsatz : „Seiber, Jazz als Erziehungsmittei" 



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JBei/age zu MEMS Juni heft 1928 



5..&e/jo)»/te 







uji->tf. 



6.&e/,sp/ee 




Recercada sobre „Doulce memoire" <aus Ortiz: „Tratado"> 



*}.Hei£y>iee 




Aus einer amerikanischen ,,Anweisung zur Improvisation" fiir Posaune 



8.£e/&jii'ee 




r 



MELOS 

ZEITSCHRIFT FDH MUSIK 

SCHRIFTLEITUNG: PROF. DR. HANS MEESMANN 

Alle Sendungen Tiir <lie Scliriftleitung unci ilesprediiing^sLiii-kc nnrh Rerlin-Gruncwald, NeiiferUillec 5 (Fcrnspr. Uhlatvl .3735) erbelen, 
Die SdirifLleilung billet vor Zuaendung von Manuskripien uni Anl'ruge mit Riirkpu'rlo. Alio. llediLe fiir siirntlidie licit riige vurbchallen, 
Fur Anzeigen und Verlagsmitteilungen veronlworll. : Dr. Joliuimc3 Petschull, Muiuz / Verlag: MELOSVELILAG (11. Sdiou'n riohne) 
MAINZ, WiihergarLen 5; Fernspredier 529. 530; Tclegr. : ricotson; PosLacheck niti" Berlin 19425 Auslieferuug in Leipzig: Linden. 

siratte 16/18 (B. Schott's Snhnej / Drurk : B. Schotl's Sfthne. Mainz 
Die Zcitschrift ersdieint nm 15. jeden Monats. — Zu beziehcn duivb alle Burh- und Minikalicnluiiidlun^en olei- direkt vom Vei'lo», 
Das Einzelbefi kosiet 1.- Mk.. da* Abonnemeni jubrl. (12 II.) 3.- Mk., viertelj. (,'$ H.) 2.50 Mk. (zuziigl. 15 Pf. Potto p.H., AnMnnd -JO PI", p. H., 
Anzeigenpreiae: ! /i Seiie IOC— Mk. l ; e Seite 60.— Mk. i j i Seite 35.— Mk. Bei Wiederholungen [tabu lie. Anflriige an den Verla«, 



ZUM INHALT 

Der Gedanke cler Deufschen Kammermusik Baden-Baden steht im Mittel- 
punkt dieses Heftes. Es ist in Arbeitsgemeinschaft mit dem kiinstlerischen Ausschufi ent- 
standen. Die Zeitschrift versucht, die Idee dieses Musikfestes durch positive JVlit- 
arbeit zvi unterstiitzen, weil hier, und wohl mir hier, Fortschritt und Zukunft, Unab- 
hangigkeit von alleii Bind-ungen nationaler oder internationaler Art zu spiiren ist. Die 
Aufsatze des Hauptteils bezeichnen die Situationen der Kammeroper, der Kantate, der 
Orgelmusik und Problem der Filmmusik. Das. sind die vier Stoffgebiete, welche-die 
musikalischen Veranstaltungen umspannen. Mittelbare oder unmittelbare Ankniipfung 
an die aufgefiihrten Werke, ohne auf deren Bewertung irgend einen Einflufi zu nehmen, 
stellen sichtbare Beziehungen her. So soil das Heft in tieferem Sinne, als es sonst durch 
Analysen und Mbnographien geschieht, der „Einmhrimg" dienen. 

-■ Die Meloskritik sucht eine Anknupfimg dadurch, dafi sie auf den BegrifT der 
Kurzoper, der in mannigfachen Erscheinungsformen in unserer Zeit steht, von konkreten 
Beispielen aus eingeht. Die Urn schau einbezieht markanteste Vorgiinge und Erscheinungen 
des gegenwartigen deutschen Musiklebens und will so das Bild der Zeit vcrvollstandigen. 

Die Scliriftleitung 



334 



Heute erschienen! 



MELOSBUCHEUEI 



EINE SAMMLUNG 
MUSIKALISCHER 
ZEITFRAGEN 

HERAUSGEGEBEN VON 
PROF. DR. HANS MERSMANN 



Bandchen 1 

HANS MERSMANN 

Die Tonsprache 
der Neuen Musik 



Mit zahlreichen 
Notenbeispielen 



Keiner, der den Weg zur Neuen 
Musik sucht, wird an dieser, im 
beaten Sinne allgemeinverstand- 
lichen „Grammatik" voriibergehen 
konnen 



Bandchen 2 

HEINZ TIESSEN 

Zur Geschichte 

der 

jiingsten Musik 

(1913-1918) 
Probleme u. Entwicklungen 

Mit dem Bliek des Schaffenden gibt 
der Verfasser eine Ubersicht iiber 
Gewesenes und Gewordenes in 
einem Zeitabschnitt, der trotz 
seiner Nahe bereits ein Stuck 
..Geschichte" ist 



Bandchen 3 



HEINRICH STROBEL 

Paul Hindemith 



Mit zahlreichen Noten- 
beispielen im Text, 
einem Noten-Anhang 
und Faksimilebeilagen 



Die erste monographische Zu- 
sammenfas9ung von Hindemith's 
Gesamtwerk. Der ganze Entwick- 
lungsweg dieses jungen Ftihrers 
wird hier an Hand der Noten- 
belege gezeigt — zugleich ein 
Symbol fur die Entwicklung der 
deutschen Musik uberhaupt 



Broschiert je Mk. 2.80 / Ganzleinen je Mk. 3.50 
Bestellkarte liegt bei 

MELOSV'ERLAG / B. SCHOTT'S SOHNE/MAINZ 



MUSIK 



Erich Doflein (Freiburg i. Br.) 

KAMMEROPER 

1. 

Als im letzten Jahre das Donaueschinger Kammermusikfest nach Baden-Baden 
verlegt wurde, ergab sich als Vorteil dieses Umzugs die Moglichkeit zur Auffiihruug 
von Biihnenwerken. In Donaueschingen gait alle Arbeit der Kammermusik und der 
Festigung eines neuen Stils des Kammermafiigen auf den verscliiedensten Gebieten. 
Kammermusik sollte wieder etwas fiir sich und aus sich selbst heraus sein und sich 
bewufit gegen alles Orchestrale wie Symphonische abgrenzen. Man besann sich auf 
verbindlichere Formen des Musizierens; aus dem Musizieren erwuchsen Formen, er- 
wuchsen neue Wichtigkeiten : Beweglichkeit, Tempo, Bhythmus, Kontrapunktik, konzer- 
tanter Stil, engere Kontakte fflit den Horern. 

Die Einbeziehung der Bxihne in den Bereich der neuen Auf'gaben lag nahe. Zumal 
die grosse Oper als starrer Erbklotz stehen geblieben war und immer entschiedener 
auf der scheinbaren Ewigkeit der Gesetze unseres Theater betriebs aufbaute. Auch 
hat die Oper sich soziologisch zU sehr festgelegt. Es gibt heute keine „Wagnerianer" mehr 
die aus Begeisterung und Bekenntnis zu neuen Werken, zu Werken iiberhaupt, das 
Theater fiillen; an ihre Stellen sind die sozialen Besucherorganisationen eines ungeistigen 
Bildungsmittelstandes getreten, der an seinen regelmafiigen Wochenabenden ins Theater 
geht, um sich irgendetwas, etwas beliebiges, anzuhoren. Die Sehnsucht nacli einem 
verbindlicheren Theater mufite also unter schaffenden Menschen notwendig lebendig 
werden ; die Produktion mufi sich wieder einen beschwingenderen Sinn schaffen. Nur 
mit wenig Menschen jedoch kann man rechnen. Also gibt die Kammerbuhne die ge- 
suchte Moglichkeit. Und im Kammerstil liegen zugleich die besonderen und feineren 
Moglichkeiten einer verbindlichen Kunst : das konzertierende Ensemble, die kontra- 
punktische Selbstandigkeit und Durchsichtigkeit in der Verbindung von Stimmen und 
Instruinenten, die differenzierte Bhythmik. 



Die Beziehung zum Menschen, zu dem Menschen von heute, die Grade und 
Formen der Verbindlichkeit, dies sind die eigentlichen Probleme unserer Kunst in 
dieser Zeit. Hier liegen die Wandlungen, die Aufgaben und die Gefahren. 

Fiir die neue Oper sind drei Formen moglich geworden. Man kann mit der Zu- 
kunft und einem sensiblen und intellektuellen, erlebnisfahigen Menschen rechnen in der 
Hoffhung, dafi einsamste Komplikationen, fiir ihn einmal zur erschutternden Selbst- 
verstandlichkeit werden; dies ist der Typ des „Wozzek". Das kritiklose, immer zufallige 
Massenpublikum der grfifieren Stadte aber ist nur durch das amerikanisierte Theater 
der Aktualitaten und durch den Revuestil zu gewinnen. Solche Kunst wird immer 
iiber die Sensation hinaus anregend sein, Formen andeuten, sie kann als politische 
Kunst von Bedeutung sein, doch wird sie immer durch ihren Minutenwert relativiert 
bleiben, geschwacht durch die Einstellung auf die reine Gebrauchsmafiigkeit, Starke 



336 ERICH DOFLEIN 



ergibt sich aus der Einstellung auf den Gebrauch fiir ein Werk erst, wenn mit dieser 
Einstellung die Bemiihung um eine neue Tradition verbunden ist und das Publikum 
der Musik im Werke, dem Musikalischen im Werke erobert werden soil, wenn sich die 
Musik in den Vordergrund stellt und selbst Form en schafft, und zwar Formen, die 
gehort werden kcinneii, die dem Horer den Weg in die Musik erleichtern und selbst- 
verstandlich maclien, in dem sie ihm eine Envartung, eine vorher gegebene und in 
gewissem Sinne traditionelle Einstellung ermoglichen. Dies ist die Idee und die 
Starke von Hindemiths „Cardillac". Hier aber schon ist der Rahinen der „grofien 
Oper" aufgelost, intimeres Horen wird gei'ordert. Die Kammerform ergibt sich als Kon- 
sequenz und als Aufgabe. Sie wird notwendig als Studienformat fiir neue grofie Form 
und zugleich als eine neue Gattung fiir sich, die sich ihrc Form mil ihr Publikum erst 
neu schaffen und gcwinnen mufi. 

* 

Sinn fiir kleine Form ist Sinn fiir Form iiberhaupt, fiir Wirkung und Geltung 
durch die Form. Solchc Betonung der Form und einer Wirkung aus der Form heraus 
ist nicht ,,Formalismus" im schlechten Sinn, sobald die Form, einen Sinn hat, sobald 
sie durch die Zugehorigkeit zu irgend einer traditionellen Yer wen dung bestimmt ist 
und nicht im Intefesse einer allgemeinen asthetischen Wirkung nur als „Mittel": v.er- 
wendet wurde. Die Kammerform der Oper ist heute noch ' auf der Suche nach einer 
solchen notwendigeti Zugehorigkeit; sie schafft sich erst ihre Tradition und ihre 
musikalische Struktur. Wir haben audi wenig geeignete kleine Biilmen, nirgends eifie 
Biihne mit musikalischem Kammerspielplan : und im Spielplan der groiSen Biihne bleibt 
die Kammeroper zu sehr Sonderfall, was aber dem Gebrauchscharakter, der mit ihrer 
Form verbunden ist, wiederum garniclit entspricht. Das geforderte Publikum jedoch 
wiirde sich rasch finden : die gewisse Zahl der Wartenden, die eine unterhaltende, 
fessclnde und kultivicrte neue Kunst suchen, die sich in Form und Stoff aid' unser 
beutiges Leben bezieht, dessen Kenntnis als eigentlichste und wichtigste psychologische 
Voraussetzung zum Verstandnis solcher Kunst mit in das moderne Theater gebracht werden 
muss. Demi so nur ist lebendiges Theater moglich, das in gereinigter Form unsere iisthe- 
tische Tradition weiterftihrt und sich als Kammerkunst der jyTassenkunsr gegeniiberstellt. 

Ein besonderer Idealfall iibrigens ist in der augenblicklichen Lage denkbar: Es 
konnte sich ein reisendes Ensemble von Siingern und Instrumentalisten bilden, das 
neue kurze Biihnenwerke kleinster Besetzung in vielen Stadten spielt. Eine geschickte 
Organisation konnte hiermit grofien Erfolg haben. Es wiirde atich zugleich der neuen 
Stilform der Weg geebnet werden und die stilistische Auspragung inimer nelier Werke 
gei'ordert werden. 

■ ■ ■ 2. 

Die Verschiedenartigkeit der im letzten Jahre aufgefiihrten Kammevbiihnenwerke 
spiegelte diese noch ungeklarte Lage. Mit jedem Werke war etwas iisthetisch vollig 
Verschiedenes gemcint und gewollt. Milhaud stellte in seiner „Opera minute" ein ganz 
aus dem Klanglichen heraus abgerundetes Kammerwerk auf die Biihne, ohne jede Form- 
problematik, mit dei - , fiir unsere Begriffe naiven, Sicherheit der intellektuellen und asthe- 
tisclien Tradition der Franzosen. Hindemith prazi'sierte am sicliersten einen jieuen Typ 
mit seinerii Sketch „Hin vmd zuriick"; einem Werk, viel weniger Kammeroper, als hei- 1 




KAMMEROPER 337 



heiteres Spiel fiir eine musikalische Kleinkunstbiihne, ganz aus dem Musizieren heraus ge- 
staltet. Tochs „Prinzessin auf der Erbse" war am ausgesprochensten Kammeroper, klein 
gewordene Oper; Weill iiberschritt mit seiner literarischen Jazzrevue „Maliagonny" den 
Rahmen des Kammermafiigen noch weit mehr, weshalb auch jetzt das Werk umgear- 
beitet und erweitert wurde. 

Unter den neuen Biihnenwerken der diesjahrigen Badener Auffiihrungen 
schliefit sich das Stiick des jungen Schonbergschiilers Gronostay bis zu gewissem 
Grade an den Typ von Hindemiths „Hin und zuriick" an. Es ist nicht als Kammer- 
oper, sondern fiir eine Kleinkunstbiihne gedacht, von deren Zukunft der Komponist 
iiberzeugt ist. Fiir diese Kleinkunstbiihne, ein Kabarett der Zeitgemafien und Kulti- 
vierten, gibt es — wie in diesen „Zehn Minuten" — eine ganz besondere Moglichkeit 
der Stilisierung in Verbindung mit Musik, ahnlich der Stilisierungswirkung im guten 
Marionettentheater. Durch die Tatsache der Darstellung selbst, durch die Verdichtung 
auf kleine Raumlichkeit und schmale Zeitlichkeit, ergibt sich die Zuspitzung einer Situation^ 
die an sich ganz belanglos sein kann. In dieser Zuspitzung liegt die Wirkung, sie kann 
sich bis zur Uberspitzung steigern; Komik und Ernst gehen ineinander iiber und werden 
zur „Sachliclikeit". Der Sinn entspringt aus dem Spiel selbst. Und da nun „Spielen" 
fiir ein solches Stiick Musizieren heifit, schafft die Musik das Tempo, den Esprit, den 
Sinn der Darstellung und zwingt ihre Formen in den Vordergrund. Die Musik regiert, 
solange der Text nur das Hin und Her des musikalischen Spieles spiegelt. An besonderen 
Stellen jedoch, die fiir das Verstehen des textlichen Zusammenhanges wichtig sind, tritt 
die Musik zuriick und wird mit ihren Pausen zugleich zur Spannung. Um die leichte 
Fafilichkeit des Vorgangs bei nur einmaligem Horen war es dem Komponisten besonders 
zu tun, wenn ihm auch der problemlos amiisante Text im ganzen nur ein Anlafi zum 
Musizieren war. Die Musik hat es mit ihren zehn Minuten sehr eilig; sie wirkt durch 
die rhythmische Variation dieses fast immer gleichen Eilens. Die harmonische Ordnung 
orientiert sich an freien Klangzentren, die zur Tonalitat werden und die Ausschaltung 
der Konsonanzfunktionen bedingen. Die Instrumentation betont das Spitze und Scharfe; 
sie ist nach dem Gruppenprinzip systematisiert ; Jazzblaser und solistische Streicher. 
Der Text ist nichts als Situation, die sich in der Musik zuspitzt: ein Missionar und ein 
Theateragent erhalten im Augenblick ihrer Abreise von Afrika zwei iiber ihre Zukunft 
entscheidende Telegramme: der Missionar mufi einen Bekehrungsrekord schnellstens um 
rnindestens eine Seele iiberbieten, der Agent mufi einen neuen schwarzen Tanzstar fiir 
Paris gewinnen. Sie kampfen um ein Negermadchen, das gerade Abschiedsgriifie bringt, 
aber rasch vor den europaischen Angeboten wieder zu ihren Urjazzfesten zuriick ins 
Dorf flieht. Beide sinken gebrochen zusammen. Das Singen des Madchens wird be- ' 
sonders fesseln; eine neue Form von gleichsam internationaler Lyrik. Hier und in 
einigen parodistisch anklingenden Stellen liegen die wenigen Ruhepunkte des Stiickes. 

Gustav Kneips „Tuba mirum" ist hierzu im Gegensatz, auch musikalisch, von 
gleichsam biirgerlicher Komik, ein harmloser Scherz, der fiir einen besonderen musikalischen 
Effekt die Situation schafft. Wahrend einer Festauffiihrung des „BarbieT", die zu Ehren 
eines persischen Schahs stattfindet, erhalt der hinter den Kulissen beschaftigte Orchester- 
diener Haase ein Telegramm mit dem „grofien Los": Hunderttausend Mark. Nun kann 
er endlich „Kiinstler" sein. Und zwar sofort. Er ergreift sein Lieblingsinstrument, die 



338 ERICH DOFLEIN 



Bafituba und kontrapunktiert sehr frei zu Rossinis Musik lind erhalt zuletzt fur diese 
Glanzleistung des Abends von dem kunstverstandigen Schah den persischen Sonnenorden. 

Die beiden anderen Werke sind Kammeropern, keine „Kleinkunst" ; beide ernst, 
Hermann Reutters ,,Saul" sogar durchaus streng. Er nimmt einen aufierst sprach- 
starken Einakter von Lernet-Holenia und steigert dessen Naturalismus zur hintergriindigen 
Handlung. Die Szene schildert den Besuch des innerlich schon vollig gebrochenen, aber 
immer noch mit der Fragwiirdigkeit Gottes ringenden Saul bei der Hexe von Endor, 
die ihm den toten Priester Samuel, der ihn zum Konig gesalbt hatte, als Vision 
beschwort. Die Hexe (eine epileptische Bauernmagd) erkennt erschreckend Saul, den 
Konig, der alle „Hexen" verbrannt hatte, dem nun der Geist Samuels den Untergang 
in der kommenden Schlacht verkiindet. Reutter wahlt ein Kammerensemble der in- 
tensivsten Instrumente : Piccolo, Klarinette, Fagott, Trompete, Horn, Klavier, Bratschen, 
Celli. Nur die Hexe und Saul singen. Doch immer tritt auch in diesen Rollen das 
gesprochene Wort dazwischen, teils um das Verstehen zu erleichtern, teils um durch 
scharfere Farbe hineingeschleuderte schnellste Bewegung die Intensitat zu steigern. Die 
Verbindung von Klavierklang und Blasern ergibt eine besonders strahlende Farbe. Uber, 
leuchtenden Akkorden entfalten sich im „Grave" des Vorspiels schon weitschrittige 
Linien. Aus Linien entwickeln sich Motive, Sauls Trompetensignal. Die szenischen 
Zusammeiihange sind von der Musik aus motivisch streng zusammengefafit ; die Motive 
werden linear ausgesponnen und rhythmisch abgewandell. Sauls Vision beginnt, indem 
er innerlich die Musik Davids vernimmt; hieraus entwickelt sich als konzentrierte 
Hauptsteigerung und als Mittelpunkt des Stiicks eine Passacaglia iiber einem 13-taktigen 
Thema, das mit strengen Scliritten beginnt, sicli rhythmisch intensiviert und in spateren 
Variationen in Figuration aufgelost wird. Dann folgt nur mehr ein kurzer Schlufi. 
Saul gehorcht demiitig der Hexe und verzehrt stumm eine angebotene Mahlzeit der 
Bauern; es ist ja nun gleichgultig, was er weiterhin tut; es erklingt, rhythmisch ver- 
breitert, die Musik der „Hexe", der kranken Bauernmagd. 

Das Stuck des Russen Mossolow kommt noch aus einer durchaus anderen Welt; 
es hat mit den drei deutschen Stiicken nichts gemein. Die Szene konnte einem der 
kleinen Romane Dostojewskis entnommen sein: Ein des Fechtens unkundiger „Fremder" 
wird nach einem Streit zum Duell genotigt und muC fiir dieses bei einem Professor 
der Fechtkunst wider seinen Willen Unterricht nehmen. Diesen Professor aber trifft er 
gerade im Zustande tiefer und dunkler Verzweiflung; er hat soeben beschlossen, sicli 
indenDegen eines ungeschickten Schulers zu stiirzen. Die Gelegenheit hierzu ist unverhofft 
schnell gekommen; er fiihrt seinen Vorsatz aus. Der „Fremde" aber gdt sofort als 
Besieger dieses beriihrnten Fechters und wird mit grotesken Ehrungen uberhauft, zu 
deren Ablehnung dieser „ H e 1 d " nicht einmal die Kraft findet. Zu diesem merkwiirdig 
sachlichen Prosavorgang tritt nun eine Musik, die fiir unser Ohr noch ganz aus der 
Klanglichkeit der spaten Werke Skriabins stammt, impressionistisch-hintergriindig und 
zugleich doch noch chromatisch-gefuhlsbedingt, eine verzweifelte und zugleich visionare 
Stimmung vermittelnd, ein Gefiilal davon, dafi dieses russische Leben doch so gut ganz 
anders sein konnte, aber nun einmal einfach nicht mehr anders zu machen ist. Im 
Rhythmisch en klingen fremde neue .Momente einer erregenden Starrheit an. Es ist 
moglich, dafi die Auffiihrung sehr iiberrascht und Unerwartetes bringt. 



KAMMERKANTATE 339 



Hugo Ho lie (Stuttgart) 

UBER DIE KAMMERKANTATE 

Im Programmheft des letzten Donaueschinger Kammermusikfestes habe ich eine 
kurze Charakteristik des neuen Madrigales, des modernen Kammerchores, so wie er sich 
dort zum ersten Mai in den Chorauffiihrungen von 1925 und 1926 darbot, zu geben 
versucht. Die damals gemachten Erfahrungen auf dein Gebiet des a cappella Gesanges 
haben mancherlei Friichte getragen, die von Donaueschingen ausgehende Anregung war 
bald in einer starkeren Beriicksichtigung des intimen, unbegleiteten, fur kleine Besetzung 
gedachten Chorliedes zu spiiren. Die Zukunft wird lehren, inwieweit sich die wirklich 
schopferischen Krafte der jungen Komponisten generation dieses Gebiet nutzbar machen 
und ausbauen werden. 

Uber den Bahmen des a cappella Chores hinausgehend bietet Baden-Baden bei 
seinem diesjahrigen Kammermusikfest zum ersten Mai Kammerkantaten. Der Begriff 
Chorwerk war hier nur der Ausgangspunkt ; die Beziehung zu ihrn ist ja bei der Kantate 
nur ein lockerer, bei den Solokantaten fehlt sie eigentlich ganz. Die Kantate kann nur 
ganz allgemein als ein begleitetes Vokalwerk kleineren Formates (im Gegensatz zum 
umfassenderen Oratorium) aufgefafit werden. Sie bietet eine Fiille von Spielarten als 
Solokantate, Chorkantate, gemischte Kantate mit Chor-, Ensemble- und Solosatzen, als 
ein- oder mehrteiliges Stuck, neigt im Charakter bald mehr zum Lyrischen, bald mehr 
zum Epischen und eignet sicb fiir ernsten Ausdruck ebenso wie fiir den heiteren, ja 
grotesken. Ebensowenig wie ihre Form und Besetzung laSt sich der Begriff „Kantate" 
eng begrenzen. Sie gilt im Gegensatz zur dramatischen Oper und zum halb dramatischen, 
halb episch-lyrischen Oratorium als vorherrschend lyrisches Vokalwerk mit Instrumental- 
begleitung. Der lyrische Charakter sollte eigentlich durchgehend dialogische Gestaltung 
ausschliefien. Doch findet sich diese schon fruhzeitig in weltliclien, „dramatischen" 
Kantaten, die gewissermafien kleine Singspiele in epischer Flache, ohne die plastische 
Tiefe dramatischer Handlung sind (es sei da etwa an Bachs Kaffeekantate erinnert). 
Das Ineinanderlaufen der Grenzen verwandter Formen zeigt sich audi hier. Hauer 
nennt seine „Wandlungen" nach Worten Holderlins ein ,,Kammeroratorium fiir Biihne 
oder Konzert", ohne dafi es sichtbar oratorische Ztige hat. Dagegen steht Milhauds 
Werk in seiner dialogischen Form dem Oratorium naher, obgleich das Fehlen von Chor- 
und Ensemblesatzen es ins Gebiet der Solokantate ruckt. Aber der Name ist ja nicht 
entscheidend, betrifft nicht innere Gestaltung und Wert einer SchQpfung. 

Was die vier in Baden-Baden herauskommenden Werke in dem Begriff Kantate 
zusammentreffen lafit, ist ihre kammermafiige Fassung, die ihrerseits typisch fiir den 
Stil unsrer zeitgenossischen, dem Beprasentativen und Massigen abholden Musik ist. 
Die geforderten Kammerorchester mit solistischer Besetzung gehen nicht iiber ein Dutzend 
lnstrumentalisten hinaus, Herrmann begniigt sich mit drei Instrumenten. Charakteristisch 
fur das Klangbild des modernen kleinen Orcliesters, findet sicli da die Bevorzugung der 
Blaser einschliefilich des Saxophons, die Wahl starker Schlagzeuggruppen und des Klaviers 
als Orchesterinstrument. Der Chorkorper ist ebenfalls fiir kammermafiige Besetzung ge- 
dacht; bei Hauer z. T. sogar solistisch neben den sechs Solopartien, doch bleibt er 
immer im Gegensatz zu diesen in gruppenmafiigem Zusammenschlufi. Hauer erreicht 



340 HUGO HOLLE 



so (lurch verschiedene Gruppierung im Chor (solistisches Quartett von je zwei Sopran- 
und Tenorstimmen oder zwei Alt- und Bafistimmen usw.), durcli reine Solopartien und 
durch schliefiliches Zusammenfiigen von Ensemble und geschlossenem Chor ein ab- 
wechslungsreiches vokales Klangbild. Wahrend bei ihm aber der Chor mehr flachenhaft, 
farblich, gleichsam nur als Stimmungshintergrund, verwendet wird, steht er bei Hugo 
Herrmann im Vordergrund des musikalischen Geschehens. Das rhythmisch-melodische 
Element tritt hier beherrschend hervor. Die drei Instrumente sind motorischer Unter- 
grund in meist ostinater Fiihrung, beteiligen sich aber auch an der Durchfiihrung 
thematischen Materiales. Eine Solostimme wird im ersten Stiick fiir einige Kadenzen, 
eine andre im zweiten Stiick fiir eine parodistische Arie heranzogen. 

Bei Milhaud und Roters ist auf Chor- und Ensemblesatze verzichtet. Im Einklang 
mit Andre Gides Dichtung fiihrt Milhaud nur drei Solostimmen fur die Gestalten der 
Mutter, des verlorenen und des jungeren Sohnes ein, wahrend sich Roters fiir die 
vokale Auslegung der Gedichte Bingelnatzens mit einer Singstimme begniigt. Es sei 
im Zusammenhang mit diesen Werken auf die bezaubernde Kantate nach romantischen 
Dichtungen fiir Sopran, Oboe, Bratsche und Cello von Paul Hindemith hingewiesen, die, 
1924 entstanden, wohl die erste Kantete in modernem Stil ist. Auch verdient die in 
Donaueschingen 1926 aufgefiihrte Kantate „Vom Tode" fiir Kammerchor, Sopran- und 
Altsolo, Streichquintett und Klarinette von Hermann Reutter hier besondere Erwahnung. 

Die innere Einheitlichkeit der Kantate wird bei Milhaud und Hauer durch die 
Dichtung geschaffen; bei Hauers einsatzigem Werk zudem eine formale durch reprisen- 
artige "Wiederholung des einleitenden Chorteiles. (Ob bei Milhaud auch musikalische 
Vereinheitlichung angestrebt, vermag ich leider nicht zu entscheiden, da mir die Partitur 
nicht zuganglich war). Bei Herrmann und Roters ist dagegen eine innere Zusammen- 
gehorigkeit durch den Text, wie sie die Kantate gegeniiber einer mehr suitenartigen 
Aneinanderreihung von Orchester- oder Chorliedern verlangt, nicht ohne weiteres vor- 
handen. Beide greifen darum fiir den engeren Zusammenschlufi zu musikalischen Mitteln. 
Herrmann, dessen Auswahl aiis den Galgenliedern Morgensterns ja schon eine gewisse 
einheitliche Atmosphare mit sich bringt, erreicht ihn durch thematische Zitierung des 
Anfanges im Finale des letzten Satzes. Roters gewinnt ihn durch motivisch-thematische 
Reziehungen zwischen alien Satzen. So stellt das kurze Vorspiel bereits zwei fiir den 
weiteren Verlauf wichtige Motive auf; ebenso sind die drei instrumentalen Zwischen- 
spiele — mit ihren Titeln „sachlich", „romantisclv', „mechanisch" gleichsam Vorspiele 
fiir die ihnen folgenden Lieder — in das thematische Geflecht eingewoben. 

Die fluchtige Skizzierung dieser wenigen Werke zeigt, welch weites Gebiet schopfe- 
rischer Arbeit die Kammerkantate mit relativ geringen Mitteln durch die vielfaltige Ver- 
wendungsmoglichkeit von Solostimmen, kleinem Chor und ein paar Instrumenten eroffnet_ 
Auch hier darf von der ersten Anregung, von der ersten Diskussion vor grofier Offent- 
lichkeit viel erhofft werden. 



ORGELMUSIK DEB GEGENWART 341 

Erich Katz (Freiburg i. Br.) 

ORGELMUSIK DER GEGENWART 

Kaum ein anderes Gebiet des musikalischen Scliaffens der Gegenwart ist in seiner 
Haltung so wenig gefestigt wie die Orgelkunst. Breit und tief sind die Strome, die sich 
hier spalten, ineinander und gegeneinander fliefien. Abhangigkeit vom Instrument und 
Instrumentenbau, bei der Orgel naturgemafi starker als bei alien anderen Instrumenten, 
— dazu Hemmungen und Widerstande, die aus Verbundenheit alter liturgiscber Traditionen 
sich ergeben, auf der einen Seite; auf der anderen die Tatsache, dafi die Orgel, seit je 
das am meisten mechanisierte und darum an aufieren Wirkungsmoglichkeiten reichste 
aller Instrumente, gerade heute wieder pradestiniert ist, audi jener weltlichen Kunst, 
die nach Fulle und Vielfalt der Wirkungsmoglichkeiten schreit, der Kunst des modernen 
Theaters, des Kinos, der Strafie zu dienen. So ergibt sich von selbst die Weite der 
Spannungen, die hier zu iiberbrucken sind. Schwieriger ist die Frage nach dem ge- 
meinsamen Nenner. Es gemigt nicht, sie einfach mit dem Hinweis auf die letzte 
Identitat des technischen Begriffes „Orgel", auf Spielmechanik, Pfeifen und Geblase, zu 
beantworten. Ein anderes ist wesentlicher: die stete Tendenz der Orgel auf eine innere 
Zweckverbundenheit. Die in ihrem Wesen notwendig bedingte Objektivitat, die durch- 
schnittliche Grofie ihrer Mafie, die Distanz zwischen Spieler und Klangerzeugung wiesen 
ihr die Aufgabe, den ubermenschlichen Lebensmachten und deren menschlichen Insti- 
tutionen und Ausdrucksformen zu dienen, statt als neutrales Konzertinstrument die Ge- 
barde asthetischer Selbstherrlichkeit anzunehmen. Die Ausdrucksformen aber, die, ur- 
spriinglich vereiut, in der spateren abendlandischen Kultur allmahlich immer scharfer 
auseinandertretend, die Wege der Kunst wie aller anderen kulturschopferischen Aufier- 
ungen des Menschen am starksten bestimmten, waren Kult und Tanz; die Askese des 
Gebets und die Sinnenkraft des Korpers. In ihnen beiden ist auch die Orgelkunst von 
Anbeginn an verwurzelt; in erster Linie, aber nicht nur im Gottesdienst. Hier war 
ihr Baum gegeben zu grofiartigster Entfaltung; und erst eine Zeit, die, wie das spatere 

18. und vor allem das 19. Jahrhundert, eine lebensmafiige Zweckgebundenheit der 
Kunst als asthetisch minderwertig, ja teilweise als entwiirdigend auffafit, die den sub- 
jektiven Ausdruck des Kiinstlers nicht mehr uberpersonlichem Gesetz oder elementar- 
vitalen Kraften unterordnet, sondern diese nur noch in jenem sich spiegeln lafit: eine 
solche Zeit konnte nicht mehr tragbarer Boden einer wahrhaft lebendigen Orgelkunst 
sein. Was tibrig blieb, war eine kirchliche Orgelmusik, die blass, ohne eigenen Atem, 
von traditionellem Formengut zehrte; war auf der anderen Seite Orchestrion und Leier- 
kasten ; war schliefilich, zwischen beidem, eine Konzertorgelkunst, die bestenfalls virtuose 
Interpretation alterer Meister bot, oft genug aber auch in seichtestem Bearbeitungswesen 
ihre Krafte erschopfte. Komponistenpersonlichkeiten, die der Orgel hier noch irgendwie 
originale Werte von Bedeutung vermitteln, wie etwa Cesar Franck, sind Ausnahmeer- 
scheinungen. Es isl: andererseits gewifi kein Zufall, dafi der gi-ofite Orgelmeister des 

19. Jahrhunderts, Anton Bruckner, in tiefster instinktiver Erkenntnis dieser Lage fast 
nichts fur Orgel hinterlassen hat, sondern seine Gedanken dem grofien Orchester als 
dem eigentlichen Ausdrucksmittel seiner Zeit anvertraute. Dort freilich bekommen sie 
bei ihm oft eine edit orgelmafiige Plastik der Farben: wahrend umgekehrt die Orgel 



342 ERICH KATZ 



der Zeit auf Imitation der ineiiianderfliefieiiden Klange des mqdernen Orchester- 
apparates ausging. 

Damit ist die Situation bezeiclmet, die die Gegenwart vorfand. Gegenwart im 
weiteren Sinne, beginnend mit einem Komponisten wie Max Reger, mit Orgelkiinstlern 
wie Straube. Langsam und tastend erst setzte ein Wandel der Anschauungen ein. 
Regers Zuriickgehen auf die vorklassischen Meister und insbesondere auf Bach ist Aus- 
druck eines neuen Stilwillens, nocb niclit, wie man anfangs wold gemeint hat, schon 
Zeichen einer neuen, in der Zweckgesinmmg und in den Mitteln sich auspragenden 
Stilform. Dies gilt auch fur den uberwiegenden Ted seiner direkten tmd indirekten 
Schiiler und Nachfolger. Die Existenzfrage der Orgel wird von ihnen nicht beantwortet. 
Indessen kani von dort der Anstofi zu einer radikaleren Orgelbewegung, die eben heute 
sich auszuwirken beginnt. Aufier Organisten und Orgelbauern sind ihre Trager Musik- 
wissenschaftler wie Willibald Gurlitt, aber auch Nicbtmusiker im en ger en Sinne, wie 
der Theologe Ghr. Mahrenholz, der Dichter Hans Henny Jahn. Die Tatsache. dafi die 
heutige Orgelkunst nicht nur von denen, die selbst im Zentrum ihrer Problematik 
stehen, sondern gerade auch von solchen, die mehr von attSen heran kommen, zum 
Gegenstand einer ihre geistigen wie technischen Grundlagen erfassenden ,,Beformbe- 
wegung" gemacht wird, ist dabei durchaus symptomatisch. Der im vergangenen Jahr unter 
dem Vorsitz Straubes gegriindete „Deutsche Orgelrat" stellt die bislang letzte zusammen- 
fassende Organisation dieser Bewegung dar. So stark auch ihr historischer Einschlag ist, 
so gewifi ist doch, dafi sie weit mehr als nur historisierende, dafi sie eine eminent ge- 
genwartige Bedeutung hat. Wenn man neuerbauten Orgeln wie der Freiburger Pratorius- 
orgel eine Disposition des 17. Jahrhunderts gegeben hat, so ist die aufiere stilwissen- 
schaftliche Begriindung dafiir in Wahrheit getragen von dem tieferen Bediirfnis einer 
Verwandschaft damaliger und heutiger Klangwelt, die sich unschwer auch auf anderen. 
Gebieten heutiger Musikiibung nachweisen lafit. Die starke Differenzierung weniger 
aber charakteristischer Stimmen — sehr weiche, voile Flotenregister gegenuber durch- 
dringend glanzenden, scharfen Schnarrwerken — ermoglicht der Wiedergahe polyphoner 
Werke eine Durchsichtigkeit des Satzgefiiges, eine Klarheit des tektoniscben Aulbaues, 
die jiingster Musik in ahnliclier Weise entspricht wie der des Hochbarock. Darum haben 
wir in solchen scheinbar „historischen" Orgeln vielfach zeitgemaSere Instrumente vor 
una als in den meisten neuzeitlichen Konzert- und Kirchenorgeln, und weitgehend sind 
die Anregungen, die die gegenwartsbewufite Orgelbaukunst von dorther ubernimmt. 
Vor allem aber und iiber aUe Einzelheiten hinweg ist die junge Orgelbewegung uber- 
haupt Ausdruck der wachsenden Bedeutung, die man der Orgel wieder beimifit. Dies 
geschieht notwendig zu gleicher Zeit, da die Bewertung des „Absoluten" der Konzert- 
musik wieder geringer wird, da wieder der Wuusch auftaucht, Musik sinnvoll in .ein en 
Lebenszusammenhang hineinzustellen. Die entscheidende Frage dabei aber ist die : 
welches kann dieser Lebenszusammenhang heute sein? Hat die Kirch e noch die 
universale geistige Stellung. um Stiitte einer lebendig-neuen Orgelkunst zu sein ? Oder 
haben heute schon andereMachte genug Bildende Kraft, um die organischen Voraus- 
setzungen einer solchen Kunst zu geben? 

Antwort auf diese Fragen kann nur das S chaff en geben. Ein Schaffen allerdings, 
das sich der Lebensfragen der Orgel bewufit. ist und hellhorig selbst wiederum den 



FILM UND MUSIK 343 



geistigen Bediirfnissen des heutigen Menschen Reclmung tragt. Ein solches zeitge- 
nossisches Schaffen fur die Orgel existiert lusher nur vereinzelt und in Ansatzen. Dei- 
Ernst, mit dem eine Personlichkeit wie Kaminski noch Bindungen der Kirchein seineni 
Werk verlebendigt, die schopferische Kraft andererseits, mit der etwa Hindemith heutigen 
Zeitnotwendigkeiten auf dem Wege mechanischer Orgelmusik zu Ballett und Film nach- 
spiirt, waren hier zu nennen. Nun erneuert Baden-Baden einen Versuch, der bereits 
auf der vor zwei Jahren stattgefundenen Freiburger Orgeltagung gemacht wurde (oline 
dafi er damals so, wie beabsichtigt, durchgefuhrt werden konnte) : Orgelwerke junger 
Komponisten an reprasentativer Stelle einem Publikum zur Pruning vorzulegen, das vor- 
wiegend aus Fachleuten oder zumindest an dem Schicksalgegenwartiger Musik starkst interes- 
sierten Horern besteht; gleichzeitig mit der Absicht, auf das gesamte Schaffen dieses 
Gebietes ahnlich anregend einzuwirken wie in vergangenen Jahrea auf anderen Gebieten. 
Es werden Werke von Fidelio Finite, Ernst Pepping, Hans Humpert mid Philipp 
Jama ch gespielt werden. Ein Einblick in die Manuskripte (mit Ausnahme von Jarnachs 
Konzertstiick op. 21 fur Orgel — Romanzero III — , das mir nicht mehr zuganglich war) 
zeigt bei alien verwandte Stilgesinnung : polyphone Satzanlage, starkste Gebuiidenheit 
des Aufbaus; Verkniipfung alter strenger Formen, Kanon, Fuge, Passacaglia, mit der 
Klanglichkeit zeitgenossischer Musik. Finkes Fantasie und Fuge iiber den Choral „Aus tiefer 
Not schrei ich zu dir" versucht die Grundstimmung des Textgehaltes in stark drama- 
tischer Ausdrucksgebung zu deuten. Dabei ist von alien Mitteln neuer Harmonik, von 
reichster Chromatik, auch von rhythmischen Akzenten einschrankungslos Gebrauch ge- 
macht. Gegeniiber dem mehr sinfonischen, durchaus virtuosen Gharakter dieses Werkes 
stellen Peppings Orgelsuite, die aus sechs Choralvorspielen (von denen vier in Baden- 
Baden zu Gehor kommen) besteht, und die dreisatzige Orgelmusik von Humpert eher 
eine auf die Orgel projizierte Kammermusik dar, bei der die rein lineare Kraft der 
Stimmen fast absolute Bedeutung erlangt und zu einem neuartigen Orgelsatz von zwingen- 
der Konsequehz fiihrt. Hier vor allem gilt, was ich weiter oben iiber die Beziehung 
eines von der alten Barockorgel her befruchteten neuen Orgeltyps zum Schaffen der 
Gegenwart sagte. Denn fur eine sinnvoUe Interpretation dieser Stiicke und damit iiber- 
haupt fiir ihre Wirkungskraft ist eine Registrierung, die ihre reale Stimmigkeit scharf 
auszupragen imstande ist und die den Farbenreichtum der Orgel nicht so sehr male- 
rischen Effekten als vielmehr den Strukturwerten dieser Musik dienstbar macht, von ent- 
scheidender Wichtigkeit. 



Heinrich Strobel (Berlin) 

FILM UND MUSIK 

Zu den Baden-Badener Versucben 

Dafi die rein optische Wirkung des Films einer akustischen Ei - ganzung bedarf, hatte 
man bald eingesehen. Die einseitig starke Anspannung des Auges durch den schnellen 
Bildablauf mufi ein Korrelat im gleichzeitigen Gehoreindruck haben. Je starker die 



344 HEINRICH STROBEL 



dynamische Bewegung des Filmes ist, umsomelir verlangt er nach einer akustisch wahr- 
nehmbaren Unterstreichung dieser Dynamik. Bei der aufierordendich schnellen Entwick- 
lung des Films war es selbstverstandlich, dafi man tiber die strukturellen und stilistischen 
Voraussetzungen der ihn begleitenden Musik zunachst nicht weiter nachdachte. Man 
hatte mit dem Filmischen selber genug zu tun. Dariiber konnte auch kein Zweifel be- 
stehen : Musik spielt im Kino eine durchaus untergeordnete Bolle. Bald wurde der Satz 
aufgestellt: die Musik, von der man am wenigsten hort, die nur in geschickter Weise 
den visuellen Eindruck akustisch nachzeichnet, diese Musik war am geeignetsten und 
damit audi am besten. Zuerst behalf man sich mit dem improvisierenden Klavierspieler. 
Spater, als die Kinos zu grofien Theatern wuchsen und der Klavierklang an Intensitat 
und Farbigkeit nicht mehr ausreichte, griff man zum Orchester. Um diese Zeit stand 
in der Oper, die man begreiflicherweise am ersten zum Vorbild nehmen konnte, die 
musikdramatische Praxis in vollster Blute. Mehr noch: der Sinn fur die organische 
Eigengesetzlichkeit der Musik auch im Musikdrama, war bereits so weit verloren ge- 
gangen, dafi man in der rein naturalistischen „Untermalung" der szenisch-dramatischen 
Vorgange und Effekte das erstrehenswerte Ziel erblickte. Die Musik war zur niedrigsten 
Dienerin herabgedriickt. 

Diese Praxis wurde vom Filmtheater iibernommen und sehr schnell weiterentwickelt. 
Das Milieu oder die Gefuhlsdynamik der Handlung bildete die Grundlage fur die 
musik alis ch e Illustration des Films, wie man die neue Methode nannte. Opern-, 
Konzert- und Salonliteratur werden in gleichem Mafie fur die Illustration herangezogen. 
Es entsteht ein mosaikartiges Nebeneinander von Musiknummern, deren zeitliche Ab- 
grenzung durch die jeweilige Dauer der Filmszene bestimmt ist, es entsteht eine Art 
Potpourri aus der gesamten Musik der letzten hundertfiinfzig Jahre, in dem Mozart ohne 
weiteres neben irgendeinem Kaffeehaus-Schmachtfetzen stehen kann, wenn es gerade die 
Kinobibliothek fur geeignet halt. Diese ist die Bibel der Filmmusiker. Hier sind Schmerz- 
empfindungen und Liebesekstasen, Sturmgemalde und unschuldsvolle Idyllen sorgfaltig 
fur die Praxis rubriziert. Je nach Gescliick und Geschmack setzt der Illustrator aus den in 
die Tausende gehenden Nummern der Kinomusiksammlungen die Begleitmusik zusammen. 
Man kann es nicht leugnen : die besten Fdmillustratoren machen das unbedingt mit 
kunstlerischem Takt. Sie verzichten auch schon langst darauf. jedes Detad des Film- 
geschehens auszumalen, sondern suclien eine Beihe von aufeinanderfolgenden Szenen, 
die auf derselben Gefiihlskurve liegen, durch die Musik zusammenzufassen. Damit ge- 
winnt die Blustration zwar im Einzelnen an Geschlossenheit, aber ihr potpourrihafter 
Charakter, ihre Stillosigkeit, eben ein Mangel der Methode, bleibt bestehen. Es ist be- 
zeichnend, dafi hervorragende Praktiker der Filmillustration, wie Hans Erdmann und 
Giuseppe Becce in ihrem Handbuch der Fdmmusik, das Zwitterhafte, die asthetische 
Unmoglichkeit des illustrativen Prinzips unumwunden zugeben. Ja, sie nennen den 
Illustrator einen „Bastard, den Apoll in einer schwachen Stunde zeugte". 

Die Unzulanglichkeit der musikalischen Filmillustration liefi sclion verhaltnismafiig 
fruh die Erkenntnis reifen. daft zu besonders wertvollen Filmwerken eine eigene Musik 
geschrieben werden miisse. (Fiir den Durchschnittsspielfilm ist das bei dem ungeheuren 
Konsum und dem haufigen Progi'ammwechsel der Theater nicht moglich, wenigstens 
vorlaufig.) Die Originalmusik bedeutet einen erheblichen Fortschi'itt. Da sie jedoch bis 



if 



FILM UND MUSIK 345 



jetzt in den allermeisten Fallen von Musikern geschrieben wird, die von der Praxis des 
Illustrierens herkommen, so unterscheidet sie sich grundsatzlich nicht von den iiblichen 
Begleitmusiken. Sie ist musikdramatische Untermalung, ausgefuhrt von einem routinierten 
Praktiker mit den Stilmitteln epigonaler Spatromantik, in die je nach Vermogen modernere 
Elemente eingeschmolzen werden. "Wir sind bei dem Haupteinwand gegen die drama- 
tisierende Illustration angelangt. Ein bedeutender Film unserer Tage, etwa Chaplins 
„Zirkus" oder der „Po tern kin" von Eisenstein, ist ein Produkt des 20. Jahrhunderts. 
Er ist, gegenuber dem gespielten imd gesungenen Theater, ein aus den spezifischen Be- 
dingtheiten der Gattung geschaffenes Kunstwerk, Zeichen eines durch den Triumph der 
Technik zu neuen kunstleriscben Ausdrucksformen vordringenden Zeitalters. Die Begleit- 
musik aber ist Budiment einer vom vorigen Jahrhundert ubernommenen Praxis, die 
dem Film aus aufieren Griinden angenahert wurde, obschon sie eigentlich nicht zu ihm 
pafit. Guter Film und schlechte Musikdramatik, mechanischer Ablauf und verbrauchter 
Gefiihlssubjektivismus werden miteinander verkoppelt. Der Film ist bis in die kleinste 
Bewegung genau fixiert, er ist unveranderlich, Die Musik wird von jedem Kapellmeister 
nach eigenem Ermessen neu kompiliert, sie schwankt dauernd, in jeder Auffiihrung 
sogar, je nach der „Disposition" des Dirigenten. Sie folgt dem Film, im einzelnen oder 
in den Hauptlinien, aber da, wo absolute Prazision von Bild und Klang verlangt wird, 
bleibt immer eine Ungenauigkeit, umsomehr, als man in der Praxis immer noch auf 
zuverlassige Synchronometer verzichtet. Denn im Orchester dirigiert ein Mensch, in der 
Kamera aber lauft ein mechanischer Streifen. Je eigengesetzlicher ein Film ist — man 
konnte an Buttmanns Berlinfilm denken — umso starker wird man den Widerspruch 
einer iUustrierenden Musik empfmden, gleichgultig ob sie kompiliert oder original dazu 
geschrieben ist. 

Von diesen Erkenntnissen ausgehend hat man schon im vorigen Jahre junge 
Musiker beauftragt, originale Filmmusiken fur Baden-Baden zu arbeiten. Fiir den heutigen 
Musiker ergibt sich die Ablehnung des iUustrierenden Prinzips von selbst. Er hat sich 
mit Heftigkeit von der musikdramatischen Ubung des 19. Jahrhunderts abgestofien und 
strebt nach absoluter Gestaltung. Er wird sich auch, wenn er eine Filmmusik komponiert, 
unter alien Umstanden bemiihen, die Eigengesetzlichkeit seiner Kunst aufrecht zu er- 
halten. Im Gegenteil : er lauft vielleicht der Gefahr, die Bolle der Musik gegenuber dem 
Film zu iiberschatzen. Damit ist nun freilich wenig gewonnen. Wir hatten dann besten- 
falls ein ordentliches oder gar wertvolles Musikstiick, das sich uber Gebiihr hervor- 
drangt. Der Musiker wird sich stets vor Augen halten miissen, dafi er im Filmtheater 
eine untergeordnete BoUe spielt. Es kommt darauf an, eine Musik zu schreiben, welche 
die dynamische und formale Gliederung des Bildablaufs aufnimmt, unterstreicht, welche 
ihr Material organisch abwickelt und doch beweglich, labil genug ist, in steter Beziehung 
zum Bild zu bleiben und auf gewisse hervorstechende szenische Momente besonders 
Bezug zu nehmen. Begreiflicherweise wahlte man fiir diese ersten Versuche moglichst 
antinaturalistische Filme, die der musikalischen Gestaltung einigermafien entgegenkamen. 
Denn nur allmahlich wird der Fachmusiker die spezifischen Erfordemisse der Filmmusik 
erkennen. Dafi eine Verbindung von absoluter Musik und filmischen Erfordernissen er- 
reichbar ist, erwies schon im vorigen Jahre Paul Hindemith mit einer Komposition zu 
einem Kater Felix-Trickfilm. 



346 HEINRICH STROBEL 



Dieses Stiiclc war fur mechanische Orgel geschrieben. Zum optisch-mechanischen 
Ablauf tritt der akustisch-meclianische. Beinahe eine Selbstverstandlichkeit — so wird 
man sagen. Und- doch haben die Filmpraktiker davon noch keinen Gebrauch gemacht. 
Die mechanische Verkettung von Filmstreifen und Musikstreifen ermoglicht absolute 
Gleichzeitigkeit. Ein bestimmtes Bdd und die dazu komponierte musikalische Wendung 
kommen nun wirklich genau im selben Augenblick. Die mechanische Musikrolle kann 
mit dem Filmstreifen vervielfaltigt und verschickt werden. Eine Riesenmenge von iiber- 
flussigem musikalischem Aufwand wird erspart. Der an sich groteske Gegensatz zwischen 
dem von einem Mann bedienten Kinoapparat und dem zur Begleitung des Films not- 
wendigen Orchester, das numeriscli nicht selten eine durchschnittliche Stadttheaterkapelle 
erheblich iiberragt, ist von selber ausgeschaltet. Freilich wird man das mechanische In- 
strument nur bei kurzen Fdmen anwenden konnen. Infolge seiner relativ geringen 
Klang- und Farbmoglichkeiten ermiidet es auf die Dauer. Man wird also doch wieder 
zum Orchester kommen? Auch hier bietet sich ein zukunftsreicher Ausweg: der Ton- 
film. Er nimmt Bild und Musik zu gleicher Zeit auf und ermoglicht dadurch die voll- 
kommen synchrone Reproduktion. Gewifi steckt diese Erfindung noch in Anfangen. 
Aber es ist nicht zweifelhaft, dafi sie in absehbarer Zeit kunstlerisch vervollkommnet 
sein wird. Dann ist, soweit wir es heute iibersehen konnen, die Verbindung von Film 
und Musik befriedigend gelost. 

Von der Erfiillung einer wichtigen kiinstlerischen Voraussetzung dieser Verbindung 
sind wir allerdings nocli weit entfernt — die Filmindustrie hat noch nicht eingesehen, 
dafi es keineswegs gleichgultig ist, was fur eine Musik man zu einem kunstlerisch wert- 
vollen Film spielt. Ihr gilt die EJustrationspraxis als feststehendes Dogma. Modern e 
Musik und Filmproduktion sind ohne Fiihlung miteinander. Nur die Filmindustrie halt 
Edmund Meisel, der durch seine Musik den Berlin film zugrunde richtete, fur einen 
schopferischen modernen Komponisten. Langsame und zielbewufite Arbeit vermag allein 
die Verhaltnisse zu andern. Dafi zum Film als Erscheinung dieser Zeit audi Musik der 
Zeit gehort: diese Erkenntnis durchzusetzen, ist eine wichtige Aufgabe fur die moderne 
Musik, die iiberall aus der Ich-Isoliertheit herausstrebt und Ausdruck einer Gemeinschaft 
sein will. Im Filmtheater konnte der Horer, beinahe unbewufit, zu einer neuen Musik- 
gesinnung erzogen werden. Aber indem wir darauf hinweisen, schneiden wir das sozio- 
logische Kernproblem des Films iiberhaupt an. Eine Untersuchung daruber greift weit 
viber den hier gestellten Fragenkreis hinaus. 

Es geniigt zu sagen, dafi Baden-Baden einstweden der wiclitigste Vorposten fiir 
ktinstlerische und zeitnahe Filmmusik ist. Man hat erfreuliclierweise fur die diesjahrige 
Veranstaltung auch die in der Film - Musik - Union zusammengeschlossenen 
Ulustrationspraktiker zu interessieren gesucht. Sie ist im Programm durch Wolfgang 
Zeller vertreten, der die Zauberszenen des Scherenschnittfilms „Achmed" von Lotte 
Reiniger komponiert. Er schreibt fiir ein kleines Orchester von etwa neun Mann, 
ebenso wie Ernst Toch und Walter Gronostay, die beide Kater Felix-Trickfilme ver- 
tonen. Eine Musik fiir mechanisches Klavier von Paul Hindemith kommt zu dem 
Film ^Rebellion der Gegenstande'' von Hans R i elite r zur Auffuhrung, Dabei wird ein 
neuer Synchronisator der Firma Welte in Freiburg verwendet, wahrend sonst die Gleich- 
zeitigkeit des Ablaufs von Bdd und Musik durch den Synchronometer K. R. Blums 



KURZOPERN 



347 



erreicht wird. Allein der Praktiker Zeller beiriitzt als Zeitregler eine Taschenuhr, deren 
Zuverlassigkeit in diesem Fall naturlich hochst anfechtbar ist. 



MELOSKRIT1K 



Die nene, hier angestrebte Form der Kritik beruht darauf, dafi 
sie von mehreren ausgeiibt wird. Dadurch soil ihre Wertung von 
alien Zufalligkeiten und Hemmungen abgelost werden, denen der 
Einzelne ausgesetzt ist. Langsam gewonnene, gemeinsame Formu- 
lierung, aus gleicher Gesinnung entstanden, erstrebt einen hoheren 
Grad von Verbindlichkeit. So ist jede der vorgelegten Besprech- 
ungen ein Produkt gemeinsammer Arbeit der vier Unterzeichneten. 



KURZOPERN 



Dieser Begriff fafit eine Reihe heterogener Stiicke zusammen, deren Gemeinsames 
allein darin liegt, dafi sie im Gegensatz zur abendfiillenden Oper den Spielverlauf auf 
eine kurze Zeit zusammendrangen. Die hier zur Besprechung stehenden Komponisten 
gehen von vollig verschiedenen Ausgangspunkten an die Idee heran. Wahrend Kreneks 
drei Einakter den hergebrachten Operntypus in verkiirzter Projektion nach verschiedenen 
Seiten abwandeln, sucht Wellesz in literarischer Ankniipfung an Goethes dekoratives 
Buffospiel die Haltuug des alten Intermezzos. Milhaud gewinnt aus einer spezifisch 
franzosischen Einstellung zur Antike seine mit kammermusikalischer Feinheit gearbeitete 
„Opera-minute". 

1. 

Ernst Krenek schreibt sich selbst den Text zu drei im iiblichen Theatersinn 
effektvollen Stucken. Nach der grofieren Form des „Jonny" reizte es ihn, drei gegen- 
satzliche Stoffwelten in Einaktern wirksam zu kontrastieren. Die Aktualitat des Jonny- 
Milieus lebt in den beiden Eckstiicken weiter: in dem „Diktator", der den Typus eines 
modernen Gewaltmenschen mit expressionistischer Pathetik auf die Buhne stellt und in 
dem burlesken „Schwergewicht", das an der Gestalt des Meisterb oxers Ochsenschwanz 
diesen Typus lacherlich macht. Dazwischen steht ein Marchenspiel, das auf dem Boden 
der Gegenwartigkeit beginnt und in romantischer AVeltflucht und Natursehnsucht endet. 

Krenek hebt die Handlungen seiner Stiicke iiber die reine Stofflichkeit hinaus, indem 
er sie, wie in seinen friiheren Werken, auf metaphysische Hintergriinde bezieht. Es ist 
das Machtproblem : die Auseinandersetzung des gesteigerten Individualismus mit der 
Welt. Aber das Problem gelangt weder in der oft platten Sprache noch in der Musik 
wirklich zur Gestaltung. Krenek begniigt sich mit Andeutungen. Dadurch dringt er 
nie zum Kern seiner Idee durch, ob er es mit sensationeller Aktualitat versucht oder 
seine Stoffe mit romantischer Marchensymbolik verbramt. So bleibt seine Metaphysik 
Atrappe. 

Wie in den Texten, so bemuht sich Krenek audi in der Musik um Konzentration. 
So sehr es ihm auch, namentlich in den Eckstiicken, um dramatische Schlagkraft geht, 



348 MELOSKRITIK 



so sehr er sich an solchen Stellen absolut dem Text unterordnet — eine durchgehende 
formale Gliederung macht sich immer wieder bemerkbar. Die fur die gegenwiirtige 
Opernmusik uberhaupt charakteristische Tendenz zur Vereinfachung kennzeichnet auch 
diese Stiicke. Die beiden ersten begniigen sich mit Streichorcbester, doppelten Holz- 
blasern und je einem Blechblasinstrument, wahrend die Burlesken bezeicbnenderweise 
Schlagzeug und Blech verstarkt. 

Der „Diktator" enthalt die meisten Elemente von Kreneks friiherem Schaffen. Aus 
der Zeit seiner atonalen Linearitat hat sich eine sympathische Harte und Eckigkeit in 
Melodik und Klang erhalten, die Krenek freilich an den dramatischen Hohepunkten 
in bedenklicher Weise mit einem veristischen Schwung zu verbinden sucht. Man kommt 
liber den Bruch zwischen diesen stilistischen Gegensatzen nicbt hinweg. "Wir belegen 
ihn durch eine charakterische Gegeniiberstellung. Das Andante sostenuto im ersten 
Teil des Stiickes hat innere Spannung und Konzentration der Linie: (Notenbeispiel 1)* 

Auf dem Hohepunkt der Oper aber gelangt Krenek nach anfanglicb gehemmten 
Flufi zu folgender Banalitat: (Notenbeispiel 2) 

Die beiden andern Stiicke sind einfacher in ihrer Spracbe und einheitlich in ihrer 
stilistischen Haltung. Doch ist diese Einfachheit nicht Produkt einer Beife wie bei 
Strawinsky, sondern Btickwendungen in eine bereits iiberwundene Tonspracbe. Zu den 
positiven Merkmalen des „Geheimen Konigsreichs" gehoren die leicht gearbeiteten und 
wohlklingenden Ensemblesatze. Im „Schwergewicht" erfreut der mit Gluck und Schmift 
festgehaltene burleske Operettenton, der vielfach durch Elemente des modernen Tanzes 
angeregt ist. Hier herrscht durchgehend frisches Tempo. 

Diese drei Einakter beweisen, daft der Einzelfall des „Jonny" sich fur Krenek zu 
einer Eniwicklungsphase verdichtet hat. Der Weg, der ihn von seinen ersten starken 
und wesentlichen Werken (Toccata, Musik fiir neun Soloinstrumente, Concerti grossi) 
etwa bis zur „Zwingburg" fiihrte, scheint jetzt endgiiltig preisgegeben. Der scbeinbare 
Gewinn an Leichtigkeit und Einganglichkeit ist erkauft durch einen bedarierlicben Ver- 
lust an Intensitat und durch den Verzicht auf alle die personlichen Ausdruckswerte, 
deren Entwicklung man von seinen frtiheren Werken aus erhoffen durfte. 

2. 

Daft das Singspiel „Scherz, List und Rache" vertont wird, entspricht einer Absicht 
seines Dichters. Egon Welle sz, der diese Vertonung unternimmt, wird durch seinen 
Stoff zu einer musikalischen Stilisierung angeregt. Der Text fuhrt ihn einmal zu einer 
Annaherung an die Opera buffa, dann aber auch in die Nahe des deutschen Singspiels, 
das Goethe ja besonders am Herzen lag. Stilisierung aber wird bei Wellesz nicht zu 
historischer Abhangigkeit. Denn er findet durch den alten Text hmdurch Beziehung 
zur Gegenwart. Er schreibt eine Kammeroper, die sich dem Problemkreis modernen 
Opernschaffens einordnen laftt, Sein Orchester besteht aus wenigen Instrumenten (ein- 
fache Hokblaser, keine Posaunen). 

Seine Singstimmen sind einfach und liedmafiig, wie im alten Singspiel. Der re- 
zitativische Parlandostil der alteren Opera buffa gibt der vokalen Melodik Anregungen, 



*) Siehe Notenbeilage 



KURZOPERN 349 



teilweise realistisch-karikierender Art. Sie ist aufgelockert und lebendig in der Dekla- 
raation. 

Von ahnlicher Beweglichkeit ist die Orchestersprache, die dem Stuck eigentlich 
seine moderne Haltung gibt. Diese liegt nicht so sehr in der leichten und unbelasteten 
Rhythmik als in der fein durchgearbeiteten und grofitenteils selbstandigen Stimmfuhrung, 
auch wo das Orchester lediglich Begleitkorper scheint. Aus dieser kammermusikalisclien 
Struktur ergibt sich ein Klangbild, das sich vom harmonischen Funktionsverlauf vollig befreit 
und aus dem wechselnden Zusammentreten der Stimmen eine originelle Harmonik gewinnt. 
Die Einzelformen sind auf das f'einste verteilt und gegeneinander ausgewogen. 
Mit leichter Hand werden die Ubergange vom Rezitativischen zum Ariosen gestaltet. 
Das ganze Stuck beherrscht bei aller geistreicben Ausdeutung der Einzelheiten ein un- 
unterbrochener, stets pulsierender Flufi. Wir haben als Stilprobe einen Aussclmitt aus 
einer Ariette des Scapin : (Notenbeispiel 3) 

3. 
Milhauds „Opera-niinute" ist Kurzoper im vollsten Sinne. Nicbt nur durch 
zeitliche Konzentration sondern mehr noch durch die Art, wie aus einer grofien dra- 
matischen Handlung ein Ausschnitt von aufierster Knappheit gewonnen wird. 

So entsteht eine Handlung, die ohne jede psych ologiscbe und dramaturgische Be- 
lastung eine dramatische Episode in Miniaturform und in scbarfen Konturen hinstellt. 
Der antike Stoff wird durch diese Verkiirzung zur leicht ironisierenden Bagatelle. 

Die Musik pafit sich diesen Voraussetzungen mit romanischer Leichtigkeit an. Trotz 
ihrer Knappheit ist jedes Stuck sowohl als Ganzes wie auch innerhalb seiner Einzel- 
formen geschlossen und konzentriert. Der Stil dieser Musik lafit sich am ehesten als 
ein gefestigter Impressionismus bezeichnen. Wahrend „La Delivrance de Th^see" und 
„L'enlevement d'Europe" diesen Impressionismus mit parodistischen Stilelementen (Stra- 
winsky) mischt, bleibt „L' abandon d'Ariane" mehr im Lyrischen. 

Die Singstimmen haben anmutige und gerundete Linien. Oft spielt der leichte 
und kurze Ton des Chanson in ihre Melodik hinein. Wir fiihren als Beispiel den An- 
farig des „Theseus" an: (Notenbeispiel 4) 

Davon heben sich einzelne dramatisch gesteigerte Stellen ab, deren wirksamste 
die ruhmredige Kampferzahlung des Theseus ist. Hier schlagt das dramatische Pathos 
in Parodie um. (Notenbeispiel 5) 

Im Sinne der Antikenoper sind kleine Chore eingebaut, die, bisweilen ironisierend, 
die Handlung der Einzelpersonen begleiten. Die scheinbar zwanglose Gruppierung der 
Chore und Einzelszenen tragt einen abwechslungsreichen, dabei mit aufierster Klugheit 
abgewogenen Formverlauf. Dem Miniaturformat der Stucke entsprechen der ungemein 
diinne und durchsichtige Instrumentalsatz und eine nur andeutende Motivbildung. 

Milliauds „Opera-minute" ist in ihrer fein geschliffenen und in sich ruhenden 
Form ein spezifischer Ausdruck des Komponisten wie des franzosischen Geistes uber- 
haupt. Indem sie das dramatische Geschehen stilisiert oder ironisiert, gibt sie eine 
eigenartige und amiisante Losung des musikdramatischen Problems, die freilich leicht 
in die Nahe des Kunstgewerbes fixhrt. 

Hans Mersmann, Hans Schultze-Bi tter, 
Heinrich Strobel und Lothar Windsperger- 



350 ROMAN GRUBER 



AUSLAND 



Roman G ruber (Leningrad) 

DAS MUSIKLEBEN IN LENINGRAD 

Das Musikwesen Leningrads ist zur Zeit sehr kompliziert : einerseits hat die 
Oktoberrevolution Millionen neuer Musikhorer ins Leben gerufen, deren Musikbewufit- 
sein bei weitem nicht „revolutionar" ist und zweifellos sehr hinter dem mittleren Niveau 
unserer musikalischer Gegenwart zurtickbleibt; andrerseits mfissen wir konstatieren, dalS 
der jahrhundertlange allmahliche Entwicklungsgang des russischen, wie audi des abend- 
landischen Musikschaffens — das immer mehr uns bekannt wird — gerade im ersten 
Viertel des 20. Jahrhunderts eine machtige Revolution erlebt hatte, deren Erleb- 
nisse sogar durch das kulturelle Musikbewufitsein miihevoll angeeignet werden und 
nodi viel weniger unserer neuen, musikalisdi ungebildeten Horerschaft zuganglich sind. 
Es versteht sidi also, wie grofi die Distanz zwischen den „aufiersten" Schiditen unserer 
Horergruppen ist; wahrend die „Leningrader Gesellschaft fiir neue Musik" bahnbrediende 
Neuschopfungen eines Schonberg, Hindemith, Strawinsky, die ihren Kreis editer Schatzer 
finden, demonstriert, wahrend die Staatsoper „Wozzek" auffiihrt — gibt es hundert- 
tausende von Musikhorern, die noch keine Haydn- oder Mozartsymphonie gehort haben 
und die eine Operette von Lehar als den Hohepunkt aller Meisterschaft ansehen. 
Zwischen diesen Polen verteilen sich verschiedenartige Gruppierungen der 
Horerschaft, welche, ihrem Musikverstandnis gemafi nach der mannigfaltigsten 
musikaliscben Produktion trachten. "Wh sehen also, dafi Leningrad (audi Moskau), als 
Statte der Musikkultur, als Musikzentrum ein aufiers't sonderbares Rild eines Zusammen- 
lebens konstrastvoller MusikaufFassungstendenzen — und Horerschichten offenbart, was be- 
stimmt als ein dankbares Objekt wissenschaftlicher Betrachtung — um diese oder jene Hypo- 
these der Gesetzmafiigkeit des „Musikbetriebes" praktisdi zu priifen — anzusehen ist.*) 

"Wenn wir jetzt eine fliiditige Ubersicht der „wirkenden Kral'te" dieses Musikbe- 
triebes geben wollen, miissen wir in erster Reihe folgende Konzert- und Theaterein- 
richtungen nennen : Akad. Philharmonie, Akad. Staatsoper, Akad. Chorkapelle, Konserva- 
torium, „Gesellschaft der Freunde fiir Kammermusik", ,,Gesellsdiaft fiir neue Musik". 

Es ist nicht zu vergessen: 1. dafi alle aufgezahlten Organisation en (aufier den beiden 
letzten), der allgemeinen Tendenz der Sowjetregierung gemafi,nicht Privat-, sondern Staats- 
einrichtungen sind; 2. dafi in vielen Konzerten und in alien Opernvorstellungen eine 
grofie Anzalil Platze zu allerwohlfeilsten Preisen unter Arbeiterorganisationen verteilt 
wird; 3. dafi haufig die Plnlharmonie und Kapelle. und audi die Staatsoper vollzahlig 
die Arbeiterbezirke besucht. Wir sehen also, dafi die Horermassen in musikalischer Hin- 
sicht vortrefflich bedient werden. Was fiir Musikproduktion aber wird ihnen im allge- 
meinen angeboten ? 

An erster Stelle mu6 hier die Philharmonie genannt werden, welche seit den letzten 
2 — 3 Jahren in ihren wochentlichen Abonnementskonzerten nicht nur eine Anzahl monu- 



*) U. a. wird solche wissenschaftliche Beobachtung im ,,Kabinett fiir Erforschung der Musik des All- 
tagslebens" an der Musikabteilung des Kulturhistorischen Instituts getrieben. 



DAS MUSIKLEBEN IN LENINGRAD 351 

mentaler klassisclier Werke (es gentigt hier, den Beethoven-Zyklus, Auffiihrungen vieler 
Sinfonien von Bruckner und Mahler zu erwahnen . . .), sondern audi eine Reihe von 
Werken zeitgenossischer Komponisten (Gurrelieder, seclis Orchesterstiicke von Schon- 
berg, Klavier- mid Violinkonzert nebst Concerto grosso von Krenek, vieles von 
Hindemith und Strawinsky) aufgefiihrt hat und erstklassige Kunstler als Dirigenten 
und Solisten heranzog. Die Chorkapelle hatte unter anderem solche Werke, wie „Noces", 
„OedipusRex" von Strawinsky, „Konig David" von Honegger zur Auffiihrung gebracht. Viel 
Interessantes horten wir in den Konzerten der „Gesellschaft fur neue Musik". Die Staats- 
oper zeigte uns im Verlaufe der letzten Jahre Auffiihrungen, wie „Die Liebe zu den drei 
Orangen" Prokofieffs, Krenek's „Sprung iiber den Schatten", A. Berg's „Wozzek"; 
tibrigens besteht das Opernrepertoir im allgemeinen aus Opern, die keineswegs der 
Gegenwart angehoren. 

Hinsichtlich unserer Opernkultur iiberhaupt ist bemerkenswert zu konstatieren 
das sinkende Interesse fur Wagner's Opernschaffen und die Verdrangung seiner 
Musikdramen durch die Opern eines Verdi; Wagner ist in eine ungixnstige Lage ge- 
raten : die musikalisch gebildeten Kreise sind von seinem Schaffens sozusagen „ubersattigt"> 
und frische Musikhorerschichten sind dem Verstandnisse seines Schaffens nicht mehr 
gewachsen! 

Das Interesse fur neue Musik ist sehr grofi, aber es ist nicht zu leugnen, dafi 
der „Kulminationspunkt" scheinbar schon voruber ist und eine allmahliche Wendung 
nach ..alter Musik" (Kunst Bachs, vorbachsche Musikkultur) bemerkbar wird, tibrigens nicht 
an Stelle, sondern gleichlaufend mit dem fortbleibenden Interesse fiir das zeitge- 
nossische Schaffen. 

Sehr scharf wird der Mangel an groftziigigen, hervorragenden Produkten einheimischer 
Kunstler merkbar, welche den gegenwartigen kulturellen Bestrebungen der Revolutionszeit 
vollig entsprechen konnten. 

Dies ist im allgemeinen, ein fluchtiger Umrifi unseres Konzert- und Theaterlebens, 
dessen der abendlandische Leser sich stets bewufit sein mufi, um ein richtiges „Augenmafi" 
hinsichtlich der Musikereignisse des heutigen Tages zu behalten. Ubrigens, gerade 
wahrend des letzten Winters herrschte in unserem Musikleben ein relativer „Stillstand" 
(ausgenommen des tieferschutternden Klavierspiels von Arthur Schnabel und einiger 
Konzerte des Amar-Hindemith-Quartetts), der nur im Februar durch die Auf- 
fiihrung in der Staatsoper von Mussorgsky's „Boris Godunoff" in der ursprtinglichen Fassung 
unterbrochen wurde; diesem Ereignisse wurde ein spezieller Artikel gewidmet. 

Es ist nicht zu vergessen, dafi parallel mit diesem kiinsderischen Musikbetrieb ein 
intensiver Strom des „selbsttatigen" Musizierens das Alltagsleben fortwahrend durcb- 
pulst, welch er in aller Art „Schall-Orchester", musikalisch en Olympiaden u. a. seine 
Aufierung findet; aber dieser wichtige Zweig des Musikwesens erfordert eine besondere 
Besprechung. 



352 KURT WESTPHAL 



UMSCHAU 



Kurt Westphal (Berlin) 

DAS NEUE HOREN 

Wandlung und Erneuerung sind die Zeichen, unter denen die Musik unserer Zeit 
steht. Das Schaffen selbst zwar hat die Ki'ise fast schon iiberwunden. Nach anfanglich 
schwerem Kampf warf es die Fesseln der Romantik ab, urn in den jungsten Werken, 
etwa in denen Hindemiths, einen Stil zu schaffen, der das kiinstlerische Ziel der Moderne 
klar erkennen lafit. Aus einem Reaktionskrampf erwachsen, hat die Moderne, die sich 
am Beginn ihrer Entwicklung wild und hemmungslos gegen das Letztvergangene auf- 
baumte, den Weg zu ihrem innern Selbst gefunden. Hier ist die „neue Basis" erreicht- 
Auch das reproduzierende Kiinstlertum, dessen die Musik bedarf, um in Erscheinung 
treten zu konnen, hat sich in seinen jxingeren Vertretern auf die neue Musik eingestellt, 
wenn audi die gesamte Umstellung noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird; denn 
die moderne Musik verlangt nicht nur neue seelische Voraussetzungen, sie verlangt auch 
eine neue Technik. Schwieriger wird die Frage nach der Resonanz der modernen 
Musik. Brennend wird das Problem, welches heifien mufi: die Wandlung des Horers. 
Erst dann hat die moderne Musik den Charakter einer „Bichtung" abgestreift, erst 
dann hat sie eine neue Epoche begriindet, wenn sie zu einem neuen Horen erzogen 
hat, das dann, rtickwarts gewandt, fur die Musik des 19. Jahrhunderts zur Kritik wird. 

Jede Musik bedingt einen bestimmten Typus des Interpreten und des Horers, 
denn sie ist auf das Gespielt- und Gehortwerden angewiesen. Wahrend der schopferische 
Musiker der Gegenwart bereits zu neuen Resultaten gelangt ist, steht der Horer immer 
noch ausschliefilich im Bann einer Musik, deren geistiger Ausgangspunkt bei Beethoven 
liegt. Mit Beethoven wurde der musikalische Subjektivismus geboren. Die Idee, den 
Menschen und seine seelischen Spannungen zum Inhalt der Musik zu machen, war 
stark genug, um der Musik fur ein voiles Jahrhundert die Richtlinien zu weisen. Sie 
beherrscht auch heute noch den Horer, der unter solchem Aspekt die moderne Musik 
negativ, d. h. als Fratze auf die Affektmusik empfinden mulS. Unheimlich tief und 
zah sitzt noch in uns alien — gestehen wir es nur — diese von der subjektivistischen 
Musik bestimmte Art des Horens. Ihre Eigenart liegt in dem besonderen Verhaltnis von 
Interpret und Horer. Personlichkeit forderten wir vom reproduzierenden Kimstler, innere 
Weite und Grofie. Wie die Musik im 19. Jahrhundert die menschliche Seele entbloftt 
hatte, wie sie vor aller Psychoanalyse in ihre geheimsten Winkel, ihre verborgensten 
Ecken geleuchtet hatte, so sollte auch der reproduzierende Kimstler sein Inneres im 
Spiel offenbaren. Der Macht seiner Empfindung wollten wir uns hingeben. Sein 
Fuhlen sollte das unsere erwecken und steigern, seine Leidenschaftlichkeit die unsere 
entfesseln und emporreifien. Die Musik, sein Spiel - sie waren nur die Mittler, die 
seine Empfindung weiterleiteten und auf den Horer iibertrugen. Gelang es ihm, durch 
sein Spiel jene geheimnisvolle menschliche Verbindung herzustellen, die wir den inneren 
Kontakt nennen, so war ihm das Urteil begnadeten Kiinstlertums sicher. Denn wir 
gingen ins Konzert nicht, um Konnen und Darstellungsfahigkeit zu messen und zu be- 



g|£ DAS NEUE HOREN 353 

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werten, auch niclit allein, urn musikalische Kunstwerke erstehen zu sehen und an ihrer 
klanglichen Entfaltung vor unseren Sinnen asthetische Freude zu empfinden, sondern 
um innerlich aufgewiihlt zu werden. Den Menschen suchten wir im Spieler, das 
Menschliche erahnten wir hinter dem Klang. Bleibende Erlebnisse, „unvergefiliche Ein- 
drucke" suchten wir im Konzert. Wehe dem Kiinstler, der nicht in seinem Publikum 
auiging, der es wagte, sich zu distanzieren und lediglich das Kunstwerk als Gebilde, 
als klingende Arcliitektonik vor das Publikum hinzustellen, er wurde als „nur intellektuell" 
und gefuhlskalt verschrieen. So weit ging unter dem Einflufi der subjektivistischen 
Musik die Identifizierung von Musik und Gefiihlsbetontheit, dafi der gefiihlsunbetonte 
Kiinstler fur unmusikalisch gait. 

Die Haltung einer Musik, welche Seelisches enthiillen wollte, und eines Spielers, 
der dieses im Kunstwerk niedergelegte innere Bekenntnis nachzuempfinden und einer 
Horerschar zu vermitteln hatte, mufite auch die Kritik beeinflufien und ihr Mafistabe 
in die Hand geben, die von der Psychologie entliehen waren. Eine Kritik entstand, 
die dem Spieler gait, nicht dem Spiel. Mehr und mehr hatten wir uns zu einer 
Wertungsform verstiegen, welche die menschlichen Werte, die inneren Krafte eines 
Kiinsders mafi, nicht aber sein Konnen, nicht das eigentlich Horbare. Die Klang- 
erscheinung wurde nur soweit beachtet als sie ein Tieferes, Wesentlicheres deckte. 
Selbst dort, wo wir Wertmafistabe anwandten, die sich auf das Klangliche be- 
zogen, meinten wir Seelisches, meinten wir Menschliches, das hinter solchem Klangbild 
stand. A. spielt trocken, hiefi soviel, wie er ist menschlich michtern und langweilig; 
B. vermag eigenartige, feinunterschiedene Niiancen zu erzeugen, hiefi er ist eine sensitive 
und „interessante" Personlichkeit. 

Bei soldier Bewertung verlor sich das eigentliche Ziel der Kritik aus dem Auge. 
Psychologie trat an die Stelle der Asthetik. Das Kunstwerk wurde nicht um seiner 
selbst willen gewiirdigt, sondern nur, weil es als ein Produkt des Menschen etwas von 
seiner Psyche verriet. Verwischungen und unbewufite Verfalschungen des Urteils mufiten 
eintreten. Denn wird es jemals einem Horer einfallen, bspw. einem Pianisten, der 
wahrend des Spieles lebhaft gestikuhert, Temperamentlosigkeit vorzuwerfen ? Der Horer, 
der von der Begierde erfiillt ist, eine fremde Seele sich enthiillen zu sehen, reagiert 
auf alle Aufierungen dieser Psyche; ein Gesamteindruck beherrscht ihn und benimmt 
ihm schliefilich jede Unterscheidung, wie weit ihm — um bei dem erwahnten Fall zu 
bleiben — Leidenschaftlichkeit aus dem Spiel entgegentont, wie weit sie ihm durch aufier- 
musikalische Eindriicke suggeriert wird. 

In der Gegenwart ist einer neuen Generation diese Art des Kunstgeniefiens, die 
Spieler und Horer immer irgendwie menschlich verbindet, fragwurdig geworden. Sie 
sah, dafi Kunst sich von dem Sinn, den sie lange Zeit gehabt hatte, bedenklich ent- 
fernte; da6 sie sich mit anderen Ausdrudcselementen mischte, um an Unmittelbarkeit 
der Wirkung zu gewinnen, an Formfestigkeit und ruhiger Grofie aber zu verlieren. 
Neue Anschauungen iiber das Wesen der Musik sind gereift. Der Glaube an die 
alleinseligmachende Grofie „Beethoven", auf deren Schultern das gesamte 19. Jahrhundert 
stand, hat einen bedenklichen Stofi erlitten. Man besinnt sich auf die Friihzeiten abend- 
landischer Musikentwicklung. Eine neue Musik entsteht; eine Musik, die etwas i s t und 
nicht — wie die des 19. Jahrhunderts — etwas bedeutet. Sie drangt den Menschen, der 



354 ALFRED BARESEL 



mit seinem Fiihlen zwischen dem Kunstwerk und dem Ohr des Empfangenden steht. 
zuriick. Mechanisclie Instrumente ersetzen den Meiischen. Rein, ohne subjektive Zu- 
taten und Deuteleien soil Musik vor den Horer treten. Auch das Radio begiinstigt 
diese Entwicklung und die von ihr geforderte innere Umstellung des Horers; denn 
Radio vermittelt nur das Klangbild und zwingt den Horer, sich allein mit diesem aus- 
einanderzusetzen. Die Personlichkeit des Spielenden, die ihm entzogen ist, vermag 
mit all ihrer teils berecbneten, teils unbewufiten Gesticulation niclit mehr unterstreichend 
zu wirken. Kiinstler und Horer erzielit das Radio in gleicher Weise. Zwingt es den 
Horer, objektiver und ohne jene im Konzertsaal immer vorhandene menscbliche An- 
teilnahme zu horen, so deckt sie beim Kiinstler unbarmherzig jede Darstellungsschwache, 
jedes Manko in der klanglichen Gestaltung, das in der Oper und im Konzertsaal durch 
Gestikulation verwischt, wenn nicht gar in Tiefsinnigkeit verwandelt werden kann, auf, 
Von hier aus wird ein Weg zum neuen Horen gebahnt; es gdt dem Kunstwerk, nicht 
dem Kiinstler, es gilt der Form, nicht einem irgendwie vorhandenen Inhalt. An die 
Stelle jenes intensiven Miterlebens, das jeder noch so kleinen dynamischen Wendung 
der Musik angespannt folgt, tritt ein distanziertes Horen, welches das Kunstwerk inner- 
lich von sich abriickt, um durch solche Entfernuug seine Mafie besser iiberschauen zu 
konnen. Diese Art des Horens und inneren Betrachtens, die nicht mehr hinter der 
,,aufieren" Form nach dem Wesen sucht, wird auf die subjektivistische Musik des 
19. Jahrhunderts neues Licht werfen. Bruchigkeiten der Form, die bisher iibersehen 
wurden, miifien jetzt um so scharfer zutage ti'eten. 

Bis zu dieser Sicherheit sind wir noch nicht vorgedrungen, Wir beherrschen das 
19. Jahrhundert noch nicht; es beherrscht zum grofien Teil uns. Sein Geist, selbst da, 
wo er dem unsern entgegensteht, wirkt noch fort. Will aber jene Musik, die sich seit 
drei Jahrzehnten emporringt, notwendiger Ausdruck unserer Zeit sein, so mufi sie auch 
fahig sein, diese Zeit restlos auszufiillen, so mufi — andersherum gesagt — diese Zeit 
sich mit all dem, was sie auszudrucken hat, in ihr restlos ausgedriickt sehen. Die 
neue Musik wird beweisen miifien, dafi sie Kraft genug hat, um zu einem neuen Horen 
erziehen zu konnen; dafi sie stark genug ist, um zu einer Betrachtungsart der Musik 
zu zwingen, die sie zum Mafistab nimmt. Vorlaufig liegt der Fall immer noch umge- 
kehrt: die moderne Musik wird unter Voraussetzungen gehort, die das 19. Jahrhundert 
schuf, d. h. die neue. Musik hat sich in ihrer Zeit noch nicht geniigend sicher auf ihre 
Fiifie gestellt, um von sich aus die neuen Mafistabe diktieren zu konnen; sie unterliegt 
vielmehr immer noch einer Kritik durch die vergangene Epoclie. 

Wir hoffen auf die durchgreifende Umgestaltung unserer Musikanschauungen durch 
die neue Musik. 



Alfred Baresel (Leipzig) 

KUNST-JAZZ 

Der Streit um den Gebrau chs- Jazz dxirfte mit den Frankfurter Vorstofien 
und den schlecht orientierten Gegenstofien Hohepunkt und Abschlufi erreicht haben. lch 
sehe in den staubaufwirbelhden Erlassen des Frankfurter Jazz-Konservatoriums nicht 



kunst-JAZZ 355 



mehr uiid nicht weniger als den ersten, sehr notwendigen Versuch, die Kontrolle iiber 
eine uns schliefilich wesensfremde, aber nicht mehr wegzuraumende Unterlialtungskunst 
in die Hande verantwortungsbewufiter Musikinstanzen zu legen. Mag die Produktion des 
Gebrauchsjazz getrost anderen, weniger belasteten Musiklandern iiberlassen bleiben. 
(Ein genialer Jazz-Schlager deutscher Herkunft fehlt bisher). Aber Auswahl und Uber- 
wachung der Ausfiihrung kommt nicht den Musikunternehmern oder Kaffeehausbesitzern, 
sondern den Kulturtragern im Lande zu. 

Die musikalisch wichtigere Frage aber ware die, wieweit der Gebrauchsjazz bereits 
seinen Niederschlag in der Kunstmusik gefunden hat, und ob an eine neue, 
importierte Art der Gebrauchsmusik die namlichen Hoffnungen zu kniipfen sind, wie sie 
sich in fruherer Zeit durch Beeinflussung der Meistermusik erfiillt haben. 

Hierbei ist wohl am wenigsten von den neuen Musik-Formen, die uns der 
Jazz in bestimmten Typen des Gesellschaftstanzes brachte, zu erwarten. Denn die neuen 
Tanze kommen viel eher aus sportlicher, denn musikalischer Phantasie. Man mag bei 
einem Beethoven-Menuett heute noch von lriinsderisch-choreographischen Vorstellungen 
befallen werden — bei einem Foxtrot kaum. Die einzelnen Typen der Step-Tanze 
unterscheiden sich nur durch sporrliche Varianten des Rhythmus, ein Ausschwingen 
rhythmischer Phantasie zur Schaffung unterschiedlicher Formen ist nicht statthaft. Die 
wertvollste Tanzform des Jazz, der Tango — der Gebrauchsjazz hat ihn bereits rhythmisch 
verdorben — stellt uberdies in der Kunstmusik keine Neuerung dar, sondern ist bereits 
in der Habanera in Bizets Carmen erprobt. 

Trotzdem haben zahlreiche Komponisten versucht, diese Tanzformen in eine hohere 
Sphare zu heben und sie zur Suite oder Partita im alten Sinne zu sammeln. Dabei 
wird die geringe Gegensatzlichkeit einzelner Tede meistens durch karikierende oder 
virtuose Zutaten erhoht. Es sind vor allem zu nennen: Hindemiths Suite 1922, 
Schulhoffs Partita und Etudes de Jazz, Gruenbergs Jazzberries, Milhauds Rag- 
Caprices, die Tanzpantomime „Baby in der Bar" von Grotz. 

Neben dieser unmittelbarsten Kunstanwendung des Jazz zeigen sich aber auch 
schon die wichtigeren Bestrebungen, die neuen innermusikalischen Werte des Jazz aus 
den selbstgeschaffenen Formen zu losen. 

Der „Jazzkonig" Paul Whiteman, einer der grofiten Verderber einer neuen Musizier- 
Idee, gibt selbst zu („Jazz by Paul Whiteman and M. Mc. Bride" — New York), dafi es 
Europa vorbehalten war, die Moglichkeiten der amerikanischen Schopfung zu entdecken. 

Diese Moglichkeiten liegen in der neuen Ens emble-Struktur , in der Bhythmik 
und Harm onik. Urn mit dem letzteren zu beginnen: die Harmonik des Gebrauchs- 
jazz stellt bisher nichts Neues dar, sondern ist vollkommen im franzosischen Im- 
pressionismus verankert. Die chromatischen Biickungen in Septimenakkorden haben 
wir , seit Debussy — der freie Gebrauch der Septime im Schlufiakkord geht sogar 
schon auf Schumann (Kinderszenen) zuriick. Quarten-Vorliebe entspringt ebenfalls dem 
Impressionismus. 

Wohl aber kann sich aus der Stimmfiihrung des neuen Ensemblesatzes eine neue 
Harmonik horizontal ergeben, wie die zahlreichen Komponisten des „Kunstjazz" be- 
reits bewiesen haben. Dieser neue Ensemblesatz des Jazz erscheint (neben der rhyth- 
mischen Bevolutionierung der melodieseligen Bomantiker) als das Wichtigste an der 



356 ALFRED BARESEL 



Importware. Die kammermusikalische Lichtung des „grofien Orchesters" durch die 
Wagner-Antipoden und die Ablosung des „vollbesetzten Ballorchesters' - durch die Jazz- 
bands begegneten einander, und damit trafen sich antirornantischeBesetzungsbestrebungen. 
Beide Parteien brachten Befreiung vom Klangrauscli, Bewertung des Orchester-Solisten 
gegeniiber der -Gruppe, und damit eine neue Satzkunst, die dem polyphonen Stile 
wieder zuneigte. Man kann diese neuartige Jazz-Kontrapunktik — sie besteht in 
spontanen Zwischenbemerkungen und kurzen Themenumdeutungen der Gegeninstrumente 
anstelle ausgefiihrter Gegenlinien — sehr wohl den aphoristischen, rhythmischen und 
metrischen Themenverarbeitungen eines Strawinsky u. a. vergleichen. Kein Wunder also, 
dafi uns Strawinsky neben Milhaud — Satie ist mit seinen ironischen Tanzstiicken 
nicht durchgedrungen — als der erste Vertreter des Kunst-Jazz gilt; wobei dahingestellt 
bleiben mufi, ob eine so hochentwickelte Form des kammermusikalischen Musizierens, 
wie sie sein Bagtime fur 1 1 Instrumente oder das Blaser-Oktett brachte, nicht vollig un- 
abhangig vom Jazzensemble zu betrachten ist. 

Was Strawinsky hier zum Jazzmusikanten rriachte, war die Bhythmik; die Debussy 
schon vor der Invasion der „schwarzen Schmach" in seinen Bagtimes brachte, die bei 
Strawinsky zum grofien Teil elementar-russischen Ursprungs war. 

Der Jazz, wie er aus Amerika zu uns kam, war jedenfalls bereits mannigfach 
durchsetzt mit Elementen der neueren Kunstmusik, namentlich der franzosischen. Selbst 
sein eigenartigstes Instrument, das Saxophon, ist franzosische Erfindung. Es verbleibt 
ihm das Banjo, das von untergeordneter Bedeutung ist. Und seine ureigenste Wesens- 
art, wie sie sich in den Negerspirituals offenbart, ist durch naiv-empfmdsame Melodik 
und ubersynkopierte Bhythmik hinreichend bezeichnet. Das Motorische, das man ihm 
nachruhmt, der stampfende Bhythmus unterhalb der Synkopen, findet sich ebensowohl 
in Strawinskys und Bartoks Hinstreben zur heimatlichen Folklore. Der Kreis schliefit 
sich, indem die namliche eindeutige Bhythmik von beiden Meistern als Neuklassizismus 
von den taktfesten Alten abgeleitet wird. 

Der Jazz hatte also das grofie Gluck, sich in die Bestrebungen der europaischen 
Kunstmusik folgerichtig einzufiigen, ohne mehr als die weitgehende Nutzanwendung 
der Synkope und eine eigenartige Satztechnik — wahrscheinlich einer, wennschon genialen, 
Behelfsmafinahme in der Instrumentalbesetzung entsprungen — als Neuheiten aufweisen 
zu konnen. Denn schon ist seine angeblich durchweg antiromantische Tendenz nicht 
mehr zu belegen, nachdem wir die melodische Nigger-Sentimentalitat richtig kennen- 
lernten — die uns freilich durch ihre naiv-religiosen oder eindeutig-erotischen Hinter- 
griinde gegeniiber dem iiberkomplizierten Seelenerlebnis der deutschen Bomantik auf- 
frischend anmutet. 

Die genannten Eigenwerte des Jazz waren also, wenn auch begrenzt, doch urkrfiftig 
genug, um sofort in die Kunstmusik in einer Zeit vielfachen Laborierens Eingang zu finden. 
Die Ablosung der Jazz-Elemente vom Gesellschaftstanz und den Gebrauchsformen ist 
vielfach bereits durchgefuhrt. 

Noch in Anlehnung an bestimmte Tanztypen, aber bereits in die Kunstsphare des 
Balletts erhoben, zeigte sich der Jazz am friihesten in Milhauds „La Creation du 
Monde" und „Le Boeuf sur le Toit", in Lord Berners „Triumph des Neptun". Einen 
Biickschritt bedeutete in dieser Beziehung Kreneks „Jonny", der jazzveristisch wirkt, 



* 



SINFONIEKONZERT OHNK DIRIGENTEN 357 

populate Tanzformen pflegt — allerdings audi schon eine organische Verschmelzung 
von Jazz- und Opernmusik in einer bis dahin nicht beobacliteten Art erreicht. Sein 
Blues entvvickelt sicb aus dem Ewigkeitsruf des Gletschers, welcher Oper im romantiscben 
Sinne reprasentiert ! Trotz einigen unidealisierten musikalischen Tanzphotographien er- 
scheint mir deshalb der Jonny bisher als der bedeutungsvollste Versuch, Jazzelemente 
der europaischen Tonsprache zu verweben. 

Durchweg absoluter im Gebrauch des Jazz wirkt aber Kurt Weill, der Tanz- 
Assoziationen vollig uberwindet. In „Royale Palace" ruht ein Chorsatz auf Tango- 
rhythmen, in „Mahagonny" wird der Niggersong niusikaliscb.es Ausdrucksmittel der Bert 
Breschtschen. herausfordernd ubersteigerten Phantasiewelt, im „Zaren" dienen die absoluten 
Jazz-Rhythmen der Typisierung eines Lebe-Fiirsten. (Auszunehmen ware hier der Gram- 
mophon-Tango, der wie das entsprechende Stiick im „Jonny" in spezieller Form der 
Unterhaltungsmusik zur Liebesbetorung verwendet wird. Hier erst treten im Zar die 
typiscben Jazz-Instrumente in Aktion). 

Ein interessanter Beitrag zur Naturgeschichte des Jazz bietet sicb schliefilich in 
Rezniceks Indian eroper „Satuala" wo der Charakter der heutigen Gebrauchsmusik 
vollig abgestreift wird und statt dessen durch Nachempfindung von Naturaufnahmen 
folldoristische Bindungen auf'gedeckt werden sollen. Reznicek leitet die Grundelemente 
des Jazz aus der sudamerikaniscb-indianiscben Folldore (mit spaniscbem Einscblag) her, 
von der ihm einige Proben vorgelegen haben mogen. Eine einwandfreie ethnographische 
Bedeutung kommt seiner Eingeborenenmusik indessen kaum zu. 

Man kann nach alledem sehr wohl von einem aufiergewobnlich stark en Ein- 
flufi des Jazz auf die europaische Kunstmusik der letzten Jahre sprechen. Es wird 
sich aber, wie gesagt, nicht darum handeln konnen, einen „Kunst-Jazz" innerhalb der 
Musik als vielleicht gar provozierendes Sondergebiet zu pflegen, sondern seine neuartige 
Satzkunst, den neuartigen Klang und vor all em die unfeierliche, tiberbetonte Rhythmik 
der europaischen Musik zu assimilieren. So mag der Jazz vom Volksgeschmack her 
der Kunstmusik neue Mittel bieten, wie sie zur Lichtung des Satzes, zur Entfettung der 
iiberernahrten Nachromantiker-Harmonik, zur Klarung der vielfach esoterisch gewordenen 
Musik langst von iiberallher — und gerade auch aus der internationalen Vobismusik — 
aufgenommen wurden. 



Ernst Latzko (Leipzig) 

SINFONIEKONZERT OHNE DIRIGENTEN 

1. 

Zunachst einige Tatsachen zur Orientierung. Das Leipziger Sinfonieorchester, das 
als erstes in Deutschland den Versuch gemacht hat, ein Sinfoniekonzert ohne Dirigenten 
zu geben, spielt im Leipziger Musikleben — in Oper, Konzert und Rundfunk — eine 
wichtige Bolle. In der Oper zur Vertretung des Stadtischen Orchesters berufen (vor 
allem an den Abenden, an den en dieses im Gewandhaus beschaftigt ist), tritt es in 
den „Phdharmonischen Konzerten", die heuer unter der Leitung Scherchens und Labers 
standen, als bedeutsamer Konzertfaktor in Erscheinung und eine Aufgabe von besonderer 



358 ERNST LATZKO 



Wichtigkeit ist ihm ini ,,Mitteldeutschen Rundfunk" gestellt, wo es samtliche orchestralen 
Veranstaltungen ernsten Charakters bestreitet. Durcli diese Mannigfaltigkeit der ihm 
gestellten Aufgaben, durch die Notwendigkeit, unter sehr vielen und sehr verschiedenen 
Dirigenten zu spielen, ist dieses Orcliester im Hinblick auf die kurze Dauer seines Be- 
stehens zu einer erstaunlichen Routine und Anpassungsfahigkeit gelangt, die fur den 
Mangel letzter technischer und klanglicber Vollendung, fur nicht ganz zureichende 
Besetzung in einzelnen Stimmen wohl entschadigen konnen. Alle diese hier angefuhrten 
Momente sind fur die Wiirdigung des Folgenden von Bedeutung. Dieses Orcliester 
veranstaltet also einen Beethoven-Abend (Eroica, Violinkonzert mit Gustav Havemann 
als gefeierten Solisten, Egmont-Ouverture) und spielt dieses Programm ohne Kapellmeister 

1. 

Ruckbildung oder Forts chritt ? Wiederkehr zu Formen des Orchesterspieles, die 
iioch vor hundert Jahren gang und gabe waren oder weiteres Vordringen des Sach- 
lichkeitsgedanken, der eine Individualitat zugunsten eines zeitgemafien Kollektivismus 
einfach von der Tagesordnung streicht? Diese prinzipiellen Fragen verlangen Klarung. 

Der Taktstock-Dirigent ist keine sehr alte Erscheinung der Musikgeschichte. Die 
musikalische Leitung vom Cembalo aus, die Direktionsart des Generalbafizeitalters, die 
Leitung vom ersten Geigenpidt aus, die mit dem Schwinden der Herrschaft des General- 
basses aufkam, endlich ihre Vereinigung in der Doppeldirektion, bei der Cembalist 
(Kapellmeister) und Vorgeiger (Konzertmeister) gemeinsam die Leitung ausubten, 
alle diese Formen kommen noch in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts vor, 
wobei der maestro al cembalo in der Oper, der Konzertmeister in Kirche und Kammer 
die Hauptrollen spielten. Es ist ganz gut, sich vor Augen zu halten, dafi — um nur 
die prominentesten Dirigeiitenpersonlichkeiteii jener Zeit zu nennen — der Taktstock 
in Dresden erst 1817 von C. M. von Weber eingefuhrt wurde, im gleichen Jahre von 
Spohr in Frankfurt, im Gewandhaus gar erst von Mendelssohn im Jahr 1835, dafi die 
beriihmten Konzerte des Pariser conservatoire, von denen Bichard Wagner erzahlt, sie 
hatten ihm das Verstandnis der Beethovenschen Sinfonien erschlossen, noch damals — 
also im Jahr 1840 — von Habeneck vom ersten Geigenpult aus geleitet wurden. In 
alien diesen Fallen handelte es sich darum, dafi das Orcliester zwar nicht ohne Dirigenten 
spielte, dafi diese Direktion aber nicht wie heute von einem nur mit dieser Aufgabe 
Betrauten sondern von einem Instrumentalisten zu seiner Tatigkeit am Cembalo oder 
an der Geige dazu ausgeiibt wurde. Die Erinnerung an diesen Zustand liefi den Ge- 
danken aufkommen, dafi audi das Konzert des Leipziger Sinfonieorchesters in Wirklich- 
keit nicht ohne Dirigenten, sondern nur ohne Taktstockdirigenten gespielt werden wurde, 
unter der Leitung eines Orchestermitgliedes, wahrscheinlich des Konzertmeisters, der 
als primus inter pares die Funktionen des Kapellmeisters nebenamtlich aus- 
fiihren wiirde. Davon liefi aber der Verlauf des Konzertes nicht das Geringste erkennen. 
Zu Beginn nur ein hoheres Heben, eine etwas markantere Bewegung des rechten Ellen- 
bogens von seiten des Konzertmeisters — nicht auffallender als die Anfangsbewegung 
des Primarius eines Streichquartettes — und wie ein Mann setzt das ganze Orchester mit 
den beiden Anfangs-Tuttiakkorden der Eroica ein. Im weiteren Verlauf vollziehen sich 
alle Tempoveranderungen mit einer Reibungslosigkeit, erfolgt jeder Wechsel der Dynamik 



PS 



SINFONIEKONZERT OHNE DIRIGENTEN 359 

mit einer Selbstverstandlichkeit, dafi man bei diesem fiihrerlosen und doch so dis- 
ziplinierten Musizieren wirklich den Eindruck einer in hohere Potenz gehobenen Kammer- 
musik hat. Am iiberzeugendsten nach dieser Richtung wirkte der dritte Satz in der 
Gegeniiberstellung von Scherzo und Trio nnd das Finale mit seinen drei verschiedenen 
Zeitmafien und den durch die zahlreicben Fermaten bedingten Unterbrechungen des 
musikaliscben Flufies. 

Ergaben sicb also keine Ankniipfungspuiikte an die Vergangenheit orchestraleii 
Musizierens, so lag die zweite Erwagung nahe, in diesem Konzert einen in die Zukunft 
weisenden Versuch zu erblicken, den Versuch, die heute sozusagen in der Luft liegenden 
Bestrebungen auf Unterdruckung jeder iibersteigerten individuellen Regung in der Kunst 
zu einer Unterdruckung der Person im Orcliester uberhaupt zu verdicbten und die 
Uberfliissigkeit des Kapellmeisters, der dem Kollektivbegriff Orcliester gegeniiber ent- 
scbieden die Individualitat darstellt, iiberzeugend zu demonstrieren. Aber audi nach 
dieser Richtung hin vermochte das Experiment nicht zu iiberzeugen. Dazu hatte zu 
allererst ein Programm gehort, das von dem Orcliester noch nie unter einem Dirigenten 
gespielt worden ist, bei dem also jede bewufite und unbewufite personliche Be- 
einflussung von vorneherein ausgeschaltet war. Aber audi die Mangel, die der Aus- 
fiihrung des Konzertes in interpretativer Hinsicht entschieden anhafteten, konnten un- 
moglich den Beweis dafiir erbringen, dafi unsere Zeit schon reif sei fur eine ganzliche 
Abschaffung des Dirigenten. Dafi die nur vom Individualtatsbewufitsein diktierte, nicht 
aus dem Werk heraus geborene Nuance in dieser Ausfiihrung fehlen mufite, ist in 
unserer Zeit der Sachlichkeit eher als Vorzug zu empfinden gewesen. Dagegen mufiten 
die ungewollten Modinkationen, das Eilen in den raschen Satzen, noch mehr die 
Verschleppung und zahfliissige Unbelebtheit des Trauermarsches, dem Horer die Ge- 
wifiheit geben, dafi der Dirigent vorlaufig und bis auf weiteres wenigstens zu den not- 
wendigen Ubeln gehore. 

2. 

Alle diese Bestrebungen — weder die nach ruckwarts noch die nach vorwarts 
gerichteten — lagen audi bestimmt nicht in der Absicht des Orch esters, als es sein 
Experiment wagte. Darum ist es richtiger, alle Problematik beiseite zu lassen, sicb 
nicht um Gegensatze zwisclien Individuahsmus und Kollektivismus, Personlichkeit und 
Sachlichkeit zu kummern, keine Versuche zu unternehmen, Briiclcen zur Vergangenheit 
oder Zukunft zu schlagen und sich die Frage vorzulegen, welche Bedeutung der Versuch 
fur die Gegenwart hat und welche Folgerungen die jetzige Zeit daraus zu ziehen hat. 
Nach dem Grunde dafiir ist zu suchen, dafi dieses gute aber keineswegs prominente 
Orcliester gerade in diesem Konzert — von den schon erwahnten interpretativen Mangeln 
abgesehen — zu einem ungleich kidtivierteren Zusammenspiel gelangte als unter der 
Fiihrung eines Dirigenten, dafi in technischer und klanglicher Hinsicht sonst nie er- 
reichte Hoheprinkte zu verzeichnen waren. 

Zwei Momente sind hier von ausschlaggebender Bedeutung. Das erste ist psycho- 
logischer Natur und betrifft die Verteilung der Verantwortlichkeit zwischen den an 
der Ausfiihrung eines Orchesterwerkes beteiligten Faktoren. Wahrend in der General- 
bafizeit das Selbstandigkeitsgefiihl des Orchestermusikers aufs hochste gestiegen war, 



360 



ERNST LATZKO 



das demokratische Prinzip in der Kapelle schon rein auGerlich dadurch gekennzeichnet 
war, dafi auch der Kapell-„Meister" wie alle anderen an einem Instrument safi, hat sich 
seit Einfiihrung der Taktstockdirektion das Verhaltnis in der Verteilung der Verant- 
wortung unter Orchester und Dirigent unaufhaltsam nacli deni letzteren hin versclioben. 
Aus einer Demokratie wurde das Orchester eine absolute Monarchie, nicht selten eine 
Diktatur. Diese Entwicklung hatte bei den Dirigenten das heute leider so oft zu beob- 
achtende Auftreten von Grofienwahn zur Folge und ziichtete den nicht genug zu be- 
kampfenden Typ des Dirigenten-Stars. Auf der anderen Seite mufite das Gefiihl, be- 
standig gegangelt zu werden, bei dem Orcbestermusiker natiirlich zu einer Abstumpfung, 
zu einem progressiven Schwinden des Verantwortungsgefiihles fiihren. Aus diesem 
Grand kann der psychologische Wert dieses dirigentenlosen Konzertes nicht hoch genug 
veranschlagt werden, weil es dem Orchestermitglied das far eine kiinstlerische Leistung 
unumganglich notwendige Bewufitsein des „Nur auf mich Ankommens" wiedergab. 

Das zweite Moriient, das diesem Ereignis prinzipielle Bedeutung verlieh, ist tech- 
nischer Art und betrifft die durch das Fehlen eines Leiters bedingte besondere Vor- 
bereitung. Verhehlen wir es uns nicht, dafi die Einfliisse der jiingsten Vergangenheit, 
unter denen der iibersteigerte Personlichkeitswahn <ler Dirigenten und der fabrikmafiig 
gestaltete Konzert-Grofibetrieb die Hauptrolle spielen, das Orchestermusizieren zu einem 
mehr oder minder grofizugigen Improvisieren gestaltet haben, bei dem das Gelingen 
der Boutine des Orchesters, dem Genie des Dirigenten, der Stimmung des Abends und 
nicht zum geringsten Ted dem Zufall iiberlassen bleibt. Natiirlich ware es falsch, auf 
die eben genannten Momente verzichten und sie nur durch Arbeit ersetzen zu wollen. 
Ein mechanisches, uninspier'iertes Musizieren ware die notwendige Folge. Aber ebenso 
falsch ist das andere Extrem, die irn Orchester eben unerlafiliche Arbeit zu vernach- 
laftigen, an die Stelle des Ordentlichen das Aufierordentliche zu setzen. Denn dieser 
Weg hat zu der sehr beliebt gewordenen Grofiziigigkeit gefiihrt, die man hesser Schlam- 
perei nennt. 

Dieses Konzert, in dem man trotz offensichtlicher Mangel in der Interpretation zu 
einem qualifizierten Musizieren gelangte, konnte den vorurteilsfreien Horer dariiber 
belehren, was intensive Probenarbeit zu leisten vermag. Ware das gleiche Konzert 
unter Leitung eines Dirigenten gestanden, so ware dazu eine (vielleicht auch gar kerne) 
Probe gamacht worden, in der das Programm durchgespielt worden ware und Diri- 
gent und Solist ihre „Auffassung" durchzusetzen sich bemiiht hatten. Jedes Mehr 
an Probenarbeit — wenn es sich iiberhaupt hatte ermoglichen lassen — ware als 
uberfliissige Belastung empfunden worden und hatte durch diese negative psycholo- 
gische Wirkung vielleicht mehr geschadet als genii tzt. Der Wegfall des Dirigenten 
hat diese Hemmungen in der Psyche des Orchestermusikers beseitigt, ihm das Gefiihl 
der Notwendigkeit und damit die Freude an. der Probe wiedergegeben. So gelangte 
man zu einer Selbstdisziplinierung, die die von einem Vorgesetzten aufoktroyierte 
Disziplin an Wirkung iibertraf. So durfte man sich an der Einheitlichkeit des 
Lagenspiels, der Stricharten, der Fingersatze, an der Gleichmafiigkeit des Atmens 
erfreuen und dabei feststelleti, dafi solche technische „Nebensachlichkeiten" oft zu einer 
iiberzeugenderen Phrasierung fiihren als personliche Auffassungen und individuelle 
Nuancen. 



SINFONIEKONZERT OHNE DIRIGENTEN 361 

3. 
Orchester wie Dirigenten sollten die Lehren dieses Konzertes beherzigen und 
ihre Folgerungen daraus ziehen. Durcli eine Art Selbstbesinnung ist der Weg zu einer 
im heutigen Grofibetrieb unwiederbringlich verloren geglaubten Orchesterdisziplin, zu 
dem seit einem Jahrhundert immermehr geschwundenen Verantwortlichkeitsgeftihl des 
Orchestermusikers wiedergefunden worden. Moge er nun audi begangen werden! Wenn 
die anderen Orchester sich entschliefien konnten, das tapfere Beispiel der Leipziger 
nachzuahmen und von Zeit zu Zeit neben ihre'r gewaltigen Arbeitslast die Miihen eines 
solcben dirigentenlosen Konzertes auf sich zu nehmen: das Niveau des r Chester - 
spieles wurde sich in ungeahnter Weise he ben, das Orchestermitglied wurde 
aus einem „mehr oder weniger einsichtigen Werkzeug - ' (Berlioz, Instrumentationslehre) 
wieder zu einem selbstandigen verantwortungsbewufiten Musiker werden. 

Selbstbesinnung ist aber auch die Lehre, die aus dem Experiment der unbeteiligte 
Dirigent ziehen sollte. Eine sprunghafte, ubersturzte kunstlerische wie soziale Entwick- 
lung des Berufes war wohl geeignet, seinen Tragern die Kopfe zu verdrehen. Wenn 
noch im Jahre 1785 in Neapel ernsthaft die Frage diskutiert wurde, ob der Kapell- 
meister zu den Handwerkern (nicht kiinstlerisch) zu rechnen sei, so dart' er sich heute 
einer diktatorischen Macht erfreuen, fiir deren militarisches Geprage der „Generals"- 
Titel als passendes Korrelat gefunden werden mufite. Wurde einst die Ara des Sangers 
von der des Instrumentalisten abgelost, so muftte diese wieder dem Zeitalter des Diri- 
genten weichen, dessen Selbstbewufitsein, Eitelkeit und Beklamesucht die Primadonna 
von einst in den Schatten stellt. 

Aber es mehren sich die Anzeichen, die nur im Sinn eines bevorstehenden Diri- 
genten-,, Abb aues" gedeutet werden konnen. Dahin gehort die Abkehr von den Biesen- 
Orchestern der letzten Bomantik und die immer haufigere Bevorzugung von kammer- 
musikalischer, solistischer Besetzung, die selbstandige Orchesterspieler voraussetzt, dahin 
gehort das Wiederaufleben der Oper, die — im Gegensatz zum Musikdrama — ihre 
Triebkrafte zuerst aus vokalen, nicht aus instrumentalen Quellen schopft und daher 
Sangerindividualitaten von Format verlangt, die nicht der Vergewaltigung durch einen 
monomanisch veranlagten Kapellmeister unterliegen, dahin gehoren schliefilich die Be- 
strebungen nach einer neuen Sachlichkeit, welche die aus der Bomantik stammende 
Ubersteigerung des Ausdrucks wieder in die Ausmafie der Klassik eindammen mochte 
und daher alien allzupersonlichen Interpretationsgeliisten moderner Dirigenten erfolgreich 
entgegenwirken. Und zu diesen Anzeichen gesellt sich nun als drohendstes Menetekel 
das Sinfoniekonzert ohne Dirigenten, das dem Star-Dirigenten hoffentlich die Augen 
iiber die alleinseligmachende Wirkung seiner Personnlichkeit offnen wird. 

So sind in diesem ersten Versuch Keime enthalten, die - richtig gedeutet und 
gepflegt - nach zwei Bichtungen hin Friichte tragen konnen und tins hoffentlich wieder 
zu einem gesunden und kultivierten Orchestermusizieren fiihren, in dem Personlichkeit 
der Begabung und Sachlichkeit der Ausfuhrung zu idealem Verhaltnis^ gepaart ersch einen. 



362 OSKAR GUTTMANN 



Oskar Guttmann (Breslau) 

WAS HEISST UND ZU WELGHEM ENDE VERANSTALTET 
MAN EIN MUSIKFEST? 

Ein Epilog zum 20. Schlesischen Musikfest in Gorlitz. ] ) 

Nach langem Schwanken, nach mizahligen Malen Durchlesen des dreitagigen Musik- 
festprogrammes entschliefit man sich, niclit hinzufahren, sondern die freuudlichst zuge- 
stellte Pressekarte mit'bestem Dank zuriickzuschicken. 

Welchen Sinn haben Musikfeste, vorausgesetzt, dafi sie uberhaupt noch einen Sinn 
baben ? 

Denn: sie haben natiirlich beute kaum noch einen Sinn. Solche Feste sind fur 
die Besucher eine recht kostspielige Sache, das braucht weiter nicht ausgefiihrt zu werden. 
Es ist das also eine Angelegenheit der ganz diinnen Schicht des Volkes, die sich audi 
sonst den Genufi von Komerten und Theater leisten kann. Diese dxinne Schicht der 
Begiiterten kann aber ebenso nach der Provinzialhauptstadt (wie hier Breslau) fahren, 
das kostet dasselbe Geld. Das kann also gemacht werden und wird auch gemacht, ob- 
jektiv gesehen braucben diese Leute kein Musikfest. Nur subjektiv brauchen sie es; 
denn man will doch einmal ganz unter sich sein: in so eiiier gro^en Stadt weifi man 
ja wirklich niemals, neben wem man sitzt. 

Die grofie Masse des Volkes, die einem Fest erst einen wirklichen Sinn gabe, ist 
von solchen Dingen leider ganz ausgeschlossen und bleibt draufien. Ein Musikfest 
hat ein Voksfest zu sein, kein gesellschaftliches Ereignis, kein Untersichsein derer, 
die ,,bedeutend sein" mit „wohlhabend sein" gleichsetzen. Diese Zeiten sind vorbei, eine 
Gemeinschaftskunst, ein Gemeinschaftstheater ist im Werden. Solche Musikfeste wie 
dieses „Schlesische" ragen petrefaktisch in eine ganz anders gewordene Zeit hinein, und 
sind uberflussig geworden; vieUeicht sogar schadlich. 

Aber, vorausgesetzt, dafi Musdcfeste also noch einen Sinn haben konnen, welchen 
Sinn hatten sie dann ? 

Doch nur den ganz selbstverstandlicheu, zwar kein gesellschaftliches, aber ein 
musikalisches Ereignis zu sein. In dem Prospekt von Gorlitz las man : „Die nationale 
und besonders die internationale Musikpflege, namentlich soweit sie umkampfte Werke 
der neueren Zeit darbietet, iiberlassen wir neidlos den grofien Musikzentren." — 

Neidlos. Und weiter: „Die Programme der Schlesischen Musikfeste waren in ihrem 
Kern immer auf die Meisterwerke der letzten 200 Jahre gegriindet." Aber gewifi, das 
sah man dem Programm von 1928 etwas reichlich an. 

Man begann am ersten Abend mit der Orgeltoccata von Joh. Seb. Bach, und da 
nichts besseres zu Bach pafit als Beethoven, liefi man dem Orgel- ein Opernstiick 
folgen, die zweite Leonorenouverture. Zu Beethoven wieder gehort Mozart, man spielte 
ein Klavierkonzert, und zu dem Osterreicher Mozart gehort der Dsterreicher Bruckner 
(Siebente Sinfonie). Der Horer wurde durch ein solches Potpourriprogramm von einer 
Stimmung in die andere geworfen, von irgend einem festlichen Stilwillen eine Einheit 
zu bieten, war keine Bede. Noch schlimmer eigentlich der zweite Orchester abend. 

J ) Wir bringen diesen Aufsatz gerade in diesem Heft, das einem auf Produktivitat und Zeitbejahung 
eingestellten Musikfest dient. Die Schriftleitung. 



DER TEMPEL DER SYMPHONIE 363 

Zuerst ein Vertreter der Lebenden, Richard Straufi' „Don Juan" begatin; ihm 
folgte das Brahmssche Doppelkonzert, diesem die C-dur Sinfonie Schnberts (wohl wegen 
des Schiibertjahres) und dann — ja. das letzte ist nicht glaublich. dami wird der Chor 
hinaufgestellt und alle singen, nicht etwa das Deutschlandlied (Haydn ist nicht beliebt), 
sondern das Hallelujah aus dem „Messias" von Handel. Vielleicht aus Freude, dafi es 
nun aus ist. Solche Geschmacklosigkeiten sollen festgehalten werden. 

Dazwischen gab es, wogegen nichts einzuwenden, die Bach'sche h-moll Messe. Aber 
mit einem Chor von (reklamehalber wurde es grofi verkiindet) 650 Menschen. Jedem 
mit Bach vertrauten Musiker mufi es absurd erscheinen das Bach'sche Werk mit dieser 
Masse aufzufuhren. Dazu ein niehr als mittelmafiiger Dirigent. Nuri, es mag danach 
gewesen sein. 

Ein solches Musikfest kann natiirlich nicht den musikalischen Sinn haben durch 
Potpourriprogramme eine Ubersicht uber die Musikgeschichte von 1700 bis 1900 zu 
geben, sondern eine solche besondere fesdicbe Veranstaltung mufi Besonderes bieten, 
sie mufi vor allem Werke der Zeit zur Auffiihrung bringen. Hier muB 
man eben das horen, was man sonst nicht hort, sonst bleibt es eine Vereinsangelegen- 
heit. Daran sind ja beispielsmafien die Musikfeste des Allgemeinen Deutschen Musik- 
vereins fast zu Grunde gegangen; hier hat man sich doch noch besonnen und kommt 
vielleicht langsam wieder in die Hohe. Anschlufi an die Zeit ist zu suchen, selbst auf 
die Gefahr hin, dafi die Grofiagrarier der landlichen Umwelt, die alten Herren und die 
bejahrteren Kranzchenschwestern und Stiftsdamen nicht mehr kommen. Dafiir aber 
wird die Jugend kommen, der die Gegenwart und die Zukunft gehort — 
wenn man eben wirklich immer noch das Bedurfhis nach Musikfesten hat. Die Zeit 
fiir solche Dinge scheint aber vorbei. 

"Wir haben heute andere Hoffnungen und andere Ziele. 

Hans Mersmann (Berlin) 

DER TEMPEL DER SYMPHONIE 

Auf den Hohen von Baden-Baden soil ein Festspielhaus zur Pflege der deutschen 
Symphonie entstehen. Der Gedanke geht auf einen Plan des Munchener Architekten 
Ernst Haiger zuriick, der damit schon 1910 an die Offentlichkeit trat. Kurz vor dem 
Kriege wurde ein Verein zur Verwirklichung dieses Gedankens gegriindet, der jetzt als 
„Verein Symphoniehaus E. V." eine Reihe von Aufrufen verteilt. Der Inhalt dieser Auf- 
rufe ist grundsatzlich so bedeutungsvoll, dafi hier zu einigen ihrer Gedanken Stellung 
genommen werden mufi. 

„Was immer an symphonischen Meisterwerken geschaffen worden ist und noch 
geschaffen werden mag, wie audi die Chorwerke der grofien Meister, von Joh. 
Sebastian Bach an bis auf unsere Tage: sie sollen in alljahrlichen Festauf- 
fuhrungen dort ihre gemeinschaftbildende Kraft bewahren." ') Diese Worte spricht 
Gerhart Hauptmann im Namen des Yereins. 

Man konnte Verschiedenes gegen diese allgemeine Formulierung des Gedankens 
vorbringen. Man konnte von aufieren und praktischen Bedenken ausgehen, von Uber- 

') Die Sperrungen dieses Satzes sind aus dem Aufruf iibernommen. 



364 



HANS MERSMANN 



s&ttigung unserer Zeit mit Musikfesten, welche in der Pflege der Symphonie teilweise so 
Hervorragendes leisten, dafi schon eine Ebenbiirtigkeit des neuen Unternehmens durch- 
aus nicht unbedingt garantiert ware. Warum sollen die Orchester der Hauptstfidte, 
(denn urn diese miifite es sich doch wold handeln) nach Baden-Baden geschickt werden, 
um dort eine Beihe von Symphoniekonzerten zu geben, die sich in jedem Fall nur an 
ein besonders zahlungskraftiges Publikum wenden konnen? Man denkt dabei an die 
Reisen des Berliner Philharmonischen Orchesters, das unter Furtwangler Symphonie- 
konzerte von hervorragendster Qualitat in mittleren Provinzstadten vor allem denjenigen 
zuganglich macbt, 1'iir welche eine Beise nach Baden-Baden nie in Betracht karm. 

So bleibt der Gedanke selbst. Mag er aus der Lage 1910 noch verstandlich er- 
scheinen, heute liegt er mis ferner als je. Wagners Festspielgedanke war ein Ausdruck 
seiner Zeit. Heute konnte die Errichtung einer symphonischen Gralsburg nur von den- 
jenigen propagiert werden, welche sich in die Situation von 1870 zurucktraumen mochten 
und vor dem Atem und den Forderungen der Zeit die Augen schliefien. Fiir die 
romantische Idee einer Pilgerfahrt zum Kunstvverk liegt keine Notwendigkeit mehr vor. 

Aber der Verein Symphoniehaus hat noch eine andere Seite. „Von Bach an bis 
auf unsere Tage", sagte Gerhart Hauptmann. Diesem Aufruf liegt noch ein 
zweiter bei, der von Richard Benz verfafit ist. Und da heifit es: „Tempel heifit 
Grenze; Tempel-Bauen nichts anderes, als heilige Grenzen setzen. Es hatte wenig 
Sinn, der Musik nur ein aufierlich weihevolleres Haus zu errichten, wenn es unter- 
schiedslos allem dienen sollte, was musikalisch geschaffen worden ist und noch geschaffen 
wird - der Bezirk des Heiligen mufi vor allem hinsichtlich der ¥erke, die hier 
sprechen sollen, streng und rein gewahrt werden; das aber ist nur moglich, wenn man 
sich an eine grofie abgeschlossene Uberlief erung halt, iiber die nicht ein heutiger 
Einzelner, sondern ein Jahrhundert das Urteil gefallt hat ~". 2 ) 

Deutlicher konnte das wahre Gesicht des Unternehmens wohl kaum enthullt 
werden. Dieser Aufruf, der sich „an das deutsche Volk, an die musikalische Menschheit 
aller Nationen, an die Glaubigen des Geists" wendet, stempelt den Tempel der Symphonie 
zu einem Hort der Beaktion. Und konnte man dem Gedanken gegeniiber vorher nur 
geltend machen, daft er zeitfremd in seiner romantischen Versunkenheit, sinnlos in 
seinem Mangel an Notwendigkeit ist, so wird er an dieser Stelle gefahrlich, weil er sich 
zu letzten Endes musikpolitischen Zielen bekennt. Der Aufruf beschrankt sich darauf, 
diese Haltung in dem angefuhrten allgemeineren Satze zum Ausdruck zu bringen. Ein 
weiterer Schriftsatz von Bichard Benz spricht es noch deutlicher aus. Er geht davon 
aus, man konnte gegen das Unternehmen einwenden, da6 es dem Ausdruck unserer 
Zeit nicht zur Geltung verhelfe. AViirde dieses geschehen, fahrt Benz fort, dann „wurde 
der Begriff eines Heiligtums, das doch nur einer heiligen Uberlieferung geweiht sein 
kann, sofort in sich zusammenfallen ; ganz abgesehen davon, dafi unsere neueste Musik 
mit vollem Bewufitsein alle Geist- und Seelenwerte als antiquiert von der Gestaltung 
ausschliefit und ihren rein profanen Willen mit wlinschenswerter Offenheit verkiindet". 

Wir sind Bichard Benz fiir diese seinerseits zum Ausdruck gebrachte „wiinscliens- 
weiie Offenheit" dankbar. Denn sie schafft eine klare Perspektive. Wir bediirfen eines 
Tempels der Symphonie heute nicht. Wenn ein Dirigent vom Bange Furtwanglers oder 

z ) Die Sperrnngen dieses Satzes sind aus dem Aufruf ubernommen. 



MUSIK BE1 GRANOWSKY 365 



Klemperers Beethoven auffuhrt, so ist die Kuppel, die sicli vom Klangkorper zu den 
Horenden hiniiberwolbt, da und braucht nicbt erst kunstlich geschaffen zu werden. 
Wenn aber ein „an die musikalische Menschheit aller Nationen und an die Glaubigen 
des Geists" gerichteter Aufruf, der die Worte „Heiligtum' : und „Gemeinde" auf jeder 
Zeile verwendet, sicli als eine versteckte Kampfansage gegen Fortschritt und Zukunft 
erweist, so wollen wir diesen Kampf getrost aufnehmen. Denn uns ist Baden-Baden 
seit dem vorigen Jahre ein Symbol der Entwicklung und nicht der Erstarrung, 



Alice Jacob-Loewenson (Berlin) 

MUSIK BEI GRANOWSKY 

In einer herrlichen Novelle von Jizcbok Leib Perez: „Die Seelenwanderung einer 
Melodie" wird besehrieben, wie aus der Weise eines frohlichen Hochzeitstanzes auf 
mannigfachen Umwegen erst ein Gebetgesang, dann ein Tanzschlager, eine Opernarie, 
ein Leierkastenlied und schliefilich wieder eine fromme Melodie wird. 

Als Perez dies schrieb, ahnte er wohl kaum, welche Metamorphosen diese guten, 
alten, traurigen, tiefen und heiteren jiidischen Lieder dereinst durchmachen wiirden. 

1. 

Die Musik im „Moskauer Jiidisch-Akademisclien Theater" — gleichviel, ob sie von 
Achron, Pulver, Goldfaden oder ob sie Volksmusik ist — hebt sich trotz ihres neuzeit- 
lichen Gewandes deutlich als judisch gegen das Russische, Orientalische, Europaische der 
Theaterkunst Granowsky's ab. Was die ostjudische Volksmusik — soweit sie wirklich 
echte judische Musik ist — am evidentesten von russischer Volksmusik uhterscheidet, 
ist ihr religioser Ursprung, ihre auch im modernsten Operettenchanson nicht zu ver- 
kennende Abstammung von der Synagogalmusik. Am deutlich sten zeigt sich diese Her- 
kunft wohl in den wortelosen chassidischen Melodieen — . die, urspriinglich Erfmdung 
eines Chasans (Vorsangers) oder eines Rabbi — ganz „weltlich" ins Volk eingegangen 
sind. Um die Merkmale spezifisch jiidischer Musik zu bezeichnen, die von den altesten 
Zeiten bis zur Gegenwart sich immer von neuem vorfinden, sei betont, dafi ihr innerster 
Wesenszusammenhang in den Elementen der traditionellen Singweisen besteht, in den 
Urtypen jiidischer Melodik, den sogenannten „Nigunim", ') nach denen die liturgischen 
Texte gesungen werden. Ferner sei als das Einfachste, Handgreiflichste erwahnt: der 
obstinate, bei aller Schwermut oft seltsam „frflhlich" wirkende Mollcharakter ; eine 
monotone Umspielung weniger Tone; ihre pathetische Ausdehnung und Akzentuierung 
an ganz unerwarteten Punkten ; ein plotzliches Ubergehen in marsch- und tanzartige 
Rhythmen; eine unsymmetrische, oft ungegliedert- und darum unendlich-scheinende 
Melodie; eine eigentumlich bewegte Art von melodischer Ornamentik ; sprechende Au- 
schmiegung an Wort und Inhalt; eine ungeheuer eindringliche, oft ans Groteske grenzende 
Ekstase des Ausdrucks. Und schliefilich liegt gerade in der Art der Organisation aller 
dieser Momente, in ihr en Mischungs- und Bindungs-Verhaltnissen der merkwurdige Typus 
einer „jiidischen" Musik. 



') „Nigunim" : urspriinglich die Lesezeichen zum biblischen Urtext, die aufier ihrer interpunktierenden 
Funktion noch die einer Art Notenstenographie haben. 



366 ALICE JACOB-LOEWENSON 

Also: alles Motivische und Thematische, was dieser Theatermusik zugrunde- 
liegt, ist jiidisch; alle Lieder und Tanze sind jiidische Lieder und Tanze. 

Die Entwicklungsgeschichte der jiidischen Musik — entsprechend der ganzen 
Spannungskurve der jiidischen Geistigkeit, vom Ringkampf mit dem Transzendenten, iiber 
die Miseren und Freuden eines volkhaft-naiven Alltags, bis zur bittersten Selbstpersif- 
lage — ist hier in alien ihren Niederschlagen vertreten: vom versprengten Rezitativ 
aus Bibel- und Gebetsweise, von chassidischer Kon tempi ation und Fanatik, iiber Volks- 
lied und Rundtanz bis zum selbstkarikierenden Operettenschlager, und dies alles in 
einer Einheit, wie sie bunter, lebendiger und konkreter kaum vorgestellt werden kann. 

Diese Einheit in einer Formel unterzubvingen ist nicht leicht, da mit der letzten, 
hier erreichten Phase dieser Entwicklungsgeschichte keineswegs, wie man meinen sollte, 
auch eine eindeutige Seelenlage erreicht ist. Und dies hangt wieder damit zusammen, 
dafi das psychische Fundament des Ostjuden — viel mehr als er selber weifi und 
immer zuzugeben bereit ist — sich in komplizierten Windungen, doch in stets aus- 
schlagebender Kontinuitat auf den geistigen Inhalten seiner religiosen Kulturepochen auf- 
gebaut hat. Die hier zum Ausdruck kommende Haltung, die rational-gewollte, die be- 
wufite Intention geht nun mit aller Deutlichkeit auf einen Abbau dieser historisch ver- 
wurzelten Einstellungen und aufiert sich sogar nicht mehr in einer pathetischen Feind- 
schaft sondern bereits in souveranstem Humor. Und hier ist es von hochstem Interesse 
zu beobachten, wie alles ins Burleske variierte, verzogene oder aufgeloste musikalische 
Urgut des Volkes den eigentlich kiinstlerischen, tiefenwirkenden Gehalt nicht aus seinen 
Negiertheiten, sondern aus dem Positiven, das negiert werden soil, selber bezieht. Die 
(wenn auch humoristische) Aggression kann gar nicht ganz, bis in den Kern hinein, 
vollzogen werden; denn in der Beriihrung mit den archaischen Gegenstanden des An- 
griffs erweisen sich diese als eine nicht auszumerzende, ja als die weitaus starkere 
Energiequelle. Alle diese „mystischen" Atome — so sehr sie durch die ironische „Ein- 
klammerung" schliefilich auf ein Minimum herabgesetzt und nur als folldoristisches 
Kolorit verwandt werden — bleiben das Ferment des Ganzen, das zutiefst Sinn- 
gebende und Wirksamste. Aber wie das Jiidische in seiner urspriinglichen, irrationalen 
Struktur nicht den weltanschaulichen und artistischen Intentionen dieser Musik entspricht, 
so ist auch gerade alles Gewollt-Auflosende und Geloste formal-musikalisch viel interessanter 
und gekonnter. Psychologisch (melodisch) pravaliert das Alte, artistisch (harmonisch tmd 
instrumental) das Neue. 

2. 

Nach alledem nimmt es nicht wunder, dafi auf den folkloristischen Fundus von 
seiten der harmonisierenden Ausdeutung und sonstiger musikalischer Mittel nicht tiefer 
eingegangen wird. Man benutzt ihn lediglich zum Aufbau einer guten, wirkungsvollen, 
temperamentgeladenen, impressionistischen Theatermusik; mit starken Rhythmen, aparten 
kolbristischen und naturnachahmenden Einfallen sowie alien Effekten heutiger In- 
strumentation. 

Der ganze Duktus ist ohne Frage von Offenbach beeinflufit. Uberhaupt scheint 
ja Goldfaden — der um 1875 die ersten jiddischen Theater begriindet und sie als 
Direktor, Regisseur, Dichter und Komponist mit mehr als sechzig Stiicken versorgt hat — 
so eine Art ostjiidischer Offenbach en miniature gewesen zu sein. 



MUSIKALISCHE NOTIZEN AUS PARIS 367 

Am originellsten ist wold die Musik zur ,,Hexe". Aus der Verjbindimg von Gold- 
fadens konventioneller Sentimentalitat mit Aclirons, des eigentlichen Autors, berauschender 
Rhythmik und farbenprachtiger Instrumentation (en dlos langer Harfen-Orgelpunkt!), aus 
der Verarbeitung von Synagogal-Melodien zu einem kratzig-hexigen Damonen-Singsang, 
aus der Verwandlung eines melancholischen in einen wild-orgiastischen Tanz ergibt sich 
ein verbluffend-einzigartiges Genre von Theatermusik. 

Noch elementarer respektiert Leo Pulvers Musik zu ,,200000" und zur „Reise 
Benjamins HI." die judische Melodie als Einheit und bringt ihre Milieu- und Gefuhls- 
assoziationen noch starker zur Geltung. 

Bei aller verschleierten Lyrik zeichnen sich beide Komponisten durch realistische 
und „sachliche" Gesinnung aus. 

In Granowskys Gesamtkunstwerk hat auch die Musik eine quasi „kollektivistische" 
Funktion. Sie soil im Gegensatz zur konventionellen Theatermusik in keiner Weise 
illustrativ erganzen; sie ist der Motor, die fiihrende Kraft. Unterstiitzt von der Dramatik 
und Plastik der jiidischen Melodie, reguliert sie die Dynamik und Metrik der Biihnen- '■ 

vorgange. Sie leitet ein, retardiert, accelleriert, akzentuiert, mildert und ubertreibt, 
fafit zusammen und lost. | 

Der wirblige Rhythmus in allem Buhnengeschehen wird von der Musik angegeben, j 

springt auf die Gesten der Akteure iiber und lost sich auf in alles iiberwaltigende, alles j I 

auf den Kopf stellende, zappelnde, wackelnde, hyperrealistische, hyperphantastische Be- 
wegungsbilder, die — immer gegliedert, prazis und schwingend-leicht — ebenso spuk- ■ 

haft-plotzlich vorbei sind, wie sie entstanden waren. 

Umgekehrt bemachtigt sich das Orchester gewisser Sprechmotive und Sprachmelodieen j 

und ahmt sie nach, verschieft und verzackt. 

Auch das szenische Geschehen als solches wirkt musikhaft: jede.Mimik, jedes "Wort, 
die ganze Form der Stiicke, die von Leitmotiven der Handlung durchsetzt sind, die 
choristische Imitation einer Bewegung, der kanonhafte Aufbau mehrerer Vorgange, alles 
ist offenbar nach der Partitur ausgearbeitet. 

Und ebenso das Sprachliche. Das an Modulation und Niiancen, an Expressivitat 
unerschopfliche Jiddisch mit seiner Neigimg zu Diminutiven und Interjektionen, das ost- 
jiidische Organ mit seinem Umschlagen aus tiefster Stimmlage zu hochstem Diskant, 
seinem Changieren zwischen kontraren Affektfarben ist zu musikalischer Verwendung 
pradestiniert, zu einer Skala von Mischungen aus Sprache Sprechsingen, Gesang. 

So wird etwa das in alien Schattierungen schillernde „Ta' . . ta' . . ta' . . ta' . . 
ta' . . !" der Hexe — hier zu einem Urgesang sender Damonie. 

Man dart es sagen: diese Theaterkunst ist aus dem Geiste der Musik geboren. 



Hanns Gutman (Berlin) 

MUSIKALISCHE NOTIZEN AUS PARIS 

Dafi die asthetische Betrachtungsweise nicht die einzige ist, nicht einmal die 
wichtigste unter den vielen, die man auf die Kunst und ihre Erscheinungsformen 



368 HANNS GUTMAN 



anwenden kann, ist oft genug gesagt worden, um endlich bekannt zu sein, Dem ist 
aber nicht so. Noch immer werden in praxi die meisten musikalischen Urteile aus 
asthetischen Vorurteilen bezogen, noch immer legt ein nicht unbetrachtlicher Teil 
unserer amtierenden Kritiker auf diese den grofiten Wert. 

Die Kunst unter dem Gesichtswinkel des Lebens anzuschauen, das ist die letzte 
Moglichkeit, eine theoretische Behandlung der Kunst sinnvoll zu gestalten. Fiir eine 
Musik ist entscheidend auch, wer sie h6rt; nicht nur, wer sie geschrieben hat und wer 
sie darstellt. Das sind grundsatzliche Fragen, die vor den Lesern dieser Blatter oft er- 
ortert worden sind, Fragen sogar, deren Losung die Zeitschrift Melos, wenn ich recht 
sehe, in den Vordergrund ihrer Bemiihungen geschoben hat. Doch fiihlt sich, wer seine 
Eindrucke von der Musik in Paris ordnen will, von neuem gedrangt, den Mafistab an- 
zugeben, dessen er sich zu bedienen gedenkt. 

Es soil also auch nach dem Horer gefragt werden. (Immer mit der unerlafilichen 
Einschrankung, die fiir alle folgenden Ausfuhrungen gilt, dafi ein Aufenthalt von wenigen 
Wochen keinen Einblick in ein Land gewahrt, auch nicht in seine Kunstiibung. Hier 
wird von personlichen Eindriicken gesprochen — sie mogen falsch sein. Daher : Notizen.) 
Die Schicksale der Musik, mindestens die ihrer Beproduktion, hangen durchaus vom 
Horer ab ; weil es, wo kein Empfanger mehr ist, zwecklos wird, Partituren in Klang 
umzusetzen. Gegen diese unsaglich banale Weisheit wird dennoch ununterbrochen 
verstofien. 

In Deutschland wird heute die Begelung von Nachfrage und Angebot, soweit das 
Verhaltnis nicht schon in Anarchie ausgeartet ist, wie im Konzertunwesen, durch das 
System des Abonnements besorgt. Ob Volksbiihne, Staatstheater oder Privatbuhne, 
ob philharmonische oder stadtische Konzerte — sie alle versuchen, ihre Rentabilitat 
durch Werbung von Stammgasten zu sichern. Das System ist also eine niitzliche 
Einrichtung, die zugleich Wesentliches aussagt -fiber die Mentalitat derer, die sie beniitzen. 
Denn die notwendige Voraussetzung fiir eine Abonnentenwirtschaft ist ein Publikum, 
das in der Musik nicht zuletzt das bildende, das belehrende Element sucht; wer hingegen 
Musik als ein Vergniigen, als eine Unterhaltung genieik (was sie doch auch ist oder 
sein kann), der wird sie niemals in vierzehntagigem Turnus beziehen. So gesehen sind 
Oper und Abonnent unvereinbare Gegensatze. Dafi sie sich trotzdem gefunden haben, 
ist einer der Griinde fur die kritische Lage der Oper. 

Was sich nun in Paris wahrend der grofien Saison im Monat Mai und Juni an 
musikalischen Ereignissen abspielt, das wird bestimmt nicht von dem Wunsch, sich zu 
bilden, diktiert. Es ist kein Zufall, wenn die Pariser Opernhauser die Institution des 
Abonnements nicht kennen. Es widerspraclie einfach der Art des Franzosen, Musik zu 
horen. (Man sollte nicht das Schlagwort „Aufierlichkeit" ziicken und verachtungsvoll 
auf die Betroffenen schleudern. Es geht garnicht um Werturteile, es geht um Tatsachen. 
Und dann: Tiefe allein macht auch nicht glucklich!) 

Dem Begriff der „Saison" entspricht hier noch eine Bealitat. Mag sein, dafi es 
ihre letzte Position in Europa ist, mag sein, dafi sie eine im Grunde schon uberholte 
Form des Musizierens darstellt, hier lebt sie und will nach ihren Gegebenheiten be- 
urteilt werden. Mit dem, was in Deutschland als „Musikfest" iippig gedeiht, hat sie 
wenig gemeinsam. Das Musikfest ist praktische Erlauterung eines gestellten Themas. 



MUSIKALISCHE NOTIZEN AUS PARIS 369 

^ ' : 

Ein Komponist, eine Gattung oder audi eine Richtung der Musik wird am lebendigen 
Beispiel demonstriert. Nichts davon in Frankreich. Auslander bestimmen niclit zuletzt 
das sommerliche Bild der Kunststadt Paris, Auslander der buntesten Mischung; inter- 
national wie die Horer sind die Programme, keinem Thema verpflichtet. 

Wie wird sich, die Frage liegt nah, die deutscbe Musik vor diesem Forum aus- 
nehmen. Zu sagen ist, daft ihre'Rolle fast zu dominieren scheint. Jede Kunstiibung 
ist heute vorwiegend riickwarts gewendet, versorgt ihre Bediirfnisse aus dem Arsenal 
einer Zeit, in welch er der Primat der deutschen Musik ein unbestreitbares Faktum war. 
So erklart sich, dafi Bach, Mozart, Beethoven, vor allem aber Wagner und neuerdings 
auch Brahms in Frankreich immer wieder anzutreffen sind. (An einem der Nachmittage, 
an denen ein Kreis von Musikverstandigen in den Bedaktionsraumen der Bevue musicale 
allem Neuartigen ein williges Ohr leiht, konnte man, einigermafien verdutzt, Lieder 
von Brahms und Wolf hciren. Man liefi sie tibrigens von deutschen Sangern im ori- 
ginalen Wortlaut singen, nachdem man die Uniibersetzbarkeit der romantischen 
Liter atur richtig erkannt hatte.) 

In der diesjahrigen, eben beendeten Pariser Saison war Mozart der gewichtigste 
Beprasentant unserer Musik. Wir hatten uns keinen besseren wiinschen konnen. Ihn 
vertrat als Leiter eines ., Cycle Mozart", der die fiinf theatralischen Hauptwerke umfafite, 
Bruno Walter. Die Veranstaltung war inauguriert von der Societe universelle du 
Theatre, von Firmin Gemier's „Welttheater". Fiir die Anregung des Unternehmens ist 
der Gesellschaft herzlich zu danken; iiber Einzelheiten wollen wir. hoflich wie es sich 
fiir Gaste geziemt, schweigen. 

Walters Leistung soil hier nicht im Detail erortert werden. Es liegt auf der Hand, 
wie stark sie gewesen sein mufi, um eine Unzahl von Mifilichkeiten zu iiberwinden. 
Und es gelang ihm in der Tat, alien Schwierigkeiten zum Trotz, Auffiihrungen von 
musikalischer Geschlossenheit, von unmittelbarer Wirksamkeit zu schaffen. Der Mafi- 
stab, der auf die Qualitat einer reproduktiven Arbeit Anwendung findet, ist durchaus 
variabel. Nichts ist dummer als eine asthetische Grammatik in den Koffer zu packen 
und nach ihr, wo es audi sei, Richterspriiche zu fallen. Was in Berlin eine mittlere 
Bepertoire-Vorstellung heiften miifite, kann in Paris eine Tat sein. Einwande etwa, 
die prinzipiell gegen Walters Mozart-Darstellung zu machen waren, sind nicht am Platze, 
wenn er einen „Cycle Mozart" leitet. 

Wahrscheinlich ist Walters Art, Kunstwerke verbindlich darzubieten, sie nach 
Tunlichkeit ecken- und kantenlos zu prasentieren, in Paris sogar die ideale gewesen. 
Ich kann mir vorstellen, wie wenig die dogmatische Schroffheit Klemperers den Parisern 
zugesagt hatte, wie sehr, beispielshalber, im „Don Giovanni" die Betonung des Dramas 
sie erstaunt hatte. Walter hielt auch hier die Mitte: buffa tind seria erganzten sich 
in vollster Harmonie. Im Ensemble triumphierte nicht die Einzelleistuhg; aber dafi bei 
so heterogenen Kraften der Eindruck des Ensembles iiberhaupt erweckt werden konnte, 
war viel wertvoller. Die italienische Sprache forderte die Einheitlichkeit. Die Bilder, 
von Prof. Strnad geliefert, hinderten sie nicht. Dann folgte „Cosi fan tutte", das Stief- 
kind unter Mozarts Opern. 

Das Spiel gefiel ausnehmend. Fast schien mir, als ob der Beifall uberzeugter 
klaiige als der dem „Bestraften Wiistling" gewidmet. Das lasst sidi verstehen. Das 



370 HANNS GUTMAN 



Werk, fur ein hedonistiscli gestimmtes Publikum geschrieben, trifft in Paris noch ein- 
mal eine ungefahr gleichgerichtete Horerschaft. 

Ich konnte jetzt feststellen, dafi die Auffuhrung zwar lebendig und amiisant war, 
dafi indessen das Orchester diesmal weniger exakte Durcharbeitung verriet. Es ist 
ziemlicb gleicbgiiltig. Die Herzlicbkeit des nacbhallenden Applauses entscheidet. 

Was ein nicbtdeutsches Auditorium an der „Zauberflote" fesselte, mag, neben den 
ohrenfalligen Vorziigen der Musik, der Reiz des Fremdartigen gewesen sein. Er wurde 
erhoht durch die Anwendnng der deutschen Sprache. Dafi sie moglich war, zeugt, wie 
diese ganze Veranstaltung, von kunstlerischer Verstandigung. Dieser Zweck wurde von 
dem „Cycle Mozart" schonstens erfullt. Die deutscbe Musik hat Bruno Walter, hat vor 
allem auch den franzosischen Gastfreunden zu danken. 

Das also waren die Mozart-Festspiele. Aber es gehort zum Bdd der Saison, dafi 
morgen vergessen ist, was gestern Ereignis war: eine Sensation jagt die andere; ihre 
Zahl wachst ins Fantastische. Die Pariser Saison ist nicht engherzig in ihren Pro- 
grammen, in denen alles was gut und teuer ist, unvermittelt nebeneinander steht. 
Werke von so heterogener Provenienz wie die Matthauspassion und ein Klavierkonzert 
von Gershwin werden vom gleichen Publikum in der gleichen Woche aufgenommen ; 
beide mit dem Anspruch auf Unterhaltung. Inwieweit die Passion Bachs geeignet ist, 
unterhaltend zu wirken, vermag ich nicht zu sagen; sie wurde mit den Anzeichen 
pietatvollen Interesses gehort. 

Es darf, da der Name einmal gefallen ist, gleich hinzugefiigt werden, dafi Gershwins 
Klavierkonzert seine Rhapsodie in Blue in deren unproduktiver Manier fortsetzt. Das 
rhythmische agitato des ersten Satzes zwar lafit jede Hoffnung offen, aber das „stimmungs- 
volle" Andante zerstort sie. Vor neuen Dingen muss man den Mut haben, sich zu ent- 
scheiden. Wer ihn nicht hat, fahre getrost fort, Stimmungsbilder zu komponieren, aber 
er lasse den Jazz ruhen. Gershwin zumal ist ein so talentierter Vertreter der kleinen , 
Schlagerform, dafi der Ehrgeiz, durch das Pathos der grofien Form konzertreif zu wirken, 
ihm nicht ansteht. Unnotig wohl zu versichern, dafi sein Konzert, von dem Pianisten 
Tiomkin virtuos gespielt, ungeheuren Applaus erntete. 

In Wirklichkeit ist die zeitgenossische Kunst, bei aller Absicht, es zu sein, so ganz 
unproblematisch doch noch nicht, wie man den Horer in Paris glauben machen mochte. 
Das eigentlich Problematische wird ferngehalten oder doch nur in kleinen Dosen ver- 
abreicht. Und werden einmal, wie es kurzlich geschah, so umstiirzlerisch ausschauende 
Dinge wie die Zeitungsausschnitte von Eisler aufgefiihrt, dann geschieht das vor einem 
kleinen, fast privaten Kreis. Immerhin konnte Hindemith im grofien Bahmen eines 
Koussewitzky-Konzertes auftreten, urn sein Bratschenkonzert authentisch zu interpretieren. 
Man bereitete dem pragnanten Werk wie dem vollendeten Spieler einen demonstrativen 
Empfang, der keineswegs nur eine Geste der Hoflichkeit bedeutete. Naclidem das 
Stadium des reinen Experiments tiberwunden ist, steht einer erneuten internationalen 
Geltung der deutschen Musik nichts mehr im Wege. Sie, die im letzten Jahrzehnt als 
konstruiert, verstiegen und abwegig verscbrieen war, hat sich soweit dem allgemeinen 
Klangbewulksein wieder genahert, dafi sie auch in Paris darstellbar ist. Das Faktum 
ist wohl der Erwahnung wert. 



MUSIKALISCHE NOTIZEN AUS PARIS 371 

Audi Wladimir Vogel sah sein Streichquartett, das man im vergangenen Jahr in 
Frankfurt gehort liatte, jetzt in Paris bestens aufgenommen. Roth und seine Genossen 
bewiesen, indeni sie es spielten, von Neueni ihre Qualitaten, niclit minder die des Stuckes. 

Es bleibt noch nachzutragen, was uns aus der dreiteiligen „Orestie" des Darius 
Milhaud vorgetragen wurde. Ich wahle den Terminus „Vortragen" mit Bedacht, weil 
nanilich das deldamatdrische Prinzip eine grofie Rolle in dieser Komposition spielt 
Eine Szene (percussion seule), nur von akzentuierender Sprechstimme, Chorausrufen und 
reich gegliedertem Schlagzeug bestritten, bildete den Hohepunkt der vorgefuhrten Bruch- 
stiicke und wurde „bis" verlangt. Wiederum ein antikes Thema, das aber ganz anders 
angefafit und aufgefafit wird als etwa bei Satie, Strawinsky, Honegger. Wahrend dort 
der klassizistischen Haltung des Textes eine Vereinfachung des musikalischen Ductus 
parallel lauft, hat Milhaud, der den ersten Entwurf seiner Arbeit ja audi schon auf 
1912 zuriickdatiert, alle Mittel des grofiten Orchesters. der buntesten Polytonalitat, der 
chorischen Vielstimmigkeit auf seinen Stoff angewendet. Daraus resultiert ein oft de- 
korativer Eindruck; die szenische Beitat miifite das Werk gut ldeiden. Wie einzelne 
Teile diesmal kantatenmafiig von dem Antwerpener Chor „Caecilia" mit starkstem Es- 
pressivo aufgerollt wurden, das war ein nachhaltiges Zeugnis fiir die Fahigkeiten einer 
Vereinigung, die in Bach und Mozart niclit ganz unserem Ideal entsprochen liatte. 

Sprechen wir noch in zwei Zeilen vom Repertoire der Opernhauser, das naturlich 
unbeeintrachtigt von den anderen Ereignissen weiter abrollt, so ist da allerdings von 
der Tatsache, dafi wir 1928 schreiben, kaum ein Hauch zu verspiiren. Der Bestand 
der langst akklamierten franzosischen und italienischen Opern, vermehrt um das immer 
noch sehr attraktive Musikdrama Wagners, scheint fiir den Spielplan zweier Hauser aus- 
zureichen. Der „Chevalier a la Bose" bezeichnet bereits einen Vorstofi in die Gegen- 
wart. Unter solchen Umstanden bleibt die Forderung der neuen Oper den privaten 
Unternehmern iiberlassen. So wagte sich Gemier kiirzlich an Kreneks Jonny, der als 
„Jonny mene la danse" im Theatre des Champs Elysees angezeigt wurde. 

Summarisch soil noch vermerkt sein, dafi Solistenabende (Namen grofier Inter- 
preten iiber einem denkbar fossilen Programm) die grofien Sale immer noch fiillen. 
Kreisler und Heifetz, Borowsky und Horowitz losen sich ab. Der stets vergniigte Pach- 
mann verschafft sich einen Vorsprung, indem er, zur Erhohung der Stimmung und der 
Eintrittspreise, seineli 80. Geburtstag feiert. Docn neben den Solisten scheuen audi die 
grofien Orchester aus aller Herren Lander die Reise nicht, um das Podium der neuen 
Salle Pleyel (in welcher die neue Sachlichkeit Bahnhofsdimensionen angenommen hat) 
zu betreten. Nachdem Furtwangler die Berliner Philharmoniker unter wahren Stiirmen 
der Begeisterung geleitet, Walter aber mit Mahlers Vierter nicht so starke Resonanz gefunden 
hatte, verbeugte sich audi Dohnany, an der Spitze der Budapester. Dies ist der Grund- 
satz der Saison: es darf nichts fehlen. 

Und es wiirde ja ein sehr wesentlicher Bestandteil dieser Klangausstellung fehlen, 
erschiene nicht schliefilich audi Djaghilew mit seiner Truppe. Wenn von ihm an letzter 
Stelle die Bede ist, so mochte ich das dem alten Wort: „das Beste zuletzt" zugeschrieben 
wissen. Nicht als ob von den vielen Balletten, die Djaghilew mitbringt, alle nun im 
Stadium der Vollendmig waren; keineswegs. Aber dieses Ballett hat, wenn ich mich 
so paradox ausdriicken darf, die Tradition der Revolutiou fiir sich. Musikern braucht 



372 HANNS GUTMAN 



man nicht auseinanderzusetzen, welche Verdienste Djaghilew sich um die modern e 
Kunst erworben hat. Schriebe einer die Geschichte des Ballettes Djaghilew (und es 
verlohnte sich wohl, das zu tun), so schriebe er zugleich die Geschichte eines hervor- 
stehend griinen Zweiges der neuen Musik. Namen wie Strawinsky, Satie, Milhaud, 
Prokofieff, Auric, Poulenc, Rieti miiftten da verzeich.net sein. Die zeitgenossische Kunst, 
soweit sie dem Ballet als Kunslform \ erpflichtet ist, ftihlt sich dem Namen Djaghilew 
engstens verbunden. Das ist die Atmosphare, die auch heute noch die Abende des 
Ballet Russe umgibt. 

Unter den Neuheiten, die Diaghilew neben den erfolgreichen Partituren fruherer 
Jahre vorfuhrte, figurierte ein Ballett von Nabokoff „L'Ode". Der russische Komponist 
hat da eine rhythmisch zweckmafiige, das heifit tiinzerisch vielseitige Musik geschriebea, 
die auch die breite Kantabilitat russischer Volksmelodik (durch Stimmen im Orchester 
vertreten) nicht verschmaht. Die tiinzerische Gestaltung schien mir weniger gliicklich, 
weil sie sich zu absichtsvoll symbolisch gab; Tanz sollte sich sinnfallig kundgeben. Aber 
das mag der Autor mit dem Ballettmeister ausmachen. Bedeutsamer, weil den beweg- 
lichsten Musiker unserer Tage angehend, war die Urauffiihrung eines neuen Werkes von 
Strawinsky: „Apollo Musagetes". 

Antike — die groGe Mode. Aber im Gegensatz zu den vielen, die der mangelnde 
musikalische Einfall zu diesem Ausfall in die Vergangenheit zwingt, ist Strawinsky im 
Verlauf einer sehr folgerichtigen Entwicklung zu ihr gelangt. Als der Kreis der russischen 
Nationalmusik von ihm umschritten, fiir ihn erschopft war, hielt er. nicht ohne den 
Einflufi seiner franzosischen Umgebung, Ausschau nach Anhaltspunkten in anderen 
Stilkreisen. 

Aber schon zeigt sich die Gefahr fiir die Musik. Sie kann von der klassizistischen 
Geste des Vorwurfes nicht unberiihrt bleiben. Hatte noch im Odipus eine aus verschiedenen 
Stilelementen zusammengesetzte Partitur einen zwingenden Eindruck ergeben, so er- 
scheint in dem neuen Ballet die gewollte Simplizitat bereits unglaubhaft. Ein Stra- 
winsky ohne Schlagzeug — wer hatte das gedacht! Aber er verzichtet auch auf samtlicke 
Blaser; auch das eine (zufallige oder bewuftte?) Wiederaufnahme alter Traditionen des 
BaUetts. Die Streicher nun fiihren eine sehr friedliche Sprache, was sie sagen, ist hoch- 
gradig tonal und iibrigens von einleuchtender Beredsamkeit. Und selbst der Bhythmus 
fiigt sich der allgemeinen Tendenz zur Beruhigung, seiner Gradlinigkeit haftet von der 
einstigen ostinaten Agressivitat Strawinskys nicht das Geringste mehr an. Die Hand- 
lung? Nicht der Bede wert. Soweit sie vorhanden ist, soil sie ja nur einen Anlafi zum 
Tanzen geben. Apollo im Spiel mit den Musen, deren eine er zum Tanz erwahlt; von 
ihnen alien vergottert, schreitet er dem Sonnenwagen entgegen. Gewifi, man wird das 
Werk genauer betrachten, vor allem die Partitur studieren miissen; ich urteile nach 
einem ersten Eindruck. Zu den starksten wird es, vermutlich, auch dann nicht gehoren. 
Die Auffiihrung, in welcher der wundervolle Lifar den Apollo verkorperte, fand 
den rechten Stil zwischen antiker und moderner Geste. Ein elegantes und dennoch 
geistiges Puhlikum bejubelte den Autor, der eigenhandig dirigierte. Ein einsamer Be- 
sucher bemiihte sich scliiichtern, die Klangarmut der Sti-eicher durch Pfeifen zu be- 
reichern. Es mu6 ein Radikaler gewesen sein. 

Aber ich glaube beslimmt: Strawinsky selbst wird ihm eines Tages Becht geben. 



ENERGETIK DES KLA VIERSPIELS - ZEITSCHAU 373 

Hugo Leichtentritt (Berlin) 

DR. KURT JOHNEN: NEUE WEGE ZUR ENERGETIK DES 
KLAVIERSPIELS 

Verlag H.J.Paris, Amsterdam 1928 

Die vorliegende Schrift beschaftigt sich mit einigen grundlegenden Problemen der 
Teclmik des Klavierspiels, indem sie gewisse korperliche Funktionen des Spielers mit 
einer bisher noch nicbt durchgefiihrten wissenschaftlichen Genauigkeit erforscht und er- 
klart. Insbesondere wird untersucht, wie die beim Klavierspiel notige korperliche Arbeit 
mit moglicbst geringem Aufwand von Energie jeglicher Art zu leisten sei. Die Antwort 
auf diese Grundfrage findet der Verfasser in der sachgemafien Art der Atmung, die auf 
die vibrigen Korperfunktionen, den Bewegungsapparat, die Muskulatur giinstig einwirkt. 
Dieser Gedanke der trainierten Atemtechnik beim Klavierspiel ist freilich nicht ganz so 
neu, wie der Verfasser anzunehmen scheint. Schon vor einem Menschenalter wies der 
amerikanische Klavierpiidagoge A. K. Virgd in seinen hierzulande viel zu wenig bekannten 
methodischen Schriften auf die Wichtigkeit der richtigen Atmung beim Klavierspiel aufs 
Nachdruddichste hin; er stellte tiberdies eine systematische Beihe von praktischen Atem- 
iibungen in Verbindung mit Spielbewegungen auf. Dr. Johnen gebvihrt jedocli das Ver- 
dienst, diesen Gedanken durch eine Beihe wohliiberlegter Laboratoriumsversuche wissen- 
sdiaftlich gefestigt, des Naheren erklart zu haben. Er zeigt, dafi es vorteilhaft ist, den 
Atemrhythmus in Ubereinstimmung mit dem Bhythmus des zu spielenden Stiickes zu 
bringen, dafi die metrische Bewegung des ganzen Oberkorpers vorwarts und riickwarts 
fur Spiel und Atmung wesentliche Bedeutung hat, dafi vielerlei Spielhemmungen, 
Schwierigkeiten sich iiberwinden lassen durch die richtig eingestellte Arbeit des ganzen 
Bewegungsorganismus. Die genaue Beschreibung der angestellten Experimente, graphische 
Darstellungen der dabei gewonnenen Kurven, Zeichnungen und Photographien machen die 
zu Grunde liegenden Ideen anschaulich und audi iiberzeugend. Zweifellos sind hier 
neue Einsichten gewonnen. Sie fiir die Lehrpraxis nutzbar zu machen, ist freilich 
spaterer methodischer Durcharbeitung noch vorbehalten. Vorlaufig liegt nur die wissen- 
schaftliche Begriindung vor. Ein System von praktischen Begeln und Ubungen aufzu- 
stellen miifite der nachste Schritt sein. 



MUSIKLEBEN 

Heinrich Strobel (Berlin) 

ZEITSCHAU 

Die Saison ist zu Ende. Auch in der Musikwelt macht man Ferien. Nur die Musik- 
feste stehen noch hoch im Kurs. Aber schon reifen Plane fiir die nachste Spielzeit. Die 
Oper wird im nachsten Winter sehr aktiv sein. Es stehen mehr Premieren in Aussicht 
als diesen Winter. Ein neuer Schreker, „Der singende Teufel", kommt an der 



374 HEINRICH STROBEL 



Berliner Staatsoper Unter den Linden heraus, der er gewidmet ist. Die Berliner 
Stadtische Oper befriedigt ihre UraufTuhrungsehrgeize mit Bittners ,,Mondnacht". 
Dresden sieht Wolf-Ferraris neue Oper „Sly" als deutsche Urauffuhrung vor. Das 
Werk ist bereits an zehn grofien Biihnen angenommen. Leipzig bringt einen d' Albert 
heraus, „Die schwarze O r ch i d e e". Duisburg will es zum ersten Mai in Deutschland 
mit dem „K6nig Boger" von Szymanowsky versuchen. 

Von diesen mehr tradition ellen Premieren kommen wir zur jungen Generation, 
die in der niichsten Saison besonders stark vertreten sein wird. Von Prokofieff liegt 
ein „Feuriger En gel" vor. Der auch in Deutschland durch seine „futuristiscben" 
Klavierabende bekannt gewordene George Antheil kiindigt eine Oper „Glare" an, 
Ernst T o c h ist augenblicklich mit der Komposition einer Oper „Der Facher", Text von 
Ferdinand Lion, beschaftigt. Ein neuer Mann, Max Brand, soU mit sein em „M as chin ist 
Hopkins" fur die Duisburger Opernfestwoche des allgem einen deutschen Musikvereins 
vorgesehen sein. Auch die dreiaktige neue Fassung von Kurt We ills „M ah a go nny", 
das vorigen Sommer in Baden-Baden Aufsehen erregte, wird in diesem Winter uraufgefiihrt 
werden, wahrscheinlicb unter Klemperer an der Berliner Staatsoper am Platz der Bepublik. 

Die neue komische Oper von Hindemith zu einem Libretto von Marcellus 
Schiffer hat Klemperer bereits angenommen. Er plant noch eine Beihe moderner 
Arbeiten und beweist damit, dafi er alien Widerstanden zum Trotz seine Idee: SchafFung 
einer zeitgemafien und produktiven Opernbuhne durchzusetzen gewillt ist. Erfreulicher- 
weise hat sich auch das Ministerium erneut zu ihm bekannt und seine Oper, die nach 
wie vor in erster Linie fur die grofien Publikumsorganisationen spielen soil, finanziell 
besser fundiert. Gewifi sind in dieser Saison an Klemperers Institut Fehler gemacht 
worden, namentlich in der Spielplanpolitik — die Notwendigkeit seiner Arbeit, die 
keineswegs nur fiir Berlin Bedeutung hat, kann dadurch nicht in Frage gestellt werden. 
Sie wurde durch eine Beihe grofiartiger Auffiihrungen bestatigt, noch in diesen Tagen 
durch die faszinierende Wiedergabe von Hindemiths „C ardillac". Klemperer 
bruigt bei klarster Zeichnung des Formbildes die dramatische Kraft der Partitur zu 
starkster Wirkung. Die unerhorte Geschlossenheit dieser AufRihrung wurde erreicht 
durch die begeisterte Hingabe aller Mitwirkenden an das Werk. Krenn als GardiUac, 
Fidesser (einer der besten deutschen Tenore) als Offizier — ebenso ausgezeichnete 
Leistungen wie die Chore. Es war ein ganz grofier Erfolg. 

Klemperer wird sich in Zukunft nur den Aufgaben als Generalmusikdirektor widmen. 

An seine Stelle tritt der Intendant der bisher in Kassel tatige Ernst Legal. Doch besteht 

kein Zweifel dariiber, dafi Klemperer auch weiterhin der eigentliche geistige Mittelpunkt 

der Bulme sein wird 

* 

Eine der kostbarsten musikwissenschaftlichenBibliotheken wurde Mitte 
Juni in Berlin versteigert: die Sammlung Werner Wolffheim. Ein Lebenswerk 
wissenschafdicher Arbeit und bibliophilen Kennertums, in unermudlicher Arbeit zu- 
sammengetragen, auf Auktionen, aus Zufallskaufen. Leider gelang es nicht, die Samm- 
lung als Ganzes an eine offentliche Bibliothek zu bringen. So mufite schliefilich doch 
der Weg der Versteigerung eingeschlagen werden. Manches aus dem ersten Teil der 
Bibliothek, die diesmal zum Ausruf gelangte, ging daher ins Ausland. Die wertvollsten 



r 



NACHRICHTEN 



375 



wissenschaftlichen Drucke aber blieben dank der klugen Taktik insbesondere der 
Preussischen Staatsbibliothek fur Deutschland erhalten. In nicht wenigen Fallen lagen 
die erzielten Preise hinter den im Katalog angegebenen Taxen zurtick, selbst bei hervor- 
ragenden Stiicken. Das Hauptinteresse konzentrierte sich auf die Tabul aturen, welche 
die grofite Seltenheit der Sammlung darstellten. Die preussische Staatsbibliothek 
konnte einige dieser Drucke erwerben: den Hans Gerle (5500 Mark), deu Bataille 
(1200 Mark), und die spanisclien „seys libros del Delphin de musica" von Narbonaez 
(2800 Mark), wahrend das Tabulaturbuch des Hans Judenkunig nacb sensationellem 
Kampf der Schweizer Sammler Oppenheim fur 11000 Mark erraffte. E3 war mit 
5000 Mark angesetzt. Eiuige Originaldrucke beriihmter alter Meister wurden durch 
gegenseitig sich uberbietende Privatsammler auf phantastische Preise getrieben. So kam 
Coupe r ins ,,1'art de toucher le clavecin" von 600 auf 2050 Mark, der zweite Teil 
von Bachs Claviriibung von 1000 auf 6100 Mark. 



NACHRICHTEN 



KLEINE BERICHTE 

Ernst T c h arbeitet an einer Oper „ D e r 
F a c h e r " ; das Buch ist von Ferdinand Lion. 

Darius M i 1 h a u d hat W e r f e 1 s Drama , J u a r e z 
und Maximilian" in einer dreiaktigen Oper vertont. 
Die Textbearbeitung nahm R. St. Hoffmann vor. 

In Koln tagte auf Einladung der Staallichen 
Hochschule fur Musik die Hauptversammlung des 
Deutschen Rhy thmikbundes (Dalcroze-Bund). 

PERSDNLICHES 

Prof. Max Hofmiiller, bisher Oberregisseur 
an der Miinchener Staatsoper, wurde als Nachfolger 
Fritz Remonds als Intendant an die Kolner Oper 
berufen. 

Carl Flesch ist zum ordentlichen Professor fur 
Violinspiel an der Staatl. Hochschule fiir Musik in 
Berlin-Charlottenburg ernannt worden und nimmt 
seine Tfitigkeit am 1. Oktober ds. Js. auf. 

Jascha Horenstein wurde als 1. Kapellmeister 
an die Vereinigten Stadtischen Theater Diisseldorf 
verpflichtet. Er behiilt seine KonzerttStigkeit bei. 

Hermann Unger, Dozent an der Hochschule 
fiir Musik in Koln, wurde zum Professor ernannt. 

Der junge, durch die Bearbeitung Bachs „Kunst 
der Fuge" bekanntgewordene Musiker Wolfgang 
G r a e s e r ist freiwillig aus dem Leben geschieden. 

AUSLAND 

Die in Paris mit Spannung erwartete Auffiihrung 
von Kreneks ,.Jonny spielt auf" brachte eine grofie 
Enttauschung bei Publikum und Presse. 



Strawinsky's „Apollon Musagetes" erzielte 
bei der Auffiihrung durch das Russische Ballett in 
Paris bedeutenden Erfolg. 

Hindemith's Rratschen-Konzert fand in Paris 
unter Koussewitzky's Leitung begeisterte Aufnahme. 

Aus der Reihe von Pariser Konzerten ist besonders 
hervorzuheben: die Auffiihrung von Stravinsky's 
„Sacre du Printemps" u. „Oedipus Rex", Honegger's 
,,Judith*', die Auffiihrung von Vokalwerken Auric's 
und Klavierkompositionen Poulenc's. 

Unter Louis de Vocht erfuhren „Choephoren" 
und „Eumenides" von Darius Milhaud eine be- 
deutsame Auffiihrung. 

Das Ziiricher Stadttheater sieht fiir die kommende 
Spielsaison u. a. folgende moderne Werke vor: 
Hindemith: ,.Cardillac", Busoni „Doktor Faust" 
und Schoeck „Penthesilea". 

Die Budapester Philharmoniker unter 
Leitung E. von Dohnanyis konzertierten in Zurich 
mit starkem Erfolg. Sie brachten u. a. Werke von 
Bartok und Dohnanyi zu Gehor. 

Othmar Schoeck wurde von der philosophischen 
Fakultat der Universitat Zurich die Wiirde eines 
Dr. phil. h. c. verliehen. 

Zwei neue danisclie Opern „Des Kaisers neue 
Kleider" von Finn Hiiffding und „Fete galante" 
von Poul Schierbecli sind vom konigl. Theater 
in Kopenhagen angenommen worden und gelangen 
in der nachsten Spielzeit zur Auffiihrung. 

Im letzten Saison-Konzert der danischen Sektion 
der I. G. N. M. wurden unter Leitung und nach ein- 



376 



MUSIKLEBEN 



leitendem Vortrag Dr. Knud Jeppesens mittelalterliche 
Werke aus clem 12. bis 15. Jahrh. zu Gehor gebracht. 

Das sowjetrussische B i 1 d u n g s k o ni - 
missariat arbeitet in Gemeinschaft mit dem 
Moskauer Staatsverlag, dem Verband der Sovjet- 
schriftsteller und dem Biiro der Verlagsanstalten einen 
Nor mal-Ver lags vert rag aus der den zahl- 
reichen Konflikten und Gerichtshfindeln zwischen 
Scliriftstellern und Verlegern ein Ende setzen soil. 
Die Gultigkeit des Vertrages wird auf langstens 
4 Jahre befristet; Minimal-Honorarsatze fur junge 
Autoren werden festgesetzt. Fur Buhnenwerke ist 
eine Grundauflage von 3000 Exemplaren Vorgesehen. 



VERSCHIEDENES 

Die Evang.-lutberische Kirche im Hamburgischen 
Staate fordert deutsche evangelische Komponisten auf, 
sich an einem Wettbewerb fur eine neue Kantate 
zur Feier des Reformations-Jubilaums im Jahre 1929 
zu beteiligen. Die Bedingungen sind zu erfahren 
beim Kirchenrat Hamburg 1, Jakobikirchhof 26. 

Die Library of Congress veroffentlicht ein Preis- 
ausschreiben der Elizabeth-Sprague-Coolidge-Stiftung 
fur ein Kammermiisikwerk fur 5 Blasinstrumente 
oder Klavier mit 5 Blasinstrumenten. Einsendungs- 
termin ist der 15. April 1929. Die Bedingungen teilt 
die Library of Congress, Music Division, Washington mit. 



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Handbuch der Musikwissenschaft 

Herausgegeben von Professor Dr. Ernst Biicken von der Universitat Koln unter Mitwirkung einer 

grofien Anzahl von Musikgelehrten. 

Etwa 1300 Noteilbeispiele I gegen monatliche 3 Glllk. 
und etwa 1200 Bilder f Teilzahlungen von ^^^^ m ^^ 

Urtcile der Pl-esse: „Eine Kultnrgeschichte der Musik im besten Sinne des Wortes" (Deutsche Musikei'-Zeitung) — „Ein ganz 
pmchtiges und gediegenes Werk" (Das Orchester) — „Ein Werk, das das Herz jcdes Musikfveundes holier schlagen^lassen raufi" 
(Blatter der Staatsoper) - „Etwas ahnliclies war bisher in der Musikliteratur nocli nidlt vorhanden" (Weserzcitung, Bremen). 

Man tiberzeuge sich durch Augenschein und verlange unverbindliche Ansichtsenduiig M Nr. 4 von 
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Tjontscbew 


Strom der Triinen 


,, 


An die Heimat 


„ 


Das Biiuerlein . . 


. . Calzow 






Abendgefiihl . . . 






Tjontsdiew 








Mit einzigartiger Kraft derEin- 




fiihlung hat sicli Reutter in das 




Rfltsel der russiachenSeelc ver- 




scnkt und aus solcheHntuition 




heraus .seine Liedcr geschaffen. 




So entstanden eine Reihe von 




Gesiingen, die zum Sla'rksten 




zahlen,"\vas uns derKomponist 




bisher geaclienkt hat: rcich 




an meisterhaft gezeichneten 




Stimmungen, vollendet in der 




Form und nicht zuletzt — 




iiberaus dankbar fiir den 




Sanger wic fiir den Bcgleiter 




B. Schott's Soline / Mainz u. 


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378 



Tonkiinstlerfest 1929 

des Allgemeinen Deutschen Musik-Vereins 

(Opernfestwoche und Kammermusikfest in Duisburg) 



Oper von jeher 

ein Sorgenkind dcs 

A. D. M. V. 



Eiiiladuug der Stadt 
Duisburg 

Gesnmtplan der Opern- 
festwoche. 



Gewahr fiir eine wiir- 
digc Darstellung der 
angenonimeiien Opera. 



AufTuhrtingsiiiaterial. 



Aufruf an alle Opern- 
komponisten, 



Ein sen dungs - 
bediiigungen. 



Prilfung und Riickgabe. 



Weitere Ausgestnltung 

des Tonkiinstlerfestes 

1929. 



Kaininermusikfest. 



Zukunftsziele. 



Interesse der Behorden 
an dem Plan. 



Von jeher ist die Forderung des dramatischcn Sdiaffens lingerer Zcit voni A. D. M. V. als 
eine besonders vordringlidie Aufgabe angesehen worden. Immer wieder wurde — dankbar 
sei hier besonders unserer verstorbenen Mitglieder Karl Slorck und Paul Marsop gedadit — 
in den Hauptversanimlungen erwogen, wie man dieser Aufgabe gerecbt werden kcinne. Trotz 
eifriger Bemiiliungen und trotz Ansammlung ernes eigens diesem Zweck gewidmcten 
„ Richard Wagncr-Fonds", der in der Inflation leidcr wegschmolz, mufite die Oper bei den 
Tonkiinstlerfesten immer niehr oder weniger ini Scbatten stehen. 

Nicht genug dankbar kann daher der Verein der Stadt Duisburg sein, die ihm fiir das 
Jahr 1929 die kiinsllerisehen und finanziellen Mittel zur Verfilguiig s tell en will, urn in ganz 
groBziigigcr Weise der Musik ini Rahmen des Theaters ein eigenes Fest zu widmen. 

Die Opernwoche soil zuntidist drei Werke umfassen, deren Auswahl dem A. D. M. V. allein 
zusteht. Diese drei Opernwerke sollen dem zeitgenossischen Schaffen angehoren und moglichst 
nodi nicht aufgefiihrt sein. Zur Abrundung der Opernfestwoclie wird die Duisburger Oper dem 
A. D. M. \. aus ihrem Spielplan weilere Werke vorsdilagen, Ton denen der Vorstand drei ge- 
eignele aussucht. Hierbei werden einestcils soldie Werke beriicksiditigt werden, die der breiten 
Direntlidikeit unbekannt sind, Werke, die der Musiker gern einmal auf der Biihne seben modite; 
andernteils soldie, die fur die Arbeit der Duisburger Biihne besonders diarakteristisdi sind. 

Durdi eingehende Priifung dcs kiinstlerisdien Niveaus der Duisburger Oper hat sich 
der Vorstand des A. D.M. V. davon iiberzeugt, datl die Vorbedingungcn fiir eine wiirdige Wieder- 
gnbe audi anspruchsvollster Werke ini Rahmen der Opernfestwoche gegeben sind; er wird audi 
ini Einzelnen darauf halten, dafi die drei endgiiltig ausgewahlten Opern eine besonders sorg- 
faltige, in Alusik, Ausstattung und Regie makelfreie Aiul'iihrung erfabren. 

Damit von der Beteiligung an der Opernfestwoche niemand ausgeschlossen ist, hat sidi die 
Stadt Duisburg bcreit erklart, auf Wtinscli die Kosten fiir die Herstcllung des Notenmaterials 
der ongenommenen Werke zu iibernchmen. 

Das sdione Ziel, weldies sidi der A. D. M. V. und die Stadt Duisburg gesteckt haben, 
namlidi einen Uberblidc iiber die heute wirkenden Krafte zu geben, die fur eine Weiter- 
en twiddling der Oper in Frage kommen, kann nur erreidit werden, wenn der Plan durch eine 
wirklich allgemeine Beteiligung aller in Frage kommenden Faktoren unterstiitzt wird. Der 
A'orstand des A. D. M. V. riclitet daher an alle Opernkomponisten das Ersudien, ihre Werke 
zur Verfiigung zu stellen. 

Werke, weldie bei der Opernfestwoche beriicksiditigt werden sollen, konnen vom 1, April 
ab beim Sdiriftfuhrer des A. D. M. V., Herrn Hermann Bisdioff, Miinclien, Haydnstrafie 6/1 
eingcreicht werden. Der Einreidiungstermin endet am 1. Juni. Auf vorherige Anfrage konnen 
in der Zeit ' vom 1. Juni bis 1. September noch Werke eingereicht werden; die Annahme hangt 
in diesem Falle davon ab, ob cs noch moglidi ist, das Urauffiihrungsmaterial fertig zu stellen. 
Der Sendung ist das notige Riickporto beizulegen. Im Ausland lebende deutsdie Komponisten 
wollcn hierfiir die Form des internationalen Portoscheines {Coupon-Reponse Intei-nationol) wiihlen. 
Autoren, die dem A. D. M. V. noch unbekannt sind, wollen einen kurzen Lcbenslauf mit 
Angabe des Studienganges beilcgen. 

Zur Einsendung geniigen vorlaufig Klavierauszug und Textbudi. Bei unvollendet einge- 
reichten Werkeu muld zuin mindesten eine rechtzeitige Fertigstcllung durch die Personlichkeit 
des Autors gewiihrleistet sein. In Betradit kommen nur deutsche Werke. Die Einsendung 
mehrerer Werke dcsselben Komponisten ist zuliissig. Die Einsendung erfolgt unter Namens- 
nennung, also nicht anonym. Obne daG bereits aufgefiihrte Werke grundsiitzlich ausgesdilossen 
sein sollen, behaupten dodi Werke, die noch nicht aufgefiihrt sind, den Vorrang. 

Die Priifung erfolgt durch den A. D. M. V. Eingereichte Werke konnen vor Entsdieidung 
der Priifungskonimission weder zuriidigezogen noch ganz oder in Bruchstucken anderweitig zur 
AiuTiihrung gebradit i\ r erdcn. Der A. D. jYI. V. verspridit sdinelle Erledigung der Priifungs- 
arbeit una ungesiiumte Riickgabe der nicht angenommenen Werke. 

Dafi bei der starken Inanspruchnahme des Duisburger Ordicstcrs durdi die Opernfestwodie 
nidit damn zu denken ist, audi nodi Ordieslerkonzerte zu veranstalten, ist ohne weiteres ein- 
leuditend. Man mag das bedauern; aber das von Duisburg dem A. D. M. V. Angebotene ist so 
auficrgewohnlicb, dai£ der Vorstand glaubte, es vcrantworten zu konnen, wenn das sinfonisdie 
Sdiafi'en einmal ein Jahr iibergangen wiirde. 

Dagegcn werden die Kammermusikveranstaltungen wie jedes Jahr stattfinden. Der Termin 
zur Einreichung der hierfiir bestimmten Werke — audi Kompositionen fiir Orgel und Chor 
a capella kommen in Betradit — wird, wie iiblidi, nadi Ablauf des Tonkunstlerfestes 1928 
bekannt gegeben werden. 

Der Allgemeine Deutsdie Musikverein sieht in der Neugestaltung des Tonkiinstlerfestes 1929 
die MogUdikeit einer zukunftigen Erweiterung seiner Ziele. Sollte der geplante Charakter der 
Veranstaltung sich bewahren, so wird der A. D.M. V. in regelmafiig wiederkehrenden Abstiinden 
weitere Feste anberaumen, die der Oper in besondercr Weise gewidmct sind. Allerdings bedarf es 
zum Gelingen des Werkes nicht nur der Unterstiitzung der musikalisch Schaffenden, sondern 
audi des allgemeinen Anteils der gesamten Musikwelt. Der A. D. M. V. riditet darum an alle 
Komponisten, alle musikalisch Interessierten und an alio Musikfreunde die Bitte, das „Ton- 
kiinstlerfcst 1929" (Duisburger Opernfestwoche und Kammermusikfcst) durdi Bckanntmachung 
und Propagierung der hier gekennzeidineten Ziele eifrigst zu fordern. 

Das Preufiisdie Ministerium fur Wissensdiaft, Kunst und Volksbildung" hat sein Interesse 
an dem Plan zum Ausdruck gebradit. 



r 



379 



STUDIENPARTITUREN 
ZEITGENOSSISGHER MUSIK 



TRIO 

P. Hindeinlth 

Trio 1'iir Violine, Viola u. Violon- 
cello, op. 34 M. 2.— 

W. Schnlthess 

Serenade Edur, f. Violine, Viola 
und Violoncello, op. 6 . . M. 2. — 

QUARTETT 



(2 Violincn, Viola, Yioloncel 


•>) 


C. Beck 

Quaitett No. 3 


M. 2.- 


31. Butting 

10 kleine Stiicke, op. 26 


M. 2.— 


P. Hindemith 

I. Quartett, op. 10 . . . 
II. Quartett, op. 16 . . . 

III. Quartett, op. 22 . . . 

IV. Quartett, op. 32 . . . 


M. 3 — 
M. 3 — 
M. a- 
M. 3.— 


Ph. Jarnacli 

Quartett, op. 16 


M. 2.— 


E. "W. Itorngold 

Qarlett Adur, op. 16 . . . 


M. 2.— 


H. Krasa 

Quartett 


M. 3.20 


H. K. Schmid 

Quartett Gdur op. 26 . . . 


M. 2.— 


E. Schulhoff 

Funf Stiicke 


M. 2 — 


B. Sekles 

Quartett, op. 31 


M. 2 — 


J. Slavenski 

Quartett, op. 3 


M. 2.— 


E. Tocli 

Quartett, op. 34 


M. 2.— 


A. Tscherepnin 

Quartett, op. 36 


M. 1.50 


J. Turin a 


M. 3 — 


L. Vycpalek 

Quartett Cdur, op. 3 . . . 


M. 3.50 


L. Windsperger 

Quartett gmoll, op. 21 . . 


M. 2.— 


QUINTETT 





M. Re per 

Quintet cmoll, fur 2 Violinen, 
Viola, Violoncello u. Klavier M. 2- 

(Nucligelnssenes Werk) 

J. Slavenski 

Aus dem Dorfe. Quintetl fur 
Flote, Klarinette, Viol., Bratsche 
und Kontrabafi, op. 6. 
Partitur (Quart- Format). . M. 3.- 

SEXTETT 

E. "W. Kornffold 

Sextett Ddur, fiir 2 Violinen, 
2Violenu.2Violoncelli f op. 10 M. 3.- 



KAMMERMUSIK 
FUR B LASER 

P. A. Graii g'er 

Wanderhed, fiir Fltlie, Oboe, 
Klarineite, Horn, Fagott . M. 2.50 
P. Hindemith 

Kleine Kammermusik fiir 
5B1aser(Flote, Oboe, Klarinette, 
Horn u. Fagott) op. 24 No. 2 M. 2.— 

H. K. Sclnnid 

Quintett Bdur, fiir Flote, Oboe, 
Klarin., Horn, Fagott, op. 28 M. 2.— 

H. Villa-Lob. ,s 

Chdros Nr. 4, fiir 3 Horner und 
Posaune M. 1.20 



KAMMERORCHESTER 

P. Dessau 

Concertino liir Solo-Violine mit 
Flote, Klarinette und Horn 
(Schottpreis 19i5) .... M. 2.— 
P. Hindemith 

Kammermusik No. 1, op. 24 No. 1 
(mit Finale 1921) . . . . M. 4.— 
Kammermusik No. 2 (Klavier- 
Konzert) op. 36 No. 1, fur oblig. 
Klavier u. 12 Soloinstrumente M. 4. — 

ICammcrmusik No. 3 (Cello-Kon- 
zert) op. 36 No. 2, fiir oblig. Vio- 
loncello u. 10 Soloinstrum. M. 4. — 
Kammermusik No. 4 ( Viol. -Konz.) 
op. 36 No. 3 i'iir Solo-Violine u. 
grofieres Kammerorchester M. 4. — 
Kammerorchester No. 5 (Bratschen- 
Konzert) op 36 No. 4 fiir Solo- 
Bratsche und Kammerorch. M. 4. — 

A. Jlerlkanto 

Konzert fiir Violine, Klarinette, 

Horn und Streichsextett 

(Schottpreis 1925) .... M. 2.— 
R. Stephan 

Musik i'iir sieben Saiteninsirum. 

(Streichquint.,Harl"eu. Klav.) M. 3. — 
1 Strawinsky 

Ragtime liir 11 Instrumente M. 2. — 

B. Stiirmer 

Suite gmoll f. 9 Soloinstrumente, 
op. 9 M. 3.— 

E. Toch 

Tanz-Snite, op. 30 . . . . M. 6.— 
Fiinf Stiicke, op. 33 . . . M. 2.— 
Konzert liir Violoncello und 
Kammerorchester, op. 35 
{Schottpreis 1925 . . . . M. 4.— 

A. Tsclierepnin 

Konzeil fur Flote u. Violine mit 
kl. Orchester, op. 33 (SchoU- 
preis 1925) M. 1.50 

H. Wiinsch 

Konzert fur Klavier und kl. Or- 
chester (sch .ttpreis 1925) . M, 3.— 



GESANG UND 
KAMMERORCHESTER 

P. Hindemith 

Die junge Magd. Sechs Gedichtc 
von Gcorg Trakl fiir cine Alt- 
stimme mit Flote, Klarinette u. 
Streichquartett, op. 23 No. 2 M. 3 — 
Die Serenaden. Kl. Kantate nach 
i omantischen Texten f. Sopran, 
Oboe, Bratsche und Violoncello, 
op. 35 M. 4 — 

I. Strawinsky 

Pribaoutki. Scherzlieder fiir eine 
Singstimme (mittel) mit Beglei- 
tung von 8 lnstrumenten . M. 2. — 
Wiegenlieder der Katze, fiir eine 
Frauenstimme (tief) und 3 Kla- 
rinetten M. 1.50 

E. Toch 

Die chinesische Fl5te. Kammer- 
symphonie fiir Sopran und 14 
Solo-lnstrumente, op. 29 . M. 3. — 

ORCHESTER 

I. Albeniz 

Iberia, Suite (Cjbertr. f Orch. von 
E. F. Arb6s); daraus: Nr. 2 Fete 
Dieu a Seville — Nr. 3 Triana 

31. de Falla J e M - 2 - 50 

Nachte in spanischen Garten 
(NuitsdanslcsJardinsd'Espagne). 
Symphon. Impressionen fiir Kla- 
vier und Orchester . . . M. 5. — 

E. Halffter 

Sinfonietta Ddur .... M. 2 — 

P. Hindemith 

Konzert fiir Orchester, op. 38 M. 4. — 

E. W. Korngold 

Sinfonietta, op. 5 . . . . M. 4. — 

M. Ravel 

Pavjine zum Gedachtnis einer 
Infantiu M. 1.20 

R. Stephan 

Musik fiir Orchester in einem 
Satz M. 3 — 

I. Strawinsky 

Feuerwerk. Brillante Fant. M. 2. — 
Suite 1 fiir kl. Orchest. (Andante, 
Napolitana,Espanola,Balalaika)M.2.50 
Suite II fiir kl. Orches'. (Marsch, 
Polka. Walzer. Galopp). . M. 2.50 
Der Feuervogel, Suite . . M. 6. — 

BUHNENWERKE 

M. de Falla 

Meister Pedros Puppenspicl. 
Oper in 1 Akt n. Cervantes M. 8. — 
Liebeszauber. Ballett mit Ge- 
sang von G. M. Sierra. . . M. 6. — 

P. Hindemith 

Sancta Susanna. Oper in 1 Akt 
von A. Stramm, op. 21 . . M. 6. — 

I. Strawinsky 

Die Geschichte vom Soldaten. 
gelesen, gespielt u. getanzt M. 4. — 



B. SGHOTT'S SOHNE / MAINZ UND LEIPZIG 



380 




TANZSCHRIFT 
SCHRIFTTANZ 



DIE ERSTEN 
PUBLIKATIONEN 



DER NEUEN 
ERFINDUN6 



VON 




RUDOLF VON LABAN 



DIE PUBLIKATIONEN: 

DAS ERSTE HEFT: 

METHODIK 

ORTHOGRAPHIE 

ERLAUTERUNGEN 

(SCHRIFTTANZ No. 1) 



PREIS DIESES HEFTES 

Mk. 3.— 



DIE ZEITSCHRIFT: 

I. JAHR6AN6 
J U L I 1928 
HEFT I 

SCHRIFTTANZ 

EINE VIERTELJAHRESSCHRIFT 
HERAUS6E6EBEN VON DER 
DEUTSL.HEN 6ESELLSCHAFT 
FUR SCHRIFTTANZ 



BEZUGSBEDINGUNGEN: 

FUR 1 JAHR (4 HEFTE) Mk. 4.— 
(IN OSTERREICH . S 6.50) 

EINZELHEFT . . . Mk. 1. 
(IN OSTERREICH . . . S 2.50) 



UNIVERSAL-EDITION A. 6., WIEN-LEIPZI6 



381 




Das Lied der Volker 

herausgegeben von Heinrich Moller 

Die monumentale Sammlung 

der schonsten und charakteristischsten Volkslieder aus alien Landern nach wissenschaft- 

lichen Gesichtspunkten ausgewahlt und herausgegeben. — Samtliche Lieder im Urtext 

und dessen deutscher Ubertragung nebst wissenswerten Ausfuhrungen iiber Entstehungs- 

zeit, Ursprung, seltene Gebrauche usw. 

Soeben erschienen. 

Band IX: 35 griechische, albaiiische und rumanische Volkslieder 

Edition Schott Nr. 559 M. 5.— 

Band XII: 44 ungarlsche Volkslieder. Edition Schott Nr. 560 M. 4.— 

Friiher erschienen: 
Band I: 33 russische Volkslieder. Edition Schott Nr. 551 M. 3.50 

Band II: 30 skandinavische (sen wed., norweg., danische, islandische Volkslieder.) 

Edition Schott Nr. 552 M. 4.— 

Band III: 30 englische und nordamerikanisehe Volkslieder. 

Edition Schott Nr. 553 M. 4.— 

Band IV: 50 keltlsche (bretonlsche, kymrische, schottische, irischej Volkslieder. 

Edition Schott Nr. 554 M. 5.— 

Band V: 30 franzosische Volkslieder. Edition Schott Nr. 555 M. 4.— 

Band VI: 35 spanlsche, portugiesische, katalanische und baskische Volkslieder. 

Edition Schott Nr. 556 , . , M. 4.— 

Band VII: 43 italienische Volkslieder. Edition Schott Nr. 657 M. 5.- 

Band VIII : 67 siidslavische (slowenlsche, kroatische, serbische, bulgarische) 

Volkslieder. Edition Schott Nr. 558 M. 5.— 

Band X: 40 westslawische (bohmische, mahrlsche, slowakische) Volks- 
lieder, Band I. Edition Schott Nr. 1228 M. 4.— 

Band XI: 35 westslawische (polnische, wendische) Volkslieder, Band II. 

Edition Schott Nr. 1229 M. 4.— 

In Vorbereitung : 

Band XIII: Baltlsche (litaulsche, lettische, esthnische, finnische) Volkslieder. 

Edition Schott Nr. 1230 



B. Schott's Sohne, Mainz und Leipzig 



382 



EMPFEHLENSWERTE TSCHECHISCHE 

KAMMER-MUSIK-WERKE 

Streichquartette: 
DVORAK, ANT.: Zypressen, revidiert von Josef Suk, Heft 1/2 je GM. 3.60 

JANACEK, LEOS: Streichquartett. Unter dem Einflusse des 
Tolstoj's Roman „Die Kreutzer Sonate" komponiert. Auf- 
gefiihrt auf dem Int. Musikfest in Venedig . . . Part. GM. 3.60 

Stimmen GM. 5.40 

JUIAK, K. B. : op. 9, S t r e i c h q u a r t e 1 1 c-moll in einem Satz Part. GM. 2.70 

Stimmen GM. 4.- 
KOUBA, JOSEF: Streichquartett c-moll . . , 

PETRZELKA, VJLLEM: Streichquartett . . . 

VYCPALEK, LAD: op. 3, Streichquartett, C-dur. 

Streichsextett: 

STEP AN, V.: op. 11, Sextett fur 2 Violinen, 2 Bratsche und 

2 Violoncelli Part. GM. 2.70 Stimmen GM. 7.50 

Klavier quintette: 

SUK, JOSEF: op. 8, Quintett fur 2 Violinen, Bratsche, Violon- 
cello und Klavier Part, und Stimmen GM. 9.75 

STEP AN, VACL. : op. 5, E r s t e F r ii h 1 i n g s t a g e , dreiteiliger Zyklus 

fur Streichquartett und Klavier . . Part, und Stimmen GM. 8.25 

Werke fiir Blase r ensembles: 



Stimmen GM. 6.75 

Stimmen GM. 6.75 

. Part. GM. 4.- 

Stimmen GM. 7.50 



FOERSTER, JOS. B.: op. 95, Quintett fiir Elate, Oboe, Klarinette, 

Horn u. Fagott. Pat. m. unterlegt. 2 hand. Klavierauszuge GM. 6.30 

Stimmen GM. 5.40 

JANACEK, LEOS: Jug end, Suite fur Elate, Klarinette, Oboe, 

Horn, Fagotte u. Bafi-Klarinette Part. GM. 3. - Stimmen GM. 6.75 

Werke fur gemischte Ensembles: 

JANACEK, LEOS: Concertino fur Klavier, 2 Violinen, Viola, 
Klarinette, Horn u. Fagotte. Aufgefuhrt auf dem 5. Musik- 
fest in Frankfurt Part. GM. 5.- Stimmen GM. 7.50 

SUK, JOSEF: Bagatella „Mit dem Blumenstraufie in der Hand" 

fur Flote, Violine und Klavier . . . , GM. 1 . — 

Zu beziehen durch jede Musikalienhandlung oder direkt vom Verlag 

H U DEBNI MATICE PR AG IIL-487 

VEREINSGEBAUDE UMELECKA BESEDA 



383 



ZUR 

SCHUBERT- 

GEDENKFEIER 

erscheint in neuer Auflage in der 
„Reihe Klassiker der Musik" 

SCHUBERT 

von 

WALTER DAHMS 

21. und 22. Tausend 
Leinen RM. 10.- 

Das Werk von Dahms ist das beste 
iiber Schubert. Dahms ist ein Kritiker, 
der sich noch die voile Urspriinglich- 
keit des kunstlerischen Genusses er- 
halten hat, und der Schubert ganz 
verstand. Er ist iiberall sachlich und 
anregend. so anregend, dafi man von 
ihm sofort zu Schubert eilen mufi 
und Schubert von neuem geniefit: 
inniger, tiefer, berauschender. 

Pester Lloyd. 

DEUTSCHE 

VERUAGS-ANSTAUT 

STUTTGART / BERLIN 

LEIPZIG 



In Kiirze erscheint 



SCHUBERTS 



LIED 



FELIX GUNTHER 

Mit 150 Notenbeispielen 
und 8 Bildem 

In Ballonleinen M. 8.50 

Es gehort zu den Merkwtirdigkeiten 
der Musikliteratur, dafi vom herrlich- 
steri Vermachtnis des Genius Schubert 
kein Werk asthetisch-kritischer Be- 
trachtungsart Zeugnis ablegt. Felix 
Gunther, ein Spezialist des Schubert- 
schen Liedes von hohen Graden, gibt 
in dieser vom schweren wissenschaft- 
lichen Riistzeug freien Monographie 
die Resultate seiner Kerintnisse und 
Erkenntnisse. Hundert Jahre nach 
Schuberts Heimgang geleitet uns sein 
vom Scliwung der Liebe getragenes 
Buch in die Werkstatte des grofiten 
Lyrikers aller Zeiten; es zeigt die 
Geburt des Liedes und bringt es 
gleichsam zum Erklingen. Es gibt 
endlich den Sangern unvergleichliche 
praktische Winke, indem es die falsche 
»Auffassung« zugunsten jenes einzigen 
Vortragsstils korrigiert, in dessen 
reinem Glanz das Lied des Unsterb- 
lichen unsterhlich bleibt. 



DEUTSCHE 

\^ERLAGSANSTALT 

STUTTGART / RERLIN 

LEIPZIG 



384 



MOSKAU -WIEN 

Gemein3ame Publikationen der 

MUSIKSEKTION DES RUSSISCHEN STAATSVERLAGES, MOSKAU 

und der UNIVERSAL-EDITION A. G., WIEN 



U. E. Nr. 



Mk. 



Klavier zu 2 Handen 



9065 A. ABRAMSKY Sonate 5 — 

9015 A. ALEXANDROW op. 1 Nr. 6 Prelude . —.80 

9037 — op. 27 Trois Morceaux 1.30 

9014 — op. 31 Trois Etudes 2.60 

9046 F. BLUMENFELD op. 53 2 Stiicke . . . 1.10 

9047 — op. 54 Elude Fis-dur 1.30 

9059 G. CATOIRE op. 34. 4 More 3.75 

9060 — op. 35 Tempete, Elude 1.30 

9061 — op. 36 Valse 1.30 

9027 K. EIGES op. 22 Etudes-Fantaisies I . . . 3.20 

9041 — op. 23 do. II 4.— 

9052 O. EIGES op. 5 Sonate 4.20 

9031 W. FEHRE op. 6 Erlebtes 4 — 

9016 M. FROLOW op. 5. 2 Contes 2.60 

9024/25 A. GOEDICKE op. 36. 60 leichte Klavier- 

stilcke I/II a ' 4.50 

9010 M. HASEN op. 5, 2 Poemes 1.50 

9009 — op. 8 Deux Danses 1.10 

KNIPPER op. 16Candide 

9073 — I Buenos Aires-Marsch 1.30 

9074 — II Bulgaren-Marsch 1.10 

9075 — III Portugies. Marsch —.80 

9076 — IVMenuett 1.10 

9051 W. KOSSENKO op. 5 Nr. 1 Poeme ... 1.50 

9091 S. LEWIN Sonate 3.20 

9026 A. MOSSOLOW op. 4 Sonate II ... . 6.50 

9056 L. NIKOLAIEW op. 19 Tarantella .... 3.40 

9044 A. OLENIN op. 27, 3 Lieder 4.20 

9011 M. QUADRI op. 3 Sonate I 5.50 

9048 W. RAMMop. 10 Tiergestalten 1.50 

9078 B. SCHECHTER op. 5 Sonate 3.40 

9005 J. SCHILL1NGER op. 12. 5 Morceaux . . 4.80 

9069 — op. 14 L'excentriade 3.40 

9018 A. SKRJABIN Valse op. posth 1.10 

9012 B. SOLOTAREW op. 42 Sonate II . . . 5.50 

9017 A. STANTCHINSKY Sonate II 5.— 

9034 — Preludio e Fuga, g-moll 1.30 

9035 — Canon, h-moll 1.10 

9033 — Preludio, Canon a 2 voci 1.30 

9081 — Cinq Preludes 1.50 

9089 — Etude f-moll und As dur 1.30 

9090 — Etude H-dur 2.60 

9063 R. WALASCHEK op. 4 Nr. 1 Poeme . . 3.— 

9064 — op. 4 Nr 2 Poeme 4.— 

9053 ST. ZARANEK op. 2 Sonate 5.80 



U. E. Nr. Mk 

Klavier zu 4 Handen 

9058 D. SCHOSTAKOW1TSCH 

op. 10 Sj'mphonie , . 13. — 

Horn und Klavier 

9019 A. SCRJABIN, Romance, op. posth. . . . 1.50 

Violine und Klavier 

9067 S. JEWSSEIEW op. 15 Sonote Conte . . 9 — 

9054 IWANOW-RADKEWISCH op. 1 Sonate . 5.20 
9071 A. OLENIN op. 28 Preludes prairiales . . 5.80 

9068 W. SCHIRINSKY op. 6 Sonate 5.50 

Katnmermusik 

9045 B. LJAT OSCHINSKY op. 7 Klaviertrio . 14.— 
9070 G. KARNEWITSCH op. 6 Streichquartett 

Partitur . • 2.60 

9028 W. SCHIRINSKY op. 8 Streichquartett 

Partitur 2.— 

9001 A. SCHITOMIRSKY op. 13 Streichquartett 

9055 D. SCHOSTAKOWITSCH op. 11 2 Stiicke 

fur Streichoktett, Partitur ..... 4.50 

9002 M. STEINBERG op. 16 Streichquartett . . 1.80 

Gesang und Klavier 

(Russisch-deutscher Text) 

A. ALEXANDROW op. 23 Herbst ... 1.50 

— op. 30 Unsagbare Worte. Vier Gedichte 4.80 
A. DZEGELENOK op. 10 Drei Lieder 

(R. Tagore) 4 — 

W. GRtTDIN op. 3 Japanische Suite I . . 1.50 
IPPOLITOW-rWANOW op. 60, 5 japan. 

Gedichte 2.90 

A. MICHAILOW Drei Lieder: 

Nr. 1 Fata-Morgana ■ . . . 1.50 

Nr. 2 Nachts 1.10 

Nr. 3 Der heisse Quell 1.50 

9039 D. MELKISCH op. 15 LiebesmSr(R. Tagore) 3.50 

9020 W. NETSCHAIEW op. 6 Drei Gedichte . 2.60 

9021 — op. 9 Drei Lieder 3 — 

9022a/g L.A.POLOWINKIN op.23 Sieben Lieder a 1.10 

9008 W. SCHEBALIN op. 5 Wegebreit .... 2.60 

9062 A. SCHENSCHIN op. 15 Schilflieder . . 2.90 
9023a/f J. SCH1SCHOW Sechs Lieder . . . . a 1.— 
9007 J. WEISSBERG op. 26 Aus der persischen 

Lyrik , 1.30 

9030 A. WEPRIK op. 10 Zwei hebraische Lieder, 

jidd. russ * 1.10 

9013 S. JEWSSEIEW op. 10 Dithyrambe fur 

Gesang, Violine, Cello und Klavier . 7. — 



9036 
9038 
9040 

9006 
9051 



9004a 
9004b 
9004c 



Durch jede Musikalienhandlung zu beziehen. Kataloge gratis. 

UNIVERSAL-EDITION A. G., WIEN-LEIPZIG 



385 



Willielm Maler 

Konzert fiir Kammerorchester mit Cembalo 

(Intrada - Sinfonia - Giguc u. Musette - Marsch) 0(tCT JS^iCWlCT j OX). 1 (J 

fand auf dem diesjiihrigen Tonkiinstlerfest des A. D. M. V. in Schwerin bedeutende Beachtung. Das 
Werk wurde soeben voni Verlag 

B. Schott's Sohne, Mainz 

erworben. HI M a ' er erfullt in diesem Konzert alte Formen auf gliicklicliste Art mit 

I neueiu Geiste und erweitert sie durch ibm und einer heutigen „ab- 

Sj soluten" Musik eigneiide Werte. Die Originalitat und Pragnanz der 

I Einfalle, die treibende Kraft der Rhythmik - teilweise aui der alter 

H Tanze basierend — lassen einen bedeutendenden schopferischen Trieb 

8a crkennen. Beiche Polyphonie, starke innere Warme besonders des 

I zweiten Satzes bezeugen eine seltene kiinstlerische Reife, die auch dem 

yy witzig-burlesk gehaltenen Marsch zugute kommt. 

Von W. Maler wurde fcrner erworben: 

Concerto grossofur Kammerorchester, op. 11 

(Ouvertiire — Fantasia — Toccata) 

Aufriihrungsmateriale nach Vereinbarung 



J. Ph, Rameau - Fiinf Konzerte 

(Fiir Cembalo, Geige und Gambe) 

fiir Klavier mit Streichorchester 

bearbeitet von 



Walter Rehberg 



Dcninachat ersclieinen : 

Konzert cmoll: La coidicam (Rondement), La Livri (Rondeau gracieux), Le Vezinet (Gaiment, 
sans vitesse) 

Ed.-Nr. 2532 Partitur M. 1.50 

Ed.-Nr. 2533a/e Stimmen (Violine I/II, Viola, Violoncello, BaB) a M. —.30 

Konzert Gdur: La Laborde (Rondement), La Boucon (Air gracieux), L'Agacante (Bondement), 
Menuet I/II 

Ed.-Nr. 2534 Partitur M. 1.50 

Ed.-Nr. 2535a/e Stimmen (Violine I/II, Viola, Violoncello und Bafi) a M. —.30 

Die Konzerte A dur, B dur und d moll sind in Vorbereitung. 

„Typus und Struktur der Rameau 'schen Konzerte sind fiir die Entwicklung des modernen Kammerkonzerts geradezu 
wegweisend. Welch detikates Musizieren in intimem Ralimen geht liter vor sichl Es ist ein Verdienst des Vertags, diese 
Bliiten des franzosischen Barock-Rococo-Zeitalters der Gegenwart wieder zugangig gemacht zu haben". L. R. 

Durch alle Musikalienhandlungen erbaltlich — Verlangen Sie kostenfrei den Gesamtkatalog der 

Edition Steingraber. 

STEINGRABER-VERLAG, LEIPZIG 



386 



D 



r e i w i c 



h t i 



8 e 



B e r i c h t 



Fer tig liegen v o r : 



Bericht iiber den deutschen Kongrefi 
fiir Kirchenmusik 

vom 19.-22. April 1927 

Fm Auftrage des PreuJS. Ministeriunis fiir Wissenschaft, Kitnst und Volksbildung herausgegeben von der Staallichen 
Akademie fiir Kirchen- und Schufmtisik, Charloltenburg. 

Kartoniert Mk, 6.-, in Leinen gebunden Mk. 8.— 

] 1 1 h (i I I : 
Dr. Gennricli, Die gegenwilrtigen Bedingungen fiir die Vorhildung unserer Kirch enmusiker / 7?. Golz, Die heutige 
Lage der evangeliachen Kirche auf dem Gebiete dea Cottesdienstes / P. Johner, Wie gelangen wir zu einem wiirdigen 
Vortrag dea Gregdrianischen Chorals? / Prof. Lechthaler, Der kntholische Organ isl als Baumeister des liturgischen 
Gesamtwerkea / Dr. H. Mutter, Einiges fiber klassiache kirchliche Polyphonie / Dr. H. Mutter, Das katholische deutsclie 
Kirchenlied / /. Plath, Die liturgischen Aufgaben dea Organisteii und Chordirigenlen / Prof. Reimann, Die Orgel als 
Kult- und Konzertinatrument / D. Smend, Din notwendige Beziehung zwisclien dem Kirchenmusiker und dem Ver- 
treter dea Predigtamtea / Prof. P. Wagner, Aeathetik des Gregorianischen Gesangea / Prof. Wolf, Die Aufgaben dps 
Evangelischen Kircbenmusikers in geschiditlichcr Beleuclitung. 

Der dreifiigste deutsclie evangelische 
Kirchengesangvereinstag in Niirnberg 

vom 15.-17. Oktober 1927 

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Kirch engesanges gibt Wilhelm Stahlin ein Bild von Entstehung und Weaen der Singbewegung, wobei drei wesentliche 
Merkmale deutlicn werden: ein Bemtihen urn Ganzheit der musikaliacben Arbeit, ein neuea von einer inneren Haltung 
her beatimmtes Verhaltnia zum Kunstwerk und doa Strcben nadi dem Werden einer wahren, lebendigen „Gemeinde w . 
Der Verfaaaer apricht dann iiber die bisherige Beriihrung zwisclien Kirchengesang und Singbewegung und gibt zum 
Schluft Vorachlege fur die kirchenmuaikalische Arbeit, die davon zeugen, dofi daa Problem in der ganzen Tiefe gefaBt ist. 



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Liturgik: D. Smend, Dr. Mahrenhotz, Kaplan Worsening, D. Arnold Mendelssohn, Dr. Bachrnann, It. Quoika, Prof. Hasse, 
Dr. Frotscher, Dr. H. Poppen j Fa cli beri elite zu hiatorischen und kunstleriachen Problemen des Orgelbaua und Orgel- 
spiels : Prof. Kroyer, Prof. Gurlitt, Domorganist Zollinger, Regierungsrat Mund, Studtenrat Flade, Prof. Moser, Dr. Blume, 
Prof Loffter, Erof Handschin, Dr. Schnorr von Carotsfeld j Fachberichte zum praktiaeben Orgelbau: Dr. Mahrenhotz, 
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SCHRIFTLEITUNG: PROF. DR. HANS MERSMANN 

Alle Sendungen fur die Schriftleitung und Beaprechungsstucke nach Berlin-Grunewald, Neufertallee 5 (Fernspr. Uhlond 3785) erbeten, 
Die Schriftleitung bittet vor Zusendung von Monuakripten urn Anfrage mit Riickporto. Alle Rechte fur samtliche Beitriige vorbehalten 
Fur den Verlag und den Anzeigenteil verantwortlich : Dr. Johannes Petschull, Mainz / Verlag: MELOSVERLAG (B. Schott'a Sohne) 
MAINZ, Weihergarten 5; Fernaprecher 529, 530; Telegr. : MELOSVERLAG; Postacheck nur Berlin 19425 / Auslieferung in Leipzig: 

Lindenstrafte 16/18 £B. Schott's Sbhne) Druck: B. Schott's Sohne, Mainz 
Die Zeitschrift erscheint am 15. jeden Monats. — Zu beziehen durch alle Buch- und Musikalienhandlungen oder direkt vom Verlag. 
Das Einzelheft kostetl. - Mk., das Abonnement jahrl.8. - Mk., halbj. 4-50 Mk, viertelj..2.50 Mk. (zuziigl. 15Pf. Porto p.H., Ausland 20 Pf. p. H.) 
Anzeigenpreise : '/i Seite 100.— Mk. '/« Seite 60.— Mk. l (t Seite 35.— Mk. Bei Wiederholungen Rabatte. Auftnige an den Verlag. 



ZUM INHALT 

Wenn der Hauptteil dieses Heftes Beethoven gewidmet ist, so ist das nicht nur 
ein Protest gegen die „offiziellen" Beethovenhefte der meisten Zeitschriften im vorigen 
Jahre. Wesentlichkeit und tiefere Erkenntnis verbinden sich schlecht mit lauter Be- 
feierung und geschaftstiichtiger Auswertung der Konjunktur (weshalb wir in diesem 
Jahre auch auf ein Schubertheft verzichten zu konnen glauben). Nur in einzelnen An- 
satzen wurde bisher siditbar, dafi das Bild Beethovens sich unserer Zeit umzuformen 
beginnt. Seiner Erkenntnis dienen die Studien dieses Heftes; daneben werden der 
Forschung Erganzungen geboten. 

Der Geist lebendiger und gegenwartiger Geschichtsbetrachtung, die hier angestrebt 
wird, miindet von selbst in die Studie iiber das Verhaltnis von Generation und Ver- 
gangenheit. In der Bubrik Ausland beginnen wir in diesem Hefte mit einem Aufsatz 
uber die Entwicklung der hollandischen Musik eine Beihe von Situationsberichten, welche 
im Laufe der nachsten Monate auf aUe Lander erweitert wird. 

Die Schriftleitung 



M U S I K 



Karl August Meifiinger (Frankfurt a. M.) 

BEETHOVEN UND DER GENIALISMUS 



Wir gehen aus von zwei Ktinstlernovellen : Morikes „Mozartreise" und Richard 
Wagners „Pilgerfahrt zu Beethoven". Die erste goldklar, schlechthin klassisch, leuchtend 
und warmend wie stille Flamme, objektiv bis in die letzte Wendung; die andere ein 
unbehagliches, genialisches, gewaltsames Machwerk. Beide erfullt und getragen von 
gliihender Liebe zu einem grofien Komponisten, aber die erste gleichsam durch den 
Menschen hindurch auf sein Werk gerichtet, lauter positive Freude am Erfreulichen 
atmend — die andere in einem Geniekult stecken bleibend, voll Ressentiment gegen 
den Philister, mit der deutlich erkennbaren Absicht, durch Geniekult selbst genial zu sein. 

Liegt dieser Unterschied nur darin begrundet, daft das erste Werk die Lebens- 
hohe eines reifen Dichters bezeichnet, das zweite dagegen von einem jungen Strudel- 
kopf stammt, der zwar selbst ein grofier Musiker, aber auch auf der Hohe seines Lebens 
kein grofier Dichter war, obwohl er sich jederzeit dafiir gehalten hat und auch heute 
noch von seinen Verehrern dafiir verkauft wird? 

Wir lassen die Frage vorerst offen und schreiten zu einer zweiten Beobachtung. 
Es gibt aus der Zeit um 1900 eine Reihe von bildlichen Darstellungen Reethovens, an 
denen man den Genialismus der betreffenden Kiinstler noch deutlicher als an dem 
Wagnerschen Elaborat studieren kann. Man findet sie in dankenswerter Vollstandig- 
keit beisammen in der kurzen Reethovenbiographie von Ferdinand Pfohl, von der man 
nicht denken sollte, daS sie erst im Jahre 1922 erschienen sei, so ganz ist sie aus dem 
heute schon historischen Geist der Vorkriegszeit heraus geschrieben. 1 ). Jene Dar- 
stellungen sind mehr oder weniger bekannt, wir konnen uns mit knappen Reschreibungen 
begniigen. Da ist Franz Stucks Reethovenmaske mit goldenem Lorbeerkranz auf duhklem 
Grund. (Der Kult der Reethovenmaske hat seitdem Schule gemacht: danach kam die 
Goethemaske, und heute hat man die grofien Manner tutti quanti.) Da ist ferner der 
ach so geistreiche Steindruck von Fidus, mit dem seinerzeit viel Geld verdient worden 
ist; noch heute verirrt er sich manchmal in die Schaufenster. Dargestellt ist eine iiber- 
kolossalische Reethovenbiiste, aus einem Felsen gemeifielt. Ein kleines nacktes Frauen- 
zimmer mit offenem schwarzem Haar, das uns dezenter Weise die Hinterseite zukehrt, 
hat den Sockel erstiegen und streichelt schlank hochgereckt mit spitzigen Salamander- 
fingerchen dem Giganten den Mund. Er macht kein sehr zufriedenes Gesicht zu dieser 
Liebkosung. — Das war der deutsche Geschmack von dazumal; noch viel decouvrierender 
ist der wienerische des Alois Kolb. Hier ist wieder die Maske, diesmal mit sturm- 
bewegtem schwarzen Haarschopf, der so solide gedacht ist, dafi er einem nackten Liebes- 
paar (nackt miissen sie schon sein) als Matratze dienen kann. Auch dieser Kiinstler 
hat das Ungliick gehabt, das Gesicht des Meisters so darzusteUen, als ob er mit dem 
Unfug, den die jungen Leute oben treiben, sehr wenig einverstanden ware. 



') Velhagen & Klasing9 Volksbiicher Nr. 7 



BEETHOVEN UND DER GENIALISMUS 391 

Ferner findet man bei Pfohl^ eine weniger bekannte Skulptur von Peter Breuer. 
Der Meister sitzt halbliegend, aber mit gesenktem Kopf, also hollisch unbequem, in einer 
Art von flachem, aber sehr tiefem Klubsessel. Die Haarmahne und das die untere 
Korperhalfte bedeckende Gewand sind in agyptischer Manier, die eine Weile Mode war, 
auf massige Vereinfachung stilisiert. Diese Darstellung interessiert an sich selbst weniger 
denn als Gegensttick zu dem weltberiihmten Werk Klingers. Die Pfohl'sche Zusammen- 
stellung hat wenigstens das eine Verdienst, mit untriiglicher Anschaulichkeit zu be- 
weisen, dafi der grofie Klinger mit seiner pomphaften Raffinesse hier durchaus in die 
genialistische Reihe gehort! Das ganze Wesen wirkt um so lacherlicher, je feierlicher 
es gemeint ist. — Das neueste Pariser Kolossalwerk, dessen Modell man anlafilich der 
Beethovenfeier in den Ulustrierten Zeitungen gesehen hat, verspricht auf diesem 
Gebiet eine Gipfelleistung zu werden. Die franzosische Begeisterung fur deutsche 
Musiker (besonders fiir Wagner) ist ein eigenes Kapitel. 

Der Vollstandigkeit halber mag noch etwa an die bekannte grofie Radierung 
„Kreutzefsonate" von Balestrieri erinnert werden. Im Hintergrund wieder die unver- 
meidliche Maske. Davor effektvoll beleuchtet der Pianist und der Geiger. Am 
interessantesten ist jedoch das Auditorium, besonders das Liebespaar gleich vorn; Liebe 
mufi offenbar immer dabei sein. Die Augen der jungen Dame zeugen von abgrundiger 
Hysteric 

Immerhin hat dieses iibrigens trefflich gearbeitete Blatt etwas von dem klassischen 
esprit der Pariser Boheme. Vollends schlimm wird es aber, wenn sich die deutsch- 
burgerliche Gemiitstiefe des deutschen Tonhelden bemachtigt. Da sitzt der Meister etwa 
mit stark vernachla'ssigter Toilette und zerwuhlten Haaren nach offenbar durchwachter 
Nacht (die Lampe brennt noch) neben dem offenen Flugel und komponiert. Durchs 
Fenster sieht man hinter dem Stephansturm die Sonne aufgehen. Oder Beethoven 
steht mitten im Gewitter auf einer Anhohe unter einer sturmzerrissenen deutschen 
Eiche und starrt titanisch in das Chaos der Natur. Der Hut ist ihm abhanden ge- 
kommen — bekannte historische Situation, der M fl l er i st verwiinscht gebildet. — 

Nun also: gibt es ahnliche Darstellungen von Mozart? Ich erinnere mich dunkel 
eines harmlosen alteren Stahlstichs, der Mozarts Tod darstellt — eine von jenen biederen 
Historien, die man nur versteht, wenn man die Unterschrift liest. Kurz, da ist gar 
kein Vergleich, der Befund Morike-Wagner ist durch die bildende Kunst schlagend 
bestatigt. 

Wie aber kommt es nun, dafi immer gerade Beethoven herhalten mufi, wenn sich 
irgendein torichter oder kluger Genialist bemiifiigt fuhlt, etwas "Wirksames zu veran- 
stalten? Warum eignet sich Beethoven zu derlei Experimenten ungleich besser als 
Mozart, von Bach nicht zu reden ? 

Das rein Biographische scheint keine Erklarung zu bieten. Die Lebensumstande 
des einen Meisters wie des and ere n zeigen das typische Bild von „Kiinstlers 
Erdenwallen". Beide iiberstromend produktiv, die Grofiartigkeit ihres Genies fiir jeder- 
mann ohne weiteres erkennbar, beide um den Genufi ihres Daseins betrogen durch 
Mifikennung, plattes Philistertum, Kabale, Kleinsinn der Grofien, beide mit evviger Geld- 
not ringend, beide aus lebendigem Schaffen durch einen klaglichen Tod herausgerissen : 



392 



KARL AUGUST MEISSINGER 



mit einem Wort, beide gleich geeignet fiir genialistische Erb'aulichkeiten im Stile 
Schopenhauers. 

Da sind denn freilich audi die tiefen Unterachiede. Mozart bei alien tragischen 
Elementen seines Lebens doch wie von einer Aura genufivoller Heiterkeit umflossen, 
Beethoven verdiistert von gehauftem Ungliick. Man denke sich schon die beiden Vater, 
man denke sich Beethovens Briider, seinen Neffen Karl und dessen entsetzliche Mutter, 
Man denke sich auf der einen Seite den gesicherten Wohlstand des Josephinischen Wien. 
und auf der anderen das eiserne Zeitalter Napoleons mit dem ganzen Kriegs- und 
Nachkriegselend, das wir selbst so gut kennen: jahrelange Ernahrungsschwierigkeiten, 
die einen Menschen von ohnedies dauernd gestorter Verdauung zu Grunde richten, 
Geldentwertung und Wirtschaftskrise, die niemand scharfer empfindet als der Kiinstler, 
der Mazene braucht, schuftige Gewinngier der Verleger usw. Beethoven kommt aus 
dieser ublen Zone erst heraus, als es mit ihm schon zu Ende geht. Man denke sich 
weiter auf der einen Seite Mozarts Ehe, die gewifi nicht immer eitel Sonnenschein war, 
aber doch ohne Zweifel eine Quelle der Regeneration, und auf der anderen Beethovens 
ewig fruchtlose Verliebtheiten, die schon dem Leser der Briefe zur Qual werden, auch 
wenn er sich nicht fiir das torichte Ratselraten interessiert, wer nun eigentlich die Un- 
sterbliche Geliebte gewesen sein kann. Und das alles wiegt noch federleicht gegen das 
schauderhafte Schicksal einer dreifiigjahrigen Taubheit! Man versuche sich auszumalen, 
was aus Mozart im gleichen Falle geworden ware. 

Es ist schon so, dafi der heroische Zug in Beethovens Leben (ahnlich wie bei 
Schiller im Vergleich mit Goethe) der popularen Heldenverehrung des Genialismus sehr 
bequeme Ankniipfungen bietet, und das alles ist schliefilich kein Zufall. Mozart ist 
ohne Zweifel die gliicklichere und lebensfahigere Natur. Von dem Gehorleiden und 
dem „Gehalt ohne Gehalt" abgesehen — woher stammen die unendlichen Verlegen- 
heiten, von denen die Briefe so voll sind, dafi sonst fast niclits in ihnen steht ? Groteske 
Dienstbotengeschichten, ewiger Wohnungswechsel (einmal vier Wohnungen nebenein- 
ander, sodafi es selbst den gutwilligsten Freunden zu dumm wird), bei jedem opus, 
das gestochen wird, die obligate Gegenorder wegen der Dedikation, unendliche Rekla- 
mationen wegen Stichfehlern, einige Hundert Entschuldigungsbillets an den Erzherzog 
Rudolf wegen Nichterscheinens zu den Stunden, und das Tollste von allem, die Affare 
mit dem Neffen und seiner Mutter. Um nur bei dem letzten Punkt zu bleiben-, als 
diese ausgesuchte Qual an Beethoven herantrat, gab es fiir ihn nur einen Weg: mit 
oder ohne Neffen nach England zu gehen und die ganze Familienmisere mitsamt der 
Hofmisere in Wien zuriickzulassen. So hatte sicli Goethe geholfen. Beethoven ist der 
Gedanke damals gar nicht einmal gekommen und als er spater kam, wurde er nicht 
ausgefuhrt. 

Trotzdem aber ist diese offenbare Lebensunfahigkeit des Meisters der genialistischen 
Betrachtung weit weniger giinstig als auf den ersten Blick scheinen konnte, und zwar 
wegen der erstaunlich einfachen, geradlinigen, kristallklaren Redlichkeit und Menschlich- 
keit. die unverruckbar hinter dem allem steht, gerade auch hinter den Verkehrtheiten, 
die auf diese Weise etwas tragisch Ruhrendes bekommen. Immer wieder stofit man in 
den Briefen und Tagebiichern auf Aufierungen eines hochst unkomplizierten Gottver- 
trauens, auf eine so unverstellte herzliche Freude, am schlicliten Becht- und Wohltun* 



BEETHOVEN UND DER GENIALISMUS 393 

auf eine so unbestechlich saubere und iiaive Auffassung der menschlichen Verhaltnisse 
(besonders was eigenes und fremdes Kiinstlertum und Kunst iiberhaupt anlangt), dafi 
man meint, erst von hier aus die musikalische Schonheit beriihniter Stellen ganz zu ver- 
stehen, wo uns (nach dem Wort Wilhelm Meisters viber Shakespeare) der Genius wie 
mit grofien Kinderaugen ansieht. Es ist in hochster Hohenlage die tuchtige moralische 
Kultur des deutschen Burger turns um 1800, hervorgegangen aus der schonen Humanitat 
der Aufklarung und aus dem unerhorten Aufschwung des klassischen Idealismus der 
Revolutionsepoche, die in dem Deutschland Goethes so uberaus gliickliche Voraus-. 
setzungen fand. Audi hier liegt freilich wieder ein tiefer Schaden verborgen, auf den, 
wir noch zu sprechen kommen; aber zunachst gdt es doch die positive Feststellung, 
dafi dieser entscheidende Zug des Beethovenbildes (der in keinem der zeitgenossischen 
Portrats schoner herauskommt als in der einfachen Kreidezeichnung von Stephan Decker 
aus der allerletzten Zeit) in Wagners Novelle vollstandig fehlt und fehlen mufi, weil 
Wagner kein Organ dafiir hatte. Wie sehen Leute vom Schlage Wagners und Liszts 
neben diesem Beethoven aus ! Wie viel fauler Zauber, der angesichts dieser Gestalt 
wie ein Nebel zu Boden sinkt ! Unter den Neueren ist vielleicht der einzige Bruckner 
der hier den Vergleich aushalt; auch hierviber ist noch zu reden. 

Es bleibt also dabei, dafi das persflnliche Wesen Beethovens viel zu ungenialisch 
ist, um die Erscheinung, von der wir ausgegangen sind, hinreichend zu erklaren. Wir 
miissen den Hebel anderswo ansetzen. 

Wir tun es, indem wir uns der charakteristischsten Liebesgeschichte im Leben des 
Meisters erinnern : der Bettinageschichte. Wie bezeichnend ist es schon, dafi der von 
Bettina veroffentlichte Text ihrer Beethovenbriefe, auf den wir vermutlich fur immer 
allein angewiesen bleiben werden, den starksten Zweifeln ausgesetzt ist! Im Grunde 
brauchte man von dieser Dame nicht mehr zu wissen, als dafi sie erstens Briefe dieser 
Art selbst veroffentlicht, und das sie zweitens an ihnen willkurlich herumgeschnitzt hat. 
Die gute Bettina war ein Gefafi der Eitelkeit. Man mufi sich erinnern, wie bald 
Goethe sie durchscbaut, und wie leicht er sie abgeschiittelt hat. Beethoven hatte sie 
ohne Bedenken zur Frau genommen, wenn sie selbst etwas anderes vorgehabt hatte, 
als ihn zum Narren zu haben. In einem lichten Augenblick dieser zum Gliick nur 
kurzen Episode vergleicht er selbst das Verhaltnis mit Herkules und Omphale. Das 
Erschiitternde und Riihrende dieser wie so mancher anderen Entflammung des Ahnungs- 
losen liegt gerade in der Bescheidenheit der Anspriiche; so greift ein Verhungernder 
wahllos nach allem, was einer Nahrung nur ahnlich sieht. 

Aber Bettina war noch mehr als ein Gefafi der Eitelkeit, und auf dieses Mehr 
kommt es hier an. Bettina war die erste Reprasenta ntin des romantischen 
Genialismus. Wir miissen hier etwas weiter ausholen, um verstandlich zu sein. 

Der moderne Genialismus kommt zum Durchbruch in der deutschen Opposition 
gegen das franzosische regelmafiige Drama, die von Lessing so uberaus erfolgreich 
durchgefuhrt worden ist, nachdem die deutsche Musik schon an die erste Stelle in 
Europa emporgeriickt war. Lessings Hafi gegen die Franzosen hatte freilich ubersehen, 
dafi diese selbst die ersten Entdecker und Nachahmer der Englander waren. Shakes- 
peares Siegeszug begann mit Voltaires Raisonnement uber den Julius Caesar. 



394 



KURT AUGUST MEISSINGBR 



Wie dem sei, Lessings Shakespeare und Winckelmanns Homer sind von jetzt an 
die Genien, denen die junge deutsche Generation, von Klopstock dem Dichter und 
Lessing dem Kritiker entfesselt, mit explosiver Begeisterung nacheifert. Diese Vor- 
stellungsart kommt durch Herder, den Theologen, Polyhistor, Einfuhler und genialistischen 
Auchdicliter an Goethe, gerade in dem entscheidenden Moment, da dieser junge Riese die 
herrnhutische Krise: Christ oder Schriftsteller? durchkampft und nun plotzlich einen 
Christen und Schriftsteller vor sich sieht. Der Genius ist gottlich und volksmafiig zu- 
gleich: dies ist die Formel von unabsehbarer Tragweite, unter der auf der ganzen Linie 
nunmehr die iiberreichen literarischen Krafte der Epoche durchbrechen. Goethes eigene 
erstaunliche Konstitution tiberwindet diesen rasenden Strudel, in dem seine Mitstreben- 
den physisch oder geistig untergegangen sind. Schiller bringt dem durch die Er- 
kenntnis der Form in Italien Vereinsamten die Kantische Theorie des Genies zu, in 
der der Sturm und Drang vollends (im Hegelschen Sinne) „aufgehoben" ist. Die reife 
Substanz der Klassik steht jetzt in ihrer ganzen erstaunlichen Fiille da. 

Inzwischen aber hat die franzosische Revolution eine neue grofiartige Auflockerung 
in das europaische Geistesleben gebracht. Von alien Seiten melden sich die unerhorten 
Aspekte. Indem man Geschichte erlebt in einem Tempo und mit einer Gewalt wie 
nie zuvor, entdeckt man Geschichte als geistige Form. Edmund Rurke erganzt mit 
einem Schlag Geister wie Herder und Justus Moser. Die Romantik ist da. Sie wird in 
Jena und Berlin auf verwickelte Weise zur Opposition nicht nur gegen die Aufklarung 
— hierin setzt sie die Klassik nur fort — sondern gegen den von Schiller uberspitzten 
klassischen Formgedanken selbst. Die Friihromantiker, durch Schleiermachers Religiosi- 
tat mit neuen Antrieben gegen die Aufklarung verstaxkt, denen in der klassischen 
Kritik nichts entsprach, wittern in Goethe verwandte Krafte, die sie von Schiller nieder- 
gehalten glauben. Schillers Tod macht ihnen die Bahn vollends frei. Und nun beginnt, 
uber die Schillersche Klassik konsequent zuriickgreifend, eine neue schleichende 
Phase des Genialismus, nach jener ersten akuten des Sturm und Drang. Schleier- 
machers individualistisches Christentum leistet dieser Entwicklung niclit nur keinen 
Widerstand, sondern bietet ihr verhangnisvolle Anknupfungen : wird doch die Religion 
selbst als eine geniale Angelegenheit behandelt! 

Und zugleich erscheint hier zum ersten Male die Personalunion von Genialismus 
und Sexualismus, von der in der Genieperiode der siebziger Jahre noch nicht die Spur 
zu bemerken ist. Sie begleitet den Genialismus des 19. Jahrhunderts bis in ihre letzten 
Auslaufer, die wir im Anfang unserer Untersuchung kennen gelernt haben, und gehort 
ganz wesentlich zu dem Hippokratischen Gesicht dieser sterbenden Epoche. 

Mit welch er hybriden Gewalt nun diese romantische Vorstellungsart mitten im Taumel 
des Napoleonischen Zeitalters sich dieses „ironischen" Geschlechtes bemachtigte, kann 
man vielleicht am deutlichsten daran abnehmen, dafi Goethe, das in unmittelbarer 
Nahe sozusagen betastbare geniale Urphanomen (fur die Romantiker nicht minder als 
seinerzeit fur Schiller), den Genialismus nicht nur Bettinens, sondern audi den viel 
feineren und darum gefahrlicheren Rahels um seine Person herum geduldet hat. 
Dm selbst schiitzt auch jetzt die einzige Macht seiner Substanz und seiner Arbeife, aber 
der Romantik und durch sie dem ganzen neunzehnten Jahrhundert (Schopenhauer, 



BEETHOVEN UND DER GENIALISMUS 395 

Wagner, Stirner, Carlyle, Spitteler, Langbehn, H. St. Chamberlain usw.) ist Goethe eben 
als das Idol des Genialismus verderblich geworden. — 

Und jetzt kommen wir der Losung naher, urn die es uns zu tun ist. Der Unter- 
schied zwischen Beethoven und Mozart liegt ganz einfach darin, dafi Mozart vor Beginn 
der romantischen Bewegung langst abgetreten war, Beethoven aber (zu den personlichen 
Ankmipfungsmoglichkeiten hin, die wir kennen gelernt haben) noch drei Jahrzehnte lang 
als der unbestritten erste Tonschopfer seiner Zeit der genialistischen Beti'achtungsart 
zur Verfiigung stand. Jetzt erst verstehen wir, was Bettina in der Nahe Beethovens zu 
tun hat. Man mufi sich dabei gegenwartig halten, dafi der Genialismus der Stunner 
und Dranger eine rein literarische Angelegenheit gewesen war (auch der Maler Midler 
war ein Literat), dafi aber die Bomantik aus ihrer ganzen Lebensansicht heraus a lie 
Lebensaufierungen, und also vor allem einmal samtliche Riinste, genialisch nehmen 
mufite. Fur die Musik leistete dies Wackenroder. 

Aber noch sind wir nicht zum Letzten vorgedrungen. Beethovens Kunstgefuhl 
selbst ist im Tiefsten wirklich ein anderes als das Mozarts. Es ist das Kunstgefuhl 
des in der Bomantik zum vollen Bewufitsein erwachten Individualismus. 
Die Bevolution hatte die letzten Bindungen des abendlandischen Geistes gesprengt. Was 
vor dieser Epoclie liegt, ist eine andere Welt, die uns im Grunde so fremd ist wie die 
Antike oder wie China. Wenn Beethoven gelegentiich von den Neuerungen spricht, 
die er in der Komposition eingefiihrt habe, so schwingt in seinem Selbstbewufitsein, so 
menschlich und einfach es daherkommt, doch etwas ganz anderes als das blofie 
artistische Geltungsbedurfhis, das den Barockmusikern so wenig fremd gewesen war wie 
jeder Kunsttradition iiberhaupt. 

Beethovens Titanismus entspricht in seiner Gesamthaltung genau dem Faust — 
nur dafi Goethe ganz am Ende seiner Lebensdichtung in unwahrscheinlich holier Vision 
den Gemeinschaftsgedanken der Zukunft noch eben zu ergreifen vermochte, von dem 
in dem ganzen iibrigen Werk keine Spur anzutreffen ist. 

Den Beweis, dafi wir mit dieser geistesgeschichtlichen Einordnung Beethovens das 
Bechte treffen, liefert ein letzter Vergleich. Beethovens Messe macht auch den Dom 
zum Konzertsaal — Bruckners Messe macht auch den Konzertsaal zum Dom. Das 
macht, Bruckner lebt in der ungebrochenen Bindung seines Katholizismus, Beethovens 
Frommigkeit ist die Frommigkeit des klassizistisch gehobenen Aufklarungs-Individualis- 
mus. Diese Frommigkeit ist selbst noch lebendig, aber sie ist nicht mehr zeugerisch, 
und ihre Wurzeln vertrocknen im neunzehnten Jahrhundert. — 

Wir werden Beethoven so wenig entbehren wollen und konnen wie den Faust. 
Aber wir stehen zu beiden heute grundsatzlich anders als die Zeit vor dem Krieg, und 
deshalb sehen uns jene Beethovendarstellungen, von denen wir ausgegangen sind, heute 
so hoffnungslos verstaubt an. Jene braven Genialisten taten auf ihre Art ganz recht 
daran, sich an Beethoven zu halten. Umso grofiartiger, dafi Beethoven selbst so vollig 
frei von Genialismus gewesen ist. Wir sind unserer Sache bei ihm noch sicherer als 
bei Goethe, weil er als Mensch so viel einfacher ist. 

Die Genialisten haben Becht, weil Beethoven einzig ist; das „Einzige" ist ihr Idol. 
Beethovens Werk ist der hochste musikalische Ausdruck seiner Zeit und stand unter 
einzigartigen zeitortlichen Bedingungen. Aber die Genialisten haben Unrecht, weil die 



396 WILLI SCHMID 



durchgangige Gediegenheit dieses Werkes (deren letzte Tiefe nur einem sehr ein- 
dringenden Studium — was gemeinhin nicht der Fall von Genialisten ist — aufgeht 
und daher nur von wenigen Menschen ganz ermessen werden kann) das genaueste 
kiinstlerische Spiegelbild seiner gediegenen Person ist, ebenso genial wie ungenialisch, 
die Leistung eines erstaunlich sachbesessenen und selbstvergessenen Verantwortungsgefuhls. 



Willi Schmid (Miinchen) 

ZUR INTERPRETATION VON REETHOVENS 
STREICHQUARTETTEN 

Urn die Wiedergabe der Beethovenschen Streichquartette sind seit mehr als hundert 
Jahren die besten Musiker der Zeit bemiiht gewesen. Es ist klar, dafi sicb in ihrer 
Interpretation jeweils das Verhaltnis ihrer Zeit zu Beethoven ausdruckte. Etwas Shnliches 
geschieht in der Gegenwart in vermehrtem Mafie : verschiedene historische, nationale und 
gefiihlsmafiige Einstellungen zum Beethovenschen Werk uberhaupt driicken sich durch die 
verschiedene Weise der Interpretation aus. Dazu und dariiber hinaus zu einzelnen 
technischen Dingen will im folgenden einiges gesagt werden, freilich nur andeutend und 
skizzenhaft. Es ware wohl einmal der Muhe wert, den Gegenstand zusammenfassend zu 
betrachten. 

Was uber die Beethovenschen Streichquartette geschrieben worden ist, abgesehen 
von der Beschaftigung der Biographen und Wissenschaftler damit, hat meist fur die 
Wiedergabe direkt wenig oder keine Bedeutung. Helm und Bargheer sind typisch fur 
eine gewisse leidige Musikfuhrer-Betrachtungsart, die den Gegenstand fur den praktischen 
Musiker eher verhullt als entschleiert. Die Biemannschen Analysen sind immer noch 
das beste, leider arbeitete Biemann darin verschieden grundlich. Oft lafit er einen 
gerade bei schwierigeren Stellen im Stich (man vergl. z. B. seine Analyse von op. 59, II, 
wo er selbst sich uber die Struktur des ersten Satzes nicht ganz klar war). Seine Vor- 
tragsbemerkungen sind an sich selten, dann aber gar nicht professoral, ja oft bemerkens- 
wert musikalisch, was man seinen Verkleinerern gegenuber immer wieder betonen mufi. 
Neben einer solchen Leistung stellt eine Arbeit wie die jiingst erschienene Marliaves 
einen vollkommenen Biickfall in die glorifizierende Aus- und Unterlegerei einer friiheren, 
iiberwunden geglaubten Beethoven-Betrachtung dar. 

Zur Psychologie der Beethoven-Interpretation uberhaupt kann hier nicht Stellung 
genommen werden. Die verschiedenen Entwicklungsphasen bestanden und bestehen 
bis heute nebeneinander fort. Yoransteht die sogenannte romantisclie Interpretation 
Beethovens, die dem romantischen Beethovenbild entspricht, uber dessen Grundlagen und 
Herkunft Arnold Schmitz so besonders feine Dinge gesagt hat. Auch August Halm 
aufiert sich zu dieser Frage in seinem ausgezeichneten Beethoven-Buch des ofteren. 
Grundlegend ist fur viele immer noch das von Wagner geschaffene Bild von Beethoven 
und von der Beethovenschen Interpretation. Gerade was die Interpretationsfragen an- 
langt, stehen nun bei Wagner die genialsten und richtigsten Einsichten theoretischer 
Natur neben praktischen, man kann ruhig so sagen, Ungeheuerlichkeiten (man denke 



r 



INTERPRETATION DER STREICHQUARTETTE 397 

nur an die IX. Symphonie, seine Vorschlage der Niiancierungen im ersten Satz z. B. 
an die Streichung der Tenorligurationen im Soloquartett, an die „Verbesserung" der 
Textunteriegung des Baritonsolos im Schlufisatz, mit der schier unglaublich klingenden 
Bemerkung, wodurch er Beethoven hier korrigiert). AIs vorzugsweise deutsch, beethoven- 
gemafi wird gerade eine romantische Interpretation audi heutzutage immer noch 
empfunden. Und zwar kann man hier wieder unterscheiden zwischen der romantisch- 
genialischen, personlich-subjektiven Einstellung und der mehr dichterisch-poetisierenden, 
intuitiv-verandernden. Gerade diese letztere sogenannte dichterische Art der Wiedergabe 
geht aus von einer Allgemeinstimmung, die dem einzelnen Werk, bezw. seinen einzelnen 
Teilen zugrunde gelegt wird, aus der heraus dann erst riickwirkend wieder der Vor- 
trag bestimmt wird. Andere Arten zeigen den Einschlag nationaler Momente. Die 
„B6hmen" mit ihrem improvisatorischen, stiirmisch-drangenden, impulsiven Stil sind 
der starkste Gegensatz zu der gelauterten, objektiv dienenden, klaren und intellektuellen 
Eigenart des Capet-Quartettes oder des Bose-Quartetts, welch letzteres vielleicht noch 
mehr als Joachim selbst einen typisch beethovenschen Geist der Wiener Klassik in be- 
sonderem Mafie verkorpert. Akademisch, dies durchaus nicht als irgendwie abschatzend 
gemeint, lehrhaft eindringlich, also professoral in idealem Sinn Wendling und Klingler, 
beide dabei wieder sehr scharf unterschieden, indem Klingler mehr romantisch-subjektiv 
Wendling mehr klassisch-objektiv gerichtet ist. Busch verkorpert unvergleichlich ein- 
deutig und charakteristisch die personlich-subjektive-genialische Beethoven-Interpretation. 

Zu diesen geistigen und intentionellen Verschiedenheiten kommen naturlich noch 
die technischen Unterschiede der geigerischen Schulen hinzu. Das ist oft von nicht 
geringer Bedeutung und darauf wird spater zuriickzukommen sein. Die kunstlerisch 
wichtig zu nehmende Interpretation der Beethoven-Quartette ist heute auf Deutschland, 
die Lander des alten Osterreich und Frankreich beschrankt. Ohne Zweifel ist das 
Streichquartett-Spielen als solches mehr und mehr zuriickgegangen. Vor allem in 
Dilettantenkreisen. Andererseits spezialisieren sich manche Quartettvereinigungen aus- 
schliefilich auf die Beethoven-Interpretation. Das hat oft auch Nachteile zur Folge: eine 
gewisse Ubersattigung, Virtuosentum, verminderte Gefuhlsintensitat. 

Die selbstverstandliche Voraussetzung fur die Wiedergabe Beethovenscher Streich- 
quartette ist ihre genaue Kenntnis. Eine Binsenwahrheit, die nur zu oft jedoch vernach- 
lassigt wird. Daft die Gegensiitzlichkeit der Beethoven-Quartette in zeitlicher, formaler, 
inhaltlicher Beziehung so grofi ist, dafi man sie mit verschiedenen Stilen verglichen hat, 
ist ja charakteristisch genug. Die friihen Quartette mit ihren formalen und inhaltlichen 
Bindungen, mit ihrem konzertanten, gesellschaftlichen, unterhaltenden Wesen unterscheiden 
sich noch nicht so grundlegend als der klassische Hohepunkt des Opus 59 von der 
Wiener Umwelt. Aber gerade deshalb wird ihnen so oft nicht ihr Becht zuteil: man 
unterschatzt sie vor allem technisch ; sie erfordern eine sehr pragnante vind subtile, oft 
elegante und virtuose Technik des Einzelnen wie des Zusammenspiels. Im allgemeinen 
fasst man sie leicht zu derb, zu ungestiim, zu dramatisch, zu sehr vorn spateren Beethoven 
her gesehen an. Man denke etwa an das c-moll Quartett, an dem sich nicht nur 
Dilettanten so gern pathetisch „entladen", denke an die Zierlichkeit von Opus 18 Nr. 3 
und Nr. 6, die so oft verkannt wird. Bei den Quartetten des Opus 59 mit ihrer grofien 
klassischen Haltung, der bis zu den kompliziertesten Bildungen vorgeschrittenen Sonaten- 



398 WILLI SCHMID 



form steht die Analyse oft vor gar nicht leichten Aufgaben. An der Art, wie so ein 
Satz dann in der Wiedergabe steht, bezw. nicht steht, lafit sich abnehmen, wie ober- 
flachlich die Interpretation manchmal zu Werke geht. Es klingt vielleicht paradox, aber 
im allgenieinen wird dieser Fehler bei den spaten Quartetten eher vermieden, weil man 
von vorneherein bei ihnen sich mehr Miihe gibt. Die Meinung ist weit verbreitet, als 
ob ein geistiges Programm, eine tondichterische Absicht den Vortrag der spaten 
Quartette mehr als beim Opus 59 zu beeinflussen und zu regeln habe. Infolgedessen 
wird mehr Sorgfalt darauf verwendet. Dafi ein Werk wie op. 59 Nr. 2 in der Wieder- 
gabe sehr oft verfehlt wird, hangt eben mit diesen Fragen der Wertung zusammen, die, 
vollig oberfliichlich vorgenommen, zu oft so merkwurdigen Ergebnissen kommt. Die 
letzten Quartette stellen natiirlich eine eigene Welt, einen eigenen Kosmos dar, sie leben 
in einer Atmosphare sui generis. Visionares und Abstraktes, hochste Komplizierung und 
hochste Einfachheit stehen nebeneinander. Sie tragen einen Zug zur Einsamkeit in sich, 
der nicht an Publikum und Konzertbetrieb denkt. Der esoterische Zug der letzten 
Quartette ist so stark, dafi sehr viele Horer ihre konzertmafiige Wiedergabe unter den 
oft entwiirdigenden ungeistigen Bedingungen des modernen Konzertlebens als Profanation 
empfinden. In der Tat leidet die Interpretation der letzten Quartette durch und an 
einer zu grofien Offentlichkeit. 

Die Auseinandersetzung mit der Form der Sonate, mit dem konstruktiven Element 
des einzelnen Quartettes ist relativ einfach. Schwieriger wird schon die Unterscheidung, 
die Erkenntnis der Teile, der Details in ihrem Verhaltnis zum Ganzen. Die primaren 
Verschiedenheiten zwischen dem obligaten Accompagnement, der homophon melodischen 
Satzart, dem durchbrochenen Satz und der polyphonen Arbeit zu kennen und zu er- 
kennen, ist aufierst wichtig, ja unbedingte Voraussetzung fiir die richtige! Wiedergabe. 
Diese hat dementsprechend mehr das Tektonische, Strukturelle, das Thematische oder 
die Farbe, den akustischen Eindruck herauszuarbeiten. 

Uber das Verhaltnis der Detailinterpretation zum Bau im Grofien hort man oft 
sehr verschiedene Ansichten. H. Wetzel spricht dariiber (Beethoven-Jahrbuch II, 77): 
„Das feinste, sensitivste, rhythmische Leben offenbart sich in der Ausgestaltung der letzten, 
kleinsten rhythmischen Einheiten, hier Motive genannt. Erst wer sie richtig und fein 
zu formen versteht, ohne dabei kLeinkramerisch zu werden, ware ein grofier Interpret 
Beethovens. Den Bau im Grofien brauchte ein solcher kaum zu kennen. Wie er sich 
dem Horer nur von fern in der Erinnerung darstellt, so wird er auch vom Spieler am 
leichtesten instinktiv sicher beherrscht. Das Motivkleinleben erfordert aber ununter- 
brochenes, bewufites Arbeiten." Das scheint doch wohl ein Trugschlufi zu sein, der 
das improvisatorische Moment bei der Wiedergabe, das bei der freien kunstlerischen 
Leistung erfolgende Sich-freimachen vom BewuGtsein, gegeniiber der Analyse in ihrem 
Wert fiir die nachschopferische, gefiihlsbetonte Synthese verkennt. Auf den formalen 
Instinkt des Geftihls sich zu verlassen, ist zudem eine sehr unsichere Sache. Busoni hat 
einmal geistvoll darauf hingewiesen: „Worum der Laie, der mediocre Kunstler sich 
nriihen, ist nur das Gefiihl im Kleinen, im Detail, auf kurze Strecken. Gefiihl im 
Grofien verwechseln Laie, Halbkunstler, Publikum (und leider auch die Kritik!) mit 
Mangel an Empfindung, weil sie alle nicht vermogen, gr5fiere Strecken als Teile eines 
noch grofieren Ganzen zu horen. Also ist Gefiihl auch Oekonomie. Demnach unter- 



INTERPRETATION DER STREICHQUARTETTE 399 

scheide ich : Gefiihl als Geschmack — als Stil — als Okonomie. Jedes ein Ganzes 
und jedes ein drittel des Ganzen. In ihnen und fiber ihnen waltet eine subjektive 
Dreieinigkeit : das Temperament, die Intelligenz und der Instinkt des Gleichgewichtes." 

Was fur die Darstellung der einzelnen Quartette bei Beethoven immer wieder 
grofie Schwierigkeiten macht, ist die Auseinanderhaltung der verschiedenen Ausdrucks- 
formen: des Lyrischen, des Dramatischen, des Oratorischen. In der Reethovenschen 
Musik, zumal in den spateren Quartetten, steht oft das alles auf kurzen Strecken neben- 
einander, ein an dermal beherrscht der einzelne Gefiihlskomplex eine grofiere Flache. 
Die eindeutige Festlegung, das Erfassen der Einzelstimmung, das Sie-Hin-Stellen, ihre 
plastische Formung stellt die bedeutendsten und verschiedensten Anspriiche an die geistige 
H6he einer Quartettvereinigung. Aus Inhalt und Form ergibt sich der verschiedene 
Schwierigkeitsgrad der einzelnen Werke. Im cis-moll Quartett z. B. bilden die sieben 
Satze unter sich deutlich geschiedene Stimmungskomplexe, deren Charakter sehr ein- 
deutig ist, innerhalb derer ausdrucksmassig relativ weniger differenziert wird. Die 
Empfindlichkeit der Reaktion, die Weite eben des Empfindens hierfiir kennzeichnen 
eine vollkommene Wiedergabe. Als ein Beispiel im kleinen sei auf die Cavatine aii8 
op. 130 hingewiesen. Capet z. B. singt die Melodie (ohne jede aufiere Hilfsmittel) ganz 
einfach und schlicht. Das molto espressivo ist mehr verhiillt im UnterbewuGtsein 
spiirbar. Die beruhmte Stelle des ,,beklemmt" wird von ihm dagegen fast abrupt 
dramatisch gegeniibergestellt: schon die Art des Pianissimos del - einleitenden Unisono- 
triolen in den drei unteren Stimmen wirkt durch die verborgene Intensitat, die die 
ganze Zeit hindurch anhalt, ungeheuer; das Rezitativ der ersten Geige, selbstverstandlich 
pedantisch steeng im Takt, verschlagt einem den Atem. Busch dagegen singt audi hier mehr. 

Die Ruhe des spatbeethovenschen Arioso ist etwas so Spezifisches und Unver- 
gleichbares, dafi seine Wiedergabe in vollkommener Form tatsachlich jiingeren Menschen 
fast unerreichbar ist. Das Des-Dur Lento aus op. 135, „cantante e tranquillo", in dem 
fiir diese Empfindungswelt bestimmten beethovenschen sotto voce spielte der alte 
Joachim mit einer fast harten Schlichte. Alles andere als weich bringt es auch Rose 
oder Capet. Ein Cellist, der beim Kanon nach dem Wiedereintritt des Des-Dur („Tempo I") 
im Wechselgesang mit der ersten Geige nicht an schonenTon denkt und die acht Takte 
im vollkommensten Piano spielt, einfach „singt", und zwar nicht irgendwie zu „ausdrucks- 
voll" oder betont oder nachdrucklich, sondern nur mit innerster Intensitat des Fiihlens, 
ist — gestehen wir es uns nur ein — selten genug. Ein typisches Reispiel fiir Mifiver- 
standnisse in dieser Hinsicht bietet auch die Interpretation, die der „Heilige Dankgesang" 
aus op. 132 oft erfahrt. Den Choral mit einem zuruckhaltenden, eher abstrakten Ton 
und fast gar keinem Vibrato zu spielen, dagegen als eigentliche Empfmdungstrager die 
Vor- und Zwischenspiele zu behandeln, was sich bis zur „innigsten Empfindung" steigert, 
um dann zum Schlufi in eine schier abstrakte, unirdische Verklarung zu munden-, die 
beiden Andante-Zwischensatze mit dem Ausdruck heiterer Kraft nicht zu sehr zu uber- 
lasten,. sondern ihnen ihre komplizierte und dabei gesunde Zartheit, die eigentiimliche 
Frische zu belassen — das scheint alles ganz selbstverstandlich — wie oft jedoch wird 
es wirklich erfullt? 

Man kann mit Fug und Recht von einer eigenen Technik der Reethoven-Interpretation 
sprechen. Reethovens Streicher-Rehandlung schon ist sehr charakteristisch, aufs bestimmteste 



400 WILLI SCHMID 



von Haydn und Mozart unterschieden. Die Anforderungen an die Technik sind nicht 
nur in einzelnen Teilen gewaltig gesteigert, sondern audi noch gekennzeichnet durch 
einen besonderen Zug zum Ungebundenen, Freien, zur hemmungslosen Entfaltung aller 
instrumentalen Moglichkeiten. Dabei ist Beethoven mehr auf genaue Kennzeichnung des 
Agogischen und Dynamischen ausgegangen, wahrend Mozart z. B. bogentecbnisch (Strich- 
arten, Legati, Staccati) eigentlich genauer bezeichnet. „Das Beethovenscbe Tonideal" als 
Abstraktum einfach so hinzustellen, geht nicht gut an. Es ist in den verschiedenen 
Quartetten ein sehr unterschiedliches. Auf keinen Fall kann man es generell mit der 
Bezeichnung romaritisch oder klassisch abtun. Das Expressive um jeden Preis ist sicher 
durchaus nicht ein besonderes beethovensches Merkmal. Am deutlichsten wird das, wenn 
man die verschiedenen violinistischen Techniken der Beethoven-Interpreten vergleicht. 
Die ungarische und wiener-bohmische Schule schneidet hier besser ab als die eigentlich 
deutsche, soweit man von einer solchen sprechen kann, und wiederum werden sie 
manchmal iibertroffen von der franzosisch-belgischen Schule. Das hangt vor allem mit 
der Ausbildung der rechten Hand zusammen. Aber natiirlich auch mit dem nationalen 
Tonideal. Wir sind gewohnt etwa seit Wagner den klangschwelgerischen, iippigen, grofien 
Ton als besonders schon zu betrachten. Im Sinn des 18. Jahrhunderts ist das eine 
Verirrung. Nicht der grofie Ton an sich schon ist schon. Der voile, runde, aber sirinlich 
klare, unforcierte Geigenton von mehr abstrakter Haltung macht sich zu einem viel 
niiancierteren, ausdrucksreicheren Trager des musikalischen Gedankens. Der Verderb 
des schonen Streichertons hangt natiirlich eng mit der Steigerung des Orchesters und 
mit der modern en Konzertpraxis des Virtuosen turns seit hundert Jahren zusammen. 
Ubrigens hat gerade Wagner das wohl gewufit. Man lese in seinem Aufsatz iiber das 
Dirigieren nach, was er iiber Habenecks AufFiihrung der IX. Symphonie durch das Pariser 
Conservatoire-Orchester schreibt. Schon da wird darauf hingewiesen (allerdings nicht 
ganz richtig, insofern er fiir italienische Schule halt, was typisch franzosisch-belgische 
Auspragung eines romanischen Grundgefiihls ist), wie diese Technik des Ausdrucks 
dynamischer Monotonie fahig sei, wie sie vor allem aber das gleichmafiig starke Aus- 
halten des Tones fordert. (Auch was in diesem Aufsatz Wagners sonst iiber den 
sentimentalen Charakter des beethovenschen Allegros gegeniiber dem naiven des alteren 5 
beispielsweise mozartischen Allegros steht, ist ausserst wichtig.) Die Uberladungen der 
Linie mit Ausdruck, mit Crescendo oder Decrescendo ist einer der gefahrlichsten Fehler 
bei der Beethoven-Interpretation. Man wende nicht ein, Beethoven habe das durch die 
Art seiner Bezeichnungen, die, erklarlicherweise, infolge des Strebens nach Verdeutlichung? 
schier schon Uberbezeichnungen wurden, selbst gefordert. Es kommt ihm wesentlich 
auf Intensitat der Deklamation an. Dafi sein Tonideal fiir das Streichquartett und die 
Kammermusik im iibrigen auf den Kammerton, nicht auf den grofien Konzertton des 
Virtuosen gerichtet war, mufi immer wieder betont werden. Allein die Tatsache, dafi 
in unseren Konzertauffiihrungen, in meist viel zu grofien, akustisch ganzlich ungeeigneten 
Baumen die Beethoven-Streichquartette gespielt werden, hat sicher ein Bedeutendes zur 
allgemeinen Vergroberung beigetragen. Auch die sogenannten „orchestralen" Wirkuagen 
in den Quartetten (sie treten in den spateren Werken immer mehr zuriick) sind relativ 
zu nehmen. Sie brauchen jedenfalls nicht mit grofierem Ton und mehr Aufwand an 
Klang gespielt zu werden als durchschnittlich jetzt die „nicht-orchestralen" Teile der 



INTERPRETATION DER STREICHQUARTETTE 401 

Quartette. Bei fast alien unseren Quartettvereinigungen ist diese ungunstige Beeinflussung 
durcli das Konzertwesen zu konstatieren. 

Eine besondere Betrachtung mufi die Behandlung der Polyphonie in den Beet- 
hoven-Streichquartetten erfahren. Zum Unterschied gegen die vokale Beihung (Sopran, 
Alt, Tenor, Bass) sind die vier realen Stimmen im Streichquartett iiberhaupt auf zwei 
Sopraninstrumente, ein Altinstrument und das Cello als Tenor- tind Bafiinstrument 
verteilt. Diese Verteilung ist bei realer polyphoner Stimmfivhrung kein Vorzug. 
Die Bratsclie dient aber gegebenenfalls auch als Tenorinstrument, das sehr oft selbst 
den Bafi A r ertritt. Das ist bei der klanglichen Darstellung besonders zu be- 
acbten. Die Durchfeilung polyphoner Stellen in klanglicber und damit zugleich in 
formal-darstellerischer Beziehung — die Wicbtigkeit einer erneuten Achtung vor der 
Korperlichkeit des Klangleibes hat besonders August Halm in seinem Beethoven-Buch 
sehr scbon betont — vernachliissigt sehr oft die Tatsache des verschiedenen Klang- 
volumens der einzelnen Instrumente des Streichquartettes. Man spricht wohl vom 
gleichen Grundklang der Geigeninstrumente, iibersieht jedoch, dafi das nur in einem be- 
dingten Mafie der Fall ist, jedenfalls klingt der alte Violenchor (z. B. ein Quartett aus 
Diskant-, Alt-, Tenor- und Bassviolen) viel homogener, in sich geschlossener und ge- 
rundeter als das Streichquartett. Man nehme z. B. den Bratscheneinsatz des Themas 
der SckluSfuge von op. 59 Nr. 3 : sein Piano klingt meist schon zu laut. Hier mufi 
der Bratscber sehr abdampfen, bei aller plastischen Bestimnitheit des Vortrags. Dann 
erst kann der Einsatz der zweiten Geige (Takt 11) das Crescendo poco a poco bringen 
zu dem sich Takt 21 das Cello mit dem Thema nochmals im Piano gesellt. Erst der 
Einsatz der ersten Geige (Takt 31) bringt das allgemeine Forte. Selten hort man diese 
sieghaft glanzende Steigerung wirldich und naturlich, nicht forciert, anftrumpfend, iiber- 
plastisch, sondern als Folge einer in dieser Form nur bei Beethoven zu findenden, etwa 
von der Bachschen grundverschiedenen Anlage fugierter Arbeit. Bei solchen Aufgaben 
hat ein intelligentes Quartett eben auch einen latenten Mangel in der Zusammensetzung 
des Streichquartettes auszugleichen. Auf einem ganz anderen Gebiet liegen die polyphonen 
Schwierigkeiteu der gvossen B-Dur Fuge. Ganz abgesehen von der notwendigen Gegen- 
uberstellung ausserster, innerer und dynamischer Gegensatze. der Strecken unerbittlicher 
eindringlich feierlicher Gehaltenheit im meno mosso e moderato und der unheimlichen 
Kraft und Spannungsentladung im Allegro, mufi als eigentliche Schwierigkeit eben das 
Durcbhalten der inneren Spannung, des geistigen Kraftstroms in der Doppelfuge gelten. 
Beethoven hat in ihr iibrigens dynamisch sehr genau unterschieden. Diese Bezeichnungen 
sind nun aber auch wirldich sinugemafi darzustellen, eine Sache gr5fiter, diszipliniertester 
Technik. Die Unterscheidung zwdschen dem generellen Fortissimo des zweiten Haupt- 
themas und den verschiedenen zu bringenden Alczenten des ersten Themas, das inner- 
halb seines Laufens durch die verschiedenen Stimmen jeweils von Note zu Note von 
Beethoven peinlich genau durchbezeichnet ist, horbar zu machen, dabei im thematischen 
Gegeneinander noch klar zu disponieren, das ist vielleicht die allerschwerste Aufgabe in 
den ganzen Beethoven- Quartetten. (Im ubrigen erscheint als klar, dafi der Weingartner- 
sclie Versuch einer Wiedergabe der Grossen Fuge durch ein Streichorchester den Mikro- 
kosmos der B-dur-Fuge, zu deren Ausdruck die besten Quartettvereinigungen gerade 
noch gut genug sind, zerstort, dafi diesem Versuch eben nur der Wert ernes Experiments 



J 



402 WILLI SCHMID 



zugesprochen werden kann.) Klingler nimmt die Fuge sehr klar, fast pedantisch ge- 
nau, dabei gerade in den Sforzatis oft tiberbetont, im Ganzen etwas abstrakt. Im 
Gegensatz hierzu glanzen die Bohmen durch eine sturmisch-impetuose, vielleicht ober- 
flachliche, aber glanzende Vehemenz. Busch bringt besonders die Pianissimo-Stellen des 
meno mosso zum Klingen: hier legt sein auch im scheinbar ausdruckslosen pp noch 
von einer eigenen inneren ¥arme beseelter, sehr personlicher und deutscher, von Herzen 
kommender Ton die Stimmung fest. Die ideale Verkorperung gibt Capet. Ein derartiges 
ausgewogenes Ganzes, innerhalb dessen jeder Teil fur sich sein eigenes selbststandiges 
Leben fiihrt, dabei dem Vorher und Nachher untriiglich verbunden, diese ganz besondere 
Mischung von Geist und Leben, von hochstem Verstand und grofiter Erlebniskraft ge- 
hort zu den begltickendsten Erlebnissen, zu den seltenen Gipfeln reproduktiver Kunst- 
leistung. Man miifite einmal der Frage nachgehen, wodurch die franzosische „clarte" 
gerade in der Beethoven-Interpretation Triumphe feiert. Es ist diese objektive, sach- 
liche, durchgefedteste Art durchaus nicht Klassizismus oder Kuhle. Vielleicht ist der 
oratorische Ausdruck, das Sprechende, Uberzeugende bei Beethoven schon so weit gesteigert 
und herausentwickelt, dafi eine irgendwie noch steigernde, verdeutlichende, „empfundene" 
Wiedergabe ein Zuviel bringt, das das eigentliche, urtumliche Beethovensche Leben er- 
totet. Wie sehr das z. B. gerade auch bei den Beethovenschen Symphonien der Fall ist, 
ist ja bekannt genug. 

Ahnlich ist es um die Schwierigkeit, die sich aus der vorwiegend auf das Homophone 
gerichteten Erziehung unserer Instrumentalisten bei der Interpretation der Beethovenschen 
Streich quartette ergibt. So ist z. B. die zweite Geige von jeher die Crux des Streich- 
quartettes. Statt Unterordnung kann selbstverstandlich nur Nebenordnung in Frage 
kommen. Sie notigt allerdings den zweiten Geiger zu manchem Verzicht. Eine selbst- 
standige kiinstlerische Personlichkeit von Aktivitat an der zweiten Geige zu haben, ergibt 
jedoch eine so bedeutende Steigerung der Ausdrucksfahigkeit. dafi fur Beethoven sie ge- 
radezu als unbedingt notwendig gefordert werden mufi. Als charakteristisch hierfiir 
denke man an das Capet- und das Busch-Quartett. 

Von jeher hat das Verhaltnis zwischen Farbe und Zeichnung im Streichquartetl 
eine grosse Rolle gespielt. Beethoven vernachlassigt in seinen Vortragszeichen die Kolo- 
ristik durchaus nicht. Man denke an die zahlreichen una corda-Vorschriften. Allerdings 
ist sie ihm nicht Selbstzweck, sondern steht in oft engem Zusammenhang mit der 
Struktur. Ein aufierst aufschlufireiches Beispiel. das man leider trotz der hinweisenden 
Notierung nur selten richtig begriffen hort — auch Joachim schweigt daruber — ist 
die Melodie des „Alla danza tedesca" aus op. 130, wo jeder Einzeltakt mit Schwellung 
von einem Pianotakt gefolgt wird. Ein einfacher Saitenwechsel bei den Pianostellen ist 
von grofiter Wirkung. Ahnliche Stellen finden sich After: op. 92 im Schlufisatz, Takt 11 
und 13 vorm letzten Allegro, das c und des der ersten Violine ; op. 130 im Andante 
con moto, Takt 19, das des der ersten Violine. 

Koloristische Aufgaben stellt auch die richtige Interpretation mancher jener spaten 
Beethovenschen Adagios, deren Haltung grofite Einfachheit, ja fast Sprodigkeit der aufieren 
Tongebung notig macht. Die iibersinnliche, transcendente, kosmische Grofie, der Zug zur 
entriickten Einsamkeit wird schon durch einen Anflug von Pathos der Farbe, erst recht 
durch jegliche Klangschwelgerei oder ein erkliigeltes farbiges Wesen zunichte gemacht. 



INTERPRETATION DER STREICHQUARTETTE 403 

Die Art des Espressivo, die besondere, stille Kantabilitat, die zuriickhaltende Expansion 
soldier unbegreiflich tiefen Stellen miissen aus einer eigenen inneren seelischen Haltung 
fliefien, die sich ins Klangsinnliche direkt iibersetzt. Als Hinweis seien bier zwei schon 
durch die Tonart, durch die bei dem spateren Beethoven so eigen erfiihlten Charakteristika 
des E-dur inBeziehung zu setzende, im iibrigen audi sonst durch ihre geistigeVerwandtschaft 
sich nahestehende Stiicke genannt: das Molto Adagio aus op. 59 Nr. 2 und das aller- 
dings viel kurzere Adagio molto espressivo, die dritte Variation im Adagio aus op. 127, 
fiir beide braucht es ganz bestimmte, in sich abgetonte Farben. Sie werden mitbedingt 
durch Kleinigkeiten wie die Art des Lagenwechsels, der Portamentis. Die Ausdrucks- 
varianten hierdurch sind verschieden und miissen in den verschiedenen stilistischen 
Phasen wechselnd angewandt werden. Damit betritt man allerdings ein Gebiet, wo 
sich die Interpretation in das Reich des rational nicht mehr Festzulegenden begibt. Am 
Portamento kann man den nationalen Akzent nachpriifen. Vorbddlich im Portamento- 
gebrauch ist Busch; er arbeitet instinktiv mit einer ganz reichen Skala von Niiancen, 
deren starkste noch nicht jenes feine Ma6 iiberschreitet, fiir das wir in Deutschland 
besonders empfindhch sind. Capet gebrauchte friiher das Portamento als Ausdruckstrager 
weniger, jetzt mehr, oft in einer fiir uns schier storenden, zum mindesten ungewohnten 
Art und Weise. Das gehort aber in das Kapitel, wo die Werturtede aufhoren. 

Eng zusammen damit hangt die Frage der Dyn,amik. Hier wird aUerdings das 
Meiste gesiindigt bei homophonen Partien. Beethoven hat die nicht-melodiefiihrenden 
Stimmen zumeist mit den gleichen dynamischen Bezeichnungen versehen wie den Melodie- 
trager. Es ist eine Selbstverstandlichkeit, dafi die melodiefiihrende Stimme als iiber- 
geordnete etwas heraustritt, leiser begleitet wird. Das macht bei der durchbrochenen 
Arbeit der mittleren und spaten Quartette manchmal Schwierigkeiten, vor allem dann, 
wenn die Analyse ungenau war. 

Die Frage der Tempobehandlung lafit sich auch im Zusammenhang mit der 
stilistischen Interpretation erortern. Hier kann nur betont werden, dafi kein Tempo an 
sich unumstofilich, mit metronomischer Eindeutigkeit feststeht; nirgendwo gelten relative 
Moglichkeiten nebeneinander so sehr als hier. Im Allgemeinen besteht heute immer noch 
die Gefahr, die langsamen Satze zu breit, die schnellen Satze zu beschleunigt zu spielen. 
Ein bekanntes Beispiel hierfiir ist das Allegro comodo, der Schlufited des letzten Satzes 
von op. 127, ein Allegro, das man eher als Andante bezeichnen wiirde, gemachlich, ja 
nicht eilig. Die Verballhornungen werden dadurch noch grotesker, da6 die durchbrochene 
technische Arbeit in der Sechzehntel-Triolenbewegung bei etwas schnellerem Tempo un- 
moglich herauskommen kann. Als Gegenbeispiel die Einleitungsfuge des cis-moll-Quartetts, 
wo es zum guten Ton gehort, nicht nur frei hach Wagners Deutung weltschmerzlich und 
duster sich zu gebarden, sondern auch das alia breve-Zeichen zu iibersehen und doppelt so 
langsam zu spielen als vorgeschrieben. Nirgendwo als bei Beethoven sind ferner die 
leichten agogischen Temposchwankungen als Kunstmittel so sehr mifibraucht worden. 
Auch die Unterscheidung zwischen der Pause als Ruhe- und als Spannungsmoment ist 
sehr wichtig. Das Gefiihl fiir das Schwergewicht der Bewegung innerhalb des einzelnen 
Satzes braucht bei Beethoven intensive Pflege. Die Tempobewegung regelt in etwa auch 
den rhythmischen Ablauf. Dieser wiederum steht und fallt mit einer gepflegten Bogen- 
technik. Die besonders charakteristische komplementare Rhythmik ist bei den Beet- 



404 AVILLI SCHMID 



hovenschen Quartetten ein Studium fiir sicli. Hier sei beispielsweise nur auf op. 59 Nr. 2 
hingewiesen, wo schon im ersten Satz eine komplizierte Verschiebung vor allem auch 
in Hinsiclit auf den tektonischen Schwergewichtszusammenhang gestaltet werdeu mufi. 
Eines der schonsten Beispiele bvingt dann das Allegretto im gleichen Quartett. Fast 
alle Quartettvereinigungen mit Ausnahme von Rose und Capet spielen es zu sclmell, 
zu virtuoa. Dadurch wird die Delikatesse, die Grazie dieses sich erganzenden, subtilen 
rhythmischen Gegeneinanders und Zueinanders so gut wie vernichtet. 

Mit der romantiscb iibertreibenden Interpretation des letzten Jahrhundertviertels 
bat sicli audi die bekannte Uberbetonung des Beethovenschen Sforzatos eingescblichen, 
August Halm nimmt gerade hierzu in seinem Beethoven-Bucb ausfiihrlicb Stellung. Ohne 
Zweifel ist das Beetbovensche Sforzato eine Eigenart von ihm, etwas, was in dieser 
Form weder bei Haydn nocb gar bei Mozart vorkommt, Die Beethovenscbe Notation 
mag im iibrigen ihr Teil zur MiCdeutung beigetragen haben. ¥enn man vergleicbt, so 
ergibt sicb bei Mozart eine viel feiner ausgebildete Unterscheidung in der Anwendung 
des Sforzatos. Mozart unterscheidet etwa blofi in den Quintetten folgende Arten : 
(Notenbeispiel 1.)* 

Beethoven tiberlafit dem Takt des Ausfuhrenden viel mehr. Die Belativitfit seines 
Sforzatos im Piano, wo wir heute blofi ein < - Zeicben setzen wiirden, wird viel zu 
wenig beacbtet. Das Sforzato darf hochstens eine Stufe lauter als die Starkegrade der 
Umgebung sein. Graphisch dargestellt ergabe das ungefahr folgendes verdeutlicbendes 
Ausfiihrungs-Bild : (Notenbeispiel 2.)* 

Die verschiedene Art der Notierung bei Beethoven mache man sich einmal an 
den verschiedenen Sforzatobezeichmmgen im cis-moll-Quartett klar. Gleich in der Ein- 
gangsfuge ist der Sinn des am Ende eines Crescendos stehenden Sforzatos vollkommen 
zu verderben, wenn man es nicbt eben relativ versteht. Takt 37 findet sich das erste 
rfz, ebenfalls am Ende eines Crescendos. Das Rinforzando zur Betonung des leichten 
Taktteiles begegnet uns im gleichen Satz Takt 62 und 63; ahnlich wird es in dem 
Ubergangssatzchen Nr. 3 Takt 10 gebraucht. Wie wenig im Durchschnitt auch die 
Wiedergabe durch bendimte Quartette auf solche scheinbare Kleinigkeiten Wert legt — 
es gibt gerade hier keine Kleinigkeiten. Solche 1 Dinge wie das Sforzato bei Beethoven 
bdden ein richtiges Schibboleth fiir die Wiedergabe. Man spreche nicht von Uber- 
differenzierung und Haarspalterei ! Die muhevolle Kleinarbeit bleibt ja nicht Selbstzweck, 
sondern ordnet sich dem Grofieren, der durchgeistigten, klanglichen Bealisierung unter. 

Beethoven hat mit seinen Streichcpiartetten der Technik der Geige in ihrer reinsten 
und verfeinertsten Form ein ungeheures Arbeitsgebiet erschlossen. Es ist auch als solches 
betrachtet, nicht blofi vom musikalischen Wertstandpunkt aus, unvergleichlicli. Ja, wenn 
man das sagen darf, ohne mifideutet zu werden, die Interpretationsarbeit an den Streich- 
quartetten Beethovens ist deswegen so ungeheuer wichtig, wed der Gegenstand den 
hochsten und wichtigsten Gipfel in Beethovens Schaffen tiberhaupt (trotz der Symphonien, 
trotz der Missa solemnis) der fiir ihn besonders aufgesclilossenen Gegenwart vermittelt. 
Fiir die reinste Form der Kammermusik bleiben die Streichquartette Beethovens die 
Aufgabe kat'exochen, des Schweifies der Edlen wert. 



Siehe Notenbeilage 



:••' 



ZUM BEETHOVENBILD DER GEGENWART 4C5 

Wolfgang Engelhardt (Berlin) 

ZUM BEETHOVENBILD DER GEGENWART 

Daft das Objekt in die Bewufttseins-, Erkenntiiis-, Erlebnissphare gelangen muft 
urn Gegenstand des Erkennetis, des Erlebens zu werden, ist evident; (der transcendentale 
Vorgang des Vorstellens liegt erkeimtnismethodisch aid' einer anderen Ebene). Daft des- 
halb die Beziehung, die so zu dem Objekt geschaffen wird, eine Funktion zahlloser 
Groften ist, oder die Surame von nach Grofie und Bichtung vielfach nicht bestirambaren 
Krafte-Komponenten, daft jene Bezugsetzung deshalb in ihrer Totalitat ganz imd gar 
irrational ist, bedarf leider immer wieder der Feststellung. Nur die Elemente, welch e 
die Form ausraachen, unterliegen Norm en, die deshalb audi diskutabel sind. Diese allein 
scblieften audi die einer anders als formalen Interpretation nur zu gefahrliche asthelische 
Wertung aus. 

Schon zu Lebzeiten Beethovens wurde aid' dem Wege der niclit formal-geistigen 
Analyse, dort aus einer auf Gefiihlswerte im Kunstwerke abgestellten, also subjektiv 
wertenden Interpretation heraus ein Begriff ,,Beethoven" prajudiziert (E. Th. A. Hoffmann, 
Schumann), der als Exponent eines geistigen Gesamtwdlens — „Bomantik" — fur diesen 
zweifellos Giiltigkeit batte. Daft formal ohne Not ein Zwang dazu nicht vorhanden ist, 
ist ja dann selir bald zu beobacliteu ; von wenigen liedbaften Themen abgesehen — die 
naturlich langst kein Kriterium fur eine romantische Gesinnung bedcuten — ist der 
Auf bau, allerdings bei often er Form, durcbaus bewuftt, geschlosscn, tektonisch. 

Jene romantische Interpretation, so unzulanglich in formaler Hinsicht sie ist, hatte 
so lange Berechtigung, als sie der geistig-seelisehen Haltung ihrer Generation entsprach. 
Ein anderes bedeutet sie aber fiir eine Generation, die von Erfindergeist und -freude 
beseelt mit Akribie die philologisch-archivalische Quellenforschung betrieb, die sich Ge- 
samtausgaben schuf und die Monumenta von Pyramidenformat anzulegen daranging. 
In die materialistisch-rationalistische Gebundenbeit historistischer Observanz sucbte sie 
einen Best des reich cpiellenden Gefuhlsuberschwangs der Vorfahren hinubei' zu retten: 
Sie erfand dafiir die literarisch-poetische Interpretation (Wagner!) — „Pseudoromantik"; 
eine Interpretation, die mit alien Schwachen subjektiv-asthetiscber Wertung behaftet 
iiberdies ihre Zuflucht zu aussermusikalischen, spezifisch rationalistisch-sentimcntalischen 
Erklarungen nimmt. 

Diese Interpretation hat uns im Laufe der Jahre einen Beethoven beschert, der 
nur mehr ebeu literarisch-poetisch, d. h. auf dem Umwege iiber die Beflexion „erlebt" 
wird: Die gesamte Literatur von gestern (von Wagner iiber La Mara, Wasielewsky, 
Thomas-San-Galli, Ernest bis zu dem Bekkerschen „Beethoven" von 1911) ist in dieser 
pseudoromantischen Anschauung befangen. Sie hat zur Festlegung von Wertbegriffen 
und Anschauungen gefiihrt, die, Beethoven manchem Kunstfreund und nianchem Kiinstler 
erstaunlich weit etitfremdet haben, sodaft sogar von seiner „unvollkommenen Musik" ') 
die Bede ist. 

Wir haben inzwischen die strenge Schule Husserls durchgemacht ; die Geschichte 
bildender Kmist, die Literatur geschichte und die Musikgeschichte sind langst nicht mehr 

') Maurice Ravel in „Die Literarische Welt" Jg. 3 (1927), Nr. 12 Seite 4 (Beedioven in der Meinung 
tier jungen Musiker. Eine Rundfragei 



406 WOLFGANG ENGELHARDT 

nur Geschichte der Kiinstler, der Kunstwerke oder Geschichte der a priori zu setzenden 
„Ideen", sondern sie sind Geisteswissenschaft (schon bei Troeltsch) ; die Begriffe „Komplex", 
„Gemeinschaft" haben endlich zur Fiktion der „Generation" gefiihrt (Cysarz, Pinden 
Peters, Lorenz); alles drangt iiber die Ersclieinung und ihre soziologische Bedingtheit 
zur intuitiven Schau (Holzapfel, Utitz). — In dieser Wandlung liegt eingeschlossen, dafi 
unsere Stellung auch und gerade zu Beethoven jener geistigen Haltung adaquat sein 
mufi. 

Das Beethovenbild, welches sich in Publikationen, Beden und Programmen 1920 
und besonders 1927 dokumentiert '), sieht noch vielfach anders aus, als das Bild aus 
formal-geistiger Analyse, phanomenologischer Erkenntnis und intuitiv wesenhafter Schau. 
Jene andere, pseudoromantische Vorstellung, die fur uns eine wiUkiirliche, gewaltsame 
und entstellende ist, muB als die einer alteren Generation angesehen werden; es braucht 
mehr als „25 Jahre neue Musik", bis eine neue Vorstellung umfassender Geltung 
sich bildet. 

Gewifi aber stellen sich die schon lange nicht mehr latenten Gegensatze zwischen 
der sozusagen traditionellen und jener gegenwartig ausserst aktiven Anschauung zu, 
welche auf eine Sauberung 2 ) von der pseudoromantischen, literarischen Patina der 
Musik abzielt, was besonders in den Periodica seinen Niederschlag fand. Nach wie 
vor, immer in Superlativen, gilt Beethoven dort — je nach der kulturpolitischen oder 
weltanschaulichen EinsteUung 3 ) — als Erzieher zum Deutschtum, zur Beligiositat, zum 
Staatsbiirger und zu mancher anderen ethischen Kalegorie — fast durchweg, ohne da£ 
von der Musik die Bede ist. Mit anderen sind, von den Fachzeitschriften abgesehen, 
die „Sozialistischen Monatshefte" 4 ) ruhmend auszunehmen. — Die Buchproduktien bleibt 
bei weitem hinter dem so uberreichen Zeitungs- und Zeitschriftenmaterial zuriick; zu 
zitieren sind immer wieder die kleine instruktive Schrift des Schrifdeiters dieser Zeit- 
schrift und Halm. 6 ) 

Da£ diese phanomenologisch-soziologisch bzw. geistig-formal gerichtete Literatur 
ihrem Umfange nach langst nicht der tatsachlichen Lage entspricht, ist unzweifelhaft. 
Umsomehr miissen wir wiinschen, recht bald das Beethovenbuch zu erhalten, das uns 
gemass ist. 



!) Kastner, Emerich : Bibliotheca Beethoveniana. 2. Aufl. m. Erg. u. Forts, von Theodor Rimmel, 
Leipzig 1925. 

Losch, Philipp: Beethoven-Literatur 1914-1922. Neues Beethoven-Jahrbuch Jg. 1 (1925) S. 202 ff. 

Die Musik Jg. 19 (1927) S. 592 ff. 

2 ) Schraitz, Arnold: Das romantische Beethovenbild. Berlin und Bonn 1927. 

s) Z. B. Preufiische Jahrbucher, Bd. 207 (1927) S. 340 ff. ; Der Kunstwart Jg. 40 (1926 - 1927) S. 353 ff. ; 
Deutsche Rundschau, Bd. 210 (Jg. 53) (1927) S. 235 ff. usw. S. a. Sandberger, Adolf: Das Erbe Beethovens 
und unsere Zeit; Bede in Bonn am 26. 3. 1927; abgedr. Neues Beethoven-Jahrbuch Jg. 3 (1927) S. 18 ff. 

4) Kurt Weill in Sozialist. Monatshefte 1927. S. 193/4. 

») Mersmann, Hans: Beethoven. D. Synthese d. Stile. Berlin o. J. (Kulturgesch. d. Musik in Einzel- 
darstellungen). 

Halm, August: Beethoven. Berlin 1927. 



EIN MOSKAUER SKIZZENBUCH VON BEETHOVEN 407 

M. Iwano w-Boretzky (Moskau) 

EIN MOSKAUER SKIZZENBUCH VON BEETHOVEN 

Die russische Literatur enthalt einige Hinweise darauf, dafi ein Teil der Hand- 
schriften Beethovens seiner Zeit nach Rufiland gelangt sind. 

Noch im Jahre 1 900 hatten eiriige Moskauer Musiker — der Komponist S. J. T a n e - 
jew und der Erforscher der alten russischen Kirchenmusik S. W. S mole n ski — Ge- 
legenheit, in einer Privatsammlung eines gewissen Wenewitinow (eines Enkels mutter- 
licherseits des in Rufiland bekannten Musikliebhabers Graf M. J. Wjelgorski, 1788 — 1856) 
ein Skizzenbuch zu sehen, das in die ersten Jahre des 19. Jahrhunderts zu stellen ist. 
Es enthalt Skizzen zum Oratorium „Christus am Olberge", Variationen in Esdur u. a. 

Von diesem Buche wufite G. Nottebohm, der es durch eine dritte Person im 
Jahre 1876 von der Mutter Wenewitinows auf drei Wochen erbat Im Jahre 1900 
tauchte der spater nicht verwirklichte Vorschlag auf, das Skizzenbuch durch die Firma 
Bjelajew in Leipzig zu veroffentlichen. 1 ) In den Handen des obenerwahnten Wjelgorski 
waren noch einige Handschriften Beethovens, deren Spur jedoch spater audi verloren 
gegangen ist. Eine betrachtliche Anzahl Beethovenscher Handschriften befanden sich 
sodann im Besitze irgend eines Sammlers in Odessa; und schliefilich tauchte in der 
allerletzten Zeit in Tageszeitungen die Kunde von einem kiirzlich entdeckten Vor- 
handensein Beethovenscher Handschriften in Leningrad auf. 

Im Jahre 1 922 wurde bei der Durchsicht von verschiedenem Material, das aus den 
Sammlungen von Emigranten ins Zentralarchiv gekommen war, ein Skizzenbuch Beet- 
hovens gefunden. Als das in Professoren-Kreisen des Moskauer Staatlichen Konser- 
vatoriums bekannt wurde, (dessen Museum dieses Skizzenbuch ubergeben worden war), 
war der erste Gedanke der, dafi es dasselbe Skizzenbuch ware, das im Jahre 1900 sich 
im Besitze Wenewitinows befand. Es zeigte sich jedoch, dafi das nicht der Fall war. 

Das im Jahre 1922 gefundene Skizzenbuch befand sich in einem Pappfutteral; das 
Heft selbst (29X15,5 cm grofi) hat einen harten Pappeinband mit Goldschnitt und triigt 
in der Mitte des Einbandes in goldenen Buchstaben die deutsche Inschrift „ Beethovens 
Handschrift". Das Heft enthalt 50 Notenblatter, die anscheinend nicht von der 
Hand Beethovens durchnummeriert sind. Die letzten 22 Seiten weisen grofiere 
Zwischenraume zwischen den einzelnen Notenlinien auf. 2 ) Nach genauer Durchsicht des 
ganzen Heftes ergab sich, dafi die Seiten 1—28 Skizzen zum a-moll Quartett, op. 132, 
die ubrigen Blatter aber Entwurfe des B-dur Quartetts, op. 130, enthalten. Da die 
erste Seite eine Skizze zu „Heiliger Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit" bringt 

J ) Eine Reihe von Nachrichten fiber das personliche Bekanntwerden Wjelgorskis mit Beethoven in 
Wien im Jahre 1808 und iiher die ihm gehorenden Handschriften des Meisters finden sich in dem Aufsatze 
von M. Alexejew „Russische Begegnungen und Verbindungen Beethovens" in dem „ Russischen Buch 
fiber Beethoven", das zur Jahrhundertfeier seines Todestages von der Staats-Akademie der Kunstwissen- 
schaften heransgegeben worden ist. 

2 ) Ein Faksimile aller 50 Seiten des Skizzenbuches erschien 1927 in Nr. 1—2 des Journals des 
Moskauer Staatl. Konservatoriums „Musikalische Bildung" (Russisch und Deutsch). In Deutschland ist das 
Journal bei dem Buchhandler und Antiquar K. W. Hiersemann, Leipzig, Xonigstr. 29, erhaltlich. 

Einen kurzen Bericht fiber dieses Skizzenbuch gab ich auf dem Musikhistorischen Kongreft in Wien 
im Marz 1927. 



408 M. IAVANOW-BORETZKY 



und wir wissen, dafi in jener Zeit Beethoven etwa Mitte April 1825 ') durch eine 
Krankheit an das Bett gefesselt wurde, so geht darans hervor, dafi das Heft Ende April 
oder Anfang Mai 1825 begonnen ist. Die letzten Aufzeichnungen auf den ersten 
28 Seiten konnen wiederum niclit spater als Anfang August gemacht worden sein. Denn 
schon am 11. August zeigt sich Beethoven in einem Briefe an seinen Neffen iiber das 
Schicksal des Quartettes beunruhigt, dafi er Holz 2 ) zur Abschrift gegeben hatte. Ende 
August driickt Beethoven in Briefen an seinen Neffen und an Holz die Zuversicht aus, 
dafi das B-dur Quartett Anfang September fertig sein werde; „eine Hoffnung," so sagt 
Thayer, „in der er sich wie in manchen anderen Fallen, getauscht sah."' ! ) In Wirklich- 
keit war die Partitur des Quartette nach Thayer zwischen September und November 
fertig. Im November findet sich im Gesprachsbuch schon der Entwurf zu einer Uber- 
schrift fiir dieses Quartett, das wahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt vollstandig fertig 
vorlag. 4 ) 

Vorausgesetzt, dafi es sich bei dieser Arbeit von Anfang an um das B-dur 
Quartett handelt, so kann man behaupten, dafi die Aufzeichnungen auf Seite 29 — 50 
unseres Heftes in den August zu stellen sind, wenn nicht etwa die Arbeit an beiden 
Quartetten a-moll und B-dur zu gleicher Zeit vor sich ging. 5 ) In diesem Falle gehoren 
alle Aufzeichnungen in die Sommermonate des Jahres 1825. 

In Nottebohms Beethoveniana II fehlen die Skizzenheftc, die ein Bindeglied 
zwischen den Untersuchungen des Aulsatzes ,,Ein Skizzenheft aus dem Jahre 1824" und 
dem Artikel „Sechs Skizzenhefte aus den Jahren 1825 und 1826" gewesen waren. Das 
Heft von 1824 endigt mit Entwiirfen zum 1. Teile des a-moll Quartette, in den Heften 
des Jahres 1825 dagegen finden sich Skizzen zu den letzten Teilen des B-dur Quartette. 
Im Jahre 1905 gibt De Bo da in der ,,Bivista Musicale Italiana" in dem Aufsatz „Un 
quaderno di autograft di Beethoven del 1825" eine Beschreibung und Analyse des Heftes 
vom Jahre 1825, das sich in seinem Besitze befand. Dieses Heft, das von Wien nach 
Spanien gelangte, besteht nach der Beschreibung von de Boda aus 40 Bogen Noten- 
papier von dem ublichen langlidien Format (32X25 cm). Ein Teil ist mit Bleistift, ein 
anderer mit Tinte geschrieben. Auf der ersten Seite befinden sich Skizzen zum Kinale 
des Es-dur Quartette, op. 127. Dann erscheinen solche fiir das Andante und Finale 
des a-moll Quartette und schliefilich fiir das Molto Adagio. Auf Seite 38 beginnen die 
Entwiirfe fiir den ersten Teil des B-dur Quartette, darauf die fiir das Presto, fiir das 
Andante con moto, die Kavatine und die Schlufifuge. 

Aus der Beschreibung des Heftes von de Boda und seinem Vergleich mit dem 
unsrigen geht klar hervor, dafi beide Hefte zusammen die Liicke in Beethovens Ent- 






*) Thayer, Ludwig van Beethovens Leben (Deiters-Riemann), 5. Band, 1908, S. 158 und 192. 

2 ) „Von Holz hore ich nichts . . . welch schrecklicher Zufall, wenn er es verloren hatte, ... So 
geschwind als moglich - beruhige mich -. Schrecklicher Verlust, auf nichts als kleinen Fetzen ist das 
Konzept geschrieben, und nie mehr werde ich imstande sein, das Ganze so zu schreiben". a. a. O. S. 542. 

3 ) Thayer, a. a. O. S. 543, 231, 228 

4 ) Derselbe, a. a. O. S. 319, 280 

) \ ergl. die Worte P. Mies' (Die Bedeutung der Skizzen Beethovens ziir Erkenntnis seines Stiles, 
Leipzig, Br. & H. 1925 S. 133) fiber die oft gleichzeitig verlaiifende Arbeit Beethovens an mehreren Werken, 
Ebenso die Bemerkung von G. No t'teboh m (Ein Skizzenbuch von Beethoven aus dem Jahre 1803, Leipzig. 
Br. &H. 1880, S. 4-5). 



EIN MOSKA.UER SKIZZENBUCH VON BEETHOVEN 409 

wiirfen schliefien, die noch Nottebohm festgestellt hat. Es erscheint interessant, die 
Frage zu losen, in welchem Verhaltnis diese beiden Hefte zueinander stehen, von denen 
das eine in den auGersten Westen Europas — nach Spanien — gelangte, und das 
andere im weiten Osten — in Rufiland — aufgestobert wurde, als ob dadurch die 
weltumspannende Bedeutung des Beethovenschen Genius symbolisiert werden sollte. 

Aus Erzahlungen von Dr. Spicker, der Beethoven im Jahre 1826 besuchte, wissen 
wir, wie der Meister das Skizzenbucb benutzte. 1 ) Man konnte sich vorstellen, dafi unser 
Heft — von nicht grofiem Format mit ausschliefilich Bleistift-Aufzeichnungen — zu 
denen gehort, die Beethoven nicht nur zu Hause, sondern auch auf Spaziergangen be- 
nutzte. Das Heft de Rodas wiederum, das grofieren Formates ist und nicht nur mit 
Bleistift sondern auch mit Tinte geschriebene Skizzen enthalt, hatten wir zu denen zu 
stellen, in denen Beethoven zu Hause am Schreibtisch arbeitete. Um den Versuch zu 
machen, wenn auch nur vorlaufig das Verhaltnis beider Hefte zueinander aufzuklaren, 
ist es notig, die in beiden enthaltenen Entwiirfe einander gegeniiberzustellen. 

Quartett a-moll Molto adagio. De Roda fiihrt eine Skizze an, in der Beethoven 
das Thema sucht, das die dritte Durchfuhrung des Chorals begleitet: (Notenbeispiel 1)*. 

Er kommt daim zum Bhythmus dieses Themas (Notenbeispiel 2)*. 

Dasselbe Thema findet sich auch in unserm Heft (Seite 3) fast in der endgiiltigen 
Fassung: (Notenbeispiel 3)*. 

Fur das Andante finden sich bei de Roda eine ganze Menge Skizzen. In unserm 
Hefte dagegen konnte man wegen seiner manclimal sehr grofien Unleserlichkeit nur zwei 
feststellen, die zu diesem Teile des Quartetts gehoren (Seite 1 und 2). (Notenbeispiel 4)*. 

Alia marcia ist im Heft de Bodas nur an zwei Stellen vertreten, in unserem 
dagegen recht oft. So gelt en dem Bezitativ (Piu allegro und dann Presto) 
eine ganze Reihe von Aufzeichnungen. Die interessanteste ist die mit dem Ubergang 
zum Finale, das hier — wenn man meine Lesart des Schlufies der 5. Seite richtig ist — 
folgende Form hat: (Notenbeispiel 5)*. 

Bei de Roda finden wir drei Varianten dieser Stelle und jedes enhalt 2 Zwischen- 
takte in 3 /4 Takt nach der Fermate des letzten Taktes des Rezitativs, wie das z. B. aus 
der dritten Variante ersichtlich wird: (Notenbeispiel 6)*. 

In der endgiiltigen Fassung hat diese Stelle bekanntlich die folgende Form : (Noten- 
beispiel 7)*. 

Das heifit: diese zwei ersten Takte des Allegro nutzen das Motiv des Thema nicht 
aus, sondern stellen nur den Rhythmus des Anfanges vom Finale her. Aufierdem ist 
hier fur die 1. Violine ein Solo-Takt Poco adagio eingefuhrt, dazu eine Fermate. 

Der Beschreibung der Entwiirfe fiir das Finale widmet de Roda zwolf Seiten 2 ) und 
fuhrt unter anderem eine Stelle von 76 Takten Lange an. Diese Skizze (oft ist die voile 
Harmonie mit angegeben) entsprechen 89 Takten in der endgiiltigen Gestalt vom 

*) „das er, wie er uns sagte, auf Spaziergangen immer bei sich trug, um, wenn ihm 
irgendein musikalischer Gedanke einfiel, ihn mit Bleistift sogleich darin anzumerken. Es war voll von ein- 
zelnen Takten von Musik, angedeuteten Figuren usw. Mehrere grofie Biicher der Art lagen auf dem Pulte 
neben seinem Pianoforte, in die langere Fragmente von Musik eingeschrieben waren". (Thayer, a. a. O .S. 371) 

2 ) op. cit. a. a. O. S. 96-108 

*) Siehe Notenbeilage. 



410 M. IWANOW-BORETZKY 



3. Takte bis zur zweiten Durchfiihrung des Themas. Eine lange* in die endgiiltige Form 
vollstandig iibernommene Aufzeiclmung haben wir in unserem Hefte nicht. Dafiir ent- 
halt es aber die Formung zweier Stellen, die bei de Roda noch in ganzlich unentwickeltem 
Stadium zu finden sind. Auf Seite 6 unseres Heftes verzeichnet namlich Beethoven fur 
die 2. Geige f— e (Notenbeispiel 8)* 

Bei de Boda sieht die Stelle noch so aus (Notenbeispiel 9). 

Auf Seite 21 unseres Heftes fmdet sich sodann folgende, mit der endgultigen Form 
identische Partie des Violoncellos (Notenbeispiel 10)*, wahrend bei de Boda noch 
(Notenbeispiel 11)* steht. 

Bemerkenswert ist noch die Variante der zweiten Phrase des Hauptthemas. Sie 
ist auf Seite 3 unseres Heftes sechstaktig (Notenbeispiel 12)*. 

Auf Seite 7 ist sie bereits achttaktig, aber bei der Wiederholung trotzdem noch 
sechstaktig (Notenbeispiel 13)*. 

Bei de Boda stehen in dieser Phrase iiberall Achttakte, und rhythmisch ist sie 
dieselbe wie in der endgultigen Fassung. Diese Phrase fand noch Nottebohm 
(Beethoveniana H. Seite 549) im Skizzenbuch von 1824 in einer Gestalt, die der end- 
gultigen nahe steht. 

B-dur-Quartett. An Skizzen fiir dieses Quartett enthalt das Heft de Bodas 
einige : sie fiihren nicht bis zur Auslegung des zweiten Themas. De Roda bemerkt dazu : 
„Hier endet die Arbeit am ersten Teil. Ob sie in einem anderen Hefte fortgesetzt wurde, 
das konnen wir nicht mit Sicherheit sagen. Nottebohm weist auf kein einziges von 
diesen Heften hin." 1 ) Die Skizzen unseres Heftes umfassen nun audi das zweite Thema 
des ersten Teiles, so dafi sich de Rodas Vermutung zum Teil bestatigt hat. 

Bemerkenswert ist, dafi im Hefte de Bodas sich Aufzeichnungen fiir eine Bewegung 
in Sextolen finden, die weder in unserem Hefte noch in der endgultigen Form vor- 
kommen (Notenbeispiel 14)*. 

Bei de Boda sind ferner alle Entwiirfe in dreiteiligen Takten, wahrend bei uns 
nach vielen Stellen mit 8 /4-Takt, Beethoven endlich zum i ji tibergeht, der auch in der 
entgiiltigen Form beibehalten worden ist. 

Aus dem Gesagten ergibt sich mit geniigender Wahrscheinlichkeit folgendes : 

1. Fiir einige der vier letzten Teile (nach der Einteilung Beethovens 2 ) des a-moll- 
Quartetts sind bei de Boda mehr Aufzeichnungen vorhanden, fur einige andere in dem 
unsrigen. 

2. In gewissen Fallen sind die Skizzen bei Boda der endgultigen Form des Quartetts 
naher, in anderen Fallen unsere Entwiirfe. 

3. Fiir den ersten Teil des B-dur-Quartetts gehen unsere Aufzeichnungen weiter, 
indem sie auch noch das 2. Thema dieses Teiles beriihren. 

Hieraus kann man den wahrscheinlich richtigen Schlufi ziehen, dafi die Hefte beide 
gleichzeitig benutzt worden sind und keins von beiden dem Stadium der Arbeit 
nach vor der endgultigen Bedaktiori alter erscheint. Dieser Schlufi wird indirekt durch 
die oben angefiihrten Worte aus dem Briefe Beethovens an seinen Neffen bestatigt: 
„Auf nichts als kleinen Fetzen jst das Konzept geschrieben". An Tatsachlichem geben 



•) op. cit. S. 602 

8 ) „Das dritte Quartett (B-dur) erhalt auch (wie a-moll) 6 Stiicke" (Thayer, op. cit. S. 543.) 



411 




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414 , ALFRED ROSENZWEIG 



beide Hefte — weder das unsrige noch das von de Roda — etwas Endgiiltiges. Der 
zweite Schlufi ist der, dafi wahrscheinlich noch ein Skizzenbuch von Taschenformat 
existiert hat, das die Fortsetzung unseres Heftes darstellen wurde und auch die Auf- 
zeichnungen zur Ausarbeitung der Reprise des ersten Teiles und der iibrigen des B-dur- 
Quartetts enthalten konnte. Man kann wohl nur schwer annehmen, dafi Beethoven bei 
der weiteren Arbeit iiber diesem Quartett eines solcbem Heftes entbehrt hat und nur 
das eine benutzte, d. h. dasjenige, das uns de Roda beschrieben hat. 

Im Allgemeinen bestatigt die Gegeniiberstellung beider Hefte mit der endgultigen 
Redaktion von neuem das schon fruher bekannte Arbeitsverfahren Beethovens und zu- 
gleich den Umstand, dafi er von alien aufbauenden Varianten die am meisten vollendete 
stets in die endgiiltige Fassung nahm. 

Zum Schlufi sei es mir gestattet, einige Seiten aus unserem Skizzenbuch vorzulegen, 
deren Verwendung in irgend einem der Beethoven'schen Werke festzustellen, mir nicht 
gelungen ist. 

Seite 36 des Skizzenbuches (Notenbeispiel 15; siehe S. 411). Die Unterschrift unter 
der ersten Z'eile ist wohl als „zweiter Teil in ges" zu lesen. Es ist nicht ausgeschlossen, 
dafi dieses Stuck zum zweiten Thema des ersten Teiles des B dur-Quartetts gehorte, 
als der ganze Teil noch im 8 /4-Takt gedacht war. 

Seite 39 des Skizzenbuches (Notenbeispiel 16; siehe S. 411). Darf man vielleicht 
annehmen, dafi dieses Stuck in C-dur fur die 10. Symphonie bestimmt war? Seite 45 
des Skizzenbuches (Notenbeispiel 17; siehe S. 413). 



Alfred Rosenzweig (Wien) 

EIN UNBEKANNTES SKIZZENBLATT BEETHOVENS 

Die Spezialliteratur iiber die Skizzenbucher Beethovens hat im Anschlufi an die 
gi'undlegenden Arbeiten Nottebohms die Kenntnisse des grofien, neugesichteten Materiales 
urn sehr Wesentliches erweitert. Gewisse Grundvorgange der kompositorischen Arbeit, 
so wohl aufierliche der Notierungsweise, als auch innere der Wandlungen eines Themas 
vom Aufleuchten der ersten Eingebung an iiber die Zwischenstufen der rein gedank- 
lichen Verarbeitung bis zu jenem Stadium, da seine Einordnung in eine schopferische 
Kompositionsidee erfolgte, sind an vielen Einzelbeispielen klargelegt worden und gaben 
neue chronologische Anhaltspunkte zur Entstehungsgeschichte mancher Werke. 

Insbesondere das vielfach festgestellte, eigenartige Phanomen, dafi Beethovens In- 
spiration Einfalle zeitigte, die nicht sofort zur Verwendung gelangten, sondern erst um 
viele Jahre spater aufgegriffen und unter ganz anderen ideellen und technischen Voraus- 
setzungen verwertet wurden, stellt die Forschung vor neue, iiberraschende Zusammen- 
hange. Einen weiteren Beitrag hierzu liefert das hier veroffentlichte Autograph, ein 
wahrscheinlich herausgerissenes und daher unbekannf gebliebenes Blatt aus einem der 
Skizzenbucher Beethovens, das lange Jahrzehnte als kostbarer Familienbesitz von einer 
Wiener Musikerfamilie bewahrt wurde und vor einem Jahr in die Hande eines in- 
zwischen ausgewanderten Ingenieurs geriet, der es wohl dem internationalen Auktions- 
markt zugefiihrt haben diirfte. 



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Ein unbekanntes Skizzenblatt Beethovens. 
(Zu dem Aufsatz S. 414) 






416 ALFRED ROSENZWEIG 



Es ist ein Skizzenblatt zum zweiten S treichguar tett, dessen Entstehungszeit 
von Thayer in die letzten ffinf Jahre vor 1801, dem Erscheinungsjahr der Quartette 
op. 18 angesetzt wird. Aus seiner Analyse geht hervor, dafi das im Verlauf des 
Skizzierens aufgeworfene Material nicht zur Ganze fiir dieses Werk verwendet 
wurde, sondern erst vier bis fiinf Jahre spater in eine andere Komposition 
Eingang fand: In die in den Jahren 1802 bis 1804 entstandene Kreutzer-Sonate 
op. 47. 

In zehn Zeilen kiihn hingeworfener Notenschrift gewinnt der kapriziose Mittelteil 
des Adagio aus dem G-dur-Streichguar tet t op. 18 Nr. 2 Gestalt. Das Manuskript 
beginnt in einzeiliger Notierung mit den zum Allegro iiberleitenden 4 Takten. Es ent- 
spricht (bis auf ein spater der Sekundgeige zugetedtes „f" im zweiten Takte) der origi- 
nalen Stimme der Primgeige. Hieran schliefien sich nun zwei Takte gebrochene 
Akkordfolgen, die in der Partitur des Streichguartetts nicht vorkommen. Verworfen 
und hartnackig wieder aufgenommen, werden diese Sechzehntel-Figuren im weiteren 
Verlaufe noch zweimal skizziert: es ist der erwahnte Einschub, der erst spater 
in der Kreutzer-Sonate u. zw. im ersten Satz als Uberleitungspartie 
zum Seitenthema thematische Bedeutung gewinnt. (Vgl. Kreutzer- 
Sonate Takt 46 ff.) 

Nach dem ersten Aufrreten dieses Figurenwerks wird das Quartett-Thema wieder 
aufgegriffen. Der Bafi-Schliissel bedeutet die Verlegung der Melodie in das Cello. Mit 
Einfiihrung des Violinschliissels erscbeint das Thema um eine Terz tiei'er deutlich ab- 
kadenziert. Die folgenden Takte bringen nach einer kurzen modulatorischen Wendung 
wieder die aus der Kreutzer-Sonate vorweggenommene Figur. Nach abermaliger Kadenz 
beginnt eine Skizzierung der zweiten Periode, die natiirlich hier noch stark von der 
endgiiltigen Fassung abweicht. Und zwar scheint dem Meister, wie aus dem jahen Um- 
springen der Melodie von der oberen in die untere Oktave und umgekehrt, hervorgeht, 
eine durchbrochene Arbeit zwischen zwei Stimmen vorgeschwebt zu haben. 

Auf diesen in der Skizze achttaktigen Zwischensatz, der mit einer Kadenz auf der 
Tonika schliefit, folgt eine gleichfalls achttaktige Partie, in der die zweite Allegro-Periode 
unter Beriihrung der Dominantsept ausgesponnen und wie fruher in durchbrochener 
Arbeit zu Ende gefuhrt wird. 

Den SchluB des Autographs bilden die vier Uberleitungstakte zur Beprise des 
ersten Teils, die hier bereits ihre auch im Original beibehaltene Gestalt aufweisen. In 
zweizeiliger Notierung erscheint in der oberen Linie das genaue Satzbild der Partitur 
mit den sukzessiven Stimmeinsatzen der Sekundgeige und Bratsche, wahrend die wild 
hingeschleuderten Notenzeichen des Basses die fiir diese Uberleitungstakte so charakte- 
ristische ostinate Cello-Figur wiedergeben. 



GENERATION UND VERG ANGENHEIT 4\J 

WISSENSCHAFT 



".*■ 



4 Hans Th. David (z. Zt. Frankfurt a. M.) 

GENERATION UND VERGANGENHEIT 

l. 

Aus dem Zusammenwirken der in gleicher Zeit tatigen Menschen, aus Gemeinsam- 
keit, Gegensatz und innerem Ausgleich erwachst wahrend jeden Stadiums geschicht- 
licher Entwicklungen eine charakteristische. eine (trotz der Verschiedenheit der auf- 
bauenden Krafte) bemerkenswert einheitlich erscheinende Gesamttatsache : die „Zeitlage". 
Allen den jungen Menschen also, deren bestimmende Jahre in die gleiclie begrenzte Phase 
.irgendeines kulturellen Ablaufs fallen, wird zu Auswahl und Verarbeitung im wesentiichen 
derselbe Stoff sich bieten. Indem derart die Heranwachsenden unter zumindest ahnlichen 
Bedingungen ihren Geist, ihre Seele und Halturig bilden, gewinnen sie naturgemafi 
untereinander tiefere Verwandschaft. Wenn nun die zunachst nur Aufnehmenden in 
das eigentlich tatige Leben hiniibertreten, wirkt naturgemafi die Gleichgerichtetheit ihrer 
Strebungen in ihren Leistungen sich aus. Daruber hinaus werden dann auch diese 
Menschen durch personliche oder sachliche Beziehungen einander verbunden — so steigert 
und erganzt sich noch das (zunachst aus den Bildungsbedingungen erwachsene) Ver- 
bundensein der gleichzeitig schaffenden Menschen. Derart finden die nunmehr auf- 
wachsenden jungen Menschen wiederum gemeinsame Entwickhingsvoraussetzungen. Und 
die Nachkommenden erleben beim Studium der Leistungen des fruheren Zeitabschnitts, 
wie sehr alles Tun sogar tief unterschiedener Charaktere von dem iiberindividuellen 
Geist einer Stunde, eines Jahres, eines Jahrzehnts beherrscht war. 

Nicht wenige Menschen streben, neue Gebiete zu entdecken, zu erobern; Andere 
bemiihen sich, ererbtes oder erworbenes Gut zu verteidigen, zerstorende Entwicklung zu 
hemmen. So verhindert ein tiefster Gegensatz wirkender Krafte immer wieder volligen 
Ausgleich der Meinungen und Haltungen (wenn auch fur den Spateren die Unterschiede 
im Wollen von Zeitgenossen zuriicktreten gegeniiber der Gleichartigkeit aller Aus- 
formungen ihres Geistes). 

Stets gibt es frisch Zupackende, stets auch murrisch Verneinende. So mochte man 
wohl annehmen, der Kampf zwischen ihnen werde nie unterbrochen, ziehe sich in 
gleichmaCiger Starke durch die Jahrhunderte. Indessen, genauere Untersuchung irgend- 
einer geschichtlichen Wirklichkeit lafit erkennen, dafi die weitertreibenden und die ihnen 
feindlichen Krafte selten einander gleichgewichtig sind. Bald entsteht in kiirzester, un- 
gehemmter Entwicklung ein wahrhaft bedeutendes und umfassendes Neues, dann wieder 
scheint wahrend vieler Jahre jeder Fortschritt, jede umgestaltend produktive Leistung 
unterdriickt — der Geist der Zeit, die Zeitlage wird bald mehr von den aktiven Per- 
sonlichkeiten und Massen, bald mehr von Befriedigten, von denen, die nur am Ge- 
gebenen weiterarbeiten, bestimmt. So bleiben regelmafiig durch gewisse Zeitspannen 
hindurch bestimmte Grundhaltungen giiltig. Infolgedessen erscheinen uns, tiefer ge- 
sehen, als gleichaltrig nicht nur die wenigen Menschen, die etwa gleichzeitig geboren 
wurden, deren Bildung also tatsachlich im gleichen kulturellen Stadium erfolgte, sondern 



418 HANS TH. DAVID 



jene grofiere Gruppe von (ganz weit gefafit) derselben Zeit angehorenden Menschen, 
deren Tun von gleichen Voraussetzungen ausgeht und verwandte Ideen zu verwirklichen 
strebt. Indem zwischen ihnen alien eine grundlegende Gemeinsamkeit besteht, sind wir 
wohl berechtigt, sie als Trager einer bestimmten Haltung, als Schaffende eines eigenen 
Zeilgeistes, als von einer besonderen Zeitlage her Bestimmte unter einem zusammen- 
fassenden Wort zu begreifen: von „Generation" in geistigem Sinne zu sprechen. 

2. 

Die Ansichten eines Menschen, Ziel und Verlauf seiner Handlungen werden, 
deutlich oder audi weniger fiihlbar, vom Lebensalter bestimmt. Wer mit unverbrauchten 
Kraften ins Leben tritt, der wird die Grenzen der Menschheit zu erweitern wiinschen; 
wer lange geduldet und gekampft hat, der wird sich gern rait dem bisher Geleisteten 
begmigen. Jener Gegensatz des angreifenden Fortschritts und des befriedigten, des resig- 
nierten oder auch zukunftsangstlichen Beharrens auSert sich zunachst und vielleicht am 
stiirksten als der von Jugend und Alter. 

Wenn die jungen Menschen zum bewufiten Leben erwachen, fiihlen sie in der 
Umwelt Krafte wirksam, die in ihnen selbst nicht oder noch nicht lebendig sind, Krafte 
zumeist, gegen die eine des eignen Werts bewuftte Jugendlichkeit sich auflehnen mufi. 
Die werdenden Individualitaten stellen sich daher unwillkurlich in Gegensatz gegen die 
fertigen, gepragten Charaktere der Alteren Solcher Art ist nicht selten die uberhaupt 
erste selbstandige Existenzaufierung des neuen Willens; sie darf als Anzeichen einer 
inneren Kraft gelten, wie ja in ihr fast stets Grundlage und Antrieb zu alien spateren 
Leistungen enthalten sind. 

Indem die Jugend ihre Lebendigkeit als solche zur Geltung zu bringen versucht, 
wird sie unwillkiirlich das, was die iilteren Mitbtirger der geistigen Welt schaffen und 
erstreben, insgesamt als alt, als unlebendig abweisen. So mag sie leicht jedes von den 
nunmehr Gereiften begonnene Unternehmen fur bekampfenswert halten, ohne zu iiber- 
denken, ob die erstrebten Ziele bereits erreicht wurden oder noch erstrebenswert ge- 
blieben waren. Nachtragliche Einsicht. der Zwang der Situationen wird spaterhin die 
entwicklungsfahigen Ansatze fortzubilden zwingen — zunachst wird doch jene kampfe- 
rische, oppositionelle Haltung das jugendliche Wollen wesentlich mitbestimmen. — 

Fiir jede Generation als solche heben sich aus dem Bild der Umwelt. zwei grofie 
Gruppen von Erscheinungen bedeutsam heraus: die Dinge und Aufgaben einerseits, die 
man als wertvoll, deren Erfiillung man als notwendig empfindet, die Dinge und Auf- 
gaben andererseits, die man als schadlich erkennt und bekampft. Dieser Gegensatz des 
den Menschen einer Zeit Gemafien und des ihnen Feindlichen ist ihnen von vornherein 
gegeben: er erwachst nicht etwa aus Uberlegungen und Programmen, sondern alle 
Formulierungen sind nur ein gedankliches Verdeutlichen einer Haltung, eines Reagierens, 
das ganz unabhangig von aller Ssthetisclien Theorie erfolgte und stets von neuem aus 
der Ganzheit des Wesens wiedererwachst. 

Dem oben umschriebenen Sachverhalt entsprechend wird hierbei von der jungen 
Generation als positiv bewertet — die nachtraglichen Verschiebungen diirfen in der 
vorliegenden Betrachtung unbedenklich ubergangen werden — einfach alles Entwicklungs- 
fahige, auf kunftige Leistungen Vorausweisende oder selbst als Gestaltung eines wahrhaft 
Neuen zu Empfindende. Als negativ erscheint alles bereits Veraltete: die Gebilde, 



GENERATION UND VERGANGENHEIT 419 

deren Typus vorher bereits reiner und folgerich tiger verwirktlicht worden war, die, in 
denen Ziele einer vergangenen Epoclie unfruchtbar weiterverfolgt werden, diejenigen 
endlich, aus deren Aufbau ein Mifiverhaltnis von Mitteln, Teilen oder Elementen unter- 
einander oder zum Ganzen Altersschwache empfinden lafit. Regelmafiig also sind 
die mit leidenschaftlicher Freude aufgenommenen und weitergetragenen Werke Aus- 
formungen des Geists der neuen Generation selbst; sie enthalten oder erstreben Werte 
der Gegenwart oder Zukunft, im Bild der geschicbtlichen Entwicklung fur die Zeit- 
genossen den Abschlufi bezeichnend. Die bekampften Erscheinungen hingegen sind 
Pragung von Strebungen der vorangegangenen Generation; sie stellen ein letztes Stadium 
der eigentlichen Vergangenheit dar. 

So sind die Gruppen der Werke, die sicb begeisterte Hingabe erzwingen und jener, 
die schroffe Ablehnung erfahren, zu begreifen als Schichten der historischen Entwick- 
lung — ein erster bedeutsamster Zug im geschichtlichen Bild, wie es wold jeder 
Generation vor Augen steht. 

3. 

Alles dies mag, ausgesprochen oder doch gleichsam in der Luft liegend, bekannt 
sein. Aber es gibt aufier den bezeichneten Haltungen der Hingabe und Absage erne 
dritte primare Einstellung der Generation zu Erscheinungen der Umwelt, eine Einstellung, 
auf die bisher wohl noch nicht hingewiesen worden ist: Gleichgiiltigkeit. 

Wenn wir Gestaltungen und Leistungen der Vergangenheit bekampfen, so geschieht 
das selbstverstandlich nicht aus Freude am Zerstorungswerk. Sondern, weil wir in 
jenen Krafte spuren, die uns gefahrlich werden konnen — deren schadliche Auswirkung 
wir erkennen und die doch in uns nodi lebendig sind. Letztes Ziel des Kampfes ist 
nicht die Vernichtung eines fremden Willens, sondern die Reinigung des eigenen lnnern. 
Nicht gegen die Vergangenheit als solche richtet sich unsere Verneinung, sondern gegen 
ihren wertlos gewordenen Niederschlag in uns und in der von uns ubernommenen 
Kultur. Wenn nun aber die erstrebte und notwendige Verdrangung des uns nicht mehr 
Gemafien durchgefuhrt ist, entsteht ein eigenartiges Stadium der Ruhe. Die Schlacken 
fruherer historischer Prozesse sind getilgt, um Lauterung in diesem Sinn brauchen 
wir uns nicht mehr zu bemuhen. Zugleich aber sind die Beziehungen zu den Gebilden, 
in denen die fiir uns nun nicht mehr gultigen Werte sich verwirklicht hatten, aufgehoben. 
Indem wir die Macht, die uns verderblich erschien, zerstorten, wurden uns ihre Trager 
fremd; wir sehen nicht mehr eine Gefahr in ihnen, aber zugleich verschlofi sich uns 
der in ihnen ausgeformte Gehalt. 

Manches Werk des 19. Jahrhunderts vermag nicht mehr die Anerkennung zu 
nnden, die ihm friiher, vielleicht noch vor kurzem, zugefallen war. Man weifi, wie viele 
Menschen etwa Auffiihrungen von Werken Wagners meiden und dafi nicht wenige auf 
Darbietungen Brahmscher Musik nicht ungern verzichten. Fragt man nach dem Warum, 
so wird man selten eine Antwort bekommen, die auf Kampfstellung schliefien laGt. 
Diese 'Kunstgebilde erscheinen nidit etwa als unerfreulich oder hassenswert, als ver- 
derblich, sondern sie werden als nichtssagend empfunden, als gehaltlos — sie ver- 
breiten Langeweile. 

Niemand wird im Ernst behaupten wollen, die Schopfungen etwa von Brahms 
oder Wagner besafien keinen rechten inneren Wert. Offenbar also liegt hier eine per- 



420 HANS TH. DAVID 



sonfiche Ungerechtigkeit vor, eine Unfahigkeit des Aufhahmevermogens. Solche Grenze 
der Rezeption ist aber vielen etwa gleichaltrigen Menschen gesetzt: indem sie das 
kiinstlerische Leben einer breiten Gruppe beherrscht, erweist sie sich als Kennzeichen 
eines bestimmten Generationsgefiihls. — 

Bevor man an Wagner und Brahms verzweifelte, fand man Schumann blafi, 
Mendelssohn ode, Meyerbeer unertraglich und wohl gar Schubert nichtssagend. Es gab 
Zeiten, wahrend deren man an Haydn und Mozart uninteressiert vorbeiging (ihre 
Folgen sind, was Haydn angeht, noch heute zu spiiren). Und dafi man die „gotische" 
Kunst mit einem Wort, das „barbarisch, wirr" meinte, bezeichnete, fur die „barocke" 
diesen Namen, der das Unregelmafiige, Gesetzlose als entscheidend hervorhob, wahlte, 
beweist deutlich genug eine vollkommene Verstandnislosigkeit, ja ein Fehlen iiberhaupt 
jeglicher Beziehung zwischen einer Gegenwart und einer friiheren Zeit. Der oben er- 
wahnte Mangel darf also keineswegs als Eigenheit der heutigen Jugend ausgelegt 
werden, sondern offenbar gibt es fur jede Generation eine gewisse Vergangenheit, deren 
Schaffen ihr reizlos erscheint. Jenseits der besonderen Entwicklungsschichten, deren Pro- 
dukte noch affekterfullte Stellungnahme veranlassen, begin nt ein Gebiet, dessen Erzeugnisse 
nur mit Gleichgiiltigkeit aufgenommen werden — ein weiterer bedeutsamer Zug in 
dem Generationen als solchen vorschwebenden Bdd der Vergangenheit. 

4. 
Gewisse Werke grofier Kiinstler sind nie ganz in Vergessenheit geraten. Die Kunst 
ferner Zeiten hat vielfacb, wie die Wiederentdeckung der Antike in der Renaissance, 
der Gotik urn 1800, des Barock oder gar der Werkstatt des agyptischen Ketzerkonigs 
in der jiingsten Zeit beweist, eine hochst lebendige Auferstehung erfahren. Ein tieferes 
Verhaltnis zu Schopfungen der Vergangenheit ist also fraglos moglich. Etwa die Bam- 
berger Prophetenreliefs und die Naumburger Stifterfiguren, Gemalde eines Griinewald 
oder Holbein, Figuren von Riemenschneider, Bauten des Elias Holl und Balthasar 
Neumann, die Klange der Kompositionen von Giovanni Gabrieli oder Monteverdi, die 
Gestaltungen von Couperin oder Purcell, Bach und Handel, die in Werken von Haydn, 
Mozart oder Beethoven ausgepragten Gehalte beriihren uns ganz unmittelbar ; nicht 
historisches Interesse zieht uns zu diesen Schopfungen vergangener Zeit, sondern das 
Erlebnis innerer Bereicherung oder Bestatigung, das uns aus ihnen erwachst. 

Die Unmoglichkeit, Werte aus Schopfungen einer friiheren Zeit zu erfassen, er- 
streckt sich nur auf einen durchaus begrenzten Ausschnitt aus der Vergangenheit. Wie 
laute Schalle, die in einem gewissen Umkreis grofierer Entfernung von der Schallquelle 
nicht mehr vernommen werden kflnnen, an Punkten noch weiterer Entfernung wiederum 
bemerkbar sind, so werden gehaltvolle Werke, mogen sie auch langere Zeit mit Gleich- 
giiltigkeit betrachtet worden sein, doch wiederum erfafibar werden konnen. Jene Leere 
erstreckt sich also keineswegs iiber das ganze Gebiet der betrachteten Vergangenheit 
bis zu den irgendwie noch als aktuell wirkenden Gestalten, sondern sie verhindert nur 
die Reaktion gegeniiber einer begrenzten Schicht von Werken, als eine Lvicke im 
historischen Blickfeld, jenseits deren ein Verstehen durchaus wieder moglich ist. 

Freilich, wir stehen den Werken der alteren Zeit anders gegenuber als denen der 
Gegenwart und denen der jiingsten Phasen der kiinstlerischen oder kulturellen Ent- 
wicklung. Fiir . alles das, was in unserer Zeit geschieht, fiihlen wir uns ja, als Zeit- 



GENERATION UND VERGANGENHE1T 421 



genossen, mitverantwortlich. Da wir eine innere Verpflichtung oder gar einen Zwang 
fiihlen, unserer Existenz Inhalt, Gestalt, Niveau zu gebeu, ist es nicht gleichgiil'tig, 
welche Kunst wir aufnehmen und also: welche Kunst gemacht wird. So zwingt jede 
Darbietuug oder Anschauung eines modernen Werks zu einer Entscheidung. Daher 
denn auch die Scharfe, mit der die Jugend gegen die iiberlebten Vorganger, der Alterude 
gegen die so selbstbewufit „Unverstandliches" produzierende Moderne vorgeht. Die Werke 
der Vergangenheit, unveranderlich, nicht mehr beinflufibar und nicbt mehr auf ihre 
Auswirkung hin zu iiberdenken, sind solcher eigentlichen Entscheidung entzogen. Gewrfi, 
audi bier kann nur personlichstes Bemiihen die tieferen Werte sich erschliefien. Aber 
vor uns gestellt wird in ihnen eine fertige Kultur, aus der wir auswahlen mogen, nicht 
eine werdende, von uns und fur unsere Zeit zu schaffende. Und so fehlt hier jene Aktivitat 
der Stellungnahme : eine prinzipiell andersgeartete Einstellung beherrscht uns bei der 
Aufnahme von Werken alter er Zeit. 

Die Liicke im historischen Verstehen scheidet das Gebiet des Gegenwartigen, des 
Kanrpfes von dem des ungehemmten Genusses, von dem der gewissermafien nur passiven 
Rezeption — sie erst, so scheint es, ermoglicht den Ubergang von der leidenschaftlichen 
Anerkennung und dann Ablehnung zu einer besonnenen Einschatzung und doch warmen 
Aufnahme der kiinstlerischen, der kulturellen Schopfungen. 

5. 

Der Begriff der Generation ist einer der beliebtesten und bezeichnendsten unseres 
zeitgenossischen Denkens. Offensichtlicb haben wir die Probleme des Generations- 
wechsels in besonder Scharfe erfahren. Nun erwachst das Erlebnis der Generation als 
solcher zunacbst aus dem Fiihlen und Erkennen eines Andersseins. Dementsprechend 
wird gegenwartig von dem historischen Bild, das die Generation sich zeichnet, insbe- 
sondere nur der Gegensatz zwischen den jungen Menschen, die sich zum Auf ban neuer 
Werte und unter neuen Ideen zusammenschliefien, und den Alteren, deren Tun den 
Nachfolgenden sinnlos oder vvertlos erscheint, gesehen. So ergaben sich allein die Auf- 
gaben der Begriindung, Verteidigung und Ausbreitung der neuen Haltung. Nachdem 
auf das Vorhandensein jenes historischen Lochs hingewiesen wurde, zeigt sich uns eine 
zweite Gruppe von primaren Aufgaben. Die Grenze der historischen Leere nach der 
Gegenwart zu wird ja durch das Lebensgefiihl der bestimmenden oder aufwachsenden 
Generation mit geradezu automatischer Sicherheit stetig festgelegt. Wemi aber eine 
Zeit mit ihren Produkten in das Gebiet der Gleichgultigkeit zurixckgeglitten ist, tritt 
nicht leicbt eine Nachpriifung der einmal vollzogenen Ablehnung ein. Wir miissen also 
immer wieder uns vergewissern, ob nicht die eben noch verachteten oder geringge- 
schatzen Werke fur uns bereits wieder verstandlich, ob nicht die verkannten Werte 
erneut erlebbar geworden sind: wir bediirfen des stetigen Bewufitseins, da6 es jene 
partielle Wertstumpflieit gibt und dafi sie fiir jede bedeutendere Leistung der Ver- 
gangenheit einmal (vielleicht oder sogar wahrscheinlich ganz plotzlicli) auf- 
horen kann. 

Durch Jahrhunderte hindurch sind Werke, zu denen man doch vielleicht ein Ver- 
haltnis hatte gewinnen koniien, unbeachtet gebliebeh. Demgegeniiber versucbt unsere Zeit, 
durch die Leistungen genialer Historikei'generationen befruchtet, von auffallender 
Steigerung der Anspriiche getrieben, an vielen Punkten altes Kulturgut zu erfassen und 



422 MELOSKRITIK 



so das Leben zu bereichern: sie sollte vor allem daher den dargestellten Zusammenhang, 
aus dem der Wiedergewinn von verlorenen Werten verhaltnismafiig grofier zeitliclier 
Nahe sich ergeben kann, nicht unbeachtet lassen. 

Aus der Feststellung jenes Aussetzens .des Verstehens gegeniiber Gestaltungen der 
Vergangenheit ergibt sich noch eine andere Folgerung. Fast alle alteren Werke haben 
eine Zeit des Vergessenseins erfahren niiissen. Ihre auffiihrungsmafiige Uberlieferung 
geht also regelmafiig nicht auf die Zeit der Entstehung zuriick, sondern auf die def 
Wiedererweckung; so wird nunmehr prinzipiell deutlich, warum gegeniiber aller „stil- 
echten" Spielgewohnheit starke Skepsis moglich, ja notwendig genannt werden mufi. ') 

Leider mufi ich mir versagen, die Bedeutung, die das Wissen um jene historische 
Liicke fur Auffiihrung und Wiederbelebung alter Musik oder fiir die Erklarung von 
Fehlurteilen einzelner oder ganzer. Generationen gegeniiber Werken friiherer Zeit ge- 
winnen konnte, an Einzelheiten zu erlautern. Immerhin scheint mir der Begriff der 
„historischen Liicke" (auf den Namen kommt es zunachst nicht an) so sehr einen in 
mehrfacher Hinsicht fruchtbar zu verwertenden Einsatzpunkt zu bezeichnen, dafi ich 
wiinsche, es moge der ihm zugrundeliegende Sachverhalt allgeniein erkannt und be- 
riicksichtigt werden. 



MELOSKRITIK 

Die nene, hier angestrebte Form der Kritik beruht darauf, da/3 
sie von mehreren ausgeiibt wird. Dadurch soil ihre Wertung von 
alien Zufalligkeiten und Hemmungen abgelost werden, denen der 
Einzelne ausgesetzt ist. Langsam gewonnene, gerneinsame Formu- 
lierung, aus gleicher Gesinnung entstanden, erstrebt einen hoheren 
Grad von Verbindlicbkeit. So ist jede der vorgelegten Bespre- 
chungen ein Produkt gemeinsamer Arbeit der Unterzeichneten. 

NEUE SONATEN VON ALEXANDER JEMNITZ 

Einige neue Arbeiten dieses ungarischen Komponisten lassen eine stilistische Ent- 
wicklung und Eigenart der Physiognomie erkennen, die eine Beschaftigung mit ihnen 
nahe legt. Die dritte Son ate fiir Violine und Klavier op. 22 zeigt die sich immer 
starker lierausschalende Individualitat dieser Musik gegeniiber der noch stark von Reger 
abhangigen, etwas akademischen zweiten Sonate op. 14. Hier verbinden sich in inter- 
essanter Weise Stilgegensatze, die ihrer Art nach nahezu eine Verschmelzung auszu- 
schliefien schienen: ein holier Grad von Abstraktion, der Schonbergs Einflufi verrat, 
und eine Freude an freier, phantasierender Linienfiihrung, hinter der national-ungarische 
Elemente spiirbar werden. 

Diese Art des Improvisierens fiihrt beide Instrumente bis an die aufiersten Grenzen 
ihrer technischen Mflglichkeiten : rhapsodisches Springen im Tonraum, Wechsel von 

J ) Man vergleicbe meine Untersuchung „Triigerische Auffiihrungstraditionen" im letzten Heft des 
„Melos" 1926. 



DEUTSCHE KAMMERMUSIK BADEN-BADEN 1928 423 

Flageolett-, natiirlichen Tonen und Glissandi in kleinsten Figuren in der Geige, 
extreme Klangbrechungen in der begleitenden Klavierstimme. - Die stark ornamental 
zerlegte Violinstimme wird durch eine akkordische Begleitung gestiitzt, deren Harmonik 
konsequent atonal ist. Den Stil des Werkes belegen seine vier ersten Takte: (Noten- 
beispiel 1)*. Die Folge der Satze gewinnt eine immer starkere Festigung des Form- 
bilds. Den verfliefienden Konturen des ersten Satzes steht im Mittelsatz eine Bindung 
der improvisateriscben Kriifte gegentiber, die sich im Finale bis zur Geschlossenheit der 
Rondoform steigert. 

Diese formale Stabilitat erscheint in der Tanzsonate op. 23 fur Klavier so weit 
gefestigt, dafi die Improvision auf grofie Strecken zurucktritt. Von der fast impressio- 
nistischen Gleichformigkeit des ersten Satzes steigt die Linie in wachsender Intensivierung 
der Tanzelemente bis zum Finale, in dem Krafte des Volkstanzes durclibrechen, aber 
durch die komplizierte Tonspracbe verscbleiert werden. Das ganze Werk ist einfacher 
als die Violinsonate, aber nicht so iiberzeugend. 

Die Stilgegensatze dieser beiden Werke sind in der Duosonate fiir Viola und 
Cello op. 25 vereint. Sie beginnt in einer nocb abstrakteren Spraclie als die Violin- 
sonate und endet in einem Finale, in dem eine plastische und unmittelbare Rhythmik 
vorherrscht. Die durch die beiden Melodieinstrumente bedingte Stimmfuhrung treibt 
diesen Satz noch mehr in die Sphare des rein Gedanklichen. Seine gesteigerte Kon- 
struktivitat zerlegt die improvisierende Linie vom Ornament aus in kleinste Teilgebilde, 
ohne indes zu einer Architektonik der Gesamtform zu gelangen (Notenbeispiel 2)*. Auch 
das Scherzo wird in die spekulative Atmosphare des ersten Satzes hineingezogen, 
wahrend das iiber einem rhythmischen Ostinatomotiv (alia tamburo) aufgebaute Adagio 
in grofierem melodischem Atem starkere expressive, fast pathetische Elemente aufweist 
und so zu dem gestrafften Finale iiberleitet. Von der national-tanzerischen Haltung 
dieses Satzes gibt das folgende Allegrettothema ein deutliches Bild (Notenbeispiel 3)*. 

Die weit gespannten Ausdrucksgrenzen des Komponisten lafit dieses wesentlichste 
und entwicklungsmafiig interessanteste der hier besprochenen Werke am besten erkennen. 
Eine sich von jeder Konzession an Klangwirkung und Darstellbarkeit ablosende Ton- 
spracbe intensiviert sich zum Ausdruck einer abseitigen und eigenartigen Individualitat, 
ohne dafi die Stilwerte dieser Entwicklung irgend eine Verallgemeinerung zuliefien. 

Hans Mersmann, Hans Schultze-Ritter 
und Heinrich Strobe! 



DEUTSCHE KAMMERMUSIK BADEN-BADEN 1928 

l. 

Der Begriff „Kammermusik" ist nicht mehr wortlich zu nehmen. Die Donau- 
eschinger Idee hat sich im Laufe der letzten vier Jahre grundsatzlich gewandelt. An 
die Stelle zufallig eingesandter Konzertmusik traten immer mehr solche Stticke, die vom 

*) Siehe Noteubcilaire 



424 MELOSKRITIK 



Arbeitsausschufi bestellt wurden, um neue Moglichkeiten zu erproben und die Musik 
in nachste Beziehung zu gegenwartigen Lebensformen zu setzen. Die Ubersiedlung nach 
Baden-Baden begiinstigte die Erweiterung des Aufgabenkreises : Filmmusik und Kurz- 
oper spielten in den Programmen dieses und des vorjahrigen Festes die Hauptrolle. 

Man ist in diesem Jahre sogar noch weiter gegangen. Man hat die Kammermusik 
ganz ausgeschaltet und dadurch erreicht, dafi Werke von der sublimen Abseitigkeit einer 
Lyrischen Suite Alban Bergs nicht mehr an einer Stelle aufgefiihrt werden, die inimer 
ausgesprochener zu einer Versuchsstatte reiner Gebrauchsmusik werden wollte. So be- 
schrankte man die diesmal aufgefiihrte Konzertmusik auf zwei in letzter Zeit wenig ent- 
wickelte Gebiete, von denen man erwartete, dafi aus ihnen eine neue, wesentlich 
zweckhafte Musik hervorgehen wiirde. Das waren Kantate und Orgelmusik. 

Wenn man von dem Ertrag dieser Konzerte aus auf die Moglichkeiten gegen- 
wartiger Orgelmusik schliefien will, so ist deren Zukunft nicht eben sehr aussichtsreich. 
Freilich wurde der von Hindemith seit zwei Jahren gewiesene (und gelegendich auch 
durch die Praxis schon bestatigte) Weg einer weltlichen, mit Theater und Film ver- 
bundenen Orgelmusik nicht weiter beschritten. Denn die diesmal gespielten Werke 
fiihrten entweder die stilistischen Traditionen einer kirchlich-gebundenen aber einer 
konzertmafiig begrenzten Musik weiter. 

Fidelio Finkes Choralfantasie ist in diesem Rahmen nicht diskutierbar. Peppings 
Choralvorspiele nehmen durch die Konsequenz ihrer polyphonen Arbeit und ihre Sach- 
lichkeit fiir sich ein, verlieren sich aber spater, namentlich in der abschliefienden 
Toccata, in Gestaltlosigkeit. Humperts Sonate macht sich von der typischen Orgel- 
polyphonie vollig frei uud erreicht bei intensiv orgelmafiiger Haltung konzertierende 
Bewegungsfiille und starke formale Geschlossenheit. Auch Jarnachs Romanzero III 
meidet Polyphonie; das architektonisch ausgezeichnet aufgebaute Stuck ist von feiner 
Farbigkeit, aber nicht spezifisch orgelmafiig erfunden. 

Auch in der Kantate wurden keine neuen Wege gesucht sondern in den meisten 
Fallen gesicherte Wirkungen befestigt. Singstimme und Instrumentalmusik standen in 
gewohnter erganzender Verbundenheit und dieuten bei selbstverstandlicher stilistischer 
Verschiedenheit der einzelnen Losungen im Grunde der Steigerung des Wortausdrucks. 
Von einer Ankniipfung an die neuen Stilwerte, welche in der Oper in den letzten 
Jahren fiir die Losung des Wort-Ton-Problems gefunden wurden, war wenig zu spiiren. 

Am ehesten liegt noch Hauers Chorkantate ,,Wandlungen" fiir Soli, Chor und 
Kammerorchester auf dieser Linie. Holderlins Figuren, die Menschenschicksal ins Zeit- 
lose heben, haben jene Monumentalitat, zu der das epische Opernideal unserer Zeit 
hinstrebt. Doch gibt Hauer in diesem Werk die starre, aber individuelle Farbigkeit 
seiner letzten Suite wieder preis und leitet aus einer schlieGlich spatromantischen 
Melodik unmittelbare, aber wohlfeile Wirkungen ab. Er hatte darum auch den starksten 
aufieren Erfolg des Festes. 

Milhaud macht aus Andre Gides „Verlorenem Sohn" ein solistisches Oratorium 
von betrachtlichem Umfang. Starke Anlehnung an Debussy und Satie verdunkelt die 
Eigenart dieses uberaus feinen und melodisch fliefienden Stiickes. Ermatinger und 
Hugo Herrmann vertonen den ernsten und den grotesken Morgenstern. Wahrend 
Ermatinger physiognomielos bleibt, kommt der bedeutend starkere und gewandtere 



DEUTSCHE KAMMERMUSIK BADEN-BADEN 1928 



425 



Herrmann zu aparten Chor- und Instrumentalwirkungen (er begleitet den Chor durch 
Flote, Saxophon und Kontrabafi). Seine Formgebung ist origineller als sein Verhaltnis 
zum Text. 

2. 

Die Filme waren (mit einer Ausnahme) nach musikalischen Gesichtspunkten aus- 
gewahlt. Die Ausnahme war Milhauds Musik zu einer Ufa-Wochenschau. Die mit 
leichter Hand und feinem Formgefiihl skizzierte Partitur wirkt nicht nur musikalisch 
anregend sondern findet audi, in grofien Ziigen charakterisierend, siclitbare Ankniipfungen 
an das aktuelle Bild. In starkstem Gegensatz dazu stent Hugo Herrmanns belanglose 
Musik zu einer Nahmaschinenstudie, der an rotierenden Radern und stofienden Kolben 
beziehungslos vorbeikomponiert. Die mit Geschmack dramatisierende Musik von 
Wolfgang Zeller zu Szenen aus dem Scherensclmittfilm Aclimed lafit die handwerkliche 
Routine des Praktikers erkennen. Ernst Tochs amiisante Musik wetteifert mit den Tricks 
seines Kater-Felix-Films an Beweglichkeit, Tempo und Eleganz. Hindemith geht 
in der Verbindung von musikalischer und filmischer Bewegung am weitesten. Er stellt 
(gemeinsam mit Hans Richter) seinen „Vormittagsspuk bewegter Gegenstande" ganz 
auf Rhythmik und Dynamik und ubersetzt diese Vorgange, ohne indes iiberall zu iiber- 
zeugen, in eine Musik fur mechanisches Klavier. 

So interessant diese Ergebnisse im einzelnen sind, sie liegen doch (Milhaud aus- 
genommen) im Bereich asthetischen Spiels, solange sie nicht die Losung der dringlichsten 
Frage zeigen : die Begleitung eines Spielfilms, wie er die Tagesproduktion vollig be- 
herrscht, nach musikalischen Gesetzen, unter Verzicht auf Illustration. 

Man hatte von den Kurzopern dieses Jahres erwarten kcinnen, dafi sie die im Vorjahr 
aufgestellten, hochst gegensiitzlichen Typen in irgend einer Form weiterentwickelten. 
Doch begntigten sich die beiden grotesken Stiicke von Kneip und Gronostay mit einer 
losen Ankniipfung an den von Hindemith aufgestellten Typus des musikalischen Sketchs, 
wahrend Reutter von der Idee einer erweiterten Schauspielmusik ausging. 

Kneips „Tuba mirum" macht zu dem lustigen Einfall eines wahrend einer Auf- 
fiihrung des „Barbiers" in die Rosinenarie plump hineinkontrapunktierenden Tubaisten 
eine buhnensichere, aber belanglose Musik. Bedeutend hoher steht Gro no stays „In 
zehn Minuten". Der vergebliche, aus eigensiichtigen Motiven gefuhrte Kampf eines 
Missionars und eines Theateragenten urn ein dem Urwald entwachsenes Negermadclien, 
der bis zur Abfahrt des Europadampfers entschieden werden mufi, wird von dem 
Komponisten nicht nur mit scharfem Witz minutios illustriert, sondern fiihrt immer 
wieder, bei hochst geistreicher Instrumentation, zu einer fast stilisierten Formung. Hier 
sind Beziehungen zu wesentlichen Problemen der gegenwartigen Oper gefunden. Leider 
fehlen der Musik Konzentration und Tempo, die ihr die Idee des Textes vorschreibt. 

Hermann Re utters Schauspielmusik zu dem „Saul" von Lernet-Holenia setzt mit 
einer iiberraschend starken Blaserpolyphonie an, verliert sich aber in eine nachzeichnende 
Stimmungsmusik ; sie bezieht zwar an einigen Stellen die Singstimme ein, lafit sich aber 
die wesentlichsten Ansatze zu musikalischer Gestaltung entgehen. 

Fafit man die vorher gemachten Einzelbeobachtungen zusammen, so ergibt sich 
ein zwiespaltiger Gesamteindruck. Wir erwarten von der Deutschen Kammermusik 
Raden-Baden weder Uberschau iiber die Jahresproduktion noch feststehende kunstlerische 



426 ERNST SCHOEN 



Werte. Ihre Starke ist bei der heutigen Situation das Experiment, das wir in jeder 
Form begriifien, auch wenn es mifilingt. Leider gelangte man diesmal nicht bis dahin. 
Denn trotz der Ankniipfungspunkte der gestellten Themen fehlte das eigentlich Zukunft- 
weisende, vielleicht mit Ausnahme der Filmmusiken. 

In losem Zusammenhang mit dem Fest stand auch diesmal die Arbeit der Jugend- 
musik in Lichtental, die in einer „Offenen Singstunde" Fritz Jo des zusammengefafit 
wurde. Sie hatte den doppelten Sinn: die in der Woche geleistete Arbeit zu zeigen 
und den Beweis zu fiihren, dafi selbst ein Publikum von Musikern zu aktivem Mit- 
machen zu bringen ist. Freilich ist Hindemiths neue Kantate ein Einzelfall in der 
Verschmelzung kunstlerischer Qualitat und innerer Einfachheit. Die praktische Arbeit 
der Musikantengilden zeigte einen aufierordentlichen Fortschritt in technischer und 
musikalischer Beziehung. Das Programm des nachsten Jahres will diese Art von Musik 
in den Mittelpunkt stellen. "Weit genug gefaGt, konnte von hier aus ein wesentlicher 
Stofi gegen die konventionelle Erstarrung unseres Musikbetriebs gefuhrt werden. 

Hans Mersmann und Heinrich Strobel 



RUNDFUNK 



Ernst Schoen (Frankfurt a. M.) 

DIE MUSIK IM RUNDFUNK 

Facbleute der Kunst haben sich in Zeitschriften wie dieser hier Plattformen ge- 
schafFcn. Fachleute verschiedener Ordnung, nicht nur Kiinstler selbst sondern ebenso sehr 
Historiker wie Philosophen der Kiinste. Mit diesen Zeitschriften strebt seit der Kunst- 
kritik der Romantik eine Stromung vom Ursprung der deutscben philosophischen 
Systematik des 19. Jahrhunderts zum „Grenzgebiet des: Lebens", die sich heute vor- 
wiegend als Tagesfeuilleton, daneben als „halbfachlicher" Journalismus aufiert. 

Die Auseinandersetzung der Kunst mit dem „Leben" nimmt vorlaufig trotz einzelner 
Riickstofie immer noch zu. Man kann diese Tatsache nicht anders als politisch deuten. 
Seit der Romantik, seit Kant, seit Goethe, vor allem seit der franzosischen Revolution 
versteht sich Kunst nicht mehr von selbst. Die Muse ist nicht mehr frei. Ein Schutz- 
mann fuhrt sie vor, ein Anwalt: der Rezensent; seine Toga geleitet sie: die Einfuhrung, 
das Vorwort. 

Es kann uns nicht einfallen, diese hochst politische Konstellation wirtschaftlich zu 
determinieren. Die Rehauptung, der Kiinstler sei zeitweilig wirtschaftlich isoliert, sei in 
Wirtschaftsnot gewesen oder sei es gar heute, heftet sich an untypische Erscheinungen, 
die einem anderen, groberen Kausalnexus zugehoren. Eher im Gegenteil, die wilde 
Zeit wirtschaftlicher Gesellschaftszersetzung mufi sich das Stimulans eines besonders 
starken Luxus schaffen: Kunst als Luxus. Ihr Verhaltnis zur Kunst ist um nichts un- 
ordentlicher als alle ihre sozialen Reziehungen. Vom Instinktgemafien, wozu starker 
Staatswille es je und je meisterte, ist es ein Denkverhaltnis geworden. Keine selbst- 
verstandliche Voraussetzung ist es mehr sondern Behauptung, unter Beweis zu stellen 
hypothetisch, der Analyse offen, Zweifel wie alles einstige Sosein. 



DIE MUSIK IM RUNDFUNK 42? 

In Zeitschriften wie dieser, vor einem Forum wie den Lesern dieser Zeitschrift 
wird nun also die Selbstbehauptung kunstlerischer Arbeit diskutiert. Jeder tragt sich 
vor und sich noch im Anderen, dem er Bannerdienst leistet; Jeder spricht Urteil iiber 
Jeden, Jeder macht seine Anspriiclie geltend, Jeder will sich verteidigen und damit Alle> 
Jeder setzt sich gegen Jeden zur Wehr. Als Kiinstler oder Kunstwoller, von seiten der 
Kunst oder der Gesellschaft. 

Hart sind die Zeiten. Aber keine zeitgemafie Dialektik kann den bleibenden 
Humus des Kunsterlebens durch die Zeiten zerstoren, die unersiittliche, tief erotisch 
begriindete Begierde jedes Menschen nach Kunst. Sie wird nicht beriihrt von jener 
nicht fortdiskutiert, nicht befriedigt, aber auch nicht sublimiert noch zum Guten nutzbar 
gemacht. Das kann keine Kunst und keine Aesthetik, das vermochte nur Staatsraison- 
Auf dunlden, auf schlammigen aber gewaltigen Landstrafien wandert diese Begierde, 
wenn sie ihren Hunger stillt: Kitsch, Industrie, Sektierertum, Technik, Kunstgewerbe, 
Parteikunst, Gesangverein, Theaterbund, illustrierte Beilage (zum Bilderausschneiden), 
Buchgemeinschaft, Mandolinenklub, Cafemusikbetrieb, Film, Rundfunk. 

Rundfunk. Die Technik schuf ihu, oder vielmehr, sie, ist daran, ihn zu schaffen, 
wird ihn vielleicht einmal schaffen. Die harten Zeiten wollten, dafi sie ihn im Stadium 
unentwickelter Ungefalrrheit in die Hande des Vermittlers entlassen mufite. Die harten 
Zeiten haben auch den Kaiifmann entrechtet, der sich nicht mehr als ztinftiger produk- 
tiver Staatserhalter, nur noch als entpersonlichter Steuerzahler bewahren kann. Steuer- 
leistung und Steuerempfang sind im blofien Finanzstaat nicht mehr als Pole staatlicher 
Ordnung reinlich geschieden. Der so gehetzte Handler kann — trotz „Kunden-service" — 
nicht mehr Qualitaten reifen lassen. Wie er dem Leib des Einzehien in der Masse fast 
nur noch Biichsenkonserve liefern kann, wie selbst der Landmann die Frucht unreif zum 
Markt bringt, so mufi er auch auf den Markt der menschlichen Schonheitsbegierde die 
gigantischen Massen typisierter Ware im Augenblick werfen, wo sie ihm zu Handen 
kommt, es seien nun Restbestande, Trodelgut aus ehemaligem Wertbesitz, wie jeder 
Kitsch es darstellt, oder auch unfertiges Gut, wie Film und Rundfunk. Der Konsument 
selbst kann es ja nicht anders wollen. Erzeuger, Verschleifier, Benutzer, alle Klassen 
der Wirtschaft geistiger Guter unterstehen dem unausweichlichen Zwang sozialer Un- 
ordnung der Zeit. 

Die Organisatoren des Programms der Erscheinungen, welches der deutsche Rund- 
funk taglich aussendet, — der Verfasser dieser Zeden gehort ihren Reihen an — konnen fur 
ihre Leistung zwei naheliegende und aufierordentlich diskutable Motivationen in An- 
spruch nehmen. Der Rundfunk eroffnet jedem Ereignis akustischer Art ein unbegrenztes 
Auditorium, er ist synchronistisch. Der Rundfunk vermittelt Wirkungen allein durch 
das Ohr, unabgelenkt durch Inanspruchnahme des Auges, bei geschlossenem Auge sozu- 
sagen, eine Wirkungsweise, die nach allgemeiner Auffassung den Mittelpunkt der Person- 
lichkeit starker packt und erschiittert als jede andere. Welch ideale Aufgabe, \a&t sich 
sagen, liegt nicht in der gleichzeitigen Ausiibung dieser beiden Wirksamkeiten. Und 
welcher Gegenstand ware angemessener sie auszuiiben als diejenige Kunst, die ihrem 
Wesen nach berufen scheint, durch das Ohr die Seele zu bewegen, als die Musik. 

Hiergegen kann eingewendet werden, dafi der Rundfunk bekanntlich keineswegs 
die Realitat musikalischer Klange ubermittelt. Das Instrumentarium befindet sich, kurz 



428 ERNST SCHOEN. 



gcsagt, auf einem Standpunkt, der dem des Telephons noch um vieles naher steht als dem 
restloser Tragheitsiiberwindung. Dieser Zustand ist demjenigen uberlegen, wo es nur 
auf Erreichung begrifflicher Verstandlichkeit gesprochener Satze ankommt. Aber er ist 
noch unabsehbar fern dem erstrebten Ideal realistischer Klangvermittlung. Diese Tat- 
sache mufi hervorgehoben werden gegeniiber dem begreiflichen Enthusiasmus mancher 
Techniker, welche alleiu die immensen Erfolge des bisher zuriickgelegten Weges zu er- 
messen, nicht aber die utopisch differenzierten Anspriiche wahrhafter musikalischer Dar- 
stellung zu iibersehen vermogen. Sie wird wohl von manchen Rundfunkfachleuten im 
Eifer des taglichen Gefechts beiseite geschoben, von anderen aber voll gewiirdigt und 
als einschrankende Voraussetzung in ihr Arbeitsprogramm einbezogen. Es gibt, wie dem 
Verfasser bekannt, Rundfunkleiter, die im Gegensatz zu den anderen das Surrogathafte, 
das bios Hinweisende, das Reportertum musikalischer Rundfunkdarbietung immer wieder 
ausdrticklich betonen. Sie siiid bereit, Max Butting, der das neulich aussprach, zuzu- 
geben, dafi Musik durch Rundfunk dem Original gegeniiber nur Reproduktionswert 
besitzt. 

Die Besonderheit der Manifestation des musikalischen Kunstwerks sowohl (gegeniiber 
dem der bildenden Kiinste), d. h. die immer wieder einmalige Natur des Zustande- 
kommens im Spiel, wie auch eine gewisse Unzulanglichkeit des tertium comparationis 
(zwischen raumzeitlich abgetrennter Reproduktion eines Originals in der bildenden Kunst 
und andererseits gleichzeitiger Reproduktion der Reproduktion in der Rundfunkmusik) 
lassen mir asthetische Zweifel xiber die zureichende Giiltigkeit des hier angezogenen 
Vergleichs. Wemi ich ihn trotzdem gelten lasse, so mochte ich aber nicht die daraus ge- 
zogene Schlufifolgerung unterschreiben, wonach eine besondere fur das ,.Rundfunkin^ 
strument" zu schaffende „Rundfunkoriginalrnusik"' zu erwarten steht. Ich glaube nicht, 
da6 man „fur Rundfunk" schreiben kann wie fixr em Instrument unmittelbarer musika- 
kalischer Darstellung. A^ielmehr scheint mir diese Forderung eine Selbstbescheidung zu 
enthalten, die ihre Anspriiche an denen unseres Telephonbuches mifit, das fur die 
Technik des Ferngesprachs eine besondere Sprechweise von uns verlangt. 

Nichts hindert mich vielmehr, dem Optimismus der Rtindfunktechniker Rechnung 
zu tragen, die doch wohl den bisherigen Zustand der Verzerrung musikahschen Klahges 
durch den Rundfunk als voriibergehend, die Uberwindung der Eigentragheit des Uber- 
tragungskorpers bis zu realistischer Wiedergabe als erreichbar betrachten. 

Erst wenn man also einmal die Moglichkeit dieser originalgetreuen.Wiedergabe musikar 
lischer Vorgiinge durch den Rundfunk als gegeben unterstellt, dann erst treten diejenigen 
Fragen asthetischer und soziologischer Natur auf, die, wie mir scheint, bisher noch nicht 
deutlich oder haufig genug aufgeworfen wurden, trotzdem aber eingehender Betrachtung 
wert sind. 

Es mufi namlich gefragt werden, ob nicht die unantastbare Wiirde des musikalischen 
Kunstwerkcs sein blofies In-die-Erscheinung-treten erst erlaubt unter der Voraussetzung eines 
Horers, der es entgegennimmt als heraustretende Einzelerscheinung innerhalb eines taglichen 
Lebens, das sich sonst strengster musikalischer Enthaltsamkeit befleifiigt. Eines Horers 
unter anderen, in einer durch ihr Zusammenkommen determinierten Gruppe. Ein Zu- 
sammenkommen, das erst die Verwirklichung des hier aufgefuhrten Musikwerks abschliefit. 
Vielleicht scheint diese Frage lacherlich. Dennoch ist sie m. E. inbegriffen in der Auto- . 



DIE MUSIK IM RUNDFUNK 429 

nomie musikalischen Schaffens iiberhaupt. So unmoglich es ist, dafi irgend ein Kunst- 
werk iiberhaupt unter beliebigen Bedingungen realisiert werden kann. ebenso unmoglich 
scheint es auch, dafi es von einer beliebigen Anzahl Menschen unter beliebig ver- 
schiedenen aufieren Umstanden aufgenommen und dadurch in Wirklichkeit umgesetzt 
werden kann. Die Fiktion, dafi das geschehen konne, ist genau gleich bedrohlich fiir 
alle Drei, fiir den Aufnehmenden, fiir den Kiinstler, fiir das Leben der Kunst selbst. 

In der hier erfolgten Beantwortung unserer Frage scheint mir also der eigentliche 
Grand zu • liegen, aus dem die Moglichkeiten musikalischer Verbreitung, die dem Bund- 
funk gegeben sind, im Hinweis auf Musik, in der „musikalischen Beportage" begriindet 
und beschlossen liegen. Wenn dem aber wirldich so ist, wenn die Aufgabe des Bund- 
funks der Musik gegeniiber Beportage bleibt, so fordert diese Aufgabe eine Technik, die 
naturgemafi noch nicht besteht. An den Musikern ist es, sie abzulehnen oder anzuer- 
kennen, an ihnen, sie gegebenenfalls ins Leben zu setzen. 

Bleibt die Frage musikalischer Volkserziehung durch die Mittel des Bundfunks. 

Die eingangs dieses Artikels angedeuteten Anschauungen iiber staatsburgerliche 
Disziplin einer Gesellschaft als Voraussetzung einer natiirlichen Beziehung zur Kunst 
innerhalb ihrer selbst sind der Grund fiir eine gewisse Vorsicht gegeniiber den gegen- 
wartig allgemein herrschenden Tendenzen einer Erziehung zur Entgegennahme der Kunst 
vonseiten dieser selbst aus wie iiberhaupt. Die Frage sei gestattet, ob es moglich ist, 
dem tiefwurzelnden unterbewufiten Lebensnerv, dessen Kraft das intime sinnliche Ver- 
haltnis des Einzelnen zu aller Schonheit entspringt, mit dem Medium eines noch so 
weit gespannten Lehrsystems Geniige zu leisten. Verdrangt nicht vielleicht das isolierte 
Einzelwesen, wenn es sich den Manifestationen einer (im Bundfunk noch dazu unsicht- 
baren, also phantastisch ausgeschmiickten) kunstlerischen Lehrgemeinscbaft zuwendet, 
auf andere Ziele gerichtete, primitivere Bediirfnisse ? Ist nicht das Publikum eines Vor- 
stadtkinos, wenn es sich durch einen Kitschfilm erscbiittern lafit, vielleicht der heilig- 
unheiligen Wallung eines Kunsterlebens naher als in dem anderen Augenblick, wo es 
etwa — aus aufierkiinstlerischen Griinden — den Lichtbildervortragen oder Museums- 
fuhrungen eines Volksbildungsvereins beiwohnt? 

Gewifi tragt der Bundfunk fiir die Zwecke kiinstlerischer Volkserziehung das hoch- 
erfreuliche Moment einer schier unbegrenzten Teilnehmerzahl bei. Aber gerade, wenn 
man deren Steigerung arithmetisch annimmt, miifite die Vermehrung der angedeuteten 
Gefahrenquellen entsprechend geometrisch fortzuschreiten scheinen. Denn genau wie 
das Kunsterlebnis ist der Vorgang padagogischen Wirkens ja ein schopferisch-erotisches 
Kraftespiel personlichster Gegenwart. Er bedarf auch wie alle Schaffenstatigkeit einer 
unerbittlich zweckbestimmten Oekonomie. Es soil gewifi die Auffassung von der 
Gefahrlichkeit unkontrollierbarer Wirkungskraft durch den Bundfunk nicht kiinstlich 
iibersteigert werden. Sicher ist aber, dafi diese verkehrstechnische Gestalt, wie bereits 
mehrfach offentlich ausgefiihrt, eine Machtausiibung fordern wird von so monumentaler, 
allgemeiner Natur, dafi die zarten Machtkampfe der Erziehung ihm wohl nur mit Vor- 
sicht anvertraut werden diirfen, solange noch die Frage des Kampfes um das blofie Sein 
ihm nicht nahegetreten ist: das Hemd ist uns naher als der Bock! 



430 WILLEM PIJPER UND PAUL F. SANDERS 



AUSL AND 



Willem Pijper und Paul F. Sanders (Amsterdam) 

HOLLANDISCHE MUSIK VON 1900-1925 

Holland hatte im Anfang dieses Jahrhunderts eine Periode der Sterilitat von genau 
300 Jahren hinter sich. Jan Pieterszoon Sweelinck, der 1622 starb, war unser letzter 
grofier Komponist gewesen. Die klassischen (Bach bis Beethoven) und romantischen 
(Schubert bis Wagner) Epoch en haben in Holland keine Beteiligung gefunden. Wir sind, 
von alters her, ein Volk von Malern und Baumeistern. Die Literatur hat sich ver- 
haltnismiifiig spat zu einer Hohe von intern ationaler Bedeutung emporgeschwungen, 
und die Musik kam noch spater. 

Das vergangene 19. Jahrhundert war auffallend arm an guten Musikern. noch 
firmer an Komponisten. Leute wie Verhulst, der Freund von Mendelssohn, Nicolai, 
Komponist von Kinderliedern, Daniel de Lange, haben kaum noch einige Bedeutung 
fur die Musikgeschichte unseres geographisch kleinen Landes. 

Urn 1900 aber arbeiten hier drei Meister, deren Einflufi auf das, heute im Auf- 
hluhen begriffene, Musik] eben fiufierst stimulierend gewirkt hat. Es waren: Alphons 
Diepenbrock (1862-1921); Johan Wagenaar (geb. 1862, z. Zt, Direktor des Kon- 
servatoriums zu s'Gravenhage, und Bernard Zweers (1854 — 1924). 

■ ' Zweers war in erster Linie Padagog und Klassizist. Er hatte zahlreiche Schuler 
von den en z. B. Sem Dresden sich zu einer fiihrenden Bolle emporgearbeitet hat. 
Wagenaar ist ein vollendeter Meister der Technik, ein famoser Kolorist und ein 
ausgewachsener Individualist. Diepenbrock war der erste Komponist von europaischer 
Bedeutung, dessen gesammelte Werke das erste Monument zeitgemafier hollandischer 
Tonkunst bdden. 

Das Komponieren hat sich hier nachher wesentlich geandert. Wir haben jetzt 
zahlreiche Komponisten, welche z. T. radikaleren Prinzipien huldigen als Strawinsky oder 
Milhaud. Schonberg ist fur viele unserer Jiingeren schon veraltet und wir sind jetzt 
im Stande eine bodenstandige und dennoch vollig europaische Musik zu schaffen. 

Aber dafi wir auf die Hohe unserer Zeit uberhaupt stehen konnen, verdanken 
wir den drei Vorgangern (Diepenbrock in erster Linie) deren Werke vor etwa 25 Jahren 
ein Merkmal bedeuten. 

* 

Die Musik Bernard Zweers ist nicht an erster Stelle originell. Er lehnte sich 
den Klassikern an in seinen Formen, Wagner in seiner Harmonik und Instrumentation 
Es gibt bei Zweers eigentlich zwei Personlichkeiten in Einem: der musikalische Zweers 
schrieb drei Symphonien und Theatermusik-, der musikantische produzierte eine stattliche 
Reihe schon vollig veralteter Lieder und Chore. Seine auliermusikalische Inspiration, die 
poetische Idee in seinen Werken gehorte nicht zu den bedeutendsten und so wurde es 
oft zu kindlich und hausbacken mochte man fast sagen. Sein bedeutendstes opus ist 
zweifellos seine letzte (dritte) Sinfonie „Aan myn Vaderland" (Meinem Vaterlande). 



HOLLANDISCHE MUSIK VON 1900-1925 431 

Dies war sein grofier Wurf, und der ist ihm gelungen. Die dritte Sinfonie ist von 
1890 und sowohl Konzeption wie audi Realisierung war firr diese Zeit und dieses Land 
noch etwas Unerhfirtes. Das Werk dauert fast eine Stunde, ist glanzend instrumentiert 
fiir das grofie Wagner-Orchester (mit Tenortuben und sechs Hornern), und mischt in 
glticklichster Weise Volkstiimliches mit Kunstvollem. 

Spater ist er nie mehr iiber diese Leistung hinausgekommen. Er widmete 
sich der Padagogik, verlor die Fiihlung mit den neueren Stromungen und wufite sich 
nicht recht heimisch mehr in den Regionen der Pluritonalitat und Polymetrik. Er 
starb 1924, von vielen geliebt und er hat in seinem Leben ein Beispiel gegeben, das 
seine Schiller (und es waren dieser viele) nicht sofort vergessen soil ten. 

Dr. Johan Wagenaar ist eine viel kompliziertere Erscheinung. Wie Zweers 
hat auch er eine starke Disposition fiir das witzige, humoristische in seiner Musik. 
Zweers aber war oft witzig ohne weiteres; Wagenaar persiffliert Vieles und ironisiert 
fast Alles. Er hat zwei parodistische Opern geschrieben: ,,De Doge van Vonetie" (Der 
Doge von Venedig) und „De Cid" (Der Cid). Die alteste Oper, „Der Doge' 1 , er die 1890 
schrieb, ist wohl sein personlichstes Werk. Wagenaar ironisiert alle Opern-Brauche 
und Mifibrauche, die italienischen Fransen, sowohl wie die Leitmotive-Manie. Aber die 
ganze Musik ist von einer Frische und Spannkraft, die heute noch nicht veraltet er- 
scheint. Weitere komische Werke sind: „De Schipbreuk" (Der Schiffbruch), Kantate fur 

it' gemischten Chor, 3 Solostimmen, Klavier und Schlagzeug ; „Dadelpracht" (uniibersetz- 

v a barer Eigenname); ,,Ode aan de Vriendschap" (An die Freundschaft) fiir gemischten 

% Chor mit Klavier, ein ganz lustiges Stuck, das zu guter Letzt in einem Wiener Walzer 

'% ausmiindet, wobei die Basse ostinat das Geleitwort „Vriendschap" wiederholen wie ein 

_§' Wiener Prater-Orchesterlein: 



„Vriend-schap-schap" | „ „ , . „ . 

v v } D. L. ad infinitum 



Es ist dies ein Witz der seine Wirkung noch nie verfehlt hat ... 

Auch seriose Kompositionen hat Wagenaar geschaffen: Ouvertiiren fiir Orchester: 
„Cyrano de Bergerac" (Bostand) und „The Taming of the Shrew" (Shakespeare); eine 
Sinfonietta, ein Trauermarsch, Chore, Lieder, symphonische Dichtungen und kleinere 
Arbeiten. Seine Eigenart liegt hauptsachlich in seinem Kolorit. Es lassen sich gewisse 
Einfliisse nachweisen: Berlioz, Rich. Straufi und spater auch Mahler. Aber ein Werk 
von Wagenaar hat dennoch immer einen eigenen Ton : Pragnanz und weise Beschrankung 
in der Behandlung des gewahlten Stoffes dringen immer vor. Ein Erneuerer wie 
Diepenbrock war ist Wagenaar nicht, auch er ist im gewissen Sinne Tradionalist. In 
anderm Sinne als Zweers jedoch. Seine Kritik gestattete ihm nicht die alternde Bomantik 
wieder zu beleben : lieber spottete er ein wenig, wissend, dafi man nur verspotten kann, 
was man selbst geliebt hat. 

Alphons Diepenbrock war der am wenigsten musikantische Musiker der drei. 
Diepenbrock war Philolog und ein bedeutender Schriftsteller iiber musikalische, philo- 
logische und theologische Gegenstande. Er hat etwa 80 Werke geschrieben, zum 
ubergrofiten Teil Vokalwerke mit Orchester. Anfangs erschienen seine Melodik und 
seine Harmonik ziemlich beeinllufit von Bich. Wagner — er hat 1880 — 1890 viel fur 
die Verbreitung von Wagners Musik in Holland getan ; spater kamen andere Kontakte dazu. 



432 WILL EM PIJPER UND PAUL F. SANDERS 

Diepenbrock war einer der ersten, die Mahler's Bedeutung fiir die Musik von 
1900-1915 recht verstanden hat. 

Er hat sich zu Mahler angezogen gefiihlt, er hat personlichen Verkehr mit ihm 
gepflegt, aber er hat auch Mahler's Begrenzheit erkannt. Diepenbrock hat, besser als 
Mahler, das Ende von Dur und Moll vorempfunden und hat bis zu seinem Tode 
Interesse fiir alle ,Neuerungen welche in den Werken der Modernen und Modernsten 
an den Tag treten, gezeigt. Er hat sich mit Schonberg auseinandergesetzt und 
Debussys „Pelleas und Melisande" kannte er fast auswendig. Diepenbrocks Geist hat 
ungemein befruchtend auf alle Musikern unseres Landes gewirkt; mit ihm hat das 
verstandnislose pseudoromantische Liedchenkomponieren ein Ende genommen. Ihm war 
die poetische Idee vor allem heilig; er komponierte nur die bedeutendsten Texte und 
Dramen. So z. B. Hymnen fiir eine Stimme mit Orchester von Holderlin, Novalis, 
Nietzsche, Alberdinghk-Thym ; „Elektra" von Sophokles, „Die Vogel" von Aristophanes 
etc. Lieder komponierte er auf Worte von Verlaine, Baudelaire, Goethe, Heine, Verhagen 
van Lerberghe. 

Diepenbrocks Musik hat immer etwas von der ekstasischen Hymnik der katholischen 
Kirchenmusik. Es ist wie ein wogendes Meer von Klangfarbe. Ironie, Witzigkeit waren 
ihm fremd. Oft ist es breit ausgesponnen, langsam steigernd, wie Wagner das liebte. 
Spater^wird es pragnanter, exakter — doch immer bleibt er der ruhige Verkunder seiner 
Wahrheiten. Er war weder Pessimist-Optimist noch Stoiker, er bekannte sich zu seinen 
Wahrheiten mit derselben Inbrunst, welche Bruckner zu dessen gigantischen sinfonischen 
Gebilden trieb. Er arbeitete und schliff an seinen Arbeiten wie die weisen Monche 
des Mittelalters es verstanden. Und sein Lebenswerk — bei seinen Lebzeiten Manus- 
kript und unbekannt, wie es nun einmal der Brauch war in dem Holland der trocknen 
und selbstgentigsamen Vorkriegsjahre — liegt jetzt vor, in einer schonen Ausstattung 
herausgegeben von dem eigens dafiir errichteten Diepenbrock-Fonds; Chore, Lieder, 
Partituren und Klavierausziige, und man kann nun erwarten, dafi Europa jetzt noch 
erfahrt wie grofi einen Meister wir in Diepenbrock verloren haben. Nach seinem 
Tode wird ihm die Anerkennung noch kommen, worauf er bei seinem Leben hatte 
und verzichten miissen. . W. P. 

II. 

Der Hollander ist, seiner Art nach, Individualist. Es gibt wohl Tonkunstlervereine. 
die von Zeit zu Zeit Musikfeste veranstalten, und ihre Mitgliedef an's Wort lassen. 
Aber nach[dem Geist ihrer Werke und ihrer Bestrebungen, kann man den hollandischen 
schaffenden Musiker nicht gruppieren. Er lebt im allgemeinen ziemlich zuriickgezogen, 
soweit er nicht als iiachschaffender Kiinstler an dem offentlichen Musikleben teilnimmt. 

Eine andere Eigentiimlichkeit. welche bei der Betrachtung der hollandischen 
Musik auffallt, ist wohl diese, dafi sie als Gesamtes keinen spezifischen hollandischen'' 
Eindruck^ macht. Wir hatten vor kurzem noch keinen, oder — wenn man an die 
Bliitezeit der alten Niederlander denkt — keinen nationalen Musikstil mehr. Im 
schroffen Gegensatz mit unserer Architektur, bildender Kunst und . Kunstgewerbe, die 
ihren spezifisch hollandischen Stil beibehalten haben. Der Grund ware wohl dieser, 



n 



HOLLANDISCHE MUSIK VON 1900-1925 433 

dafi unsere bekanntesten, alteren Musikpadagogen im Ausland, und namentlich in 
Deutschland geschult wurden. Wir besitzen dann audi eine grofie Anzahl serioser 
Komponisten, Manner vom Fach, die eine gediegene, gut konstruierte Musik schreiben, 
jedoch ohne eigenen personlichen Charakter. Eine Musik, in welcher man unaufhorlich 
die um so Vieles genialere Beispiele eines Brahms, Wagner, Straufi oder Franck, zu- 
weilen auch eines Mahler und Debussy wiedererkennt ; eine bessere Art Kapellmeister- 
musik konnte man vielleicht sagen. Die meisten Komponisten dieser Art, deren fach- 
technischen Wert man nicht zu unterschatzen braucht, aber deren Erscheinung doch nur 
lokaler Bedeutung ist, werde ich hier ubergehen konnen. An sich weist ihre ziemlich 
grofie Zahl auf die erfreuliche Tatsache, dafi die lange Periode musikalischer Impotenz, 
welche in der Musikgeschichte unseres Landes zwischen Sweelinck und Zweers eine so 
tiefe Kluft geschlagen hat, abgeschlossen ist. 

Erwahnung verdienen Julius Rontgen (1855), ein Komponist von ganz grofier 
Produktivitat, dem kein Gebiet der Musikliteratur fremd ist. Besonders hervorzuheben 
sind seine Bearbeitungen und Neu-Ausgaben alter hollandischer Volklieder und -Tanze. 
G. H. G. van Bracken F o c k (1 859), der auch viele Werke schrieb, hat sein grofites 
Verdienst als Klavierkomponist. Anton Averkamp (1861) und G. Oberstadt (1871) 
sind, wie die beiden vorhergenannten, Reprasentanten einer alteren Richtung in der 
Musik und arbeiten hauptsachlich nach deutschen Beispielen. Jan Brandts Buys (1868) 
hat sich schon friihzeitig in Wien niedergelassen. Er komponierte viele und flotte 
Musik: Kammermusik, Orchesterwerke, Opern. Kor Kuiler (1877) und P. von 
Anrooy (1879) waren beide vielversprechende Talente, die den Schwerpunkt ihrer 
Arbeit jedoch spiiter mehr in ihre Dirigententatigkeit gelegt haben; dieser im Haag beim 
„Residentie orkest", jener in der Provinzstadt Groningen. 

Ein fruchtbarer Komponist ist C. Dopper (1870), ein Mann des derben Humors. 
In seinen spateren Werken sucht er sich von deutscher Tradition zu befreien, zumal 
durch Benutzung vorklassischer Formen und Tonarten. Indessen bewundert man in 
seiner Musik am meisten die hervorragende Instrumentationskunst. Hubert Cuypers 
(1873) schrieb, neben vielen anderen Werken (Oratorien, Opern, sogar eine Operette, 
Messen, Chore, Lieder) einige Deklamatorien. W. Landre (1874) sucht in seinen 
Werken die Brucke zwischen dem pseudoklassizistischen Stil des vorigen Jahrhunderts 
und den Bestrebungen der spateren Generationen zu schlagen. 

Von grofierer Bedeutung sind die drei Komponisten Dirk Schafer (1873), 
Jan Ingenhoven (1876) und Jan van Gilse (1881). 

Schafer ist ein Klavierspieler von intern ationalem Bang, dessen Bedeutung als 
soldier ich hier nicht naher auseinandersetzen kann, wie gerne ich das mochte. Er 
schrieb viele Klavierwerke (Sonaten, Stticke) von grofier Feinheit, elegantem Stil und 
stark pianistischer Wirkung, in den en sich jedoch oft fremde Einfliisse erkennen lassen. 
Als schaffender Kiinstler erreichte er bisher das Hochste in seinem Klavierquintett und 
Streichquartett (vom Bohmischen Streichquartett ofters gespielt). Er schrieb auch zwei 
Sonaten f'iir Violine und Klavier, eine Son ate fiir Cello und Klavier, ein Klavier- 
konzert, viele Lieder und zwei sehr wirkungsvolle Orchesterstiicke (Suite Pastorale, 
Javanische Bhapsodie). 



434 W.ILLEM PIJPER DND PAUL F. SANDERS 

Ingenhoven zeigte sich in seiner Kammermusik (Streichquartette, Blasersextette) 
und Chorwerken (z.B. : „4 Chansons") inehr als in seinen grofieren Werken fiir Orchester 
oder Gesang mit Orchester, ein Meister* des subtilen Raffinement. 

Van Gilse komponiert© einige Symphonien, „Eine Lebensmesse" fur Orchester, Soli 
und Chor, und viele Lieder mit Orchester. Es ist zu bedauern, dafi er sich, bei seiner 
grofien Begabung, von der aufierlichen Expansion grofierer auslandischen Beispiele nicht 
hat lossagen konnen. i . ' 

Henri Zagwyn (1878) 1st von dieser Generation der modernste. Seine Musik 
hat etwas griibemdes, aber daneben die Anziehungskraft des Bescheidenen. Er schrieb 
Orchesterwerke und Kammermusik (u. . a. ein Streichquartett, eine Nocturne fiir Blaser, 
Harfe und Celesta;' ein Klaviertrio), viele Lieder, Klavierstiicke und a capella Chore. 

Es gibt in Holland eine Beihe von Komponistinnen. Von ihneh haben 
Hendrika van Tusschenbro ek (1854) und Cath; van Bennes erne gewisse 
Bedeutung als Komponisten von Kinderliedern und -Choren. Anna Lambrechts- 
Vos (1876) schrieb hervorragende Kammermusikwerke. Cornelie v. Oosterzee (1863), 
Elisabeth Kuyper (1877) gediegene Orchesterwerke. Moderner orientiert sind 
Anna Mesritz v. Velthuysen (1887) und Jeanne Bey erman-Valraven (1878). 

Von den drei eigentlichen Grundlegern unserer neuen hollandisch en Musik (Zweers^ 
Wagenaar und Diepenbr o ck) hat der zuletzt Genannte vielleicht 'wohl den 
grofiten Einflufi auf die Jiingeren, aber keine . eigentlichen Schiiler gehabt Die beiden 
anderen dagegen ziihlten die besten unserer heutigen Komponisten unter ihren Schiilern. 

Der bedeutendste ZVeers-Schuler ist zweifelsohne Sem Dresden (1881), der 
neben seiner scbaffenden Arbeit als Direktor des Amsrerdamer Konservatoriums, als 
Musikschriftsteller (er schrieb 1923 ein bedeutendes Werk „Das Musikleben in den 
Niederlanden seit .1880"), Musikkritiker und L|eiter des Madrigalvereins, eine fiihrende 
Stellung in unserem Musikleben einnimmt. Er schrieb hanptsachlich Kammermusik: 
Sonaten fiir Violine, Violoncello, Flote und Harfe; ein Trio fiir zwei Oboen und 
Englisch Horn, Streichquartett; drei Sextette fiir Blaser; mehrere Klavierstiicke; ein Duo 
fiir zwei Klaviere; viele Lieder und a capella Chore (worunter auch Bearbeitungen 
alter niedeiiandischer Volkslieder) ; Variationen fiir Orchester u. a. Auch instrumentierte 
er Stiicke von Bameau zu einer Suite fiir Blaser-Sextett. Seine Instrumentalwerke, 
zumal die aus jiingster Zeit (das Streichquartett und die Sonate fiir Flote und Harfe) 
sind von klarer Konstruktion ; scharf konzentrierte Gebilde im Sinne aufierster Intensitats- 
steigerung, von kiihner Harmonik, starker dynamischen Kraft, reif. und zielbewufit. Der 
Komponist hat nicht sehr viel veroffentlicht, aber schafft dennoch leicht und zeigt mit 
jedem Werke eine allumfassende Beherrschung, ein gediegenes Konnen. Die Gediegen- 
heit ist bei ihm jedoch nicht, wie bei so vielen Hollandern, zu einer gewissen Steife 
oder Schwere geworden. Im Gegenteil, es spricht aus seinen Werken oft eiri fast 
gallischer Esprit. Von grofier Klangsclionheit sind seine im reinen polyphonischen 
Std geschriebenen, Vokalwerke, unter denen ich als schonstes das „Wachterlied" er- 
wahnen mochte. 

Der hervorragendste Wagenaar-Schiiler istWillem Pijper (1894), dessen Werke 
schon sehr viele sind, und der in kurzer Zeit einen iiberhaupt grofien Entwicklungsgang 
durchmachte. Er ist weitaus der radikalste unserer heutigen Komponisten und hat 



HOLLANDISCHE MUSIK VON 1900-1925 435 

sich, unabhangig von den weit-fortgeschrittensten auslandischen Komponisten (Schonberg- 
Milhaud-Strawinsky) eine vollkommene eigene Tonsprache angeeignet. Seine ersten 
symphonischen Werke zeigten nocb die expansiv gerichtete Architektur des spaten 
19. Jahrhunderts. Allmahlich hat sich eine zusammenziehende Tendenz in semen 
Werken vollzogen. Die Kompositionen der letzten Jahre, nach 1920 (Sonatinen Nr. 2 
und 3 fur Klavier, Sonate Nr. 2 fur Cello und Klavier, Sonate fur Flote und Klavier, 
die zweite und dritte Symphonie, das zweite Klavierkonzert) zeigen die grofite Priignanz 
im Ausdruck. Seine poly-melodische und poly-rhythmische Schreibart sind von tiber- 
raschender, aber durchaus logischer Findung. Harmonisch schliefit er sich den poly- 
und atonalen Bestrebungen unsrer Zeit an. Man findet bei ihm jedoch keine Experi- 
mente. Seine Tonsprache ist klar, sei es auch fur das traditionell geubte Ohr weniger 
leicht verstandlich. Jedes seiner Werke ist ein ganzes, in sich abgerundetes, logisches 
Gebilde. Stent Pijper mit semen Schopfungen in der ersten Reihe der 'modernen Musik, 
und kann man ihn, in dem guten Sinne des Wortes, einen Kosmopoliten nennen, seine 
hollandische Eigenart findet man in seinen zahlreichen Bearbeitungen fur Gesang und 
Klavier alter niederlandischer Volksmelodien. Auch in seinen beiden a capella Choren 
auf alrniedeiiandischen Text: „Heer Halewijn" und „Heer Danielken" die zu den besten 
Specimina moderner polyphoner Schreibart gerechnet werden miissen. 

Von seiner Kammermusik seien hier noch vier Streichquartette, zwei Klaviertrios, 
zwei Violinsonaten, ein Blasersextett, ein Blasersextett mit Klavier, ein Septett fur Blaser, 
Kontrabass und Klavier erwahnt. 

Von grofier Urspriinglichkeit zeugt auch die Musik, welche er zu den klassischen 
Trauerspielen Sophokles' und Euripides' schrieb : „Antigone' : , „Die Bacchantinnen" 
und „Der Cyclop". In diesen "Werken lafit er den Text auf vorgeschriebener Tonhbhe 
und rhythmisch sehr sorgfaltig ausgearbeitet sagen, wobei das Wort zu moglichst reinem 
Ausdruck gelangt. Bei praziser Ausfiihrung spurt man nicht den geringsten Zwang. 

Pijper ist in Amsterdam als Musikschriftsteller und Lehrer in der Komposition 
am Konservatorium tatig. Von Dresden erschienen die ersten Werke in Holland, die 
letzten aber bei Senart in Paris. Pijpers Werke erschienen tedweise bei Chester, ted- 
weise bei The Oxford University Press, beide in London. 

Neben diesen beiden ist unter den Jiingeren die interessanteste Erscheinung: 
Matthijs Vermeulen (1888), der als Musikkritiker einen groJSen und giinstigen Ein- 
flufi auf die Entwicklung unserer Musik ausgeubt hat. Seit 1921 wohnt er bei Paris 
und widmet sich ganz der Komposition. Er ist Autodidakt und zeigt auch in seinen 
Werken eine tiefe Abneigung gegen Schulweisheit. Seine Werke (Vier Symphonien, 
eine Sonate fiir Cello und Klavier, und fur Violine und Klavier, ein Klaviertrio und 
Lieder) sind kompliziert und stellen an den Interpreten grofte Anforderungen, sowohl 
techniscli wie musikahsch. Nur eignen Wegen folgend, ist dieser Komponist zu wirklich 
neuen und ganz interessanten Restdtaten gekommen. 

B. van Dieren (1884) hat in England seine zweite Heimat. Er hat mit seiner 
Kammermusik (,.Sketches" fiir Klavier, 4 Streichquartette, einer Ouvertiire fiir Kammer- 
orchester, Liedern, einer Opera buffa „The Taylor" usw.) einen Platz unter den modernen 
Komponisten unserer Zeit erobert. 



436 ERNST LATZKO 



Ebenso D. Ruyneman (1886), der mit seinen Liedern, Klavierstiicken, Sonaten 
(Soloklavier und Sologeige) eine lebendige Fantasie, aber leider nicht immer genugende 
Selbstdisziplin, zeigte. Zu seinen besten Werken zahlen ein vierstimmiger a capella Chor 
auf Vokalen „Der Ruf" („De Roep") und „Hieroglyphen" fiir 2 Flo ten, 2 Mandolinen, 
Guitarre, Klavier, Harfe, Celesta und Cup-bells, ein in seiner Zusammenstellung unge- 
wohnliches, aber klanglich sehr gelungenes Kammerorchester. 

H. Franco Mendes (1890) und J. van Domselaer (1890) schrieben haupt- 
sachlich Klavierwerke. R. van den Sigtenhorst Meyer (1888) und Alex Voor- 
niolen (1895) sind in ihren Werken ein wenig einseitig franzosisch orientiert. Letzerer 
ist zweifelsohne der Regabteste. Seine Musik (viele Klavierstiicke, Lieder, eine Ouver- 
ture fiir Orchester „Raron Hop", eine Symphonietta, Ballettmusik u. a.) ist klangvoll, 
koloristisch interessant und angenehm leichtfufiig. Hendrik Andriessen (1892) zeigt 
in seinen besten Werken (religioser Art) den Einflufi Diepenbrocks. H. D. van Goudoever 
(1898) sclirieb bereits mehrere Orchesterwerke von grofier Eleganz, gut geschrieben, 
aber vielleicht etwas all zu sehr „a la mode". 

Ich bin mir bewufit hiermit nur ein oberflachliches Bild unsrer heutigen Musik 
gegeben zu haben. Es arbeiten noch einige ganz junge Talente, die womoglich die 
Zukunft unsrer Musik in sich tragen, aber von der en Entwickelung sich noch wenig 
sagen lafit. Man irrt sich wohl nicht, wenn man behauptet, dafi der hollandischen 
Musik eine neue, grofie Epoche bevorsteht. Es wird mit Talent und mit Fleifi allent- 
halben gearbeitet. HofFen wir, dafi die Musik im Allgemeinen, davon die Friichte 
ernten wird. P. F. S. 



UMSCHAU 



Ernst Latzko (Leipzig) 

HANDELRENAISSANCE UND OPERNREGIE 

Remerkungen zur Deutschen UraufFiihrung von Handels „Alcina" in der Ubersetzung von 
Hermann Roth am Neuen Theater in Leipzig 

Immer deutlicher tritt es zutage, dafi die Wiederbelebung der Handelschen Oper, 
die eben erst so vielversprechende Anlaufe genommen hat, und mehr in eine Sack- 
gasse gerat. Das zeigt sich zunachst an der verminderten Auff iihrungszahl ; denn wir 
sind heute weit entfernt von den vor etwa drei Jahren besteheriden Verhaltnissen, da 
jedes bessere Theater seinen Ehrgeiz daran setzte, eine Handeloper im Spielplan zu 
fiihren. Das offenbart sich aber auch — und fur den Eingeweihten, dem die Sache 
Handels am Herzen liegt, noch viel drohender als in dem ersten aufierlichen Moment — 
darin, dafi die Interpretation der Handeloper gegenuber die Unbefangenheit einbiifit und 
sich immer starker in ein unfruchtbares Experimentieren' verliert. Einen ganz eigen- 
tiimlichen Reiz gewahrt dabei die Reobachtung, wie gerade entgegengesetzte Wege hier 
Musik und Szene gehen. Je strenger man auf der einen Seite wird, desto willkurlicher 



HANDELRENAISSANCE UND OPERNREGIE 437 

auf der anderen. Kein verantwortungsbewufiter / und mit der Materie vertrauter Diri- 
gent wtirde beispielsweise heute die Eingriffe der Hagenschen Bearbeitungen vertreten 
wollen, aber der Regisseur sieht in der Handeloper ein besonders dankbares Feld fur 
seine weder im Werk noch in irgendeiner Tradition begriindeten Individualitatsbestre- 
bungen. Diese Erwagungen muGten sich bei der „Alcina ; '-Auffuhrung der Leipziger Oper 
jedem unvoreingenommenen Horer mit besonderer Scharfe aufdrangen. 

Fiir dieses Werk hat Antonio Marchi als Stoff die Alcina-Episode aus dem 6. — 8. 
Gesang des „Orlando furioso" genommen und daraus ein fur unsere Anschauungen 
ziemlich verworrenes, den Empfmdungen des Barock und der Kunst Handels aber sehr 
entgegenkommendes Libretto geschaffen. Alcina ist ein Gegenstiick zur Circe der Odys- 
see, die Zauberin, die die Manner anlockt und, wenn sie ihrer iiberdriissig geworden ist, 
in Tiere, Baume, Felsen verwandelt. Auch Ruggiero ist ihren Zauberkiinsten erlegen und 
Bradamante, seine Braut, eilt als Mann verkleidet zu seiner Rettung herbei und die 
Abenteuer, dies zu einer Befreiung und zur Entzauberung der ubrigen Opfer fiihren, bilden 
die Haupthandlung des Buches. Dazu eine mit leichten Buffoelementen durchsetzte Neben- 
handlung • zwischen Alcinens Schwester Morgana und ihrem Liebhaber Orontes und eine 
aufierhalb der Handlung stehende Episode des Knaben Oberto, der seinen auch von Alcina 
verzauberten Vater sucht. 

In der Musik muli in formaler Beziehung die reichere Verwendung des Chores und 
des Balletts auffallen, ein Abweichen von dem starren Schema der opera seria, in dem 
sich Einflusse der franzosischen Oper deutlich wiederspiegeln. Im ubrigen beherrscht der 
Wechsel zwischen Rezitativ und Arie — nur einmal durch das Terzett der drei Haupt- 
personen unterbrochen — den musikalischen Ablauf. Ist demnach — gegeniiber der so 
verwickelten Handlung — die musikalische Form noch immer eine denkbar einfache, 
so wird sie aber durch den Inhalt in unerhorter Weise belebt und die Intensitat dieser 
Musik spottet aller zeitgebundenen, unwesentlichen, zufalligen Momente und macht aus 
dem Werk einen lebendigen, einheitlichen Organismus. Mufi ihr Grundzug — der Haupt- 
handlung entsprechend — ein leidenschaftlich-pathetischer sein, so bringt die Nebenhand- 
lung voriibergehend auch eine leichtere Note zum Erklingen. Und halt man die von 
echtem Buffogeist erfullte G-dur-Arie des Orontes gegen die an Shakespearesche Grofie 
gemahnende Hexenszene der Alcina (hier das einzige, von grofiartiger Wucht erfullte 
Accompagnato des Werkes), so hat man die beiden Pole, zwischen deren weitgespannten 
Ausdrucksgrenzen diese Musik stromt. 

Diesem Werk hatte nun die Leipziger Auffuhrung gerecht zu werden. Nichts be- 
leuchtet die durchaus ungesunde Verschiebung in dem Verhaltnis zwischen musikalischer 
und szenischer Interpretation drastischer als die Tatsache, dafi fast nur von dieser die 
Rede war. Und das mit Recht. Denn in musikalischer Hinsicht konnte man wohl Einzel- 
leistungen aber nicht im Geringsten — weder positiv noch negativ — eine durchgehende 
interpretatorische Linie wahrnehmen, es sei denn den Mangel an rhythmischer und 
dynamischer Prazision und als Ersatz ein hier ganz unangebrachtes, die strengen Linien 
Handelscher Architektonik verfalschendes Espressivo. 

Umso gebieterischer zwingt die Inszenierung zu einer Stellungnahme. Hier mufite 
man mit Schrecken erkennen, wohin eine Opernregie steuert, die ihre Triebkrafte ein- 
seitig vom Textbuch statt aus der Partitur empfangt. Walter Briigmann, dessen Reich- 



438 ERNST LATZKO 



turn an Einfallen, dessen hervorragender Begabung in der Herausarbeitung dramatischer 
Situationen Leipzig eine Fulle von wirklich richtunggebenden Operninszenierungen ver- 
dankt, siebt seine Aufgabe in der Erzielung einer sich aus dem Zauberspuk des Libret- 
tos ergebenden Phantastik, ohne sich dariiber klar zu sein, dafi in der Musik Handels, 
die jeden Stoff in eine hohere Sphare allgemeiner Giiltigkeit emporhebt (so ist auch 
seine Alcina vielmehr liebendes Weib als Zauberin), niclits von dieser Phantastik zu 
finden ist, ja, dafi sie in ihrer strengen Formgebundenheit ihr geradezu entgegenstrebt. 
Ist darin ein Grundfehler der Inszenierung zu erblicken, so ergibt sich der zweite aus 
einer volligen Umkehrung des Verhaltnisses zvvischen den in der Musik enthaltenen 
Elementen. Dem Stoff, und vor allem dem hohen Menschentum Handels entsprechend, 
ist der Grundcharakter der Musik ein herber, durchaus ethischer. Dieser ernsten Grund- 
stimmung gegenuber wirken die leisen Andeutungen einer ganz diskreten Buffonik rein 
accidentiell. Die Leipziger Inszenierung stellt aber dieses Verhaltnis ganz und gar auf 
den Kopf, indem sie diese nebensiichlichen Andeutungen zur Hauptsache macht und noch 
obendrein zur Karikatur verzerrt. 

Diese beiden Grundfehler wirken sich nun in der gefahrlichsten Weise aus. Dabei 
mufi anerkannt werden, dafi die dekorative Frage teilweise sehr gliicldich gelost ist, 
Denn hier begntigt sich der Inszenator mit Andeutungen und der fast vollige Verzicht 
auf Naturalismus in Rulisse und Bequisit, die Beschrankung auf die Urstoffe derBiihne: 
Baum, Farbe, Licht und Treppe kflnnte wirklich als eine aus der Musik heraus gefundene 
Losung wirken. Wenn nicht die Personen, die sich in dieser Dekoration bewegen, diesen 
Eindruck ins gerade Gegenteil verkehrten. Hier ist auf Einheitlichkeit, audi nur 
auf die entfernteste Andeutung einer stilistischen Linie absichtlich Verzicht geleistet und 
die Phantastik des Textbuches durch bewufite Anhaufung von Gegensatzen und Sinn- 
losigkeiten angestrebt. Die einzige Figur, die von diesen Experimenten verschont geblieben 
ist, ist die Titelheldin. Sie erscheint zeitlos in ihrer Tracht wie in ihrer Mimik und 
Gestik. Umso zeitgebundener alle Ubrigen. Buggiero teils im Bussenkittel, teils ini 
Fliegeranzug, Bradamante und ihr Begleiter Melisso als Stahlhelmleute und das heitere 
Paar als mondanes Girl in Plisseroclc und seidener Hemdblouse und als Gardeleutnant 
in weifier Galauniform mit deutlichen Wilhelm n.-Beminiscencen. Am unbegreiflichsten 
aber die Gestaltung des Knaben Oberto. Denn hier hatte das „Aufierhalb der Hand- 
lung Stehen" zu allererst eine vollige Neutralitat erfordert. Statt dessen mufi dieser 
Oberto seine beiden von Kindesliebe und Hofmungsfreude erfullten Arien in Knicker- 
bockers und Seidenweste singen. Und dieser Uneinheitlichkeit des Kostiims mufi die 
vollige Stillosigkeit der Gebarde entsprechen und man erlebt es, dafi die Vor- und 
Nachspiele Handelscher Arien ebensogut mit stilisierten, rhythmischen, ganz der Musik 
angepafiten Schritten und Armbewegungen ausgefullt werden wie mit dem Zwirbeln 
eines „Es ist erreiclit"-Schnurrbartes. 

Endlich ist die Inszenierung noch mit einem dritten Elementarfehler belastet, indem 
sie den Chor ganzlich von der Buhne verbannt und in den Orchesterraum verlegt. Das 
ist bei der fur Handel ungewohlich grofien Bolle, die der Chor gerade in dieser Oper 
spielt, einmal ein Stilfehler in musikhistorischer Beziehung. Denn eine stilbewufite 
Inszenierung miifite dieses Moment unterstreichen statt es zu unterdrucken. Aber ijoch 
schlimmer wird der Widerspruch am Schlufi der Oper, wenn dieser Chor die ent- 



DER ZWEITE TANZERKON GRESS IN ESSEN 439 

zauberten Opfer der Alcina darstellt, die ihre Freude iiber die Wiederkehr zu mensch- 
lichem Leben Ausdruck geben. Hier tritt also der Chor aus seiner passiven Rolle als 
„kedeiites apraktos" heraus und. gewinnt als Handlungsfaktor Bedeutung. Doppelt falsch 
also, ihn zu einer blofien Konzerttatigkeit zu verdammen und seine dramatisclie Tatig- 
keit dem Balled: zu iibertragen, das durch Gesten und Sprechbewegungen der Lippen 
den Gesang illustriert. Man sieht, wohin man bei dieser Inszenierung gelangt: was 
Drama sein sollte, wird Konzert und Marion ettentheater und wenn schliefilich wahrend 
der letzten Szene, die den Hohepunkt in musikalischer wie dramatischer, akustiscber wie 
optischer Hinsicht bildet, der Vorhang fallt und das Geschehen sich nur noch auf Or- 
chester und unsichtbaren Chor beschrankt, dann endet dieses als ganze Oper gedachte 
Werk als reines Oratorium. 

Fur Jeden, der Augen zum Sehen und Ohren zum HOren hatte, war das Experiment 
qualvoll, aber trotzdem lehrreich. Denn es zeigt unsere Opernregie an einem ent- 
scheidenden Wendepunkt. Die Frage „Modern oder Barock?", „Zeitlos oder Zeit- 
gebunden?" iiber die jetzt soviel diskutiert wird, ist aber dabei nicht die Hauptsache. 
Sie tritt zuriiclc hinter der viel wichtigeren : „Form oder Formlosigkeit?'", „Stil oder 
Chaos ?" Kann eine Oper, deren Musik in architektonische Formen gebannt ist und 
hochste Stilkraft atmet, in einer Inszenierung gegeben werden, die den Stil und die Form 
verleugnet oder — richtiger gesagt — verspottet? Die Stilelemente der verschiedensten 
Jahrhunderte, Epochen und Kunstformen durcheinanderwiirfelt? Sicher ist die Barock- 
inszenierung nicht die einzige Moglichkeit fur die Handeloper, vielleicht kann sogar der 
Bauhausstil dafiir verwertet werden. Aber alle die zahllosen Moglichkeiten, die noch der 
Verwirklichung durch einen schopferischen Inszenator harren, miissen von dem einen 
Grundsatz ausgehen: die Handeloper will nichts sein als Musik, sie weifi nichts vom 
Zusammenwirken aller Kiinste und sowie das Textbuch fur Handel nichts anderes war 
als eine Veranlassung, Musik zu machen, so mufi die Inszenierung der Handeloper alles 
tun, dieser Musik auf der Buhne zu moglichst grofier Wirkung zu verhelfen. 

Besonders wichtig wird das Problem deshalb, weil das Opernschaffen der Gegen- 
wart so viele der Oper des 18. Jahrhunderts wesensverwandte Ziige aufweist. Auch 
hier die Loslosung vom Musikdrama und das Streben nach hochster Sublimierung der 
Musik. So konnte eine richtig verstandene Handelrenaissance zur Gesundung der Opern- 
regie unendlijh viel beitragen und uns vielleicht eine Wiedergeburt der Oper aus dem 
Geist der Musik bringen. 



Hans Kuznitzky (Berlin) 

DER ZWEITE TANZERKONGRESS IN ESSEN 

Tatsachen und Ausblicke 

Bei dem vorjahrigen ersten Tanzerkongrefi in Magdeburg zahlte man 250 Teil- 
nehmer; in Essen stromten uber tausend zusammen. Was hat das zu bedeuten ? Ist in- 
zwischen der Zwiespalt zwischen Ballett und neuem Tanz verkittet? Sind die Gegen- 
satze zwischen dem Deutschen Chorsangerverband und Tanzerbund und der Deutschen 



440 HANS KUZNITZKY 



Tanzgemeinschaft beseitigt? 1st die Frage der padagogischen Vorbereitung des Nach- 
wuchses. besonders hinsichtlich der einander widersprechenden Anforderungen von 
Theatertanz und Podiumtanz geklart ? 1st das Problem der Tanzschrift gelost ? — Nichts 
von alledem. Aber eine soziologisch unendlich weitschichtige Bewegung wdl sich er- 
fiillen: der Durchbruch des tanzerischen Menschen aus beruflich-fachlicher Einengung, 
deren Eigengesetze zu formen -er bislang getrachtet hat, zur Teilnahme am Continuum 
menschlichen Seins als gleichgerichteter und ebenbiirtiger Kraft- und Bewegungszug. Da 
kann es denn nicht fehlen, dafi schwere Kampfe ortlich und zeitlich begrenzter Art sich 
ubergrofi in das Blickfeld schieben und nicht eben dazu helfen, die Situation als Ganzes 
sich zu verdeutlichen. Diese Kampfe losen aber Kraftaufierungen aus, sie lassen Energien 
freiwerden und sie wirken so mit zu der Tat, die einzig dem Tanze frommen kann: 
•aus sich selbst zu sich selbst zu gelangen und dergestalt gelautert mit den verwandten 
Kunsten zusammenzuwirken. In diesem Sinne miissen die Kampfe, die der Tanz von 
heute in seinen eigenen Beihen zum Austrag zu bringen sich bemiiht, gewertet werden, 
in diesem Sinne ist es audi zu verstehen, dafi sie sich in der konzentrierten Atmosphare 
desEssenerKongresses wie in einem Brennspiegel sammelten. Nach dem vorjahrigenMagde- 
burger Kongrefi unterblieb an dieser Stelle ') mit Vorsatz das Eingehen auf den auch 
damals schon erkennbaren Zwiespalt; schon in der heutigen Situation ist der Tanz so 
stark, dafi er dieser Schonung entraten kann. 

Gleich der erste Verhandlungstag war dem Theatertanz gewidmet. Nachdem der 
Verhandlungsleiter Kurt Joofi in knappen Umrissen die Grundziige der gegenwartigen 
Arbeitspraxis aufgerissen hatte und bei dieser Gelegenheit sein Bekenntnis zum Wunsch- 
bild kiinftiger tanzerischer Betatigung, zum Tanztheater als dem Theatertanz tiberge- 
ordneter Begriff abgelegt hatte, ergriff Mary Wigman das Wort. Sie legte die Sonde 
an die schmerzlichste Wunde: „Der moderne Tanz und das Theater." Unerbittlich klar 
formulierte sie das Problem: das Ballett geniigt dem Theater nicht mehr, der moderne 
Tanz fiigt sich ihm nicht ein, die Zusammenfassung beider Prinzipien erweist sich als 
Wurzel von Unklarheiten. So steht den auch die Arbeit des jungen Tanzers am Theater 
„im Zeichen skeptischer Besignation". Das padagogische Hedmittel fiir die griindlich 
verfahrene Situation besteht darin, die Ausbddung des Theatertanzers mehr den realen 
Gegebenheiten der Biihne und ihres Wirkungsraumes anzupassen. In dieser Hinsicht 
kann der Tanz also nur angewandte Kunst sein, mufi demnach die Beziehung zu den 
anderen an der Buhne wirkenden Kunsten anzubahnen suchen und sich bemiihen, auf 
dem Wege 'iiber die fiir die Biihne allgemein wesentliche Gebardensprache den ganzen 
Menschen zu erfassen. 2 ) Weil nun dem Theater gegenwartig die Fahigkeit abzuerkennen 
ist, in diesem Sinne Arbeits- und Erziehungsstatte sein zu konnen (wir neigen zu der 
Meinung, dafi sein Arbeitsplan viel zu zweckhaft gerichtet sogar notwendigerweise sein 
mufi, als dafi sich darin wesentliches andern sollte), mufi diese Einwirkung den grofien 
Tanzschulen vorbehalten bleiben, fiir die aber die Moglichkeit dazu seit allzu kurzer 
Zeit gegeben ist, um schon einen in die Breite gehenden Erfolg zu erwarten. Unter 
diesen Gesichtspunkten wurden zwei grundlegende Forderungen aufgestellt: Bildung und 

!) Jahrgang VI, Heft 8/9. 

2 ) Wir denken an die aus diesem Geiste geborenen Bewegungsinszenierungen des mutigen Hanns 
Niedecken-Gebhard, deren erste Ansatze fast durchweg griindlich mifiverstanden worden sind. 



DER ZWEITE TANZERKONGRESS IN ESSEN 441 

Forderung der Gruppen am Theater und Erziehnng des Regisseurs. Der Tanzregisseur 
mufi mehrere Jahre als Tiinzer tatig gewesen sein, bevor er zum Fuhrer aufriickt und 
dai'f vor allem nicht unreife Tanzer verpflichten, was infolge der behordlich nicht ge- 
regelten Ausbildungszeit ausschliefilich. in seiner Hand liegt. — Als letzte Zielsetzung 
wird ein rhythmisch beschwingtes und beschwingendes Theater begriffen, das nur vom 
modernen Tanz erfullt werden kann, deni sein eigenes Wesen wieder Lebenssymbol ist. 
Damit erfullt die tanzerische Geste das Theater bis in seine letzten Wesensaufierungen. 
In ihren Schlufiworten, aus denen die Flamme des Bekenntnisses elemental - heraus- 
schlug, weihte die grofie Frau in damonischer Besessenheit die heutige Tanzgeneration 
als Trager und Opfer der in die Zukunft weisenden Idee. Hier offenbarte sich ein 
Fiihrertum, das die Jugend zu hochster Ekstase aufrifi, zu einer Ekstase, der im Grunde 
genommen der ganze ubrige Kongrefiablauf nicht mehr entsprechen konnte, woraus ihm 
allerdings kein Vorwurf zu macheii ist. 

Eine undankbare Aufgabe war es denn auch, im unmittelbaren Anschlufi an das 
eben Erlebte ,,Das Prinzip des klassischen Biihiientanzes" zu erortern. Professor Andrei 
Levinson (Paris) unterzog sich ihr mit umfassender Sacbkenntnis und feinem Geschmack, 
aUerdings in einer phdosophisch-wissenschaftlich belasteten Art, die nicht eben geeignet 
war, die ohnehin mafiige Teilnahme der jungen Tanzer am Gegenstand zu steigern. 
Wie beziehungslos diese Kunst doch in unserer Zeit stent, bewiesen Darbietungen der 
Pariser Tanzerin Lucienne Lamballe, die gepflegteste Ballerinatradition aufwiesen und 
dennoch eine geradezu hoffnuugslose Leere enthiillten. 

Der zweite Verhandlungstag war der Choreologie und Tanzschrift gewidmet. Fritz 
Boehme stellte in seinem einfuhrenden Vortrage sehr gliicklich zwei Gesichtspunkte ein- 
ander gegeniiber. Einerseits konnte die durch Niederschrift bedingte BewuStmachung 
der Vorgange den schopferischen Damon toten, auderseits ermoglichte die Schrdt aber 
geforderte Ausdruckwerdung aus der Sphare privater Emanation heraus zur Allgemein- 
verbindlichkeit. Die beiden Schriften, urn die es nach wie vor geht, sind diejenigen 
von Rudolf von Laban und Jo Vischer-Klamt. Der Weg des Vergleichens zwischeu 
ihnen ware vollig ungangbar, denn sie gehen von verschiedenen Voraussetzungen aus 
und verfolgen auch nicht durchaus die gleichen Absichten. Laban hat seine Typen- 
schrift noch vereinfacht. Er zerlegt die Bewegungsfolgen in Grundbewegungen, fiir die 
eine verhaltnisma&ig geringe Anzahl von Zeichen bestimmt ist (unten, oben, vorwarts, 
riickwarts, links, rechts, Mitte) ; aus ihnen ergeben sich schon dem graphischen Bild 
nach die ubrigen Zeichen.') Die Schrift ist in ihrer A'ereinfachten Form womoglich 
noch gegenstandlicher und system atischer als bisher; sie gibt auf das Was tanzerischer 
Bewegungen nahezu erschopfende Auskunft. Ihre praktische Anwendbarkeit mufi einst- 
weilen skeptisch beurteilt werden : der Choreologe und Choreograph selbst besitzt in 
ihr zweifellos ein Instrument, dessen exakte Funktion fiir Forschungen und wissen- 
schaftliche Untersuchungen er zu schatzen haben wird; der Tanzer, dem der Korper 
selbst und seine Bildung im Vordergrund des ihn Bewegenden steht, wird, selbst bei 

') Vgl. Schrifttanz, Methodik, Orthograpliie, Erlauteriingen. Wien, Leipzig. Universal-Edition. — Hier 
ist in gedrangter Kiirze die gesamte Laban'schs Tanzschrift gebnten. (Er nennt das bezeichnenderweise 
nicht „Tanzschrift", sondern ..Schrifttanz"; die Folgsn dieser unmoglichen ■ Urawertuhg haben sich schon ge- 
zeigt und werden sich noch mehr zeigen.) 



Voraussetzung des guten Willens; kaum jemals die Zeit aufbringen, die zur fehlerlosen 
Erlernung und Anwendung selbst dieser vereinfachten Schrift vonnoten ist; er wird ja 
nicht einmal wahrend seines Lehrganges mit seiner rein tanzerischen Ausbildung fertig. 
Wozu auch, da man ja Sangern und Orchestermusikern das Beherrschen der Partitur 
gleichfalls nicht zumutet und ihnen den Auszug in die Hand gibt. Diesen Auszug, der 
dann eben auf Wiedergabe jeder allerkleinsten Bewegung bewufit Verzicht leisten 
miifite, gilt es, den jungen Tanzern zu bieten. Zur genauen Kenntnis der Tanzpartitur 
geniigt der Tanzregisseur (und allenfalls sein Assistent); er hat von Fall zu Fall fur die 
korrekte Wiedergabe zu sorgen. Der moderne Tanz zeichnet sich durch hochst kom- 
plizierte Bewegungsfolgen aus: bewahren wir den Nachwuchs vor gedanklichem Ballast, 
den ihre geistige Ubersetzung in die Schrift notwendigerweise mit sich bringt. — 
Vischer-Klamts Schrift bezieht sich mehr auf das Wie und Warum der Vorgange. Mit 
Hdfe einer allerdings nicht unanfechtbaren Beduktion aller Bewegungen auf drei psycho- 
logische Normaltypen, den Materiellen, den Intelektuellen und den Spirituellen schreibt 
sie jede Bewegung schlechthin nieder, also nicht nur die tanzerische Bewegung: fur die 
psych ologische Forschung, z. B. die Erklarung und rationelle Ausniitzung der rhyth- 
mischen Gesetze von Arbeitsvorgangen und auch fur padagogische Forschungen kann sie 
sehr wesentlich sein, vorausgesetzt, dafi es gelingt, sich innerhalb der Psychologie iiber 
die grundlegenden Bewegungsnormaltypen zu einigen. 

Am dritten Verhandlungstag wurden Fragen der Tanzpadagogik erortert. Hier 
zeigte es sich denn endgultig, dafi nahe?u alles was an fruchtbaren Gedanken und aus- 
gearbeiteten Planen beigebracht werden konnte, unmittelbar oder mittelbar dem Kreise 
um Mary Wigman entstammte. Will Gotze, ihr musikalischer Berater, sprach iiber die 
Beziehung zwischen Musikpadagogik und tanzerischer Erziehung. Er tat das, indem 
er die Grundsatze darlegte, nach denen in der Dresdner Wigmanschule vorgegangen 
wird. Man will hier bewufit die Musik als gleichgeordnete Teilhaberin. Der padago- 
gische Weg unterscheidet Untersuchen als Vorstufe und Einleben als Zielsetzung. Das 
Untersuchen setzt sich aus einem theoretisch-praktischen Uberblick xiber die Gestaltung 
der Musik und aus einer Einfuhrung in die Grundlagen der Harmonik zusammen. Das 
Einleben erfolgt durch Versuche musikalischer Kompositionen und durch Klavierunter- 
richt, der die tanzerischen Formen besonders berucksichtigt Dieser aufierordentlich 
klar gegliederte und zweckentsprechende Lehrplan setzt erst ein, wenn die tanzerische 
Ausbildung bereits begonnen hat, damit der Tanzer anfangs bei sich selbst bleiben 
kann und seine Aufnahmefahigkeit nicht gleich von vornherein geteilt wird. Wie 
griindlich ernst die Dinge aber dann spater angefafit werden, geht aus der Tatsache 
hervor, dafi 20 — 30 Vorlesungen der Musik gewidmet sind, die auch unter den Priifungs- 
aufgaben ihre ebenbiirtige Stelle hat. Dennoch wird ihre Pflege im gegebenen Bahmen 
lediglich als personliche Auseinandersetzung des Tanzers mit dem verwandten Erlebnis- 
gebiet aufgefafit. Sonst war die Leiterin der Berliner Wigmanschule, Margarethe Wall- 
mann, die einzige Bednerin, die wirklich zum Thema sprach. 1 ) Gegenuber den gutge- 
meinten, aber am Wesentlichen vorbeisehenden Versuchen, zwischen Ballettschulung und 



l ) Es mufi betont werden, dafi teilweise auch sonst gute Gedanken ausgesprochen wurden, die jedoch 
allzu beziehungslos in der Luft schwebten, z. B. durch Berthe Triimpy, schliefilich auch durch Max Terpis 
der leider allzu willfahrig sich dem Theaterbetrieb in letzter Zeit einfugt. 



DER ZWEITE TANZERKONGRES S IN ESSEN 443 

neuzeitlicher Tanzausbildung einen Ausgleich zu finden, betonte sie sehr richtig, dafi es 
einen solchen infolge der ganzlich andersartigen Existenzbedingungen garnicht geben 
kann (worin die durch Minderwertigkeitskomplexe offenbar sehr belasteten Ballettleute 
argwohnisch ein Werturteil witterten), dafi die Differenz der Zeiteinstellung gegenuber 
dem Ballett beim modernen Tanz die Technik als eine Funktion des Menschlichen sich 
aufiern lafit, da^ der Korper erst einmal vom Leib zum Instrument gewandelt sein 
mufi, bevor iiberhaupt die eigentliche kiinstlerische Arbeit beginnt. Wie recht sie mit 
dem daraus folgenden padagogischen Bedenken hatte, allzufriih choreographisches Ar- 
beiten dem menschlich-kunstlerischen Wachstumsprozeft vorzuschalten, ergab sicb contrario 
motu in geradezu erschreckender Weise aus Vorfiihrungen des choreographischen In- 
stituts Laban. Diese armen Menschen beherrschen die Lehre ihres Meisters so gut, dafi 
ihre Korper vor lauter gedanklicher Uberarbeitung absolut untanzerisch sind und zum 
Teil den primitivsten Muskelstrebungen nicht gehorchen. (Vergessen wir nicht die 
Lehre, die wir daraus fur die Musikpiidagogik ziehen miissen, mit dem Musikdiktat 
nicht zu zeitig zu beginnen!) 

Das Problem des Laientanzes, der Sprech- und Bewegungschore, um das man 
sich am letzten Verhandlungstage mxihte, liegt so sehr in der gesellschaftlichen, ja 
sogar der politischen Sphare verankert, dafi seine Loslosurig aus diesem sein em gegebenen 
Nahrboden und seine Wertung unter dem Gesichtswinkel von Tanz, Gymnastik, Sprech- 
und Tonkunst, wie es hier auf alle mogliche Art versucht wurde als dem Phanomen 
unangemessen erscheinen mufi. Einzig der temperamentvoUe Diskussionsredner, Otto 
Zimmermann, Leiter eines proletarischen Bewegungschores in Plauen wufite hier die 
Tatsache zu erharten, dafi es dabei um anderes geht, als was er etwas unkonzdiant 
,.berufskunstlerische Arroganz" nannte, die sich ein weiteres Betatigungsfeld schafFen 
wolle. Innere Spannungen des von gemeinschaftlicher Not getriebenen Menschen in 
tanzerische Bewegtheit umzusetzen ist ihm der Sinn des Bewegungschores, der sich nur 
in bewufiter Tendenz manifestieren kann. Das ist objektiv unbedingt zutreifend und 
der junge Tanz als in der Pragung begrilTene Kunstform halt sich wohl besser von 
einem Phanomen fern, das unter einem anderen Gesetze steht, als er: auch hat er 
einstweilen noch viel mit sich selbst zu tun, wie nicht ganz verborgen bleiben konnte. 

In der unubersehbaren Beihe von tanzerischen Darbietungen zog so ziemlich alles 
voriiber was an tanzerischem Nachwuchs in Deutschland und Oesterreich, teilweise auch 
in der Schweiz iiberhaupt in Frage kommt. Das Ergebnis war, man mufi es schon 
aussprechen, vernichtend und zeigt seinerseits, wie brennend die Klarung der padago- 
gischen Voraussetzungen geworden ist. Man entdeckte nur ein junges Tanzerpaar der 
Berliner stadtischen Oper, Ruth Abramowitsch und Georg Grocke : diese kommen aber 
aus dem Wigmankreis. Was sich sonst in Solodarbietungen bewahrte, gehort wie Vera 
Skoronel, Gret Palucca, Yvonne Georgi, Harald Kreutzberg ebenfalls dem Wigmankreise 
an. — Die Gruppendarbietungen brachten mit der Groteske „Die griinen Clowns'" 
(Kammertanzbuhne Laban unter Leitung von Dussia Bereska) einen typischen Beweis 
fur die im Grunde untanzerische Hirnarbeit, die hier jetzt geleistet wird, vor allem 
aber zum letzten Male (denn die Gruppe lost sich wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten 
auf). Mary Wigmans „Feier". Wenn es heute schon so steht, dafi ein Publikum, von 
dem reichlich die Halfte durch Essener Burger gestellt wurde, das Ungemeine so er- 



444 HANS KUZNITZKY 



fassen kann, so spiiren wir, wo die Fiihrung des neuen Tanzes zu such en ist. Als Ab- 
schiedsvorstellung fur seinen fahigen, jetzt an die Berliner Staatsoper verpflichteten 
Tanzregisseur Jens Keith hot das Essener Stadttheater Albert Flament's „Salat" mit der 
Musik von Milhaud. Unter bewufiter Weiterbildung der commedia dell' Arte ist hier 
ein „gesungenes. Ballett" geschaffen worden. das wie Strawinskys „Fuchs" die Nachbar- 
kiinste vereinigt; hier tritt sogaj' noch mit hervorragend komischer Wirkung streng 
rhythmisiertes „Sprechgeschrei" hinzu, das der Musik rhythmisch gleichgeordnet ist und von 
den Tanzern auf der Biihne mit besorgt wird (die Sanger sitzen im Orchester). Die 
altehrwiirdige Verkleidungsintrige liegt als Handlung zugrunde; die Musik, voller spru- 
d ein der Einfalle, geistreich, frecli, dem Ohre eingehend, tongewordene Bhythmusbereit- 
schaft, tollt bluhend voriiber. Das Schlagzeug dient der feinen rhythmischen Unter- 
teilung. liefert auch das Gerippe der ausgelassenen Sprechszenen. Gegeniiber der Ein- 
heit in Wort, Ton, Bild und Gebarde, mit der sich dieses Werk darstellt, fiel der 
vorangegangene ,,siegreiche Horatier" von Honegger doch merklich ab. (Die Musik ist 
in Berlin bereits bekanut, daher wird auf weiteres Eingehen Verzicht geleistet). 

Die Tanzfestspiele brachten auch Nationaltanze und hier waren die kultischen 
Tanze, die der aus uraltem javanischen Prinzengeschlecht stammende Dozcnt an der 
Leydener Universilat Baden Mas Jodjana mit Begleitimg eines Gamelanorchesters darbot 
ein Erlebnis hochster Weihe. Eine aivfierst verfeinerte Tradition wirkt hier immer noch 
das elementare Wunder der Verldarung des Menschen im ekstatischen Rausch, im Bausch, 
der dennoch bis in die letztcn Bewegimgen der uuerhort ausdrucksvollen Hande eine 
durchsichtige Plastik bewahrt und damit auch dem Fernerstehenden die heilige Be- 
wandtnis dieser Feier des Leibes vermittelt. Hier schliefien sich auch die Nationaltanze 
der englischen Morristanzer an. Alte Kriegs- und Waffentanze, die in abgebogener 
Bedeutung wahrend der christlichen Zeit weiterbestanden haben und deren komposi- 
torische Grundibrm immer wieder auf den Kreis als ehrwiirdiger Kult- und Opferform 
zuriickgeht, wurden in mehreren bezeichnenden Proben vorgefiihrt. Die dazu auf einer 
Violin e gespielten Weisen machen in der Tat in ihrer pentatonischen, tonalen Bezug 
moglichst vermeidenden Melodiefuhrung einen sehr alten Eindruck. Hierher gehort 
auch ein Filmvortrag. den Prof. Dr. Franz Pospisil von der volkskundlichen Abteilung 
des mahrischen Landesmuseums in Briinn hielt. Die Vorfiihrung einer Beihe von mittel- 
europaischen Tanzen lieft weitgehende Schliisse auf die gemeinsame Wurzel der kultischen 
Begehungen zu. Besonders dankenswert war die Vorfiihrung einer Moreske von der 
dalmatinischen Insel Curcola, wo also dieser in der Ballettgeschichte des 16. und 17. 
Jahrhunderts so wichtige Tanz noch lebt. Es ware eine dringende Aufgabe unserer 
Ethnographen, auch in Deutschland in Bild und Weise auf diesem Wege festzuhalten, 
was an sparlichen Besten sich noch erhalten hat : viel Zeit ist nicht mehr zu verlieren. 

Der Kongrefi hat in seinem Verlaufe in Theorie und Praxis ein Material ausge- 
breitet, dessen Umfang die gewohnten Begleiterscheinungen zeitigte : Uberburdung, Uber- 
hetzung, Ubermudung. Man hat gelernt; im nachsten Jahre wird man weniger Stoff 
bieten, dafiir aber griindlicher bei den einzelnen Gebieten verweilen. — Die beiden feind- 
lichen Berufsgruppen, Tanzerbund und Tanzgemeinschaft wollen sich an den Ver- 
handlungstisch setzen. Sehr schon, aber was wird dabei herauskommen? Man denkt 
unwillkiirlich an den KompromiU zwischeii Allgemeinem Deutschen Musikverein und 



JOH. SEB. BACKS „ MUSIKALISCHES OPFEB" 445 

Internationaler Gesellschaft fur Neue Musik beim diesjahrigen Tonkiinstlerfest. Die Ver- 
haltnisse gleichen sich sprechend audi insofern, als ein Heil fur die Beteiligten in 
keinem Falle daraus entstehen wird; Burgfriede ist doch nur eine aufschiebende Zwischen- 
losung. Hier liegt audi allerdiiigs das Problem der staatlidi zu subventionierenden 
Tanzhodischule : vorsichtig winkte Minis terialrat Dr. Haslinde als Vertreter des Kultus- 
ministeriums ab. Solange ein so weitgehender Zwiespalt zwischen den Fachverbanden 
herrsdit, will der Staat dem Projekt augenscheinlich nidit naher treten. Dieses Ver- 
halten ist nidit frei von Einseitigkeit ; audi in der Musik bestehen ahnliche Verhaltnisse 
ohne dafi der Staat (Gott sei Dank!) sich hat abschrecken lassen, in der Musikpadagogik 
sehr merklich die Initiative zu ergreifen. 

Fur den nachstjahrigen Kongrefi werden die Tanzer, die in diesem Jahre es mit 
Essen wirklich ausgezeicbnet getrofl'en hatten, von Berlin, Wien, Frankfurt a. M. und 
Stuttgart begehrt, ein Beweis dafiir, welche Besonanz die alte junge Kunst findet. Ihr 
Weg wird, trotz im Grunde ganz gesunder Auseinaudersetzungen aufwarts fidiren. 



Ernst Latzko (Leipzig) 

JOH. SEB. BACHS „MUSIKALISCHES OPFEB" 

ErstaufTuhruiig in der Anordnung und Instrumentenbezeiclmung von 
Hans David im Balimen der Badifeier der Stadt Leipzig am 1. Juli 1928. 

Diese Auffuhrung wirkte nach der vorjiihrigen der ,,Kunst der Fuge" wie cineDuplizi- 
tat der Ereignisse, umsomehr als der unmittelbar vorhergeliende tragische Tod Wolfgang 
GrJisers eben wieder die Erinnerung auf jenes Ereignis gelenkt hatte. Aualogien zwischen 
den beiden Werken lassen sich unmoglich ubersehen; vor ahem die gemeinsame Idee, 
aus einem einzigen Thema durch Anwendung aller Mittel des strengen Kontrapunkts ein 
grofies, vielgliedriges Kunstwerk zu entwickeln. In der „Kunst der Fuge" deutet schon 
der Titel an, daB Bach hier im wesentlichen alle Moglichkeiten der Fuge darstellen 
woUte, das „Musikalische Opfer" war dagegen fiir ihn hauptsachlich ein Versuch, einem 
Thema durch alle nur denkbaren Arten kanonischer Behandlung beizukommen, also ge- 
wissermafien eine „Kunst des Kanons." Diese Analogie in der Entstehung setzt sich 
dann audi im Schicksal der beiden Werke fort. Sie bleiben als Ganzes unaufgefuhrt, 
der lehrhafte Zweck gilt bei beiden als der primare, das schopferische Moment tritt 
hinter dem technischen zuriick, die Art der Ausfiihrung ist strittig. Bis endlich die 
Jugend einer um fast 200 Jahre alter gewordenen Menschheit ihre wahre Bedeutung 
erkennt, sich tiber alle Bedenken philologischer Art hinwegsetzt und beide Werke fiir 
die Gegenwart rettet. 

Besonders beim „Musikalischen Opfer" geniigte der Anlafi seiner Entstehung fin- 
die Nachwelt, in ihm ein blofies Gelegenheitswerk zu sehen. Es lafit sich audi nidit 
besti - eiten, dafi bei Iluchtiger Priifung das Werk durch die Verschiedenartigkeit seiner 
Bestandteile (es umfafit neun Kanons, zwei Fugen (Bicercare), eine kanonische Fuge 
und eine Trio-Sonate) den Eindruck der Zufalligkeit und Uneinheitlichkeit macht, ein 
Eindrudc, der sicher durch die Kenntnis des Historikers verstarkt wird. dafi es in drei 



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446 ERNST LATZKO 



zeitlich getrennten Teilen entstanden ist. Die aller Schwierigkeiten spottenden Experi- 
mente, die Bach vor allem in den Kanons macht (Umkehrung, Vergrofierung, Krebs, 
Zirkel) lassen die Meinung begreiflich erscheinen, dafi dieses rein spekulative Moment 
hier fur ihn die Hauptsache war, umsomehv als dem Spiel mit den Noten noch ein 
Spiel mit Gedanken und Worten hinzugefiigt ist. Die Kanons sind fast durchwegs als 
Ratselkanons notiert, bei zweien fehlt sogar jede Andeutung einer Auflosung (Quaerendo 
invenietis). Bei zwei anderen wieder treibt er Tonsymbolik und setzt zu dem Kanon, 
der sich in vergrofierter Gegenbewegung entwickelt, als Motto: Notulis crescentibus 
crescat fortuna regis, zu dem in aufsteigenden ganzen Tonen, modulierenden Zirkel- 
kanon den Satz: Ascendenteque modulatione ascendat gloria regis. Schliefilich versieht 
er noch fiinf nebst der kanonischen Fuge auf einem Bogen geschriebene Kanons mit der 
spielerischen, als Akrostichon gedachten Inhaltsangabe : Regis Jussu Cantio Et Reliqua 
Canonica Arte Resoluta (Ricercar). So ist das Werk wirklich nicht frei von spekulativen 
Tendenzen, die neben der sclion erwahnten scheinbaren Uneinheitlichkeit leider bis heute 
die Welt nicht zum vollen Genufi der hier enthaltenen Kostbarkeiten hatten kommen 
lassen. Die Trio-Sonate, ein besonders wertvolles Stiick, ist durch Einzelauffiihrungen 
ziemlich bekannt, vielleicht audi die beiden Ricercare, von denen das sechsstimmige, 
ein Wunderwerk polyphoner Gestaltung, in einer Bearbeitung fiir Streicliorchester von 
Lenzewski erst kiirzfich im Leipziger Bundfunk gespielt wurde, alles tlbrige ist aber dem 
Publikum so gut wie fremd und eine Benaissance im wahrsten Sinn des Wortes ware 
es, wenn die Davidsche Einrichtung das Werk als Ganzes fiir Konzertsaal und Haus- 
musik erobert hat. 

Ihr Hauptverdienst ist es, die verschiedenartigen Teile, die bisher als zufallige An- 
haufung inkohaerenter Bruchstiicke gegolten hatten, in eine Beihenfolge zu bringen, die 
dem Ganzen eine streng symmetrische Architektur und damit den Charakter zwingender 
Logik verleiht. David erblickt in der Trio-Sonate, dem einzigen mehrsatzigen Stiick der 
Sammlung, das natiirliche Zentrum des Werkes. Ebenso wahrt er die Symmetrie, wenn 
er die beiden Ricercare als Pole ansieht und mit dem dreistimmigen das Opfer beginnt, 
mit dem sechsstimmigen in prachtvoller Steigerung beschliefit. Zwischen diese drei ge- 
gebenen Punkte waren nun die iibrigen Teile zu gruppieren. David ordnet die kanonische 
Fuge bei den neun Kanons ein und bildet aus ihnen zwei fiinfteilige Gruppen, je nach- 
dem das konigliche Thema selbst oder der Kontrapunkt dazu kanonisch verwertet ist. 
Diese Gruppe wird zwischen die dreistimmige Fuge und die Trio-Sonate, jene zwischen 
Sonate und sechsstimmige Fuge gestellt und damit wird eine funfgliederige Symmetrie 
erreicht, „ergibt sich die Moglichkeit, das Werk als ein Ganzes aufzunehmen, Anlafi und 
tiefste Reclitfertigung der Gesamtauffuhrung" (David). 

Weniger gliicklich erscheint der zweite Teil von des Rearbeiters Tatigkeit, die In- 
strumentation. Gern sei anerkannt, dafi die theoretische Erlauterung, mit der David 
seine in dieser Richtung geleistete Arbeit begriindet, durch ihre strenge Sachlichkeit fiir 
sich einnimmt, aber die praktische Ausfiihrung konnte diesen Eindruck nicht bestatigen. 
Und es ergibt sich die sonderbare Tatsache, dafi die Einheitlichkeit, die David durch 
seine Anordnung zweifellos erreicht, durch seine Instrumentation bis zu einem gewissen 
Grade wieder aufgegeben wird. Bekanntlich sind von Bach selbst herriihrende Bicht- 
linien fiir die Instrumentation vorhanden : die Besetzung der Trio-Sonate (Flote, Violine, 



JOH. SEB. BACHS „MUSIKALISCHES OPFER' 



447 



Continuo) und die Angabe ,.a 2 Violini" bei einem der Kanons. Diese Richtlinien sind 
audi — erweitert interpretiert — bei der zweiten Kanongruppe vom Bearbeiter einge- 
halten worden. Audi dariiber, dafi die dreistimmige Fuge — ihrer urspriinglichen Re- 
stimmung gemafi — auf dem Cembalo gespielt werden muG, kann kein Zweifel be- 
stehen. Von diesen, in ihrer Klangfarbe durcli Bach beeinflufiten, drei Teilen heben 
sich aber die beiden andern in ihrer jetzigen Instrumentation als Fremdkorper ab. Um 
die erste Kanongruppe aucb klanglicli der zweiten gegeniiberzustellen, verwendet hier 
David prinzipiell fur das konigliche Thema ein Rohrblattinstrument, fur die beiden 
kanonischen Gegenstimmen Streicher. Damit wird sicher eine sehr eindringliche Plastik 
erreicht. aber da in diesen ftinf Kanons drei verschiedene Holzblaser (Oboe, Oboe da 
caccia, Fagott) und vier verschiedene Streicherkombinationen abwechseln, mufi schon 
hier jener Eindruck der Buntheit und Uneinheitlichkeit entstehen, der von der Buhe 
empfindlich absticht, die die von Bach instrumentierten Teile verklart. Und leider noch 
verstarkt wird er in dem Schlufiteil, dem sechsstimmigen Ricercare. Nach dem von 
David so uberzeugend dargelegten Grundsatz der durch das ganze Werk fuhlbaren 
Symmetrie mufite — unbeschadet einer durch die reichere Polyphonie und durch die 
SteLlung am Schlufi begriindeten Steigerung — audi ein gewisses klangliches Gleichge- 
wicht zwischen den beiden Ecksatzen herrschen. Statt dessen besetzt er die sechs 
Stimmen mit Oboe, Violine, Oboe da caccia, Bratsche, Fagott und Cello und verstarkt 
noch die beiden Unterstimmen durch ein zweites Cello und einen Kontrabafi. Zweifel- 
los wird durch diese Methode „Durchsichtigkeit des kontrapunktischen Gewebes erzielt", 
aber es ist die Durchsichtigkeit einer Rontgenaufnahme, gewifiermafien eine Skelettierung 
der verschlungenen Polyphonie, die kaum im Sinne des Schopfers liegt. Aufierdem 
wird durch diesen Vorteil die in das Werk durch die Instrumentation hineingetragene 
Unruhe nicht aufgewogen. Und halt man dem vom Cembalo gezupften dreistimmigen 
Ricercare nun das sechsstimmige gegeniiber, das, von adit Insti'umenten vorgetragen, 
einen fast orchestralen Eindruck macht, dann steht die Symmetrie der Anordnung mit 
der klanglichen Verschiedenheit in starkstem Widerspruch. Hoffentlich ist hier das 
letzte Wort noch nicht gesprochen. Eine Losung aus dem Stil des Werkes, die ungefahr 
der Absicht des Schopfers entsprache und gleichzeitig der von David enthuUten Architektur 
des Gesamtplanes wie auch der polyphonen Deutlidikeit gerecht werden konnte, ware 
vielleicht die Ausfiihrung des sechsstimmigen Ricercares durch zwei Cembali. 

Doch das sind Kleinigkeiten im Vergleich zu der begliickenden Tatsache, dafi hier 
ein Jahrhunderte lang in Archiven vergrabenes Werk zu lebendigem Klang erweckt 
wurde, dafi angeblich rein kontrapunktische Spitzfindigkeit und Spielerei sich als Musik 
erwies, die, unabhangig von jeder abstrakten Rindung, rein durcli die in ihr enthaltene 
Intensitat allerstarkste Wirkung ausiibte. Und die Regeisterung des in Scharen herbei- 
geeilten Publikums hat hoffentlich wieder manchem dariiber die Augen geoffnet, welche 
dichten Faden die Gegenwart mit der Kunst des 18. Jahrhunderts verkniipfen. 



448 HANS MERSMANN 



Hans Mersmann (Berlin) 

ZEITSCHRIFTENSCHAU 

1. 

Wenn man in den deutschen Musikzeitschriften blattert, die in den letzten Monaten 
erscliienen, so fallt aufierlick die wachsende Rolle des Rundfunk auf. Mehrere Zeitscliriften 
widmen ihm selbstandige Teile; doch man spurt mehr die Anerkennung einer aufieren 
Maclit, der Rechnung getragen werden mufi, als den Versuch, in die einstweilen nocli 
sehr komplizierten Probleme und Voraussetzungen einer Rundfnnkniusik eitizudrhigen. 

Sonst interessieren vor allem die Portraitskizzen lebender Musiker, die sich hier 
und dort linden. Die „Neue Musikzeitung" beschaftigt sicb mit Othmar Schoek in 
mehreren Aufsatzen, dessen harmoniscben Stil W. Schuh feinfuhlig untersucbt. Auch 
Petyrek wird in dieser Zeitscbrift ausftihrlich behandelt. 

Dieselbe Zeitscbrift widmet Wagner ein Sonderheft, welches versucht, das Problem 
Bayreuth mit dem Auge unserer Zeit zu sehen. Wilhelm Pinder, Hausegger, Richard 
Benz, H. H. Stuckenschmidt u. a. beteiligen sich an der Aussprache. Der Wert soldier 
Versuch e erscheint problematisch, wemi so viele Standpunkte nebeneinandergestellt werden, 
wie hier. Es bleibt nur festzustellen, dafi zwischen Richard Benz. der iiber „Wille und 
Werk bei Richard Wagner" schreibt, und Stuckenschmidts ,,Gestorbenem Bayreuth" keine 
Briicke besteht. dafi hier zwei Generationen aneinander vorbeireden. Die feinste und 
personlichste Deutung gibt der Kunsthistoriker Wilhelm Pinder in einem Brief. Sonst 
finden sich auf der anderen Seite nur Satze, wie die folgenden, von Hausegger gepragten : 

Alle die Eigenschaften, welche Wagners Kunstwerk, welche seine AVeltanschauung auszeichnen, 
stehen in krassestem Widorspruch zu dem, was sich heute ,, Zeitgeist" neniit. Wer dieseni dienen 
will, der wende sich' von Bayreuth ab, um dem ,,Jonny" von Niggers Cnadeii zuzujubeln. Wer 
ilin aber bekampft, wer in ilim den fluchwiirdigen Geist der Verneinung, den Bankrott sterilen 
Wesens sielit, der stehe zu BajTeulh als einem Bollwerk, das nicbt nur bestimmt ist, Vergangenes 
zu wahren, sondern auch in eine Zukunft zu weisen, deren Rauschen, trotz all dem aufdringlichen 
Tagesgeschvei, schon da und dort zu vernehmen ist, um sich endlich zum Sturmwind zu steigern, 
der alles Gemeine und Erlogene hinwegfegen wird, um einen neiui Tag zu bereiten. 

Diese Siitze, von weithin sichtbarer, verantwordicher Stelle aus gesprochen, haben 
wohl den Wert eines Zeitdokumentes. 

Zusammenstellung gegensatzlicher Meinungen ist auch das notwendige Ergebnis von 
Umfragen, wie sie von mehreren in- und auslandischen Zeitscliriften gemacht wurden. 
So veranstaltet die „Szene" ein Sonderheft „Kapellmeister und Opernregie", in dem Ant- 
worten auf die Frage gesammelt werden, ob Kapellmeister und Opernregisseur in einer 
Person zu vereinigen seien. Die Antworten fallen naturgemaC sehr verschieden aus. 
Die Begisseure lehnen die „Kapellmeisterregie" meist grundsatzlich ab, wahrend manche 
eine allgemeine Beantwortung der Frage verneinen und sie mehr individuell entschieden 
haben mochten. 

Einer lieu erschienenen internationalen Zeitschrift ist noch zu gedenken: „Die 
B6 ttcherstrafie", die von dem bekannten Bremer Grofiindustriellen Ludwig Roselius 
unter Mitwirkung von Prof. Rernard Hoetger und Georg Eltzschig herausgegeben 
wird. Auch musikalische Fragen werden gesti - eift, tedweise in selbststandigen Aufsatzen 
(im zweiten Heft schreibt Oskar Rie iiber Architektur in der Musik), sonst durch kurze 



ZEITSCHRIFTENSCHAU 449 



Berichte und Mitteilungen. Die Zeitschrift gibt sich als ein Weltmagazin. Sie streift 
eine Fulle von Inhalten, ohne auf den einzelnen einzugehen. Ihr Schwergewicht liegt 
in ihrer aufieren Erscheinung : Reproduktionen jeder Art, Faksimiledrucke, Graphik, 
Photographie stellen das Beste dar, was wohl in dieser Richtung gegenwartig iiber- 
haupt geleistet werden kann, und machen jedes einzelne Heft zu einer bibliophilen An- 
gelegenheit. Dire Verbreitung im Ausland konnte einen Hohepunkt deutscher Technik 
und Zeitschriftenkultur bezeichnen. 

2. 

Unter den franzosischen Zeitschriften steht die „Musique", die im ersten Jahre 
erscheint, auf einer besonderen H6he. In ihren letzten Heften gibt Roland Manuel 
eine ausfuhrliche Wiirdigung des Komponisten Manuel de Falla. Auch hier begegnen 
wir einer Umfrage, welche durch ihre Problemstellung in eine bedenkliche Tiefe weist. 
Sie stelll: an einer Reihe lebender Komponisten die beiden Fragen : Quels sont vos modeles 
et vos maitres ? Vos directions: fondements et les dogmes de votre esthetique; poles 
d' attraction et de repulsion de votre art? 

Eine erste Reihe von Antworten liegt vor. Nur wenige Namen der Einsender 
klingen bei uns. Psych ologisch interessant bleibt, in wie verschiedener Weise die 
Kunstler sich ihrer Verpflichtung entledigen. Einige (wohl die besseren unter ihnen) 
lehnen es ab, die Tiir zu ihrem Kammerlein aufzumachen; andere liefern weitschweifige 
Ergusse. Nicht ohne Interesse erscheint mir die Antwort, die ein Komponist Maxime 
Jacob gibt, weil die Namen, die er an den einzelnen Stellen nennt oder zusammenstellt, 
fur eine Richtung franzosischer Musikanschauung doch irgendwie typisch sind. Seine 
Antwort lautet: 

Mon modele, c'est moi-meme. Mes maitres sont Bach, Mozart, Debussy et Erik Satie. Je 
n'ai d'autres directions que celles de ma fantaisie ; d'autres dogmes artistiques que ceux dictes 
par mon caprice. Pole d'attraction : Gounod. Pole de repulsion: Schonberg, Honegger, Florent- 
Schmitt, et, helas, beancoup d'autres. 

Unter den deutschen Komponisten benuihen sich Schonberg und Kaminski, Bekenntnisse 
zu formulieren. 

Eine andere Umfrage, die auch hier im weiteren Sinne aufzufassen ist, enthalt 
das Juliheft des „Courrier musical", das der Vokalmusik gewidmet ist. Es 
stellt an eine Anzahl von Fachleuten die Frage, ob eine Krise des Gesanges bestehe, 
wo ihre Wurzeln lagen, wie weit sie mit gegenwartigen Kompostionen zusammenhingen 
und ob eine Riickkehr zum „bel canto" wunschenswert sei. Das Heft enthalt aufier- 
dem Studien uber mittelalterliche Vokalmusik und einen grundlegenden Aufsatz, betitelt 
„La chanson et le lied". 

In den aktuellen Aufsatzen. auch in den Zeitschriften der anderen Lander, spielt 
die wiederentdeckte Urfassung des „Boris Godunow" eine grofie Rolle. Das ganze Pro- 
blem der Instrumentation dieser Oper durch Rimsky-Korssakow erfahrt dabei eine 
eingehende Kritik. Die Intensitat der Diskussion bezeichnet die Bedeutung, die 
Mussorgsky fur die Musik aller europaischen Lander hat. Mit neuerer deutscher Musik 
beschaftigen sich die Zeitschriften der anderen Lander wenig, Die ausgezeichneten 
aber nicht speziell musikalisch eingestellten .,Cahiers de Belgique" bringen noch einmal 
eine umfassende Wertung Schonbergs. Der „Courrier Musical" hat im Juniheft einen 



450 HEINRICH STROBEL 



Leitaufsatz iiber Richard Straufi, dem ich folgende fur die Einstellung eines Franzosen 
bezeichnende, aber unserm Empfinden stark widersprechende Satze entnehme: 

Les heros de Strauss sentent un peu la Deutsche Kneipe ; ils sont germaniques jusqu'au bout 
des ongles; «bouffis de biere et de theologies ; ils font songer a Hans Sachs, aux bourgeois 
frondeurs des fabliaux, aux maisons a pignons et au XVe siecle allemand, turbulent moyen age 
des villes a son declin. 

Allemand, il (Straufi) Test encore dans la technique meme : cet amour du fortissimo perpetuel, ce souci 
de paroxysme, ce constant employ des cordes, soit comme une mer bruyante d'oii emergera le 
theme des cuivres : soit, le plus souvent, parce qu'elles-memes ont le theme ; ont peut relever 
ici une preference pouv la melodie, et c'est en quoi le Midi, les sejours italiens ont influence 
Strauss ; melodie accusee, volontiers vulgaire : il n'est pas loin des veristes. 

Enter den italieniscben Zeitschriften beruhrt die „Rassegna musicale" (die neue 
Erscheinungsform des ,,Pianoforte") sympathiscb durch ihr gleichmafiig hohes Niveau- 
Ihr gelingt, wie audi der „Musique", die Verschmelzung alter und neuer Musik in einem 
literarischen Rahmen. Ausfuhrliche Studien beschaftigen sich mit Busoni und Strawinsky. 

England hat in der von Edwin E vans geleiteten „ Dominant" eine Zeitschrift 
von starkster Lebendigkeit, grofier Konzentration und fortschrittlicher Gesinnung. Der 
Schriftleiter ubt im Maiheft in . einem Aufsatz „Festivalia" freimutige Kritik an dem 
Sienaprogramm der Internationalen Gesellschaft fiir Neue Musik. In der Zeitschrift 
„The Sackbut", die von Ursula Greville mit impulsiver Vitalitat redigiert und in 
jedem Heft eingeleitet wird, schreibt Cyril Scott iiber „Musikalitat". 



MUSIKLEBEN 



Heinrich Strobel (Berlin) 

ZEITSCHAU 

Am 12. August ist Leos Janacek gestorben. Auf dem Transport zum Kranken- 
haus hat ihn der Tod ereilt, ihn, der in einer wahrhaft erstaunlichen Entwicklung sich 
dauernd zu verjiingen schien, der in einem Alter, in dem sonst die Produktion zu er- 
lahmen oder doch wenigstens zu erstarren pflegt, immer wieder zu neuen Werten ge- 
langte. Eben erst wurde die letzte Oper „Aus einem Totenhaus (nach Dostojewsky) 
und eine Messe vollendet. Janacek war eine der grossen schopferischen Naturen, welche 
gegen die Stilverwirrung, dank ihrer starken Volksverbundenheit, elementare und auf- 
bauende Krafte herantrugen — nicht von der umfassenden Gewalt und Reichweite eines 
Strawinsky oder Bart ok, aber bestimmt an Urspriinglichkeit der Begabung und 
Kraft des nationalen Temperaments ihnen ebenbxirtig. In Vielem ist er Bartok ver- 
gleichbar. Auch fiir ihn ist die Lied- und Tanzmusik seines Volkes Fundament des 
Schaffens, auch er erforscht ihre Gesetze, veroffentlicht wissenschaftliche Arbeiten. Mehr 
noch: er leitet die melodische und rhythmische Gestalt seiner Vokalstimme aus der 
tschechischen Sprachmelodie ab. (Das ist der Grund, warum man das Wesen von 
Janaceks Dramatik erst bei der Auffiihrung in der Originalsprache ganz begrirT). 



ZEITSCHAU 



451 



Ganz von selber mufite dieser Kiinstler, vom Lied ausgehend, zum Theater komnien. 
„Jenufa", seine zweite Oper, 1901 geschrieben, wird mehr als anderthalb Dezennien 
spater der grosse Erfolg. Das naturalistisch-buhnenstarke Textbuch tragt viel dazu bei. 
Es bleibt der einzige wirkliche Erfolg. Der Naturalismus der „Katja Kabanowa", der 
wieder in seiner Elementaritat an Moussorgsky erinnernd, schlagt nicht mehr so durch. 
Dann weiten sich die Kreise, unter deni EinfluS des franzosischen Impressionismus, die 
Harmonik zerspaltet sich, die Sprache wird noch differenzierter. Das „Listige 
Fiichslein" erreicht eine Transparenz und Geistigkeit, die freilich der Theaterwirkung 
nicht forderlich ist. Inzwischen wird das Instrumentale in das Schaffen einbezogen, 
wesentlich von der dramatischen Technik bestimmt, improvisatorisch fliefiend, manch- 
mal sprunghaft, doch stets bestrickend durch die innere Ftille, durch die Echtheit des 
Materials. So weit es seine festumrissene Personlichkeit erlaubt, nimmt Janacek auch 
modernste Elemente auf. Er] wachst immer tiefer in die Zeit hinein, er wird, der 
Generation zugehorig, gegen welche die Jugend sich auflehnte, zum geistigen Fiihrer 
ebendieser Jugend. Nicht nur die Nation trauert um ihn, deren Musikalitat in der Ge- 
stalt Janaceks ihre edelste Inkarnation fand — es trauert die ganze musikalische Welt 
um einen der Besten in dieser Zeit 



Diesen Sommer trafen sich in Wien die deutschen Sanger zu ihrem 10. Bundes- 
i es t. Es war eine stark besuchte Zusammenkunft, mit viel Gesang, Alkohol und Patriotismus, 
mit lauten Beden, eitel Begeisterung und respektabler Besonanz in bestimmten Kreisen. 
Eine politische Kundgebung nicht zuletzt — Beweis dafiir, dafi gerade in einem Lager, 
das Andersdenkende nur allzuoft der leichtfertigen Verquickung kiinstlerischer oder 
politischer Faktoren bezichtigen will, diese Verquickung in bestem Schwange ist. Man 
kann sich freilich auf eine Tradition in dieser Hinsicht berufen. Der deutsche Manner- 
gesang war seit Bestehen an eine bestimmte politische Idee gebunden. Aber die Zeiten 
haben sich geandert, neue Krafte, neue Machte beherrschen die Gegenwart — die 
Mentalitat der Sanger ist die gleiche geblieben, ist eher noch begrenzter geworden. Es 
entbehrt nicht der Lacherlichkeit, wenn in Jagerhemd und Loden eine aus der ver- 
hangnisvollsten Kriegspsychose bekannte Parole hervorgezerrt wird, wie „am deutschen 
Weaen mxisse die Welt genesen", wenn eine hohe Personlichkeit bei offizieller Gelegen- 
heit das Wien zur^Zeit des Sangerfestes als den geistigen Mittelpunkt Deutschlands nennt. 
Dieses Programm, das, ein paar Werke von Schubert, die „Tageszeiten" yon 
Strauss und einiges Verstreute ausgenommen, in der Hauptsache teils belanglose, teils 
schlechte Liedertafelei umfafite — Symbol deutschen Wesens, deutscher Kunst? Die 
Sanger Beprasentanten deutscher Geistigkeit? Hier mufi man protestieren. Mit Kunst, 
mit Geistigkeit, mit Gegenwart hat das alles nichts zu tun. Nur durch Herauslosung 
der aktivierungsfiihigen Elemente, durch systematische kiinstlerische Erziehung im Geist 
dieser Zeit ware die Bewegung zu retten (ebenso wie die Arbeiterchore). Das haben 
selbst einsichtige Beurteiler aus diesen Kreisen langst zugegeben. 



452 



MUSIKLEBEN 



NACHRICHTEN 



KLEINE BERICHTE 

Die Berliner Ortsgruppe der Internationalen Ge- 
sellschaft fiir Neue Musik hat in ihrer Generalver- 
sammlung Neuwahlen des Vorstandes vorgenommen. 
Diese ergaben eine Wiederwahl samtlicher bisheriger 
Vorstandsmitglieder. Der Vorstand setzt sich also 
wie folgt zusammen : Erster Vorsitzender : Prof. 
Artur Schnabel ; Zweiter Vorsitzender : Max Butting ; 
Schatzmeister : Dir. Ludwig Berliner; Schriftfiihrer : 
Hanns Gutman ; Beisitzer : Dr. Berta Geismar, Ernst 
Henschel ; Musikausschufi : Paul Hoffer, Dr. Karol 
Rathaus, Vladimir Vogel; Adresse des Schriftfiihrers: 
Berlin-Wilmersdorf, Jenaerstr. 5. 

In Freiburg i. Br. fand die Griindungsfeier eines 
badischen Bruckner-Bundes unter Beteiligung einer 
grofien Anzahl fiihrender Musiker aus Siidwest- 
deutschland statt. 

Max von Schillings hat den Meldungen einer 
amerikanischen Zeitung zufolge im Verein mit dem 
Direktor einer amerikanischen Grammophon-Gesell- 
schaft, Frederik Sard, die Statuten fur die Grundung 
eines internationalen Musikparlaments entworfen. Die 
frankfurter Zeitung" berichtet iiber den Inhalt der 
Statuten : „Wir erstreben eine AnnSherung zwischen 
den Musikern aller Lander, die unbedingt friedens- 
fordernd wirken mufi. . . . Die Venvirklichung des 
Planes konnte eine Liicke im Nobelpreis ausfiillen, 
der bekanntlich keinen Musikpreis einbegreift. Audi 
ware es nur zu wiinschenswert, eine internationale 
musikalischeKulturgemeinschaft zu schaffen, die jedoch 
die nationale Musik keinesfalls bekampfen oder tiber- 
fliissig machen soil. . . . Die grofite Grammophon- 
gesellschaft der Welt beabsichtigtzunachsteineStiftung 
von mindestens 50000 Dollar zu errichten, die im 
Laufe von zehn Jahren jahrlich verteilt werden soil, 
und zwar fiir ein bestimmtes Musikstiick oder fiir 
das gesamte Schaffen eines Kiinstlers; aber auch 
Gruppen, Vereine oder Gesellschaften, die sich um 
die Forderung der Musik ihres Landes besonders 
verdient gemacht haben, konnen den Preis erhalten, 
der auch unter mehrere Bewerber geteilt werden 
kann. Es sollen voraussichtlich zehn internationale 
Zonen gebildet werden, aus denen drei Mitglieder 
in den Obersten Rat gewahlt werden. Aus dem Rat 
wird ein Komitee aus bedeutenden Musikern fiinf 
verschiedener Lander ernannt, das sich abwechselnd in 
den verschiedenen Liindern versammelt, um Vorschlage 
fiir die Preisverteilung zu machen. Ende des Jahres 
1929 soil die erste Zusammenkunft, wahrscheinlich 
in Wien, stattfinden. Ein Hauptzweclc der neuen 
Organisation ist die Forderung des Verstandnisses 
fiir zeitgenossische Musik unter den verschiedenen 
Volkern, das bis jetzt nur sehr mangelhaft entwickelt 
ist. Die 1921 in London gegriindete „Internationale 
Gesellschaft fiir zeitgenossische Musik" pflegt aus- 



schliefilich extrem moderne Musik, das Musikparlament 
soil vor allem die ideelle Verstandigung herbei- 
fiihren, (DieBemerkung iiber die international Society 
for Contemporary Music" entspricht nicht den Tat- 
sachen. Es ware sehr zu bedauern, wenn die vor- 
bildliche Pionierarbeit der Gesellschaft fiir das geplante 
Unternehmen ungenutzt bliebe. Die simpelste Ein- 
siclit in die kulturelle Situation spricht doch vielmehr 
fiir ein moglichst enges Zusammengehen beider Unter- 
nehmen. D. Red.)." 

In Basel haben sich junge Musiker und Musik- 
wissenscbaftler zu einer Gruppe „Gruppe der Fiinf" 
zusammengesclilossen, die sich bereits durch eigene 
Veranstaltungen als bedeutsamer Faktor im Basler 
Musikleben, insbesondere fiir Pflege neuer Musik 
erwiesen hat. 

Das nachste ,,Schweizerische Tonkiinstlerfest" 
wird im Friihsommer 1929 in Baden (Aargau) statt- 
finden. 

AUFFUHBUNGEN 

Am 20. September wird Tscherepnin's op. 33 
Konzert fiir Flote, Violine und kleines Orchester in 
Breslau aufgefiihrt. 

Das Opernhaus in Konigsberg wird unter der 
neuen Leitung (Intendant Dr. Schiiler) am 9. Sep- 
tember die Spielzeit mit Mozarts „Don Giovanni" 
eroffhen. Zur deutschen szenischen Urauflfiihrung 
wurde Strawinsky's „Les Noces" erworben, welches 
zusammen mit Strawinsky's „Feuervogel" und Mozarts 
„Les petits riens" zur Auffuhrung gelangt. Fur den 
September ist weiter die Erstauffiibrung von Hinde- 
mith's „Cardillac" vorgesehen. Walter Frey spielt 
am 21. September das Klavierkonzert von To ch op. 38. 

Hindemith's Bratschenkonzert gelangt am 
9. Oktober in Magdeburg und am 19. Oktober in 
Danzig zur Auffuhrung. 

Das Stadttheater Hagen bringt am 23. September 
die tanzerische Urauffiihrung von Wiener's „Franco 
americain". 

Am 21. Oktober wird in Mannheim" die neue 
Kurzoper von Toch „Egon und Emilie" (Buch von 
Christian Morgenstern) uraufgefuhrt. 

Mitte Oktober wird inMiinchen-Gladbach Pi erne's 
„Impressions de Music Hall" zur Auffuhrung gebracht. 

Im Spielplan 1928/29 der drei Berliner Opern- 
haus e r stehen f olgende Neuheiten u. Erstaufftihrungen : 
in der Staatsoper Unter den Linden: „Agyptische 
Helena" (Strauss), „Der singende Teufel" (Schreker), 
„Orpheus und Eurydike" (Krenek), „Andre Chenier" 
(Giordano), „Die Trojaner" (Berlioz) ; am Platz der 
Republik : „Heimliche Ehe" (Cimarosa), die drei 
Einakter „Diktator", „K6nigreicli", „Meisterboxer" 
(Krenek), „Mahagonny" (Weill), eine neue komische 
Oper von Hindemith, „Spanische Stunde" (Ravel) > 



NACHRICHTEN 



453 



„Memoiren aus einem Totenhause" (Janacek) ; in der 
Stadtischen Oper: „Don Carlos" (Verdi), „Mond- 
nacht" (Bittner), „Sly" (Wolff-Ferrari), „Irrelohe" 
(Schreker), „Josefslegende" (Strauss), „Simone Boc- 
canegra" (Verdi), „Der Zar lafit sich photographieren - ' 
(Weill), „Weiberverschw6rung" und ein Ballet rait 
der Musik zu „Rosamunde" (Schubert). 

Das Frankfurter Opernhaus hat Jana- 
cek s letzte Oper „Die SacheMakropulos" zur 
alleinigen deutschen Urauffiihrung angenom- 
men, die in den ersten Novembertagen stattfindet. 

In Baden-Baden fand anfangs September ein 
klassisches Kammermusikfest unter Mitwirkung der 
Herren Professoren Flesch, Friedberg und Piatigorsky 
statt. 

Am 30. September wird das Leipziger Sin- 
fonie-Orchester ohne Dirigenten zum ersten Male 
in Berlin konzertieren. 

In der Zeit vom 20. — 23. September findet in 
Kassel das 16. deutsche Bachfest statt. Das Pro- 
gramm umfafit einen Heinrich Schiitz-Abend (Auf- 
fiihrung der Musikalischen Exequien), Kammermusik- 
konzert, Kantatenabend,] Orchesterkonzert, die h moll- 
Messe, Festgottesdienst und Auffiihrung der Kunst 
der Fuge. 

PERSONALIEN 

Licco Amar, Frankfurt a. M., wurde von den 
Folkwang-Schulen, Essen, als Gastlehrer zu einem 
Kammermusik-Kurs berufen. Weiter wurde die 
Miinchner Kammersangerin Anna Erler-Schnaudt 
und Inga Torshof, Essen, verpflichtet. 

Am 12. August starb der tschechische Komponist 
Leos Janacek. 

Leopold Premyslav, der friihere langjahrige 
Konzertmeister der Berliner Staatsoper wurde als 
erster Konzertmeister an das Opernhaus in Konigs- 
berg verpflichtet. 

Der Pianist Franz Osborn wurde als Lehrer an 
das Klindworth-Scharwenka-Konservatorium, Berlin, 
berufen. 

Kapellmeister Fritz Mahler wurde als musika- 
lischer Leiter an das Stadttheater Stendal verpflichtet. 

Intendant Ernst Legal wird die verantwortliche 
Leitung des Stadttheaters in Kassel neben der Leitung 
der Berliner Staatsoper Unter den Linden in der 
nachsten Spielzeit beibehalten. Zu seinem Stellver- 
treter wurde der friihere Oberregisseur und derzeitige 
Leiter der Berliner Stadt. Oper in Charlottenburg, 
Dr. Georg Pauly, ernannt. 

Dr. Albert Schweitzer, dem hervorragenden 
Bach-Forscher u. grossen Philanthropen, wurde der dies- 
jahrige Goethe-Preis der Stadt Frankfurt verliehen. 

Carl Perron, der beriihmte Heldenbariton der 
fruheren Dresdener Hofoper, der erste Darsteller ver- 
schiedener Straufirollen, ist im Alter von 70 Jahren 
verstorben. 



Die Nachfolge Furtw anglers im Gewandhaus 
wird in diesem Winter noch nicht entschieden. 
FurtwSngler wird das Konzert fiir das Nikisch-Denkmal 
dirigieren; sonst werden Bruno Walter, Fritz Busch, 
Carl Schuricht die) Mehrzahl der Konzerte leiten. je 
eines entfallt auf Gustav Brecher, Clemens Kraufi 
und Hans Pfitzner. Die Chorkonzerte wird Karl 
Straube dirigieren. 

Ernennungen: PrivatdozentDr.ArnoldSchmitz 
zum a. o. Professor an der Universitat Bonn. Privat- 
dozent Dr. Oskar Kaul zum a. o. Professor an der 
Universitat Wiirzburg. Universitats-Musikdirektor 
Rudolf Volkmann, Jena, zum Professor. Prof. Dr. 
Fischer, Wien, zum o. Professor an der Universitat 
Innsbruck. 



VERSCHIEDENES 

I. Kongrefi fur das Deutsche Chorgesang- 
wesen in Essen vom 8. — 10. Oktober 1928. Um die 
wirtschaftlichen Forderungen der deutschen Chorver- 
bande vor der Oeffentlichkeit zu vertreten, ist die Ar- 
beitsgemeinschaft fiir das deutsche Chorgesangwesen in 
Berlin begriindet worden. Sie umfafit die drei Ver- 
biinde: den Deutschen Sangerbund, den Deutschen 
Arbeiter-Sangerbund und den Reichsverband der ge- 
mischten Chore Deutschlands. Um die breite Offent- 
lichkeit von den organisatorischen und wirtschaftlichen 
Wiinschen und Zielen der deutschen Chorverbande 
zu unterrichten, ladet die Arbeitsgemeinschaft fur das 
Deutsche Chorgesangwesen in Gemeinschaft mit dem 
Zentralinstitut fiir Erziehung und Unterricht und der 
Stadt Essen zum I. Kongrefi fiir das Deutsche Chor- 
gesangwesen vom 8. — 10. Oktober 1928 nach Essen 
ein. — Anmeldungen und Auskunfte iiber Wohnungs- 
gelegenheit sind zu richten an das Stadtische Verkehrs- 
und Presseamt, Essen, Rathaus. Die Teilnehmergebuhr 
betragt fiir samtliche Vortrage und das Festkonzert 
der Stadt Essen RM. 10. — . Dieser Betrag ist glelch- 
zeitig mit der Anmeldung dem Verkehrsamt Essen 
einzusenden. 

Eine Schulungswoche fiir Musik- 
lehrende und -studierende veranstaltet der 
P.-V. Rheinland des R. D. T. M. in der Zeit vom 
24. — 30. September auf Haus Hoheneck a. d. Ruhr, 
Leiter ist Herr Prof. E. J. Miiller, Koln. Es handelt 
sich hier um einen erstmaligen Versuch, in die 
Musikerziehung auf Grund gemeinsamer praktischer 
Arbeit auf neuen Wegen einzufiihren. 

Das amerikanische Schubert-Preisaus- 
schreiben im Betrage von 20000 Dollar, das fiir 
eine Sinfonie im Geiste Schuberts erlassen worden 
war, hatte als E r g e b n i s rund 500 Werke aus 28 
Landern. Den Hauptpreis von 10 000 Dollar erhielt 
Kiirt Attenberg in Scfiweden fiir eine Sinfonie in 
Cdur. 



454 




Srans (3d?ukrf 
3aMunt>erffeier 



#=0»C^®==3«<^S^«<y^i' :- 0«c^<S=a«c^©^a«e' ! »«=^4e=»fi^^^ 



Neuersclieinung 

SCHUBERTS LIED 

VON FELIX GUNTHER 

Mit 150 Notenbeispielen und 8 Bildern 
In Ballonleinen gebunden . . . M. 8.50 

Die Warme und Begeisterung, die Liebe und Achtung, wie der Ver- 
fasser seine Aufgabe behandelt, konnen unmittelbar fur den Unterricht 
vorbildlich werden. An einer zielbewufit ausgewahlten Reihe von 
Liedern werden das Musikantische, das Geisrige, das Ubermusikalische, 
das Transzendente, das Personliche im Schaffen Schuberts herausge- 
stellt, um daran die letzten Forderungen fur eine sinngemafie Wieder- 
gabe abzuleiten. (Halbmonatsschrift fiir Schulmusikpflege, Essen.) 

Neuauflage 

SCHUBERT 

VON WALTER DAHMS 

21. und 22. Tausend. In Leinen gebunden M. 10. — 
Reihe »Klassiker der Musik« 

Das Werk von Dahms ist das beste fiber Schubert. Dahms ist ein 
Kritiker, der sidi nodi die voile Urspriinglichkeit des kfinstlerischen 
Genusses erhalten hat, und der Schubert ganz verstand. Er ist fiber- 
all sachlich und anregend, so anregend, dafi man von ihm sofort 
zu Schubert eilen mu6 und Schubert von neuem geniefit : inniger, 
tiefer, berauschender. (Pester Lloyd.) 



Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart, Berlin und Leipzig 



455 



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Zum Wiederbeginn des Klavierunterrichtes : 
Band 3 

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Anleitung zum 

Spiel derBeethovenschen 

Klavierwerke 

Neu heratisgegeben von Dr. Eugen Schmitz 

Mit 124 Notenbeispielen 

In Pappband Mk. 2. — , in Ballonleinen Mk. 3.50 

Die Kritik sagt : 
„I)as ist ein Buck, das jeder Musiker, Musik- 
freund und Miisikscliuler braucht um in den Geist 
Beethovens und seiner Klavierwerke einzudringen I" 

Gustav Bosse Verlag / Regensburg 



Soeben erscliienen : 

IVerzeichnis 
tanzbarer 
Musik 
neuerer Komponisten 

fiir den Biihnentanz, sowie fiir gymnastische 
und rhythmische Ubungen aus dem Verlage 

B. Schott's Sohne, Mainz 

Zusammengestellt von Dr. Otto Janowitz 
Kostenlose Zusendung auf Wunsch vom Verlage 



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Schule am Meer auf Juist (Nordsee) 

(Freie Schulgemeinde. Leiter: Martin Lnserke) 
suche ich einen 

Musiker 

als Mitarbeiter oder Assistenten. Bedingung ist Be- 
herrschung eines Streichinstrumentes (gutes Kammer- 
musikspiel) und Befahigung zur Schulung der Streich- 
instrumente im Einzelunterricht und chorischen Zu- 
sammenspiel. Erwiinscht ist Beherrschung eines Blas- 
instrumentes. Fiir die Stellung eines Mitarbeiters ist 
ausserdem Voraussetzung eine allgemeine und theore- 
tische Vorbildung, die zur Uebernahme eines Teiles des 
lehrplanma&igen Musikunterrichtes befahigt. Antritt der 
Tatigkeit ist sofort moglich. Bewerbungen mit Zeug- 
nissen, selbstgeschriebenem Lebenslauf und Lichtbild 
an Ednard Zuckmayer, Schule am Meer, Juist. 



Die schoBste und grundlegende Darstellung der musik alisch en Kultur aller Zeiten und Volker ist das 

Handbuch der Musikwissenschaft 

Herausgegeben von Professor Dr. Ernst Biicken von der Universitat Koln unter Mitwirkung einer 

grofien Anzahl von Musikgelehrten. 

Etwa 1300 Notenbeispiele ) gegen monatliche 3 Gmk. 
und etwa 1200 Bilder ] Teilzahlungen von ^^^^^^^ 

Urteile der Pressei „Eine Kulturgeschiclite der Musik im beaten Sinne des fortes" (Deutsche Muaiker-Zeitung) — „Ein ganz 
prachtiges und gediegenes Werk" (Das Orchester) — „Ein Werk, das das Herz jedes Musikfreundes hSher schlagen'laaaen mufi" 
(Blatter der Staatsoper) — „Etwas Shnlichea war bisher in der Muaikliteratur nodi nicht vorhanden" (Weserzeitung, Bremen). 

Man iiberzeuge sich durch Augenschein und verlange unyerbindliche Ansichtsendung M Nr. 4 von 
ARTIBUS ET UTERIS, Gesellschaft fur Kunst- und Literaturwissenschaft m. b. H., POTSDAM 



456 



NEUE CELLOWERKE 

ITALIENISCHER MEISTER 



U. E. Nr. 8533 



FRANCO 

ALFANO 

SONATE 

Fiir Cello und Klavier 



Mk. 9- 



„Klangfulle, Prunk, intensivea Leben des Friihlingawaldea, 
der sich unter einer liebevollen Brise neigt, deutlichste Sym- 
bole, gliihendater Schwung: dies allea glfinzt in der Sonote 
von Alfano — ein im gunstigaten und wahrsten Augen- 
blicke erfafitea Gedicht." (Bollettino bibliographico musicale.) 

ALFREDO 

CASELLA 

SONATE Cdur 

U. E. Nr. 9478 Fiir Cello und Klavier M. 7.50 

Die Klangpracht, die stidlich, melodienreiche Gestaltunga- 
kraft Caaellas ist in diesem reizvollen, frohcn Werke aufs 
hfichste geateieert. Preludio, Bounce, Largo und Rondo 
betiteln sich die Sfitze, der Sonate die ganz aus dem Geist 
des Inatrumenta erfunden, die Celloliteratur um ein ebenso 
wertvollea Tvie dankbares Stuck bereichert. 



MARIO 

CASTELNUOVO-TEDESCO 

I NOTTAMRULI 

U. E. Nr. 8992 Fur Cello und Klavier Mk. 5. - 

Caatelnuovo-Tedesco, desaen echt italienische, melodien- 
reiche Kompositionen steigende Verbreitune finden, gibt 
mit seinem neuen Werk dem Cellisten eine ziindende 
Kompoaition, bei der sich hohe kunatlerische Quality t mit 
blendender Wirkung vereint. 

G. FRANCESCO 

MALIPIERO 

SONATA A TRE 

U. E. Nr. 9515 Fur Cello, Violine und Klavier . Mk. 7.50 
Die Sonata a Tre ist in den Konzerten der Frau Elisabeth 
S. Coolidge wiederholt mit starkem Erfo]g gespielt worden. 
Der erste Satz dea Stiickea ist fiir Cello und Klavier, der 
zweite fiir Violine und Klavier, im dritten vereinigen aicli 
die drei Instrumente. Ein ungemein originelles Stuck von 
starkatem Personliclikeitswert. 



Durch jede Musikalienhandlung zu beziehen. 

UNIVERSAL-EDITION A. G., WIEN-LEIPZIG 



DAS LIEDSCHAFFEN VON 

WILHELM GROSZ 



Soeben erschienen: 

OP. 22 LIERESLIEDER (it folge) 

nach ostjudischen Volksliedertexten 

U. E. Nr. 9502 fiir hohe Stimme und Klavier Mk. 2.50 

D. E. Nr. Mk. 

6320 op. 3 FUNF GED1CHTE aus dem „Japanischen Friihling" Mr mittlere Stimme u. Klavier 3. - 

7513 op. 10 LIEBESLIEDER. Fur hohe Stimme und Kammerorchester, Partitur 20.- 

6803 Ausgabe fiir Gesang und Klavier 2.50 

7275 op. 11 RONDELS. Fiir tiefe Stimme und Kammerorchester, Partitur 10. - 

6804 Ausgabe fiir Gesang und Klavier 1.50 

7169 op. 13 KINDERLIEDER nach Texten von Christian Morgenstern, fiir Gesang und Klavier 2.50 

7503 op. 18 LIEDER AN DIE GELIEBTE. Fiir hohe Stimme und Klavier 1.50 

Als Liederkomponist steht Grosz in der ersten Reihe der Schaffenden. Einer der wenigen, die heute dem 
Liede noch neuen Inhalt zu verleihen wissen. Seine Lieder erscheinen immer haufiger auf den Programmen. 

Durch jede Musikalienhandlung zu beziehen. 

UNIVERSAL- EDITION A. G., WIEN- LEIPZIG 



457 



SCHRIFTTANZ 

fiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiriiiiiiiiiiiKiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiEiiiiiiiiriiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiriifiisiiiiiiiiiiiiJiiitii[iiiiiiiciiiiiiiiiiiitiiiiiiiiiiiiiiiviiiiiiiiitiiiiiiiiiriiBiiiiiiiiitiiiiiiiiiJiii»iiiiiiiiiii^ 

R U D O L F V O N L A B A N 

iiiiii imimi linilMliirill in in ill llMllilliillliiiillii illllilirilli lliirillllliillilll nrilliili mi lilur urn linn in in iiiiiiiiiriiiiii in niii iiiiiniii iiim in i imiiiiiki i 

Die neuen Publikationen der Universal-Edition 

Soeben erschienen : Heft I 

METHODIK - ORTHOGRAPH1E - ERLAUTERUNGEN 

U. E. Nr. 9600 Preis Mk. 3. - 

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Umwalzung auf dem Gebiet der Choreographic La bans Tanzschrift, das Ergebnis 30jiihriger Forschungsarbeit, wird in 
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Die Zeit3chrift soil neben den der praktischen Auswirkung der Idee dienenden Publikationen die theoretische und wissen- 
schaftliche Begrundung bringen. Das erste, soeben erschienene Heft en thill t Aufsfltze von R. v. Lnban, Fritz Bohme, Han3 

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u. e. Nr. Sonaten, Sonatinen Mk. 

9065 A. Abramsky, Sonate 5. - 

9052 O. Eiges, op. 5 Sonate 4.20 

8925 B. Goldscbmidt, op. 10 Sonate . . 5. - 

9487 T. Harsanyi, Sonate 2.50 

9501 V. Mortari, Sonatine 2. - 

9026 A. Mo8Solow, op. 4 Sonate . . . 6.50 

9558 K. Rathaus, op. 20 Sonate . . . 5. - 

9078 B. Schechter, op. 5 Sonate . . . 3.40 

8926 E. Schulhoff, Sonate I 5. - 



U.E.Nr. 

9489 
9557 
9551 
9484 

9431 

9571 



Kurzere Stilcke 



Mk. 

M. Butting, op. 33 Kurze Stucke . 2.50 
F. Delius, 3 Preludes . . . . . 2. - 
B. Goldschmidt, op. 11 Capriccio . 1.50 
Jul. Krcin, op. 9 Acht Klavier- 

stuclce 3. — 

N. Mjaskowsky, 

op. 29 Erinnerungen . . . . 3. - 
A. Mossolow, op. 15 Zwei Nacht- 

stucke 1 .50 



9507 W. Grosz, Tango aus „Baby in 

der Bar" 1.50 

9562 - Shimmy aus „Baby« . . . .1.50 



Tanz-Rhythmen 

8954/8 E. Schulhoff, Cinq Etudes de 

Jazz a 1.20 

9504 — Esquisses de Jazz 2. — 



Durch jede Musikalienhandlung zu beziehen. 



UNIVERSAL -EDITION A. G., WIEN- LEIPZIG 



458 



1 



Die Werke 

William Waltons 

William Walton ist einer der vielversprechendsten 
englischen Komponisten, dem man Interesse und 
Bewunderung, weit iiber die Grenzen seines 

Landes entgegenbringt. 
Seine Werke, immer klar und prazise gearbeitet, 
voll Vitalitat und Fantasie in Melodie und, 
Rhvthmus, erringen standig immer weitere inter- 

nationale Anerkennung. 

FACADE 

Suite fur Orchester nach Gedichten von 
Editb Sitwell. 
Eines der zwei englischen Werke, die fur das 
Internationale Kammermusikfest in Sienna 1928 
zur Auffiihrung ausgewahlt wurden. Es bietet 
ein glanzendes Beispiel fiir Anwendung der Satire 
in der Musik. Die Titel der einzelnen Satze 
dieser Suite sind bezeichnet : 

Polka, Walzer, Schweizer Jodellied, Tango, 
Pasdoble, Tarantella, Sevillana. 

Fiir Klavier zu vier Handen, bearbeitet von 
Constant Lambert. Mk, 6.50. 

Der „Walzer" aus „Faeade" wird in Kiirze, fiir 

Klavier zu zwei Handen vom Komponisten 

selbst bearbeitet, erscheinen. 

Portsmouth Point, Ouvertxire 

Nach einem Druck von Thomas Rowlandson. 

Ein durch keinerlei konservative Reflektionen 
gehemmtes Werk von sprudelnder Frohlichkeit. 

Fiir Klav. zu vier Handen Mk. 6.50, Part. Mk. 15.- 

Siesta 

Ein reizvolles und geistreiches Werk 
fiir kleines Orchester. 

Fiir Klavier zu vier Handen bearbeitet Mk. 5.-. 

In Kiirze erscheint : 

Sinfonia Concertante 

fiir Orchester und Klavier. 

Diesneueste Werk William Waltons wurde kiirzlich 

in New- York, Boston und London, unter der 

Leitung Serge Kussevitsky's und M. E. Ansermet, 

mit grossem Erfolg aufgefiihrt. 

Fiir 2 Klaviere zu 4 Handen 
bearbeitet vom Komponisten 

Ausfiihuiiigsmateriale samtliclier ongezeigten Werke leih- 
weiae von den Verlegern. Prci9e nach Vereinbarung. 

OXFORD UNIVERSITY PRESS 
95 WIMPOLE STREET / LONDON W 1 

Alleinigc Auslicfcrung fiir Deutscliland : 

HOFMEISTER, LEIPZIG 



Klein TORPEDO 

MIT EINFACHER UMSCHALTUN9 




Mr 

REISE 

und 

BORO 

twsonders Qeeignet 

fur 

GelehrteScftriftsteller. 
ArzteumGewEitefrabende 



WEILWERKEA-G 

FRANKFURT A.M.RVDELHEIM 



KARL STORCK 

GESCHICHTE 
DER MUSIK 



Sechste, bis auf die Gegenwart fortgefiihrte Auflage, 
mit Bildniasen beruhmter Musiker. Erganzt und her- 
ausgegeben von Dr. Julius Maurer. Mustergultige 
buditeclinische Ausstattung: Bestes holzfreies Papier, 
Satz in der Ungerfraktur, Einbande mit Echtgold-Pra- 
gung nach einem Entwurf von Professor Walter Tie- 
mann-Leipzig / 2 Bande in Ganzleinen gebunden (974 
Seiten Umfang) und in dauerhaftem Scliutzkarton 
RM. 32.- 

Die Neuauflage der Musikgeschiclite von Karl Storck 
kann ich nur aufs wtirmste begriiCen, weifi ich dodi 
aus langer Erfahrung wieviel dies echte musikalische 
Hausbuch seit seinem ersten Erscheinen zum Ver- 
standnis der groficn Meister, zur Vertiefung des Mu- 
sikverstehens uberhaupt beigetragen hat. Dafi grofie 
Zusammenhange geschen und dargestellt sind, macht 
das Bucli zeitgemaG, dofi die Entwicklung der Musik 
mit wirklicher Liebe urtd Ehrfurclit dargestellt ist, 
macht jenseits der blofien Belehrung seinen erziehe- 
rischen Wert aus. Moge also auCh die Neuauflage 
ihren Weg in weiteste Kreise def Kenner und „Lieb- 
haber" der Musik finden 

Dr. J. M. Miiller-Blattau, Privatdozent fur Musik- 
wisscnsclioft an der Un i vers itat Konlgsb erg 

J. B. METZLERSCHE VERLAGS- 
BUCHHANDLUNG / STUTTGART 



459 



A. GLAS 

DAS SPEZIALHAUS 
FUR GUTE MUSIK 

weist erneut darauf hin, dafi es 
samtliche Werke des Verlages 

B. Schott's Sohne, Mainz 

vorratig halt. 



Besonderer Beachtung bedilrfen die Werke der zeitgenossischen 
Komponisten Butting, de Falla, Grainger, Gretchaninoff, 
Haas, Hindemith, Jarnach, Korngold, Kfeisler, 
Milhaud, Ravel,' Scott, Stravinsky, Toch, 
Weigl, Windsperger usw., die jederzeit 
unverbindlich eingesehen werden konnen 
und auf Wunsch ansichtsweise 
zur Verfiigung gestellt werden 

Fordern Sie bitte komplette 
Kataloge gratis von 

A. GLAS, Musikalienhandlung und Antiquariat, Berlin W 56 
Markgrafenstr. 46 Ecke Franzosischestr. / Tel.: Merkur 5706 / Gegr. 1838 



Neu erschienen: 

(SOuarft Bertfe 
Dffat>en<ecftntf &e$ fffatrierfetefe 

Nach padagogischen Erfahrungen neu bearbeitet und erganzt von 

Zugleich Supplement zu „Tausig-Ehrlich, TSgliche Studien" (Ed. Steingraber Nr. 912/13) 
Inhalt: Voriibungen ; 

21 Etuden von Clementi, Czerny, Martin Frey, Theod. Kullak, Jos. Low, Joh. Raff, 
Rob. Schwalm, Uso Seifert, Stamaty, Jos. Weiss, Zilcher ; 

120 Zitate aus Werken von d'Albert, Balakirew, Beethoven, Brahms, von Biilow, 
Burmeister, Busoni, Glazounow, Grieg, Jadassohn, Moszkowski, Beger, Reinecke, 
Rimsky-Korsakow, Saint-Saens, Scharwenka, Stojowski, Toch, Weifi u. a. 

Komplett in 1 Bande Ed.-Nr. 22 M. 5.- 

Ausgabe in 2 Heften : 

Heft 1: Voriibungen und 21 Etuden Ed.-Nr. 22 a M. 3.- 

Heft 2: 120 Zitate ... ...... Ed.-Nr. 22b M. 3.- 

Aiis deni Vorwort: Dj e Oktaventechnik von Merkte stellt eine Art padagogische Enzyklopadie dar und hat sich 
™ ausgezeichnet bewahrt, was ja auch der steigende Erfolg seit der Herausgabe beweist. Wenn ich es trotzdem 
unternehme, eine Neuausgabe zu veranstalten, ho verfolge ich damit nur den Zweck einer Neugestaltung auf 
der Gruridlage moderner Auffassung. Ich habe einige Etuden von geringem musikalischen Wert ausgcschieden 
und durch interessantere ersetzt, die mir zudem vom padagogischen Standpunkt aus wertvoller erschienen. 
Ebenso "wurden Zitate und Beispiele aus anerkannten Werken der neueren Komponisten-Generation hinzufiigt, 
wofiir altere und weniger bedeutende Werke in Wegfall kamen. , 

Eine wertvolle Erganzung zu vorstehendem Werk ist die 

€><fcu(e be* Dffaoenfptefei t>on Xfaobor ftuftaf 

Neu herausgegeben 1 von Martin Frey. Ed. Steingraber Nr. 2151 M. 1.80 

(Vorschule.: Legatospiel, Sdiulung der einzelneu Finger. Beide Funktionen des Handgelenks 
vereinigt, 2 Vorstudien. 7 Ok taven-E tiiden.) 

Die Werke sind durch jede Musikalienhdlg. (auch zur Ansicht) zu beziehen. Verlangen Sie kosten- 
'frei den Steingraber-Gesamtkatalog und den Steingraber-Prospekt „Lehrgang des Klavierspiels" 

EDITION STEINGRABER 



460 



STUDIENPARTITUREN 
ZEITGENOSSISCHER MUSIK 



TRIO 

P. Hindemith 

Trio fur Violine, Viola u. Violon- 
cello, op. 34 M. 2.- 

W. Schultliess 

Serenade Edur, f. Violine, Viola 
und Violoncello, op. 6 . . M. 2.- 

QUARTETT 



(2 Violineu, Viola, Violoncello) 


C. Beck 




Quartett No. 3 ... 


. . M. 2.- 


M. Butting 




10 kleine Stucke, op. 26 . M. 2 — 


P. Hindemith 




I. Quartett, op. 10 . 


. . M. 3.— 


II. Quartett, op. 16 . 


. . M. 3.— 


III. Quartett, op. 22 . 


. . M. 3.- 


IV. Quartett, op. 32 . 


. . M. 3 — 


Ph. Jarnaclt 




Quartett, op. 16 . . . 


. . M. 2.— 


E. W. Korngold 

Qartelt Adur, op. 16 . 




. . M. 2.— 


H, Krasa 




Quartett 


. . M. 3.20 


F> Kreisler 




Quartett a moll . . . 


. . M. 3.— 


E, Moritz 




Quartett op. 10, m.Sopra 


nsolo M. 2. — 


H. K. Schmid 




Quartett Gdur op. 26 . 


. . M. 2.— 


E. Schnlhoff 






. . M. 2 — 


B. Sekles 




Quartett, op. 31 . . . 


. . M. 2 — 


J. Slavenski 




Quartett, op. 3 . . . 


. . M. 2 — 


E. Toch 




Quartett, op. 34 . . . 


. i M. 2.— 


A. Tscherepnin 




Quartett, op. 36 . . . 


. . M. 1.50 


J. Tnrina 




Quartett 


. . M. 3 — 


L. Vycpalek 

Quartett Cdur, op. 3 . 




. . M. 3.50 


L. Windsperger 




Quartett gmoll, op. 21 


. . M. 2.— 


QUINTETT 





M. Reger 

Quintett cmoll, fur 2 Violinen, 
Viola, Violoncello u. Klavier M. 2.- 

(Nachgelasaenes "Werk) 

J. Slavenski 

Aus dem Dorfe. Quintetl f<ir 
Flote, Klarinette, Viol., Bratsche 
und Kontrabai, op. 6. 
Partitur (Quart-Format) . . M. 3.- 

SEXTETT 

E. W. Korngold 

Sextett Ddur.A fiir 2 Violinen, 
2Violenu.2Violoncelli,op.lO M. 3.- 



KAMMERMUSIK 
FUR B LASER 

P. A. Graii gei' 

Wanderlied, fiirFloie,' Oboe, 
Klarineite, Horn, Fagott . M. 2.50 

P. Hindemith 

Kleine Kammermusik fiir 
5Blaser(FI6te, Oboe, Klarinette, 
Horn u. Fagoit) op. 24 No. 2 M. 2.— 

H. K. Schmid 

Quintett Bdur, fiir Flote, Oboe, 
Klarin., Horn, Fagott, op. 28 M. 2 — 

H. Villa-Lobus 

Ch6ros Nr. 4, fiir 3 Horner und 
Posaune M. 1.20 



KAMMERORCHESTER 

P. Dessan 

Concertino liir Solo-Violine mit 
Flote, Klarinette und Horn 
(Schollpreis 19Z5) .... M. 2.— 

P. Hindemith 

Kammermusik No. 1, op. 24 No. 1 
(mit Finale 1921) .... M. 4.— 

Kammermusik No. 2 (Klavier- 
Konzert) op. 36 No. 1, fiir oblig. 
Klavier u. 12 Soloinstrumente M. 4. — 

Kammermusik No. 3 (Cello-Kon- 
zert) op. 36 No. 2, fiir oblig. Vio- 
loncello u. 10 Soloinstrum. M. 4. — 

Kammermusik No. 4 (Viol.-Konz.) 
op. 36 No. 3 fiir Solo-Violine u. 
grofieres Kammerorchester M. 4. — 

Kammerorchester No. 5 (Bratschen- 
Konzert) op 36 No. 4 fiir Solo- 
Bratsche und Kammerorch. M. 4. — 

A. Merlkanto 

Konzert fiir Violine, Klarinette, 
Horn u*nd Strei'chsextett 
rSchotlpreis 1925) .... M. 2.— 

R. Stephan 

Musik fiir sieben Saiteninstrum. 
(Streichquint., Harfeu. Klav.) M..3.— 

1. Strawinsky 

Ragtime fiir 11 Instrumente M. 2. — 

B. Sturmer 

Suite gmoll f. 9 Soloinstrumente, 
op. 9 M. 6.— 

E. Toch 

Tanz-Suile, op. 30 . . . . M.20.- 
Fiinf Stucke, op. 33 . . . M. 2 — 
Konzert fiir Violoncello und 
Kammerorchester, op. 35 
(Schottpreis 1925) . . . . M. 4.— 

A. Tscherepnin 

Konzert fiir Flote u. Violine mit 
kl. Orchester, op. 33 (Schotlr 
preis 1925) . M. 1.50 

H. Wnnsch 

Konzert fiir Klavier und kl. Or- 
chester (Schottpreis 1925) . M. 3.— 



OESANG UND 
KAMMERORCHESTER 

P. Hindemith 

Die junge Magd. Sechs Gedichte 
von Georg Trakl fiir eine Alt- 
stimme mit Flote, Klarinette u. 
Streirhquartett, op. 23 No. 2 M. 3 — 
Die Serenaden. Kl. Kantate nach 
j omantischen Texten f. Sopran, 
Oboe, Bratsche und Violoncello, 
op. 35 M. 4 — 

I. Straw! n sky 

Pribaoutki. Scherzlieder fiir eine 
Singstimme (mittel) mit Beglei- 
tung von 8 Instrumenten . M. 2. — 
Wiegenlieder der Kalze, liir eine. 
Frauenhtimme (tieQ und 3 Kla- 
rinetten M. 1.50 

E. Toch 

Die chinesische Flote. Kammer- 
symphonie fiir Sopran und 14 
Solo-instrumente, op. 29 . M. 3. — 

ORCHESTER 

1. Albeniz 

Iberia, Suite (Ubertr. f Orch. von 
E. F. Arb6s); daraus: Nr. 2 Fete 
Diuu aSeville - Nr.3Triana je M. 2.50 

A. Casella 

Pupazetti M. 3 — 

M. de Falla 

Nachte in spanischen Garten 
(Nuit>danslesJardinsd'Espagne). 
Symphon. Impressionen fiir Kla- 
vier und Orchester . ' . . M. 5. — 

E. Halffter 

Sinfonietta Ddur . . . . M, 2 — 

P. Hindemith 

Konzert fiir Orchester, op. 38 M. 4. — 

E. W. Korngold 

Sinfonietta, op. 5 . . . . M. 4.— 

G. F. Malipier6 

Impressioni del Vero II . . M. 4. — 

M. Ravel 

Pavane zum GedSchtnis einer 
Infaniin M. 1.20 

R. Stephan 

Musik f. Orch. in einem Satz M. 3. — 

I. Strawinsky 

Feuerwerk, Brillante Fant. Al. 2. — 
Suite 1 fiir kl. Orchest. (Andante, 
Napolitana,Espanola,Balalaika)M.2.50 
Suite II fiir kl. Orchesi. (Marsch, 
Polka, Walzer, Galopp). . M. 2.50 
Der Feuervogel, Suile . . M. 8. — 

BUHNENWERKE 

M. de Falla 

Meister Pedros Puppenspiel. 
Oner in 1 Akt n. Cervantes M. 8.— 
Liebeszauber. Ballett mit Ge- 
sang von G. M. Sierra. . . M. 6. — 
3 Tanze aus B Der Dreispitz" M. 6. — 

P. Hindemith 

Sancta Susanna. Oper in 1 Akt 
von A. Stramm, op. 21 . . M. 6.— 

I. Strawinsky 

Die Geschichte vom Soldaten, 
gelesen, gespielt u. getanzt M. 4. — 

Pribaoutki M. 2.— 

Wiegenlieder der Katze . M. 3. — 



B. SC'HOTT'S SOHNE / MAINZ UND LEIPZIG 



Notenbeispiele zu dem Aufsatz 
Schmid: ,, Interpretation von Beethovens Streichquartetten" 

LNoienbeispiel. 

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£.Notenbeispiel. 

Notenbeispiele zu dem Aufsatz 
Iwanow=Boretzky: „Ein Moskauer Skizzenbuch von Beethoven" 



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Beilage zu MELOS August/ September 1928 



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Notenbeispiele zur Meloskritik 




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MELOS 

ZEITSCHRIFT FDR MUSIK 

SCHRIFTLEITUNG: P[lR0F. DR. HANS MERSMANN 

AHe Sendungen fur die Scliriftleitung und Besprechungaatiicke nacli Berlin-Grunewald, Neufertnllce 5 (Fernapr. Uhland 3785) erbeten. 
Die Schriftleitung bittet vor Zusendung von Manuskripten um Anfrage mit Riickporto. AlleReclite fiir sam 1.1 idle Beitrage vorbehalten. 
Verantwortlich fur den Teil „Mii3ikleben": Dr. Hcinrich Strobel, Berlin; fur den Verlag und den Anzeigenteil: Dr. Johannes Petschull, 
Mainz / Verlag: MELOSVERLAG (B. Schott'a Sohne) MAINZ, Weihergarten 5; Fernaprecher 529, 530; Telegr.: MELOSVERLAG; 

Postsclieck nnr Berlin 19425 / Ausliefcrung in Leipzig: LindenatraKe 16/18 (B. Schott's Sohne) Druck: B. Sdiott'a Sohne, Mainz 
Die Zeitschrift ersclieint am 15. jeden Monats. — Zu beziehen durdi nlle Budi- und Musikalienhandlungen oder direkt vom Verlag. 
Das Einzelheft koatetl. - Mk., daa Abonnement jfilu-1.8. - Mk., lrnlbj. 4.50 Mk, viertelj..2.50 Mk. (zuziigl. 15Pf. Porto p.H., Ausland 20 Pf. p. H.) 
Anzeigenpreise : '/i Seite 100.- Mk. 1 j a Seite 60.- Mk. */* Seite 35.— Mk. Bei Wiederholungen Rabatte. Auftroge an den Verlag. 



ZUM INHALT 

Die Oper ist in den letzten fiinf Jahren zum Trager starkster und gegenwartigster 
Stromungen tmseres Musiklebens geworden. Sie muBte audi in dieser Zeitschrift immer 
wieder in den Mittelpunkt riicken. Wenn das in diesem Hefte wieder geschieht, so 
handelt es sich diesmal nicht um die heute von schaffenden Musikern angesti'ebten 
Losungen des Opernproblems, sondern um die Bewegungen, die man unter deni Schlag- 
wort einer Renaissance zusammenzuf'assen pflegt. Die gesteigerte Bedeutung Handels 
und Verdis fiir unsere Zeit, mit grundsatzlicher Zustimmung begi'iifit, bedarf einer 
kritischen Abgrenzung. Sie verbindet sich mit neuen Vorschlagen fur die Umgestaltung 
des Wagnerschen Kunstwerks. 

Wir fiihren mit diesem Hefte die Arbeit der MELOSKRITIK, die weit ixber den 
Kreis unserer Leser hinaus Beachtung gefunden hat, in einer neuen und erweiterten 
Form durch. Die Kommission fur Werkbesprechung wird sicli nicht nur mit einzelnen 
Ausschnitten des gegenwartigen Schaffens, sondern auch mit dem Schrifttum tiber Musik 
und alien wesentlichen musikalischen Neuerscheinungen auseinandersetzen. Sie fuhlt 
sich fiir die Haltung der Zeitschrift im engeren Sinne verantwortlich und wird, wenn 
notig, auch die gegen die Zeitschrift gerichteten Angriffe vertreten. Aus der Forderung 
dauernden intensiven Zusammenarbeitens ergab sich leider die Notwensligkeit des Aus- 
scheidens fiir unseren in Wiesbaden lebenden Mitarbeiter Lothar Windsperger. Die 
Meloskritik selbst wird auf eine kleine Anzahl von Personliclikeiten erweitert, die dem 
engeren Kreise der Werkbesprechungskommission nicht angehoren und zu einzelnen Be- 
urteilungen herangezogen werden. Dafiir wurde der Gedanke einer Kollektivbesprechung 
der Berliner Musik fallen gelassen. Die erweiterte Form unseres MUSDCLEBEN, die 
in ihrer neuen Gestalt in diesem Heft erstmalig vorliegt, erstrebt eine kritisch informierende 
Spiegelung der gesamten europaischen Musik. 

Die Scliriftleitung. 




MUSIK 



Hans Curjel (Berlin) 

ZUR RENAISSANCE DER HANDEL-OPER 

Nicht urn Handel als musikalische Personlichkeit handelt es sich bei der in den 
letzten Jahren entstandenen Handel-Bewegung — der Schopfer der Oratorien und der 
Orchesterwerke war ja nie vergessen worden — sondern um die Frage der Wieder- 
belebung der Barock-Oper, die in den Opernwerken Handels ihre reinste und zugleich 
qualitativ hochste Auspragung erfahrt. Dem kiinftigen Historiker der Theatergescliichte 
wird es vorbehalten bleiben. die tieferen Grunde im einzelnen aufzudecken, ' k die zu 
diesen Bestrebungen fuhrten. Gewifi ist einer der Grunde das Bestreben, dem totge- 
lauf'enen Opernspielplan unsrer Tage neue Elemente zuzufiihren, und gewifi ist die 
ganz allgemein neu-erwachte historische Entdeckerfreude mit eine der Ursachen, die die 
praktische Wiedererweckung von Handel-Opern hervorriefen. 

Die Bewegung selbst, die vor rund acht Jahren praktische Bedeutung gewann, hat 
ihre Vorstufen, die allerdings im wesentlichen von philologischen Beweggriinden bestimmt 
waren. So wurde, offenbar aus rein gedenk-historischen Erwagungen heraus, im Jahr 
1878 bei der Zweihundertjahrfeier der Hamburger Oper Handels „Almira" (in Hamburg 
1705 aufgefiihrt) in der Bearbeitung von J. N. Fuchs wieder auf die Biihne gebracht. 
Im Jahr 1906 erschien als Privatdruck eine Neubearbeitung des Handel'schen „Admet" 
von Hans Dutschke besorgt; diese Bearbeitung ist iibrigens im vergangenen Jahr einer 
Auffiihrung dieses Werkes zu Grund gelegt worden. Gegen diese gelegentlichen Ver- 
suche philologisch-begeisterter Historiker stand das Urteil der Wortfuhrer der Musik- 
geschichte (Kretzschmars vor allem) und das der Theaterleiter : die Handel-Oper, so 
grofiartige Stiicke sie im einzelnen in musikalischer Hinsicht bergen mag, sei als dra- 
matische Gestalt auf der modemen Opernbiihne nicht moglich; sie sei ein „Arienbundel" 
dem die dramatische Bewegung und Schlagkraft fehle; die Gestalten seien Figuren ohne 
Fleisch und Blut und ohne pyschologische Entwicklung, wie sie fur eine fesselnde Biihnen- 
wirkung unerlafilich sei; endlich das stereotype Nebeneinander von Becitativ und Arie, 
man bezeichnete und deutete es als eine primitive Gleichform, die den differenzierten 
Bediirfnissen des durcli Wagner und Straufi gegangenen Opernbesuchers nicht geniigen 
konne. 

Im Jahre 1920 geschah dann der entscheidene Schritt fur die Wiederbelebung der 
Handel-Oper. Auf Initiative und unter Leitung des Kunsthistorikers Oskar Ha gen 
fand in Gottingen eine Auffiihrung von Handels .Jlodelmde" statt. Die Absicht, die 
Hagen mit dieser prononcierten Auffiihrung verband, war, die kunstlerische Lebensfahig- 
keit der Handel-Oper nachzuweisen. Typische Ironie der Geschichte, dafi weder ein 
ziinftiger Musikhistoriker noch ein Theaterpraktiker, sondern ein Aufienseiter den 
Mut und die Uberzeugung zu dieser programmatischen Tat aufbrachte! Aus dieser 
Auffiihrung der „Rodelinde" entwickelten sich die bisher alljahrlich abgehaltenen 
Gottinger Handelfestspiele, in denen immer neue Biihnenwerke Handels aim Leben er- 



ZUR RENAISSANCE DER HANDEL-OPER 463 

weckt wurden. An sie schlossen sich eine Reihe weiterer Erweckungen von Handelopern 
an („Orlando" in Bearbeitung von Hans Joachim Moser, „Ariodante" in Bearbeitung von 
Anton Rudolph, „Tamerlano" und „Alcina" in Einrichtung von Hermann Roth); vor allem 
das Gottinger Vorbild fuhrte endlich zu einer temporaren Aufnahme von Handel-Opern 
in den Spielplan vieler deutscher Buhnen. In einer Menge von programmatischen 
Manifesten hat Hagen selbst und nach ihm Abert und eine Reihe von Historikern auf 
die kunstlerische Aktualitat und Lebensfahigkeit der Handel-Oper hingewiesen. 

Trotzdem mufi festgestellt werden, dafi die Bestrebungen urn dauernde Wieder- 
aufnahme von Handel-Opern in den Biihnenspielplan zunachst mifilungen oder mindestens 
ins Stocken geraten sind. Die Zahl der Handel-Opernauffuhrungen ist in den letzten 
Jahren immer geringer geworden. Die mit ungeheurem Enthusiasmus eingeleitete Be- 
wegung beschrankt sich heute im wesentlichen auf die eine oder andere kurzbefristete 
Wiederaufhahme der oder jener Handel-Oper, die unter dem Gesichtspunkt der „kunst- 
lerischen Ehrenpflicht", bestenfalls mit der Absicht eines kunstlerischen Experimentes 
unternommen wird. 

Was ist die Ursache? Ist sie in der allgemeinen Opernkrise zu suchen, die sich 
im starken Nachlassen des Interesses fur die Oper xiberhaupt bemerkbar macht? Liegt 
sie im Wesen der Barockoper begriindet, wie die Historiker und Kritiker des 19. Jahr- 
hunderts glaubten? Oder liegt sie vielleicht in der Art der praktischen Methode der 
Wiedererweckungs-Bestrebungen ? 

Die Anfange der Handel-Bestrebungen Hagens, dessen Weitblick und Mut nicht 
hoch genug gepriesen werden kann, sind zeitlich verbunden mit der Bewegung des Ex- 
pressionismus. Mit einem Bereich seiner geistigen Konstitution steht sie in Parallele: 
mit der Zielsetzung, Ausdruck an sich zu gestalten, der beispielsweise in der Malerei zu 
der Losung „los von der malenden Malerei, los vom Gegenstand" und damit zu der 
reinen Abstraktion, d. h. zur Gestaltung des Ausdrucks reiner Formen gefuhrt hat. 
Unter solchem Aspekt sah der entfaltete Expressionismus alle klassische Kunst und von 
hier aus hat er die Wendung zu der sogenannten „Neuen Klassizitat" genommen. Und 
von hier aus mag auch Hagen zur Handel-Oper gekommen sein. Wie sehr er andrer- 
seits im Expressionismus, in der Geistesbewegung des Uberathmospharendruckes befangen 
war, geht aus seinen Methoden der Bearbeitung hervor, in denen er auf dramatische 
Spannung, auf dramatischen Aufbau und dramatische Steigerung im Sinne des modernen 
Musikdramas ausgeht. Hagen und nach ihm fast alle Handel-Bearbeiter (mit Ausnahme 
von Herman Roth, der sich in seiner letzten Handel-Einrichtung, der „Alcina", grund- 
satzlich von dieser Auffassung gelost hat) gehen also von der Auffassung aus, dafi der 
Oper Handels eine handlungsmassige und auch psychologische Straffung nottue, die, wie 
immer wieder gesagt wird, vom Publikum des heutigen Operntheaters (also vom Wagner- 
gesattigten Publikum!) verlangt wird. Unwiltkurlich treten Hagen und seine Nachfolger 
mit dieser Forderung den Historikern und Theaterpraktikern des 19. Jahrhunderts bei, 
die eine Aufnahme der Handel-Oper wegen ihres angeblich undramatischen und schemen- 
haften Charakters als unangebracht bezeichnet haben. Der Unterschied zwischen Hagen 
und den fruheren „Kennern" liegt allein darin, dafi Hagen deren von vornherein ablehnende 
Skepsis durch den enthusiastischen Willen zum Experiment ersetzt hat. Aber gerade 
darin, dafi auch Hagen nicht primar vom Wesen der Barock-Oper ausging, sondern dafi 



464 HANS CURJEL 



f 

er sie unter dem Gesichtswinkel der Oper des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts 
betrachtete, und deshalb ihr Wesen im Kern umzubiegen trachtete, darin scbeint mir 
die wesentliche Ursache dafiir zu liegen, dafi die weitangelegte Hiindel-Bewegung zu- 
ntichst mifilungen ist. 

Zwei grundsatzlich verscbiedene Einstellungen waren also bisher fast ausscbliefilicb 
bei den Bemuhungen urn die Handel-Oper mafigebend : philologische Gelegenheits- 
Sympathie, bzw. das Bestreben kixhler wissenschaftlicher Genauigkeit (wie bei Chrysanders 
Gesamtausgabe) einerseits und das Bestreben um kunstlerische Aktualisierung d. h. Um- 
gestaltung im Sinn der Oper des 19. Jahrhunderts andrerseits. Beide Einstellungen 
haben ihre Verdienste, die fiir die Frage der heutigen Auffuhrung vorliegenden Pro- 
bleme sind jedoch der Losung nicht zugefiihrt worden. Dafi solche Probleme, und zwar 
Probleme sehr vielgestalteter Art, vorliegen, steht fest. 

Auffiihrungen genau in der Originalgestalt sind nicht moglich : Ubersetzung des 
italienischen Textes muK hergestellt werden, die Kastraten-Partien mussen einer anderen 
Stimmlage (meist entweder Sopran oder Tenor) zugeschrieben werden, aus den oft vor- 
liegenden Varianten mufi eine bestimmte Fassung ausgewahlt werden. Es ist also schon 
von diesen Punkten wenn nicht eine Bearbeitung so doch mindestens eine Einrichtung 
der Werke notwendig. Zu diesen schon vor der praktischen Auffiihrung zu losenden 
Fragen treten die Probleme der unmittelbaren Auffuhrungspraxis : die Fragen der Tempi 
und der Dynamik, die Fragen der Kurzungen und vor allem die Frage des Biihnen- 
bildes, der Kostiime und der Begie, die unmoglich durch eine glatte Anlehnung an 
originale Anhalte, wie sie etwa in alten Kupferstichen oder dergleichen vorliegen, gelost 
werden kann. 

So grofi und problematisch diese Vieldeutigkeit des gleichsam materiellen Bestandes 
der Handel-Oper auch sein mag, so klar und absolut fafibar erscheint die zentrale Ein- 
deutigkeit ihrer Gesamtstruktur; eben das System der Barockoper, deren Wesen im 
Typisieren (nicht im individuell Psychologisierten) und im Architektonischen (nicht im 
bewegungsmafiig dramatisch Gesteigerten und Geballten) liegt. Wird diese Struktur 
angegriffen, wie dies durch die Hagen'sche Bearbeitungsmethode geschehen ist, so wird 
der Lebenskern erscbiittert; das Gefiige mufi sich verzerren, die ausstrahlende und mit- 
reifiende Kraft, von denen die Werke urspriinglich erfidlt sind, mufi verloren gehen. 

Ein Teil der Fachkritik hat von ahnlichen Gesichtspunkten aus die Gottinger 
Bearbeitungen abgelehnt. Steglich vor alien hat auf das zuweilen sogar in Bezug auf die Ton- 
artenfolge unantastbar logische Gefiige der Handeloper aufarerksam gemacht und die 
Wiederherstellung der originalen Form verlangt. Both hat aus soldier Einstellung die 
praktischen Folgerungen gezogen und erst kiirzlich mit einer in Leipzig zur Auffuhrung 
gebrachten Einrichtung der „Alcina" den Beweis fiir ihre Bichtigkeit erbracht, nachdem 
er in fruheren Bearbeitungen des „Tamerlano" noch im Bann der Aktualisierungsbe- 
strebungen gestanden hatte. 

E i n r i ch t u n g — n i ch t B e a r b e i t u n g ; dies ist die Forderung, die bei heutigen Auf- 
fiihrungen von Handelopern erfiillt werden muss. Die wichtigsten Fragen, die hierbei zu 
losen sind, seien wenigstens augedeutet: 

Frage der Ubersetzung: sie hat ein HochstmaB von Wordichkeit zu wahren; ins- 
besondere mufi den wesentlichen musikalischen Phrasen gegeniiber der originale Text- 



ZUR RENAISSANCE DER HANDEL-OPER 465 

inhalt entsprechen. Beispielsweise mufi etwa einem musikalischen Vordersatz der inhaltlich 
zugehorige textliche Vordersatz unterlegt bleiben; Umstellungen von textlichen Vorder- 
und Nachsatzen fuhrt zu unheilbaren kiinstlerischen Diskrepanzen. Kann der Reim ohne 
Zwang und ohne textliche Umdeutung erhalten bleiben, so bleibe er erhalten; ist dies 
nicht moglich, so kann er, der durchaus kein integrierender Bestandteil des barocken 
Operntextes ist, ohne weiteres fallen. Die TJbersetzung selbst (auch besonders im Secco) 
mufi den Inhalt verstandlich machen; expressive Wendungen und Stimmung erzeugende 
Aphoristik widersprechen dem Wesen des Barock-Textes wie natiirlich auch der barocken 
Musik. 

Frage der Stimmlage : in Bezug auf die Frage der Ubertragung der Kastratenpartie 
rniiK die Entscheidung ob Sopran oder Tenor bezw. Alt oder Bariton den jeweiligen 
Besetzungsmoglichkeiten untergeordnet werden. Grundsatzlich wird jedoch etwa dem 
Tenor der Sopran vorzuziehen sein, weil dadurch das abstrakte Element gewahrt bleibt, 
das dem Kastratensopran innewohnt. 

Frage der Gesamtstruktur : wenn auch Steglichs Auffassung von dem festen ton- 
artlichen Gefuge nicht grundsatzlich fur alle Handel (bezw. Barock)-Opern gilt, so ist 
doch die Gesamtstruktur von solch absoluter architektonischer Logik erfiillt, sodafi im 
allgemeinen keine Umstellungen in der Folge der Recitative und Arien moglich sind. 
Auch das da Capo ist grundsatzlich zu wahren ; durch seinen Wegfall verliert die Arie 
ihre Proportion. Wo Handel selbst auf das da Capo verzichtet, ist die Arie von vorne- 
herein anders angelegt als bei der tiblichen da Capo-Arie. Allerdings wird es gelegentlich 
Grenzfalle geben, in denen eine Streichung des da Capo moglich sein kann; es sind 
diejenigen Arien, deren Struktur den da Capo-losen Arien verwandt ist. Streichung 
von ganzen Arien oder Becitativ-Teilen kann nur unter dem Gesetz der Gesamtpro- 
portion erfolgen. Es ist bekannt, dafi Handel selbst gelegentlich einzelne Teile gestrichen 
hat. Werden heute Striche durchgefiihrt, so mufi sich an ihnen sowohl das historische 
Wissen desjenigen, der die Oper einrichtet, wie auch seine Intuition und sein Qualitats- 
empnnden bewahren, denn falsche Sti'iche konnen eine vollige Vernichtung der "Werk'e 
zur Folge haben. 

Diese Forderungen mogen zuniichst als Ergebnisse der musikalischen Philologie 
erscheinen. Im positiven Sinn sind sie es gewifi. Dariiber hinaus sind sie Ergebnisse 
einer lebendigen historischen Anschauung, die in dem gegebenen historischen Tatbestand 
die wahre Quelle fur die Wiederbelebung von Werken historischer Kunst sieht. Der 
historische Tatbestand vermag dann am starksten lebendig zu werden, wenn sein Wesen 
in ungebrochener Weise dargestellt wird. 

Dies gilt in erster Linie natviiiich auch fiir die Musik selbst und ihre Auffuhrung. 
Auch hier wird dann die starkste Lebendigkeit erzielt werden, wenn der originale 
Orchesterldang gewahrt bleibt. Also weder dynamische Ausdeutung (von uneilaubten 
Uminstrumentierungen ganz zu schweigen!) noch rhythmische Differenzierung! Allerdings 
verlangt eine solche Wiedergabe, die von aUer kiinstlichen „Belebung" absieht, eine umso 
grofiere Intensitat latenter musikalischer Spennung und rhythmischen Atems, sodafi ge- 
rade die Forderung nach gewisser monumentaler Uniformitat, unter der man friiher 
lederne Schulmeisterei vermutete, ein Hochstmafi unmittelbarer musikalischer Vitalitat 
und Beseelungskraft voraussetzt. 



466 HANS SCHULTZE-RITTER 

Die Frage der szenischen Realisierung der Handel-Oper birgt die allerschwierigsten 
Probleme. Nachdem von vornherein formaler Anschlufi an das originale Biihnenbild 
ausscheidet, erhebt sich hier von neuer Seite her die Frage der Aktualisierung : konnen 
die bildkiinstlerischen Gestaltungsprinzipien und Gestaltungsformen der jeweiligen Gegen- 
wart angewendet werden ? Die Frage wird bejahend beantwortet werden konnen, sofern 
die Anwendung zeitgemafier Formprinzipien unter der Gesetzlichkeit barocken Szenen- 
aufbaus geschieht. Die barocke Raumspannung und Raumstruktur mufi also erhalten 
bleiben; sie kann als absolutes Gestaltungsprinzip ohne weiteres erhalten bleiben, selbst 
wenn die Formen im einzelnen beispielsweise aus dem kubischen Formenvorrat der 
Gegenwart genommen sind. Was die Regie betrifft, so wird eine einfache Stilisierung 
das Gegebene sein. Die gestische und tanzerische Ausdeutung der Musik, wie sie im 
Anschlufi an Gottingen in Gebrauch gekommen ist, wird dagegen als eine Aufpulverung 
abzulehnen sein, deren die Handel-Oper durchaus nicht bedarf. Gerade diese Methode, 
die allzu rasch zur Manier geworden ist, mag zu gutem Teil die Schuld daran tragen, 
dafi Handelauffiihrungen in einen gewissen Mifikredit geraten sind. 

Andrerseits weisen gerade die Probleme der Biihnengestaltung und der Regie auf den 
Kernpunkt der Frage, ob eine Wiederaufnahme der Handel-Oper moglich sie. Die barocke 
Raumstruktur liegt ebenso weit jenseits alles zeitlich Gebundenen wie die musikalische 
und dramatische Struktur der Barock-Oper. Dieses Absolute, das selbstverstandlich im 
Gewand des Zeitlichen (also im Gewand der barocken Musik und des barocken szenischen 
Rahmens) auftritt, ist die Keimzelle der ungebrochenen und ewigen kiinstlerischen 
Lebendigkeit, die von der Barock-Oper grundsatzlich ausgeht. Handelt es sich nun 
obendrein wie bei Handels Werk urn Schopfungen hochster, individuell bestimmter 
Qualitat, so ist damit die Frage doppelt bejahend zu beantwprten. 

Allerdings miissen die zwei wesentlichen Voraussetzungen erfiillt werden: die 
kiinstlerische Struktur der Werke mufi bestehen bleiben und ebenso miissen musikalische 
und szenische Realisierung dem Absoluten des kiinstlerischen Kerns der Werke entsprechen. 
Insofern handelt es sich hier in erster Linie um ein Auffiihrungsproblem. Und deshalb 
nur um einen Sonderfall des allgemeinen Opernproblemes, da dessen Losung allein in 
der Frage des Wie der Auffiihrungen gefunden werden kann. 



Hans Schultze-Ritter (Berlin) 

VERDI-RENAISSANCE 

Verdis Opern stehen seit jeher im Spielplan der deutschen Biihnen mit an erster 
Stelle. Dire Zugkraft auf das Opernpublikum hat im Laufe der Jahrzehnte nicht nach- 
gelassen. Selbst dem machtigen Gegendruck der Wagnerschen Musikdramen haben sie 
standgehalten. Und jetzt erleben wir eine weitgehende neue Belebung von solchen Werken 
Verdis, die bisher in Deutschland entweder vergessen oder nur bruchstiickweise bekannt 
waren. Luisa Miller, Don Carlos, Die Rauber, Macbeth und andere kommen an grofien 
Biihnen heraus. „Die Macht des Schicksals" erzielte bei glanzender Auffiihrung in Berlin 
und Dresden einen durchschlagenden Erfolg und wurde zu einem ausgesprochenen 
Kassenstiick. 



VERDI-RENAISSANCE , 467 



All dies ist aus der augenblicklichen Lage der Oper durchaus begreiflich. Der 
machtige Zauber Wagners hat an Wirkung verloren. Er mufite an Wirkung verlieren 
bei einer Generation, die der Symbolistik eines romantischen Idealismus entwachsen ist, 
die auf knappe und prazise Gestaltung halt und lieber das Triviale in Kauf nimmt, als 
dem Vagen und Verstiegenen sich hinzugeben. Und gerade heute ist in der Tat eine 
Neuinszenierung Wagnerscher Musikdramen in solchem zeitgemafien Sinne ein hochst 
problematisches Unternehmen. Gerade die eminente theatertechnische Fantasie Wagners 
hat Dichtung, Musik, Mimik und Biihnenbild in einen einmaligen und festen Rahmen 
geprefit. den man nicht irgendwo lockern kann, ohne die Wirkung des Ganzen zu 
gefahrden. 

Die Nachfolge Wagners, soweit sie produktiv war, hat sich zwar von philosophisch- 
asthetischen Bindungen des Gesamt-Kunstwerkes befreit und ist sogar bis zum stilisierten, 
selbst ironisierenden Spiel gelangt. Desto mehr aber hat sie sich an die psychologisierende 
Ausdeutung komplizierter seelischer Vorgange verloren. Damit wurde das Gleichgewicht 
der Krafte gefahrlich verschoben. Die Musik als Dienerin des Wortes gewann zwar un- 
erhort an illustrativen Ausdrucksmitteln, verlor aber umsomehr an eigener Kraft und 
Bedeutung. 

Ein Umschwung ist eingetreten, der die Oper aus einem neuen Verhaltnis ihrer 
Elemente regenerieren will. „Oedipus rex" und „Cardillac" sind seine Marksteine. Hier 
bestimmt eine formal streng gebundene Musik entscheidend das Geschehen auf der 
Biihne. Die Oper eben als „Oper", nicht mehr oder minder als verkapptes Musikdrama, 
steht wieder neu zur Diskussion. 

Es ist entwicklungsgeschichtlich leicht einzusehen, dafi in dieser Situation gerade 
die fruheren Opern Verdis neues Interesse erregen konnten. Dem veranderten Blkk> 
punkt entspricht ein neues Bild. Man erkennt die btihnensichere Schlagkraft dieser 
Musik, die tanz- und liedm&fiig geschlossene Formen zu weitgespannten Ablaufen voll 
intensiver Lebendigkeit zusammenschweifit. Der dramatische Affekt ist mit unmittel- 
barer Verve hingesetzt, die Situation mit scharfster Prazision erfafit und musikalisch 
knapp und treffsicher gestaltet. Das Zusammenwirken realistischer Kraft und formaler 
Geschlossenheit erzeugt Momente von starkster Buhnenwirksamkeit, wie sie in dieser 
Weise nur der Oper eigentiimlich sind. Man denke etwa an den leidenschaftlichen 
Abschied Rene's und Amelia's zu der kontrastierend stilisierten Menuettmusik des 
„Maskenballes". Gerade die formbildende Kraft der Musik strafft an solchen Stellen die 
theatralischen Vorgange, durchleuchtet sie gleichsam von innen heraus und verleiht 
ihnen dadurch eine ungeahnte Plastik. 

Es ist klar, dafi hier das Wort zu peripherer Bedeutung herabgedrtickt wird. Nicht 
eine Dichtung, sondern ein Libretto wird vertont. Unbeschwert von literarischer und 
philosophischer Belastung wird der Opernbiihne gegeben, was sie braucht. Das literarische 
Niveau etwa der Schillerschen „Rauber" oder des Shakespeare'schen „Macbeth" wird in 
den entsprechenden Opern gewiS nicht erreicht. Dazu ist auch hier vieles noch zu 
schablonenhaft, zu aufierlich. Erst in spater Reife gelingt ein „Othello" und ein 
,.Falstaff", in denen seelische Differenziertheit und ungebrochene musikalische Kraft zu 
einer geistigen Hohe zusammenwachsen, die der Shakespeareschen nichts nachgibt. 



468 HANS SCHULTZE-RITTER 

Der junge Verdi lafit oft noch einem elementaren Musiziertrieb die Ziigel 
schiefien. Seine Musik ergeht sich dann leioht in schematischen Wiederholungen oder 
allzu billigen Effekten, die unnotig die Gesamtentwicklung aufhalten. Man hat von 
jeher versuclit, durch Striche, ja sogar Umstellungen Abhilfe zu schaffen, aber mit zu- 
nehmender Erkenntnis der architektonischen Kraft Verdis ist man audi hier vorsichtiger 
geworden. Denn im grofien Zug der dramatischen Entwicklung und in der musika- 
lischen Gliederung ihres Verlaufes ist er Meister. Die simple Gradlinigkeit seiner 
literariscli verponten Textbiicher verhilft ihm zu iibersichtlicher Geschlossenheit des 
musikalischen Aufbaues. Sie bewahrt ihn vor der Gefahr, sich ins psychologisierende 
Detail zu verlieren und bietet ihm doch Gelegenheit zu eindringlicher, individueller 
Pragung. Man vergleiche etwa die Arien des Prasidenten (Luisa Miller), Rigolettos und 
Philipps (Don Carlos), die die jeweilige theatralische Situation und Personlichkeit aufs 
Scharfste individuell charakterisieren und doch dabei musikalisch in sich vollkommen 
geschlossen sind. 

In Deutschland konnte erst mit einem gewifien Verebben der Wagnerschen Epoche 
der Blick fur die starken und echten Buhnenqualitaten Verdis frei werden. Dement- 
sprechend hat sich auch ein Wandel in der musikalischen Beurteilung vollzogen. Vor- 
iiber ist jene Zeit, da gerade der deutsche Musiker mit einem gewissen vornehmen 
Dvinkel die Opern Verdi's abtat wegen ihrer oft primitiven Begleitung und der allzu- 
kantablen Melodietiseligkeit. Mit ganz neuen Augen sieht man jetzt diese Musik, die 
fruher nicht gelehrt, nicht kontrapunktisch genug erschien. Man bewundert heute die 
kunstvolle Sparsamkeit und subtile Behandlung des Orchesterparts, der unter bewufitem 
Verzicht auf polyphon-sinfonische Haltung sich stets der Buhne unterordnet. Man hat 
ein Ohr bekommen fiir den reinen ungemischten Klang der Instrumentierung, die bei 
allem Glanz der Farben stets durchsichtig ist und den Sanger, tragt statt ihn zu er- 
driicken. Denn im vokalen Part liegt der Schwerpunkt dieser Musik. Die menschliche 
Stimme schwingt in der Unmittelbarkeit ihres sinnlichen Wohlklangs. Ihre Eigenart 
bestimmt auch die echt gesangsmafiige und charaktervolle Melodik, die in der organischen 
Gliederung ihres Wachstums zugleich die Formgebung entscheidend beeinflufit und im 
Gegensatz zur „unendlichen Melodie" klare Gestalt und prazise Abgrenzung schafft. Im 
Aufbau der Solo-Szenen wie in der Entwicklung der plastischen Ensembles. So ist auf 
naturlichste Weise die Buhne selbst in den Mittelpunkt des Interesses gestellt. Hier und 
nicht im Orchester ist der Ausgangspunkt der Triebkrafte zu dramatischer und musika- 
lischer Entwicklung. 

Dieser Typ der italienischen Gesangsoper gelangt durch die gluckliche Struktur seiner 
Elemente zu einer Schlagkraft der Biihnenwirkung, wie sie in der instrumental bedingten 
Oper Deutschlands selten ist. Er verwendet alle Mittel in ihrer starksten Stofflichkeit : eine 
auf Spannung gestellte Handlung paart sich mit Musik von intensivem, sinnlichem Beiz. 
Im Gegensatz zum Musikdrama gibt es hier kein Problem als nur das der Oper selbst. Verdi 
hat es gelost in den verschiedenen Epochen seines langen Lebens auf verschiedene Weise und 
nicht immer mit gleichem Gliick, aber aus einer im Wesentlichen stets gleichen Ein- 
stellung. Die Stofflichkeit der Mittel gab ihm die unmittelbare theatralische Sinnfallig- 
keit, die er von der Oper verlangte. Aber gerade aus dieser Stofflichkeit heraus wuchsen 
ihm die formalen Krafte zu, die den Stoff selbst banden, und das Werk steigerten zu 



DER GEKURZTE WAGNER 469 



einem kiinstlerisch einheitlichen, durcbaus konkreten Ganzen von hochster stilistischer 
Noblesse, gleich weit entfernt von reisserischem Verismus wie von abstraktem Musizieren. 

Verdi ist stets popular gewesen. Aber das breite Publikum liebte ihn meist aus 
anderen als kunstlerischen Motiven und oft mit etwas schlecbtem Gewissen. Im Grunde 
sah man iu ihm doch mehr den skrupellosen, oberflachlichen Musikanten, dessen Melodien 
dem Ohr schmeichelten, dessen Personen leere, phrasenhafte Attrappen waren. Erst jetzt 
erkennt man den hohen Ernst und die innere Fiille seines ScbafFens. Ein Rigoletto, 
eine Traviata erscheinen uns jetzt aus neuer Einstellung wahr nnd echt. 

Die Verdi-Renaissance vermittelt uns die Kenntnis von unbekannten Werken 
Verdis fruher und mittlerer Periode. Sie hat schon positive Erfolge erzielt. Ob alles, 
was sie wieder ans Licbt bringt, zum dauernden Gewinn fiir die Opernbiihne wird, 
bleibt abzuwarten. Jedenfalls ist zu bedenken, dafi Verdi erst allmahlich zur Meister- 
scliaft gereift ist und in seiner Friihzeit noch manches mit allzuleichter Hand hinge- 
worfen hat. Hier steht oft das Geniale neben dem Trivialen, Unvergangliches neberi 
Alltaglichem. Nicht immer wird es gelingen, durch Bearbeitung einen Ausgleich zu 
schaffen. Und es steht zu befiirchten, dafi nach den ersten Erfolgen die- Neuauffuhrung 
Verdischer Opern zu einer Konjunkturangelegenheit herabsinken kann, bei der man auf 
ein Publikum spekuliert, das alle Sensation einer Erstauffuhrung erleben will, ohne 
sich dabei mit schwierigen Problemen herumschlagen zu miissen. Denn naturlich geht 
etwa ein „Macbeth" leichter ein als ein „Oedipus rex". So wurde ein „Dienst am 
Publikum" geleistet, der ohne grofies Risiko wohl guten materiellen Ertrag bringen 
mag, aber neuer Entwicklung den Weg verbaute. Man konnte auf diese bequeme 
Weise „zeitgemafi" sein, ohne den wichtigeren und schwierigeren Forderungen der Stunde 
gerecht zu werden. Dann konnte die „Verdi-Renaissance", so sehr sie den kiinstlerischen 
Zielen unserer Tage gemafi ist, zu einer Reaktion umschlagen. 



Roger de Campagnolle (Miinchen) 

DER GEKURZTE WAGNER 

Eine beinahe arztliche Anregung *). 

1. 

Nicht der durch gelegentliche, mehr oder weniger willkurliche „Striche", sondern 
der nach einem bestimmten Gesichtspunkt planvoll und durchgreifend gekxirzte Wagner — 
davon soil hier die Rede sein. 

Trifft mich Frevler kein Blitz? Nein, hochstens der stumpfe Dolch eines Wag- 
nerianers. So sind die Zeiten gewandelt. 

Einer in Sachen der Kunst nie dagewesenen Reklame, fur die Wagner selbst in 
vielen Schriften die Stich- und Schlagworte ausgegeben hatte, war es gehmgen, die 
Massensuggestion zu erzeugen, sein Musikdrama sei etwas unvergleichlich Vollendetes 
(und unvergleichlich Deutsches). Sie wahrte dreifiig Jahre. 



1 )Wir geben diesen Aiiregungen eines Nichtmusikers gern Raum. Der Verfasser, ein Arzt, ist den Ver- 
ehrern Richard Dehmels vielleicht als Freund des Dicliters nicht unbekannt. Die Schriftleitung. 



470 ROGER DE CAMPAGNOLLE 

Das erste weithin sichtbare Zeichen der Erniichterung war: Parsifal auf profanen 
Opernbuhnen. Wider des Meisters ausdriicklichen Wunsch und Willen ! Da sahen schon 
Manche: Wagner war also kein Gott . . . 

Hier denkt jeder an Nielzsches „Fall Wagner"; aber es sei auch eines Buches 
gedacbt, das als erstes dieser Ernuchterung starken Ausdruck verlieh und zwar schon 
1913, als nocb Kiihnheit dazu gehorte: Emil Ludwigs „Wagner oder die Entzauberten". 
Zusammen mit Nietzsches Vanning und einigen wenigen anderen Schriften (darunter Jul. 
B a b s Romantikerbuch „Fortinbras") erfiillt es eine wahrhafte Kulturaufgabe : demAugiaswust 
der Wagnerliteratur, der im edlen deutschen Buchertempel Sale fullt (und nicht die 
ruhmlichsten), die Wage zu halten. Sein beissender Ton ist herausgefordert durch die 
anmafiende Unduldsamkeit, mit der Wagner seine Anschauungen, die seinem Konnen 
(und Nichtkonnen) entsprangen, als Gesetze verkundete; sein Radikalismus ist verzeih- 
lich, ja fruchtbar einem Geiste gegeniiber, der auch heute noch nicht klar genug er- 
kannt ist: als f ormenzerstor ender Ungeist, umso gefahrlicher, als er von einem 
musikalischen Genie getragen war. 

Ludwig macht uns bewusst, warum unser Inneres sich von Wagner abkehren 
mufite, von dieser sinnlichen Schwiile, krampfigen Ubersteigerung, tiefen Unwahrhaftig- 
keit des Ideals; er zeigt uns, wer sich in diesen Werken spiegelt, welch er Mensch 
hinter ihnen steht . . . 

2. 

Aber von einer geliebten Person, die unser Herz betrog, fallen wir (leider) erst 
ab, wenn sie anfangt, auch unsere Sinne zu beleidigen: was hat unser Ohr und Auge 
so wagnerunlustig und -mude gemacht? 

„Wagner hat erhabene Augenblicke, aber fiirchterliche Viertelstunden . . ." dieser 
Seufzer entfuhr schon einem der ersten franzosischen Wagnerverehrer. Es ist das un- 
geheuerliche Ausmafi der spateren Werke, das unsere aus der Hypnose erwachten 
Nerven foltert, es sind die furchtbaren Steppen des Sprechgesangs, die wir urn der 
Oasen der musikalischen Kernstuclce willen durchschmachten mussen; diese endlosen 
Strecken eines halb gesprochenen, zumeist geschrieenen Singens, dessen Worte — das 
vor allem peinigt — man nur halb versteht, weil ununterbrochen ein hunderstimmiges 
Orchester sie begleitet. Begleitet? Manchmal gewiss, und wundervoll die Worte unter- 
streichend; aber sonst begleiten eher die Sanger das Orchester und dieses spielt das 
ganze Stuck hindurch, fiinf Stunden lang, ein seltsames Sinfoniekonzert ... Es spielt die 
beriihmt-beruchtigte Unendliche Melodie, ein Tongewebe, worin Melodienbruchstucke, 
die etwas besonderes auszudriicken haben, in immer neuen Farbungen und Ver- 
schlingungen wiederkehren ; ein Tonfluten, worin Form und Rhythmus absichtsvoll ver- 
schwimmen und wie Kristalle die sich verflussigen, ineinander uberiliefien; ein Ton- 
gewoge, trotz den hin und wieder auftauchenden „5 bis 15 Takten", die Nietzsche als 
Wagners intimste und kostbarste Worte rtihmt, eintonig wie das Meer. 

Was will diese Orchestermusik ? Sie soil nach Wagners Willen die Handlung 
unserem Gefiihle naher bringen und so in ihrer tiefen Bedeutung erst verstandlich machen. 
Welch tragikomischer Widerspruch! Damit sie das konne, miifite man ja vor allem die 
Worte des Sangers verstehen! Man wende nicht ein, daft man dazu ja das Textbuch 
habe: am allerwenigsten darf sich auf diese Kruppelbriicke Wagner berufen, der sein 



DER GEKTJRZTE WAGNER 471 

Wort-Ton-Drama das „Gesamtkunstwerk der Zukunft" hiefi. dazu bestimmt, audi das 
Schauspiel, das gesprochene Drama zu ersetzen . . . 

Gequalt hangen wir viertel-, halbe Stunden lang zwischen Schreigesang und 
Orchestergewoge, bis wir wiedereinmal, erfreut und erfrischt, eine Kette von Worten 
verstehen, eine Szene uns fesselt und uns unser Elend vergessen macht, ein „gottlicher 
Augenblick", ein musikalisches Kernstiick uns aufatmend emporreifit . . . ran wieder zu 
versinken im bi'odelnden Sumpfe. Und dies durch viele Stunden, bis der Wagnerabend 
gefiillt ist, bis wir uns, die Nerven in der zitternden Erregung der Ubermiidung, er- 
heben, erscblagen, kleingemacht. . . . Eigentlich hatte man ja grade morgen ein aus- 
geruhtes Hirn gehraucht (und welchen Tag nicht? !)j aber [immerhin: wie fabelhaft 
wohlfeil man solcb schweren Abend kauft, soldi schwere Musikermuh'! Nur wenig 
teurer wie so was Leichtes, Halbsolanges : Figaro, Freischxitz, Troubadour. 

3. 

Was ist eine Oper? Was war sie vor Wagner, neb en Wagner, was wird 
sie fur alle Zeiten sein ? Im AVesenskern : ein Kranz von Gesangen, in ihrer Wirkung 
dadurch wunderbar gehoben, dafi ihre Sanger in ein aufierordentliches Schiclc i 
gestellt sind: in einem Drama handeln und leiden. 

Man denke sich: im Konzertsaal wird ein Liebeslied gesungen; um wieviel mehr 
wird dies Lied uns ergreifen, wenn wir eben von diesem Sanger (ausjseinem Privat- 
leben) gehort haben, dafi er in einem schweren Liebesschicksal steht . . . oder unhedbar 
erkrankt ist . . . Das ist das Geheimnis der Oper. 

Die in ihren Tiefen geoffnete, aufgebrochene Menschenseele, die in Gesang aus- 
briclit vor dem Throne des Schicksals — das ist Oper, in ihren Gipfeln eines der er- 
habensten Gebilde der Musik. 

Und damit sind ihre Gesetze von selbst gegeben : 

1. dafi den Gesangen als Entladiingen eine (hier ist das Modewort geboten) geballte 
scharf umrissene, sich ab- und heraushebende Formung eignet; 

2. dafi das Drama aufwuhlen und durch vielerlei menschliclie Empfindungen hindurch- 
fiihren mufi, damit unsere tiefe Teilnahme erweckt und erhalten werde : 

3. dafi die Sanger sich als Personen des Dramas zu fiihlen haben, nicht als grofier 
Tenor und Primadonna sich selbst in Szene setzen diirfen; 

4. dafi die Inszenierung nicht die Aufmerksamkeit auf sich ablenken darf, weder durch 
Pracht noch durch auffallende historische Treue noch durch auffallende, wenn auch 
Vereinfachung erstrebende Stilisierungsversuche ; 

5. dafi die Worte des Dialogs als des Tragers der Handlung verstandlich 
sein muss en, d. h. dafi, ob er gesprochen, halb oder voll gesungen werde, die 
Orchesterbegleitung sich Zuriickhaltung aufzuerlegen hat, denn besonders die Sanger 
versteht man meist selbst aus der Nahe schlecht. 

Im iibrigen gelten auch fur die Oper die ewigen Grundgesetze aller Kunst: der 
Form, des Mafies, des Gliederspiels und des Kontrastes — Gesetze, die unzerstorbar und 
unzerschwatzbar sind, weil sie nicht auf Willkiir, sondern auf den natiirlichen Reizgesetzen 
der menschlichen Sinne beruhen. 

Dem Ideale der Oper ist unser grofier Gluck als Erster nahe gekommen. Es ist 
dann wieder viele Male mifiverstanden und entstellt worden; wir sehen bald, von wem 



472 ROGER DE CAMPAGNOLLE 

am schlimmsten. Kein Wunder, derin zum Zauber dieses Kunstgebildes gehort, dafi es 
eines der ktinstlichsten, der Wirklichkeit fremdesten, entriicktesten ist. Es ist aufgebaut 
aus lauter Widerspriichen zur Bealitat (eine schone Darstellung dieser Paradoxien gibt 
Oskar Bie in seinem Opernbuch), die nur dann sich aufheben und zur hflheren 
Wahrheit werden, wenn ein hohes Stilgefiihl sie gegen einander auswagt. Bis heute hat — 
sehr wahr sagt das Alfred Einstein in seiner Musikgeschichte — Gluck einen wirk- 
lichen Nachfolger noch nicht gefunden. 

4. 
Und was will nun Wagner mit seinem Musikdrama anderes als die Oper, gegen 
die er immer so vornehm tat ? Worin liegt die grofie Beform ? 

Das Drama sei das Erste und das Letzte, sagt Wagner; Dichtung und Musik 
seien dazu da, es zu verklaren. 

Eine grofie Frage, deren Schwierigkeit ich vielleicht damit klarmache, dafi ich die 
Oper mit einem schonen Weib vergleiche : was ist da das Erste und Letzte, das Skelett 
als Drama) oder Umrifi, Auge, Stimme (als Musik) ? 
Und dann: wieweit darf Musik — Dienerin sein? 

Wohl nannten sich die ersten Opernversuche „dramma per musica", aber sie waren 
gedacht als Neubelebung des antiken Dramas, Und das griechische Wort „drama" be- 
deutete, worauf Nietzsche hinweist, ganz und gar nicht „Handlung" : das antike Drama 
hatte grofie Pathosszenen im Auge, schlofi die Handlung geradezu aus, verlegte sie vor 
den Anfang oder hinter die Szene. . . . 

Jedenfalls, seine Theorie fiihrte Wagner dazu, zu fordern: 

die grofien geschlossenen Gesange, die lyrischen Gefuhlsausbrtiche, besonders auch 
die zwei- oder mehrstimmigen Gesange sind — als „Nummern" — zu verponen; sie 
sind undramatisch, sie halten die Handlung auf; 

die Handlung ist {iberall gleich wichtig. Sie liberal! aufs eindringlichste nicht nur 
zu untermalen und zu betonen, sondern geradezu auszudeuten, das eben sei die Auf- 
gabe des mit hundert Zungen mitredenden Orchesters; und dafi es das vermoge, weil 
namlich der Musik innerstes Wesen dramatisch sei, dafi sei seine, Wagners Entdeckung, 
sei die grofite kiinstlerische Errungenschaft unserer Zeit. 

Alles zugunsten des Dramas. Und das Ergebnis ? Haben wir schon beleuchtet : 
die Handlung ist schwer verstandlich durch die Uberschleierung und Uber- 
tonung der Worte; 

die Handlung ist, da die Worte der Sanger auf den breiten Wogen des Orchesters nur 
langsam vorwartschwimmen, ungemein in die Lange gezogen; 

die Handlung wird nivelliert, wed die banalsten Dialogstellen, wie die erhabensten, 
mit gleich er Gewichtigkeit untermalt werden; 

die Handlung wird, wenn wirklich das Orchester imstande ist, die innersten, sei 
es verschwiegenen, sei es noch unbewussten Gefxihle der Handelnden zu verraten, 
der Spannung beraubt; abgesehen sei hier von den herrlichen Kundungen keimender 
Liebe. Vergleicht Wagner sein Orchester mit dem antiken Chor, so beruht dies 
wieder auf jenem Mifiverstandnis ; was wir seit Shakespeare Drama heifien, vertragt 
leinen allwissenden Dritten, der moralisierend mitspricht, voraussagt, stankert. . . . 



DER GEKURZTE WAGNER 473 



Bedenkt man noch, dafi Wagner durch seine iibertriebene Bewertung der Deko- 
ration — das Musikdrama als Gesamtkunstwerk ; Parsifals Blumen sollten von Bocklin 
gemalt werden! — auch noch die Aufmerksamkeit von der Handlung ablenkt, so mufi 
man sagen, dafi gerade Wagner alles mogliche getan hat, um das Drama in der Oper 
totzuschlagen. 

5. 

Was an Wagners Werken stark wirkt, ist nicht das Drama in ihnen — Ludwig 
nennt mit Recht Wagners Begabung episch — sondern es sind die theatralischen Schon- 
heiten und die lyrisch-musikalischen Kernstiicke, die all seiner Theorie zum Trotz als 
echte „Nummen", als Juwelen aus dem Sande funkeln. 

Dafi dieser Sand, das unendliche Orchester, sie nicht verschiittet, ist einem physio- 
logischen Vorgang zu danken: man hort dieses Tongewoge allmahlich gar nicht mehr, 
so sehr es ermudet, als Musik. . . . 

Nicht deshalb nur, weil dieses Spiel der Motive, so geistvoll es sein mag, doch 
eben eher gemacht als empfunden ist, sondern weil dieses vielstundige form- und rhythmus- 
lose Tonen gegen die Grundgesetze der Kunst, die physiologische Reizgesetze der Sinne 
sind, verstofit: die der begrenzten Form und des Kontrastes. 

„Unendliche Melodie" — ist das nicht ein Widerspruch in sich selbst? Was keinen 
Anfang und kein Ende hat, wo das Ohr immer wieder um die Wohltat des festen 
Schreitens und der Kadenz betrogen wird (aber gerade darauf, auf seine „feinste Kunst 
des Ubergangs" war Wagner stolz), dieses uferlose Musizieren — hat es noch den 
Zauber der Musik? 

Un endliche Melodie — das ist, als wiirden wir fiinf Stunden lang an einer Mauer 
entlang gefuhrt, die fortlaufend mit Malereien bedeckt ist; und waren sie von Tizians 
Hand — war' das noch Kunst, die uns ergriffe? 

6. 

Es ist erstaunlich, dafi weder Musikseele noch Geschmack einen so grofien Musiker 
vor dem monstrosen Irrweg des Musikdramas bewahrte. 

Wagner ist grofi. Den Ernuchterten, die geneigt sind mit dem Musikdrama 
Wagners Musik, mit dem Bade ein seltsam schones Kind auszuschutten, geniigt es, eine 
einzige Stimme entgegenzuhabten, die seines musikalischen Gegenpols, seines grofien 
schweigenden ^ivalen, des andern Opernriesen des XIX. Jahrhunderts, Verdis. Er, 
der Feind der Instrumentalmusik, der in seinem neidlosen, stumm nach Vollendung 
ringenden Schaffen auch ohne Samtbarett so altmeisterlich-edle Verdi bekennt bei 
Wagners Tod seinem Verleger Ricordi seine erschutterte Trauer: „Keine Erorterungen ! 
Es ist eine grofie Personlichkeit, die uns entschwindet ! Ein Name, der eine machtige, 
machtigste Spur in der Geschichte der Musik hinterlassen wird!" 

Wagners S p r a c h e war neu, sagt W e r f e 1. Jawohl, sein Klang war, wo Musik erscholl, 
etwas sofort zu Erkennendes. Seine Grofie war die eines Bahnbrechers, der, etwa gleich 
den ersten impressionistisclien Malern, ein neues Ausdrucksmittel in der Kunst erfand. 
Seine Grofie liegt in der Harmonic Ihr Reich hat er erweitert, vor allem hinunter, 
in die tiefen Bezirke des Leidens. Er hat nie gehorte Akkorde und Akkordfolgen ent- 
deckt und damit seinen Melodieen, die selten in quellendem Strom seinem Herzen ent- 



474 ROGER DE CAMPAGNOLLE 

sprangen, vielmals sogar aus fremden Herzen stammten, als Ersatz gleichsam eine so 
neuartige Farbung und Stimmungsfulligkeit verliehen, dafi uns unmittelbar danach selbst 
eine Beethovensche Cavatine dunn und leer erscheinen kann. Als ob diese von einem 
Mund gesungen ware, Wagners Weise aber gleich von einem Chor! Und das ist kein 
blofier Schein. War fruher die Melodie von Akkorden gestiitzt, die in ihr selbst natiir- 
lich ruhten, ja fast von selbst mitklangen, so begleitete sie Wagner mit fremden, 
dissonierenden Harmonieen ; das bedeutet: es gehen seinem Gesang Stimmen zur Seite, 
die erst nach Zweifel und schneidendem Widerspruch sich ihm fur einen Augenblick 
vereinigen — eine neue Bekraftigung von Ludwigs Darstellung des innersten Wesen 
Wagners: nur in einer mittendurchgespaltenen, nach Einheit, nach Erlosung zeitlebens 
sehnenden Seele konnten solche Klange erwachen (und nur aus ihr heraus ldingen sie 
ejht). Daher das ewig Fragende, das Unbestimmte und Spannende, der Ratselreiz, das 
Hintergriindige dieser Musik. 

Daher aber auch ihre Grenzen und ihre Schwache. Julius Bab mahnt ihre 
Verhimmeler : „Was ware das fur eine Musik, die sich ihrem inner en Wesen 
nach abscheiden liefie von a 11 em Andern, was dieser Mann sonst gelebt, 
gelehrt und gedichtet hat?" Wirklich, das Genie dieser neuen Klange scheint, fruher 
hatte man gesagt: von Gott nicht eingegeben. Wieder zitiere ich ein Wort des alten 
Verdi, der 1896 uber die neue Musik (im allgemeinen) in einem Briefe schreibt: „Der 
grofie Mann von morgen kommt sicherlich, aber das hat noch Zeit! In der Richtung 
und aus den Tendenzen des Heute mufi noch vielerlei geschehen, ehe man eine Musik 
satt bekommt, die eine grobe, geschwollene Sprache fuhrt, eine Musik, die aufplatzt und 
nicht befruchtet." Ja, trotz ihrer sehrender Akkorde, trotz ihrer Schwermut (die ist ihr 
Grundcharakter), trotz ihres hochgeschwenkten Paniers der Weltentsagung spricht Wagners 
Musik seltsamerweise mehr zu den Sinnen als zum Gefuhl ; wohl weil er — ganz anders 
wie Beethoven — doch mehr im Schmerze schwelgt als dafi er sich daraus emporringt. 
Seine Musik erregt tief, aber sie befriedigt und befriedet nicht; sie reizt tief auf wie 
ein selten kundiges Liebesspiel, aber sie befruchtet nicht. Und liegt die besondere 
Gefahr fur die grofien Melodiker im banalen Singsang, so die fur Wagner im innerlich 
ebenso leeren Orchesterkracheffekt und in der, Gewohnheit gewordenen, harmonischen 
Uberwiirzung, die zur Phrase wird. 

Wagner sprach einer Zeit aus der Seele, die versunken ist, einer angsdich griib- 
lerischen, noch dogmenbeladenen, noch gewissensunfreien Zeit. Und was da, Stunden 
um Stunden, unter den Wasserfallen eines bald donnernden, bald streichelnden Or- 
chesters geduldig safi, war ein behaglich verdauendes, gut verdienendes Burgertum, das 
im Heucheln geiibt war. . . . 

Wir suchen auch, erst recht noch, hoffhungsloser vielleicht, aber mit entlastetem 
Gewissen. Wir suchen, auf die Gefahr hin, ungeistig zu scheinen, den ersten neuen 
Lebenshalt in der Ehrung des so lange christlich verachteten Leibes. Darum : Mafi und 
Vernunft audi in unseren Genussen! Keine Raubwirtschaft an unserer Nervenkraft! 
Die brauchen wir am Tage, wie es scheint. . . . 

Und was wir nicht horen wollen, ist die Stimme der Gebrochenheit. Es gibt 
einen Zeitpunkt, wo der Kranke aufhort sich mit seinem Schmerz zu zieren — wenn 
er merkt, dafi es ans Leben geht. 



DER GEKURZTE WAGNER 475 



Es hat schon seine Bedeutung, dafi man heute nach Verdi's Stimme lechzt, nach 
Handel's Stimme, aus ihren verstaubtesten Opern heraus; das ist nicht, wie Manche 
meinen, blofi Widerspruch gegen die atonale Musik, die ja entweder etwas ganz anderes 
wdl als man bisher unter Musik begriff, oder ein pionierkuhnes Zuriick zur mittel- 
alterlichen Homophonie bedeutet. Und erst recbt kein Widerspruch, wenn sie, wie 
W erf el meint, ein krampfiger Versuch ist, durch ein kiinstliches Fieber die Wagner- 
sprache aus dem Blut zu sclieiden. . . . 

Und Mozart's Ton ? Der ist fur uns zu unbescliwert noch und zu pathosfern. . . . 



Trotz alledem: man wird Wagner noch lange auffuhren, aber — seine spateren 
Werke nicht in der ursprunglichen Gestalt. 

Man wird nicht davor zuriickschrecken, sie zu kiirzen. 

„Kiirzen"? Wie denn? 

Es ist Zeit, dariiber zu beraten, damit nicht spatere, noch wagnerfremdere Ge- 
schlechter es machen wie die Biihnen des Auslands : die Werke kurzerhand „zusammen- 
streichen" und verstiimmeln. 

Die Frage ist ebenso schwierig wie fesselnd ; berufene Musik er werden sie losen; 
meine Aufgabe sei lediglich, sie in die offentliche Debatte zu werfen; nur Anregungen 
seien gewagt. 

Die Fehler der Musikdramentheorie lasten am schwersten auf den Meistersingern 
und dem Ring. 

Die schwelgerischen Langen des Tristan sind bedingt durch die Verinnerlichung 
seiner Handlung. Er gilt mit gutem Grund als Wagners Meisterwerk; aber den besten 
Grund fur diese Schatzung zeigt Ludwig auf: im Tristan ergreift Wagner, weil ihm 
diese Dichtung erlaubt, wahr zu sein. Hier sehnt die Zerrissenheit seiner eigenen 
Seele und zugleich die einer ganzen Epoche; aus dieser Musik, die Schumann (aus dem 
sie manchen ihrer schonsten Beize zieht) noch ubergipfelt, aus diesen sii6 schneidenden 
Akkorden klagen alle lebens- und sehnsuchtskranken Romantikerstimmen von Novalis, 
Brentano bis Wagner und finden in dieser Dichtung eine Art Erlosung; den Ausdruck, 
das Wort fur ihre stammelnde Qual. Tristan ist der Schlufistein einer Epoche, eines 
gefahrlichen Seelenzustandes. 

Und bezeichnenderweise : hier, wo Wagner aus seiner Tiefe singt, hier fehlt fast 
vollig das erkliigelte Spiel der Leitmotive. 

An Tristan ist nichts zu beschneiden und zu andern. Zudem — ich glaube an die 
Tragik, dafi dieses vollendetste und echteste Werk Wagners als erstes von der Buhne 
verschwinden wird. 

8. 

Auch vom Parsifal heifit es: Hande weg! Nicht etwa wegen seiner religiosen Er- 
habenheit, die eine kirchliche ist — hieriiber ist wohl kein Wort mehr zu verlieren; 
sondern weil es unter den Musikdramen mit Motivgetriebe das knappest gefafite, das 
angenehmst zu horende ist. Obwohl der Glanz der Musik verblich, wenn aucb 
Mahlers Wort, der Parsifal sei von einem Wagnerianer geschrieben, denkt man 
blofi an die Schmerzensharmonien des Amfortas, Ubertreibung scheint. Hat Wagner 



476 ROGER DE CAMPAGNOLLE 

gelernt ? Wodurch ? Icli mochte an einen EinfluS der Aida J ) mit ilirem neuartigen, 
dramatiscli wie musikalisch uniibertroffenen Rezitativ glauben; diesem Rezitativ, das 
Verdi selbst (in Prosa) gedicbtet hat und das unter Ausschlufi alles episch Erzahlenden 
darauf ausgeht, das Wort sichtbar und fiihlbar, also musikalisch und singbar zu 
machen — man lese hieruber die wichtigen Seiten in Adolf Weifimanns Verdibuch. 
Unter soldi ausdrucksvollem Rezitativ verliert das selbstherrliche Orchester Sinn mid 
Zweck (und Raum), und tatsachlich tritt es im Parsifal verhaltnismiifiig bescheiden 
zuriick; die Abwandlung der Motive besonders ist auffallend sparlich geworden. 

Ein Seitenblick. Es ist merkwixrdig und wohl in der romantisclien Zeitseele be- 
griindet, da6 der musikalische Gegenpol Wagners, Verdi, gleichfalls von dem Willen, 
das Drama in der Oper herauszuheben, getrieben scbeint. (Ubrigens : vergleichbar sind 
diese beiden Gewaltigen nur in der Einzelbeit, nicht als Ganzes, so wenig wie etwa 
Rembrandt und Rubens oder, es mag seltsam klingen, ein Raum mit einem Wagen . . .). 
Aber wozu Wagner die komplizierteste Orcbestersinfonie in das Theater zog, das erreicht 
Verdi ganz allein durch die Ausdruckskraft seines Melos und der Menscbenstimme ■, 
leider vertraut er spater — in diesem Punkte ein Verfiihrter — immer weniger diesem 
gottlichen Vermogen. Und so sind Aida und Othello erne schlagende Widerlegung des 
Wagner 'schen Irrwegs; mehr noch: indem Verdi gleiclizeitig das von Wagner iibernahm, 
was in der Linie seines eigenen Wollens lag: die Veredelung des Stoffes, die Ver- 
wiscliung der ,,Nummer" und die dramatisclie Durchkomponierung — die vollendete 
Gestaltung dessen, was Wagner (nach Lohengrin mit falschen Mitteln) erstrebte. . . . 
Es gibt auch eine Ironie der Musikgeschichte. 

Aida und zumal Othello — das Musikdrama in den Grenzen, die von Stilgefiihl 
und Geschmack gezogen werden. Dennoch — wird- der wahre Nachfolger Gluck's, 
wird die Weiterentwicklung der Oper hier ankniipfen ? Ich bezweifle es. Weil die 
Oper nie und nimmer ein in Musik gesetztes Drama ist; weil mit der Verwischung 
der geschlossenen lyrischen Hohepunkte und der Emanzipation des Orchesters die Formen 
und Kontraste fallen; weil es ein romantischer Grundirrtum ist, zu glauben, je auf- 
geregter es im Orchester zugehe, desto tiefer, „dramatischer" miisse die Wirkung sein. Es 
ist, als glaubte ein Schauspieldichter, den Eindruck seines Stiickes zu steigern, wenn er jedes 
Wort und jede Geste von Statisten mit Lachen, Applaus oder Weinen begleiten lasse. . . . 

9. 

Bleiben die Meistersinger und der Ring, also die Riesenwerke mit den grofien 
„Motivtafeln" vorn in den Klavierausziigen. 

Aber nun endlich: wie denn „kiirzen" ? 

„Striche" sind ausgeschlossen. In dem Umfang, der nfltig ware, diese Werke 
menschlicher Aufnahme- und Genufifahigkeit anzupassen, kamen sie einer Verstiimmelung 
gleich. Schon der Respekt vor Wagners Wollen, wenn es auch irrte, und vor seiner 
Dichtung wird uns davon abhalten. 

Betrachten wir die Meistersinger, so scheint mir, kann nur eines infrage kommen : 
bei voller Erhaltung des Textes (und selbstverstandlich der musikalischen Kernstiicke) 

') Dafi Aufierungen Wagners iiber Verdi und die „Aida" nicht iiberliefert sind, ist kein Einwand. 
Selbstverstandlich hat er eine Musik mit solchem Welterfolg, der man uberdies laut Wagnerei vorwarf, 
zeitig kennengelernt. 



DER GEKURZTE WAGNER 477 



Ersatz des Sprechgesangs durcli gesprochenen Dialog und damit Verschwinden der 
Orchestersinfonie bis auf die Vor- und Zwischenspiele und einzelne Stellen, die nun 
die gesprochene Rede melodramatisch untermalen. 

Entriisteter Widerspruch, zumal aus grauen Barten, schlagt mir entgegen : 

„Unverschamtheit ! Entweihung! Und das will ein Deutscher sein ! Musik- 
bolschewik! Das heifit ja schlechthin, aus des Meisters Musikdrama eine *j**j"j* Oper machen!" 

Jawohl, genau das heifit es; nichts anderes kann retten. 

Ich ringe, zu Wort zu kommen ; endlich gelingt's mir, drei Nanien in die Brandung 
zu schleudern: „Zaub erflo te! Fidelio! Freischiitz!" Und zu den franzosischen 
Wagnerianern hin: ,, Josef in Egypt en!" 

Und wie die Wogen sich legen : „Und das sind ernste, stellenweise feierliche Texte 
und werden gesprochen, kein burgerlich-gemutlicher Lustspielschwank wie die Meister- 
singer! Und die sind ja trotz aller Theorie schon opernhaft angelegt mit ihren vielen 
Liedern, einem uuverhullten Quintett. . . ." 

„Stillosigkeit !" faucbt's weiter, „halb Schauspiel also, halb Oper!" 

Und, meine Herren, das Stilgefuhl Mozart's und Beethoven's? Und wurden jene 
Opern nicht nach Orpheus und Armida, nach Figaro und Don Juan geschrieben ? 
Wer von Ihnen, Hand aufs Herz, hat sie je als stillos empfunden? War's nicht einer 
der letzten Wiinsche Wagner's, noch einmal den Freischiitz zu dirigieren ? Die Oper 
mit gesprochenem Dialog als minderwertige Gattung geringzuschatzen, ist nichts als Vor- 
urteil der Schulen; man vergifit, dafi Oper iiberhaupt etwas Wirklichkeitsentriicktes, 
ein Kunstgebilde ist. Das unmittelbare Nebeneinander von Rede (es mufi gar nicht 
gebundene sein) und Gesang ist im Gegenteil ein ergreifendes Sinnbild des mensch- 
lichen Lebens, wo iiber dem Alltag das Reich der Seele thront: in dieses empor er- 
heben sich die Stimmen zum Gesang an den lyrischen Hohepunkten, in denen alle 
Handlung gipfelt. Wie zauberisch wirkt dann jedesmal der Aufklang der Musik in das 
unermiidete Ohr! 

In das unermiidete! Dagegen in den Meistersingern ! Fiinf Stunden, nur mit den 
Unterbrechungen der Pausen, ein Massenangriff von Tonen, von Schreilauten gefuhrt, 
dick polyphon geballt, wie von Maschinen getrieben. Werden kiinftige Zeiten diesen 
Geschmack begreifen ? Werden sie ihn nicht anderen Monstredarbietungen der Gegen- 
wart zurseite stellen: der Massenschau jeden Genres von der Siegesallee bis zur Revue, 
den Sechstagerennen, der Art, wie man heute den Schlufi der DX. Sinfonie iiberwaltigend 
macht: durch Massenchore, ein Barbarengebriill . . . 

„Aber ihr Vorschlag, das heifit ja, ein Drittel des Werks wegschneiden . . . ! Wie- 
viel Schonheiten gehen damit verloren!" 

Allerdings; aber das sind grofitenteils solche fiir den Musiker: kontrapunktische, 
kammermusikalische Feinheiten der Partitur; ergreiiend schone Takte kehren bei 
Wagner immer wieder. Und gingen auch solche unter: die Hauptstiicke und damit 
das Ganze gewannen dafiir unendlich an Reiz, weil jetzt ein gescliontes Ohr sie auf- 
nimmt, weil die melodische Uberraschung niclit im unendlichen Motivspiel vorweg - 
genommen ist. 

„Aber" — halten mir Musiker ruhig entgegen — „was Sie da wollen, ist doch 
ein ander Ding als wenn umgekehrt z. B. Berlioz den Prosadialog des Freischiitz fiir 



M 



478 ROGER DE GOMPAGNOLE 



die grofie Oper in Musik setzt. ... Es wird ungeheuer schwierig sein, aas einem 
Musikdrama, wo Wagners Gabe, „dramatische" Musik zu machen, Nebensachlidiem wie 
Erhabenem in gleicher Passion zuteil wird, die musikalischen Goldadern abzugreizen. . . . 
Was soil vom Dialog gesungen, was gesprocben werden? Diese Stelle z. B. ist musika- 
lisch wertvoll, aber sie ist fur das Verstandnis der Handlung so wicbtig und gesungen 
hat sie nocb kein Mensch verstanden. ..." 

Freilich, das ist manchenorts schwer, so schwer, dafi sich nur ein meisterlicher 
Musiker an diese Aufgabe wagen darf; es gilt mit hochstem Kunstverstand, wie mit 
einem Saugapparat aus einem Teppich, den morschen verganglichen Tonstaub aus- 
zuziehen, unter Schonung niclit nur der Goldfaden, sondern aucb des Musters. . . . 
Aber an vielen Stellen wieder ist es uberraschend leicht, dort wo der Geist der Oper 
den Abtriinnigen uberwaltigt hat. Ich verkenne auch nicht, dafi in solch neuem. 
knappen Gewand die Meistersinger etwas anders aussehen werden wie jene alten Spiel- 
opern, wegen des viel haufigeren und unvermittelteren Wechsels von Wort und Gesang; 
auch die Chore werden teilweise zum Sprechchor, bevor sie sich, wie z. B. wiihrend der 
letzten Strophe von Walthers Werbegesang aus wirrem Gemurmel heraus, in Gesang 
aufschwingen. Doch das gerade wird einen Meister reizen: es wird ein neues Ding 
von neuem Stil entstehen. 

10. 

Aber das Hauptwerk, das Viertagedrama, die Tetralogie? 

Der ungliickselige „Bing"! Seine tief- und grofigewollte Diclitung — wer seit 1876 
hat sie wirklich kennengelernt und genossen, es sei denn aus dem Studium der Text- 
bucher ? Ein Drama soil das sein ? Nein, ein Geschehnis, in zwei oder gar drei, vier Stucke 
auseinandergezogen statt in einem verdichtet, ist — trotz dem „Faust" — ein Epos. 

Der ungluckliche Bing! Wer hat seine vier Teile nacheinander angehort, es sei 
denn bei Festspielen, auf Urlaubreisen ? Und selbst da, in nervengestarkter Ferien- 
laune, wem, trotz alien musikalischen und szenischen Herrlichkeiten, haben sich nicht 
bchon im Siegfried die Eingeweide umgekehrt unter diesen hundertfachen Wieder- 
holungen der Motive? 

Kann man beim Ring an eine Kurzung, Beinigung, Lxiftung denken wie sie mir 
fiir die Meistersinger vorschwebt ? 

Niemals naturlich; es ware lacherlich, diese Gottergesellschaft teilweise sprechen 
zu lassen; das sind ja keine Menschen, blofi Halbmenschen, fur die das Leben keine 
doppelte Ebene hat. Auch vermochte die Inszenierung dem rasch gesprochenen Dialog 
an manchen Stellen ja gar nicht zu folgen. 

Ich glaube, es steht nur ein Weg offen, den Bing in einer pietatvollen Weise auf 
zwei (geniefibare) Abende zu verdichten: man lasse der Biihne nur die grofien musikalischen 
Hauptszenen; alles Ubrige, einschliefilich der vielen Erzahlungen, wird aufierhalb der 
Biihne, etwa im unsichtbaren Orchesterraum — rezitiert. Nicht notwendig von den 
Sangern selber; stellenweise mit Orchesterbegleitung. 

Aber nun habe ich, als Nichtmusiker, zu schweigen. Die Musiker mogen sprechen, 
wenn sie meine Anregungen einer Erwagung fiir wiirdig halten. Und iiberdies — 
es ist hohe Zeit, mich vor den Wagnerianern (die gibt es noch!) zu retten, die mich 
verstandnislos, wortlos, aber drohend bestarren. Ich rufe ihnen noch zu: „Endlich kame 



NEUE MUSIK AUS DEM SCHDNBERGKREISE 479 



doch Wagner auch als Dichter, kamen seine Verse auch einmal zur Geltung. . . . Es'. 
handek sich, meine Herren, um eine Rettung oder, wed Sie das besser verstelien und 
es sich fbei Ihrem Meister docli immer einzig um das handelt: um eine endliche letzte 
Er losing Wagners - namlich von sich selbst, seinem musikdramatischen ¥ahn und 
aus dear <Gefahr, trotz aller Gewaltigkeit mit ihm verworfen zu werden." 



MELO SKRITIK 



Die neue, hier angestrebte Form der Kritik beruht darauf, da6 • 
sie von mehreren ausgeiibt wird. Dadurch soil ihre Wertung von 
alien Zufalligkeiten und Hemmungen abgelost werden, denen der ' 
Einzelne ausgesetzt ist. Langsam gewonnene, gemeinsame Formu— 
lierung, aus gleicher Gesinnung entstanden, erstrebt einen hoheren 
Grad von Verbindlichkeit. So ist jede der vorgelegten Bespre- 
cliungen ein Produkt gemeinsamer Arbeit der Unterzeichneten. 



I. 



NEUE MUSIK AUS DEM SCHDNBERGKREISE 

1. 

In dem Kreise Schonbergs erscheinen Alban Berg und Anton Webern als die 
starksten Individualitaten. Wahrend manche sich mit einer blofien Nachahmung der 
Sprache Schonbergs begnugten und sich in andern Richtungen weiterentwickelten, 
drangen diese beiden Musiker tief in die geistige Welt Schonbergs ein. Sie erlitten die 
ganze Problematik dieser Entwicklung, ohne sich an sie zu verlieren. Schonbergs Ethos 
ist die Basis ihres Schaffens, auf der sie zu neuen, personlichen Losungen gelangen. 
Wabern fiihrt den Zersetzungsprozefi der Ton- und Formsprache Schonbergs bis zur 
letzten Konsequenz durch. Alban Berg steht den Quellen der Musik naher und setzt 
dem Zerfall der Elemente ordnende und gestaltende Krafte entgegen. 

Alban Bergs Hauptwerk „Wozzek" vereinte zwei aus Schonberg herauswachsende 
Stilkomplexe, die nun in gegensatzlichen Werken eigene Gestalt gewinn'en. Das Kammer- 
konzert fur Klavier und Geige mit dreizehn Blasern steigert den Konstruktivismus in 
Substanz und Form zu einer Hohe, fiir die wohl die waghalsige Verkoppelung der drei 
Einzelsatze zu einem gleichzeitigen Tongeschehen ain bezeichnendsten ist. Man konnte 
annehmen, dafi nun alle urspriinglichen Quellen versiegt seien. Um so erstaunlicher 
ist es, als nachstem Kammermusikwerk einer „Lyrischen Suite" fur Streichquartett zu 
begegnen. 

Hier steht dem Konstruktivismus eine reine Ausdrucksmusik gegeniiber zu deren 
Symbol schon die Satzixberschriften werden, die der Komponist gibt: Allegi'etto gioviale — 



480 MELOSKRITIK 



Andante amoroso — Allegro misterioso — Trio estatico — Adagio appassionato — 
Presto delirando — Tenebroso — Largo desolate Es ist selbstverstandlich, dafi audi 
dieses Werk, das die Zwolftontechnik und alle Riinste des Kanons verwendet, 
konstruktiv stark unterbaut ist, wie ja auch nacb des Komponisten eigenen Worten 
im Kammerkonzert ein stark subjektives Erleben mitschwingt. 

In der Lyriscben Suite haben alle Elemente ihre fruhere Konzentration verloren. 
Wahrend eine sprode Melodik und eine fast mathematische Harmonik vorher bis zur 
Essenz, ja, bis zur Formel erstarrten, fliefit hier melodische Linie oft in geloster 
Kantabilitat und weit ausladenden Bogen. Die Harmonik ist weich und gelockert. Die 
starksten stilistischen Eigenwerte liegen in einer Farbigkeit, deren Herkunft von Schon- 
berg nocb erkennbar ist, die aber die Parbe selbst als Reiz, wenn auch in letzter 
Vergeistigung, wiederherstellt. Es ist eine Btickbesinnung auf den Impressionismus, die 
am Anfang des dritten Satzes, in der Bezeicbnung „misterioso' - an Skrjabin gemahnt 
(Notenbeispiel l).. 1 ) 

Dieses Prinzip der zergleitenden Farben gibt die Entwicklungslinie an wesentlichen 
Punkten preis, die Schonberg vorgezeichnet hatte. An die Stelle seiner Abstraktion 
des Klangs tritt nun dessen neue Versinnlichung. Ihr entspricht eine substanzielle 
Melodik, die wieder fahig wird, intensive und gegensatzliche Ausdrucksregungen zu 
spiegeln. Und es ist kein Zufall, wenn der Komponist sich an einer entscheidenden 
Stellein der Form eines wortlichen Zitats zum Tristan bekennt. Fixr den Ausdruckswillen 
seiner Melodik sind folgende Takte des vierten Satzes bezeichnend (Notenbeispiel 2) ] ). 

2. 

Wahrend Alban Berg in einem gewissen Sinn sich zurtickgewendet hat, fiihrt 
Anton Webern die gedankliche Abstraktion Schonbergs bis an die aufierste Grenze. 
Er kniipft an die aphoristische, expressiv verdichtete Schreibweise des mitderen Schon- 
berg an. Diese nur vom Geistigen her zu begreifende Musik gelangt zur volligen Auf- 
losung der rhythmischen und melodischen Bindungen und prefit in einzelne, frei im 
Raum schwebende Klanggebilde alle inneren Spannungen. Sie endet in einer Negation 
und hebt gleichsam Musik iiberhaupt auf. Sie wirkt als eine zerfaserte Klanglichkeit, 
die wie letzter Impressionismus anmutet. Webern hat eine Entwicklungsphase Schon- 
bergs, und vielleicht die radikalste, unerbittlich zu Ende geftihrt. Darin liegt seine 
Einmaligkeit, aber auch seine Grenze. 

Das neue Trio fur Geige, Bratsche und Violoncello uberrascht zunachst durch 
seine grofieren Dimensionen. Webern versucbt jetzt seine aphoristische Tonsprache 
durch motivische Kleinarbeit zu unterbauen, urn auf diese Weise einen langeren Form- 
verlauf zu umspannen. Aber hier zeigt sich das Tragische seiner Situation, er selbst 
hat die Elemente der Musik so zerspalten, dafi sie keiner nachtraglichen Bindung mehr 
fahig sind. Der Klang der Streichinstrumente wird durch fortwahrende Verwendung 
von Pizzicato, Flageolett und Sordino vollig entmaterialisiert. Die weiten Intervallsprunge 
Schonbergscher Herkunft haben auch da, wo sie motivisch zusammengehalten werden, keine 
konstruktive Kraft und wirken nur nocb als Arabeske. Es bleibt der Eindruck einer kontur- 
losen Abfolge, der das Suggestive der friiheren, mehr gedrungenen Werke Weberns fehlt. 



*) Siehe Notenbeilage. 



KURT WESTPHAL: DIE MODERN! MUSIK 481 

n. 

KURT WESTPHAL: DIE MODERNE MUSIK 

In der Sammlung „Aus Natur und Geisteswelt" in der die Musik hauptsachlich 
durcli Einsteins ausgezeichnete kleine Musikgeschichte vertreten ist, erscliien ein neuer 
Band „Die moderne Musik" von Kurt Westphal. Gerade die weite Verbreitung mid 
der populare Charakter der Sammlung lassen ein ausfuhrlicheres Eingehen auf diese 
VerofFentlichung als notwendig erscheinen. Westphal begriindet den Begriff der musika- 
liscben ,,Moderne" und versucht, auf der Basis von Mahler, Beger, Straufi und Debussy 
die Entwicklungslinien der gegenwartigen Musik zu ziehen. 

Der erste Eindruck einer unparteiischen, iiber der Sache stehenden Darstellung 
wird durch gelegentliche gluckliche Formulierungen noch verstarkt. Aber sobald man 
beginnt, den Gedankengangen im einzelnen nachzugehen, wird man stutzig. Schon der 
anfangs gepragte glatte Dualismus von Trieb und Gesetz fiihrt zu der schematischen 
Gegeniiberstellung von Kunst als „Ausdruck der Vitalitat" und als „Ausdruck konstruk- 
tiver Fantasie." Derartige Verallgemeinerungen Diltheyscher Geistesrichtung konnten 
vielleicht fruchtbar werden, wenn sie zur Basis einer sorgfaltigen und reinlichen analy- 
tischen Arbeit wiirden. Statt dessen geht der Verfasser iiber diese Gedanken schnell 
hinweg, um angeblich iiber die „musikalisch-technische" Seite der neuen Musik zu reden. 
Aber auch die hier gegebenen Begriindungen sind ohne tieferes Fundament, zumeist nur 
willkurlich aneinandergereihte Ausschnitte, deren Verallgemeinerung zu schiefen Ent- 
wicklungslinien fiihrt. Dahin gehort z. B die Uberschatzung der parallelen Akkordik 
bei Debussy, dessen Bedeutung fur die Entwicklung der gegenwartigen Musik vollig 
mifiverstanden wird. 

Wenn sich zuweilen die „musikalisch-technische" Seite als nicht ergibig genug er- 
weist, rettet sich Westphal in die „seelische Atmosphare - ', um schliefilich zu einer Fest- 
stellung zu gelangen wie : „Strawinsky erfiillt die Sehnsucht der Moderne nach neuer 
Sachlichkeit." Eine derartig oberflachliche Verwendung der aktuellen Schlagworte ent- 
hiillt sich vollig, wenn der „Geist der , Maschine" in unserer heutigen Musik durch ein 
rein impressionistisches Werk wie Delius' ,^aris" belegt wird. Fatal wirkt es auch, 
wenn man als stilistisches Vorbild des Busonischen Klavierkonzerts Brahms' f-moll Sonate 
angegeben findet. Fiir Strawinsky stellt der Verfasser summarisch fest: „das Volkslied 
befruclitet die Melodik und der Jazz die Bhythmik". Etwas spater: „Nur das Zusammen- 
treffen des Jazz mit einer durch Volksmusik gestarkten Personlichkeit konnte Werke 
zeitigen wie Petruschka, Sacre und Noces". Die beiden erstgenannten Werke entstanden 
1911 und 1913, — zu einer Zeit also, als Europa vom Jazz noch niclits wufite. 

Man konnte derartige Zitate beliebig vermehrcn. Sie zeigen die Gefahr eines 
Buches, das sich an einen grofien und unkritischen Leserki-eis wendet, um ihn iiber die 
komplizierten Zusammenhange der gegenwartigen Musik aufzuklaren. Um eine solche 
Aufgabe zu losen, bediirfte es nicht nur eines starkeren Fundaments, sondern auch eines 
grofieren Verantwortungsgefiihls. 



482 MELOSKRITIK 



in. 

ABWEHR 

1. 

Wir haben bisher die Zeitschrift von personlicher Polemik fern gehalten, da uns 
jede unterhalb eines sachlichen Niveaus liegende Auseinandersetzung unfruchtbar er- 
scheint. Wir haben aus diesem Grunde auch auf mehrfache Anrempehmgen, die 
Dr. Alfred Heufi in der „Zeitschrift fiir Musik" gegen einzelne von uns ricbtete, ab- 
sichtlich nicht reagiert. Die Beschimpfungen aber, die Heufi in seiner Besprechung des 
Schweriner Tonkiinstlerfests (im Juli-Augustheft der „Zeitschrift fiir Musik") gegen Melos 
erhebt, lassen es ratsam erscheinen, sich mit ihm zu beschaftigen. 

Schon der Anlafi ist einigermafien befremdlich. Heufi setzt zu einer Besprechung 
des Streichtrios op. 20 von Anton Webern an, kommt aber nicht iiber die Feststellung 
hinaus, dafi das Werk „zur Schau gestellt wurde und naturlich durchfiel". Jede sach- 
liche Begriindung fehlt. Statt dessen fallt er iiber eine „Meute entgleister Gesellen" her, 
die „derartigen Wahnwitz . . . als hochste Offenbarungen modernen Geistes anpriesen." 
Man ist bald dahingehend aufgeklart, dafi unter diesen entgleisten Gesellen die „Melos- 
leute" zu verstehen sind. Herr Dr. Heufi fahrt dann fort: „Nie ist schamloser, gesinnungs- 
gemeiner iiber deutsche Musik geschrieben worden, wie in diesen traurigen Blattern, 
iiber die man sich bereits vor dem Ausland schamen mufi, das — man lese die paar 
Bemerkungen in der Mainummer der Musica d'oggi — den Kopf iiber einen dieser 
jammerlichen Helden schuttelt." 

Das Niveau dieser Beschimpfungen schliefit jede sachliche Auseinandersetzung aus. 
Nur iiber die Methoden, die hier angewandt werden, sind ein paar Worte zu sagen. 
Dafi Weberns Trio fiir diese vollig aus der Luft gegriffene Polemik wohl der ungliick- 
lichste Ankmipfungspunkt ist, den es hatte geben konnen, geht aus unserer, gerade in 
diesem Heft wieder fbcierten Einstellung hervor. Der Hinweis auf das Zitat in der 
„Musica d'oggi" wird in der Absicht gebracht, dafi- es an dieser entlegenen Stelle von 
niemandem kontrolliert werden konne. Es ist lediglich eine redaktionelle Fufinote: 
„0 mani di Ricardo Wagner", die sich auf die lnhaltsangabe einer Besprechung des 
„Oedipus rex" von Strawinsky durch einen unserer Mitarbeiter bezieht — verstandliche 
Reaktion eines Italieners. Die Bekampfung einer kiinstlerischen Gesinnung durch natio- 
nalistische Hetzmittel aber ist die von Pfitzner erfolgreich eingefiihrte Methode, an der 
sich auch kleinere Formate gern den Mat starken. Dieser Methode entspricht auch eine 
andere, die in dieser Zeitschrift in letzter Zeit haufig begegnet: am Schlufi einer Pole- 
mik schon in sensationeller Weise die Opfer der nachsten zu annoncieren, wie es in 
dunklen Blattern zur Steigerung des Umsatzes zuweilen geschieht. 

2. 
Eigentlich bleibt niclits mehr zu sagen. Aber es fallt uns doch schwer, uns so 
schnell von Herrn Heufi zu trennen, der uns schon so viele Seiten seiner Zeitschrift 
gewidmet hat. Jungst lasen wir bei ihm, es gebe jetzt auch eine humoristische Musikzeitschrift 
(womit „Melos" gemeint war). Naturlich beeilen wir uns, diese Behauptung auch gegen- 
iiber unsern Lesern zu rechtfertigen, indem wir einiges aus der Kritik von Alfred Heufi 



ABWEHR 483 



iiber Hindemiths Erste Kammermusik (Zeitschrift fiir Musik, Jahrg. 90, Seite 54) 
zum Besten geben: 

Es ist erreicht ! Der modernen deutschen Musik ist es endlich gelungen, das heutige Leljen 
dort zu fassen, wo es sich am frivolsten und gemeinsten austobt, wo sexuelle Perversitatsorgien 
sich abspielen und die fvanzosische Sentenz : Apres nous le deluge audi zum deutschen Sinnspruch 
geworden ist, Der dieses „Wunder" zustande brachte, ist der Komponist Paul Hindemith in 
seiner Kammermusik Nr. 1 (op. 24 Nr. 1) fiir kleines Orchester, und zur klanglichen Erscheinung 
brachte man es im elften Gewandhauskonzert unter W. Furtwangler. Man steht einer Musik 
gegeniiber, wie sie zu denken, geschweige zu schreiben noch nie ein deutscher Komponist von 
kvinstlerischer Haltung gewagt hat, einer Musik von einer Laszivitat und Frivolitat . . . die nur 
einem ganz besonders gearteten Komponisten moglich sein kann. 

Es hebt da ein Zischen und Brodeln, ein Reifien, Stofien und Drangen an, Gekreische und 
Schreien dringen an unser Ohr, man sieht sinnlich verzerrte, gemeine Gesichter, hort Peitschen 
und Schlagen, Lachen und Schreien, Gestohn und Jauchzen, Pfeifen und Johlen, in laszivster Art 
mengen sich Paare auf buchstabliche Foxtrottmelodien, barbarische Laute halb vertierter, im 
Taumel sich ergehender Menschen machen sich Luft, zum Schlufi ein langer, alles durchdringender 
Pfiff, wohl ein Warnungspfiff, im Nu ist dann das Stuck zu Ende. Es ist die lasterhafteste, 
frivolste und dabei gegenstandlichste Musik, die man sich denken kann . . . Mit dieser Kammer- 
musik, die das ebenfalls frivole Blfiserquintett Hindemiths . . . bei weitem an Intensitat und ge- 
steigerter Laszivitat in Schatten stellt, diirften wir in Deutschland wieder an der Spitze der 
Musiknationen marschieren, und dasjenige Volk, das dieser Musik einmal das starkste Verstandnis 
entgegenbringen wird, werden die Franzosen sein, die ihre Schule in Sadismus und Perversitat 
schon lange hinter sich haben und diese Seiten ihres Wesens gerade auch jetzt wieder im offent- 
lich politischen Leben betatigen . . . Man halte die entsprechenden Orgienpartien in Schrekers 
Werken mit dieser Kammermusik zusammen I 

Hindemith besitzt jenes kalte Feuer rucksichtsloser Naturen, die nur eines, sich selbst, kennen, 
vor nichts schreckt er zuriiclc, seine Fantasie ist dort am starksten zu Hause und findet dort 
ihren fruchtbarsten Untergrund, wo das moderne Leben menschliche Wesensseiten ans Licht stellt, 
die von heutigen Kloaken-Geschlechtsdramatikern an die vorderste Stelle gesetzt werden, und von 
denen nur eines bedauert wird, dafi sie nicht noch weiter in ihren Darstellungen gehen diirfen . . . 
Bei Hindemiths Kammermusik stellt sich aber zwischen Kiinstler und Publikum jener Zusammen- 
hang her, den schon Heinrich Heine so malitios richtig gekennzeichnet hat, dafi, wenn wir uns im 
Kote fanden, wir uns sofort verstanden. 

Dem Kiiiistler braucht nichts MenschUches verschlossen zu sein, wehe aber einer Kunst, wenn 
sie ihre natiirlichen menschlichen Bezugsquellen im Sumpfe und den Kloaken des Lebens hat. 
Welche Aussichten eroffnen sich da fiir den heutigen und kommenden geistigen und sittlichen 
Wiederaufbau Deutschlands. Welche Aufmunterung liegt darin, wenn ein derartiger Kiinstler Er- 
folg hat, weil er in der Zeit, die nun doch einmal die gemeinen Instinkte offen zur Schau tragt 
und sie in „Form" zu bringen vermag, auch unmittelbar verstanden werden mufi. Wie ver- 
blichen, altmodisch und abgetan mutet da ein Schiller mit seiner Auflassung des Kunstlers an, dafi 
die Wiirde der Kunst in die Hande des Kunstlers gegeben sei. Ob ein Hindemith noch etwas 
wie Schamgefiihl empfindet, wenn er an diese Worte Schillers, die nodi die jedes echten, grofien 
Kunstlers gewesen sind, denkt? Wir glauben es nicht! Wer den Foxtrott und was mit ihm alles 
zusammenhfingt, in den Konzertsaal hineinpeitscht, hat die idealisdien Gefilde einer begliickenden 
Kunst nie geschatit. 

Wir glaubten, unsern Lesern diese Satze nicht vorenthalten zu diirfen; sie spiegeln 
die Atmosphare, in welche die Zeitschrift Robert Schumanns heute geraten ist. „Nie 
ist schamloser, gesinnungsgemeiner viber deutsche Musik geschrieben worden, wie in 
diesen traurigen Blattern" (Alfred Heufi). 

Hans Mersmann, Hans Schultze-Ritter 
und Heinrich Strobel 



484 ERNST LATZK|0 



RUN!) FUNK 



Ernst Latzko (Leipzig) 

RUNDFUNK-UMSCHAU 

(Juni, Juli, August, September) 

Der Sommer ist nicht die Jahreszeit des Rundfunks. Zu den allgemeinen kunst- 
feindlichen Momenten, die sich schon bei Theater und Konzert auswirken, kommt hier 
noch ein spezielles, technisches: die Qualitatsminderung der Ubertragung bei hohen 
Temperaturen, ihre Gefahrdung und Storung durch Gewitter. Der Kopfhorer, auf den 
ein grofier Teil der Horerschaft angewiesen ist, macbt sich bei grofier Hitze auch nicht 
gerade im Sinn einer GenuGsteigerung bemerkbar, kurz: der Zug nach Leichtigkeit und 
Knappheit, der das Rundfunkprogramm ja dauernd beherrscht, wird im Sommer ganz 
besonders deutlich und die wirklich gehaltvollen Veraustaltungen werden immer mehr 
zur Seltenheit. 

Priift man im allgemeinen, wie die Programmbildung sich in der abgelaufenen 
Saison entwickelt habe, so ist zweifellos ein erfreuliches Moment festzustellen : die eifrige 
Pflege alter Musik. Durch die verschiedenen historischen Zylden, durch die sonntag- 
lichen Morgenfeiern, durch Hausmusiken aller Art, durch die hervorragende Eignung des 
Cembalos und anderer historischer Instrumente fur die Rundfunkiibertragung ist die 
vorklassische Musik ein gar nicht mehr wegzudenkender Bestandteil des Rundfunk- 
programmes geworden. So sehr, dafi von diesen historischen Veranstaltungen hier nur 
mehr die pragnantesten erwahnt werden sollen. Dazu gehort in dem dieser Betrachtung 
unter^iegenden Zeitraum Purcells Kantate „Die Temperamente der Liebe" und Kuhnaus 
biblische Cembalo-Sonate „David und Saul", die der Stuttgarter Sender von der Stxd- 
deutschen Tagung fiir Musikerziehung aus iibertrug. Berlin und Stuttgart brachten 
„Alte Kammermusik" auf Altviola. Knickhalslaute, Blockflote, Clavichord, Pochette und 
Viola d'amore. Miinchen bringt Kantaten von Buxtehude, Stuttgart „Elsassische Musik 
des 18. Jahrhunderts" und den Vogel schiefk Konigsberg ab mit der Auffiihrung von 
Bachs „Musikalischem Opfer" in der Bearbeitung von David. 

In der neuen Musik behauptet Hindemith unentwegt seinen Primat, Beweis nicht 
nur fiir die Bedeutung seines Schaffens sondern auch fiir dessen Bundfunkeignung. Das 
Violinkonzert wird von Miinchen gebracht, das Streichquartett op. 22 von Frankfurt, 
„Die Serenaden" von Hamburg, die Sonate fiir Klavier und Geige op. 11 Nr. 1 wird in 
Briinn gespielt, die fiir Klavier und Cello op. 1 1 Nr. 3 in Berlin, Frankfurt und Zagreb, 
wahrend Miiiichen die Solosonaten fiir Violine und Cello sender. Stravinsky war mit 
dem in Paris gebrachten „Feuervogel", der in Berlin gespielten „Pulcinella"-Suite und 
der in Konigsberg aufgefiihrten „Geschichte vom Soldaten" vertreten, Honegger mit 
seinem ,,Pacific 231", gespielt in Breslau, der „Konig David"-Suite, aufgefiihrt in Briinn, 
ferner mit „Pastorale d'ete" und „Drei Kontrapunkte", gesendet von Kopenhagen. 
Schonberg erschien im Kiilner Programm mit seiner „Verklarten Nacht" in der Bear- 
beitung fiir Streichorchester, Weill mit seinem „Frauentanz" und Kodaly mit dem Duo 
fiir Violine und Cello in Stuttgart, Jarnach mit der Sonatine fiir Klavier und drei 



RUNDFUNK-UMSCHAU 485 



Rhapsodien fiir Klavier und Violine in Frankfurt. Kaminskis Quartett fur Klavier, 
Klarinette, Bratsche und Cello wird in Stuttgart gespielt, sein Quintett fiir Klarinette, 
Horn, Violine, Bratsche und Cello in Hamburg. Im Leipziger Sender gelangt das C-dur- 
Streichquartett op. 9 von Giinther Raphael zur Auffiihrung. Tscherepnin ist mit seinem 
Kammerkonzert fiir Flote und Klavier im Miinchener Sender vertreten, mit dem Trio 
op. 34 in Frankfurt, Prokofieff mit Klavierstiicken in Breslau, wahrend seine „Sinfonie 
classique" in Wien aufgefiihrt wird zusammen mit Wladigeroffs Klavierkonzert. Die 
Impressionisten kommen vorwiegend im Ausland zu Wort: Ravel mit „Ma mere l'oye" 
in Stuttgart und Mailand, mit .,Daphnis et Cloe" in Paris und Klavierstiicken in Breslau, 
Debussy mit dem Streichquartett in Hilversum, mit der Rhapsodie fiir Klarinette und 
der Sonate fiir Cello und Klavier in Briissel und der Sonate fiir Violine und Klavier 
in Frankfurt. Ein Schweizer Abend, von alien Sendern veranstaltet, lafit den Namen 
Othmar Schoecks an verschiedenen Orten auftauchen. Leipzig bringt die D-dur-Sonate 
fiir Klavier und Violine, Miinchen Lieder, Konigsberg sein Violinkonzert und Kopen- 
hagen die Serenade op. 1. 

Wenden wir nun die Aufmerksamkeit den zyklischen Veranstaltungen zu, so ver- 
dient der 10. Abend in der von Miinchen gebrachten Beihe „Die Entwicklung der 
Orgelkomposition" mit Werken von Zachau, Pachelbel, Heinrich und Joh. Christ. Bach 
Erwahnung. Leipzig beschliefit seine „Tonende Operngeschichte" mit dem „Ernani". 
Stuttgart bringt am letzten Abend eines Zyklus „Das deutsche Gedicht und die deutsche 
Prosa der letzten 100 Jahre" verdienstvoller Weise Teile aus Schonberg-Georges „Hangende 
Garten" und Hindemith-Rilkes „Marienleben". Kciln fiihrt an mehreren Abenden die 
Entwicklung der Cellosonate vom 17. bis zum 20. Jahrhundert vor und erregt das 
meiste lnteresse mit alten Werken von Pasqualini und Marcello. 

Die Oper war mit einigen selten gehorten Werken vertreten. Cimarosas „Heim- 
liche Ehe" wird von Langenberg und vom Mailander Sender iibertragen. Janaceks „Aus- 
fliige des Herrn Broucek" iibernimmt der Briinner Sender vom dortigen Stadttheater. 
„Euryanthe" erscheint in Leipzig, iibertragen von Weimar und in Konigsberg in einer 
funkdramaturgischen Bearbeitung von Scherchen. Ein besonderes Verdienst erwirbt sich 
Frankfurt mit der Ubertragung der beiden Weillschen Opern „Protagonist" und „Der Zar 
lafit sich photographieren" aus dem Stadttheater. Der Berliner Sender iibertragt eine Auf- 
fiihrung von Glucks „L'ivrogne corrige" in Swinemiinde, der Mailander Montemezzis 
„Liebe der drei Konige" und Wolf-Ferraris „Vier Grobiane". Den Preis verdient aber 
Konigsberg fiir die Auffiihrung des Busonischen „Dr. Faust" (auch in Scherchens funk- 
dramaturgischer Bearbeitung). 

Ist der Sommer auch nicht die Zeit grofier Begsamkeit in den Sendeleitungen, so 
ist er doch die Zeit der Musikfeste und legt so indirekt dem Bundfunk Verpflichtungen 
auf, die er zum Teil auch eingelost hat. Von den unzahligen Schubert- Veranstaltungen 
verdient die Ubertragung der Serenade auf dem Josefsplatz in Wien Erwahnung. Vom 
1. Arbeitersanger-Bundesfest in Hannover wurde Handels „Judas Maccabaus" durch 
Hamburg und Miinchen iibertragen. Frankfurt verbreitet den Kantaten-Abend der 
Handel-Festspiele in Gottingen, auf dem Handels „Apollo und Daphne" und „Lucrezia" 
und Bachs „Streit zwischen Phobus und Pan" zu szenischer Auffiihrung gelangten. Das 
wichtigste musikalische Ereignis des Sommers war wohl die „Deutsche Kammermusik in 



486 ERNST LATZKO 



Baden-Baden" und mit Genugtuung darf festgestellt werden, dafi sieben deutsche Sende- 
gesellschaften davon Notiz genommen haben, einige sogar von mehreren Veranstaltungeri. 
Das erste Programm mit Orgelwerken von Finke und Humpert, ■ Milh'auds „Ruckkehr 
des verlorenen Sohnes" und Hermanns „Galgenlieder" wurden durch den Munchener 
Sender verbreitet, das zweite mit Orgelwerken von Jarnach und Pepping, Hauers 
„Wandlungen" und Roters „Reisebriefen eines Artisten" wird von Frankfurt, Hamburg, 
Konigsberg und Stuttgart ubertragen und das dritte mit den Kurzoperft von Reutter, 
Kneip, Gronostay und Mossolow von Berlin, Frankfurt, Langenberg und Stuttgart. Hier 
ist also ein entscbiedener Fortschritt zu verzeichnen. Schliefilich muii nocb der Uber- 
tragung des Kantaten abends des 16. Deutscben Bachfestes in Kassel gedacht werden, 
mit der sich der Frankfurter Sender ein Verdienst erwarb. 

Am 2. Juli jahrte sich zum 150. Male Rousseaus Todestag. Hier hatte der Rund- 
unk die dankbare Aufgabe gehabt, die Erinnerung an den Musiker Rousseau wachzu- 
rufen nnd Kompositionen von ihm aufzufuhren. Es gibt wenige Gelegenheiten, bei 
denen der Rundfunk so schlagend seine Daseinsberechtigung nachweisen kann, wie da, 
wo Theater und Konzert durch materielle Widerstande gehindert werden, ihre kulrurelleii 
Verpflichtungen zu erfullen. Leider war Leipzig die einzige Station, die sich in diesem 
Falle ihrer Aufgabe bewufit war und Rousseaus liebenswiirdiges Intermezzo „Le devin 
du village" auffiihrte. Auch das Ereignis von Janaceks Tod fand im Rundfunk ganz 
und garnicht den gebiihrenden Widerhall. Wenn die Sendeleitungen seine kunstlerische 
Bedeutung unterschatzten, so hatte doch mindestens das Moment der Aktualitat, das 
Vom Rundfunk stets so sehr betont wird, eine entsprechende Wtirdigung veranlassen 
miissen. Statt dessen fanden es nur zwei deutsche Sender der Muhe wert, des Ereignisses 
zu gedenken und der eine von ihnen, Berlin, machte es sich noch mit der Sonate fur 
Violine und Klavier reichlich leicht. Leipzig brachte aufier einer Szene aus „Jenufa" 
das Concertino und die Sinfonietta. In Prag erschien die Ballade fiir Orchester „Das 
Kind des Dorfmusikanten" und die sinfonische Dichtung „Taras Bulba", in Briinn die 
ursprungliche Ouvertiire zu „Jenufa", der Mittelsatz aus der Klaviersonate, „Der Tod" 
iiherschrieben, Lieder, mahrische und slavische Tanze und die Suite op. 3. 

Mit Aufmerksamkeit miissen die Bestrebungen verfolgt werden, die sich am besten 
unter dem Schlagwort „Rundfunk und Schule" zusammenfassen lassen. Uber Ansatze 
ist die Bewegung bisher nicht herausgekommen, sie verlauft auch nicht uberall gleich- 
mafiig und gehort natiirlich nur zu einem Teil dem Gebiet der Musik an. In dem 
dieser Betrachtung unterliegenden Zeitraum verdient ein Schulfunk-Programm aus Koln 
Erwahnung: „Musik aus der Zeit Friedrichs des Grofien" mit Werken Friedrichs, Phil. 
Em. Bachs, Grauns und Joh. Chr. Baclis. In diesen Zusammenhang gehoren auch die 
Singstunden des Hamburger Senders, die teilweise auch von Frankfurt ubernommen 
wurden. 

Seit einigen Wochen fallt der Konigsberger Sender durch besondere Aktivitat auf. 
Deutlich tritt — was hier immer vertreten wurde — das Bestreben hervor, im Rund- 
funk diejenigen Richtungen zu bevorzugen, denen er seinen technischen Voraussetzungen 
nach am besten gerecht werden kann und Liicken auszufiillen, die der Opern- und 
Konzertbetrieb offen lafit. Also Musik, hinter der die Persflnlichkeit des Interpreten 
moglichst zuriicktreten mufi, Musik mit ausgepragten formalen Elementen, denen gegen- 



LEO TOLSTOI UND DIE MUSIK 487 

uber das Moment der Klangfarbe unwesentlich ist, Musik, die durch ihre Stellung ab- 
seits von der Heerstrafie des Gewohnlichen die Einmaligkeit der Auffiihrung rechtfertigt. 
„Das musikaliscbe Opfer", „Die Geschichte* vom Soldaten", „Dr. Faust", diese drei Werke 
reden eine deutliche Sprache, die hoffentlich em Programm bedeutet und die hoffentlich 
auch von den anderen Sendeleitungen verstanden werden wird; 

In den Rundfunkprogrammen findet sich bisweilen in den spaten Abendstunden 
eine Sendung, „Funkpranger" betitelt, in der die verschiedenartigsten Vergeben gegen 
den Rundfunkbetrieb bekanntgegeben und verurteilt werden. Nach diesem Reispiel sollen 
auch hier die schlimmsten Siinden des Rundfunk festgehalten werden. Ubertragungen 
von Scballplatten konnen unter Umstanden eine willkommene Bereicherung des Programme 
bilden, aber eine solche Sendung mit der Uberschrift zu versehen: „Ist der Leib in Staub 
zerfallen, lebt der grofie Name noch", wie das Breslau tut, zeugt doch von einer Ver- 
kennung der Tatsachen. Ahnlichen Geist atmet folgendes Programm aus Wien : ,,Aus 
der himmelblauen klassischen Musikepoche": Mozarts „Schauspieldirektor", Schuberts 
„Hausliclaer Krieg" und Beethovens „Adelaide", von Hugo Miiller zu einem Genrebild 
verarbeitet! Hoch anzurechnen ist es, wenn Berlin Bruckners f-moll-Messe aufTuhrt. 
Wenn aber anschliefiend drei Stiicke von Grieg gespielt werden, so wird damit das 
Verdienst in sein Gegenteil verlcehrt. Dieselbe Sendeleitung hat ja iibrigens auch ein 
Programm unter dem gefahrlich-ironischen Titel angezeigt: Wer vieles bringt . . ." Ob 
Goethes Theaterdirektor etwa Rundfunkintendant werden wollte ? 



UMS GHAU 

Eugen Braudo (Moskau) 

LEO TOLSTOI UND DIE MUSIK 

(Zum hundertsten Geburtstag des Dichters) 

In Alexander Goldenweisers (eines bekannten Moskauer Pianisten) ,^Erinnerurigen 
an Tolstoi" finden wir ein hochst bedeutsames Gesprach mit Tolstoi aus. dem letzten 
Jahre seines Lebens verzeichnet. Der grofie Denker und Dichter behauptete, am 
schwersten wurde ihm j,die Trennung mit Musik fallen". Mit der Tonkunst sei er durch 
lange Jahre vollstandig verwachsen, und keine der Kiinste wirke auf ihn so tief ein, 
als die Musik. <■.■■■ ' 

Die mannigfaltigen ■ Beziehungen Leo Tolstois zur Musik wiirden ein ausgibiges 
Them a einer grofieren , Forschungsarbeit ergeben. Eine derartige Arbeit gibt es in der 
einschlfigigen wissenschaftlichen Literatur unseres Wissens noch nicht. Ohne Anspruch 
auf Vollstandigkeit, machen wireinen vorlaufigen Versuch, ganz kurz den Zusammen- 
hang des literarischen und philosophischen Schaffens Tolstois mit dem Musikleben seiner 
Zeit zu entwerfen. Auch interessiert uns durchaus die Einwirkung musikalischer Vor- 
stellung auf seine Kunstanschauung als Ganzes. 

Leo Tolstoi war bekanntlich Musikdilettant und mittelmafiiger Klavierspieler „fiir 
den hauslichen Gebrauch." Mehr als irgend ein anderer russischer Dicliter liebte er die 



488 EUGEN BRAUDO 



Tonkunst und widmete sich musikalischen Interessen. Auch kniipfte er personliche Be- 
ziehungen zu den groftten russischen Komponisten der zweiten Halfte des 19. Jahr- 
hunderts an. Wahrend eines mehr als halben Jahrhunderts seiner schriftstellerischen 
Tatigkeit war Tolstoi Zeuge einer unerhorten Entwicklung der neuen russischen Musik- 
schule undVihrer Verwurzelung in einer eigenartigen Wirklichkeitsasthetik. 

Und doch — wir gehen kaum fehl, wenn wir die von Tolstoi in seiner Jugend 
und fruhem Mannesalter empfangene Musikeindriicke als tiefste und bestandig bis an 
sein Lebensende auswirkende bezeichnen. Seine Sympathien auf dem Gebiete der Ton- 
kunst neigten sich stets den westlichen, hauptsachlich deutschen Klassikern und Roman- 
tikern zu. Noch in seinem letzten Lebensjahr horte Tolstoi besonders gern Beethoven, wie 
das von Goldenweiser, seinem musikalischen Eckermann, bezeugt wird. Auch fur 
Schumann interessierte er sich lebhaft. Die letzte Musik, die ihm das Schicksal zu 
horen vergonnte, war Chopin. Eine Tschaikowsky-Biographie war das letzte Musikbuch, 
welches in seinen Gesichtskreis kam. 

Seiner Geschmacksrichtung nach miissen wir Tolstoi als einen typischen Vertreter 
der hoheren russischen Intelligenz bezeichnen, welche bis an die letzte Zeit der einzige 
Konsumentenkreis hoher Musikkunst in RuGland war. Von diesem Standpunkt aus 
verwarf Tolstoi die Tonkunst, als Mittel gesellschaftlicher Erziehung der Volksmassen. 
Die Tonkunst war fiir ihn genau wie seine eigene dichterische Tatigkeit „ein schleichen- 
des Gift, welches die gesunde Natur des Menschen zersetzt". Er empfand es scharf, 
dafi Beethovens Sonaten, Mozartsche Quartette und Ghopins Klavierwerke ebenso wie 
Tschaikowskys Kammermusik und Skriabinsche Kleinigkeiten, welche er in seinen letzten 
Tagen kennen lernte — ein Buch mit sieben Siegelil fiir das Volk seien. Eine zweck- 
lose Verschleuderung von Staatsmitteln sei die Organisation offentlicher Konzerte und 
Opernvorstellungen. Das Volk geht seine eigenen "Wege abseits dieser Scheinkultur und 
kummert sich iiberhaupt nicht um den ganzen staatlichen Musikbetrieb. 

Durch diesen Gedankengang entstand eine gewisse Zwiespaltigkeit Tolstois in der 
Bewertung der Tonkunst als einer Quelle hohen Genusses fiir ihn selbst und etwas 
den grofien Volksmassen absolut Unzuganglichen. Jedem Tolstoikenner wird wohl die 
hochst ironische Beschreibung einer Siegfriedprobe im grofien Moskauer Operntheater in 
seiner Abhandlung „Was ist Kunst?" erinnerlich sein. An diesem Beispiel zeigt Tolstoi 
mit unerbittlicher Scharfe, wieviel Lug und Trug der ganzen Aufmachung einer grofien 
Oper anhaftet und welche negative soziale Auswirkung eine derartige Verschleuderung 
grofier Geldsummen in einem bitteren Hunger] ahre birgt. Tolstoi brandmarkt ferner 
die ziinftige Vergroberung Aller, welche gewerbsmafiig Kunst betreiben, das rucksicht- 
lose Gebahren der Regisseure, des Kapellmeisters, die entwiirdigende Behandlung des 
Orchester- und Choristenpersonals ... und doch finden wir in der ganzen russischen 
Literatur kaum glanzendere, tiefer mit Liebe zur Musik durchdrungene Seiten, als bei 
Tolstoi. Seine Anfeindungen des musikalischen Betriebs seiner Zeit werfen ein merk- 
wiirdig grelles Licht auf die widernatiirliche und antisoziale Lage einer Massenkunst, 
deren Benutzer kiinstlich auf einen kleinen Kreis Intellektueller begrenzt ist. Dieser 
Kreis ist aufierstande sich das Wahre der Kunst aktiv anzueignen. 

Der Musikkultur der hoheren Kreise stellt Tolstoi die Volkskunst entgegen. Uber 
die Bedeutung dieser Kunst, fiir welche der Massenmensch unmittelbar empfanglich ist, 



UBER DIE KULTMUSIK IN DEUTSCHLAND 489 

spricht Tolstoi mit grofiter Varme, doch stellenweise abstrakt und nicht geniigend sach- 
gemafi. Die Volkskunst erscheint als etwas viel Wichtigeres, als die hohe musikalische 
Production, denn nur in derartiger Musikiibung sei ein wahres Mittel Gefiihle in der 
Allgemeinheit zu verbreiten. Die Musik, als jegliche andere Kunst „ist nur dann 
existenzberechtigt, wenn sie Gefiihle, welch e der Allgemeinheit niitzlich sind, verbreitet" 
dieser Ausspruch kront sein Essay iiber Kunst. Wenn die moderne Musik, welche nur 
auf einen kleinen Gonnerkreis berechnet ist, nur ein Mittel der moralischen Zersetzung 
ist, so birgt gerade die Volkskunst allgemeinmenschliche Werte. So finden wir in ver- 
schiedenen Werken Tolstois, wie etwa im „Krieg und Frieden" direkte Verherrlichungen 
des russischen Volkslieds, des volkstiimlichen Tanzes usw. 

Die scharfe Kritik, welche Tolstoi an der zeitgenossischen Kunst ubt enthalt eine 
Anzahl grofiartiger Gedanken. Docli sclieint Tolstoi die Moglichkeit tieferer Auswirkung 
der Kunst durch Erweiterung seines Benutzerkreises nicht vorausgesehen zu haben. Die 
„Kreutzersonate" blieb fur ihn in einem erotisch tiberhitzten Milieu eingekerkert. Doch 
unsere Zeit schuf hier einen Wandel, welcher dem grofien Dichter in seiner ethischen 
Abgeschlossenheit als eine Unmoglichkeit erschien. 



OSKAR GUTTMANN (Breslau) 

UBER DIE KULTMUSIK IN DEUTSCHLAND 

Bemerkungen zur kirchenmusikalischen Woche in Breslau. 

1. 

Vom 16. bis 22. April 1928 wurde in einer „kirchenmusikalischen Wdche" in zehn 
Kirchenkonzerten gezeigt, wie reich der Besitz an deutscher, protestantischer Kirchen- 
musik aus der Zeit vor Bach ist. Der Breslauer Ordinarius fiir Musikwissenschaft Max 
Schneider sei hier aus seiner Einfuhrung angefiihrt, die dem Programmbuch den wissen- 
schaftlichen Boden gab: 

„Die Geschichte der protestantischen Kirchenmusik umfafit jetzt vier Jahrhunderte. 
Nur wenig mehr als die Halfte davon bedeutet Aufstieg . . . Das iibrige ist Stillstand und 
Niedergang. Dem zeitweise recht steilen Aufstieg entspricht ein Verfall, iiber dessen 
vielfach erschreckende Folgen . . . nichts langer hinwegtauschen kann. Und dem 
einstigen schier unerschopflichen Musikreichtum der Kirch e Luthers steht im zwanzigsten 
Jahrhundert eine wohl beispiellose Verarmung gegeniiber, eine Verarmung, die heute 
weiten evangelischen Kreisen Entschlufikraft aufzwingt zum Wiedergewinnen des Ver- 
lorenen ....," 

Der Verfall ist festgestellt; und seine Griinde? — Ihnen soil, um einen unter- 
richtenden Uberblick iiber den Stand der Kultusmusik in Deutschland, wenigstens in 
der Skizze, zu bekommen, in der protestantischen Kirche und auch kurz in der katho- 
lischen Kirche und in der Synagoge nachgegangen werden, angefangen bei der als letzte 
Genannten. 



490 OSKAR GUTTMANN 



2. 

Die Synagogenmtisik ist im Begriff am Ubermafi von Tradition zu Grunde zu 
gehen oder dem, was man ganz falsch dafiir halt; denn diese Tradition ist vielleicht 
hundert bis . hundertfiinfzig Jahre alt (nicht Jahrtausende, wie man wahnt,) also 
uberhaupt keine, sondern besten Falles eine Gewohnheit, die heute durch nichts mehr 
zu rechtfertigen ist. In dieser Gewohnheit ist man erstarrt; die sonst so kritischen 
Horer der Synagoge sind ihrer Musik gegeniiber von einer gefahrlichen Toleranz. Jede 
Neuerung wird abgelehnt, man will nichts anderes als die Melodien der Vater und 
wird dabei nicht gewahr, wie ihre inn ere Kraft immer mehr abnimmt, weil sie mu- 
sikalisch verbraucht sind. (Das Psychologische bleibe aufier Betracht.) Wenn hier nicht 
sehr bald, hoffentlich von einer interessierten Jugend, neues Blut und neue Kraft in 
die synagogale Musik stromen, wird sie als Kunsterscheinung zu Grunde gehen. 

3. 

Der Verfall der protestantischen Kultmusik hat den gegenteiligen Grund. Nicht 
Ubermafi, sondern Fehlen, Aufhoren, Abreifien der Tradition hat diese „beispiellose 
Verarmung" bewirkt. Die Schuld an dem Verfall aber tragen die ausfuhrenden Ver- 
mittler ebenso wie die auch hier kritiklosen Horer. 

Die Leistungen der musikalischen Organe in den zehn Breslauer Kirch en (zu denen 
noch eine elfte kam, die an einem Klughardtschen Oratorium das mit erwies, was im 
Folgenden ausgefiihrt ist. Die Wahl des Werkes zeigt ubrigens, was man in der Kirche 
noch der Galvanisierung fur wert halt; aber was tot ist, ist ganz tot.) diirfen wohl als 
gehobener Durchschnitt betrachtet werden; man wird in eine Grofistadt sicherlich nur 
Organisten und Chordirektoren berufen, die musikalisch ein Gesicht haben und ein 
bestimmtes Niveau halten. Da ware also zu sagen: Ein grofier Teil der Organisten ist 
fiir Dirigieren wenig begabt. Sowie die Herren vor einem Chor stehen, versagen sie, 
ihr Dirigieren oder ihre, oft ganz falsch verstandene, Chironomie sind ohne Wirkung. 
Eine kiinstlerische Leistung kann nicht zustande kommen. Wie soil bei solcher Be- 
hinderung noch auf eine stilgemafie Ausfuhrung geachtet werden, wenn man froh sein 
mufi, dafi alle zusammen aufhoren? Eine erste Forderung zur Hebung der protestan- 
tischen Kirchenmusik ist also die Trennung des Amtes des Organisten von dem des 
Chordirektors. Das darf nicht Ausnahme, das mufi ausnahmslos die Begel sein. Nur 
so werden die Chore allmahlich wieder leistungsfahige Instrumente der Kirchenmusik 
werden und die Forderungen erfiillen konnen, die man an sie stellen mufi. 

Auffallend war, dafi nicht alle Organisten als Orgelspieler befriedigten. Wie soil 
die riesenhafte Orgelliteratur lebendig gemacht werden, wenn schon das aufiere Er- 
fordernis, die Spieltechnik, nicht hinreicht? 

Endlich haben leider nicht alle beamteten Kirch en musiker das Bestreben, die An- 
regungen, die sie auf den Ausbddungsinstituten bekommen, weiter so auszubauen, wie 
es unbedingt notwendig ist. Das Erstrebte, ein Amt, ist erreicht, der Dienst wird 
versehen, im iibrigen aber herrscht eine gefahrliche Gleichgultigkeit. 

. 4. 
Mit diesen Mitteln ist also heute dem Verfall nicht abzuhelfen, eine neue Bhite 
der protestantischen Kirchenmusik nicht heraufzufiihren, nachdem die Tradition verloren 



UBER DIE KULTMUSIK IN DEUTSCHLAND 491 

gegangen ist. Der Bationalisiiius der zweiten Halfte des achtzehnten Jahrhunderts, der 
sie mit vernichtet hat, wirkt bis heute noch verderblicli nach. Denn hieraus resultiert 
ja , zuletzt der Indifferentismus der verantwortlichen Organe, der aber freilich wieder 
gestiitzt oder wenigstens nicht gestort wird durch die geringe Anteilnahme der kirchlichen 
Horer; denn diese nehmen die Kirchenmusik, wie sie ihnen heute geboten wird, kritik- 
los hin. 

„Die Dauer der Religionen war immer davon abhangig, ob war ihrer noch be- 
durften", steht in Heines „Geschichte der Religion und Pliilosdphie in Deutschland". 
Die Dauer der Musik dieser Religionen ebenfalls, konnte man variieren. In einem Re- 
ferat iiber musikalische Erziehung hier wurde erwahnt, dafi ein Organist als Nachspiel 
bei einer Training das zweite (lyrische) Thema der Tschaikowskyschen Sinfonie pathe- 
tique spielte, sogar in eigener Harmonisierung. Kein Mensch habe sich dariiber 
aufgehalten . . . Dies ist kein Ausnahmefall. Gewifi singt man beim Gottesdienst die 
alten schonen Chorale noch mit, aber nicht aus dem Redurfnis heraus zu singen und 
nicht aus Anteilnahme an der musikalischen Gestaltung des Gottesdienstes, sondern aus 
Gewohnheit. Und auf das, was der Kirchenchor singt, hort kaum einmal jemand. Die 
Organisten und Chordirektoren finden ja selbst fur Kunstleistungen wenig Resonanz bei 
der Gemeinde oder bei der Gemeindevertretung, selten einmal bei einem musikinteres- 
sierten Geistlichen. (Da iibrigens am ehesten.) Also: bedarf man denn eigentlich noch 
in der protestantischen Kirche heute der Musik, ist man durchaus versucht zu fragen ? 

5. 

Wenn sich also wirklich der fur die Musik verantwortliche Beamte (das heifit, er 
sell eben kein Beaniter, sondern ein Kiinstler sein und ein Vorkampfer fur die Musik 
seiner Kirche) bemiiht alte Musik zu bringen, eine Tradition zu schaffen, die Horer zu 
erziehen, ihre Herzen und Ohren wieder fiir die alte a-capella Kuhst zu offnen — er 
stoftt auf zu wenig Verstandnis; denn es fehlt den Horern zu allem noch die Tradition 
des Horens. Dies erwies die kirchenmusikaliche Woche am deutlichsten. Es wurde da 
einmal ein Gottesdienst gehalten wie zur Zeit des 16. Jahrhunderts mit der alten Li- 
turgie, psalmodierend, den Wechselgesangen der Gemeinde, herrlichen Motetten und 
Choren von Joh. Walther, Stobaus, Eccard imd Vulpius. Die Horer langweilten sich, 
sobald sie aufgehort hatten sich zu wundern oder zu lacheln, seien wir doch ehrlich. 
Genau so innerlich unberiihrt stand man den anderen alten Meistern (ich nenne ein 
Paar: Tunder, Scheidt, Weickmann, Handl) und ihrer unbegleiteten Chormusik gegenuber. 
Man machte sich doch nichts vor. 

Es wurde die Matthaus-Passion von Schiitz gesungen, in ihrer urspriinglichen 
Form, unbearbeitet, ohne Begleitung, iibrigens in einer vortrefflichen Wiedergabe. 
Es war dasselbe. Eine kleine Weile fesselte die Art, dann wurde kein Eindruck 
mehr erzielt, nur die Worte des Evangeliums riihrten noch an der Seele der 
Horer. Dies hatte aber der Text ohne musikalische Rezitation audi getan. Fiinf- 
viertelstundenlang diese Musik war schon viel zu viel. Dazu kommt, dafi man das 
Bachsche Werk iiberall durchklingen hort. Das magsehr unhistorisch und falsch sein, 
aber Kirchenmusik ist kein musikgeschichtliches Kolleg. Gegen ihre Gefiihle konnen 
die Menschen nicht. Denn — und das ist ja uberhaupt der erste Grund — unser Ge- 
hor ist durch Orchester und Orgel (und Joh. Seb. Bach natiirlich) fiir die Musik dieser 



492 HEINRICH STROBEL 



Art vor aufig verdorben wie es durch Orchester und den modernen Eltigel fur das 
wundersame Cembalo verdorben ist Schon die Orgelmusik um 1600 spricht aus diesem 
Grunde mehr an als die a-capella-Chormusik, weil das Instrument an sich auf uns be- 
lebend wirkt. Auch hier wird der Masse die moderne Orgel stets mehr geben als die 
a te Pratorius-Orgel mit ihren rekonstruierten Barockregistern und den ungewohnten 
Klangfarben, so sehr diese auch die Kundigen entzucken. (Das tut ja das Cembalo 
auch.) Unsere Ohren sind ja so verdorben (andere sagen: verwohnt), dafi diese ganze 
wundervolle Kunst als primitiv empfunden wird, primitiv gleich entwicklungsunffihig. 
Dazu hort man nur alle Jubeljahre ein paar Kostproben — denn von einer Pflege 
kann keine Rede sein — in nicht zureichender Wiedergabe, wo soil die Bliite herkommen? 
Wenn man die Masse der Horer in den protestantischen Kirch en iiberhaupt nicht von 
vornherein endgiiltig abschrecken will, darf man ihnen diese alte Kunst nur in hochster Voll- 
kommenheit vorfuhren. Dafi dies geschieht, ist Sadie derer, in deren Hande die protestan- 
tisclie Kirchenmusik gegeben ist. Hier sollte nur einmal ganz klar gesagt werden, was ist. 

6. 
Die Synagogenmusik geht am Ubermafi, die protestantische Kirchenmusik am 
Fehlen der Tradition zn Grunde. Dafi die katholische Kirchenmusik nicht so stagniert, 
e » da ran, dafi die katholische Kirche stets so klug ist, sich neuen kimstlerischen Bestrebungen 
niemals zu verschliefien. . Sie versucht stets die hier wirklich uralte Tradition mit der 
Gegenwart zu verbinden. Von oben herunter wird dies gefordert, und die Glaubigen 
sind viel zu diszipliniert als dafi sie auch nur ein einziges Wort dagegen zu sagen 
wagten. Die Musik, die hier die Kirche bietet, und sei sie noch so modern, kommt 
eben von der Kirche und wird ebenso glaubig hingenommen wie alles andere. Daher 
kann man in katholischen Gegenden in den Kirchen modernste Musik horen, eine Messe 
von Joseph Messner, Psalmen oder ein Magnificat von Heinrich Kaminski werden ge- 
bracht Werke, die „berechtigten" Anstofi bei den Musikreaktionaren erregen, wenn 
sie, wie dies letztgenannte, beispielsmafien in Breslau im Konzertsaal aufgefiihrt werden . . . 
Man sehe, wie die ganze a-capella-Zeit lebt, in jeder italienischen Kirche hort man 
meisterhafte, stilvolle Wiedergaben, weil die Tradition nie abrifi, man vergleiche die 
Aktivitat des „Cacilienvereins" mit der des „Evangelischen Kirchen-Gesangvereins fiir 
Deutschland", man denke an den letzten Gipfel katholischer Kirchenmusik, an Bruckner, 
und man wird, alles das hier Gesagte nachdenklich betrachtet, nicht im Unklaren sein 
konnen, wie dem Verfall der protestantischen Kultmusik Einhalt geboten werden kann. 



MUSIKLEBEN*) 



Heinrich Strobel (Berlin) 

ZEITSCHAU 

Man erinnert sich jenes Preisausschreibens der Columbia-Grammophon- 
Gesellschaf t, von dem auch an dieser Stelle schon die Rede war. Zuerst wurde 

*) Der Teil ,,Musikleben" steht Vein diesem Heft an unter der verantwortlichen Sclinftleitung von 
Dr. Heinrich Strobel. ■ ■ ■ ■ 



ZEITSCHAU 493 



eine stilvolle Vollendung der h-moll Symphonie verlangt, dann einigte man sich auf 
Kompositionen im Geist Schuberts. Nun liegen die Preistrager vov: fiir Deutschland- 
Holland sind es Hermann Wunsch (750 Dollar fiir eine Symphonie), Kurt von Wblfurt 
(50 Dollar fiir Variationen iiber ein Thema von Mozart) und Johann C. Berghout 
(Ehrenzeugnis). Den internationalen Hauptpreis von 10000 Dollar erhielt Kurt Atter- 
berg fiir eine Sinfonie. Uber die Unproduktivitat der ganzen Angelegenheit ist kein 
Wort mehr zu verlieren. Aber iiber die Bemerkungen, welche die Genossenschaft 
deutscher Tonsetzer, als Beauftragte fiir die Zone Deutschland-Holland, zu dem 
Ergebnis des Preisausschreibens macht, sind noch ein paar Worte zu sagen. Sie wundert 
sich, dafi im ganzen „nur etwa 100 Partituren eingegangen sind, woraus sich der Riick- 
schlufi ergibt, dafi die schopferische Kraft unserer Komponistengeneration stark gehemmt 
ist, und das grofiziigige Preisausschreiben wie das eben durchgefiihrte sich da vielleicht 
anregend auswirken konnten". 

Uns scheint ein anderer Schlufi zutreffender. Die geringe Beteiligung an dem 
amerikanischen Unternehmen spricht fiir den gesunden Sinn der jungen Komponisten- 
generation. Sie lafit sich nicht durch unsinnige Preisausschreiben hemmen. Sie hat 
Wichtigeres zu tun, als Symphonien im Geist Schuberts zu schreiben. Auch wird sie sich 
hiiten, ihre Arbeiten einer Jury zu unterwerfen, in der Manner so ausgesprochen gegnerischer 
Einstellung zur neuen Musik sitzen, wie Schillings, Alfano oder Schalk. Man komme 
mit einer fruchtbaren Idee zu den jungen Musikern — und sie werden sie aufnehmen. 

Das ganze Preisausschreiben ist nicht nur bezeichnend fiir das kulturelle Parvenii- 
tum, fiir das bigotte, aufierliche Pietatsgetue der Amerikaner — es ist leider auch 
symptomatisch fiir die Einstellung der gesamten Grammophonindustrie. Die grofiartigen 
neuen technischen Mittel hangen im Schlepptau verblasener Ideologieh. Sie sind, nimmt 
man einige besonders verdienstiiche Platten der Deutschen Grammophon aus, Hort 
des Unlebendigen, der Kaminbequemlichkeit, des Kitsches, und konnten doch, richtig 
angewendet zu Tragern des Heutigen, Jungen werden. Man redet sich immer auf den 
Geschmack des Publikums heraus. Aber man front ihm nicht nur da, wo es aus ge- 
schaftlichen Griinden noch verstandlich erscheinen mag, sondern auch da, wo man freies 
Verfiigungsrecht hatte. Die Zehntausende von Dollars fiir eine produktive Idee auszu- 
setzen — daran denkt man leider nicht. Der Preis soil nun in Zukunft jahrlich ver- 
geben werden. Hoffentlich wird man einsichtig. 

Man konnte sich ein Beispiel nehmen am Frankfurter Rundfunk, der nun 
schon zum zweiten Mai bei einem fiihrenden jungen Musiker eine Arbeit zu seiner 
ausschliefilichen Verwendung bestellt hat. Im vorigen Jahr bei Hindemith ein Konzert 
fiir Orgel und Kammerorchester, in diesem bei Weill eine Kantate fiir vier Sanger und 
kleines Orchester: „Gedenktafeln, Grabschriften und Totenlieder". Es ist der erste 
Vorstofi, die musikalischen Mittel der Zeit den spezifischen Bedingtheiten des Rundfunks 
anzupassen. Von hier aus lafit sich allmahlich der neue Typus des musikalischen Send- 
spiels schaffen. Der Einbruch lebendiger Krafte in den Rundfunk ist inzwischen auch 
an anderen Stellen erfolgt. Der ostpreufiische Rundfunk hat zum ersten Mai einen be- 
deutenden modernen Musiker als Leiter berufen : Hermann Scherchen, und am Klind- 
worth-Scharwenka Konservatorium in Berlin hat Max Butting e n Studio fiir Badio- 
musik eingerichtet. , 



494 HEINRICH STROBEL 



Der Kampf um die Auffuhrungsgebuhren erregt augenblicklich die Gemtiter. 
Man wei6, dafi bei der Gem a Ungenauigkeiten vorgekommen sind. Inzwischen ist 
der belastete Hofrat Bryk aus der Gema ausgeschieden. ,.. Die Angelegenheil 
wird gerichtlich weiter verfolgt. Uber diesen Einzelfall hinaus interessiert die Frage der 
Auffuhrungsgebuhren ganz allgemein. Die Umwalzung ,des Musikverbrauches, die durch 
das Aufkommen des Rundfunks, durcb die gesteigerte Bedeutung der Filmmusik her- 
vorgerufen wurde, -mufi zu einer bedeutenden Erweiterung des Aufgabenkreises der Auf- 
fuhrungsrechts-Gesellschaften fiihren. Es bestehen nach den neuesten Verlautbarungen 
Moglichkeiten, dafi sich die verschiedenen Gesellscliaften . zu gemeinsamer Arbeit 
zusammennnden. Die Erreichung dieses Zieles ware nur zu wiinschen, damit 
endlich Klarheit gesehaffen und der Stoff zu standige.n, Konflikten beseitigt wird, bevor 
durcb die Griindung einer Verbraucber-Organisation erueut Reibungsflachen entstehen. 



Die Theater- und Konzertsa is on hat ungewohnlich stark eingesetzt. Schon 
im Oktober gibt es eine Reihe beach tlicher Urauffiihrungen. Die beiden wiclitigsten 
modernen Werke dieser Spielzeit werden aber erst in der zweiten Halfte der Saison 
herauskommen : Hindemiths neue Oper und Weills „Mahagonny". Reide unter 
Klemperers Leitung in der Berliner Staatsoper am, Platz der Republik. Wir ergiinzen 
unsere friiher bereits gegebene Uberschau uber die Urauffuhrungen durch die folgende 
Zusammenstellung, auf Grund der neuen Spielplane. Berlin bringt aufier den beiden ge- 
nannten Werken in der Oper Unter den Linden Anfang Dezember Schrekers „Singen- 
den Teufel", in der Stadtischen Oper Bittners „Mondnaclit" und bei Klemperer 
Janaceks „Memorien aus einem Totenhaus". „Sache Makropulos" erscheint in Frank- 
furt. Kassel kiindigt eine neue Oper von Dress el an: „Kuchentanz". Leipzig hat sich 
diesmal auf d'Albert („Schwarze Orchidee") und Wetzler („Raskische Venus") festgelegt. 
Darmstadt bringt die „Rettler-Oper" in historischer Fassung, Dusseldorf Reutters 
„Saul" in neuer Gestalt und „Der verlorene Sohn" und spater Windsp er gers Requiem". 
Dann eine Reihe neuer Namen: Rosenberg („Was Ihr wollt", Aachen), Scholz (,,Dpn 
Diego", Braunschweig), Wagner-Regeny („Moschopulos und der nackte Konig", Gera) 
Lothar („TyU", Weimar). 



Heinrich Strobel (Rerlin) 

DIE INTERNATIONALE IN SIENA 

l. 

Man mufite von dieser phantastischen Stadt erzahleh — von dem strengen, wehr- 
haften Mittelalter, das heute noch aus diesem Gewirr von engeri Gassen und dusteren 
Palasten, aus diesen gewaltigen Mauern und Toren, rings uni das nackte Felsfundameht, 
mit einzigartiger Unmittelbarkeit entgegenblickt. Man mtifite erzahlen von dieser 
wundervollen toskanischen Landschaft, sanft gewellt, in der tropischen Hitze dampfend, 



DIE INTERNATIONALE IN SIENA 495 

alii Abend, ' wenn die vereinzelten Cypressen, die verstreuten Gehofte sich dunkel ab- 
heben und die untergehende Sonne die Schatten scharf heraushebt, in stetig wechseln- 
den Farben schimmernd, — von San Gimigniano, dessen dreizehn alte Wehrtiirme sich 
vori der Hohe des Hugels in den blauen Himinel bohren: wundervolle Kronung des 
Landschaftsbildes, einer der unvergefilichsten Eindrucke, die Italieri, abseits vom plump 
industrialisierten Fremdeiibetrieb, bieten kann: Aber schliefilich sind wir der Musik 
wegen hier zusammengekommen. Um es vorauszuschicken : Man hat es an freigebiger 
Gastfreundscbaft, an grofizugiger Organisation nicht fehlen lassen. Die Empiange bei 
der Stadt. im herrlichen Palazzo Pubblico, beim senesiscben Mazen Conte Chigi- 
Sar acini hatten grofies Format, und die Sonderveranstaltung des Palio, eines farben- 
frohen Schauspiels auf dem Campo, das in einem hinreissenden Pferderennen kulminiert, 
liess das Sechste Fest der Internationalen Gesellschaft fur Neue Musik fur einen Nach- 
mittag wenigstens wirklich zum Volksfest werden. 

Das mag dem Presidium nicbt angenehm gewesen sein. Denn man wollte unter 
sich bleiben. In seiner Eroffnungsansprache betonte Professor Dent ausdriicklich, man 
habe Siena deshalb zum internationalen Festort gewahlt, weil seine Lage abseits vom 
grofien Verkehr, sein aristokratiscbes Geprage jene Intimitat und Exklusivitat garantieren 
wiirde, auf welch e es der I. G. N. M. ankame. Hier liegt das Problem offen. Was 
Frankfurt ahnen lie£, bestatigte Siena : die zunehmende Isolierung der I. G. N. M. Aus 
einer jungen Organisation, die unmittelbar nach dem Krieg die vorwartsdrangenden 
Krafte aller Nationen zu produktiver Arbeit sammelte, ist eine unproduktive Vereinigung 
geworden, die gewohnheitsmafiig Musikfeste veranstaltet — unbeschadet um das, was 
an Wesentlichem und Zukunftweisenden in der gegenwartigen Musik sich ereignet. Es 
gab in Siena wenig, was aufierbalb jenes engen Kreises von „Fachleuten' - inter- 
essiert hatte. Die Horer langweilen sich. Aufierdem bekommen sie zum Teil alte, 
langst abgespielte Arbeiten zu horen. Die deutsche Sektion beschliefit einen Protest 
„gegen die Abhaltung eines Musikfestes im Jahre 1929, falls nach Ansicht des Delegierten 
und der in Siena anwesenden Deutschen das dortige Programm den deutschen An- 
spriiclien wieder nicht geniigt". Der Protest unterbleibt, obwohl das Sienesische 
Programm noch erheblich hinter dem Frankfurter zuriicksteht. So wird man sich also 
im nachsten Jahre in Genf treffen und im iibernachsten in Ltittich. 

2. 

Man mufi nach dem Sinn derartiger Veranstaltungen fragen, xiber das Gesell- 
schaftliche hinaus. Im besten Fall konnten sie eine tlberscbau bieten tiber die richtung- 
gebende internationale Produktion. Freilich miifite da der enge Rahmen des Konzerts 
gesprengt, miifiten andere, inzwischen gewonnene Gebiete einbezogen werden. Das 
Wesentliche, Typische ware herauszustellen. Gerade aber die Nationen, welche die 
moderne Entwicldung fuhrend bestimmen, waren diesmal ganz ungeniigend verti-eten. 
Hindemiths Reihe kleiner Stiicke deutet, an der Grenze zwischen Konzert und neuer 
Hausmusik stehend und von Franz O shorn ganz vortrefflich gespielt, wenigstens die 
sachlich strenge Haltung der jungen deutschen Musik an. Aber schon Tiessens Duo fur 
Geige und Klavier, dann die .magere, den strawinskyschen Klassizismus zur leeren 
Spielerei verdiinnende Cellosonate von Casella, eine andere Gellosonate von Franco 
Alfano in ihrer peinlichen Opernhaftigkeit, das fade, akademisch sterile Quartett von 



496 HEINRICH STROBEL 



To m as sin i, das vollends gestaltlose Quartett von Frank Bridge: ist das irgendwie 
typisch? Selbst die schone Geigensonate von Ravel war hier niclit am Platz, wo man 
junge franzosische Musik erwarten mochte. (Man hatte sie unfranzosischer, kaum 
derber interpretieren konnen als diesmal.) Ernest Blochs aufdringliclies Klavier- 
quartett mufite auch wieder ertragen werden. Dafiir blieb unbegreiflicherweise das 
einzig neue Stiick des Schlufikonzerts, das Quintett von Prokofieff, im letzten Augen- 
blick weg — angeblich weil die Stimmen zu spat eingetroffen waren. 

Die wenigen wichtigeren Arbeiten sind schnell aufgezahlt. Martinus Quartett 
kennen wir scbon von Baden-Baden her. Ein klar geformtes Stiick von ursprtinglicher 
Musikalitat und stiirkster Volksverbundenheit. Der Schweizer Bobert Blum bekennt 
sich zu deutscher Polyphonic. Seine Musica per 8 stromenti fallt durch ihren gleichmafiigen 
melodischen Flufi, durch die saubere Haltung auf. Nicht alles ist so originell wie 
die Fuge, der Formbau sitzt noch nicht. Aber hier ist Talent. 

Manuel de Fallas Konzert fur Cembalo und einige Instrumente projiziert den 
neuen spielfrohen Konzerttyp ins Spanisch-Impressionistische. Ein reif'es und bezaubernd 
klingendes Werk mit einem kirchentonal archaisierenden Mittelsatz, gerade noch knapp 
genug, ran bei der relativ geringen thematischen Kontrastierung zu fesseln. 

Auch Anton Web ems neues Streichtrio, das an die Grenzen der Musik f'uhrt, ohne 
die suggestive Wirkung friiherer Arbeiten desselben Komponisten zu erreichen, erschien 
in Siena. Es gab den obligaten Tumult, in dessen Verlauf ein italienischer Kritiker sich 
ohne jeden Anlafi hatte beinahe zu Tatlichkeiten gegen eine fuhrende Personlichkeit 
der deutschen Musikkritik hinreifien lassen. 

Mochte die Idee eirjes Kammermusikfestes an sich schon bedenldich sein in einem 
Augenblick, wo sich die gesamte junge Musik von der reinen Kammermusik abwendet, 
so schien die iiberstrenge Fassung dieses Begriffs vollig unverstandlich. Bezeichnend 
genug fur die Tendenz der I. G. N. M., dafi die beiden Stiicke, welche die Briicke zur 
Gebrauchsmusik schlugen, nicht im Rahmen der offiziellen Konzerte zu horen waren. 
Es handelt sich in beiden Fallen urn geistreiche Stilisierungen des Jazz. Der Prager 
E. F. Burian stellt seine Voice-Band vor, ein Ensemble, das in. raffinierten Ubergangen 
vom rhythmischen Gerausch zum angedeuteten Gesang Dichtungen vortragt, oder Im- 
pressionen festhalt. Am besten ist das Parodistische — etwa das „Week-end" mit 
Bahnhofslarm und franzosisch-englischem Durcheinander oder die erregende Gestaltung 
moderner Tanztypen. Der Euglander Walton lafit in seiner „Facade" einen Sprecher 
durch das Megaphon rezitieren und macht dazu allerhand lustige, ausgezeichnet klingende 
Jazzmusik. Auch er ist am gliicklichsten, wenn er (nach Strawinskys Vorbild) parodiert. 

Die Italiener gaben drei Sonderkonzerte. Hatten sie die Diirftigkeit des offiziellen 
Programms eingesehen? Zweimal alte Musik: bei Molinari mit seinem klanglich 
einzigartigen Augusteo-Orchester und bei Casimiri mit seiner auch in Deutschland 
bekannten Polifonica Bomana. Beide Male war es alte Musik im Stile der expressiven, 
farbigen Musik des 19. Jahrhunderts. Dann dirigierte Casella die grandiosen „Noces" 
von Strawinsky. Trotz einer ungenauen, die wundervolle Harte Strawinskys 
nivellierenden Wiedergabe der starkeste Eindruck des Festes. Es ist das russisch-nationalste 
Werk des grofien Musikers, zukunftweisend wie kaum ein anderes aus seiner zweiten 




r 



MELOSBERICHTE 



497 



Schaffensperiode, noch von der hinreifienden Vitalitat der vorausgehenden grofien 
Ballette, aber auch schon von der Strenge und formalen Konzentration der spfitereii 
Arbeiten. Unbegreiflich, dafi es in Deutschland noch kaum gespielt wurde. 

3. 
Siena war das Fest der Belanglosigkeiten. Die I. G. N. M. hat daran gewifi selber 
viel Schuld. Doch ware es falsch, in i'hrer Isolierung allein die Ursachen fur das Mifi- 
lingen zu suchen. Sie liegen tiefer. Die Idee des Musikfestes ist iiberlebt. Was heute 
an wichtigen musikalischen Werken gutsteht, gehort nicht vor das Forum eines gesell- 
schaftlich-fesdichen Horerkreises. Die Grundlagen haben sich verschoben. Damit er- 
wachsen auch fur die I. G. N. M. neue praktische Aufgaben : intensive Pflege der Organi- 
tation, Forderung der internationalen Zusammenarbeit. Die I. G. N. IVI. als representative 
Vereinigung der modernen Musiker mufite einen kunstpolitischen Machtfaktor darstellen. 
Dazu ware allerdings erforderlich, dafi sie auch wirklich alle schopferischen Krafte neuer 
Musik umfafit. 



MELOSBERICHTE 



„A'gyptische Helena" 
u. „Dreigrosclienoper" 



in 



Berlin 



Die Arbeitsgebiete 
der Berliner Oper 
haben sich deutlich 
gegeneinander abge- 
grenzt. Das Haus 
Unter den Linden dient der reprasentativen 
Oper grofien Stils mit einer Elite grofier 
Namen. Die Stadtische Oper spielt fiir den 
bequemenMittelstandsabonnenten ein durch- 
schnittliches Provinzrepertoire. Nur wenn 
Walter am Pult ist, gibt es aufierordent- 
liche Leistungen. Die lebendigen Krafte 
sammehi sich bei Klemperei; der Legal 
iiber sich als Intendanten gesetzt hat. Die 
beiden entscheidenden Urauffuhrungen 
dieses Winters finden bei ihm statt. Meister- 
werke der Vergangenheit werden von einer 
muffig gewordenen Tradition gereinigt. 
HofFen wir, dafi man das hohere Ziel er- 
reiche : Schaffung der neuen Volksoper, in 
der „Volk" nicht eine dumpfe, gesti'igen 
Bildungsidealen nachhaogende Masse ist, 
sondern Leben in sich tragende, aktive 
Gemeinschaft. 

Unter den Linden konnte man nicht 
umhin, die „A'gyptische Helena" herauszu- 
bringen, obwohl man gegen den neuen 
Straufi von vorneherein etwas skeptisch 
war. Aber representative Verpflichtungen 
wiegen schwerer als die Qualitaten eines 



Kunstwerkes. Es ist nichts anderes iiber 
diese Oper zu sagen, als was nach der 
Dresdener Auffuhrung an dieser Stelle be- 
reits gesagt worden ist. Im Text sind 
Antike, Zauberoper und Wienerische Ge- 
schmaclderei miteinander vermengt und 
mit einer theaterferner Symbolik iiberladen. 
Die Musik, von ausgesprochen lyrisch-kan- 
tabler Haltung, zehrt von Erinnerungen an 
Wagner und an die eigne, heute auf ferner 
Hohe liegende ,,Ariadne". Die Substanz ist 
zusammengeschrumpft - die reicheKoloristik, 
friiher als Exponent des SubstanzieUen zu 
verstehen, ist Sache der Boutine geworden. 
Natxirlich kann man die Meisterschaft be- 
wundern, mit der alles gemacht ist. Aber 
wird das ein Lob bedeuten bei einem 
Kiinstler, der in der Vollkraft seines Genies 
einmal Werke wie „Elektra" und „Ariadne" 
geschrieben hat? 

Die Berliner Auffuhrung ist ein Triumph 
des klarenden, iiberlegenen Dirigen ten turns 
von Leo BlecJi und der phantastischen 
Szene, die Aravantinos schuf: eine reiche 
Marchenpracht, aufierst geschmackvoU ab- 
getont und mannigfaltig bewegt — wobei 
sich auch Gelegenheit bietet, die tech- 
nischen Million enwun der der Biihne vor- 
zufiihren. Es ist weiter ein Triumph zweier 
prachtvoller Sopranstimmen : Maria Midler 



498 



MUSIKLEBEN 



(Helena) und Maria Raj dl (Aithra). Kraft 
und vollendete Schonheit im Gesang der 
M tiller, die in der Erscheinung freilicli nur 
jenen hausfraulichen Helenatyp verkorpert, 
den StrauS und Hofmannsthal am Schhifi 
glorifizieren. Beweglichkeit und feinste 
Charakteristik bei der Rajdl, deren hohe 
Kunst man schon in Dresden bewunderte. 
Wie konnte man aber den hSlzerneti, ge- 
prefit singenden Laubenthal gerade ftir die 
Rolle des Menelas aus Amerika hertiberholen ? 

Das entscheidende musikalische Eveignis 
der Vorsaison war die Aufftihrung der 
„Dreigrosche7ioper" von Breclit und Weill. 
Nichts ist bezeichnender fur die augenblick- 
licbe Situation, als daft dieser gewaltige 
Erfolg eines neuen musikalischen Spiels sich 
aufierhalb des tradition ellen Operntheaters 
ereignete. Man kann diesen Erfolg nicht 
wichtig genug nehmen — gerade in einem 
Augenblick, wo sich Geftililskitsch in so 
fragwtirdiger Gestalt wie „I< riederike" von 
Lehdr wieder aufreckt. Mit der Dreigroschen- 
oper erfolgte der Einbruch eines neuen 
unterhaltenden Theaters, jenseits vom durch- 
schnittlichen Amusier- und Rtihrbetrieb, in 
die grofie Masse der Horer. Die seit Jahren 
verschimmelnde Operette ist uberwunden. 
Aus der alten englischen „Beggars Opera", 
selber schon ein aggressiv parodierendes 
Werk, entstand unter den Handeh von 
Brecht und Weill ein leichtes Zeitstuck, in 
dem Rauberromantik und Verbrechertum, 
Operette und Variete auf einer neuen Ebene 
zur hinreifienden Einheit gebunden wird. 
Ein gelostes Spiel mit nestroyschen Ztigen: 
Kampf zwischen einer Einbrecherbande 
und einer Bettlerorganisation. Sauber- 
keit, Klarheit anstelle klebriger Erotik und 
abgenutzter Handlungsklischees. Lebensnahe, 
Offenheit anstelle verblasener Operetten- 
ideologie. Und hinter diesem von jeder 
plumpen Bequisitenaktualitat freien Ge- 
schehen als aktive Macht die um ikre 
nackte Existenz ringende Masse mit ihrer 
antiidealistischen These : „Zuerst das Fressen 
und dann die Moral". 

Ahnlich wie in Strawinskys richtung- 
gebender „Geschichte vom Soldaten" wachsen 
gesprochene Handlung und Musiknummern 
vollig ineinander. Wort und Gesang stutzen, 
steigern sich gegenseitig. Weill ist den 
Weg seines „Mahagonny" konsequent weiter- 



geschritten. Auch der Musiker setzt aufier- 
halb der Oper an. Aus. den Elementen 
des Jazz hat er eine hochst personliche, 
mit polyphonen Gestaltungswerten durch- 
drungene Tonsprache gewonnen. Die alte 
opernhafte Grofiform ist durch Lied, Couplet 
und Ballade verdrangt. Musik von leich- 
tester Greifbarkeit bei hoher Qualitat — 
flie£ende, eindringliche, an vielen Stellen 
erregende Melodik, ungemein lebendige, 
wiederum weit tiber den Jazz hinaus- 
stofiende Harmoriik. Welche Ftille der 
Einfalle — immer in unmittelbarer Be- 
ziehung zur Szene. Welche Farbigkeit im 
Klang der paar Jazzinstrumente, zu denen 
— ein glanzender Effekt — einige Male 
die Orgel tritt. Zwischenspiele greifen die 
Gesangsmelodien auf, stellen sie in neues 
Licht, geben ihnen wechselnden Hinter- 
grund durch geistvolle Kontrapunktierung, 
An dem garnicht zu uberschatzenden Er- 
folg hat die wundervoll leichte Aufftihrung 
mit Rosa Valetti, Charlotte A nder, Erich Ponto, 
Harold Paulsen und der ausgezeichneten 
Ruth Lewis Band hervorragenden Anted. 

Heinrich Strobel (Berlin) 

Honeggers „Judith" Honeggers szenische 
in Darmstadt Oratorien, als Proto- 

typ ihrer Art ge- 

nommen, geben in ihrer Stellung in der Zeit 
eine Reihe schwerwiegender, asthetischer 
Fragen zu losen. Die beiden allgemeinsten 
lauten wohl: Wie ist dramatisch und wie ist 
musikalisch das Bestehen dieser Werke zu 
deuten, von denen ja nur eines hatte ge- 
schaffen zu werden brauchen, um sogleich 
als Beispiel einer Gattung dazustehen. 
Welches religiose oder zumindest festliche 
Feierbegehren hat den Autor zur Wahl 
seines Stoffes bewegt ? Wo lebt unter 
uns eine kultische Stimmung, die bereit 
ware, solchem Gegenstand Aufnahme zu 
gewahren ? Ist sie etwa in der Gesamt- 
heit jedes musikalischen Auditoriums mit- 
enthalten? Ist es vieHeicht die Wirkung 
des allgemeinenVerlangens nachErneuerung 
der Opernform, die den Komponisten auf 
das Oratorium als einen neuen Anfang 
zurtickgreifen lafit ? Ubt schliefilich die Fest- 
spieltradition seines Volkes, jene standige 
nationale Feierstimmung, die sicherlich am 
Grunde der freskohaften Gestaltungsweise 



MELOSBERICHTE 



499 



eines Hodler, eines Spitteler, eines Ramuz 
und Amiet steht, ihren enlscheidenden Ein- 
fluG auf' das konzeptive Verhalten auch dieses 
Kiinsders aus ? 

Denn auch im Musikalischen sclieint 
una die grofie, andeutende Alfreskolinie 
auffallend und bestimmend in diesen 
Werken Honeggers zu sein. Die Begriindung 
der musikalischen Gedanken und ihre 
Entwickhing begniigt sich so durchaus 
mit der Aufgabe sinnfalliger Beschreibung 
des Einzelvorgangs, dafi man geneigt ware, 
an eine blofie Biihnenmusik zu glauben, 
welche die eigentliclisten, tiefsten drama- 
tischen Wirkungen einem gesprochenem 
Dialog uberliefie, dem gegeniiber sie nur 
Begleiterscheinung ware. Da es sich doch 
aber bei der „Judith" sowohl wie auch bei 
dem theatralischer,farbiger angelegten Fresko 
des „Konig David", um ein rein musika- 
lisches Kunstwerk handelt, kann ein drama- 
tischer Tiefenakzent, der aufierhalb der 
Musik lage, nicht beabsichtigt sein, sondern 
nur die musikalisch-formale Wirkung des 
reinen Oratoriums. Hier aber liegt das 
Problematische in Honeggers Leistung. Denn 
als Trager eines Gebaudes absoluter Musik, 
dessen Wirkung iiber seinen literarischen 
Gegenstand weit hinausgehen miifite, sind 
die kargen Melismen weder in den Solo- 
noch in den Chorstiicken stark genug. 

All diese Folgerungen liefien sich dem 
mit der Darmstadter Buhnenauffiihrung an- 
gestellten Versuch klar entnehmen. Die 
Spannung dramatischen Geheimnisses wiirde 
vielleicht noch gewonnen haben, wenn 
Sanger und Chor (wie es so weise die 
Regieanordnung in Strawinskys „Odipus" 
verlangt) auf einer Ebene zweidimenssional 
und statuarisch sich geaufiert hatten. Die 
herausfordernde Vieldimension der Buhne 
aber und ihre peinliche Akzentuierung durch 
fadenscheinige Dekorationsideen und faden- 
scheinigeres „Tanzkongrefi"-Kunstgewerbe 
umgaben erst das sparsam niichterne Pathos 
der Honeggersch en Musik mit einem Plunder- 
kram, der als Auldringlichkeit eines Bettlers 
wirken mufite. Um wieviel dramatischer, 
um wieviel echter kam da doch letztes Jahr 
der „K6nig David" in Schercheus pracht- 
voller Konzertauffiihrung zum Leben trotz 
aller kleinen Bluffs wie des Hexenrufs aus 
Orchestertiefen. 



Die Darmstadter Auffuhrung stand unter 
Leitung von Dr. Karl Bohm, dem Orchester 
und vor allem Chor nicht restlos folgten. 
Als Solisten gaben ihr Bestes Elsa Varena 
(Judith), Regina Harre (Magd), Maria Kienzl 
(Klagende), Hans Komregg(li<Aoievne,s), Theo 
Herrmann (Osias) und Eugen Vogt (Bagoas). 

Ernst Schoen (Frankfurt a. M.J 



Neuer Geist 
in Konigsberg 



Seiner voriibergehen- 
den Belanglosigkeit 
wegen hatte man 
keinen Anlafi, von 
Konigsberg Notiz zu nehmen. Das ist seit 
einem Monat anders geworden. Die Oper trat 
aus volliger Stagnation unter der neuen In- 
tendanz Hans ScJiiilers mit einer meister- 
haften Inszenierung des „Don Giovanni" 
in ein neues Stadium. Vortreffliche Sanger 
(Nina Liltzow, eine Sopranistin von Rang, 
der Tenor Josef Poerner, der Bariton Carl 
Stralendorf) und die ausgezeichnete Person- 
lichkeit Werner Ladwigs, des musikalischen 
Oberleiters der Oper, schufen eine Muster- 
auffuhrung. 

Ein Ereignis fur das musikalisch recht 
riickstandige Konigsberg aber wurde die 
deutsche szenische Urauffuhrung von Stra- 
winskys Ballett „Rnssisclie Bauej-nhochzeit" 
(Les noces). Der durchschlagende Erfolg 
ist in erster Linie Ladwigs glanzender 
musikalischer und Marion Herrmanns eben- 
biirtiger tanzerischer Leitung zu verdanken. 
Das Werk mufite in seiner eigenartigen 
Klangwirkung (das Orchester besteht ledig- 
lich aus vier Klavieren und Schlagzeug) 
und in der Frische seiner elementaren 
Rhythmik mitreifien. 

Das Konzertwesen hat in Hermann 
Scherchen, der soeben zum stadtischen 
Generalmusikdirektor ernannt ist, einen 
idealen Fiihrer gefunden. Im Rahmen der 
Abonnementskonzerte wird die Moderne 
im engeren Sinne zuriicktreten. Das Klavier- 
konzert von TocJi fand n^it Walter Frey 
als Solist begeisterte Aufnahme. Man ist 
in solchen Fallen erstaunt iiber ein Pu- 
blikum, das man so lange fur unbildsam 
halten mufite, als nicht die rechten Manner 
an der Spitze des Musiklebens standen. 

Der Rundfunk hat unter Hermann 
Scherchens musikalischer Oberleitung einen 



500 



MUSIKLEBEN 



ungeahnten Aufschwung genommen. Inner- 
lialb weniger Wochen erlebten wir Auf- 
fuhrungen von Strawinskys „Geschichte vo.rn 
Soldaten", Webers „Euiyanthe", Purcells 
,Dido und Aeneas". Dazu kommen ein 
Schweizer Komponistenabend und klassische 
Musik. Schercben setzt seine ganze produk- 
tive Personlichkeit an die dankbare Auf- 
gabe ein vorbildliches Rundfunkprogramm 
zu schaffen. Dafi mancbe Probleme dabei 
erst aufgeworfen werden, wie beispielsweise 
das der Sendeoper, ohne dafi sie ini Augen- 
bliclc einer Losung entgegengefuhrt werden 
konnen, liegt irn Wesen der Sacbe. Fur 
die nachsten Wochen plant Scherchen als 
Wichtigstes Strawinskys „Odipus Rex", 
Busonis „Faust" und Backs „Musikaliscbes 
Opfer". 

Herbert Gerigk (Konigsberg) 



Wellesz 

in Mannheim 



Eines ist klar: die 
Oper verlangt nach 

einer Umformung. 
Wie diese Transfor- 
mation geschehen soil, wohin der Weg geht, 
steht noch nicht fest, kann noch nicht fest- 
stehen, in einer Zeit, die das Feststehende ini 
Grande garnicht will. So sehen wir zwei 
Richtungen: Die eine heifit Kurzoper und 
scheut sich nicht, sich zum Amusement zu 
bekennen. Die andere heifit Kultoper und 
glaubt an die Gottlichkeit der Musik. 

Egon Wellesz' Oper „Die Prinzessin 
Girnara" ist eine solche Oper der Gesinnung. 
Der Textdichter, kein geringerer als Jakob 
Wasserniann, entnimmt der indischen Le- 
gende, die er schon einmal, in dem Roman 
„Christia n Wahnschaffe" benutzt hatte, einen 
seelischen Vorgang. Die Prinzessin ver- 
wandelt durch ihre Seelenreinheit sich 
selbst und die Menschen nm sich. Im 
Augenblick des grofien Liebeserlebens finden 
sich zwei Menschen, Girnara und Prinz 
Siho, und werden ineinander und mitein- 
ander verwandelt — Idee der Ehe. Psycho- 
logisch bleibt manches unverstandlich. Da- 
rauf aber kommt es nicht an. Wie in der 
antiken Tragodie, die Wellesz erneuern 
will, ist es ein stilisiertes Geschehen, ist es 
das Schicksal als Idee, das sich erfullen soil. 
Die knappen Formulierungen Wasser- 
manns kommen dem Komponisten ent- 



gegen. Er entwickelt aus einem Ureinfall, 
aus einem musikalischen Motiv das musi- 
kalische Rild. Noch ist es ein glanzendes, 
schillerndes symphoiaisches Gewebe mit 
eiiiem Reichtum von thematischen, har- 
monischen, orchestralen Feinheiten, denen 
Kiihnheiten von erstaunlicher Pragnanz 
gegenuberstehen. Noch ist nicht die grofie 
Linie erreicht (das Werk liegt seiner Ent- 
stehung nach einige Jahre zuriick und ge- 
wisse Anderungen bezogen sich nur auf 
spezieUe Mannheimer AufFuhrungsbediirf- 
nisse). die Wellesz spater in seiner Oper 
„Alkestis", die 1924 in Mannheim urauf- 
gefuhrt wurde, herausgearbeitet hat. Aber 
schon fiihlt man den When zur Gestalt, 
die liber das individualistische Detail obsiegt. 



Die ausgezeichnete Wiedergabe war fur 
WeUesz ein voller Erfolg, der den Rlick 
auf das fast vergessene Werk lenkt. General- 
musikdirektor EricJi Ortlimann, der friihere 
erste Kapellmeister, Nachfolger des nach 
Breslau tibersiedelten Richard Le/t, bekannte 
sich mit solchem Spielzeitbeginn zur neuen 
Zeit; ein Bekenntnis, das er mit dem General- 
programm der Oper und dem der ihm 
unterstellten musikalischen Akademien des 
Nationaltheaterorchesters unterstrich. Noch 
ist alles Plan und Intention eines neuen 
Mannes. Man wird eine Bewahrungsfrist 
abwarten miissen. 

Die Akademiekonzerte kann man das 
Herzsttick des musikalisclien Lebens in 
Mannheim nennen. Zum erstenmal wird 
nun der Biihnenvolksbund eine Parallelreihe 
mit dem Frankfurter Symphonieorchester 
unter dem Mannheimer Max Sinzheimer 
veranstalten. Was wichtig ist: zu niedrigeren 
Preisen. Rechnet man dazu noch die Or- 
chesterkonzertedesPhilharmonischenVereins 
und die unubersehbare Fiille von Solisten- 
und Chorkonzerten, so steht man vor einer 
Konzert-Inflation, die in wirtschaftlicher 
Hinsicht bedenklich stimmt. Auf der anderen 
Seite mochte man dieRivalitat als aneiferndes 
Moment nicht ausgeschaltet wissen. Sie wird 
besonders der neuen Musik, die in Orchester- 
konzerten bisher sehr stiefmutterlich be- 
handelt wurde, zugute kommen. 

Zu bedenken ist in diesem Zusammen- 
hang weiterhin, dafi das benachbarte 



MELOSBERICHTE 



501 



Ludwigshafen, bisher Grofiabnehmer fur 
Mannheimer Kunst, seit einigen Jahren ein 
eigenes, das Pfalzorchester, besitzt und am 
29. September ein grofies modernes Haus, 
den „Pfalzbau" , mit Theater- und Konzert- 
saal und Gesellschaftsraurnen feierlich ein- 

geweiht hat. Karl Laux (Mannheim) 

Die musikalische Die Massiemng d er 

Gi'oiSstadte mi rhem.- 



Situation im 
Rulirrevier 



westfalischen In- 

dustriebezirk, die zu 

den scharfsten Kon- 
kurrenzkampfen Anlafi gibt, hat eine Mas- 
sierung von Orchestern und Opern zur Folge 
gehabt, deren wirtschaftliche Tragbarkeit 
um so fragwiirdiger ist, als entscheidende 
Impulse bislang von hier nicht ausgegangen 
sind. Wenn man bedenkt, dafi ein Gebiet, 
wo in Abstanden von 20 Bahnminuten 
sechs Grofistadte mit zusammen zwei Mil- 
lionen Einwohnern Hegen, nicht weniger 
als fiinf grofie Orchester und vier leistungs- 
fahige Operntheater aufweist; wenn man 
bedenkt, dafi dieses Gebiet ungeheuere 
Entwicklungsmoglichkeiten in unerschlos- 
senen Publikumsmassen hat: so mu(! man 
sich wundern, wie wenig hier an Doku- 
menten der Zeit aufgefangen wird, wie 
wenig Anregungen von hier in das musi- 
kalische Schaffen der Zeit iibergehen. 

Die beiden Fiktionen : des musiklieben- 
den Rheinlands und einer Gesellschafts- 
schicht, die sich aus der Welt der Arbeit 
in die pathetische Feierlichkeit und den 
Gehihlsrausch romantischer Tonmalerei 
sehne, haben es verursacht, dafi ein plan- 
loser Musikbetrieb einrifi, an dem die 
musikalische Entwicklung spurlos voriiber- 
ging. Die Machte, die unter der epigo- 
gonalen Devise „gesunder Fortschritt" die 
akademische Reaktion zu fordern suchten, 
schwommen munter mit. Die Krafte, die 
sich den zu aktiven Energien der Zeit, der 
wirklichen Umwelt bekannten, standen iso- 
liert. Eine Personlichkeit von Charakter, 
die das Neue, das Wesentliche stiitzte: 
Rudolf Schulz-Dornburg sah man vor 
Jahren beruhigt aus Bochum scheiden. 
Selbst eine so gemafiigte Natur wie Paul 
Scheinjjflug, die immerhin Initiative und 
Verantwortung genug besafi, um den Kon- 
zertbetrieb nicht vollig der neuromantischen 



Verwaschenheit auszuliefern, versuchte man 
in Duisburg nicht zu halten. Sj'mptomatisch 
bei solchem Personenwechsel ist immer die 
Art, wie der Nachfolger ausgewahlt wird. 
Duisburg hat fur den kommenden Musik- 
winter eine Liste von dreizehn Gastdiri- 
genten aufgestellt, die die heterogensten 
Namen enthalt. Neben ein paar Stardiri- 
genten befinden sich darunter offenbar die 
Kandidaten fiir den Generalmusikdirektors 
posten. Ein merkwiirdiges Verfahren, da- 
zu nichts fiihren kann, das aber mit seiner 
Schein-Objektivitat, hinter der sichSchwache 
und Unsachlichkeit verbergen, die Unent- 
schlossenheit, die Ziellosigkeit des kiinst- 
lerischen Lebens im Westen charakterisiert. 
Besonders auffallend: da6 Hermann 
Scherchen, der unbedingt an eine fiihrende 
Stelle gehorte, der im Ruhrgebiet den von 
ihm oft geforderten Typ der Studienkon- 
zerte verwirklichen konnte, zwar auf der 
Liste steht, sein Konzert aber mit Beet- 
hoven und Bruckner nicht in Duisburg 
selbst, sondern in dem benachbarten, durch 
Vertrag an das Duisburger Orchester ge- 
bundenen Miilheim absolvieren soil. 

Die Programme? — Man hofft, dafi 
sich nach Uberwindung technischer Schwie- 
rigkeiten aus der Zusammenarbeit des In- 
tendanten Gsell mit dem Musikdirektor 
Sieben fur Dortmund ein neuer Auftrieb 
ergeben wird. Wenn man die neuen Pro- 
gramme von zwei, drei Stadten hinter- 
einander liest, erschrickt man. Sie sehen 
aus, als waren sie voneinander abgeschrieben. 
Alles sturzt sich auf Bruckner. Beethoven 
und Brahms werden in Serienauffuhrungen 
hineingezerrt, die ihr Bild zerstoren und 
ihre Besonanz schadigen miissen. Bezeich- 
nend die Seltenheit von Mozart. Mit Bach 
wird kokettiert. Eine Mode : kein bewufites 
Hindeuten auf einen Gegenpol. Hindemith 
erscheint an zwei Abenden — in Diissel- 
dorf und Essen. Was sonst sporadisch an 
zeitgenossischer Musik auftaucht, gehort 
fast durch weg der sogenannten „Neuro- 
mantik" oder dem Leipziger Akademis- 
mus an. Auch in Diisseldorf, wo Hans 
Weisbach immerhin ein Programm mit 
neuen Namen und weniger als sieben Ur- 
auffiihrungen aufgestellt hat, ist die Bevor- 
zugung des Unverbindlichen unverkennbar. 
Dennoch bleibt Diisseldorf die lebendigste 



502 



MUSIKLEBEN 



Musikstadt des Reviers, die nicht daran 
denkt, sich hinter der „Tradition" zu ver- 
schanzen, sondern den Willen hat, klarend 
zu wirken. Der bewegliche Typ Weisbach 
bildet einen wohltuenden Gegensatz zu 
jenen Sattelfesten, die von der gestrafften, 
klaren Kunst des Heute keine Vorstellung 
habenundsichinihrerVerlegenheitdesTricks 
bedienen, dem Publikum das als „ver\vorrene" 
Gegenwart vorzufiihren, was einmal der An- 
fang dieser Gegenwart war : sie kontrastieren 
sinnlos Symphonisches und Antisympho- 
nisclies, urn zu verwirren und ihre eigene 
Beziehungslosigkeit zur Zeit zu rechtfertigen. 

In diese Situation hinein kommt nun 
im nachsten Jahr der Allgemeine Deutsche 
Musikverein, mit dessen Fest zum ersten 
Mai — in Duisburg — eine Opernwoche 
verbunden werden soil. Unter den drei 
Urauffuhrungen („Konig Roger" von Szy- 
manowski, „Troerinnen" von Peeters, 
„Mascliinist Hopkins" von Brand) sieht 
man vornehmlich der letzten mit Interesse 
entgegen. Schon die blofie Ankundigung 
einer Oper, die irgendwie auf die Zeit Be- 
zug nimmt, hat eine nicht zu unter- 
schatzende Wirkung gehabt. Der Kapell- 
meister Drach und noch deutlicher der Re- 
gisseur Schum von der Duisburger Oper 
haben sie zum Anlafi zu offentlichen 
AuGerungen genommen, die einem Protest 
gegen die Zeitabgeschnittenheit der Duis- 
burger Spielplane (auf die sie also offenbar 
wenig Einflufi haben) gleichkommen. 

In der Jury des A. D. M., die diese Stiicke 
auswahlte, sitzt (neben Alban Berg und 
Joseph Haas) bekanntlich Budolf Schulz- 
Dornburg, den ins Ruhrgebiet zurtick- 
gerufen und zum Operndirektor von Essen 
gemacht zu haben, ein unbestreitbares Ver- 
dienst des Oberburgermeisters Bracht bleibt. 
Die Arbeit, die Schulz-Dornburg im vorigen 
Herbst mit Mozarts ,,Idomeneo" begann, 
und die dann in planvollem Aufbau iiber 
den ,.Boris" zur deutschen Uraufftihrung 
von Honeggers ,, Antigone" fiihrte, erlitt 
durch eirie mit offenen und versteckten 
Skandalen arbeitende reaktionare Hetze 
einen empfindlichen Riickschlag. Dieses 
Jahr versuclit er es, die Auseinandersetzung 
mit neuen Stromungen unter grofierem 
Entgegenkommen auf dem Gebiet der 
Publikumsopern (die natihiich entstaubt 



werden sollen) durchzufiihren. Um so not- 
wendiger ware es, die Folkwangs chide fur 
Musik, Tanz und Sprache aus dem ziemlich 
isolierten Schulbetrieb herauszuziehen und 
zu einem geistige Bewegung schaffenden 
und beeinflussenden Faktor zu machen. Es 
wirken — nach innen — eine Reihe aus- 
gezeichneter Lehrkrafte an dieser Schule; 
darunter Fritz Jocle, der Fiihrer der deutschen 
Jugendmusikbewegung. Sie mtifiten auch 
nach aufien wirken: iiber die Fachkreise 
hinaus Resonanz bekommen. Schulz-Dorn- 
burg miifite also die latenten Krafte seiner 
Schule mobilisieren und eine aktive Front 
schaffen: die Probleme der Zeit aufgreifen, 
ihre Diskussion erzwingen. Nachstes Ziel: 
Verbindung zwischen Schule und Theater; 
allmahlicher Aufbau eines Opernensembles 
aus den Zoglingen der Folkwangschule ; 
zentraler Einsatz der neuen Truppe im Sinne 
der an ihr geleisteten Erziehung. Nicht: 
Organisation. Sondern: Organismus. Atmo- 
sphare schaffen: unerlafiliche Voraussetzung 
eines fruchtbaren Kampfes, der Widerspruch 
aus Uberzeugung heraus fordert und den 
Widerspruch aus Bequemlichkeit zum 
Schweigen bringt. 

Generalintendant Iltz hat das erste Jahr 
seiner Dusseldorfer Tatigkeit darauf ver- 
wandt, den gesamten Spielkorper zu er- 
neuern und durch kluges, zielbewufites 
Vorgehen Boden zu gewinnen. Er hatte 
mit Strawinskys „Oedipus Rex" und Weills 
„Der Zar lafit sich photographieren" einen 
ausgesprochenen Erfolg. Die diesjahrige 
Saison begann mit einer von Iltz unter dem 
Stigma der kiinstlerischen Wahrhaftigkeit 
besorgtenNeuinszenierung der „Zauberflote", 
in der die Arien von der Spielhandlung 
abstrahiert und auf einer Art Konzert- 
podium gesungen wurden. Ein vorziiglicher 
Auftakt. Neben fltz wirkt der vom letzten 
, Baden-Badener Kammermusikfest in bester 
Erinnerung stehende Regisseur Friedrich 
Schramm. Auch der Ubergang Jascha 
Horensteins vom Konzert- zum Opernpult 
ist durchaus gelungen. Die Aspekte sind 
giinstig. Die nachsten Monate werden 
dariiber Aufschlufi zu geben haben, wie sie 
Bruno Iltz zu nutzen gedenkt. Wich tiger als 
alle momentanen Erfolge und Mifierfolge, ist 
der Geist, aus dem sie entstehen. 

Erik Regei 



NOTIZEN 



503 



NOTIZEN 



OPER UND KONZERT 

„Debora und Jacl", eine neue Oper von Ilde- 
brando Pizzetti gelangte am Opernhaus in Hamburg 
zur deutschen Urauffiihrung. 

Alban Bergs „]Vozzeck" gelangt in dieser Spiel- 
zeit am Landestheater zu Oldenburg und am deutschen 
Nationaltheater zu Weimar zur Auffiihrung. 

Bila Bartok hat ein neues Streichquartett ge- 
schrieben. 

/. M. Hauer hat ein Klavierkonzert fiir Eduard 
Steuermann und ein Violinkonzert fur Stefan Frenkel 
komponiert. Neue Orchesterstiicke von Hauer bringt 
Klemperer diesen Winter zur Urauffiihrung. 

Die Orchestersuite op. 3 von Hans Wedig wird 
im Oktober in Aaclien (Peter Raabe) uraufgefiihrt. 
Weitere Auffuhrungen sind in Berlin (Kleiber), Bonn, 
Dortmund und Miinster. 

Aus Anlass der Veranstaltung „Berlin im Liclit" 
finden Promenadekonzerte statt, fiir die Kompositionen 
bei Butting, Tiessen und Weill bestellt wurden. Ein 
erfreulicher Vorstoss, die Musik aus ihrer Isolierung 
zu befreien. 

Generalmusikdirektor Albert Bing wird in einem 
Orchesterkonzert mit dem Berliner Sinfonie-Ordiester 
im Dezember in Berlin u. a. Conrad Beck's Sinfonie 
Nr. 3 fur- Streicher zur Erstauffiihrung bringen. 

Kapellmeister Robert F. Denzler von der Stadt. 
Oper in Berlin wird in der kommenden Saison 20 
Konzerte in der Schweiz dirigieren und u. a. in Genf 
als Erstauffiihrungen bringen: Beck, „Sinfonie No. 3", 
Tocli, „Kom6die fiir Orchester" und Hindemith, 
„Nusch-Nuschi-Tanze". 

PERSONA LNACHBICHTEN 

In Miinchen starb im Alter von 60 Jahren der 
als Wagnersanger viel genannte Tenor Enjar Forch- 
hammer. Er war an den Opern von Dresden, Frank- 
furt und Wiesbaden, tatig. 

Zum Leiter des Hochschulchores ist als Nach- 
folger von Professor Siegfried Ochs Generalmusik- 
direktor Carl Sdiuriclit aus Wiesbaden berufen worden. 
Schuricht svird seine neue Berliner Tatigkeit in vollem 
Umfang bereits im Oktober beginnen. 

Bertold Goldschmidt wird von jetzt ab auch als 
Dramaturg am Landestheater in Darmstadt tatig sein. 

Der Geiger Hans Bassermann wurde als Nach- 
folger von Henri Marteau an das Landes-Konserva- 
torium in Leipzig berufen. 

Franz Osborn wurde an das Klindworth-Schar- 
wenka-Konservatorkim in Berlin als Lehrer fiir Klavier 
berufen. 

In Frankfurt am Main wurde eine Ortsgruppe 
der „Internationalen Gesellschaft fiir Neue Musik" 
gegriindet. Vorsitzender ist Licco Amar. 



MUSIKPADAGOGIK 

Auf Anregung von Musikern und Musikfreunden 
des In- und Auslandes wird im nachsten Friihjahr in 
Berlin eine „Deutsdie Musikakademie fiir Auslander" 
eroffnet werden. Der preufiische Minister fiir Wissen- 
schaft, Kunst und Volksbildung hat fiir diesen Zweck 
geeignete Raume im Schlofl Charlottenburg zur Ver- 
fiigung gestellt. Wilhelm Furtwangler hat sich be- 
reit erklart, die kiinstlerische Oberleitung zu iiber- 
nehmen. Fiir die Geschaftsfiihrung ist H. W.Draber 
verpflichtet worden. Die Leitung steht mit einer 
Anzahl von Kiinstlern, die fiir den ersten Zyklus 
von Unterrichtskursea im Sommer 1929 gewonnen 
werden sollen, in Unterhandlungen. Die Mittel zur 
Errichtung der Deutschen Musikakademie sind im 
wesentlichen von privater Seite gestellt worden. 

In Frankfurt a. d. O. ist dieser Tage feierlich 
der Grundstein gelegt worden fiir ein „Musikheim", 
eine Zentralstatte und Heimat fiir die deutsche 
Volksmusik-Bewegung und ihre im Reiche verstreut 
wirkenden, verschiedenartigen Mitarbeiter-Bunde-Ver- 
einigungen. Die Leitung des zukiinftigen Institutes 
wird der bisherige Dozent an der Charlottenburger 
Musikhochschule und Fiihrer der „Markischen Spiel- 
gemeinde" Georg Gotscli erhalten. Zwei standige 
Lehrkrafte und wechselnde Gastdozenten werden ihm 
zur Seite stehen, Das Musikheim soil in enger 
Fiihlungnahme mit der Akademie fur Kirchen- und 
Schulmusik in Charlottenburg arbeiten. 

Die 7. Reiclisschulmusikwoche, die vom Zentral- 
institut fiir Erziehung und Unterricht in Gemeinschaft 
mit der bayerischen Begierung veranstaltet wird, 
findet vom 15.— 20. Oktober in Miinchen statt. — 
Der erste Kongrefi fiir Chorgesangwesen tagte vom 
8. — 10. Oktober in Essen. 

SCHRIFTTUM 

Musik und Kirche. Unter diesem Titel wird 
eine grofiangelegte Kirchenmusik - Zeitschrift ab 
Dezember 1928 achtmal jahrlidi mit vier grijfieren 
Notenbeilagen erscheinen. Herausgeber Dr. Christhard 
Mahrenholz, Giittingen, Prof. Wolfgang Reimann, 
Berlin, Dr. Johannes Wolgast, Leipzig. Der Plan 
geht im Wesentlichen auf Anregung der Herren Prof. 
H. J. Moser, Prof. D. Dr. K. Straube und des Baren- 
reiter-Verlages zu Kassel zuriick. 

Die „Jiidische Rundschau", Berlin, hat sich eine 
Beilage „ Von jiidisclier Musik" angegliedert, die in 
unregelmafiiger Folge erscheint und von Alice Jacob- 
Loewenson redigiert w r ird. 

VERSCHIEDENES 

Die frankfurter Zeitung" meldet : Die Genossen- 
schaft Deutscher Tonsetzer hat in einer Sitzung ihres 
erweiterten Vorstandes unter dem Vorsitz von 
Dr. Richard Straufi den bemerkenswerten Ent- 
schluss gefafit, die Frage der Abgaben fiir musikalische 



504 



MUSIKLEBEN 



1 



Auffiihrungen zukimftig grundsatzlich durch Kollektiv- 
Vertriige mit den Verbraucher-Organisationen (Gast- 
wirtsgewerbe, Kaffeehausbesitzer, Filmtheater, Variete- 
Direktoren usw.) zu regeln und mit diesen Organi- 
sationen paritatische Ausschtisse einzurichten, die die 
fur die Tarifbildung mafigebenden wirtschafl lichen 
Voraussetzungen zu priifen und zu begutacbten 
haben. Gleicbzeitig hat sicb die Genossenschaft 
Deutscber Tonsetzer bereit erklart, die Hichtigkeit 
ihrer Buchftihrung, sowie die Anwendiing der oben 
bezeichneten Tarifgrundsatze staatlich kontrollieren 
zu lassen. 

Ein langgehcgter Plan Breslaus, die Bildung einer 
„Sclilesischen Philharmonie", nimnit jetzt feste Ge- 
stalt an. Naclidem iiber die Verteilung der erfordei- 
lichen Subventionen zwischen Provinz, Staat und 
Beich erne Einigung erzielt werden konnte, hat der 
Niederlandische Provinzialausschufi der Griindung 
der „Schlesischen Philharmonie" als G. m. b. H. zu- 
gestimmt. Die Provinz Niederschlesien und die Stadt 
Breslau gewahren eine Jahressubvention in Hohe von 
je 50 000 Mark, wahrend Beich und Staat je 25 000 Mark 
aufbringen. 

AUSLAND 

Rufiland : 

Die Direktion der Akadem'schen Theater in 
Leningrad hat beschlossen, in der kommenden Saison 
neben dem „Bosenkavalier" von Richard Straufi auch 
„Ariadne" aufzuftihren. Aufier Kreneks ,Jonny" 
wird die Saison an Novitaten bringen: Puccinis 
„Turandot" und D. Schostakowitschs neue Oper 
„Die Nase" auf den der gleichnamigen Novelle von 
Gogol entnommenen Text. Neu einstudiert werden 
Gludcs „Orpheus", Verdis „Othello" und Ssjerows 
Judith". 

Die Leningrader Philharmonie sieht 90 Sympho- 
nie-Konzerte vor. in denen u. a. Otto Klemperer, 
Fritz Busch, Wilhelm Furtwangler und Ernest Ansermet 
dirigieren werden. 

Am 17. Juli ist die neue Verordnung iiber die 
,,Grundlagen des Urheberrechts" in Kraft getreten. 
Wahrend sich die alte Verordnung vom 30. Jan. 1925 



mit einer Dauer des Urheberrechts von 25 Jahren 
begniigte, gewahrt das neue Gesetz dem Urheber 
den Schutz lebenslanglich. Eine verkiirzte Frist von 
zehn Jahren ist fiir choreograpbische Schopfungen, 
Pantomimen, Filmszenarien und Filme festgesetzt. 

Schweiz : 

Die General-Programme der schweizerischen 
Abonnementskonzerte (Sinfonie- und Kammermusik- 
konzerte) lassen in diesem Winter in erhohteiu MaKe 
zeitgenossiscben Komponislen das Wort. Man lindet 
u. a. folgende Namen : in Zurich (Volkmar Andreae) : 
Beck (3. Sinfonie), Hindemith (Bratschenkonzert), 
Prokofieff, Tiessen ; in Winterthur (Scherchen u. a.): 
Bartok, Bedc (Concertino), Hauer (Bomant. Fantasie), 
Hay (Oboenkonzert), Honegger (Concertino), Schon- 
berg (Pelleas) ; in St. Gallen (Schoeck) : Hindemith 
(Bratschenkonzert), Kaminski (Concerto grosso), 
Schoeck (Lebendig begraben), Wehrli (Orch. variat.) ; 
in Genf (Ansermet und Gastdir.) : Bedc, Casella, 
de Falla, Hindemith, Prokofieff, Bavel, Boussel, 
Schulthess, Strawinsky, Toch. 

Othmar Schoeck, dessen „Penthesilea" auch in 
dieser Spielzeit an der' Ziiricher Oper stSrksten Er- 
folg hat, hat soeben ein neues Werk vollendet; 
„Wanderspruche" , Liederfolge nach Gedichten von 
Eicliendorff fiir eine Singstimme (Tenor od. Sopran) 
mit Clarinette, Horn, Klavier und Schlagzeug, Op. 42. 

Frankreich : 

In Paris wurde ein neues Orchester, das „Orchestre 
Symphonique de Paris", gegriindet. Es ist 80 Mann 
stark und wird von Ernest Ansermet, Alfred Cortot 
und Louis Fourestier geleitet. Zunachst spielt es im 
Theatre des Champs-Elysees. aber nach der Wieder- 
herstellung des abgebrannten Salle Pleyel wird es 
dort musizieren. Zahlreidie moderne Werke ge- 
langen diesen Winter zur Auffuhrung. Namhafte 
auslandische Dirigenten werden zu Gastkonzerten 
eingeladen. 

Das erste neue Werk, das in der Grofien Oper 
herauskommt, ist wahrscheinlich „Les Mas" von 
Joseph Canteloube. Die Opera comique kflndigt als 
erste Premieren „Die verkaufte Braut" von Smetana 
und „Riquet a la Houppe" von George Hue an. 



Dieser Nummer liegt ein Prospekt viber das neue prachtvolle „Handbucli der Musik- 
wissenschaft", herausgegeben von Prof. Dr. Biicken, K6ln nnter Mitwirkung einer Zahl 
von fiihrenden Musikgelehrten, bei; eine moderne Veroffentlicbung, die neben dem aus- 
gezeicbneten Text durcli ihre 1 300 Musikbeispiele und 1 200 Abbildungen sich den Ruf 
eines einzigartigen Hausschatzes fiir Freunde und Ausiibende der Musik erworben hat. 



VERLAGSNACHRICHTEN 



505 



NACHRICHTEN DES VERLAGES B. SCHOTT'S SOHNE 



NEUE AUFFDHRUNGEN 

Die „Missa symphonica" von Lothar Winds- 
perger wird vom Michaelis-Chor in Hamburg unter 
Professor Sittard am 30. Oktober zur Auffiihrung 
gebracht. Derselbe Chor wird das ki'mstlerisch Auf- 
sehen erregende Werk dann erstmalig in Berlin 
(Hochschule fur Musik) am 10. November auffiihren, 
von wo eine Ubertragung durch den Berliner Bund- 
funksender erl'olgt. Weitere Auflulirtingen in dieser 
Saison: Wiesbaden, Goth a, Bottrop und Mainz. 

Am Landestheater in Karlsruhe wird der neue 
Ballcttmeister Harald J. Fiirstenau das Ballett „Pantea" 
von F. Malipiero zur Uraufl'iihrung bringen. 

Strawinsky's „Les Noces" wurden in Ko'nigsberg 
in szenischer Darstellung zum ersten Mai aufgefiihrt. 
Eine Konzertaufluhrung bereitet Generalmusikdirektor 
Klemperer an der Staatsoper am Platze der Republik 
in Berlin vor. 

Paul Hindemith wird sein Bratschenkonzert in 
dieser Saison in etwa 20 Stadten spielen. 

Ernst Toch arbeitet an einem neuen Klavier- 
konzert, das Hermann Scherchen aus der Taufe 
heben wird. 

Von E. IV. Korngold's Oper „Das Wunder der 
Heliane", die in Hamburg bereits 25 Auffiihrungen, 
in Wien bisher 16 Auffiihrungen erlebte, findet die 
nachste Auffiihrung am Landestheater in Schwerin 
statt. Weiter folgen zunachst : Koln, Darmstadt, 
Gotha. — „Die tote Stadt" kommt in dieser Spiel- 
zeit in Amsterdam, Rostock und Trier zur ersten 
Auffiihrung. 

Das neue Orchesterwerk „Der Dybuh' von 
B. Sekles wird am 30. Oktober in Mainz von 
Direktor H. Rosbaud uraufgefiihrt. Es folgen Frank- 
furt a. M., Bremen, Berlin, Leipzig, Mannheim, 
Plauen, Saarbriicken und Wiesbaden. 

In der kommenden Saison linden mehrere Todfi- 
Abende statt: zuerst Mannheim, dann Koln (Neue 
Musikgesellschaft) und zuletzt Konigsberg. 

Wilhelm Furtwdngler wird am 28J29. Oktober 
die ,JS[uscli-Nuschi-T6nze" von Paul Hindemith in 
Berlin zur Auffiihrung bringen. 

Joseph Haas-Ahende werden auch in dieser Kon- 
zertsaison in verschiedenen Stadten stattfinden, u. a. 
in Wiirzburg, Mannheim, Heilbronn, Flensburg uud 
Berlin. In Miinchen sind zwei Haas-Abende und 
zwar ein Liederabend und ein Chorabend vorge- 
sehen. Zur Auffiihrung gelangen aufier Orchester- 
werken die „Deutsche Singmesse" und die „Deutsche 
Vesper" sowie Lieder mit Klavier. 

Am 5. Dezember werden die „Russischen Lieder" 
Hermann Reutter's durch Paul Lohmann in Berlin 
ers ta uf gefiihr t. 



NEUERSCHEINUN GEN 
Leo Artok 



M. 



— „Junge Tanze". Ein neues Klavierbuch mit 10 kurzen, 
modern. Tanzen in leicht. Spielbarkeit (Ed. Nr. 1707) 2. — 

Conrad Beck 

— Sonatine fur Klavier (Ed. Nr. 2072) 3.50 

— Zwei Tanzstiicke fur Klavier (Ed. Nr. 2073) .... 2.— 

— Sonaline fur Violine und Klavier (Ed. Nr. 206?) . . 5.— 

— Concertino fur Klavier und Orchester 

Part. 4" (Ed. Nr. 3393) M. 20— Kl.-A. (Ed. Nr. 2068) 6.— 



Arthur Benjamin j\[_ 

— Concertino fur Klavier und Orchester 

Part. 4» (Ed. Nr. 3350) M. 20.— Kl.-A. (Ed. Nr. 1301) 6.— 
David Dushkin 

— Das Buch des jungen Pianisten. 10 leichte moderne 
Stiicke fiir Klavier mit lectin. Spezialsludien fur das 
Ueben (Ed. Nr. 1308) 2.50 

M. de Falla 

— Tanz des Schreckens (aus ,,Liebcszauber) filr Klavier 

(Ed. Nr. 2066) 2.— 

Gay-Pepnsch 

— „Die Bettler-Oper", Kl.-Ausz. (Ed. Schott Nr. 1071) . 12.— 

Hieliu nuch Aiizoige Seite 520 

A. Gretcliauiuoff 

— Drei Stiicke l'Qr Klavier, op. 116 (Ed. Nr. 1310) . . 1.50 

(Prelude — Meditation — Mazurka) 

Joseph Haas 

— Lieder vom Leben, op. 76, f. eine Singstimmeu. Klav. 
Nach Gedichten v. Ruth Schaumann (Ed. Nr. 2022) 2.50 

Unter dein Zidtducli — Kommt ein Kindle. n — Gloria — Dua 
Lihnmlein — Der G-llnsehirt — Im Meur 

Paul HindemiUi 

— Tanzstucke ftir Klavier, op. 19 (Ed. Nr. 1418) . . . 3.50 

— Kammermusik Nr. 5 (Bratschen-Konzert) fur Solo- 
Bratsche undgrosseresKammerorchester, op. 36 Nr. 4. 
Part. 16° (Ed. Nr. 344^) M. 4.— KJ.-A. (Ed. Nr. 1977) 8.— 

(AuffUbi'ungsmatcrial uucli Vereinbaruiiff) 

— Sing- u. Siiielmusiken f. JLiebhab. u. Musikfreunde, np. 45 
Nr. 1 Frau Musica. Musik zum Singen und Spielen 
auf Instrumenten nach einem Text von Luther 

Nr. 2 AchtKanons f'ir 2 Singstimmenm. instrumenten 
Nr. 3 Ein Jager aus Kurpfalz. Spielmusik f. Slreicher 
und Blaser 

— Konzert fur Orgel und Kammerorchester, op. 46 Nr. 2 
Part. (Ed. Nr. 3361) M. 30.— Solost. (Ed. Nr. 1897) 6 — 

(Auffdhi-ungsmateriul nach Vel-einbai-ung) 

Plnlipp Jariiacn 

— Drei Rhapsodien (Kammerduette fur Violine und 
Klavier), op. 20 (Ed. Nr. 1923) 4 — 

Fritz Kreislcr 

Aus der Sammlung: Transkriptionen f. Violine u. Klav. : 

— Nr. 18 Falla, SpanischerTanz (a. „Einkurzes Leben") 2. — 

— Nr. 19 Albeniz, Tango (aus „Espana", op. 165) . . . 1.80 

— Nr. 20 — Malaguena (aus „Espana", op. 165) . , . 2. — 

— Nr. 21 Rachmaninoff, Marguerite (Albumblatt) . . . 1.80 

— Nr. 22 Schelling, Irlandais»e 2. — 

— Nr. 23 Ravel, Habanera 2.— 

— Bach-Kreisler, Partita Edur liir Violine und Klavier 

(Ed. Nr. 1448) .... . . 3 — 

Kadenzen zu beriihmten Violin-Konzerten: 

— zu Beethoven, op. 61 (Ed. Nr. 1446) 2 — 

— zu Brahms, op. 77 (Ed. Nr. 1447) 2 — 

B. Jlarcollo-Nachez 

— Violinkonzert D-dur (Ed. Nr. 1245) Klavier-Auszug 3. — 
Ausgabe mit Streichorchester (Stimmen) 8. — 

Joh. Palascliko 

— Funfzig melodische Etiiden fur die Elementar- und 
Mittelstufe fur Violine allein, 3 Hefte. (Ed. Nr. 1421/23) 

Heft I/1I a M. 1.50; Heft III 1.80 
Wilhelm Rcttich 

— Mannerchore, op. 15 : Nr. 1 Requiem (Gerh. Hauptmann) 
Nr. 2 Schwalbenbuchlied (Ernst Toller) 

Partitur a M. —.60 Stimmen a M. —.20 

Franz Schubert 

— Neue Lieder-Auswahl v. Joh. Messchaert (herausgegeb. 
von Franziska Martienssen I Ausgabe f. hohe Stimme I 

2 Bande: Ed. Nr. 120 M. 4.—, Ed. Nr. 121 5 — 
Cyril Scott 

— Idyll, fiir Violine allein (Ed. Nr. 1950) 1.50 

Benihard Sekles 

— Erste Suite, op. 34 fiir Klavier (Ed. Nr. 2070) . . . 4.— 

Vorspicl — Erates Zwiscbenapiel — Toccntinn. — El'ster 
Tanz — Zweiter Tanz — Zwcites Zwischenapiel — Fuga 
alia b lirla 

— Der Dybuk, Vorspiel fur Orchester, Part. 4« 

(Ed. Nr. 3376) 20 — 

(AuffUbrungsmaterial nocb Vereinbarung.) 

— „Vater Noah", Madrigal fur Mannerchor a cappella 

op. 36 Partitur M. 1.50. Stimmen a —.40 



506 



VERLAGSNACHRICHTEN 



Alex. Tansmaii M. 

— Mazurka fur Klavier (Ed. Nr. 2069) n. 1.80 

Ernst To eh 

— Sonate fiir Klavier, op. 47 (Ed. Nr. 2065) . . . . n. 5 — 

— Sunate fur Violine u. Klavier, op. 44 (Ed. Nr. 1240) n. 5.— 

— Neun Lieder, op. 41 (Ed. Nr. 2055) n. 4.— 

Der Abend — Heilige (R. M. Rilke) — Die S trass bur ger 
Miinater-Engelchen (O. J. Bierbmim) — BpStuachmittag — 
Spruch ''L. Kuckuck) — Kleino Gescbiclite — "Was denkst da 
jetzt — Das Haiisclicn an der Bahn (Chr. Slorgenateru) — 
Dcr Eael ("W. Busch) , 

— Fanal, op. 45, fiir Orchester und Orgel, Part. 4° 

(Ed. Nr. 3387) n. 20 — 

— „Egon und Emilie'', op. 46. Kein Familiendrama von 

Chr. Morgenstern . . . Part. 4« (Ed. Nr. 3388) n. 20.— 
Klavier- Auszug (Ed. Nr. 1419) n. 5.— 
Friedrich Wilckena 

— Die Rache d. verhohnten Liebhabers. Lustspieloper 
in 2 Akten (frei nach einer Geschichte d. Kardinals 
Bandello). Text v. Ernst Toller, Kl.-A. (Ed. Nr. 1420) n. 10.— 

Lothar Windsperger 

— Konzert f. Viol. u. Orch., op. 39. Part. 4° (Ed. Nr. 3391) n. 30.— 
Klavier-Auszug (Ed. Nr. 1247) n. 8 — 

(Auffilhrungfimaterial nach Vereinbnrung) 

Drei Weihnachtsmotetten 

f. gem, Chor a cappella, herausgeg. v. Hugo Holle* 

— Nr. 1 Joh. Topff, Flirchtet euch nicht, ich ver- 

kiindige euch Partitur 1.50 

Stimmen (Sopran 1/11/ Alt zusammen, 

Tenor/Bass zusammen) a —.40 

— Nr. 2 Liebhold, Uns ist ein Kind geboren 

Partitur 1.50 

Stim ■ en (Sopran /Alt zusammen, 

Tenor/Bass zusammen) a — .30 

— Nr. 3 F. E. Niedt, Es nriissen sich freuen und 

frohlich sein Partitur 1.50 

Stimmen (Sopran/Alt zusammen, 

Tenor/Bass zusammen) a — .40 



,,Das Lied der Volker". 



M. 



4.— 



— Herausgegeben von Dr. Heinrich Moller. Eine Aus- 
wahl von fremdlandischen Volksliedern, Band XII. 
44 ungarische Volkslieder (Ed. Nr. 560) n, 

(Siehe auch Anzeige Seite 509) 

IN VORBEREITUNG 
Conrad Beck 

— Concertino fur Klavier und Orchester, Part Ed. Nr, 3393 
Alex. (*r etch anin off 

— op. 84, Melodies populaires de la Russie blanche f. Ges. u. Kl. 

— op. 91, Chanson populaires de la Grande Russie f. Ges. u. Kl, 
Paul Hmdemith 



— op. 25b, Kleine Sonate fur Viola d'amore und Klavier 
Jean-Marie Leclair 

— Trio-Sonate Nr. 8 Ddur, fiir Violine oder Flote, Cello, 
Cembalo oder Klavier bearb. v. Dobereiner, Ed. Nr. 1370 

— do. fiir Violine od. Flote, Viola da Gamba, Basso cont. 
(= Cembalo od. Klavier) bearb. v. Dobereiner, Ed. Nr. 1369 

Wilhelm Maler 

— Konzert f. Kammerorchester mit Cembalo, Part. Ed. Nr. 3392 
H ermann Reuttor 

— op. 33, flSaul", Oper in einem Akl, Partitur 

— op. 34, „Der verlorene Sohn", Text n. Andre Gide, iiber- 
setzt von R. M. Rdke 

J osip Slavenski 

— Balkanophonia fur Orchester 
Joachim Stntschewsky 

Studien zu einer neuen Spieltechnik auf dem Violoncello: 

II. Teil Zur Forderung und Erhaltung der Bogentechnik 
Ed. Nr. 1372 

III. Teil Die Kunst des Uebens, Ed. Nr. 1395 
Lothar Windsperger 

— op. 40, Neue Quintenuhr fiir Klavier, Ed. Nr. 1850 

— op. i n , Requiem fiir gemischten Chor, 4 Soli, grosses 
Orchester und Org- 1, Partitur 

Windsperger -Wolfakehl 

— Fremde "Weisen, 12 Europaische Volkslieder, hoch u. tief 



Neue Sonaten 



von 



Ernst Toch 



SONATE FUR KLAVIER 

op. 47 



Ed. Nr. 2065 



M. 5.- 



SONATE FUR VIOLINE 

UND KLAVIER 

op. 44 

Ed. Nr. 1240 ... . M. 5. - 



B. SCHOTT'S SOHNE 

MAINZ - LEIPZIG 



HIND EMITH 

Konzert fiir Orgel 
und Kammer-Orchester 

op. 46 Nr. 2 

Solostimme Ed. Nr. 1897 . . M. 6.- 
Partitur Ed. Nr. 3361 . . M. 30.- 

(Aiiifiilirungsmaterial nach Vereinbarung) 

DasWerkist dem Frankfurter 
Sender gewidmet, der es auch 
zur Urauffiihrung brachte. 
Bevorstehende weitere 
Auffiihrungen: 

Essen 
Berlin 
Mainz 

B. Schott's Solme, Mainz-Leipzig 



507 



Wet intetptetiett 

Diese erstmalige Zusammenstellung kann keinen \r ^r^& ^^W^^R? *J » ^^^W^9^ w^m^w w 

Anspruch auf Vollstandigkeit erheben. Der 
MELOSVERLAG bittet die Leser umMitteilung 
von Programmen, die nach Mafigabe des zur Ver- 
fiigung stehenden Raumes in kurzester Form 
kostenlos veroffentlicht werden. 


Klavier 


Viola 


Paul Aron: de Falla, Nachte in spanischen Garten / 
Hindemith, Tanzstiicke op. 19, Klavierkonzert 
op. 36 Nr. 1, Reihe kleiner Stiicke op. 37 Nr. 2 / 
To'h, Klavierstiicke, IVidner, Concerto Franco- 
americain 

HellmuthBiirwald: deFalla, Nachte in spanischenGarten 

Hans Bruch und Lene Bruch- Wciller : Werke von 
Hindemith, Toch 

Victor v. Frankenberg : de Falla, Nachte in spanischen 
Garten 

Walther Frey : Beck, Concertino fur Klavier und 
Orchester / Toch, Klavierkonzert op. 38 

Walter Gieseking : Werke von Hindemith und Toch 

Irmgard Grippain-Gorgcs: de Falla, Nachte in span- 
ischen Garten 

Clara Herstatt: Tscherepnin, Konzert fur Klavier und 
Orchester Fdur / Benjamin, Concertino fur Klavier 
und Orchester 

Lilly Herz : Kodaly, VII. Klavierstiick / Bartok, 
Burleske; Danse Romaine Nr. 1 

Josef Hirfc: Hindemith, Klavierkonzert op. 36 Nr. 1 

Hermann Hoppe: Toch, Klavierkonzert op. 38 

Frida Kwast-Hodupp : Werke von Jarnach 

Emma Liibbecke-Job : Hindemith, Klavierkonzert 
op. 36 Nr. 1 ; Klavierstiicke 

Gerda Nette :, Hindemith, Klavierkonzert op. 3"i Nr. 1 

Elly Ney: Toch, Klavierkonzert op. 38 

Franz Osborn : Hindemith, Klaviersttti ke / Toch, Klavier- 
konzert op. <8 

San Roma: Toch, Klavierkonzert op. 38 

Albert Spalding: Debussy, Minstrels 1 Ravel, Tzigane 


Paul Hindemitb: Hindemith, Bratschenkonzert, op. 36 

Nr. 4 
Winfried und Reinbard Wolf: Hindemith, Sonate 

fur Viola und Klavier, op. 11 Nr. 4 


Viola d'amore 


Paul Hindemitli : Hindemith, Konzert fur Viola d'amore 
und Kammerorchester, op. 46 Nr. 1 


Violoncello 


Emanuel Feuermann: Hindemith, Cellokonzert / 
Schulthess, Variaiionen fur Cello u. Orch., op. 14 
JIaurits Frank: Hindemith, Cellokonzert 


Gesang 


Marguerite Babaian: Hindemith, Serenaden 

Hildegard von Bnttlar: Hindemith, „Die junge Magd" 

Tini Debiiser: Hindemith, ,.Die junge Magd" 

Anny Gantzhorn: Lieder von Haas 

Gertrude Hepp: Lieder von Haas 

Rose Herrlinger : Hindemith, „Die junge Magd" 

Lotte Kreisler: Lieder von Haas 

Felix Loffel: Othmar Schoeck, Elegie fur eine Sing- 

stimme und Kammerorchester 
Paul Lohniann : Reutter, Russische Lieder op. 21 

Lotte Mader-Woblgemuth : Lendoai, 5 Sonette der 

Luize Labe 
Grete Merrein-Nikiscli : Hindemith, „Das Marien- 

leben"; „Dic Serenaden" 
Anny Quistorp: Toch, Die cninesische Flote 
Hermann Schey: Stephan, „Liebeszauber" 
Bertlie de Vigier: Waller Jesinghaus, Marienlieder 

Rose Walter: Haas, „Tag und Nacht" / Hindemith, 
r Marienleben u / Hindemith, „Die Serenaden" / 
Toch, „Die chinesische Flate" 

Reinbold v. Warlicli: Lieder von Haas 

Nachdi'uck nur mit besonderer Erlnubnis 1 


Violine 


Licco Amar: Hindemith, Violinkonzert op. 36 Nr. 3 
Eugenie Bertsch : Paul Mutter, Sonate B dur op. S / 

Othmar Srhoeck, Sonate Ddur op. 16 
HedwigFassbiinder: i/uufo>ni7A,Violinkonz.op.36Nr.3 
Stefan Frenkel: Werke von Jarnach 
Klein von Giltay: Werke von Jarnach 
Bronislaw Huberman : Hindemith, Sonate dmoll op. 11 
Walter Kiigi Beck, Sonatine / Toch, Sonate op. 44 
Otto Kobin: Stephan, Musik f. Geige u. Orchester 
Georg Knlilenkampf-Post, Hindemith, Violinkonzert 

°p. 36 Nr. 3 
Alma Moodie : Hindemith, Violinkonzert op. 36 Nr, 3 
Alexander Sclimuller: Hindemith, Violinkonzert 

op. 36 Nr. 3 
Max Strub: Windsperger, Violinkonzert op. 39 



Bilte bcziehrn Sic sich bei alien Anfraaen arf MELOS 



508 



MELOSBUCHEREI 



EINE SAMMLUNG 
MUSIKALISCHER 
ZEITFRAGEN 

HERAUSGEGEBEN VON 
PROF. DR. HANS MERSMANN 



Bandchen 1 

HANS MERSMANN 

Die Tonsprache 
der Neuen Musik 



Mit zahlreichen 
Notenbeispielen 



Keiner, der den Weg zur Neuen 
Musik sucht, wird an dieser, im 
besten Sinne allgemeinverstand- 
lichen „Grammatik" vorubergehen 
konnen 



Bandchen 2 

HEINZ TffiSSEN 

Zur Geschichte 

der 

j lings ten Musik 

(1913-1918) 
Probleme u. Entwicklungen 

Mit dem Blick des SchafFenden gibt 
der Verfasser eine Ubersicht uber 
Gewesenes und Gewordenes in 
einem Zeitabschnitt, der trotz 
seiner Nahe bereits ein Stuck 
..Geschichte" ist 



Bandchen 3 

HEENRICH STROBEL 

Paul Hindemith 



Mit zahlreichen Noten- 
beispielen im Text, 
einem Noten-Anhang 
und Faksimilebeilagen 



Die erste ■ monographische Zu- 
sammenfassung von Hindemith's 
Gesamtwerk. Der ganze Entwick- 
lungsweg dieses jungen Fiihrers 
wird hier an Hand der Noten- 
belege gezeigt — zugleich ein 
Symbol fur die Entwicklung der 
deutschen Musik uberhaupt 



Broschiert je Mk. 2.80 / Ganzleinen je Mk. 3.50 



Bestellkarte liegt bei 



/ 

MELOSVERLAG / B. SCHOTT'S S HNE / MAINZ 



509 



Neudrucke 

Russischer Musik 

Arends, op. 7, Concertina f. Via. u. Pfte. 6. -r 

Arensky, op.25Nr.3,EtudeGesdur,2hdg. 1.75 

op. 36 Nr. 13, Etude Fisdur, 2hdg. 1.50 

op. 56 Nr. 3, Chant triste f. Cello u. Pit. 2. - 

Conus, Concerto Emoll fur Viol. u. Pft 5. - 

Gliere, op. 34, 24 Pieces caract. f. Pft. 

4 Hefte je . 2.50 

Koussevitzky, op. 3,^Concerto f. Coritra- 

bafi und Pft 5.- 

op. 4, Humoreske f. Contrabafi u. Pft. 1.75 

Rimsky-Korsakow, Hyrane an dieSonne 

f. Klav. bearb. v. Walter Niemann 2.- 

Tschaikowsky, op. 20, Schwanensee- 

Ballett, Klavier-Auszug 10. — 

Suite fur Salon-Orchester .... 8. — 

Ferner erschienen Werke von Balakirew, 
Borodine, Cui, Glazounow, Kalinikow, Medtner, 
Moussorgsky, Pachulski, Prokofiew, Rebikow, 
Scriabine, Strawinsky, Taneiew, Tscherepnin, 
Wassilenko 

Ausfuhrliches Verzeichnis kostenfrei I 

ROB. FORBERG, LEIPZIG C 1 



DEUTSCHE MUSIKBUCHEREI 

Philosophen zur Musik: 
Band 1 

FRIEDRICH NIETZSCHE 

Randglossen zu Bizets Carmen 

Im Auftrage des Nietzsche-Archiv herausgegeben 

von Dr. Hugo Daffner 
In Pappband Mk. 1.50, in Ballonleinen Mk. 3. — 

Dr. Erich Steinhord im „Auflakt <( : „Wohl die geistvollste, 
knappgte Aesthetik, die zu diesem Werk ersonnen wurde l u 

Band 40 

ARTHUR SCHOPENHAUER 

Schriften iiber Musik 

Im Rahmen seiner Aesthetik herausgegeben 

von Karl Stabenow 

Mit einer Bildnisbeilage 

In Pappband Mk. 2.50, in Ballonleinen Mk. 4. - 

Die Krltik sagt: ,,Eine hoclist dankenswerte ZusammeQ- 
stellung der musikalischen Sell rift en Schopenhauers; hat 
er dodi begeiaterte und tiefe Worte iiber die Musik ee- 
funden und ihr den letzten und hochsten Rang im Kreise 
der Kiinste eingeraumtl" 

GUSTAV BOSSE VERLAG 
REGENSBURG 




Die monumentale Volkslieder-Sammlung 



herausgegeben von 

Heinrich Moller 



„ . . . Wir besitzen keine Volks- 
Uedersammlung von dhnlidier Weite 
der Anlage, keine zugleich, die das 
Wesentliche ahnlich griindlicli und 
feinsinnig herausstellt . . ." 
Konigsberger Hartungsche Zeitung 



D er neue Band: 
(Band XII d. Sammlung) 



IngariidteVolkslieder 



44 Lieder im Urtext und dessert deutscher Uber- 

tragung mit wichtigen Ausfuhrungen iiber Ent- 

Ed.Nr. 560 Mk. 4. - stehungszeit, Ursprung, seltene Gebrauche usw. 



B. SCHOTT'S SOHNE / MAINZ-LEIPZIG 



510 



1 




Srans Cxftukrf 
3at>rt?un5erffeier 



Neuerscheinung 

SCHUBERTS LIED 

VON FELIX GUNTHER 

Mit 150 Notenbeispielen und 8 Bildern 
In Ballonleinen gebunden . , . M. 8.50 
Die Warme und Begeisterung, die Liebe und Achtung, wie der Ver- 
fasser seine Aufgabe Dehandelt, konnen unmittelbar ftir den Unterricht 
vorbildlich werden. An einer zielbewufit ausgewShlten Reihe von 
Liedern werden das Musikantische, das Geistige, das Ubermusikalische, 
das Transzendente, das Personliche im Schaffen Schuberts herausge- 
stellt, um daran die letzten Forderungen fur eine sinngemafie ^ieder- 
gabe abzuleiten. (Halbmonatsschrift ftir Schulmusikpflege, Essen.) 

Neuauflage 

SCHUBERT 

VON WALTER DAHMS 

21 . und 22. Tausend. In Leinen gebunden M. 10.— 
Reihe sKlassiker der Musik« 

Das Werk von Dahms ist das beste fiber Schubert. Dahms ist ein 
Kritiker, der sich noch die voile Urspriinglichkeit des kunstlerischen 
Genusses erhalten hat, und der Schubert ganz verstand. Er ist fiber- 
all sachlich und anregend, so anregend, dafi man von ihm sofort 
zu Schubert eilen mufi und Schubert von neuem geniefit: inniger, 
tiefer, berauschender. (Pester Lloyd.) 



Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart, Berlin und Leipzig 



511 



OXFORD MUSIK 

William Walton 

William Walton ist einer der vielversprechendsten 
englischen Komponisten, dem man tnteresse und 
Bewunderung, weit iiber die Grenzen seines 

Landes entgegenbringt. 
Seine Werke, immer klar und prazise gearbeitet, 
voll Vitalitat und Fantasie in Melodie und 
Rhvthmus, erringen standig immer weitere inter- 

nationale Anerkennung. 

FACADE 

Suite fiir Orcbester nach Gedichten von 
Edith Sitwell. 
Eines der zwei englischen Werke, die fiir das 
Internationale Kammermusikfest in Sienna 1928 
zur Auffiihrung ausgewahlt wurden. Es bietet 
ein glanzendes Beispiel fiir Anwendung der Satire 
in der Musik. Die Titel der einzelnen Satze 
dieser Suite sind bezeichnet: 

Polka, Walzer, Schweizer Jodellied, Tango 
Pasodoble, Tarantella Sevillana. 

Fiir Klavier zu vier Handen, bearbeitet von 
Constant Lambert. Mk, 6.50. 

Portsmouth Point, Ouvertiire 

Nach einem Druck von Thomas Rowlandson. 

Ein durch keinerlei konservative Reflektionen 
gehemmtes Werk von sprudelnder Frohlichkeit. 

Fiir Klav. zu vier Handen Mk. 6.50, Part. Mk. 15.- 

Siesta 

Fiir kleines Orchester. 

Fiir Klavier zu vier Handen bearbeitet Mk. 5.-. 

In Kiirze erscheint: 

Sinfonia Concertante 

fiir Orchester und Klavier. 

Fiir 2 Klaviere zu 4 Handen bearbeitet 

Auafiihrungsmateriale samtlicher angezeigten Werke leih- 
weiae von den Verlegern. Preise nach Vereinbarnng. 

ARTHUR RLISS 

Quintett fiir Oboe und Streichinstrumente. 
Dieses wichtige Werk kam bereits schon mehr- 
mals in Venedig, Wien und in Amerika, durch 
das Pro Arte-Quartett (mit Leon Goossens) zur 

Auffiihrung. 
Partitur Mk. 10.50 Stimmen je Mk. 10.50 

OXFORD UNIVERSITY PRESS 

95 WIMPOLE STREET / LONDON Wl 

Alleinige Auslieferung fiir Deutschland : 

HOFMEISTER, LEIPZIG 



A PARAITRE PROCHAINEMENT: 

CEUVRES DE 

LAZARE 

SAMINSKY 

LITANIES PES FEMMES 

(mezzo-soprano eleve et orchestre de chambre) 

Premieres auditions en 1927 — 1928 a 

Paris, Boston, Vienne et 

Berlin 

(Societe internationale pour la musique moderne) 

„Une ceuvre tres impressionante par son 
contenu emouvant, son intensite religieuse, 
son gout artistique; la meilleure piece qui 
nous est venue d'Amerique". 

Dr. Hugo Leichtentritt, Berlin 

„Une ceuvre individuelle d'emotion et de 
forme" 

B. de Schloezer (La Revue musicale) 

VENISE 

(orchestre de chambre) 

Premieres auditions a Paris et Berlin 

„Une ceuvre tres interessante de M. 
Saminsky qui occupe une place des plus 
honorables parmi les contemporains". 

Stan Golestan (Figaro, Paris) 

„Ein farbenreiches Charakter-Stiick" 

Dr. Steinhagen (Berlin, Borsenzeitung) 

DEJA PUBLIEES: 

2eme Symphonie 

(„Symphonie des Sommets") 

Premieres auditions sous la direction de 

Willem Mengelberg a New- York et 

Amsterdam 

LAMENTATION de Rachel (Ballet) 
LA PESTE JOYEUSE 

(opera-ballet en un acte) 

MAURICE SENART 

EDITEUR 

20 rue du Dragon, Paris 



512 



Drei preisgekronte Symphonien 

KURT ATTERBERG SYMPHONIE Nr. VI 
FRANZ SCHMIDT symphonie Nr. in 

CZESEAW MAREK SINFONIA BREVIS 

Das grofie Preisausschreiben der Columbia-Grammophon-Gesellschaft hat in 10 Staaten 
die zwei besten symphonischen Werke, die im Ceist und zum Gedachtnis Franz 
Schuberts geschaflen wurden, mit Preisen ausgezeichnet. Aufierdem wurden die 
mit dem ersten Preis gekronten Werke einer internationalen Jury vorgelegt, die die 
Symphonien von Kurt Atterbere (Stockholm), Franz Schmidt (Wlen) und 
Czeslaw Marek (Polen) in engste wahl gezogen und das Werk von Kurt Atter- 
berg mit einem Preis von 10000 Dollar ausgezeichnet hat. 

Durch eine Vereinbarung mit der Columbia-Grammophon-Gesellschaft, bei welcher die 

Schallplatten dieser drei pr&mierten Werke veroffentliclit werden, und mit den Komponisten 

werden diese Symphonien im Verlag der Universal-Edition erscheinen. 

Die Urauffiihruiigen dieser drei Werke finden in dieser Saison statt: 

KURT ATTERBERG: Giirzenichkonzerte, Koln (Hermann Abendroth) 

FRANZ SCHMIDT: Philharmonische Konzerte, Wien (Franz Schalk) 

CZESLAW MAREK: Stadthalle, Zurich (Volkmar Andreae) 

UNIVERSAL-EDITION A.-G. /WIEN-LEIPZIG 



Das Musik-Album des seriosen Klavier-Spielers 

MUSIK DER ZEIT 

EINE SAMMLUNG ZEITGENOSSISCHER WERKE 

FUR KLAVIER 

insechsBanden 

In den Heften „Musik der Zeit" sind die meisten zeitgenossischen Komponisten mit ausge- 

wahlten, bedeutsamen Klavierwerken vertreten, deren geistiges Geprage fur unsere Epoche 

charakteristisch ist. Es wird darin das zeitgenossische KlavierschafFen alien Pianisten, die sich 

fur moderne Musik interessieren, auf leichte Art zuganglich gemacht. 

Preis jedes Bandes (iiber 40 Seiten stark) Mk. 2.50 

Der I. Band (U. E. Nr. 9516) soeben erschienen mit Klavierwerken von 

Barwinskyj, Braunfels, Dobrowen, Foerster, Friedmann, Kosa, Marx, 

Rachmaninoff, Springer, R. Strauss, Szymanowski, N. Tscherepniii, 

Jar. Weinberger 

Die weiteren Bande folgen in nachster Zeit — Inhaltsverzeichnis der Sammlung gratis 
Durch jede Musikalienhandlung zu beziehen 

UNIVERSAL-EDITION A.-G., WIEN-LEIPZIG 



513 



Ph. Dr. LEOS JANACEK 

am 12. August 1928 gestorben. 

In dem Selbsthilfeverlag tschechoslovakischer Komponisten und Musikschriftsteller 

Hudebni Matice Umelecke Besedy, 

welcher fast alle seine Werke — aufier den Biihnenwerken — verlegt oder erworben hatte, 
ist Folgendes erschienen und vorrfitig : 



INSTRUMENTALWERKE 

Auf verwachsenem Pfade, kleine Stucke fur Klavier 

Ini Nebel, sechs Klavierstiicke. Neue Auflage 

Sonate fiir Violine und Klavier. Aufgefiihrt auf dem Internationalen Musikfeste 

und bei alien Janacek-Festen in London, Berlin, Wien usw. . 

Ein Marchen, fiir Violoncello und Klavier 

Streichquartett. Unter dem Einfluse von Tolstoj's Roman „Kreutzer-Sonate" komponiert ; 

aufgefiihrt auf dem Internationalen Musikfest . Partitur- GM. 3. — , Stimmen 
Jugend, Sextett fiir Blasinstrumente .... Taschenpartitur „ 3. — Stimmen 

Bearbeitung fiir Klavier 2hdg. 

Dorfgeigers Kind, Ballade fiir Orchester Taschenpartitur 

Material leihweise in Abachrift 

Taras Bulba, Rhapsodie fiir Ochester . . Partitur GM. 15. — , Klavierauszug 4hdg. 
Material leihweise 

Lachische Tanze, ein Pendant zu den Slavischen Tanzen von Dvorak 

Im Druck, ersclieint im September. Material leihweise. 



GM. 



2.25 
1.80 

3.60 
4.50 

5.40 
6.75 
2.25 
2.25 

7.50 



VOKALWERKE 

I. Gesang und Klavier 

Das Tagebuch eines Verschollenen, fur Tenor, Alt und 3 Frauenstimmen, mit 
Klavierbegleitung, tschech.-deutsch. unterlegt. Text, franzosische Ubersetzung 

Grofie Ausgabe GM. 11.25, Kleine Partitur 
26 Volksballaden : I. Sechs Volkslieder, tschech.-deutsch 

II. Mannerchore 

4 Mannerchore, tschech.-deutsch Stimmen GM. 1.20, Partitur 

Der wandernde Wahnsinnige, Mannerchor mit Sopransolo, Vorte von Rabindranath 
Tagore Partitur 

III. Frauenchore 

VoneineraltersgrauenBurg(Hradcansk6pisnicky): 1. Das goldene Gafichen (acappella), 
2. Klagende Fontane (mit einer Flote), 3. Belvedere (mit Harfe) 

Partitur mit Floten- und Harfenstimme GM. 1.80, Stimmen 
Die Ballade von Kaspar Ruzky, tschech.-deutsch Partitur 



2.25 
1.- 

1.20 
1.90 



1.20 
2.25 



Interessenten erhalten einen Sonderprospekt Janacek" gratis. Dieser Prospekt (in deutscher 

franzbsischer und englischer Sprache) enthfilt einen kurzen Lebenslauf und Photographie nebst 

Verzeiclinis der Werke des verstorbenen Meisters. 



Verlag Hudebni Matice, Prag ni.-487, Resednf ulice 3 

Palais Umelecka Beseda. 



514 



Jf 



(Soeben erfdjienen: 

22 ikkx 

hi Sot&amer IkhMtfw 

in einfad)em brci< obcr Dierfiimmigen ©a^ sum ©ebraud) fur gemifcfjfen (Sftor 

ober (Sinselffimme mif obcr ofjne 3nffrumentalbcgtei(ung obcr fur 3n|Trumcnfc 

aflein (dewier, ©<rcid)er< ober Sfdfergruppen) 

#eraudgegeben oon 

^ui>o(f ©fegficf) 

2 #effe. (Sb.'^T. 2598/9 a 2J?. 1.25 

3nfyalfdangd&e: 

#eft l: 3(d) OTelben, bu biel fcfjrnbc pein / M mefn ©ebanfen, bie id) Tjob / SDer 2Binter tuifl 
t>intveid)en / 3d? fol>r bafjfn, ba ed mufj fein / 3J?ein jreub' m<Sd)t f(d) tuo^T meljren / 
27lcin ijerj, bad iff befUmmerf fel)r / OTein fterj, bad iff eerounbef / 3Jlefn #erj f)at 
fange 3eit gewa'ljff / OWnnigfid) 3artTid) gejleref / 27?6d)t id) bein I3egel)ren / Eertangen 
fuf mid) franfen / 3arf £ieb, tx>ie fQg bein Sfnfang iff. 

#eft 2: Sid) ©oft, tt>a<S OTeiben tut / 2fflm<id)f'ger ©otf, #err 3efu (Stjriff / 0er 2Ba(b fjat fid) 
enfiaubet / 3d) bin bei il)r / 3d) tjaff mir autferforen / 3d? faf) efn Sifb / S?ann id) nid)t 
Qberwerben / Sflein 2Jluf iff mir betriibef gar / 2Bad) auf, mein #orf / 2Batf id) beginn. 

2(u0 berdinfutjrung 3 u bem JBcrfc: 

„Sen ffreunben beulfrber OTuflf tolrb f/l«mlt cine Siudtoaf/I Bon ilebern borgelegf aud clncm ber toerteolTlfen Senfrndler 
alter beulfdjer Ilebfunfl, bem £od)amer £leberbud), bac! balb nad) ber OJIIffe bed fdnfjebnten 3al)r|)unoerte: Innerijalb be* 
fiullurfretfetf ber HelcWffabt Mrnberg nlebergefdjrle&en tourbe — role ti fd)eint, ate JBibmunq an elne Same — unb bad 
ftlnen Jlamen nad) bem 23efl&erbermerf elnedJHlrnberger pafrhlerd, „3»olflein »on lodjamer" frd'gl. / Si tourbe erffrebf, 
ble tleber In elner Jraffung ju btefen, ble roellen muflfalifrten ffrelfen jugd'n lid) 1(1, ©Ingenben tole ©plelenben In £au$ 
unb Jamllle tole In grSfieren ©emelnfdiaften, 6efonbertf aud) getnlfdilen Sbilren. Sod) tear oberfted ©ebof, ble OTeloblen 
felbft unberdnbert ju ernalten, bedglelcften nad) JDlo'qlldjfeit ble Ileberlejle; benn nur, toenn fie Im tt>efenllld)en unangeiaffel 
blelben, erifffnen fie uni ble fflelte bed balblaufenbjabngen £orljontd, ble bem 3<wber biefrr £ieber elne befonbere firafl 
gibt. / Surd) ben blnjugeffiglen mebrftlmmigen ©afe, ber fur gemlfdjien ffbor tole fiir ft'lablerfpleler ober fflr eine ©rubpe 
oon 3lreld)ern ober 25(d|ern allein ober aW 25egiehung lur aefungenen OTeloble unfdjroer au*f(lbrbar Iff/ follen ll)re ©ebraud)S< 
mdglldjfellen erwelfert toerben. S(lierbing« legie ble JKItffltftl auf |o mannigfalle, leidjle Stu^fflbrbarfeil bem (Safe ©djranfen 
au 1 , begeanefe anbrerfelte 1 aber gerabe einer ®etoobnb,elf frttberer ^abrbunberte: ber Sefffeung me^rffmmlger ©flltfe burd) 
©ingfflmmen unb Jinftrumente getoifTe Srelbelfen ju (affen. / 25el ber Sfnorbnuna ber auSgewa'blten ileber tourbe barauf 
gefeben, bap fid) ble rhsjlbmifdjen ©d)Wlerlgfelfen erft allmcibtid) (lelgern. So tolrb ei ben 2Jenub,ern urn fo leidjter feln, fid) 
In biefe JBelfen elnjuleberf. &4 tperben 0* ifrtieri banrf nld)t nur f8ftlld)e 3eugnlffe beulfdier ffunff ber ».rgangenben er» 
fdjllcfjin; ble grtoeilerung i^red empfinbungSfrelfee; tolrb fie bielleld)! aud) jllr neue TOgildjfelien elner fommenben 3Jlufl( 
empfdinglldjer madjen. Dr. 3tub. ©teg (Id). 

©ie #effe finb burd) j e be 3J?ufif aifenfjanbtung, aud) sur Sinfidjf, erf)a'(tnd) 

@feingrcif)er^er(ag in leipsig 



515 




Geboren 1896 in Cakovec 
in Jugoslawien. Anfangs 
Autodidakt; studierte dann 
1913 bis 1915 in Budapest 
und 1921 bis 1923 in Prag. 
Zur Zcit Professor am 
BelgraderKonservatorium. 
Der in seiner Balkan- 
Heimat schon seitlangerer 
Zeit als starkste Hoffnung 
gewurdigte Komponist trat 
1924 in Donaueschingen 
mit seinem kraftvollen 
Streichquartett zum ersten 
Male vor das deutsche 
Publikum.Gliihendes Tem- 
perament, iiberlegenes 
Konnen und eine religios 
anmutende Liebe zur 
Scholle lassen die Hoff- 
nung gerechtfertigt er- 
scheinen, es werde in 
Slavenski ein „Smetana 
des Balkan - ' erstehen. 




Die verkorperie Musik des Balkan 



DAS SCHAFFEN VON 

JOSIP SLAVENSKI 

KLAVIER: 

Aus dem Balkan, Gesange und Tanze . . M. 2.50 
Aus Sxidslawien, Gesange und Tanze . . M. 2. — 

Jugoslawische Suite, op. 2 M. 4.— 

S o n a t e , op. 4 M. 3. — 

Tanze u. Lieder aus dem Balkan, Heft I/E je M. 2.50 

VIOLINE UND KLAVIER: 

Siidslawisclier Gesang u.Tanz (Improvisation) M. 2. — 
Slawische Sonate, op. 5 M. 4. — 

VIOLINE UND ORGEL: 

Sonata religiosa, op. 7 . . . . . . . M. 4. — 

KAMMERMUSIK: 

Streichquartett, fur 2 Violine, Viola und 

Violoncello, op. 3 

Studien-Partitur M. 2.- Stimmen M. 8.- 

Aus demDorfe, Quintett f. Mote, Klarinette, 

Violine, Bratsche und Kontrabafi, op. 6 

Partitur M. 3.- Stimmen M. 8. - 

ORCHESTER: 

Balkanophonia, Suite fur Orchester . Part. M. 40. — 

Auffuhrungsmaterial nadi Vereinbarung 

CHOR: 

Voglein spricht (L'oiseau dit) fur Frauen- 

chor und Klavier Partitur M. 3. — 

Sangerpartituren nacri Vereinbarung 

Gebet zu den guten Augen fiir gemiscbten 

Chor a cappella Partitur M. 1.20 

Sangerpartituren nacb Vereinbarung 

B. S.CHOTT'S SOHNE, MAINZ - LEIPZIG 



516 



I Soeben erschienen: 

Bernhard Sekles 

I 

Erste Suite 



op. 34 

fur Klavier zu zwei Handen 



Ed. Nr. 2040 M. 4. - 

I n h a 1 1 : 

Vorspiel Erstes Zwischen- 
spiel / Toccatina / Erster 
Tanz / Zweiter Tanz / 
ZweitesZ wischenspiel / Fuga 
alia burla 



Bei dem unbestrittenen 
Mangel an geeigneten 
Repertoire-Stiicken wird 
jeder Pianist gem zu die- 
sem reifen Wefke grei- 
fen, Von rhythmische r 
Pragnanz,abwechslungs- 
reich, dankbar, technisch 
nicht zu anspruchsvoll. 



B. Schott's Sohne / Mainz-Leipzig 



„Die 

ganz reizende Serenade 

eines der Werke Max Regers, die langst Bestandteile unaerer 
Hausmusik geworden sind", so schreibt Prof. W. Al tniann 
in dcr „Musik", ist im Original fur Flole, Violine und 
Bratsclie geschrieben. Statt der Flote konnte man natiirlich 
sell on immer eine Geigc nehmen. Jelzt hat Osaip Schnirli n 
aber die Bratsche fur Violoncell umgeschrieben so daft das 
Werk nunmehr in zwei neuen, bisher nicht ohne wei teres 
inogliclien Beselzungen gcspiclt werden kann. Er hat aber 
nocTi durch iiberaus genaue Bezeichnung des Fingcraatzes 
und der Phrasierung, sowie durch Einsetzung von Stich- 
noten in die Pausen die Austtihrung fiir den Einzelnen und 
audi fiir cias Zusanimeiispiel ungemeiii- erleichtert.'* 

Die ^Serenade" wird in der ncucn, der Musizieifahig- 
keil der breiteren Schichtcn angepassten Gestalt zuhlreiche 
neue Freunde sich erwerben. (Allgemciiie Musik-Zeitung) 

REGER, op. 77a, I. SERENADE, 
fiir 2 Violinen und Violoncell 
von OSSIP SCHNIRLIN 

Stimmen RJM 6. — 

In jeder M usikal ienha nd 1 ung erhaltlich 
oder v o in V c r I a g 

ED. BOTE & G. BOCK, 
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GREIF 



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4 Meisterwerke 

Deutscher Feinmechanik 

Verkaufsstellen in alien grofieren Stadten 



517 



BRUNO 


Das unentbehrliche Studienwerk fur jeden, der 
sidi eingehend mit Neuer Musik beschaftigt. 

HARMONIELEHRE 


f E1GL 


I. Die Lehre von dcr Hnr- 
monik der dintonischeii, 
der ganztonigen und dcr 
chromatischen Tonreihe. 
Umfang: I— XVI und 408 
Seiten mit 782 Nolenbei- 
spielen und zahlreichen Ta- 
bellen. 

II. Musferbeispiele zur Lehre 
von \cr Harmonik. 
Umfang: 120 Seiten 

In Ganzlcincn gcbundeii: 

Teil I: Mk. 12.— 
Toil II: Mk. 8.— 


Aus Besprechungen : 

. . . eroffnet teilweise harmonische Perspcktiven, die bisher in der Praxis noch 
koum beachtet worden sind, aber er gliedert sie sinnvo]! und organisch in den 
ganzen Komplcx ein. Hierher gehoren die glanzend geschriebenen Kapitel iiber 
dicFunf-, Sechs- und Siebenklange, die aufiertonale (1) Satztechnik und dieThcorie 
der alterierten Akkordik, die in dieser Form cbenfalls ganz neu sind . . 

Dr. Fischer (Allg. Muaik-Zeitung) 

... so darf man sie als die praktisch venvendbarste und in diesem Sinne 
als cine der besten Hormonielehren der Gegenwart bezeichnen . . . 

Dr. Veidl (Der Auftakt) 


B. SCHOTT'S SOHNE / MAINZ - LEIPZIG 



©oeben erfd)icnen : 

Otto 3o#um / (Sftrttf un& Me SBett 

Sine 2Belfmad)f3mufff 
fur eine ©ofoffimme, einffimmige S?inber« imb blerftimmigen gemifd)fen Sljor (ober funfffimmigen gem. Gfjor), 
©treid)ord)effer, Drget; gffiife, D&oe, (Slarineffe unb #ar(e ab. libitum. Seifjeffe jum 2Jtufifanten III. Jtcifje 
SSofattoerfe mft 3nflrumenten £eft 6. 1928. 12. ©effen. Dffab. 1. %\b. J>artitur;fart. 3UPt. 1.50. Besiell-Nr. 281. 
©fimmen: ©opran, M, ISenor, Sap, SSiolfne I, II, Sratfd)e, (Mo, ffonfrabajj, Dboe, 5I6te, Sfarineffe, 

#arfe, >gef ]e JUR. -.10. 

3n ber ^orm t>on Sbor'parabbraferi begegnen »ir filer elnem alien firlppenlleb, bad ble SJugdburger ©Ingftbule 1926 jum erffenmat 
aW fflflt>erf6r>ncn(>eS, Innlg blllenbed unt) bod) flraljleno aufleud)fenbe3 Slnale l&reii JBelbnadildfingend bracfofe. Sie Inflrumenlale 
Sefefeung in fammermufifallfd) empfunben uno bod) ben ©efang ntdjl (iberwucfiernb, told bod) felbR bat cfiorlfdje 3n|1rument nur a\4 
bereld)ernber, ble alien lleben JBelfen unterflreldienbet Jador geraenel feln. fflin|llerird)ed empfinb n litff bier lefete SBerie nld)l aui: 
bad grope, tolrflldje Srlebnld bed firippentounberd mug '6m (Iberjeugenb unb toegberellenb jur @eile geOen. ©le Parlllur Iff fo 

elngeridjlef, bag aud) ble „l(elne Sefefeung" gut (lingl. 

3n 3teuauffage erfdjeinf: 

Vincent £ti&ecf / 3ei&nddjfefatitaie 

(2Bff(fommeti, fuper iSrfiufigam) 
(Singerldjtef bon ^effmufr) OTeijj. 3f(ir tt>eiflimmigen &inber» ober 3frauend)or, jtoei (Sinjeulimmen, jfei 
©eigen uunb Safl. iSeifjefte jum 2Jluf(fonten III. !Reil)e BofattDerfe mit 3nfTrumenfen #eff 4. 1927. 
16 ©eiten. Qffao. 12-14. Zty. partifur fort. 'KSl. 1.- SSiofine I, II je WW. -.10. Bestell-Nr. 86. 

($eorg ^affmeijer 23er(ag / 2Bolfenbuffef*:5er(in 



518 



Ein neuer Sensationserfolg von 

J. M. HAUER 

Hauer, der im Vorjnhre mit seiner VII. Suite beim Frankfurter 

Musikfest einen groGen, spontanen Publikumserfolg errungen 

hat, welcher sich dann in Berlin wiederholte, hat jetzt neuer- 

dings mit seinen 

fANDLUNGEN, OP. 53 

Kammeroratorium fiir-Biihne oder Konzert 
nach Worten von Holderlin 

den starksten Erfolg beim Baden-Badener Musikfest 1928, erzielt. 
EINIGE PRESSESTIMMEN: 

Deutsche Allgemeine Zeituug (W. Sclirenk) 

. . . der grofie Erfolg des Festea. Hier spurt man den Klang einer~grofien und tiefen Menschlichkeit . . . 

ein formal ganz geschlossener mnsikalischer Ban . . . Jeder Takt dieses Werkes ist erfullt von lebendigem, 

warmherzigen Auadruck ... 
Badisclie Presse, Karlsruhe (Ad. Aber) 

. . . dos erste, grofie mit stiirmischem Jubel begriifite Ereignis des Festes . , . Hauer vermochte es zu dieaen 

HGlderlinschen Warten eine durcliaus ebenbiirtige Musik zu schreiben, eine Musik, die mit ihrem wie aus 

einer anderen Welt kommenden Klang alle Horer vom ersten Takt an in ihren Bann zwingt. 
Miinchner Neueste Nachricliten (O. v. Pander) 

. . . der Gewalt seines kunstlcrischen Schaifena konnte sicli niemand entzichen, der untcr dem Eindrucke 

die8er hocliat originellen und uberzeugenden Scliopfung stand. 
Dc Telegraf, Amsterdam 

Es war ein unerhorter Jubel; ein Ereignis, wie man ea selten erleben kann , . . Jedes Wort verstummt hier, 

Kritik muli vor einem Meister voll Enrerbietung schweigen und Hauer danken, dafi er uns von dem Uber- 

flufi der Schonheit so viel schenkt. 



DIE UBRIGEN ¥ERKE VON HAUER 

KLAVIERMUSIK m. 



V. E. Nr. 

8380 Klavierstiicke, op. 3, 9, 10, 16 
8381a/b Etuden, op. 22, I/H . . .a 
KAMM'ERMUSIK 



2.50 
3.- 



8667 



9443 



8395 
3438 



Streichquartett VI, op. 47, 

Stimmen 4. — 

LIEDEH 



Holderlin-Lieder, Bd. I, 
op. 10 u. 12, fur mittlere 
Stimme und Klavier . . 



2.- 



u. E. Nr. ORCHES|TERVEBKE 

Romantische Fantasie, op. 37 
Suite VI, op. 47 . . . 
9429 Suite VII, op. 48, Part. . 
7 sinfon. Stiicke, op. 49 
Sinfon. Orchestei'stiicke, 

op. 50 

Suite VIII, op. 52 . . 
Violinkonzert, op. 54 . 
Klavierkonzert, op. 55 



Mk. 



20.- 



Theoretische Schriften 



Vom Melos zur Pauke. Eine Einftihrung in die Zwolftonmusik ..... 1.— 
Zwolftontechnik. Die Lehre von den Tropen 1.- 

Durch jede Musikalienhandlung zu beziehen. 
Verlangen Sie Spezialverzeiclinis Hauer. 

UNIVERSAL-EDITION A. G., WIEN-L EIP;ZI G 



I 



519 



Im April d. J. erschien: 

Histor.-Biographisches 

Refardt Musiker - Lexikon 
der Schweiz 

Umfang: 360 S. Lexikonformat 

Preis : In Ganzleinen Rm. 20. — 

In Halbleder Rm. 24.- 



Umfafit die Namen, kurze 
Biographien nebst Quel- 
lenangaben u. vor allem die 
Werke v. 2440 verstorbeu. 
u. lebenden Komponisten 
u. Musikforschern in der 
Scliweiz, von den mittel- 
alterlichen Anfongen bis zur 
Gegenwart und bildet damit 
das um fosse nds te und zu- 
verliissigste Material fiir 
eine kiinftige schweizer. 
Musikgeschichte. 
Aufloge 1000 Exemplare. 
Interesacnten, namen tlicli 
Bibliotheken, mogen bald 
beatellen, da eine Neuauf- 
lage sehr fraglicli. 
Nahezu die Hal fte der Auf- 
lage bercits abgesetzt. 



Gebriider HUG & Co. / Zurich 

Vcrlag gewichtigsler sclnvcizcrischer Komponisten wie 
Andreae, Barblau, Brun, David, Hegor, Hans Huber, 
Lanber, Schoeck, SdiuHhefi, Suter, Wehrli usw. usw. 




L U C A MARENZIO 

$tffane((eti 

fiir &rci ©timmen 
j&erau«(gcge6en t»on &an$ @nget 

Bllf lladenlfdjem unt> beutfcfytm Xejjl. iiberfe&ung oon Paul £auemann. 24 @eilen parlllur, 2Jlf. 2.50, BA 96 

a(ud) in ber gegenflber bem 3JJabriga( fd)fid)feren ®affung ber 2$fffaneffe l)at 3J?arenjio, ber grbpte 
2Jlabrigafiff bed 16. 3al)rl)un&erf$, bie finnoofle Siutfbeufung unb fefnffe ©effamation betf Segtetf 
mif anmufiger OTetobif ju oerbinben twffanben. Die feine RfeinfunfT bicfer -Ciebetfd'eber forbert 
lebenbigffen 25orfrag. Slud) 3nffrumente fonnen miffpiefen ober bie ©ingffimmen j. Z. erfe&en. 

JAKOB REG N ART 

©eufftfje £iei>er m flfof <3«mmen / 1580 

3u fingen unb ouf 3nflrumenten %u fpieten / ^eraudgegeoen t>on £e(muty Cftfyoff 

48 ©eilen Parlllur, JJlf. 3.— BA 256 

3n biefen um>ertt>elf(id)en Sriid)fen beuffd)er £iebmuf(f fpfegetn f(d) £eben$gefiif)f unb 2JJufif» 
auffaJTung jener 3<*ft. ©ie gefcitfigte ©pradje bfefer 2J?ufif f ff t>ofl fonfrapunffifdjer Jeinljeiten fm 
Cftaljmen einer farbigen ftarmonif. S(ud) 3Bi& unb £aune fommen in ber oon 3of?ann ©faben fpdter 
ebenfafte oerfonten ©efd)id)fe bom Kutfucf unb ber 3lad)tfgarf gu ffyrem Jtedjt. Sludfufyrfidjetf 
2?ortPorf unb frififdjetf 3Jad)morf jeigen bie tt>iffenfd)afflid)e ©runbfage bicfer praffifd)en Sfudgabe. 



BARENREITER-VERLAG KASSEL 



520 



Die hisiorische Fassung 

Die Bettfer* Oper 

CT ' B e Beggar's O p e r a J 



wie sie aufgefiihrt wurde in 
dem Koniglidien Theater in 
Lincolns «Inn = Fields <1728). 

Gesdirieben von 

Mr. John Gay 

u. Dr. Pepusdi 
neu bearbeitet, musikalisdi revidiert 
und erganzt von Frederic Austin. 
Fiir die deutsdie Biihne unter Be= 
nuizung der Uebersetzung von 
Georgy Caimus, eingeriditet von 
Dr. Otto Erhardt und Dr. Kurt 
Eiwenspoefc. 



Die vorliegende Fassung der 
„Bettler=Oper" ist das Original 
Gay's und Pepusdi's in einer fiir 
den heutigen praktischen Biihnen= 
gebraudi zugesdinittenen Bearbei- 
tung von Austin und Piayfair. 

Uefoer 1500 Auffuhrungen 

hat diese Neuausgabe fiir die 
moderne Biihne in den Ietzten Jahren 
allein in London erlebr. Diese geist= 
spriihende Parodie auf die italie= 
nisdie Prunkoper des Rokoko, weldie 
seinerzeit die Handel'soSe Oper aus 
England verdrangte, ist — wie 
der beispiellose Erfolg beweist — 
audi heute noch als originelle 
Verbindung von Satire, Rauber- 
roman, Liebesabenteuer und Krimi- 
nalgesdiichte iiberaus wirksam. 

Urauffiihrunfj demnadist am 

Hessisdien Landestheater in 

Darmstadt. 



Klavierauszug Ed. 1071 M 12.- 



B. ScBott's Sofrne ■ Mainz und Leipzig 



Notenbeispiele zur Meloskritik I: 

»Neue Musik aus dem Sdionberg«Kreise« 



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Beilage zu MELOS Oktober 1928 



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MELOS 

ZEITSCHRIFT FDR MUSIK 

SCHRIFTLE1TUNG: PROF. DR. HANS MERSMANN 

Alle Sendungen fur die Sclinftleitung und Beapvechungsstiicke nach Berlin-Grunewald, Neufertallee 5 (Fern9pr. Uhland 3785) erbeten. 
Die Schriftleitung bittet vor Zuaendung von Manuakripten um Anfrage mit Riickporto. Alle Rechte fur sfimtJiche Beitrage vorbehalten, 
Verantwortlich fiir den Teil „Musikleben" : Dr. Heinrich Strobel, Berlin; fiir den Verlag und den Anzeigenteil: Dr. Johannes PetscliuU, 
Mainz / Verlag: MELOSVERLAG (B. Schott'a Sohne) MAINZ, Weihergarten 5; Fernsprecher 529, 530; Telegr.: MELOSVERLAGt 

Postacheck nur Berlin 19425 • Auslieferung in Leipzig: Linden a trafie 16/18 (B. Schott's StJhne) Druck: B. Schott's Sohne, Mainz 
Die Zeitschrift erscheint am 15. jeden Monata. — Zu beziehen durch alle Buch- und Muaikalienhandlungen oder direkt vom Verlag. 
Das Einzelheft kostetl. - Mk., das Abonnement jahrl. 8. - Mk., halbj. 4.50 Mk, viertelj..2.50 Mk. (zuziigl. 15Pf. Porto p.H., Ausland 20 Pf. p. H.) 
Anzeigenpreise: '/> Seite 100.- Mk. 1 ( i Seite 60.- Mk. 1 j 4 , Seite 35.- Mk. Bei Wiederholungen Rabatte. Auftrfige an den Verlag. 



ZUM INHALT 

Begriindung und Ausbau musikalischer Gegenwartsfragen fiihren immer wieder 
iiber die engeren Kreise der Musik hinaus. Deren Entwicklung als Ted eines grofieren 
Ganzen zu sehen, sie einzuoidnen in das Gesamtbild der Zeit, Briicken hinuber zu 
schlagen zu den andern Kunsten, ist Forderung, die immer neu und dringlicher erscheint. 
Auf sie ist der Hauptteil dieses Heftes eingestellt, nicht im Sinne der Vollstandigkeit, 
in der ein Uberblick iiber alle Krafte der Zeit zu geben versucht wiirde. Statt dessen 
leitete uns diesmal der Gedanke, einige Personlichkeiten von ausgepragter schopferischer 
und kritischer Aktivitat um Aufierungen zu bitten. So sprechen ein literarischer Kritiker, 
dessen Werk von starkstem Gegenwartsbewufitsein getragen wird, ein den jiingsten und 
zeitbetonten Problemen zugewandter Architekt und ein Maler aus dem Kreise des 
Dessauer Bauhauses. Die Einheit der Gesinnung, welche sie bindet, ist die gleiche, die 
in dieser Zeitschrift immer zum Ausdruck gebracht wurde. 

In der Rubrik AUSLAND wollen wir in einer Reihe von Heften die Beziehung zu 
den romanischen Nachbarvolkern, zu Italien und Frankreich ausbauen. Im RUNDFUNK 
tritt neben zusammenfassende Berichte die Erorterung aktueller und musikpolitischer 
Probleme. Die erweiterte Form unserer MELOSKRITIK nimmt aufier der kollektiven 
Wurdigung des jungen siiddeutschen Komponisten Hermann Reutter zu den wichtigsten 
Erscheinungen musikalischen Schrifttums Stellung. 

Die Schriftleitung. 



[ I e r b e r t ,T h e r i n g (Berlin) 

ZEITTHEATER 

Eine Krise durcbzieht die gauze Kunst. Eine Bewegung, die man in der Diclitung, 
in der Malerei, in der Architektur, in der Musik erkennen kaim; eine Bewegung, die 
Oper und Drama, also audi Operndarstellung und Schauspielkunst ergreifen mufi. Es 
ist die Krise der Gefiihlsbewaltigung, der direkten Wiedergabe der Empfindungen. Nicht 
umsonst ist sogar in der deutschen Diclitung, die weniger epische Bestandteile hat als 
irgendeine Poesie der Weltliteratur, das Anwachsen der berichtenden, der epischen Ktinst 
bemerkbar. Nicht umsonst treten in der Oper die direkten, dramatischen Gefiihlsex- 
plosionen zuriick. Nur in die Auffuhrungen der klassischen Schauspiele und Opern 
fiiichtet sicb immer wieder das alte Theater. 

Neue Stoffkomplexe kommen herauf, die eine andere Art der Verdeutlicbung ver- 
langen. Man spiirt Welt und Weite, Volkerschicksal, Erdschicksal — noch nicht geformt, 
aber als Material. Die Bereicherung der Biihnenmittel dient einer Bereicherung der 
Anschauung, die mechanische Vervollkommnung einer Erweiterung des Erlebnisbezirkes. 

Das dramatische Schaffen der Gegenwart: weniger als jemals kann man es lite- 
rarisch losgelost und ohne Zusammenhang mit den Biihnenmoglicbkeiten der Zeit be- 
tracblen. Es gibt eine Zeitdichtung aus der Zeit. Es gibt eine Zeitdichtung gegen 
die Zeit. Der grofie Kiinstler gegen die Zeit ist Ernst Barlach. Adlig und einsam. 
AVeltfern und weltnahe, weltzufern und weltzunahe. Deutsch in einem tragischen, 
ergreifenden Sinne. Inbriinstig imd schwierig; streng und verschlossen ; priesterlich 
und prophetisch. Der Anblick des menschlichen Kampfplatzes ergreift. Das Schlacht- 
l'eld ist der Dichter selbst. Ernst Barlach ist der Schauplatz seines Dramas. 

Kein grofierer Gegensatz zu Barlach ist denkbar als Bert Brecht. Wenn Barlach 
alle individualistischen Spannungen durch Uberirdisches und Gottliches ausgleichen lafit — 
clurch das Gottliche im Individuum — so fuhrt Brecht das Individuum in das KoUektivum 
zuriick. Er geht dicsen Weg von Jahr zu Jahr klarer. Man sieht es an der "Wandlung, 
die von seinen Dramen etwa das „Dickicht" durchgemacbt hat. In keiner dramatischen 
Dicbtung des letzten Jahrzelmts war so stark das ausgedriickt, was ich das Anfangsge- 
fiihl nennen mochte. Hier ist das Anfangsgefuhl, das die naturfernste Weltstadt wie 
eine neue Natur, wie unwegsames, unentdecktes Urland zeigt. Im „Dickicht" waren 
die rohesten Elemente einer brutalen, hemmungslosen Zeit angesetzt, urn eine geistige 
Schlacht zu schlagen. 

Die Atmosphare dieser Schlacht faszinierte. Eine tropische Hitze, eine arktische 
Kalte lag wechselnd iiber einer gigantischen, teclmisch-raffinierten, technisch-barbarischen 
Stadt. Brechts Zukunft mufite dort liegen, wo er dramatisches Klima auch ohne Exotik 
schaffen wiirde. Exotik als Schmuck, als Verlegenheit war iiberwunden. Exotik 
auch als formales Prinzip zu iiberwinden, mufite Brechts Entwicklung sein. Brecht 



ZEITTHEATER 523 



ist den Weg zum Ziele einer wesentlichen Dramatik gegangen. Er hat den Mut gehabt, 
die uppige Naturkraft seines Friihwerkes „Baal" zu beschneiden. Er hat aus der Bal- 
lade eine dramatische Biographie gemacht. Kontraste sind wesentlich geworden, die 
sonst kaum angedeutet waren, wie das Auftauchen der Riesenstadte, das Nahen einer 
eisernen, steinernen, mathematischen Zeit hinter der versinkenden Naturwelt des „Baal". 
Brecht ist im Drama denselben Weg gegangen, den seine private und lyrische Entwick- 
lung genommen hat : den Weg von seiner Heimatstadt Augsburg nach Berlin, von 
Bayern nach Ruhrort und^ins Industriegebiet, von den Knabenspielen am Lech zur 
Maschinenarbeit am Niederrhein, von den Seerauber-Balladen zum Lesebuch fur Stadte- 
bewohner, von farbigen Erfindungen zu gedrungener Sachdarstellung. Das neue ,,Dickicht", 
der neue „Baal", die Komodie „Mann ist Mann" sind Ubergangswerke, hinweisend aid' 
soziale Stiicke, auf grofie Stadte- und Industrieschauspiele. Langsam die Sinnlosigkeit 
der rein asthetischen Wertung aufdeckend und ein anderes Urteil herausfordernd als 
„gut oder schlecht". Sie sind das Resultat einer Welt- und Kunstanschauung, die die 
Mechanik des Maschinenzeitalters weder feiert noch angreift, sondern selbstverstandlich 
nimmt und dadurch tiberwindet. Die Entwicklung geht immer mehr auf Schmucklosig- 
keit und Sachlichkeit. Immer mehr werden aromatische und atmospharische Wirkungen 
abgestreift. Immer mehr befreit man sich vom Exotischen und Farbigen. Immer mehr 
strebt man einer Dichtung zu, die ohne Metapher zu haben, Metapher ist. Man kann 
sogar bei Goethe in den Maximen und Reilektionen einen Satz finden, der ahnliches 
andeutet: „es gibt eine Poesie ohne Tropen, die ein einziger Tropus ist". 

Brecht gehort zu der Theaterbewegung, die auf der einen Seite sich mit Piscator, 
auf der anderen mit dem Begisseur Erich Engel beruhrt. Es kann nicht schlecht stehen 
um eine Sache, die miihelos mit den Bewegungen auf verschiedensten geistigen Gebieten 
zusammenkommt. Starre Formen werden durchbrochen. Selbst die konservativste 
Kunstgattung: die Oper wird aufgelockert. Selbst das konservativste Publikum : das 
Musikpublikum wird beweglich gemacht. Vom Film fiihrt eine Linie zu Strawinskys 
herrlicher „Geschichte vom Soldaten", von der „Geschichte vom Soldaten" zu der spren- 
genden, gegenwartigen, beschwingten ,,Dreigroschenoper". Es ist kein exclusiver Kreis, 
der literarisch oder musikalisch „reformieren" will. Die Bewegung ergreift die absterbendc 
Operette wie die strenge Kunst, sie will die Vergniigungsindustrie treffen wie das Kon- 
zertpublikum. Sie beruht sich auf der einen Seite mit dem Ausdruck des Films: Chaplin. 
Buster Keaton, auf der anderen mit den versachlichenden Bestrebungen der Musik : 
Otto Klemperer, Strawinsky, Paul Hindemith, Kurt Weill, auf der anderen mit Piscator. 
Strawinskys „Oedipus Rex", der das Oedipusdrama in lateinischer Sprache, mit Choren 
und einem erklarenden, hinweisenden Sprecher fast wie eine Liturgie gibt, in objekti- 
vierendem, epischen Ablauf; Brecht, der ein neues Drama plant „Der Untergang des 
Egoisten Johann Faszer" modern, mit Sprechchoren, ruhig, einfach, Vorgange episch dar- 
stellend; Erwin Piscator, der den Film als chorisches, begleitendes, episches Element 
verwendet; Kurt Weill, der JVIahagonnysongs" als episches Songspiel plant; Otto Klemperer, 
der aus der Musik jede falsche und verschwommene Gefiihlsdramatik heraustreibt; der 
Regisseur Erich Engel, der als Spielleiter die unaufgeregte, klare, verstandliche Darstellung 
der Vorgange anstrebt: was bisher getrennt nebeneinander- und auseinander lief, das 
verbindet sich. Fruher dichtete jeder willkurlich darauf los. Da deklamierte treuherzig 



524 GEORG MUCHE 



Schmidtbonn. Da glaubte Herbert Eulenberg den romantischen Philisterschreck auf- 
stellen zu konnen. Da liefi Fritz von Unruh seine bombastischen Phrasen los. Selbst 
Ernst Toller blieb im losgelost Ideologiscben, und Georg Kaiser, der einen untriiglichen 
Zeitinstinkt hat, arbeitete isoliert. Da wurde gegen die Zeit gewettert, da wurde fur 
die Zeit Partei genommen. Jeder fur sich, keiner fiir den anderen. Diese Zeit ist end- 
giiltig vorbei. Es ist weniger eine Zeit der einzelnen Begabung, als eine Zeit der ge- 
meinsamen Kraft und Bewegung. Wie in dem Prinzip des neuen Bauens immer inehr 
der Geraeinschaftsgedanke betont wird, wie die Zeit des individualistischen biirgerlichen 
Hauses vorbei ist, so hat sich audi das Theater von Grand auf gearidert. Neue Lebens- 
formen. Neue Biihnenformen. Es gibt eine Zeitbewegung. Es gibt Kiinstler, die zu- 
sammengehoren. Die Zeit der Vereinzelung ist vorbei. 



Georg Muche (Berlin) 

MALEREI 

Im Vergleich zur Popularitat technischer Leistungen, gemessen an dem Interesse 
das Sport, Film und Bevue finden ist die Anerkennung, die der modernen Malerei ent- 
gegengebracht wird, gering. Dem Glauben an die Zuverlassigkeit wissenschaftlicher Forschung 
und der Erkenntnis ihrer offenbaren Bedeutung entspricht fast vollkommene Indolenz den 
Phanomenen bildender Kunst gegenuber. Vom Gipfel rationalistischer Anschauung aus 
betrachtet, schwindet die Malerei zu einem bedeutungslosen Blickpunkt zusammen und 
man mufi sich schon von den geringen Spuren, die sie an der OberflSche der heutigen 
Gesellschaftsschichtung bildet, abwenden, um Werte zu finden, die ihrer absoluten 
Bedeutung auch heute entsprechen. 

Die Duldung, die bildende Kunst immerhin nocli bei Staat und Burger findet, ist 
nicht viel mehr als das anerzogene Pflichtgefiihl einer Vergangenheit gegenuber, in 
welcher der Begriff Kultur ohne die Kiinste nicht denkbar war. Die Duldung steigert 
sich zur Anerkennung dann und wann, aber die Motive sind in den wenigsten] Fallen 
geeignet, eine Notwendigkeit der bildenden Kiinste fiir den heutigen Tag zu be- 
griinden. Die Bationalisierungs-Bestrebungen haben die Entwicklung der modernen 
Malerei im letzten Jahrzehnt stark beeinflufit — so sehr, dafi die spaten Auslaufer der 
abstrakten Gestaltung endgiiltig in dem Formalismus der modernen Architektur, 
Typographie und Beklame ihr Ende gesucht und gefunden haben. 

Das Mafi der Anerkennung ist nicht entscheidend fiir den Wert einer Sache, die 
ihre sinnvolle Bedeutung nicht an dem Grad ihrer praktischen Brauchbarkeit, sondern 
dort beweisen mufi, wo in tieferen Schichten geistige Prinzipien zur Ordnung und zum 
Aufbau drangen. 

Die widerspruchsvolle Folge der Entwicklungsreihen innerhalb der Malerei lafit 
jede auf eine absolute Bichtigkeit begrenzte Zielsetzung als Irrtum erscheinen, der wie 
iiberall auch hier notwendig ist als Voraussetzung fiir den Glauben an den Wert mensch- 
lichen Bemiihens iiberhaupt. Die theoretische Begriindung einer kiinsderischen Leistung 
wird damit unwichtig. Die Theorie kann rich tig sein immer nur in Bezug auf die vorbe- 



MALEREI 525 



dachte Absicht und auf die Mittel, die zur Realisierung notig sind - aber nicht als verall- 
gemeinerte Wissenschaft. Insofern sind audi die nachtraglich konstruierten Theorien, die in 
den Moglichkeiten der abstrakten, gegenstandslosen Gestaltung eine besondere Erweiterung 
und Vertiefung der Malerei und die Sprengung ihrer bisherigen Grenzen erwarten, un- 
zuverlassig. Letzten Endes entscheidet dasselbe Mafi, mit dem auch die entgegengesetzt 
begrtindete Leistung gewertet wird. Im Reiche des Schopferischen koinzidieren die Gegen- 
satze. Die Qualitaten des Impressionismus werden durcli die Theorien der modernen 
Maler nicht beeintrachtigt, obwohl der Kubismus in direkter Opposition zu ihm entstand 
und ihn zeitlich abloste. 

Die moderne Malerei — das ist ihre Entwicklung zwischen 1908 und jetzt — 
erlebl ihren Hohepunkt am Anfang. Der Beginn ist von elementarem Gestaltungswillen 
getragen und die ersten Ausstellungen in Paris und Deutschland wirken sensationell 
und tragen Erregung in die breitesten Schichten. Sie zwingen zur allgemeinen Auf- 
merksamkeit. Es folgt fast allgemein Verurteilung und Ablehnung. Diese Symptone 
sind ein wichtigeres Zeichen fiir den Wert der Malerei, als oberflachliche Anerkennung 
und Erfolg es gewesen waren. Die Erorterungen der Probleme der Malerei werden bis 
in die Reihen der Behorden getragen. Abgeordnete der franzosischen Deputierten- 
kammer stellen Antrage, um Burger und Staat vor den Kubisten zu schiitzen und in 
Deutschland bemiiht sich die Kritik zunachst, die modernen Maler in Verruf zu bringen. 
Die Manifeste der Futuristen, die Malereien der Kubisten, Expressionisten und abstrakten 
Maler wirken aufreizend in der geruhsamen Entwicklung der Vorkriegsjahre. 

Und warum dieser Erfolg, der sich zunachst in der Emporung des Publikums 
aussert? Es hatte sich das wiederholt, was schon zur Zeit des Impressionismus wenige 
Jahrzehnte vorher eingetreten war. Auf einem bestimmten Gebiet wurden die ge- 
wohnten Begriffe und Vorstellungen vollstandig aufgehoben. Die Gesetze der Vernunft 
schienen verwirrt zu sein. Man konnte seinen Augen nicht mehr trauen und auf der 
anderen Seite, bei den Malern wurde behauptet, dafi dies alles im Sinne einer 
organischen Gesetzmafiigkeit geschehe, dafi die Moglichkeiten der Malerei wieder un- 
endlich bereichert wurden und mehr noch, dafi man nun einer hoheren Ordnung der 
Bildgestaltung nahe ware. Von hier an beginnt das Formproblem der modernen Zeit 
aktueB zu werden. 

Zunachst bleibt die Malerei noch frei von verallgemeinernden Tendenzen. Die 
Auseinandersetzung mit den Problemen der Technik bleibt auf das Motivische 
beschrankt. Das malerische Problem steht noch allein im Vordergrund. Lediglich die 
italienischen Futuristen propagieren durch penetrante Literatur Umsturz auf alien Ge- 
bieten. Die Konzentration des Inter esses auf die Malerei bleibt zunachst erhalten und 
erst im zweiten Jahrzehnt der Entwicklung beginnt die Verallgemeinerung. Die neue 
Form, die im Bild zuerst Gestalt geworden ist scheint in ihren Elementen und Prinzipien 
geeignet zurModernisierung auch der technischen Produktion, soweit es sich um Probleme der 
Form handelt. Die Grundung und Entwicklung des Bauhauses ist ein Schulbeispiel 
dafur. Das Schlagwort seiner ersten Ausstellung heifit: „Kunst und Technik eine neue 
Einheit". Es wird der Versuch zur Bationalisierung der Kunst — der Malerei — 
gemacht. Die Durchfiihrung ergibt interessante Versuche, auffallende Leistungen und 
wesentliche Anregungen bei nach und nach vollstandiger Preisgabe der Malerei als Kunst 



526 GEOHG MUCHE 



und Ziel. Die Erfahrungen der abstrakten Bildgestaltung werden zu Form- und Farb- 
lehren zusammengefafit, sie geben den padagogischen Unterbau fur eine Methode, die 
in der Architektur die Aufgaben zu finden glaubt, in der die im teclinischen Zeitalter 
iiberflussige Malerei aufzugehen Gelegenheit hat. Es beginnt die Infiltration der Archi- 
tektur mit Malerei. Die Malerei fangt an, einen heimtuckischen EinfluG auszuuben. 
Die Ideen der abstrakten Gestaltung dringen ein in den formlos gewordenen Organismus 
der tradition ellen Bauerei und verursachen eine Verpuppung der Architektur durch 
welche die Modernisierung des Hausbaus vorgetauscht wird. Die Durchdringung von 
bildender Kunst und Technik hat die Klarung des Problems „Kunstform — Ingenieur- 
asthetik" zur Folge. 

Die enge Verbindung moderner bildernder Kunst mit der technischen Entwicklung 
im 20. Jahrhundert fiihrt nach einer aufierordentlich bedeutungsvollen Zeit schopferischen 
Austauschs auf geistig durchaus polar gelagerten Gebieten mit uberraschender Konsequenz 
zur gegenseitigen Abstofiung. Die Illusion, dafi die bildende Kunst in der schopferischen 
Art technischer Formgestaltung aufzugehen hatte, zerschellt in dem Augenblick, in dem 
die ersten Beispiele zustande kommen. Die aus der kiinstlerischen Utopie in das ver- 
heifiene Gebiet der technischen Gestaltung herausgefixhrte abstrakte Malerei scheint ganz 
plotzlich ihre vorausgesagte Bedeutung als formbestimmendes Element zu verlieren, weil 
die Formgestaltung des mit technischen Mitteln erzeugten Industrieproduktes sich nach 
einer Gesetzmafiigkeit vollzieht, die nicht von den bildenden Kiinsten abgeleitet werden 
kann. Kunst und Technik sind wesensverschieden. Die technische Form entsteht im 
Gegensatz zur Kunstform iiberindividuell als Ergebnis einer objektiven Problemstellung. 
Die Argumente der Zweckmafiigkeit und der technischen, wirtschaftlichen und organi- 
satorischen Rentabilitat werden zu Formbildnern eines in seiner Art erstmaligen Schon- 
heitsbegriffs. Das kxinstlerische Formelement ist ein Fremdkorper im Industrieprodukt. 
Die technische Bindung macht die Kunst zu einem nutzlosen Etwas — die Kunst, die 
allein tiber die Grenze des Gedankens hinaus zur Grofie schopferiscber Ungebundenheit 
einen Ausblick geben kann. 

Der Einflufi der Malerei bleibt nicht auf die Architektur beschrankt. Die Neigung 
zu Formwandlungen ist allgemein. 

Foto und Fdm als hochwertige, modern e Darstellungsmittel beunruhigen die Theorien 
der Malerei und bedrohen sie am meisten in ihrer Existenz. Sie liefern die Argumente 
gegen die Malerei, die neben der Kamera zu einem Handwerk wird, das im Zeitalter 
der Technik keine Berechtigung zu haben scheint. Sclion die Erfindungen Daguerres 
und die schnelle Vervollkommnung der Fotografie im 19. Jahrhundert hatten die Malerei 
in eine Krisis gebracht und die Spekulationen iiber die Kontroverse Malerei — Fotografie 
begannen schon damals und fanden ihren Ausgleich in dem Schlagw r ort des Impressionismus 
von der „Kunst, die Natur — gesehen durch das Temperament des Kuustlers sei." 

Zur Rechtfertigung der Malerei fand man heraus, dafi die Kamera das Temperament 
paral) r siere, dafi durch die Zwischenschaltung chemisch-physikalischer Vorgange die 
Formel fur die schopferische Leistung nicht mehr stimme. Aber je mehr der Anschlufi 
an die Technik und Wissenschaft gesucht wurde, desto griindlicher wurden die Beziehungen 
zur Fotografie wieder aufgenommen. Die Experimente moderner Farb-Formgestaltung 
bereichern die Moglichkeiten der Kamera (abstrakter Film, Fotogramm und Fotomontage). 



B A U E N 527 



Die Verbindung optischer und phonetischer Kompositionen wird versucht und in 
diesem Bereich beriihrt sich die Malerei am starksten mit der Musik (Farborgel-Farb- 
lichtspiele). Nach den bisherigen Versuchen einer Verbindung von Farbe und Ton 
beurteilt, bedeutet die Summierung in diesem Fall kein „mehr", sondern es erfolgt 
trotz des erhohten Effektes eine Spaltung des Erlebniseindrucks, weil die optischen und 
phonetischen Gesetze, soweit sie im Bereicli der sinnlichen Wahrnehmung liegen, nicht 
einheitlich sind. 

Aufierhalb der Grenzgebiete, in denen der Einflufi der modernen Malerei spiirbar 
wird und unberiihrt von aUen Bedenken und Einschrankungen besteht sie in sich weiter. 
Obwohl das Wort „Kunst" als Bezeichnung fiir einen Atavismus nur noch ungern 
gebraucht wird (an seine Stelle tritt immer mehr das Wort „Gestaltung" oder urn den 
Anschein einer grofieren Wissenschaftlichkeit zu erwecken einfach die Bezeichnung „G"), 
bleibt die Bildermalerei weiter bestehen. Die rationalistischen Gedankengange beruhen 
auf Oberflachenforschung und beriihren das Wesen der Kunst nicht. Die Malerei 
bleibt, obwohl sie ein Handwerk ist, ein Mittel kiinstlerischer Gestaltung von hochster 
Geeignetheit, weil in ihren Grenzen die Beziehung von Absicht und Darstellung in der 
proportionalen Verbundenheit so eminent rich tig ist. 



Hans Scharoun (Breslau) 

BAUEN 

(Schopfung und Betrachtung) 

1. 

Das Zusammenwirken von Gefiihl und Verstand ist in gleicher Weise Voraussetzung 
fur den Schopfer eines Kunstwerks wie fiir den Betrachter. Ein Mehr oder Weniger an 
Geliihl oder an Intellekt sowohl im Schopfer als im Betrachter ist mafigebend fiir eine 
mehr oder weniger vollkommene Verstandigung zwischen beiden. Notwendig fiir den 
Betrachter ist also das „Erkenne Dich selbst", um den Schopfer erkennen zu konnen, 
damit er, ist eine Blutsverwandtschaft an Gefuhl und Geist nicht da, die Achtung re- 
gulierend einschalten kann. Durch das Kunstwerk wird audi der Betrachtende Kiinstler, 
wenn er es in der Betrachtung erschopft. 

Im Vorgang der Schopfung erfafit Verstand Zweck, Material, Soziologisches ; 
fiihrt Intuition zu umfassenden Erkennen der Aufgabe und des Krafteverhaltnisses des 
Schopfers zu seiner Aufgabe. So ergibt sich Ausdruck; Buckkontrolle setzt ein und als 
Ergebnis des Wirkens beider Krafte entsteht die Form. (Oberwiegen die Mittel, bleibt 
eine Mittel - Mafiigkeit.) 

Bein menschlich ausgedriickt : Aus jeder Schopfung, jeder Form spricht das „Sein 
und Werden". Das S ein (was ich bin"): das „Verhaltene" ; das „Uberschwengliche" ; 
das „Gespannte" usw. usw. d. h. samtliche menschliche Register von Ekstase bis Askese, 
von Hingabe an den Makrokosmos oder Mikrokosmos. Das Werden („was ich durch 
Erkenntnis erkampfe") d. h. das — korperlich und geistig — an den menschlichen Mafi- 
stab Gebundene. 

(Keine Giittlichkeit beim Siedlungsbau.) 



528 HANS SCHAROUN 



Das Werk eines Kunstlers wird dem jeweiligen Krafteverhaltnis von Sein und 
Werden entsprechen ; hierbei ist er abhangig von dem Entwicklungsstande der Rasse 
oder der Nation, der er angehort. Daraus erhellt die Wichtigkeit der Relation von Sein 
und Werden innerhalh der Nation und schliefilich innerhalb der Menschheit. Die Ver- 
schiebung des Krafteverhaltnisses zu Gunsten der Erkenntnis, auf Kosten der Intuition 
(bei fortschreitender Zivilisation) bringt es mit sich, dafi infolge einer allgemeinen 
Verbundenheit mit menschlichem Mafistab Einzelpersonlichkeiten weniger hervorragen. 
(die Entwicklung Frankreichsj. Es ist ja so, dafi bei fortschreitender Erkenntnis die 
moralische Zwangsbindung durch den Staat abgelost wird von einem Nebeneinander 
gleichwertig entwickelter Einzelwesen. (vom Kiinstler her gesehen vollzieht sich die 
Wandlung so : statt Einzelmensch im Leben — Einzelleben im Menschen.) 

Solange der kunstlerische und kulturelle Wille im Kunstler und im Retrachter 
(bewufit oder unbewufit) der Staatsmoral unterworfen ist, wird selbst Sinnliches oder 
Revolutionares ineiner der Staatsmoral noch genehmen Form zwangslaufig gestaltet. 
Von hier aus gesehen erscheint mir auch die Proklamierung der Sachlichkeit weniger 
ein Weg zur Eroberung vom Sachlichen her. als vielmehr ein Einfangen und Regulieren 
einer an sich lebendigen und revolutionaren Rewegung durch die „Moral". 

Daher ist mir erne „unmoralische" Architektur lieber. (Statt des Regriffes „Staats- 
moral" kann auch — leider allzuoft — der Regriff „Schulmoral" — gesetzt werden.) 

Die Methodik junger Architektur ist rasch iibersehen und erfafit. Zur Symmetrie 
tritt die Asymmetrie, Rhythmisierung gibt Moglichkeiten, ebenso wie Straffung und Auf- 
lockerung der Flache, die Verwendung neuen statischen Gesetzen unterworfener Materialien 
gestattet die exzentrisch getragene Horizontale, das Material bekommt statt seiner 
dekorativen oder schutzenden Funktion den Wert des Eigenlebendigen, die Rehandlung 
der Oberflache, von der der sinnliche Reiz fur den Reschauer ausgeht, wird zur Wissen- 
schaft par excellence, usw. Kurz, wie auf dem Gebiete der Musik, wird Reiz und Wert 
des einzelnen Instruments neu erfafit und verwendet und von selbst stent sich als 
Folge eine neue Art orchestraler Vereinigung ein. 

Viele Mitspieler sind notwendig, um dem Orchester „Zeitstil" Fiille zu geben. 
Leider wird von denen, die Mitspieler sein konnten, gar zu oft der Nachweis der 
genialen Einzelpersonlichkeit versucht (auf dem Gebiete der Musik iibrigens haufiger als 
auf dem der Architektur). 

Addierende Verwendung des 5i Nur" — Methodischen fuhrt zu leerer Monumentalitat 
(wie in der Geschichte: Deutschland nach 1870). Ris wir in Deutschland zu einer, die 
„Staatsmoral" ablosenden Sphare vorherrschender Erkenntnis vorgedrungen sind, wird 
Intution als bewegende Kraft immer und immer wieder wirksam werden mussen. 

2. 

Statt Theorie ein Reispiel: Reziehungen vom Hausbau zum Schiffsbau. Die Ver- 
schiedenheit der Voraussetzungen ist bekannt; aber Materialbestandteile und Konstruk- 
tionen, erst jetzt dem Hausbau gewonnen, sind beim Schiffsbau langst erprobt und 
benutzt, wenn auch auf anderer Mafistabsgrundlage. Man ersehnt, etwas von der Kuhn- 
heit moderner Scliiffskonstruktionen auf die Gestaltung des neuen Hauses iibertragen 
zu sehen und hofft, dadurch die Kleinlichkeit und Enge des heutigen Wohnungsbaus 
zu iiberwinden. (Selbst bei Musterbauten entzog man sich nicht dem Eindruck einer 



B A U E N 529 



vorhandenen Muffigkeit.) An derer seits wird der Schiffsbau nicht nur Anregungen 
geben sondern auch selbst empfangen. Man spricht von der „schwimmenden Stadt". 
1st diese Bezeichnung richtig? Entspricht sie den Tatsachen? Docn wohl nur insofern, 
als zwar Einrichtungen zur Befriedigung der Bediirfnisse vieler transportierter Passagiere 
vorhanden sein mvissen, wie sie sonst nur eine Stadt aufweist, die Art der raumlichen 
Losung jedoch nicht von der Idee der Stadt. sondern heute noch vorwiegend von der 
Idee eines schwimmenden Hotels ausgeht. Basis weiterer Entwickelung ware also, die 
Bezeichnung „schwimmende Stadt" ihreni eigentlichen Sinn nach Begriff werden zu lassen. 
Dies macht sich bei neuen SchifFsbauten bereits zogernd bemerkbar (Ladenstrafie, Aus- 
sichtscafe) und wird bald konsequenter durckgefuhrt werden mit dem Ziel ,,organisierte 
Stadt — gesetzt gegen die Ebene des Meeres". Innerhalb der Stadtmauer — Schiffswand die 
weite Strafie, an der anstatt an Kabinengangen die „Laubenganghauser" liegen werden, 
in ihr die Massenverkehrsplatze (Speiseriiume, Bestaurants, Sportplatze, Garten) als Platz- 
erweiterungen. Es ist Intuition, die versucht, Grofizugigkeit des Schiffsbaus dem Haus- 
bau, Planmafiigkeit der Stadt dem Schiffsorganismus zu geben. Wenn die Ergebnisse dieser 
Ubertragung noch reichlich formal erscheinen, so ist dies erklarlich, weil mit Hilfe prag- 
nanter Formelemente der dahinterstehende Ideenkomplex deutlicher vermittelt werden soil. 

Ein anderes Beispiel: Intuitiveres Eriassen des Gedankens „Berlin im Licht" ware 
fur diesen Versuch notig gewesen, um die Geschlossenheit seiner Durchfuhrung zu ge- 
wahrleisten. So blieb eine Beihe von Einzelansatzen : A d 1 o n : Die gute hergebrachte 
Form mit den Mitteln neuer Lichttechnik. AEG: Der Sinn des neuen Mittels, ver- 
spielt ins Formale. Unter den Linden: Der Sinn des neuen Mittels, verspielt 
ins Dekorative. Tauentzienstrafie: Vergroberung bereits vorhandener Beklame 
fuhrt zu einer Konsequenz, die Mafistabslosigkeit bedeutet und das Motiv der Uber- 
raschung ausschliefit, wahrend in der Leipzigerstrafie: dieses Motiv strahlender 
Uberraschung das intuitive Eingehen auf die grundlegende Idee zeigt. 

Intuition und Erkenntnis werden bewegt durch die Krafte der Phantasie des schop- 
ferischen Menschen. An welchem Punkte der Kampf zwischen Intuition und Erkennt- 
nis jeweils entscliieden wird, davon geben die Dinge um uns — optisch und akustisch 
wahrnehmbar — taglich Zeugnis. Es macht die Betrachtung von Kunstwerken viel- 
faltig und lohnend, wenn sich der Betrachter auf die natiirliche Notwendigkeit eines 
solchen Kampfes im Kiinstler besinnt. Er wird erkennen, da6 zwischen Intuition und 
Erkenntnis alle Gattungsarten (im wahren Sinne des Wortes) vorhanden sind. Welche 
Kraftepaarung ihm erlosend erscheint, und damit schliefit sich der Kreis im Sinne der 
Bemerkungen am Anfang dieser Ausftihrung, hangt von der Wesensart nicht nur des 
Kiinstlers, sondern auch des Betrachters ab. Es ist das „Zweierlei" in jedem Menschen, 
das zur „Einheit" im Werke des Kiinstlers und auch zur Einheit in der schopferischen 
Betrachtung drangt. Die Vielheit der Spielarten der Schaffenden und Betrachtenden 
ergibt den lebendigen Beichtum des Lebens. Blutsverwandte steigern einander, die 
Wirkung wird verdoppelt. Halbheiten auf Seiten des Kiinstlers und auf Seiten des 
Betrachters ergeben bei der Betrachtung notwendigerweise Viertelheiten. 

So beantwortet sich die Frage : "Wo steht die Architektur ? durch ein „das sehen 
wir", wenn wir bereit und fahig sind, ihr offen gegentiberzutreten. Wohin geht die Ent- 
wicklung? „Das werden wir sehen — nicht sagen konnen — sagen nur, dafi sie geht." 



530 ALFRED GUTTMANN 



WISSENSCHAFT 

Alfred Guttmann (Berlin) 

1ST EINE VIERTELTONSMUSIK MOGLICH? 

Schon in dieser Fragestellung kundigt sich an, dafi die nachfolgenden Darlegungen 
einen AngrifF bedeiiten. Dafi ich mich in dieser Zeitschrift iiber ein so gefahrliches 
Thema aufiere, gescliieht auf Einladung der Schriftleitung. Ich wage mich also in die 
Hohle des Lowen und berichte iiber jahrelange experimentelle Untersuchungen. 

Als Aloys Haba zuerst seine Vierteltonsmusik vorfuhrte — es war auf dem ersten 
lest der Internationalen Gesellschaft fur neue Musik in Prag im Jahre 1920 — 
machte idi ihn sofort darauf aufmerksam, dafi er sich erst einmal mit alten Unter- 
suchungen abfinden miifite, die ich gemeinsam mit Prof. Karl L. Schafer 1903 veroffent- 
licht hatte. Aus diesen Untersuchungen hatte sich ergeben, dafi ein fundamentaler Unter- 
schied in der Leistungsfahigkeit unseres Ohres besteht, je nachdem, ob wir zwei Tone von 
verschiedener Hohe gleichzeitig oder nacheinander horen. Die Unterschiedsem- 
pfindlichkeit unseres Ohres fur nacheinander dargebotene, um ein ganz geringes 
verschiedene Tonhohen, ist sehr grofi, ca. 0,05%. Die Unterschiedsempfindlichkeit hingegen 
fiir zwei gleichzeitige verscliieden hohe Tone, ist ungeheuer schlecht. Unsere damaligen 
Versuche waren so angeordnet, dafi zwei Tonquellen von identischem Klangcharakter, 
deren Hohe wir genau bestimmen konnten, gleichzeitig dargeboten wurden und dafi 
unsere Versuchspersonen ein Urteil abzugeben hatten, ob es sich um einen Ton handle, 
oder eine beginnende Unreinheit, eine deutliche Unreinheit oder gar um 2 Tone. Diese 
vor mehr als einem Vierteljahrhundert vorgenommenen Versuche fanden im Psycho- 
logischen Institut der Universitat Berlin statt (veroffentlicht in der Zeitsch. f. Psychol, 
u. Physiol, d. Sinnesorg. ' Bd. 32. 1903). Versuchspersonen waren in der Hauptsache der 
Direktor dieses Instituts Carl Stumpf, der Altmeister der Musik-Psychologie und beriihmte 
Akustiker; die andern Versuchspersonen waren Prof. Dr. K. L. Schafer, dessen Kenntnisse 
auf akustischem Gebiet ja ganz besonders grofi sind, Prof. Dr. E. v. Hornbostel, in 
gleiclier Weise als Musiker wie als Musikwissenschaftler erfahren; der Vierte war ich 
selbst, der ich mitten in der Musikpraxis und -theorie stehe und Physiologe von Fach 
bin. (Daneben haben gelegentlich zahlreiche bekannte Musiker von Beruf als Vergleichs- 
personen gedient.) Ubereinstimmend hat sich nun ergeben. dafi die Leistungsfahigkeit 
des Ohrs in der grofien Oktave Unterschiede bis zu 10% nicht erkennt. Zwei gleich- 
zeitige Tone werden also erst dann als unrein empfunden, wenn sie beispiels weise 60 
und 66 Schwingungen haben. Das ist ein Unterschied von beinahe einem Sekund-In- 
tervall! In der kleinen Oktave erkennen wir gleichzeitig Tone als unrein bei 4,5% 
Unterschied, in der eingestrichenen mit 1,7, in den hoheren Oktaven bei 1,5 — 0,75%. 
In dem Tonbereich, das Unlerhalb der grofien Oktave liegt, werden sogar Unterschiede, 
die einer Terz oder dem Tritonus gleich sind, bei gleichzeitiger Darbietung nicht einmal 
als zwei verschiedene Tone erkannt — so ahnlich sind sie! 

Herr Haba hat damals auf meine Einwendung geantwortet, er kenne wohl meine 
Versuche, folgere aber anderes daraus. Dies scheint mir eine unmogliche Argumentation. 



1ST EINE VIERTELTONSMUSIK MDGLICH? 531 

Die Tatsache der so aufierordentlich geringen Leistungsfahigkeit des Ohres fiir zwei Tone 
im Laboratoriumsversuch zeigt ja, dafi es in der praktischen Musik, wo doch ausnahmslos 
rhehr als zwei Tone zugleich ans Ohr dringen, in den tieferen Regionen (unterhalb der 
kleinen Oktave) gar nicht mehr darauf ankommt, ob man die halben Tone genau nimmt ; 
und noch viel weniger, ob man rein oder temperiert intoniert. Denn ein Fehler von 
10%, den das Ohr uberhort, ist ja um ein Vielfaches grofier als die Unterschiede 
zwischen den am meisten abweichenden Unterschieden innerhalb der Temperatur. So- 
mit ergab sich eigentlich schon aus diesen Versuchen, dafi ein praktisches Musizieren in 
so geringen Tonabstanden sinnlos ist, weil ja vier Yersucbspersonen, die ganz besonders 
qualifiziert sind, (indem sie sowohl als Musiker, wie audi als pschologisch und akustisch 
geschulte Beobachter eine hohe Leistung erreicben) derartige ,,grobe" Unterschiede bei 
gleichzeitiger Darbietung von zwei Tonen nicht erkennen konnen. 

Von einem vollstandig anderen Gesichtspunkt habe ich dann Versuche iiber die 
Intonation beim Singen 1910 begonnen und iiber deren Besultate zuerst 1914 auf dem 
Kongrefi fiir experimentelle Psychologie berichtet. Meine im Physiologischen Institut 
der Universitat Berlin ausgefiihrten Untersuchungen*) geschahen in der Weise, dafi ein 
Ton von unveranderlicher Hohe (es war meist eine Stimmgabel auf einem Besonanz- 
kasten) kinematographisch photographiert wurde. Zu gleicher Zeit wurde die Intonation 
eines Sangers mitphotographiert, der den gleichen Ton oder ein genau vorgeschriebenes 
Interval! zu ihm sang. Aus den so gewonnenen Kurven konnte man dann durch ge- 
naue Abzahlung der Schwingungen feststellen, inwieweit die beabsichtigte Tonhohe ge- 
trofFen war. Ich habe iiber 200 Kinematogramme aufgeriommen, von denen jede Auf- 
nahme im Durchschnitt 200 Schwingungen zahlt; das Material, aus dem ich meine 
Folgerungen ziehe, ist also ungemein grofi. Versuchspersonen waren mehrere Sanger 
von Beruf und Gesangslehrer (darunter eine Sopranistin, ein Tenor, ein Bafi) ein Pro- 
fessor der Musikwissenschaft. der ausgebildeter Bariton ist und der Verfasser, ebenfalls 
ausgebildeter Sanger (Tenor). Ferner ein Professor der Physiologie, (der Cellist und 
Gesangsdilettant ist) ; daneben noch eine Beihe von gelegentlich herangezogenen Sangern. 
Die Besultate ergaben ubereinstimmend, dafi innerhalb einer nur wenige Sekunden um- 
fassenden Tongebung. die Tonhohe des Singenden in uniibersehbaren Varianten wechselt, 
ofters um mehrere Prozent. Dieses wechselnde zu-hoch-Singen, zu-tief-Singen oder 
um-den-Ton-Herumschwanken, fand sowohl bei der Intonation des Unison als bei der 
Intonation eines bestimmten Intervalls zum Grundton, als bei dem Singen von Melodieen 
primitivster Art statt. (Natiirlich lassen sich die Einflusse von ungiinstigen Lagen, von 
Begisterschwierigkeiten, von Vokalunbequemlichkeiten. von der Wirkung des Glottisan- 
satzes, des Schwelltons usw. im einzelnen verfolgen; dies alles mufi ich hier natiirlich 
iibergehen). Es wurde klar festgestellt, dafi diese Intonationsschwankungen der menschlichen 
Stimme weit iiber die Unterschiede hinausgehen, die der Viertelton ausmacht. Eben- 
sowenig kann irgend ein Sanger absichtlich rein oder temperiert singen. Das Hoher- 
oder Tiefernehmen von gewissen Tonen hangt z. T. von aUgemeinen musik-psychologischen 
Gesetzen ab. So hat z. B. Otto Abraham, (dessen Versuche iiber Intonation eine Er- 
ganzung der meinigen bilden) nachgewiesen, dafi der Leitton die Tendenz zeigt, zum 

*) Die exakte Darstellung der ganzen Apparatur und die genauen Versuchsprotokolle sind aus- 
fiihrlich in der „Zeitschrift fiir Sinnesphysiologie" Bd. 58 (1927) verofFentlicht. 



532 ALFRED GUT T MANN 



nachfolgenden Grundton hinaufzusteigen. (Tonometrische Untersuchungen an einem 
deutschen Volkslied, veroffentlicht in der Psycholog. Forschung, Bd. 4. 1923). Die 
Differenzen zwischen den geiibten, z. T. mit absolutem Tonbewufitsein begabten Berufs- 
sangern und dem Dilettanten waren iibrigens recht gering, wenn auch erkennbar. Uber 
alle Einzelheiten kann man sich in der Originalarbeit (sowie in meinem Buch: „Wege 
und Ziele des Volksgesang" Verlag Max Hesse) informieren. Daselbst findet man das 
ganze Tabellenmaterial und zahlreiche Kurven. — 

Nun kann man einwenden, dafi Instrumentalisten vielleicht in der Lage waren, 
feinere Unterschiede zu machen als Sanger. Um diesen durchaus berechtigten Gedanken 
zu beriicksichtigen, habe ich die gleichen Versuche in den vergangenen Jahren auch 
mit Instrumentalisten gemacht. Das Problem gilt ja nur fur alle die Instrumente, deren 
Tonhohen durch die Technik des Spielers beeinflufibar sind. Fiir Instrumente mit fester 
Tonhohe, (Klavier, Orgel usw.) liegt hier kein Problem vor. Ich wahlte also fiir meine 
Versuche das Streichinstrument und nahm zuerst die Violine „unter die Zeitlupe". 
Versuchspersonen waren Dilettanten und ein beriihmter Virtuose und Lehrer an der 
Staatlichen Hochschule fiir Musik. Die Besultate waren hochst iiberraschend. Sie er- 
gaben namlich genau dieselben Fehler wie beim Singen! Es war auch gar kein Unter- 
scliied zwischen der Reinheit des Intonierens seitens der Dilettanten und des Berufs- 
musikers. Ich zog dann noch einen bekannten Cellisten, (Mitglied eines beriihmten 
Streichquartetts) heran und erzielte die genau gleichen Resultate. Weitere Versuchs- 
personen waren drei Blaser, die als Virtuosen wie als erste Lehrer ihres Fachs in der 
Hochschule fiir Musik tatig sind (Oboe, Horn, Posaune). Die Resultate waren ebenso 
„schlecht" wie bei den Sangern und Streichern. Bei alien Instrumentalisten zeigte sich 
ebenfalls dies Umherschwanken um eine bestimmte Tonhohe, das mehrere Prozent betrug. 

Interessant ist auch folgendes: Die Unisonversuche fallen stets besser aus, als jede 
Intervallintonation. Der Grund ist darin zu suchen, dafi das Treffen eines gegebenen 
Tones wesentlich leichter ist als das Intonieren eines Intervalls, weil ja hier die Auf- 
merksamkeit geteilt, d. h. auf die Vorstellung der betreffenden Tonhohe abgelenkt 
wird. Auch weifi man eigentlich niclit genau, welche Vorstellung der Musizierende 
wirklich verifizieren will. Wenn ich ihm z. B. die Tonhohe von 300 Schwingungen dar- 
biete und ihm die Aufgabe stelle, dazu die Terz zu singen oder zu spielen, so kann ich 
a-priori ebensowohl erwarten, dafi er eine Hohe von 400 treffen will, wenn er die 
reine Terz meint, oder von 403, wenn er die temperierte Terz meint. Wenn ich ihn 
eine Melodie c-e-c singen lasse, so hat das „e" — psychologisch gesprochen — eine 
vollig andere Stellung innerhalb dieser Melodie, als wenn ich ihn intonieren lasse c-e-f; 
deun im ersten Fall hat jeder Musiker c-dur im Ohr, im zweiten f-dur, wo das „e'* als 
Leitton zu f stets hoher gendmmen wird, denn als Terz zu c. 

Es hat sich also mit Sicherheit ergeben, dafi keine meiner Versuchspersonen — 
und es befanden sich darunter Musiker, die die Vierteltonmusik theoretisch verfechten 
und praktisch betreiben — im Stande war, Tonhohen darzustellen, die den Abstand 
des Vierteltons entsprachen. Der genannte Geiger hat einmal als Viertelton ein Inter- 
val! gespielt, das nur ein 20stel Ton war. Dabei handelt es sich doch hier um eine 
relativ einfache Aufgabe. Viel schwerer und komplizierter wird es nun, wenn ein 
Streichquartett Vierteltonmusik spielt ; zum mindesten miissen vier verschiedene Tonhohen 



1ST EINE VIERTELST0NMUS1K MOGLICH? 533 

zu gleicher Zeit als Vierteltone intoniert werden — ganz zu schweigen von einem in 
Vierteltonen spielenden Orchester oder Chor. 

Es scheint mil 1 , da£ sich meine Intonations-Resultate durchaus mit den alten Hor- 
resultaten decken und dafi hier ein fundamentales Gesetz sich bewahrheitet: Man kann 
niclit mehr leisten, als man mit semen Sinnesorganen w a h r n e li m e n kann. Wie sollte 
man also Vierteltone spielen oder singen konnen, die man ja bei gleichzeitigem Klingen 
ernes zweiten Tones niclit einmal ho re 11 kann! Alle diese Tonhohen, die sich als 
„ Vierteltone" ausgeben, haben also nur dieses gemeinsam: sie sind grofier als 
das Unisono und sie sind kleiner als ein halber Ton. Und auch diese letzte, 
schon recht weitgehende Definition mufi noch einmal eingeschrankt werden. Aus meinen 
Intonationsversuchen ergibt sich, dafi das am hochsten distonierte h, das eine meiner 
Versuchspersonen einmal gesungen hat, hoher war, als das am tiefsten destonierte c, 
das sie ein anderes Mai gesungen hat. Mit andern Worten: audi geiibte Versuchsper- 
sonen singen gelegentlich nur ein en halben Ton oder noch mehr zu hoch oder zu tieft 

Da aber unser Ohr gutwillig harmonisch hort, so nehmen wir bei der praktischen 
Musik Detonierfehler, die unterhalb \% bis \^\i.% bleiben, nicht wahr. Volker die ein 
anderes Bezugssystem haben, wie etwa die Sianiesen oder Javaner mit ihren, die 
Oktave in 5 resp. 7 gleiche Tonschritte teilenden Skala haben natiirlich Intervalle, die 
in unserem Sinne weder rein noch temperiert sind. Wer sich also als Forscher 
viel mit soldier Musik beschaftigt, der ist im Stande, eine Terz whklich als neutral, 
d. h. weder als „kleine", noch als „grofie" Terz aufzufassen. Aber 99,9% aller Musiker 
werden als c-dur oder c-moll auffassen, wenn die Terz weder E noch Es ist. Nur, 
wenn der Ton weder als Dur-Ton noch als Moll-Ton aufzufassen ist, werden sie meinen, 
der Betreffende singe oder spiele „unrein". 

Dies alles gilt aber, wie anfangs gesagt, nur fur einen verhaftnismafiig kleinen 
Bereich der Musik. In den unteren Begionen (des Klaviers und Orchesters) kommt es 
sogar nicht einmal darauf an, ob man Halbtone oder Ganztone ninimt. Denn hier ver- 
sagt die Unterschiedsempfindlichkeit unseres Ohrs ja noch mehr als in den wenigen 
Oktaven des mittleren und oberen Tonbereichs, die wir fur die Musik benutzen. So- 
mit kann nur auf Instrumenten mit fester Tonhohe und nur innerhalb eines beschrankten 
Tongebietes in „Viertelt6nen*' musiziert werden. Diese Musik vermittelt interessante 
Klange und neuartige Kombinationen, verlauft sich aber rettungslos in eine Sackgasse. 
Denn eine Steigerung der Unterschiedsempfindlichkeit des Ohrs ist biologisch ausge- 
schlossen. Und selbst wenn einige besonders Auserwahlte mit noch feinerem Gehor 
solche Unterschiede erkennen konnten, wird die iiberwaltigende Majoritat aller Musik- 
horenden im besten Falle Halbtonunterschiede im Konzert erkennen konnen. Dafi trotz- 
dem ein gewisses Publikum sich hieran begeistert, ist ein weiterer Beweis fiir die 
Wirkung der Massensuggestion. Aber jeder ehrliche Musiker hat die Pflicht, sich mit 
diesen Problemen zu beschaftigen. Wenn er meine Versuche widerlegen kann — schon — ; 
aber mit der blosen Behauptung, dafi man sie anders „deute", treibt man nur Vogel- 
Straufipolitik. 

Die Verfechter der Vierteltonsmusik haben nun das Wort. Sie wurden meine 
Besultate nur dann entkraften konnen, wenn sie mir fundamentale Versuchsfehler nach- 
Aveisen konnen. 



534 GUIDO M. GATTI 



AUSL AND 



Guido M. Gatti (Turin) 

DREI NEUE ITALIENISCHE OPERN 

„Madonna Imperia" von Franco Alfano. 

Urn nicht unter einem verkehrten und irrefiihrenden Gesichtswinkel die letzte 
Oper von Franco Alfano, Madonna Imperia, zu betrachten und zu bewerten, ist es 
notig, dafi der Leser oder der Zuschauer vollig abstrahiere von jener Klassinkation, 
welcher sich die Autoren zu bedienen beliebten, wenn sie eine Oper „musikalische 
Komodie" nannten; audi mufi er vergessen, dafi Arturo Rossato den urspriinglichen An- 
trieb zu deni Libretto von dem ersten der „Contes drolatiques" des Balzac empfangen hat. 

Es ist nicht so banal, wie es zuerst scheinen mag, zu wiederholen, da£ die 
Komodie im allgemeinen, und die musikalische im besonderen, noch wesentlich andere 
Sonderforderungen stellt als nur die einzige, dafi sie eine heitere Losung finde und keine 
mehr oder minder iippige Ansammlung von Toten oder Irren im Hintergruild zulasse. 

Wenn die „Bella Imperia" des Balzac von komischer Substanz erfullt ist, so ver- 
dankt sie dies eher dem Ton der Erzahlung als der Handlung selbst: in einem anderen 
Ton hatte daraus. wie man sich nicht vorstellen konnte, ein ritterliches Melodram werden 
konnen. Die Feinheit der Beobachtung und jene breitausgemalte, freimutige Derb- 
sinnlichkeit, die von der ersteren gemildert und bisweilen sozusagen sublimiert wird, 
dieses ergotzliche Spiel mit hochgestellten Personen, ohne sie — naturlich — ernstzunehmen, 
das sind die Anzeichen einer „vis comica", wie man sie sich nicht besser gestaltet und 
ausgedriickt denken kann. 

In dem Textbuch des Arturo Rossato sind audi diejenigen Personen, welche, dem 
strengen Wortlaut nach, noch am ehesten ihre urspriingliche psychologische Struktur 
beibehalten haben, im Sinne einer seriosen GroGartigkeit umgewandelt, die sie in 
einer musikalischen Komodie durchaus landfremd erscheinen lafit : ich denke etwa an 
den Kanzler von Ragusa (nebenbei sei der Leser darauf hingewiesen, dafi alle Pralaten 
der Balzac'schen Erzahlung durch hohe Wtirdentrager ersetzt sind, wodurch dem Humor 
des Originals ein weiteres Element entzogen wird). Dieser Person hat unser Librettist 
den grausamen und emphatischen Ton eines Verdi-Tyrannen verliehen, der ihn mehr 
als hassenswert macht, lacherlicli und bosartig. 

Das schlimmere Ungliick (immer im Hinblick auf die Leichtfiifiigkeit und Vor- 
urteilsfreiheit. die einer Komodie eignen sollten) ist naturgemafi den Hauptfiguren 
widerfahren: diese wurden uniformiert zu dem nun schon etwas abgeniitzten Typus der 
lyrischen Liebhaber aus der spat-veristischen italienisclien Oper. Diese konventionelle 
Sucht nach Wandlung, dieses Heimweh nach der Kindheit sind Eigentum samtlicher 
Buhlerinnen auf dem Theater, von der Romantik bis zur Gegenwart, mit dem Zusatz 
einer gewissen Verderbtheit auch noch in dem Streben nach Reinigung; das ist nichts 
anderes als literarische Dutzendware. Was den Monch angeht, so wird er einfach 
von sinnlichem Begehren getrieben, bis er schlielMich sic et simpliciter sein Ziel 



DREI NEUE ITALIENISCHE OPERN 535 

erreicht; aber wie umstandlich und mit welclien psychologischen Verwicklungen ist 
das geschildert, wodurch die zwar schematische, aber doch iiberzeugende Zeichnung 
des franzosischen Originals verloren geht, die dem Tonfall des Ganzen so gliicklich 
angepafit war. 

Das alles wird nicht so sehr deshalb festgestellt, um dem Autor einen Vorwurf, 
als um den Leser darauf aufmerksam zu machen, dafi die Umwelt nicht mehr dieselbe 
ist, die er nach dem Titel erwarten dtirfte: das Textbuch zwingt die Oper, sich eher 
auf das Pathos des Melodrams als auf das Gelachter der Komodie zu griinden. Das ist 
eine veranderte Auffassung; dies bedenkend wird man, wie gesagt, den gerechten Ge- 
sichtspunkt fiir die Bewertung der Partitur finden. 

Franco Alfano ist auf bewunderungswtirdige Weise in den Geist des Librettos 
eingedrungen und hat ihm seine Musik angeglichen. Der ausgezeichnete Komponist 
erstauat seit einiger Zeit durch eine substanzreiche und wirkungsv olle Simplizitat, nach- 
dem er sich einem Reichtum und Uberflufi der Beredsamkeit hingegeben hatte, dem 
nicht immer ebensogrofie Reichtfimer und Varietaten des Ausdrucks entsprachen. Das 
sei ohne jede Anspielung auf die „Leggenda di Sakuntala" gesagt, welche trotz ihren 
Fehlern einen der bezeichnendsten Versuche der zeitgenossischen Opernbiihne darstellt: 
wir mochten nicht wiinschen, dafi die grofiere Leichtigkeit der Interpretation und die 
aufffihrungspraktische Problemlosigkeit dazu fiihre, dieses Werk von erlesener Sensibilitat 
und erfiihlter Leidenschaft in Vergessenheit geraten und links liegen zu lassen. In 
Madonna Imperia wie schon in den vorhergehenden kammermusikalischen Arbeiten be- 
mfiht sich Alfano, einfach und unmittelbar zu sein, die Ausarbeitung nicht zu fiber- 
laden und sich nicht von der Freude am Detail verlocken zu lassen: mit einem Wort, 
dem Opernkomponisten den Vortritt zu geben vor dem kultivierten Kunstlehrer. 
Natfirlich verzichtet er auf keinen seiner charakteristischen Zfige, vielmehr, frei von 
intellektuellem Zwang, wie er zu sein wiinscht, liefert er sicli seinem Instinkt des ge- 
borenen Musikanten mit einer Freude und einer Begeisterung aus, die, auf mancher 
Seite, seine Selbstkritik und Unterscheidungsfiihigkeit herabmindern. Madonna Imperia 
ist eine Arbeit aus einem Gu6, in einer gliicklich inspirierten Stunde geschaffen und 
daher in gewisser Flinsicht eher mit „Risurrezione" als mit der letzten Produktion des 
Komponisten verwandt. Die Fahigkeiten des Theatermenschen werden in beiden 
evident; dort fast nur als Frucht des lnstinktes und des Buhnensinnes, hier als Ergebnis 
einer reichen und gesicherten Erfahrung wie einer Vertiefung in die Notwendigkeiten 
der Oper. Jene Tendenz zum „einrahmen", zum einteilen in Szenen von vollem 
Atem, in lyrische , Verdichtungen, in welche alle musikalischen und pathetischen 
Elemente aufgenommen und mit scharfem Blick fiir das architektonische Gleichgewicht 
eingeordnet sind — diese Tendenz wird in „lmperia" nicht verleugnet, sondern viel- 
mehr noch haufiger enthullt: die Moglichkeit, einen einzigen Akt in mehrere wohl 
abgegrenzte Szenen von deutlich unterschiedlichem Charakter unterzuteilen, ffihrt nicht 
dazu, von Unorganik zu sprechen, eben zufolge der zweckmafiigen Verbindungen, die 
Alfano von Zeit zu Zeit zu schaffen weifi. Sie sind in Wahrheit feste Halte- 
punkte, an denen der Zuschauer sicheren Fufi fassen und sich Rechenschaft fiber 
den zuruckgelegten Weg ablegen kann, wie auch fiber jenen, der noch zu durch- 
laufen bleibt. 



536 GUIDO M. GATTI 



„Fata Malerba" von Vittorio Gui 

Von Vittorio Gui, dem geschatzten Dirigenten, haben wir einen interessanten 
Opernversuch kennengelernt, den ersten, den er dem Publikum vorzufiihren beliebt 
hat. Nicht oft begegnet man eine'm Komponisten, der, um zum Theater zu gelangen, 
die ausgetretenen und sicheren Wege verschmaht und sich vornimmt, eine dem Publikum 
ungewohnte Opernform zu konkretisieren. Schon das ist ein Zeichen von hochstem 
kiinstlerischen Gewissen und von Feinfuhligkeit, das vermerkt werden soil, welches auch 
die Resultate sein mogen. 

Dem „musikalischen Marchen" also hat miser Musiker sich zugewandt, nicht so, 
sehr der Gattung zuliebe als wegen der Moglichkeit, sich der Naivitat und der Reinheit 
der Leichtigkeit des volkstumlichen Gesanges hingeben zu diirfen, den Erfordernissen 
einer fur Kinder bestimmten Auffuhrung. (Man mufi sich vergegenwartigen, dafi dieses 
schon vor einigen Jahren verfafite "Werk von Gui, „Fata Malerba", fur das „Teatro de 
Piccoli" in Rom gedacht war, also von Marionetten dargestellt werden sollte). Es ist 
ein Verdienst des Autors, dafi er sich nicht von beruhmten auslandischen Vorbildern 
hat beeinflussen lassen, etwa von den Opern Humperdinck's, dafi er vielmehr gewisser- 
mafien die Umrisse des italienischen Marchens festlegen wollte, welches mehr dem 
Realismus zuneigt als das nordiscbe und daher weniger reich an Rewegungen und 
Uberaschungen ist. Es gentigt, an das deutsche „Hansel und Gretel" zu denken, um 
sich iiber die grundlegenden Unterschiede klar zu werden: da wo Humperdinck das 
grofite Gewicht auf das eigentiimlich fabelhafte und wundersame Wesen gelegt hat, halt 
Gui, hierin mit seinem Librettisten Fausto Salvatori iibereinstimmend, darauf, das 
menschliche Element der Handlung nicht aufier Acht zu lassen, audi auf die Gefahr 
hin, der kindlichen Hauptfigur bisweilen Gefiihle und Reden anzuvertrauen, die ihrer 
psychologischen Statur nicht entsprechen. 

Mit „Fata Malerba' 1 gibt Gui einen mehr als ehrenvollen Reweis seiner Fahig- 
keiten und seiner komposilorischen Regabung, womit er in uns von Neuem die Achtung 
festigt, die wir seit einiger Zeit vor ihm als dem Autor von Kammermusikwerken 
hegten. In seinem letzten Werk hat der Musiker sich auch befreit von einigen 
harmonischen Vorurteilen, die den Ausdruck in einigen friiheren Partitirren (etwa in 
den Gedichten von Mallarme oder den „Ganti della morte") gequalt und krankhaft 
erscheinen liefien; er hat den Willen zur Schlichtheit, zu einer franziskanischen Schlicht- 
heit: da es sich um ein Marchen handelt, dessen Hauptperson ein Kind und dessen 
Gefuhlsablauf notwendig klar und einfach ist, ohne Verwicklungen und Verwirrungen, 
hat der Autor der „Fata Malerba" sich einer leisen Sprache bedient, die keinen anderen 
Zauber ausiiben will als den der Riihrung, die sie enthiillt; sie ist harmonisch fast 
ausnahmslos an die Grenzen der strengsten Orthodoxie gebunden, thematisch auf einige 
wenige volkstiimliche Melodien italienischer oder fremdliindischer Herkunft gestellt, die 
deutlich erkennbar und klar gezeichnet sind. 

Unter einer solchen Reschrankung hat unvermeidlich das Interesse an der drei- 
aktigen Oper gelitten, in dem Sinne, dafi uns zuerst alles frisch und erquickend er- 
scheint, wie ein Morgen in freier Luft: alles beriihrt uns mit derselben edlen Feinheit; 
dafi aber in der Folge sich ein wenig Gleichformigkeit und Monotonie bemerkbar macht. 
Es gibt keine Uberraschung mehr, und das Interesse an der Handlung, wie an der 



DREI NEUE ITALIENISCHE OPERN 537 

musikalischen Entwiddung ist nidit derart, dafi es unseren Geist gleidierweise wie im 
ersten Akt erregte. Im zweiten und im dritten Akt haben der gute Geschmack, die 
angeborene Vornehmheit des Kiinstlers, seine Fahigkeit des Instrumentierens nicht die 
sparliche Wirksamkeit des musikalischen Materials verbergen konnen. Wahrend im 
ersten Teil des zweiten Aktes, wo die Hauptfigur von der Fee Malerba in ein Un- 
geheuer verwandelt und an den Hof eines komiscben Konigs gefiihrt wird, sich Ziige 
eines freundlichen Humors finden, gelingt es im Schlufiteil nicht, die Situation umzu- 
kehren und uns mit einem Schlage zu der lyrisch-dramatischen Atmosphare zuruck- 
zufiihren; der Textbuchdichter mochte diese mit einer, in Wirklichkeit eher emphatischen, 
Strophe wieder herstellen, die er der kleinen, von Schlaflosigkeit und MelanchoUe ge- 
plagten Konigin in den Mund legt. Audi im letzten Akt (wo das Kind durch eine 
gute Tat die Verzeihung der Fee erlangt und zur gleichen Zeit sein strahlendes Aus- 
sehen und seine Mama wiederfindet) ist der Beginn ganz verschleiert von einer etwas 
traurigen und sehnsiichtigen Poesie, von der Poesie der sinkenden Nacht im Gebirge, 
die mit geeigneten, wenn audi nicht durchaus eigenen orchestralen Mitteln und mit 
Gesiingen im Hintergrund gemalt wird ; aber das Schlufibild halt sich in einem schuchternen 
und eilfertigen Ton: es lafit unbefriedigt. In diesem letzten Akt und zumal in seinem 
Schlufiteil, standen die Autoren vor der Notwendigkeit, sozusagen eine Synthese m 
scbaffen zwischen den hauptsachlichen Charakteren des ersten und zweiten Aktes : 
schwankend zwischen Allegorie und Realitat ermangelt dieser letzte Akt des Aufbaus 
und des Mittelpunktes. Es sind audi in ihm gelungene Ziige, neben den schon an- 
gedeuteten des Beginns; aber als Ganzes hat er kein Eigenleben. Gewisse Seiten, wie 
das Lied von der Polenta und das Gebet des Masetto vor dem Einschlafen, bilden mit 
dem Ubrigen keine Einheit, sie bleiben kalt und ausdruckslos. 

Vor dieser geschmackvollen und ehrlicben Oper hat das Publikum den Eindruck 
gehabt, dafi der Autor sich bestrebt habe, es zu einer Kunst ohne Schminke und Harte 
hinzufuhren, es mit den einfachen Worten der Giite und des Gefuhls zu uberreden 
die Horer haben dem Autor bei jeder Auffuhrung mit grofier Warme gedankt. 

„Sly" von Wolff Ferrari, und einige allgemeine Bemerkungen. 

Nachdem er, in Italien und aufierhalb, mit seinen Goldoni-Opern „I quattro 
rusteghi" und „Le donne curiose" sovvie mit der Einakt-Oper „I1 segreto di Susanna" 
beachtenswerte Erfolge errungen hatte, wollte Ermanno Wolff Ferrari mit der von 
G. Forzano textierten Oper „Sly", die kiirzlich in Mailand und Turin aufgefiihrt worden 
ist, zum ernsten Musikdrama zurrickkehren. Die neue Oper zeigt einige Verwandtscbaft 
mit den „Gioielli della Madonna", wenn auch ein Textbuch von offenkundig veristischer 
Haltung, wie jenes war, hier ersetzt durch eines dieser sogenannten „dichterischen" 
Sammelsurien, die nicht weniger zu tadeln sind als das, was ihnen unmittelbar voran- 
ging. In der Tat hat man ein en simplen Vorfall aus der Chronik mit dem Strahen - 
kranz der Idealitat umgeben wollen, indem man rhetorisch deklamierende Perso n e 
unmogliche Situationen und unerwartete Losungen schuf : und man hat geglaubt, auf so che 
Weise das Niveau des Operntextes zu heben. In Wahrheit befinden wir uns immer no 
der untersten Stufe der Literatur, und wenn je, so sind heute die alten Textbiiche i 
Illica weniger argerlich, die von Pratentionen ebensoweit entfernt waren wie von Tdealitat. 



1 



538 GUIDO M. GATTI 



Wolff Ferrari hat gewisse Qualitaten eines guten Musikers, doch ist er alles 
andere als ein dramatisches Temperament; es ist ihm gelungen, manche Szenen, in 
denen ein primitiver Humor die Situation kennzeichnet und sich in Liedern, Balladen, 
Marschen und Ahnlichem ausspricht, mit einiger Liebenswiirdigkeit zu erfiillen, aber 
vor den Verwirrungen des Gefiihls fluchtete er auf die Sandbanke der Banalitat. Hier 
hat ihm seine Inspiration nur ein paar „musikalische Gesten" eingegeben, die allzu 
sehr an die Manier des Giordano erinnern (ohne indessen seine, wenn audi erkiinstelte 
Warme des Ausdrucks zu besitzen), damit man sich erfreuen moge an der Wiederkehr 
einer iiblen musikalischen Gewohnheit, die wir endgiiltig vergangen glaubten und — 
trotz allem — nocb glauben. 

Die abgegriffensten Gemeinplatze des Verismus werden hier wieder ausgekramt, 
verbramt mit etwas Flittergold und einigen Zutaten, womit vergeblich versucht wird, 
den eindeutigen und unwiderruflichen Ursprung zu verbergen. 

Das Publikum ist in seiner Mehrheit noch immer fur diese schwiilstige und hohle 
Sprache eingenommen, und tatsachlich war der Erfolg der Opern in den beiden Stadten 
bemerkenswert. Aber bei der Abrechnung wird das Passivum dieses Werkes klar er- 
sichtlich : ein Passivum, im Sinne der Kunst, ist vor allem die Uberhussigkeit. Und 
eben die Uberfliissigkeit der Musik ist es, in diesem wie in vielen anderen neuerlichen 
Fallen, die Anlafi gibt zn den traurigsten Betrachtungen iiber die augenblickliche Lage 
der Oper in Italien. 

Es handelt sich nicht — der Leser verstehe wohl — um die Frage nach den 
riickwartsgewandten oder den vorwartsweisenden Tendenzen: es geht nicht darum, die 
Oper des 19. Jahrhunderts von der des 20. zu scheiden. Man verlangt nur ein minimum 
an kunstlerischem Gewissen, damit man nicht ferner beharre in dem Irrtum, eine 
Gattung als Kunstwerk anzusehen, die, wie sie heute von den meisten Komponisten 
(und, natiirlich, nicht nur in Italien) verwendet wird, keinerlei Existenzberechtigung 
mehr hat, ja sogar niemals gehabt hat. Sie ist nichts als das Produkt eines ewigen 
Kompromisses zwischen Wort, Musik, Handlung, Mimik und Szene, worin jeder Einzel- 
bestandteil dem anderen unterworfen ist und jeder versucht, sich auf Kosten des anderen 
vorzudrangen ; infolgedessen gelangt keiner zu einem vollendeten Ausdruck und zu er- 
schopfender kiinstlerischer Form. Fiir diese Gattung mufi jedes Libretto einen vorher- 
bestimmten Typus entsprechen, der seinerseits fiir jede Situation (und wieviele 
„Situationen" gibt es letzten Endes ?) einen genau fixierten Typus der Musik verlangt, 
welchen anzuwenden jeder Komponist sich bemiihen wird, ohne zu bedenken, dafi 
jedes Kunstwerk seine eigene Form haben mufi, und dafi er auf seine idealsten 
schopferischen Moglichkeiten Verzicht leistet, indem er sich a priori und freiwillig an 
die Formeln eines Operntypus bindet. 

Wenn es vor dreifiig Jahren schien, als ob Geist und Form der Oper sich mit 
den ersten Werken von Puccini und Mascagni erneuere, so bemerkt man heute, wie 
eitel jene Illusion war, insofern als diese Opern, statt eine neue Form zu inaugurieren, 
nur eine Nachkommenschaft der Bomantik waren, etwas wie eine burgerliche Bomantik, 
Ausdruck einer Klasse, die sich an den Bequemlichkeiten des Lebens erfreute und es 
nicht liebte, im Theater ermiidend nachzudenken. Diese Oper, die vergeblich fiir ein 
italienisches Produkt gelten mochte (wahrend sie, wie von anderen treffend dargelegt 



MELOSKRITIK 539 



worden ist, das ausgesprochen Internationale Erzeugnis einer oberflachlichen Kultur 
und einer weiblichen Sensibilitat darstellt), ist nicht mehr als ein kurzatmiges und 
degeneriertes Uberlebsel und mufi, nach unserem Dafiirhalten, in alien ihren Er- 
scheinungsformen bekampft werden. Das Land, welches mit dem vielseitigen und 
bezeichnenden "Werk der Pizzetti, Malipiero, Casella und einiger Musiker der alteren 
Generation so wiirdig einen neuen Fruhling der Musik angekiindigt hat, darf nicht 
dulden, dafi man fortfahrt, das Publikum in seiner Gutmiitigkeit zu tauschen und es 
glauben zu machen, der Ruhm der italienischen Oper der Vergangenheit erneuere sich 
durch die Anwendung von melodramatischen Gesten und von Redewendungen, die 
einem abgeniitzten und ausgebeuteten Vocabularium entnommen sind. 

(Deutsche Ubertragung von Hanns Gutman) 



MELOSKRITIK 



Die nene, hier angestrebte Form der Kritik beruht darauf, dafi 
sie von mehreren ausgeiibt wird. Dadurch soil ihre Wertung von 
alien Zufalligkeiten und Hemmungen abgelost werden, denen der 
Einzelne ausgesetzt ist. Langsam gewonnene, gemeinsame Formu- 
lierung, aus gleicher Gesinnimg entstanden, erstrebt einen boheren 
Grad von Verbindlichkeit. So ist jede der vorgelegten Bespre- 
chungen ein Produkt gemeinsamer Arbeit der Unterzeichneten. 



I. 

HERMANN REUTTER 

1. 

Unter den Opern der diesjahrigen deutschen Kamniermusik in Raden-Baden fiel 
Hermann Reutters Musik zu dem Schauspiel „Saul" von Lernet-Holenia auf. Hier 
erscheinen die Ausdrucksmittel des achtundzwanzigjahrigen Komponisten in einer Ge- 
drungenheit und Sicherheit, die es ermoglicht, dieses Stuck zum Ausgangspunkt einer 
eingehenderen Untersuchung zu machen. Die starkste Zusammenfassung der Stilelemente 
Reutters bietet das Vorspiel, aus dem wir die beiden charakteristischen Anfange der 
gegensatzlichen Teile (Grave und Presto) zitieren (Notenbeispiel 1 und 2) *). 

Durch die Verbindung einer frei gezogenen und originellen Melodik mit dem 
starren, lastenden Rhythmus des Klaviers wird die Atmosphare des Dramas eindringlich 
erfafit. Die Wiederkehr dieser Stelle auf dem Hohepunkt des Dramas deutet zugleich an, 
auf welche Weise eine formale Zusammenfassung der auf einen weiten Raum verstreuten 
Musik erstrebt wird (Notenbeispiel 1). Im Presto sind die melodischen Konturen 



*) Siehe Notenbeilage 



540 MELOSKRIT1K 



bewegt und fliichtig, wahrend Klavier und Schlagzeug. nur klanglich anders gefarbt, 
noch immer in ihrer starren Gebundenheit verharren; sie werden so zum Ausdruck 
der unheimlichen, damonischen Elemente des Dramas (Notenbeispiel 2) *). 

Aufier diesem Vorspiel ist eine Passacaglia, die den Gipfel des Dramas vorbereitet, 
das einzige breit angelegte Musikstiick. Hire Variationen zeichnen in standigem und 
uberzeugendem Wachstum die steigende Erregung Sauls vor der Erscheinung des Samuel. 
Es ist Reutter hier gelungen, das konstruktive Prinzip der musikalischen Form vollig 
mit der dramatischen Wirkung zu verschmelzen. 

Damit hangt auch zusammen, dafi die polyphonen Moglichkeiten der Passacaglia 
nicbt ganz ausgeschopft sondern teilweise ins Klangliche und Dekorative umgedeutet 
werden. Sonst beschrankt sich die Musik meist aul fragmentarische Untermalungen, die 
einen starken Instinkt fur theatralische Wirkungen verraten. Freilich entspricht die Re- 
deutung der Musik innerhalb der Handlung nicht dem, was das gewichtige Vorspiel er- 
warten lafit. Das Schwanken zwischen Oper und Scbauspielmusik, das fehlende Gleich- 
gewicht zwiscben gesprocbenem Wort und Musik lassen das Werk als ein interessantes 
Experiment erscheinen. 

2. 

Die Musik zum „Saul" bedeutet fiir Reutters bis jetzt ubersehbare Entwicklung 
zweifellos einen Gipfel. Sie lafit zugleich eine Festigung von Stdelementen erkennen, 
die in den friiberen Arbeiten des Komponisten in verschiedenen Graden und Richtungen 
sichtbar wurden. Das Gesamtbild dieser friiheren Arbeiten ist scbwankend. Neben 
Werken von kraftigerem Schnitt und vorwarts weisender Tendenz stehen verschwommene 
und weniger konsequente Arbeiten. 

Die Werke etwa zwischen der Introduktion, Passacaglia und Fuge op. 17 und op. 21 
fiihren merkwiirdigerweise unmittelbar zum „Saul" wahrend andere, dem „Saul" zeitlicli 
naher liegende Arbeiten aus dieser Richtung fortweisen. Gerade von diesem Standpunkt 
aus befremdet eine nach dem Klavierkonzert entstandene Missa brevis fiir Altstimme, 
Violine und Cello op. 22, die bezeichnender Weise handschriftlich geblieben ist. Die 
ungeistige Einstellung deutet den Text lediglich stimmungsmafiig aus und gewinnt fiir 
das Kyrie eine Formulierung, deren Aufierlichkeit durch schematiscbe Sequenzierung 
noch unterstrichen wird. (Notenbeispiel 3.) *) 

Das blofie Schwelgen in Stimmungen wird auch andern Arbeiten Reutters zur 
Gefahr. Es fuhrt ihn noch in dem letzten Stuck vor dem „Saul" zu einer reinen und 
bedenklichen Programmatik. Es sind dies die „Landschaft" benannten Miniaturen fur 
Violine und Klavier op. 32 mit ihrem ausgesprochen romantischen Stimmungsprogramm 
(z. R. „Es bliiht" oder Variationen iiber „In einem kiihlen Grunde"). Andrerseits geben 
ihnen eine gewisse Originalitat der Erfindung und die Rehandlung der Insti'umente 
personliche Haltung. Schwachlicher ersclieinen zwei Klavierhefte (Kleine Klavierstiidce 
op. 28 und Tanzsuite op. 29). Reutter will eine leicht spielbare Hausmusik scbreiben, 
bleibt aber seinen Vorbildern gegeniiber niclit selbstandig genug. Die vorausgehende 
„Phantastische Suite" fiir Bratsche und Klavier op. 27 strebt grofieres Format an. In 
ihrem Mittelpunkt steht eine breit ausgcfuhrte Toccata, deren Formprinzip von aufien 
gefafit ist. 



*) Siehe Notenheilage 



MELOSKRITIK 541 



Noch intensiver ist der viel friiher entstandene „Gesang vom Tode" op. 18 fur 
Singstimme, Klarinette und Streicher (nach Trakl). Die vier Stticke bergen starke Ge- 
fiihlswerte. In anderen Fallen hat sich Reutter zu sehr an sie verloren. Hier aber 
stehen ihnen konstruktive Krafte gegeniiber, die ein Zerbrockeln in blofie Stimmungs- 
malerei verhindern und den Gesangen Geschlossenheit und einheitlichen Zug geben. 
So wird im „Sonett" den weicheh, immer wieder absetzenden Linien von Vokal- 
stinime und Klarinette der starre ostinate Rhythm us der Streichinstrumente gegen- 
iibergestellt, und aus dem Ineinanderwirken dieser Gegensatze gewinnt das ganze 
Stuck seine Gestalt (Notenbeispiel 4). Die Festigung der Linien kann ein Zitat aus 
dem ausgezeichnet gesetzten a-cappella-Chor „Abendland" belegen (Notenbeispiel 5). Einc 
weitere Kraftigung und Intensivierung erreicht Reutter in den „Russischen Liedern" 
op. 21. An einigen Stellen gelangt er, ohne Zweifel von Hindemiths „Marienleben" be- 
einflufit, zu einer sonst nicht vorhandenen Klarheit und Objektivierung (Notenbeispiel 6) 
Auch in der vorangegangenen Violin sonate (op. 20) ist der gleiche Einflufi in einer 
betonten aufieren Kraft erkennbar (Notenbeispiel 7). Daneben stehen scharf getrennl 
einerseits Teile von weicher, empfindsamer Melodik (Notenbeispiel 8), andererseits An- 
satze zu einer Polyphonie, die nicht zur Gestaltung gelangt sondern sich in wirkungs- 
voller Weise mit den andern Elementen verbindet. 

Ahnlich tiberwiegt in der Introduction, Passacaglia und Fuge op. 17, 
die begreiflicher Weise Beziehungen zu Reger erkennen lafit, dekorative Klanglichkeit ; 
sie saugt die immer wieder ansetzende Polyphonie auf und verhindert, selbst in der 
Fuge, den konsequenten Durchbau. Die dekorativen Momente sind ein typisches Merk- 
mal von Reutters Fruhwerken (Fantasia apocalyptica), wahrend die unentwickelte Poly- 
phonie in dem Klavierkonzert op. 19 wiederkehrt. Wie in der Fuge von op. 17 
Teile der Passacaglia als SchluGsteigerung verwendet werden, so mundet die als 
Schlufivariation auftretende Fuge hier in den ersten Satz. Diese Art formaler Ver- 
kniipfung, die besonders in der Thematik sichtbar wird, kennzeichnet eine gewisse 
ideologische Tendenz Reutters, die sich bis in die stimmungshaft-impressionistischen 
Uberschriften hinein ausvvirkt. 

Das Tripelkonzert op. 26 ist die beste Zusammenfassung aller dieser ungleich- 
artigen Stilmerkmale und zugleich Reutters personlichstes Instrumentalwerk. Das Stuck 
beginnt herb und kraftvoll und geht tiber ein sehr fliissig geschriebenes „Perpetuum 
mobile" zu zwei reizvoll farbigen und schwebenden Satzen uber. Der leichte, natiirliche 
Flufi dieser Musik verbindet sich mit einem durchsichtigen, gewahlten Klangbild. Kon- 
zert ist hier nicht Ausdruck einer sich unmittelbar entladenden Vitalitat sondern kulti- 
viertes Spiel mit der Form. Die hier wieder erreichte Nahe zum „Saul" lafit erwarten, 
dafi die nun gewonnene Festigung zur Basis einer nunmehr einheitlichen organischen Ent- 
wicklung wird, welche die schopferischen Krafte des begabten jungen Komponisten zur 
vollen Entfaltung bringt. 

n. 

MICHAEL PRAETORIUS: GESAMTAUSGABE 

Der Verlag Georg Kallmeyer veranstaltet eine Gesamtausgabe der Werke von 
Michael Praetorius. Derartige Unternehmen wurden friiher von Staatswegen auf breiter 



542 MELOSKRITIK 



verlegerischer Basis durchgefiihrt; um so hoher ist der Mut des Verlegers einzuschatzen, 
der, gestiitzt auf eine kleine Gemeinde von Subskribenten, die beideri wesentlichsten 
Vokal- und Instrumentalwerke in Lieferungen erscheinen lafit. Er kann sich dabei auf 
ein wieder erwachtes Interesse fiir jene altere deutsche Polyphonie berufen, das nicht 
auf philologischer sondern auf lebendiger Einstellung beruht. Beide Gesichtspunkte sind 
in der Editionstechnik auf das glucklichste vereint. Die Ausgabe (von Friedrich Blunie 
geleitet) gibt ein klares, modernes und lesbares Partiturbild und ist (einzelne Teile sollen 
in Stimmen erscbeinen) auf praktiscbe Verwertbarkeit gerichtet. Hier wird ein Stuck 
Vergangenheit lebendig, das starkste Gegenwartigkeit in sich tragt. 

m. 

SCHUBERTLITERATUR 

Was das Schrifttum iiber Schubert aus Jubilaumsgriinden hervorgebracht hat, ist 
beschamend. Ernsthafte Beschaftigung verdient nur die Arbeit von Paul Mies iiber 
Schuberts Lieder (Max Hesse, Berlin). Es ist das einzige Buch, das sich weit iiber die 
feuilletonistischen Niederungen der iibrigen Literatur erhebt. Mies kniipft an seine 
friiheren Untersuchungen iiber musikalische Stiltypen an und zeigt in exakter und 
Sufierst konsequenter analytischer Arbeit die Entwicklung Schuberts von ungeordneter 
Freiheit zu einer letzten Logik und Organik der motivischen Verkniipfung. Das Buch 
ist bewufit einseitig in seiner Perspektive, gelangt aber gerade dadurch zu Erkenntnissen, 
die durch ihre Sachlichkeit und ihr geistiges Niveau in erfreulichem Gegensatz zu den 
iibrigen meist flachen ,.Ausdeutungen" des Schubertschen Liedes stehen. 

Audi das Buch von Felix Giinther (Schuberts Lied, Deutsche Verlagsanstalt) liegt 
stilistiscb auf dieser zidetzt genannten Linie. Doch finden sich hier nicht nur eine Beihe 
feiher analytischer Bemerkungen, sondern auch kluge Batschlage fiir den Vortrag, aus 
denen der erfahrene Praktiker zu erkennen ist. Die iibrige Literatur (Sittenberger: 
Schubert; bei Kascher, Zurich und Janacek: Schuberts Lebensroman; Amalthea- 
verlag, Zurich) liegt auf dem Niveau bdliger, sentimentaler Bomanbiographie und wird 
ihr Teil dazu beitragen, Schuberts Bild in der Verkitschung des „Dreimaderlhauses" 
weiterhin in trauriger, unausrottbarer Weise zu popularisieren. Ein analytisches Buch 
iiber die „Schone Mullerin" von Franz Valentin Damian (Breitkopf u. Hartel) ubertrifft 
an seichter Programmatik iihnliche „Einfuhrungen" noch erheblich. 

Zwei praktisclie Liedausgaben liegen vor: die erste eine Verkleinerung der alten 
Originaldrucke von Schuberts letzten Liederzyklen durch Heinrich Kralik (bei Steyrer- 
miihle, Wien), weder praktisch brauclibar noch wirklich. bibliophil. Bei der anderen 
handelt es sich um eine von Messchaert vorbereitete und durcli seine Schiilerin 
Franziska Martienssen besorgte zweibandige Auswahl (B. Schott's Sohne, Mainz). Nicht 
nur die Auswahl sondern auch eine Beihe aufierst feiner, aber mit sparsamster Zuriick- 
haltung gegebener Vortragsanweisungen verleihen der Ausgabe personlichen Wert und 
lassen sie zugleich als ein Denkmal der grofien Gesangskunst Messchaerts erscheinen. 

Hans Mersmann, Hans Schultze-Bitter 
und Heinrich Strobel 



MELOSKRITIK 543 



IV. 

Ira Bahmen der MELOSKRITIK werden kunftig auch Bespre- 
chungen durch , einzelne Personen vorgenornmen, die seitens der 
Werkbesprechungskommission mit der Arbeit iiber ein bestimmtes 
Gebiet beauftragt sind. 

NEUAUSGABEN ALTER MUSIK 

Das intensive und lebendige Verhaltnis unserer Zeit zu bestimmten Ausschnitten 
filterer Musik wirkt sich in einer Fiille neuer Ausgaben aus. Fruher stand die Heraus- 
gabe alter Musik ausschliefilich unter deni Zeichen der Wissenschaftlichkeit. Man sam- 
melte sie in Denkmalerreihen, urn sie zu konservieren. Die Qualitatsfrage wurde nur 
in bescbrankten Grenzen gestellt; in den Suiten- und Kantatenbanden der „Denkmaler" 
sammelte sicb eine Fiille von mittlerer und geringwertiger Musik. Ein Umschwung 
setzte ein, als man von der lebendigen praktischen Arbeit der Jugendmusik aus sicli 
von neuem der. alten Musik naherte. Es entstanden praktische Auswahlausgaben, zum 
Singen und Spielen in den eigenen kleinen Arbeitskreisen berechnet. Mitderweile hat 
die Bewegung weit liber ihre urspriinglichen Grenzen hinaus urn sicb gegriffen. Schule 
und Hausmusik werden allmahlich, aber mit Sicberheit von ihr erfafit. Von einer an- 
dern Seite her konimt die Orgelmusik an ahnliche Probleme heran. Die Orgelbewegung, 
die von Freiburg i. B. ihren Ausgang genommen hat, ist inzwischen erbeblich gewachsen. 
Aucli sie ist wesentlich historisch eingestellt und erblickt in der Wlederbelebung alten 
Kulturguts eine ihrer wichtigsten Aufgaben. 

Von alien diesen Seiten aus wird in den letzten Jabren, man kann sagen: unaut- 
horlich. alte Musik publiziert. Die Schulliederbucher sind in einem Mafie von ihr durch- 
drungen, wie man es vor kurzer Zeit nocli nicht fiir moglich gehalten hatte. Die beiden 
Verlage fiir Jugendbewegung (Bar enr eiterverlag, Kassel; Georg Kallmeyer, 
Wolfenbiittel) iiberbieten einander in ihrer Produktion. Der Verlag Adolf Nagel 
(Hannover) mit seinem „Musik-Arcl]iv ( ' und Friedrich View eg (Berlin-Lichterfelde) mit 
seiner Sammhmg „MusilfSchatze der Vergangenheit" wenden sich vor all em an die Haus- 
musik. In Frankreich sind es besonders die Publikationen Sen arts mit seiner Beihe 
„Edition Nationale de Musique Classique", die den Bedarf decken. 

Es entsteht die grundsatzliche Frage, ob Inhalt und Umfang aller dieser Publi- 
kationen den Forderungen' unserer Zeit immer entsprechen. Freilich ist der Kreis der 
Verbraucher enorm gewaclisen und vor allem bedarf der Instrumentalunterricht, der noch 
immer am engsten an einen kleinen Kanon der Werkauswahl geb und en ist, neuer 
Literatur. Aber es entsteht die Gefahr, dafi alte Musik herausgegeben wird, weil sie 
alt, aber nicht, weil sie gut und lebendig ist. .-.-,.■. 

Die Vokalmusik sucht und findet noch immer im deutschen Lied des 16. Jahr- 
hunderts lebendige QiieUen. Kaspar Othmayr erscheint in "einer Teilausgabe seiner 
„Geistlichen Zwiegesange" (im Barenreiterverlag von Lipphardt herausgegeben) und 
gleichzeitig mit seinen vierstimmigen „Beutterischen und Jegerischen Liedlein" (Heraus- 
geber Piersig bei Kallmeyer). Die Frage nach der Existenzberechtigung dieser Neudrucke 



544 MELOSKRITIK 



ist wohl nicht ganz zu umgehen. Fiir beide Ausdrucksformen : den zweistimmigen geist- 
lichen Gesang und das vierstimmige weltliche Lied dieser Zeit gibt es neue Ausgaben 
von Praetorius und Senfl, die doch wohl noch nicht als ausgeschopft bezeichnet werden 
konnen. Willkommen sind die fiiiifstimmigen deutschen Lieder von Jacob Regnart 
(Osthoff im Barenreiterverlag): sie geben ein durchaus neues Bild dieses Komponisten. 
Die heitere Ballade vom Kuckuck und der Nachtigall ist der spateren Vertonung durch 
Staden sicherlich teilweise iiberlegen. Aber audi hier ist zu fragen, ob es Chor- 
vereinigungen oder Singgemeinschaften gibt, welche diese beiden, im Grande natiirlich 
gleichartigen Werke, bezwingen wollen. Eine unbedingte Bereicherung bedeutet die 
kleine Auswahl dreistimmiger Villanellen von Luca Marenzio (Engel im Barenreiter- 
verlag). Ihre oft erprobte Frische und Lebendigkeit, ihre heitere Spielfreudigkeit machen 
sie uns zu unmittelbarem Besitz. Neben diesen Ausgaben laufen andere, altere Reihen 
weiter. So die italienische Edizione Marcello Capra, die eine neue Messe von 
Pales tr in a und ein weit gespanntes, schon steigerndes „Resonet in Laudibus" von 
Lasso vorlegt. 

Die Instrumentalmusik riickt gegenwartig ins Ubergewicht. Die vorliegenden 
Neuerscheinungen liegen hauptsachlich auf kammermusikaHschem Gebiet und fiihren 
so der Hausmusik neue Quellen zu. Fiir das Klavier sorgt eine kleine Suitenauswahl 
aus Graupner, die „Monatlichen Klavierfruchte", die Kiister bei Kallmeyer heraus- 
gibt, anspruchslose, nicht ganz gleichwertige, leicht umspannbare Stucke und die von 
Steglich (in Nagels „Musikarchiv") besorgte Ausgabe der „Preufiischen Sonaten" von 
Philipp Emanuel Bach, die unbedingt bejaht werden mufi. Frankreich legt fein 
gearbeitete Variationen von Couperin vor («Ah! Qa ira» bei Senart, Paris). \ 

Suite und Kammersonate sind reichlich vertreten. Viewegs „Musikschatze der 
Vergangenheit" bringen Triosonaten und Orchestersuiten von Abaco und Rosenmuller 
(Egidi), Starzer und Zachow (Lenzewski) und Muffat (Egidi). Diese Stucke sind von 
unterschiedlichem Wert. Muffats „Ansehnliche Hochzeit" ist amusant und beweglich, 
in der Programmatik zugleich ein heiteres Zeitbild, Abaco edel und fliefiend; nimmt 
man aber noch die gleichzeitig erschienenen Stucke von Albinoni (Zwei Kammersonaten, 
von Upmeyer herausgegeben) und Telemanns Quartett in e-moll (Herausgeber Ellinor 
Dohrn, beide in Nagels Musikarchiv) hinzu, so wird die Frage wiederum akut, ob die 
Bedurfnisgrenzen durch diese Produktionen nicht bereits weit uberschritten sind. 

Der Barenreiterverlag publiziert Orgelmusik in grofiziigiger Erscheinungsweise : 
Bachs Orgelbiichlein und eine Auswahl von funfzehn dreistimmigen Orgelsatzen, die 
von den Anfangen der Orgelmusik (Schlick) iiber Buxtehude und Bach bis zu Brahms 
und Reger fuhrt (beide von Hermann Keller herausgegeben) und Pachelbels Orgel- 
werke, die Karl Matthaei offenbar aufierst geschickt und mit musikalischem Feingefiihl 
ausgewahlt hat. Die Orgelbeweguug ist die jiingste aller dieser Entwicklungen und 
vertragt wohl am ehesten noch Erganzung und Bereicherung. Sonst aber ist an die 
gesamte Publikation alter Musik die Forderung einer gesteigerten Qualitatsauslese und 
einer kritischen Auswahl zu stellen, die verhindert, dafi ein Material auf den Markt 
geworfen wird, das schon durch seine Uberfulle geringe Aussicht hat, lebendig zu werden. 

Hans Mersmann 



RUNDFUNK-UMSCHAU 545 



RUNDFUNK 

Ernst Latzko (Leipzig) 

RUNDFUNK-UMSCHAU 

(Fiinf Jahre Rnndfunk — Internationale Abende — Winterplane — Oktoberprogramm) 

1. 

Der 29. Oktober war ein Tag, dafiir geeignet, die Gedanken mit der Entwicklung 
des Rundfunks zu beschaftigen. Am gleicben Tage des Jahres 1 923 wurde in Berlin die 
erste offentliche Rundfunkdarbietung veranstaltet. Der Berliner Sender feiert diesen Tag 
unter Anderem durch eine Wiederholung des Eroffhungsprogramms. Ein Vergleich mit 
heute belehrt uns dariiber, welche Fortschritte die Programmbildung inzwischen gemacht 
hat, er zeigt uns aber auch, dafi ungeachtet aller Fortschritte Ruckfalle in die gute alte 
Zeit noch oft genug vorkommen. Demi ahnliche Programme gehoren auch heute keines- 
wegs zu den Seltenheiten. 

In der Kulturgeschichte spielen fiinf Jahre keine grofie Rolle und man darf daher 
an dieses „Jubilaum" nicht etwa mit grofien Erwartungen herantreten. Wenn in dieser 
Periode die sogenannten Kinderkrankheiten iiberwunden worden sind, so ware damit 
schon Einiges erreicht. Die technischen Errungenschaften dieses Zeitraums haben uns 
hier nicht zu beschaftigen, auch alles Organisatorische erscheint hier minder wichtig. 
Hier handelt es sich im Wesentlichen darum, ob die Frage der Bedeutung des Rund- 
funks fur die Musik, der Musik fiir den Rundfunk in diesen fiinf Jahren eine grund- 
satzliche Klarung erfahren hat. Vorurteilslose Uberlegung mufi diese Frage vorlaufig 
noch mijt ,.nein" beantworten. Noch immer sind im Publikum und in der offentliclien 
Meinung starke Vorurteile gegen das „Surrogat" vorhanden, noch immer gehen aber auch 
die Meinungen der Verantwortlichen iiber das „Was" und „Wie" des im Rundfunk zu 
Bietenden und nicht zu Bietenden erheblich auseinander. Will der musikalische Rundfunk 
eine neben Konzert und Oper gleichberechtigte kulturelle Stellung erringen, so mufi er sich 
bewufit sein, dafi seine Aufgabe Erganzung dieser beiden alteren Kulturgiiter ist und 
nicht Konkurrenz gegen sie. In teilweiser Erkenntnis dieses Grundsatzes ist ja auch 
der Rundfunk schon zur Urbarmachung von Gebieten geschritten, die der Opern- und 
Konzertbetrieb brach liegen liefi. Doch die ideale Arbeitsteilung zwischen diesen drei 
Faktoren ist noch lange nicht gefunden. 

In engstem Zusammenhang mit dieser Frage steht das in letzter Zeit ofter auf- 
gerollte Problem „Eigenkunst oder Ubertragung ?". Da bei der Oper die Ubertragung 
aus dem Theater allgemein iiblicli geworden ist, mufi man sich eigentlich wundern, dafi 
auf dem Gebiet der Konzertmusik noch von vielen Seiten die ausschliefiliche Moglich- 
keit der Eigenkunst vertreten wird. Dieses Thema wurde in der Wiener Zeitschrift 
„Pult und Taktstock" von verschiedenen Seiten beleuchtet, zuletzt im Septemberheft 
von Halley Simpson (London), der zu dem Schlufi kommt, wir sollten jeden Senderaum 
akzeptieren, der bessere Resultate liefert und ware er das innere eines Gasometers. 
Sollte die Frage also im Sin tie der Ubertragung entschieden werden, dann wird es zu 



546 ERNST LATZKO 



der friiher erwahnten Arbeitsteilung von selbst kommen. Der Rundfunk kann dann 
viel mehr Konzertauffuhrungen ubernehmen und die dadiirch bei ihm frei werdenden 
Krafte fur solche Werke in Anspruch nehmen, die sidi stilistisch und technisch fiir seine 
Zwecke besonders eignen und von der offentlichen Musikpflege vernachlassigt werden. 

Und audi das von Max Butting angeregte Problem einer eigenpn Rundfunkmusik 
gehort hierher.*) Wenn seine Idee, die bei Rundfunkauffuhrungen gemachten akustischen 
Erfahrungen gleich bei der Komposition besonderer, dem Rundfunk vorbehaltener, Musik 
zu verwerten, Anhanger findet, dann ware ein nenes, die Arbeitsteilung forderndes 
Moment gewonnen. Denn diese „Rundfunkmusik" konnte ja garnicht offentlich gespielt 
werden, ware Monopol des Senderaumes. 

Endlich sind audi noch gewaltige Umwalzungen von der Entwicklung des Bild- 
funks zu erwarten. Zweifellos wird das Fernsehen, das Fernhoren entscheidend beein- 
flussen. Man sieht also, von einer Klarung sind wir nodi weit entfernt, es liegen viele 
Fragen in der Luft oder ini Ather und wir konnen nur hoffen, daft man nach aber- 
mals fiinf Jahren einen Schritt weitergekommen ist. Immerhin sieht man, wie anregend 
und befruchtend der Rundfunk bisher audi in der Musik gewirkt hat und, wenn mit 
nichts Anderem, so hatte er damit allein seine kulturelle Daseinsberechtigung bewiesen. 

2. 

Doch nun ware von einer solchen anderen kulturellen Auswirkung des Rundfunks 

zu sprechen: er hat Entfernungen verringert, die Menscben einander naher gebracht. 

Nicht ortlich, wie Automobil und Luftschiff, sondern geistig, wie die Erfindung der 

Buchdruckerkunst. Diese volkernahernde, volkerverbindende Tendenz des Rundfunks 

kommt nirgends"so rein zum Ausdruck, wie an den vom Weltrundfunkverein angesetzten 

Internationalen Abenden. Es liegt wirklich ein grofier, einigender Gedanke in der Tat- 

sache, dafi am gleichen Tag, zur gleichen Stunde in alien europaischen Sendestellen die 

Kultur eines Volkes zu Worte kommt und dafi diese Darbietungen in ganz Europa zu 

horen sind. Das auf diese Weise geehrte Land hort sich gewissermafien im Spiegel, 

der ihm von den anderen Volkern vorgelialten wird und diese wieder werden durch 

das Ereignis veranlafit, sich in eine fremde Gedankenwelt zu vertiefen. Beide Momente 

miissen — richtig ;'ausgewertet — zu gegenseitigem Verstandnis beitragen. Die Em- 

richtung der Internationalen Abende kann sich also iin wahrsten Sinn des Wortes 

pazifistisch auswirken. Allerdings kann dieses :hohe Ziel nur dann erreicht werden, 

wenn in den Programmen dieser Abende wirklich die Kultur des betreffenden Volkes 

sich widerspiegelt. Den Sendeleitungen erwaclist dalier in diesem Fall die Aufgabe, 

Charakteristisches, Typisches zu bringen, das die Eigenart dieses Volkes beleuchtet, die- 

jerligen Epoch en zu bevorzugen, in denen der Kultur dieses Landes besondere Bedeutung 

zukam. Es geniigt keineswegs, Autoren zu wahlen, die in diesem Land geboren sind, 

es geniigt auch nicht, die fremde Kultur so zu zeigen, wie sie sich in unserer Mentalitat 

spiegelt, sondern ihren wahren Zweck werden diese Abende erst dann erfiillen, wenn 

sie Kunst, aus dem Schofie dieses Volkes geboren, in der diesem Volk eigentiimlichen 

Weise wiedergeben. Zweifellos mufite auch hier eine bewufite Pflege des Volksliedes 

einsetzen. Uherblickt man aber das an den bisherigen Abenden Gebotene, so findet 

*) Siehe den Artikel „Der Komponist und der Rundfunk" von M. Rutting im Maiheft 1928 der 
Zei'sch'ift "Die Musik". 



RUNDFUNK-UMSCHAU 547 



man nur einzelne tastende Versuclie ohne iiberzeugende Resultate. Italienische Abende 
bewegen sich zwischen Palestrina und Puccini, Hollandische zwischen Dufay und 
Brandts-Buys, ohne dafi wirklich Wesentliches dabei zu Tage kame, ohne dafi Zusammen- 
hange gezeigt werden. Und bei einer verniinftigen Arbeitsteilung zwischen den neun 
deutscben Sendegesellschaften, bei der die Reichsrundfunkgesellscbaft mitzuwirken hatte, 
liefie sich wirklich an einem solchen Abend em anschaidiches Bild einer fremden Kultur 
und ihrer Entwicklung geben. Natiirlich miifite dann die Sendung des gleichen, wenn 
audi noch so dankbaren Werkes durch mehrere Gesellschaften ebenso vermieden werden, 
wie das sehr bequeme Auskunftsmittel, einfach das ganze Programm eines anderen 
Senders zu iibernehmen. Gerade in der Betrachtung von moglichst viel Gesichtspunkten 
aus mufite der Wert solcher Abende liegen. Besondere Beachtung ist natiirlich audi 
dem Gegenwartschaffen des betreffenden Landes zu widmen. 

Der Oktober brachte nun einen solchen — Ungarn gewidmeten — Abend, dessen 
Programmgestaltung manchen freundlichen Eindruck hinterliefi. Schon die negative 
Tatsache, dafi nur zwei deutsche Gesellschaften eine ungarische Rhapsodie von Liszt 
sendeten, verdient, als Fortschritt gebucht zu werden. Fur den man allerdings den in 
mehreren Auflagen erscheinenden unvermeidlichen Hubay hinnehmen mufite. Mit ver- 
schiedenen Werken waren Goldmark und Dohnanyi vertreten. Ihnen gegeniiber gilt 
das schon fruher erwahnte Moment, dafi namlich die ungarische Staatsbiirgerschaft allein 
noch nicht geniigende Legitimation fiir die Auffuhrung innerhalb eines solchen Programms 
bilden diirfe. Denn in ihrer Musik sind die Beiden weniger national als international. 
Dagegen ist das mehrfache Auftauchen der beiden Namen Bartok und Kodaly mit 
Freude und Anerkennung zu begriifien. Nicht nur vom Standpunkt der Neuen Musik 
aus. Sondern Beide sind als begeisterte Folkloristen wirkliche Vertreter ihrer Heimat- 
kunst. Bartok war mit Volks- und Bauernlieder (Munch en, Stuttgart), mit der Rhap- 
sodie fiir Klavier und Orchester op. 1 (Konigsberg), den Suiten op. 3 (Berlin, Kopen- 
hagen) und op. 4 (Leipzig) und der Tanzsuite (Hamburg) vertreten, Kodaly mit seiner 
Hary Janos-Suite (Konigsberg, Leipzig). Aufierdem war die ungarische Musik an diesem 
Abend durch Lendvai (Kammersuite op. 32 in Breslau), Leo Weiner (Serenade fiir Or- 
chester in Hamburg), Alexander Jemnitz (Sonate fiir Violine und Klavier op. 22 in Stuttgart) 
und Georg Kosa (6 Klavierstiicke in Stuttgart) gut reprasentiert. Im grofien Ganzen 
bedeutet dieser Abend einen wesentlichen Fortschritt, der hoffentlich zu dem fruher an- 
gedeuteten Ziele fiihren wird. 

3. 

Einige Sendegesellschaften veroffentliclien jetzt ihre Plane fiir den Winter. Miinchen 
gibt darin die trostliche Versicherung, dafi „das bisherige Durchschnittsverhaltnis zwischen 
leichtem und ernstem Progi-amm von 2 : 1 beibehalten wird". Es fragt sich jetzt nur, 
wo die Grenze zwischen ernst und leicht gezogen wird. Grofie Bichtlinien fiir die 
Programmgestaltung fehlen hier, es handelt sich um einzelne Projekte, unter denen die 
Passion von Heinrich Schiitz, sinfonische Werke von Janacek, Tscberepnin, Alban Berg, 
Glucks „lphigenie auf Tauris" und Honeggers „Antigone" besonders auffallen. 

Leipzig verheifit einen Zyklus ,,Das Klavierkonzert in drei Jahrhunderten" und 
will dabei den Horern die Entwicklung dieser Form von Joh. Seb. Bach bis zur Gegen- 
wart theoretisch und praktisch vorfiihren. Innerhalb eines grofien Zyklus „Das englische 



Weltreich" soil die Bedeutung der englischen Musik durcli Vortrage und Beispiele er- 
lautert werden. Unter den einzelnen Versprechungen beanspruchen Schonbergs „Gurre- 
lieder" besonderes Interesse. 

Stuttgart verspricht einen umfangreicben Mozartzykl'us, im Ubrigen fallt hier die 
grofie Zahl von Ubertragungen aus offentlichen Konzertsalen auf. • 

Der Oktober zeigte auf manchen Gebieten eine erfreuliche Regsamkeit. Berlin 
und Frankfurt bringen in zyklischen Veranstaltungen Neue Musik. Der Berliner Zyklus, 
„Musik der Gegenwart", hat bisher an zwei Abenden Werke von Paul Hoffer, Hermann 
Reuter, Jemnitz, Kodaly und Kosa vermittelt. Die Frankfurter Veranstaltung, ,.Die neue 
Zeit" benannt und nicht auf Musik beschrankt, will den Zusammenhang der rasenden 
Geschwindigkeit der drahtlosen Wellen mit dem Tempo unserer Zeit darstellen. Ein 
guter Gedanke, der durch das Programm (Hindemiths Klavierkonzert, Eislers „Zeitungs- 
ausschnitte", Sti'avinskys Ragtime fur 11 Instrumente) noch wesendich unterstiitzt wurde. 
Aufierdem brachte noch Breslau Lieder von Schonberg und Krenek und Hindemiths 
Zyklus „Die junge Magd". Ausnahmsweise erscheint auch der Name Wellesz mit einem 
geistlichen Lied in Stuttgart. In Konigsberg werden Solosonaten fiir Violine und Cello 
von Hindemith und Kodaly gespielt. Auch das Ausland steht nicht zuriick. Budapest 
bringt Stravinskys „Sacre de printemps", Daventry Hindemiths „Serenaden" und Schon- 
bergs Streichquartett mit Gesang op. 10. 

Ein besonderes Verdienst erwarb sich Konigsberg mit der Auffiihrung von Bachs 
„Kunst der Fuge" in der Graserschen Bearbeitung. Es geht damit den im vorigen Monat 
eingeschlagenen Weg weiter. Bezeichnend fiir die Werbekraft des Rundfunks fiir alte 
Musik ist die Tatsache, dafi selbst Stockholm Kuhnaus biblische Sonaten und Bibers 
Mysterien bringt. Leipzig absolvierte die ersten zwei Abende seines Klavierkonzert- 
Zyklus' mit Werken von Joh. Seb. Bach (f-moll und C-dur fiir zwei Klaviere), W. Friede- 
mann und Phil. Eman. Bach, Ernst Wilhelm Wolf und Franz Xaver Richter. 

Auch auf dem Gebiet der Oper gab es einige Seltenheiten. Debussy war nicht 
nur mit dem „Pelleas" in Daventry, sondern auch mit seinem Jugendwerk „Der ver- 
lorene Sohn" in Rom vertreten. Wolf-Ferrari erschien schon mit seinem „Sly", vom 
Hamburger Sender aus Hannover iibertragen. In Kopenhagen wird Handels „K6nig 
Porus" aufgefiihrt und ungemein verdienstvoll war der Versuch der Berliner Funkstunde, 
Berlioz' „Trojaner" der Vergessenheit zu enrreifien. 

Leider fehlte auch nicht Material fiir den „Funkpranger". Hat die Munchner 
Sendeleitung wirklich kein Gefiihl dafiir, dafi fiir eine Veranstaltung mit dem schonen 
Titel „Mit dem Funkexpress in die galante Zeit des Bokoko" die Namen Rameau, 
Gretry, Phil. Em. Bach, Haydn, Mozart zu wertvoll sind ? Ein anderes Beispiel liefert 
Stuttgart mit dem Programm „Die alte Ballade vom Dr. Johannes Faust". Faustkom- 
positionen und Szenen aus Faustdramen zu einem Horbild zusammengestellt. Der 
musikalische Teil dieses Bagouts setzte sich aus Werken von Wagner, Liszt, Busoni, 
Gounod (Faust- Walzer !), Berlioz, Schumann und Mahler (Chorus mysticus aus der 
8. Sinfome!) zusammen. Bei aller hochanerkennenswerten Pflege der alten Musik — 
das Pasticcio brauchte der Bundfunk wirklich nicht wieder aufleben zu lassen! 



ORGANISATIONSFRAGEN DES RUNDFUNKS 549 

Frank Warschauer (Berlin) 

ORGANISATIONSFRAGEN DES MUSIKWESENS 1M RUNDFUNK 

1. 

Der Musiker, der mit dem Rundfunk zu tun hat, sieht sich einer Vielheit von 
Einzeltatsachen gegeniiber. Ganz abgesehen von der meist notgedrungen peripheren 
Beschaftigung mit den technischen Problemen, bekommt er durch seine eigenen Er- 
fahrungen und die seiner Bekannten einen gewissen Einblick in die Struktur der Sende- 
organisation. Das alles aber sind meistens Teileindriicke, die zudem naturgemafi sehr 
subjektiv gefarbt sein miissen. Geht es Herrn X. dort wirklich so wie Herrn Y? Findet 
der Eine grofieres Entgegenkommen als der Andere ? Wer tragt dort die Verantwortung 
fiir den ganzen Betrieb ? Wie entstehen die Programme? Wer trifft die Auswahl der 
Mitwirkenden ? Und eine sonderbare Frage eigentlich, aber eine, die hier erhoben 
werden mufi, nach welchen Gesichspunkten erfolgt diese eigentlich ? Denn dafi dabei 
audi jenes Minimum von Objektivitat, das man, der Gebrechlichkeit menschlicher In- 
stitutionen zum Trotz, fordern darf, tind schliefilich auch sonst an den entsprechenden 
Stellen findet — dafi nicht einmal dieses dort, nehmen wir den Durchschnitt, vorhanden 
ist, dariiber wird wohl im allgemeinen kein Zweifel bestehen. 

T)er Musiker sieht sich beim Rundfunk einer uberaus machtigen Organisation 
gegeniiber, deren Bedeutung er immer deutlicher erkennt. Wenn ich freilich an die 
Aufierungen denke, die ich von Musikern im allgemeinen iiber den Rundfunk hore — 
so mufi ich feststellen, daft sie dabei meist viel zu sehr von Gegenwarts- und Zufalls- 
eindriicken ausgehen. Wer die Funktion des Rundfunks fiir die Musik in dieser Zeit 
richtig beurteilen will, der mufi nicht fragen, wie heute die technische und soziologische 
Situation ist — sondern wie sie morgen und ubermorgen sein wird. Wer das ungefahr 
iiberblickt, der wird wissen, dafi die genaue Kenntnis vom Wesen der Rundfunkorgani- 
sation und der Krafte, die in ihr wirksam sind, zu den Lebensnotwendigkeiten des 
Musikers von heute gehort. 

Denn alle jene verstreuten Tatsachen, die der Einzelne erfahrt, sind das Produkt 
eines bestimmten Systems. Sie hangen untereinander zusammen, sie werden erldarlich, 
wenn man das Gesetz kennt, das dabei zu Grunde liegt und den Schliissel zu den Er- 
scheinungen liefert. Das Problem der Organisation, bei vielen politikfeindlichen Menschen 
nicht sehr beliebt, ist ein geistiges, kein rein zivilisatorisches. Man darf sich nicht mit 
der Feststellung begniigen, dafi hier ein Unfahiger, dort ein Begabter einen verant- 
wortlichen Posten erhalt, sondern man wird sich fragen miissen, ob das ganze System, 
das heute iiber das materielle und geistige Wohl unzahliger Musiker und iiber die 
Musikalitat der Massen entscheidet, und in den sich nach meiner Ansicht in immer 
steigendem Mafie das Musikwesen eines ganzen Landes konzentri-ert, derart aufgebaut 
ist, dafi es mit etwa ebenso grofier Wahrscheinlichkeit die richtigen Menschen an die 
richtigen Stellen bringt und auch sonst die ihm erwachsene Funktion etwa ebenso gut 
erfiillt, wie. sagen wir einmal, die Organisation des staatlichen Operhwesens. 

Ich mufi diese Frage, das sei vorweggenommen, mit grflfiter Entschiedenheit v er- 
ne in en. Ich mufi die Aufmerksamkeit der Musiker auf die Tatsache lenken, dafi hier 
nicht nur ab und zu Mifistande schlimmer Art vorliegen, sich behaupten, sich selbst 



550 FRANK WARSCHAUER 



geradezu in Permanenz erklaren — sondern dafi dieses ganze System keine Gewahr 
fur die sachgemaGe Verwaltung der sich ergebenden Aufgaben bietet - heute nicht, 
mid morgen, wenn Macht und Bedeutung des Rundfunks sich vervielfacht haben, noch weniger. 
Welches sind seine Eigenarten? Ich mochte dariiber einiges mitteilen. 

2. 

Einige Tatsachen zuvor. Der grofite und nnanziell machtigste deutsche Sender ist 
der Berliner. Seine Konzertabteilung steht vor Aufgaben, wie sie sich sonst nirgends 
ergeben, Nicht nur ist die Zahl der dort arrangierten Konzerte und der dabei be- 
schaftigten Musiker enorm, sondern das dabei in Frage kommende . Gebiet musikalischen 
Stoffes ist unvergleichlich grofi; denn der Rundfunk ist bei seinen einzelnen Konzerten 
in der Programmwahl uiibeschrankter, als es jemals bei einer Veranstaltung des Konzert- 
s a als der Fall sein kann. (Eine sehr interessante und wichtige Tatsache, iiber die viel 
zu sagen ware !) 

An der Spitze dieser Abteilung stand viele Jahre lang, unangefochten durch 
Kritiken und sonstige Einsprtiche, ein — Zahnarzt. Und zwar einer, von dem nie vor- 
her ein Mensch gewufit hatte, dafi er musikalisch sei. Ihm folgte ein Herr, der eben- 
falls in den weitesten Kreisen der Musiker total unbekannt ist. Seines Zeichens ist 
er — Kaufmann. Er residiert noch heute dort. Gibt sich ubrigens viel Miihe, sein 
Amt bestmoglichst zu verwalten. Aber wie kann so etwas geschehen? 

Weil die Sendegesellschaften in all diesen Dingen vollig autonom.sind. Sie konnen 
dabei machen, was sie wollen, tun es audi. Manchmal ist es auch das Richtige. Aul 
ihre Entscheidung hat die Offentlichkeit keinen legitimen Einflufi, so wenig wie aut 
irgend eine andere Aktiengesellschaft, die vielleicht Sprit fabriziert. 

Die Sendegesejlschaften sind konslituiert als halbprivate Unternehmungen, deren 
Aktienmajoritat die Beichspost besitzt, als Besitzerin des Naclirichtenmonopols, unter das 
absurderweise der Rundfunk fallt. Und die Reichspost kummert sich nun naturlich um 
Angelegenheiten der Kunst etwa soviel, wie das Landwirtschaftsministerium in Preufien 
um die Oper. Sie la£t den geschaftlichen Direktoren und den Aufsichtsraten samt Vor- 
sitzenden freie Hand. So kann es kommen, dafi iiber die Frage, wer als musikalischer 
Leiter engagiert werden sol], an einem deutschen Sender zum charakteristischen Bei- 
spiel — der dortige Direktor der Darmstadter- und Natioualbank entscheidet. Unglaub- 
lich ? Aber nur zu wahr. 

Nun fgibt es ja bekamitlich, um diesen Defekt eia wenig auszugleichen, die In- 
stitution der „Rulturbeirate", die von den Landeskultusministerien ernannt werden. 
In ihnen sitzen vielfach audi fiihige Musiker, die iibrigens, was bezeichnend ist, 
fur ihre hochst belangvolle. Tfttigkeit zum Nutzen eines iiber grofie Einnahmen ver- 
fiigenden Institutes keinen Pfennig erhalten. Aber diese Kulturbeirate haben zu wenig 
Rechte. Sie diirfen nur „beraten". Dagegen konnen sie keinerlei Vertrage abschlieBen, 
sie oft nicht einmaj[ mit Erfolg befiirworten. Dafur sind die genannten Stellen.entscheidend. 

Und nur so ist ene Einseitigkeit, Schiefheit, Zufalligkeit vieler Entscheidungen 
im Rundfunk, ganz besonders in Berlin, zu erklaren, bei denen offentsichtlich illegitime 
person iche Einfliisse am Werk waren. Beispiele dafiir kennt jeder. Sie zusammenzu- 
stellen, erforderte eine eigene Broschure. 



1 HH"« 



SCHUBERT 551 



3. 

Dieser Zustand ist, sollte man meinen, unhaltbar. Er halt sich aber nichts desto- 
weliiger jetzt bereits funf Jahre lang. Und wird sicli solange halten, bis die Musiker 
gescblossen gegen ihn auf das scharfste protestieren. Wo und wie ? 

Zunachst dadurch, dafi sie die Zustiinde im eiazelnen zu andern suchen. Etwa 
durch die generell gehaltene Forderung, dafi die betreffenden Stellen des Rundfunks 
erstens uberhaupt mit Musikern, zweitens mit Musikern von Rang und Namen zu be- 
selzen sind, die durch ihre fruhere Tatigkeit dazu legitimiert sind. Solche Forderungen 
mufiten an die Sendegesellschaften, vor allem aber an die Kulturbeirate gerichtet 
werden, in denen die Keimzelle einer spateren verniinftigeren Regelung zu erblicken ist. 

Auf diese Weise ware immerhhi etwas zu erreichen. Das System macht ja die 
richtigen Entschliefiungen nicht unmoglich, wie etwa die Ernennung Scherchens zum 
musikalischen Leiter des Konigsb erger Rundfunks zeigt. Abei" dennoch, die 
Aktivitat im Einzelfall geniigt nicht. 

Die jetzt langsam durchdringende Erkenntnis, was der Rundfunk.in jeder Hinsicht 
fur die Musiker bedeutet, mufi diese veranlassen, sich in der entschiedensten Weise fiir 
eine Neuregelung des Rundfunkwesens einzusetzen, durch die solche Zustaude 
wie sie jetzt herrschen unmoglich gemacht werden. 

Dazu ist notwendig, den Musikapparat des Rundfunks so einzuordnen, dafi er in 
angemessener Weise staatlich kontrolliert ist: er mufi unter die Zustandigkeit der- 
jenigen Behorde fallen, denen ja auch sonst die offentliche Musikpflege anvertraut ist, 
der Kultusministerien. Denn was helfen schon ein oder zwei richtige Berufungen, 
wenn sie wiederum Monopole und Diktaturen schaffen, gegeri die es keine rechtlichen 
Handhaben gibt. 

Und diese Forderung bedeulet nun wiederum im Grunde mehr als eine Erganzung 
der bisherigen Organisationsform : sie fiihrt zu der Einsicht der Notwendigkeit, an deren 
Stelle etwas vollig Anderes zu setzen, etwa durch eine wirkliche Verstaa tlichung 
des Rundfunks, die von der jetzigen staatlichen MonopolisierurJg von Privatgesell- 
schaften himmelweit verschieden ware. Sie miifite erfolgen durch ein moglichst bald 
schaffendes Reichsrundfunkgesetz, an dessen Vorbereitung die Musiker in der 
intensivsten Art mitzuwirken hiitten. 



UMSCHAU 



Hans Mersmann (Berlin) 

SCHUBERT 

(Zum 19. November 1928) 

1. 

Sein Leben ist eingeschlossen in den Kreis enger burgerlicher Daseinsformen. 

Ein kurzes Leben, in dem der karg bemessene und jah abgeschnittene Weg nicht 

als Notwendigkeit erscheint. Psychologische EinsteUung sucht vergebens, das Werk aus 

diesem Leben zu begriinden. Es fehlen ihm alle grofien Inhalte: die heroische Geste, 



552 HANS MERSMANN 



die Beethovens Leben reprasentativ ste.mpelte; die tragischen Konflikte, die Mozarts 
Dasein unterhohlten; die innere Ruhe des vollendeten Kreislaufs, die Bach trug. Schuberts 
Leben kannte nur ein grofies Ereignis: die Befreiung von zwangvoller, hemmender 
Fronarbeit; die Ablosung der strengen Lebensordnung in Konvikt und Schule durch die 
Ungebundenheit des Schopferischen. So scheint die Definition des Burgerlichen nur von 
aufien zu stimmen. Denn es fehlte sowohl dem zwischen lauteni Freundeskreise und 
selbst gewahlter Einsamkeit schwankendem Leben wie auch deni friihen, plotzlichen 
Tode die Ordnung und Verkniipfung, die das Leben des Durchschnittsmenschen be- 
stimmen. So klein in seinen Spannungen, so frei von allem Pathos Schuberts Leben 
ist, so mufi doch auch uber ihm einmal die Achillesfrage gestanden haben und er hat 
sie mit dem gleichen Mute der Bejahung beantwortet wie andere Schaffende vor und 
nach ihm. 

Vielleicht ist dies die einzige Briicke zwischen Leben und Werk. Der Mensch, der 
keiner aufieren sichtbaren Formen und Inhalte bedurfte, konnte in die Musik eingehen. 
Es blieb nichts mehr von ihm zuriick. Er ist der letzte in jener Beihe der Schaffenden, 
deren Werk lautlose Fiille ist. Mozart gehorte zu ihnen, aber audi Kleinere, wie 
Beinhard Keiser, standen unter diesem damonischen Zwang einer triebhaf'ten, nicht um 
Gestalt ringenden sondern ungehemmt stromenden Produktion. Schubert noch gleicht 
jener Gestalt im Marchen, unter deren Handen alles zu Gold wird, was sie beruhrt. 
Wir nehmen es wortlich bei ihm und suchen hier eine Beziehung zu seinen Texten. 
Wo immer sie ihm als Worte entgegentraten, wurden sie Musik; nicht ausgewahlt, 
von innen durchgestaltet und langsam reifend, sondern aufflammend wie ein zundender 
Stoff, fruh schon in ratselhafter Vollendung. 

Das Lied wird ihm Schicksal. Hier flutet der Strom von Pol zu Pol von der 
ersten Beriihrung an. Um die Instrumentalmusik mufi er ringen. Seine friihen Quartette 
sind Schiilerarbeiten, seine Unvollendete Symphonie noch ein Hinaufstreben zur klassischen 
Bindung der entgleitenden Formen. Im Liede aber umschliefit schon der Gestaltungs- 
vorgang einen Hochstgrad von Moglichkeiten. Hier formt sich ein Text als schlichtes 
Strophenlied, dort erscheinen zwischen den Strophen feinste Abwandlungen. Ver- 
anderungen, dem ersten Blick kaum sichtbar: Auflosung einer festen Linie in fliefiende 
Konturen, Aufleuchten einer neuen harmonischen Lichtquelle unter der gleichen Melodik, 
Verwandlung einer fallenden Endung in eine steigende, weiten sich zu Symbolen. An 
anderer Stelle wieder wird die Form des Liedes durch die Dichtung bedingt. Zyklische 
Gegenflachen teeten auseinander und ordnen sich zur Einheit. Die alten Grenzen des 
Liedes werden durchbrochen ; Elemente der Arie der Kantate spannen es zum Gesang. 

Eine vollig neue Beziehung tritt zwischen Singstimme und Instrument. Die grofie 
Entwicklung, die das Klavier als selbstandiges Instrument durchlebt hatte, wird nun ein- 
geschmolzen. Eine Harmonik entfaltet sich, von einem Reichtum und einer gestaltenden 
Kraft, wie sie auch aus der gleichzeitigen Instrumentalmusik nicht zu begriinden ware. 
Sie vor allem diktiert einem Jahrhundert Entwicklungsgesetze. Ganze Lieder werden 
durch eine auf das feinste ausgewogene Chromatik getragen. Melodische Erfindung aber 
bleibt unerschflpflich. Alle Grenzen zwischen deklamiertem Wort und musikantisch 
uberstromender Urkraft werden abgesdiritten. Aber iiber alien diesen verschiedensten 
Stufungen waltet Fiille und Einmaligkeit. 



SCHUBERT 553 



Der Klavierkomponist findet von hier aus den geradesten Weg. Beethovens spiite 
Klaviersonaten hatten neue Perspektiven erschlossen. Schubert bestimmt nun ein- 
deutig den Typus der romantischen Klaviermusik. Abkehr von gespannter klassischer 
Entwicklung fiihrt audi in der Instrumentalmusik zu einem Reichtum an Gedanken. 
Das Thema ist ohne Triebkraft; Vielheit der Einzelthemen drangt die Entwicklung 
in die Flache hinein. Die Auflosung der harmonischen Kadenz bewirkt einen Reichtum 
der Ausdrucksmittel. Der freie, oft fast improvisatorische Formverlauf fiihrt in abge- 
legene Bezirke der gestaltenden Fantasie. Uberall ist Reichtum, Fulle, Freude am Klang, 
Farbe und Ausgestaltung. Die Variation riickt in ein neues Licht und tritt teilweise an 
die Stelle der thematischen Arbeit. Die Melodik wird durch vokale Elemente, die 
Rhythmik durch den Tanz oft entscheidend gepragt. 

Die bei Beethoven klar auseinandergelegten Grenzen innerhalb der Instrumental- 
musik verschwimmen. Der Gegensatz eines monumentalen symphonischen Stils und 
einer kammermusikalischen ' Sprache von grofiter Pragnanz und Ausgewogenheit der 
Einzelstimmen tritt zuriick. Unter der gesamten Instrumentalmusik aber stromt das 
Lied, bis es an einzelnen Stellen zur Sichtbarkeit durchstofit. 

2. 

Der sich fiir den Zuriickblickenden immer scharfer auspragende Gegensatz eines 
klassischen und romantischen Weltbilds ist mit Schubert tief verkmipft. Wenn in 
diesen beiden ersten Jahrzehnten musikalischer Romantik der neue Stil in einer Gipfel- 
lage sichtbar wird, wenn eine neue Sprache aus Intuition und hochster schopferischer 
Kraft heraus entsteht, so ist es Schubert, der alles dies wesentlich mitbestimmt. Denn 
er steht im Zentrum dieser ersten Romantik. Beethovens Spatwerk ist ein subjektives 
und abseitiges Entwicklungserlebnis ; Webers Durchstofi zum romantischen Singspiel um- 
spannt nur einen Ausschnitt; Mendelssohns friihreife, genialische Anfange halten die 
Hohe nicht. So bleibt Schubert trotz seines kurzen Lebens der erste umfassende Triiger 
eines neuen Stils, dessen Entwicklung in einer absoluten Hohelage begann und dessen 
Weg zur Auflosung und zum Zerfall der Krafte vorgezeichnet war. 

Aus dieser Lage ergibt sich auch die Perspektive, unter der wir Schubert heute 
sehen. So stark eine Generation, die wiederum um Formung eines neuen Weltbilds 
zu ringen hat, sich auch abstofien mufi von dem Jahrhundert, gegen das sie sich stellt 
— hier macht sie Halt. Denn hier findet sie Erfullungen, welche stark genug blieben, 
um sie mit zu tragen. Hier steht sie vor reinen, unversiegbaren und elementaren 
Quellen, deren Kraft die Zeiten iiberdauert. Wo Musik Bekenntnis und Aus- 
druck ist, fordert sie Menschen, die zu gleichem Pathos fahig sind. Ist Musik aber 
Urkraft, so vermag sie zur Zeitlosigkeit aufzudringen. So geschieht das Wunder, dafi 
Menschen, die sich von der pathetischen Musik Beethovens abzuwenden beginnen, weil 
das Weltbild, das hinter dieser Musik steht, nicht mehr das ihre ist, in Schuberts C dur- 
Quintett noch heute eine letzte Erfiillung erblicken. Nicht als ob gerade Instrumental- 
musik frei ware von subjektiven Ziigen, aber diese sind tief eingeschmolzen in den 
Strom der Elemente wie bei Bach oder bei Mozart. Denn niemals begann Schubert 
erst zu singen, „wenn der Mensch in seiner Qual verstummte". Etwas Tieferes war ihm 
Musik und etwas Friiheres. So stiefi er im Liede, das er schon als Knabe mit 
genialer Sicherheit erfafite, riicht nur bis zu Ausdrucksformen] durch, die wir . heute 



554 OSKAR GUTTMANN 



noch umspannen konnen, sondern zu solclien, die sich uns erst jetzt ganz zu erschliefien 
beginnen. Die „Winterreise" birgt seelische Inhalte von einer solchen Verfeinerung ufid 
Kompliziertheit, eine solche Fiille von Nuancen und Zwischenfarben, von leisen, un- 
pathetischen Ausdruckssymbolen, dafi es vielleicht erst einer Zeit, die Rilke und George 
erlebt hat. moglich wurde, sie sich einzuschmelzen. Gerade diese Inhalte waren 
vorher, vor allem durch das Musikdrama, verschiittet worden. Und es bleibt der 
Dank eines jungen Geschlechts, dafi es, sich reinigend voni Staube der Vergangenheit, 
Schuberts Bild iiber dieser Vergangenheit findet: leuchtender vielleicht und lebens- 
spendender als jemals vorher. 



Oskar Guttmann (Breslau) 

DIE TAGUNG DES REICHSVERBANDS DEUTSCHER TON- 
KUNSTLER UND MUSIKLEHRER IN DARMSTADT 

Im Mittelpunkte der Verhandlungen dieser Jubilaumstagung stand, nicht so ganz 
klar formuliert, die Frage: Wie gewinnen wir die heutige Jugend fur die Bestrebungen 
des Verbandes? In dieser Frage gipfelte schon das Festreferat Arnold Scherings, 
der aus historischer Betrachtung heraus die Wichtigkeit und unbedingte Notwendigkeit 
von Musikorganisationen betonte und das Interesse von Staat, Publikum und Jugend 
fiir die Arbeit der musikalischen Verbande aufrief, die, nicht nur sozial eingestellt, die 
Musikerziehung als deii Angelpunkt aller ihrer Bestrebungen ansehen. Ihm folgte dann 
aus den Reihen des Hauptvoi'standes Dr. Marie-Ther ese Schm ticker, die die Fest- 
legung eines Kultm> und Gesinnungsprogrammes des Reichsverbandes forderte und in 
seinen Grundziigen anzudeuten versuchte, ausgehend von der Ausbildung der Musik- 
lehrenden und den Moglichkeiten der Musikerziehung. Die Musik ist nicht nur eine 
Kraft die seelische Entwicklung entscheidend zu beeinflussen und sittliche Werte zu 
schaffen, sie soil noch mehr tun, sie soil einer neuen Gesellschaftsform, einer neuen 
Staatsidee — es wurde an das alte Griechenland erinnert und dessen musisch-musika- 
lische Kultur — den Weg bahnen helfen. 

Endlich betonen audi die neu angeiiommenen Satzungen die ktilturellen Ziele des 
Verbandes und stellen sie gleichbereclitigt neben die wirtschaftlichen. 

. * . 

Neben der Tagung als solcher lief ein Musikfest her, eine OpernuraiuTuhrung, ein 
Kirchenkonzert, zwei Kammermusikabende, zwei Sinfoniekonzerte und auch sonst Musik, 
Musik, Musik. Selbst wenn alles, was man gehort hat, horenswert gewesen, ware 
es zuviel gewesen. Aber das war leider durchaus nicht des Fall. Aus der Fiille der 
mehr als bunt zusammengesetzten Programme hoben sich wenige Inseln heraus, das 
meiste ertrank in dem Meere der Interesselosigkeit und der Dagewesenheit. Ich fiirchte, 
mit solcher Musik wird man die Jugend nicht gewinnen, die man haben will und haben 
mufi. Denn diese Jugend hat weniger soziale und wirtschaftliche als vielmehr kulturelle 
Interessenj einen ungeheuren Wissensdurst, ein Anlehnungsbediirfnis an etwas, von dem 
es Forderung seiner eigensten Interessen erwartet und fordert und — eine gesunde 
lachelnde Respektlosigkeit, die das Alte zwar toleriert, aber innerlich negiert. Die Jugend 



ZEITSCHAU 555 



betrachtet solche Konzerte als Aushangeschild (das mag falsch sein, aber ich sage, wie 
es ist) und wird stutzig. Wenn also auf einer solchen Tagung Musik gemacbt werden 
mu(5 (es mufi nicht; Musiker haben fiir Musik anderer nicht viel iibrig) dann mufi sie, 
anders aussehen, dann miissen die Programme arxders zusammengesetzt werden, kxirzer, 
stilvoller und mehr in neuzeitlichem Geiste. Auch der Allgemeine Deutsche Musikverein 
hat in seine Jury fiir die Duisburger Opernwoche Alban Berg gewahlt. Wer Ohren hat, 
der hore. 

Uber die uraufgefixhrte Oper von Ernst Roters „Die schwarze Kammer" 
ist nicht viel zu sagen. Axxfier, dafi sie dxxrchfiel. Eine Epigonenarbeit von vorgestern, 
ein musikalischer Bandwurm, gewohnheitsrnafiige Technik, nach gelerntem Rezept ange- 
fertigt. Schade um die ausgezeichnete Arbeit der Darmstadter Oper, an der anscheinend 
prachtvoll gearbeitet wird. Erstaunlich, wie sich die aufiere Gestaltung von Opernauf- 
fiihrungen in den letzten 10 Jahren in Deutschland gewandelt hat; 

Von der Konzertmxxsik, die gemacht wurde, seien als besonders bemerkenswert 
hervorgehoben die geistlichen Frauenchore a cappella von Robert Hernried, die an 
die vorbachische Zeit anknixpfen, und das Klavierkonzert C-Cis im Zwolftonsystem voxi 
Hermann Heifi, dem einzigen Schxder von Hauer. Hoi der Texxfel alle Theorie, es 
war letzten Endes Musik, was hier geboten wurde, Mxxsik uxlserer Tage, die xxnser 
Empfinden zu gestalten versuchte. Viele schuttelten den Kopf uber das (zxx lange) Wex - k, 
viele aber fuhlten axxch den Bifi, der zwischexx diesen Klangsymbolen bestand xxnd denen 
einer vergehenden, vielleicht schon endgiiltig vergangenen Zeit, einer technisch anormalen, 
moralisch unethischen Zeit. Daneben seien immerliin erwahnt eine (nur ebenfalls zu 
lange, die Rotstifte sterben axxs) kraftvoll gestaltete Violinsonate von Arnold Ebel-, 
Gesaxige fur Bariton mit Orchester von Hans Joachim Moser, in denen gliicklich 
versxxcht wird „historische Tonformen im Sinne der Texte mit gegenwartigem Geiste zu 
erfixllen" ; Orchesterlieder von Waltershausen uxid einzehxes voxi G e o r g S cli u m a n n 
uxxd dem jungen Mixnclxener Karl Marx. 

Der Vortrag von Moellexxdorf uber Bichromatik enttaxxsclite zxxletzt durch 
die Belaxxglosigkeit der . , ICompositionen. Ebenso das Referat von Jorg Mager xxber 
seine Orgel mit elektrischer Tonerzeugung. Mager selbst scheint entmutigt, es gilt, ihn 
zxx stutzen. Ob hier freilich so Epochenxachendes yox'liegt, wie er glaxxbt, wage ich bei 
der Uxxfex;tigkeit des Vorhaxxdenen nicht zxx entscheiden. . 



MUSIKLEBEN 

Heinrich Strobel (Berlin) 

ZEITSCHAU 

Aus Rieti kommt die Nachricht, dafi Mattia Battistini siebzigjahrig gestorben 
ist. Battistini — der grofiartige Reprasexxtant belcantistischer Gesaxxgskunst in einer 
Zeit musikdramatischer Gesangsverwilderung. Battistini — der beispiellose Kehltech- 
niker, der bis ins hochste Alter hinein seine Stimme frisch und beweglich erhielt. Er 



556 MUSIKLEBEN 



ist uns noch gegenwartig, dieser elegante Kavalier mit den weifien Handscliuhen, liebens- 
wiirdig und verbindlich lachend, wenn er seine Glanzstiicke drei-, viermal wiederholen 
mufite. Die Atemfiihrung, die Ausgeglichenheit und Leichtigkeit seiner Koloraturen, 
die wunderbare Lebendigkeit und Charakteristik- seines Vortrages: das alles wird un- 
vergefilich seiia. Seine vornehme Haltung bewahrte Battistini auch auf der Biihne. Er 
liebte die grofien Explosionen nicht, die zu seiner Zeit auf dem Theater einrissen. Er 
war auch hier der Bewahrer einer alten italienisrhen Kunst, die sicli allein im Gesang- 
lichen kundgab. Komische Rollen sollen seine Starke gewesen sein. Man kann sich das 
denken — wie unnachahmlich hat er im Konzert die kleine Canzonetta aus dem zweiten 
Akt des „Falstaff" gesungen! 

Die Schubertwelle schlagt augenblicklich hoch. Es ist genau so gekommen, 
wie man erwarten mufite. Ein ungeheurer aufierer Aufwand, Schubertinflation in den 
Konzerten. Forellenquintette und d-moll Quartette jagen sich, bierbiedere Sangerkehlen 
kommen kaum mehr zur Ruhe. Wer geigt, singt oder Klavier spielt, mochte etwas von 
der Konjunktur fur sich erhaschen. In Wien ist man wenigstens ehrlich — da ver- 
schickt gleich die Fremdenverkehrskommission der Bundeslander die Programme fur die 
Zentenarfeiern. Augenblicklich kann man Filme vom Wiener Sangerfest sehen: eine 
Schubertbiiste, von holdseligen Jungfrauen umhiipft. Das ist der Geist dieser Jahr- 
hundertfeier (mit ganz wenigen Ausnahmen) — der Geist einer sentimentalen Bieder- 
meierei, eines unehrlichen Pietatsrummels, eines verkitschten Spiefiertums. Der Held 
des „Dreimaderlhauses" wurde weiter popularisiert. ErnstDecsey und JuliusBittner 
— immerhin Leute, die kiinstlerich ernst genommen sein wollen — haben ihn als 
„Unsterblichen Franz" zum zweiten Mai der Amusierindustrie ausgeliefert. Eine Unmenge 
sentimentaler Schubertromane wurde durch die Jahrhundertfeier hochgeschwemmt. End- 
lose Phrasen decken die lebenswarme Kunst Schuberts zu. 

Man ist grade bei Wien. Also kann man von Furtwangler sprechen. Die Wiener 
Staatsoper, so munkelt man, bemuht sich erneut um den grofien Dirigenten. Sie soil 
ihm die Direktorenstelle angeboten haben. Es klingt in dieser Form unglaubhaft. 
S chalk wird bestimmt auf keines seiner (bis 1933 geltenden) vertraglichen Rechte ver- 
zichten. Und Furtwangler wird bestimmt nur nach Wien gehen, wenn er die notigen 
Vollmachten erhalt. Dafi es ihn wieder zum Theater zieht, ist selbstverstandlich. Sein 
Aufstieg ging vom Theater aus. Eine universale Personlichkeit wie Furtwangler wird 
sich auf die Dauer mit dem Konzert allein nicht begniigen. Furtwangler steht jetzt auf 
der Hohe seines Kvinstlertums. Er ging ohne Zweifel aus Leipzig weg, weil ihn grofiere 
Aufgaben lockten. Liegen sie in Berlin, liegen sie in Wien — oder liegen sie, was man 
annehmen mochte, in beiden Stadten? 

Das Programm der Opernwoche des Allgemeinen Deutschen Musikvereins in 
Duisburg nimmt allmahlich greifbare Gestalt an. Ein grofier Ausschufi wurde auf- 
geboten zur Auzwahl der drei Werke, die der A.D.M. zu bestimmen hat — im Hinter- 
grund Hans Pfitzner. Man versicherte wieder einmal, dafi sich der A.D.M. auf keine 
Richtung festlegen durfe. Wir kennen das — soil es wieder heifien, dafi man das 



MELOSBERICHTE 



557 



wirklich Neue auf keinen Fall bringen wird. Es scheint fast so. Die beiden Werke, 
die auf dieser Festwoche unbedingt hatten aufgefiihrt werden miissen: Hindemiths 
neue komische Oper und Weills „Mahagonny" — sie kommen in Berlin bei Klemperer. 
Verschanzt man sicb wieder hinter „Objektivitat", urn sicli an den produktiven Kraften 
des neuen musikaliscben Theaters vorbeizudriicken? 

Man wird abwarten miissen umso mehr, als es sich z. T. um noch vollig unbe- 
kannte Namen handelt. Zunachst also stehen folgende Werke fest: „Tullia" von Paul 
Kick -Schmidt, „George Dandin" von Helmut Gropp, „Maschinist Hopkins" von 
Max Brand, ferner „Konig Boger" von Szymanowsky, und an einem Abend 
Schonbergs „Gliickliche Hand", „Galathea" von Braunfels und das Ballett „Salambo" 
von Tiessen. Die Zusammenkoppelung der drei letzten sieht immerhin bedenklich 
nach Kompromifi aus. Aber — abwarten. 



MELOSBERICHTE 



Weill u. Strawinsky 



Im Prinzip hat sich an 
der Stcicltischen Oper 
in Berlin audi mit der festeren 

Verpflichtung Bruno 
Walters nichts verandert. Zu Beginn der 
Spielzeit sind die amerikareifen Stars da, 
aber Walter ist abwesend. Jetzt ist Walter 
wieder hier, da reisen die Stars ab. Man 
nutzte hervorragende Mitglieder des 
Ensembles wie die Onegin und den herr- 
lichen Bafiisten Kipnis und gab zuerst 
Verdis„DoJi Carlos" in einer sehr eindrucks- 
vollen Auffiihrung. Es war einer der besten 
Abende dels jungen Sebastian. Als Begisseur 
mufite Briigmann aus Leipzig einspringen, 
denn immer noch fehlt an diesem Ins ti tut 
eine Personlichkeit, die fiir den gesamten 
szenischen Apparat verantwortlich ware. Das 
Durchschnittsniveau der Bepertoireauf- 
fiihrungen ist oft unter dem einer mittleren 
Provinzbiihne. Aber man hat ein dank- 
bares und anspruchsloses Abonnenten- 
publikum, das alles iiber sich ergehen lafit, 
wenn es nur in seiner Buhe nicht gestort 
wird. Das geschah nun dieser Tage — mit 
der Auffiihrung des protagonist" und des 
„Zaren" von Kurt Weill. Es war die 
moderne Konzessions-Premiere, die jedes 
Jahr fallig ist. Krach, Proteste — und nach 
zwei oder drei Wiederholungen wurden die 
Stiicke abgesetzt. Man kann befriedigt 
sagen : das Publikum lehnt diese Sachen 
ab, an uns liegt es nicht. Die Devise aller 



stumpfen Menschen. Von der Dreigroschen- 
oper, von „Mahagonny" aus gesehen, wirken 
die beiden Einakter schon als Stufen der 
Entwicldung — einer sehr schnellen und 
personlichen Entwicklung, die von ex- 
pressiver Dramatik zu volliger Negierung 
aller ti'aditionellen Opernhaftigkeit, zu einem 
neuen zeitnahen Typus des musikalisclien 
Theaters fiihrt. Erstaunlich schnell geht 
die Lockerung der Tonsprache vor sich. An 
sich gewifi nicht schwer wiegend, ist der 
„Zar" leicht und durchsichtig hingesetzt. 
Die wichtigste Vorarbeit zur „Dreigroschen- 
oper". Die Sorgfalt der Auffiihrung ist zu 
loben, auch die Wandlungsfjihigkeit Joseph 
Burgwinkels, der zuerst Tenor, dann Bariton 
singt, beide Male die Hauptrolle. Der 
Dirigent Denzler findet sich mit der 
dramatisch gespannten Partitur des prota- 
gonist" immer noch besser ab als mit dem 
spritzigen, loclceren „Zaren". Und Briig- 
mann ? Eine absolut konventionelle, fast 
provinzielle Leistung, wie im „Don Carlos". 

Inzwischen hat Walter seine Arbeit auf- 
genommen. Dariiber wird nach der Ur- 
auffiihrung von Bittners „Mondnacht" zu 
sprechen sein. 

Bei Klemperer, am Platz der Bepublik, 
behalt man die Bichtung auf die Gegen- 
wart konsequent bei, ohne dafi man das 
gute traditionelle Bepertoire darum aufgabe. 
„Camien" wurde, zum miridesten in den 
Bildern, modernisiert. Eine prachtvolle 



558 



MUSIKLEBEN 



Leistung Caspar Nehers. Kein Ansichts- 
karten-Spanien, kein farbiger Opernflilter, 
kein ewig blauer Himmel: Dekorationen in 
sonnengebleichtem Schwarz-Gelb wundervoll 
aufgebaut in phantastisch drohenden Linien, 
duster, nackt, ungeschminkt. Grofiartig der 
Jose Hans Fidessers. Alles andere ist ver- 
bindlich — ordentliches Theater, diemusika- 
lische Leitung Zweigs nnd besonders die 
Regie des Intendanten Legal. 

Klemperer selbst kann sich ganz den 
modernen Werken widmen. Er halt „Car- 
dillac" im Repertoire, auch Strawinskys 
„Oedipus", zu dem er jetzt, sinnvolle Er- 
ganzung, die „Geschichte vom Soldaten" gibt. 
Eine herrlich intensive, gestraffte Wieder- 
gabe, improvisatorisch und ohne alles Paro- 
distische. Offene Riihne in Anlehnung an 
Piscator. Das ist wieder bezeichnend fur 
Klemperer — er sucht mit alien modernen 
Kopfen aufierhalb der Musik Verhindung. 
Er will die traurige Isolierung des „Opern- 
theaters" durchbrechen. An diesem Abend 
begreift man erst die grofiartlge Leistung 
Strawinskys. Er schuf mit dem „Soldaten" 
einen neuen Typus des Opernspiels, der 
sich zehn Jahre spater fruchtbar auszuwirken 
beginnt. 

Welcher Weg bis zur Musik zum „Apollo 
musagete" , die Klemperer dieser Tage im 
Konzert urauffiihrte. Diese Rallettmusik setzt 
den INeuklassizismus des „Oedipus" fort. Sie 
uberzeugt freilich langst niclit so sehr 
wie die monumentale dramatische Schopfung, 
die bei aller Anlehnung an altere Stil- 
mittel reinster Ausdruck von Strawinskys 
schopferischer Personlichkeit ist. In dem 
nur ftir Streichorchester geschriebenen 
„Apollo" versteckt sidi Strawinsky formlich 
hinter der alten franzosischen Balletmusik 
„Apollo" ist rein formal gedacht, wie 
„Oedipus", durclisichtig und zart im Klang 
Ein artistisch- kunstgewerbliches Experiment 
— Uberspitzung eines Prinzips. Die Ein- 
fachheit dieser Musik wirkt erzwungen. Die 
simplen und siifien Tonfolgen : das ist nicht 
mehr Strawinsky. Am ehesten erkennt 
man seine Dandschrift in der Harmonik, 
die keineswegs so einfach ist, wie sie klingt, 
und einmal zeigt er sein wirkliches Gesicht: 
in der aufschnellenden Coda, deren Wirkung 
durch die schone Apotheose noch erhoht wird. 



Am gleichen Abend spielte Klemperer 
eine „Kleine Sinfonie" von Krenek: ein 
harmloser oberflachlicher Spafi, der opern- 
hafte Gefuhlsentladungen, dezente Jazzereien 
und instrumentale Scherzchen ohne jeden 
Ansatz zur Gestaltung nebeneinanderreiht. 
Eine Musik, die Erfolg haben mufi, weil 
sie aus lauter Konzessionen an den Horer 
besteht. Heinrich Strobel (Berlin) 



Toch and Verdi 
amMannheimer 
Nationaltheater 



Ernst Toc/i hat mit 
der Minuten - Oper 
„Egon und Emilie" 

einen neuen Beitrag 

zurKurzoper geliefei't. 
„Kein Familiendrama" heifit der Untertitel 
des Morgensternschen Gedichtes. Es kommt 
nicht zustande, die Oper wird „in ihren 
Windeln erwiirgt", weil Egon seiner in 
Koloraturen sich ergehenden Emdie beharr- 
liches Schweigen entgegensetzt. „Der Un- 
menscli will keine Oper, der Unmensch will 
seine Ruhe haben", der Vorhang mufi fallen. 
Hier ist also das Prinzip der Oper selbst 
parodiert. Toch hat die Szene witzig, spitzig 
und scharfkantig vertont — sein Orchester 
besteht aus Klarinette in Es, Klarinette in D, 
Bassklarinette, Altsaxophon, Trompete, 
Fagott und Bafituba. Der Hang zur Parodie, 
zur Ironie findet sich ja immer wieder in 
seinen Werken. Bei Toch ist die Parodie 
nie ins Platte, ins Triviale getriehen. Dazu 
ist er nicht primitiv, nicht unkompliziert 
genug. Seine stark intellektualistisch ge- 
fiihrte Hand schreibt immer in klaren, in 
polierten Konturen. Treffend der Einfall, 
die Vertreterin der Oper, jene Emilie, sich 
in den pikantesten Koloraturen ergehen 
zu lassen, das Zwiegesprach aus dem realen 
Leben also zu irrealisieren — Idee der 
Oper, die im gleichen Augenblick verneint 
wird. 

Der Mannheimer Urauffiihrung voraus 
gingen Tochs Musikmarchen „Die Prinzessin 
auf der Erbse", der Hindemith-Sketsch 
„Hin und Zuruclc" und Malipieros fein 
musiziertej bisher nur in Mainz gehorte 
Komodie „Der falsche Harlekin", die freilich 
aus ganz anderen geistigen undmusikalischen 
Bezirken kommt. Mit diesen vier Einaktern 
bekundete Erich Orthmann aufs neue seinen 



MELOSBERICHTE 



550 



"Willen, aktuelle Oper zu spielen. Die musika- 
lische Gestaltung unter ihm hatte, wie audi die 
Regie Richard Heins und Alfred Landorys. 
Niveau, Beweglichkeit, Laune. Das Publikum 
der .Jungen Biihne" ging vergniigt mit. 

Das Manrdieimer Nationaltheater hatte 
mit dem Zyklus von Kurzopern und mit 
der ins Kultische weisenden „Prinzessin 
Girnara" von Wellesz das Problem der neuen 
Oper aufgeworfen. Mit der acht Tage spater 
erfolgteh ersten deutschen Auffuhrung von 
Verdis Oper „Nebukadnezar" wurde der 
Beweis erbracht, dafi die alte Oper trotz- 
dem fortlebt. Denn dieses mit Begeisterung 
aufgenommene Werk ist der Typus Oper, 
ins Extrem hineingetrieben. Eine unent- 
wirrbar verknauelte Handlung, halb religiose, 
halb dynastische Angelegenheit, die keinen 
Menschen interessiert. Aber was schiert 
den Horer der Text; der Ton macht 
die Musik. Und dieser Ton Verdis hat 
audi in dieser Oper schon etwas Zwingendes, 
wenn auch der grofie Einfall fehlt. Das 
Dramatische bricht auch hier durch. Aber 
es ist auch noch die Zeit, in der Verdi 
einen Hafi- und Bachegesang im Dreiviertel- 
Walzertakt singen lafit. Die Koloraturen, 
die der spatere Verdi zu Gunsten des 
Dramas ablehnte,spielen eine gewichtigeRolle. 

Am schonsten sind die grofien Chore, 
darunter der beriihmte Heimwehchor „Zieh, 
Gedanke, auf goldenen Flugeln", der be- 
kanntlich beim Begrabnis Verdis von der 
Menge spontan angestimmt wurde. 

Der Mannheimer AufFiihrung lag eine 
neue Ubersetzung von Leo Schottlander zu- 
grunde, die, theoretisch gut brauchbar, die 
praktische Unzulanglichkeit des Textbuches 
naturlich nicht andern kann. Die Einstu- 
dierung unter Generalmusikdirektor Erich 
Orthmann und Oberspielleiter Dr. Richard 
Hein (Biihnenbilder : Dr. Eduard Loffler) 
verlegte den Schwerpunkt naturgemafi ins 
Musikalische. Die bliihenden Stimmen, die 
Verdi verlangt, hat die Mannheimer Oper 
zur Verfugung. Karl Laux (Mannheim) 



Szymanowskis 
„Konig Rogei M 
in Duisburg 



Die Abmachungen 
zwischen der Stadt 
Duisburg und dem 
Allgemeinen Deut- 
schen Musikverein zu 
der nachstjahrigen Opernwoclie erschienen 



bisher insofern nicht eindeutig klar, als man 
annehmen konnte, dafi der AusschuS des 
A. D.M. auch uber die drei Opern, fiir die 
sich die Stadt Duisburg das Vorschlagsrecht 
vorbehalten hatte, die endgidtige Bestim- 
mung treffen wiirde. In Wirklichkeit ist die 
Verantwortung geteilt: drei Abende nimmt 
der A. D. M. auf sich, drei die Duisburger 
Intendanz. Von den Werken, die das Duis- 
burger Theater prasentieren will, erlebte 
jetzt der „Konig Roger" von Karol 
Szymanowski seine deutsche UraufRihrung. 
Szymanowski, der Direktor des Warschauer 
Konservatoriums, wird in seiner Heimat 
als der grofite unter den lebenden polnischen 
Komponisten gefeiert. In Liedern, Kammer- 
musik und Symphonien erwies er sich als 
Liebhaber des immateriellen Klangs. Die 
Oper besta tigt seinen romantischen Grund- 
zug. Er bedient sich impressionistisch viel- 
deutiger Koloristik. Eine transparente 
Melancholie breitet sich aus, ein dammeriges 
Filigran von Zwischenfarben. Szymanowski 
ist ein l'art-pour-1'art-Musiker, der sich, fern 
aUer slawischen Volkskraft, an fremden Ein- 
fliissen, von Wagner bis Schonberg und 
Debussy, orientiert. 

„Konig Roger" spielt im Sizilien des 
zwolften Jahrhunderts. Der dionysische 
Mythos von Licht und Freude, neu ver- 
kiindet, sprengt byzantinische Kirchenge- 
wolbe, sprengt die Formel von der UnlOs- 
barkeit der Ehe, sprengt ein Konigreich. 
Das Buch entfernt sich immer mehr von der 
Wirklichkeit der Vorgange und gerat in die 
Symbolik einer Traumwelt hinein, die 
zwischen manadenhaftem Taumel und 
feierlicher Lichtverehrung wechselt. Den 
gleichen Weg geht die Musik: von einer 
bewegten Kontrapunktik, in der die gegen- 
einander gefiihrten Stimmen allmahlich die 
verbindenden thematischen und harmo- 
nischen Funktionen abstreifen, zur fliefienden 
Phrase, zur bequemen Harmonie, die zeit- 
weise durch ein geschicktes, schlagendes 
Crescendo uberlichtet wird. Der Komplex 
der inneren Vorgange wird eingebettet in 
ein buntes, exotisches, vielfaltiges Gewebe 
vonChor-undEinzelstimmen. Eine unruhige 
Chromatik von Nachtstimmungen verwirrt 
die polyphone Linienfiihrung, ohne da6 die 
musikalische Substanz fiir den visionaren 
Hintergrund ausreichend ware. 



560 



MUSIKLEBEN 



Dergleichen lohnt hente wahrhaftigkeine 
Diskussion mehr. Aber es ist charakteristisch, 
dafi die Duisbnrger Oper ein solches Werk 
als besonders reprasentativ fur ihre Arbeit 
herausstellen will. Natiirlich tut der szenische 
Apparat, von RegisseiuYSc/iuHz^undBuhnen- 
maler (Schroder) virtuos gehandliabt, seine 
Scbuldigkeit. Natiirlich sind die Orchester- 
partien (von Drach), die Chore sorgfaltig 
studiert. Natiirlich sind schone Stimmen 
da (Hildegard Bieber-Baumann, Holger 
Borgesen). Aber man fragt sich vergebens, 
was das alles mit uns, mit unserer Welt, 
rait unserer Zeit zu tun hat. Um so 
lacherlicher wirkte ein schiichtener Storungs- 
versuch nationalistischer Elemente. Das 
Publikum klaschte aus Respekt. 

Erik Reger (Essen) 



in Kiel 



Davids Einrichtung Hans Th. David stellt 

7ler„Kuns7derEuge« der erstei \ Neuord- 
— nung und Instru- 

mentierung von Bachs 
Spatwerk durch Wolf- 
gang Graeser eine zweite, wesentlich ver- 
schiedene Bearbeitung gegenuber, die unter 
der Leitung Prof. Fritz Steins in Kiel erst- 
raalig erklang. Um zu einem befriedigen- 
den Aufbau des Gesamtwerkes zu gelangen, 
greift David auf das Berliner Autograph 
zuruck. Die von Graeser angestrebte sym- 
metrische Anordnung des Fugenkomplexes 
verwandelt sich fur ihn in einen einfach 
zweiteiligen Gesamtplan, aus dem sich eine 
Korrespondenz, eine Gleichgewichtigkeit aller 
Teile ergibt, die der Graeserschen Anord- 
nung an Logik iiberlegen ist. Die Einzel- 
heiten dieser fast scholastisch anmutenden 
Systematisierung mag man in David's kri- 
tischem Aufsatz iiber das Werk (Jahrbuch 
Peters 1927) nachlesen. 

Die unvollendete Schlufi-Quadrupelfuge, 
die im Verein mit zwei anderen, umkehr- 
baren Quadrupeltugen in Wahrheit erst den 
Gipfel des Werkes dargestellt hatte, lafit 
David fort. Graesers schliefilich doch ro- 
mantisierender, ganz stimmungshafter Aus- 
klang ins Leere - Abbrechen der Fuge, 
Einsetzen des Orgelchorals - ist der klaren 
geistigen Gesamthaltung zuliebe entschlos- 
sen vermieden. 



Der Instrumentation gegeniiber fallt un- 
bedingte Zustimmung schwer. Offenbar 
kommt es David lediglich auf plastisches 
Hervortreten jeder Linie an, anders ist das 
Einbeziehen ganzlich stilfremder Instrumente, 
wie Klarinette, Bafituba nicht zu verstehen. 

Graesers Instrumentierung charakterisiert 
vor allem Abwechslung in der Besetzung 
der einzelnen Fugen. Dazu kommt die in 
beiden Teilen der Ordnung auf stete klang- 
liche Steigerung zielende Zusammenstellung 
der Instrumente. David setzt gleich mit 
dem breiten Klang eines mit Streichern und 
Blasern besetzten Orchesters ein — bewufit 
verlegt er alle Steigerung in die inn ere 
Gestalt des AVerkes. Abzulehnen ist die 
Wiedergabe der Kanons durch zwei Blas- 
instrumente — wenn David schon bei 
Graeser die solislischen Holzblaser der 
Bachschen Zeit als „possierlich" ablehnt — 
wie will er die Wiedergabe eines Kanons 
durch zwei Klarinetten begriinden? Hier 
sollte man sich einzig der Tasteninstrumente 
(Orgel, Cembalo) bedienen. 

Davids Neubearbeitung ist sicherlich 
die fruclalbarste Kritik, die an Graesers 
Arbeit geiibt werden konnte; ob es sich 
wirklich um Erfiillung der letzten, eigent- 
lichen Absicht Bachs handelt, braucht nicht 
entschieden zu werden; die Bearbeitung ist 
fiir sich schon Verdienst genug. 

Das Kieler Orchester spielte unter Fritz 
Steins Leitung frisch und musikantisch ; 
man bemiihte sich weniger um einen ob- 
jektiven Stil, als um plastische, ganz aus- 
druckshafte Verlebendigung des musika- 
lischen Organismus. 

Hans J. Therstappen (Kiel) 



Janacek 

im Leipziger 

Gewandhaus 



Janaceks „TarasBulba", 
1918 entstanden, er- 
scheint im Werkver- 

zeichnis von Max Brods 

Janacek-Biich als „Sin- 
fonische Dichtung", heute aber als „Rhap- 
sodie fiir Orchester". Diese Metamorphose 
beleuchtet die ganze Entwicklung, die die 
Orchestermusik in diesen zehn Jahren ge- 
nommen hat. Nicht nur, daft alles Sin- 
fonische unmodern geworden ist, man 
mochte auch die Musik von jedem Zu- 



MELOSBERICHTE 



561 



sammenhang mit anderen Kiinsten — also 
audi mit der Dichtung — loslosen. Dafi 
das vorliegende Werk aber nicht als abso- 
lute Musik genommen sein will, das beweist 
der im Titel enthaltene Hinweis auf Gogols 
monumentale Erzahlung, das beweisen auch 
die Uberschriften iiber den einzelnen Satzen. 
Grundsatzlich betrachtet, wirkt das Werk 
als ein Versuch am untauglichen Objekt, 
als Beispiel einer sich selbst ad absurdum 
fuhrendeii Kunstgattung. Lafit sich das 
Wesentliche dieses slavischen Heldenepos, 
der politiscbe Gegensatz zwischen Rutland 
und Polen, der religiose zwischen Katholi- 
zismus, orthodoxer Kirche und Judentum 
musikalisch wiedergeben ? Von diesen prin- 
zipiellen Einwanden abgesehen, enthalt das 
Werk aber eine Fiille schoner Musik. 
Janaceks naive Musizierfreudigkeit, sein 
Wurzeln im slavischen Volkstum spricht 
sich alien literarischen Bindungen zum 
Trotz auch hier aus. Ein prachtvoller Rhyth- 
mus durchpulst das Stuck, und mit tech- 
nischer Meisterschaft ist das Orchester be- 
handelt, zu dem sich im ersten und dritten 
Satz die Orgel geseUt. Unter Bruno Walters 
liebevoller Leitung errang es einen uber- 
aus herzlichen Erfolg. 

Ernst Latzko (Leipzig) 



B ruder Karamasow Als ich im Mai 1928 
den unvergleichlichen 
Prager Typografia- 



als Oper 



Ghor horte, fiel mir unter den aurgefuhrten 
Werken eines auf, iiber dessen Komponisten 
ich nur wenig in Erf'ahrung braclite. Das 
Stuck fesselte durcli seltene Kiihnheit des 
Satzes und der Harmonik. Nun brachte 
das Tschechische Nationaltheater in Prag, 
der einheimischen Komponistenjugend er- 
freulich geneigt, desselben Mamies Erstlings- 
oper, „Bratri Karamazove" ', heraus. Otakar 
Jeremias bedient sich Dostojewskyscher 
Motive, die er mit dem Dichter und Uber- 
setzer Jaroslav Maria zu einem hochst 
gesclilossenen dramatischen Organismus 
verband. In kurzen Worten die Fabel: 
Des ersten Aktes erster Teil exponiert 



knapp die Handelnden, Fjodor, Mitja, Iwan, 
Aljoscha, Smerdjakow. Eine Verwaudlung 
zeigt Andeutungen des Mordes an Fjodor. 
Der zweite Akt erst stellt die weibliche 
Hauptfigur auf die Szene: Gruschenka, Ge- 
liebte des Mitja, der schliefilich als mord- 
verdachtig verhaftet wird. Im 3. Akt 
Peripetie und Katastrophe : Gerichtssaal, 
Verhor der Zeugen, Verurteilung des un- 
schuldigen Mitja. Verklarung und Erlosung 
wagnerscher Provenienz im Nachspiel: Gru- 
schenka kommt in den Kerker zu Mitja, 
ihm ein besseres Dasein zu schildern. Jede 
Szene ist mit bewundernswerter Kraft aiif- 
gebaut; nie entstehen tote Momente. 

Musik dafiir zu finden konnte nicht 
eben schwer sein. Jeremias hat sie ge- 
funden, so iiberraschend sichei' und opern- 
gerecht, dafi man ohne Risiko ihm Zukunft 
als Musikdramatiker prophezeien kann. 
Wie er Figuren belebt, Situationen begleitet, 
Spannung und Atmosphare schafft, ist eines 
Meisters wiirdig. Nur heifit dieser Meister 
Richard Wagner; sein em Bann ist der 
vierzigjahrige Budweiser Tscheche nicht 
entronnen. Der kompositorische Aufbau 
vollzieht sich leitmotivisch in symphonischen 
Formen; breit, massiv, nibelungenhaft rollt 
und grollt diese Musik daher. Die Stimmen 
sind iiberwiegend deklamatorisch behandelt, 
und wo sich Gelegenheit zu heiteren Epi- 
soden ergibt (Wirtshaus, 2. Akt!) begniigt 
sich der Komponist mit schmerzlichem 
Lacheln, mit slawisch-dorflichem Trubsinn. 
Erster Akt aber und Gerichtssaalszene sind 
im standigen Wechsel der Charaktere 
prachtvoll konzipiert. Dem Komponisten 
sei empfohlen sich zu konzentrieren und 
nationaler Tradition anzuschliefien. Vor- 
laufig als Personlichkeit mehr suggestibel 
als suggestiv, hat er das Zeug, die Liicke 
zu fullen, die Janaceks Tod im tschechischen 
Opernleben hinterliefi. 

Die Auffiihrung des schwierigen Werks 
war meisterhaft, Pujmans Regie, Ostrcils 
Direktion, Masdks, Pollerts und Anna 
Kejrovas darstellerische Hingabe kaum zu 
iibertreffen. 

H. H. Stuckenschmidt (Prag) 



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MUSIKLEBEN 



NOTIZEN 



OPER UND KONZERT 

In Kiel gelangte „Kbnig Thomas" mit Mozarts 
Musik in einer neuen Textbearbeitung des Frank- 
furter Stadtschulrats Meckbach zur Urauffiihrung. 

In Breslau wird in dieser Spielzeit eine neue 
Oper von Wilhelm Grosz uraufgefiihrt, die den Titel 
hat „Achtung, Aufnahme". (Text von Bela Balasz.) 

Die Urauffiihrung von Hermann Reutter's „Saul" 
in der neuen Fassung wild am 18. November am 
Stadttheater in Diisseldorf stattfinden. 

Unter Leitung von Generalmusikdirektor Walter 
Beck gelangten an der Magdeburger Oper „Oedipus 
Rex" und „Geschichte vom Soldaten" von Strawinsky 
zur Erstauffiihrung. 

Die Intendanz des Konigsberger Opernhauses 
veranstaltet neuerdings bei freiem Eintritt und frei- 
williger Mitwirkung der Solokrafte Morgenfeiern zur 
Einfiihrung in die Opernneuheiten der Spielzeit. Die 
erste bei vollbesetztem Hause stattgehabte Morgen- 
feier gait Hindemiths' „Cardillac", der darauf am 
30. Oktober unter der musikalischen Leitung von 
Werner Ladwig und in der Inszenierung von Hans 
Schiiler unter ungeheurem Beifall des bisher mit 
moderner Opernmusik wenig bekannt gewordenen 
Konigsberger Publikums zur Erstauffiihrung gelangte. 

Clara Herstatt spielt am 12. bis 13. Dezember in 
Diisseldorf unter Hans Weisbach das Concertino fur 
Klavier und Orchester von Arthur Benjamin als deutsche 
Erstauffiihrung. 

Eichendorifs Novelle „Aus dem Leben efnes Tauge- 
nichts" wurde von Wolfgang Paumgartner zu einem 
Operntext verarbeitet und vom Salzburger Mozarteums- 
direktor Bernhard Paumgartner komponiert. Das 
Werlc gelangt noch in dieser Spielzeit an der 
Miinchener Staatsoper zur Urauffiihrung. 

Konzertmeister Carl Garaguly wird Hindemith's 
Violinkonzert in Goteborg zur ersten Auffiihrung in 
Schweden bringen. 

Arnold Schonberg hat ein Variationswerk fur 
Orchester vollendet, das Furtwangler urauffiihren wird. 

Ein neues Orchesterwerk von Bernhard Sekles, 
„Dybuk", gelangte unter Hans Rosbaud in Mainz 
zur Urauffiihrung. 

Ballettmeister Harald J. Fiirstenau brachte am 
Landestheater in Karlsruhe Malipiero sBallett „Pantea" 
mit eigener Choreographie unter dem Titel „Lucifer 
zwischen Himmel und Holle" zur deutschen Erst- 
auffiihrung. 

Joseph Szigeti brachte das Violinkonzert von 
Casella in Moskau mit dem dirigentenlosen Persimfans- 
Orchester zur Urauffiihrung. 

Richard Strauss arbeitet an einer in Wien 
spielenden komischen Oper „Arabella", deren Text 
wieder von Hugo von Hofmannsthal stammt. 



PERSONALNACHRICHTEN 

Rosenstock an der Metropolitan Opera. Zum 
Nachfolger von Artur Bodanzky, der nach 14jahriger 
Tatigkeit den Posten des ersten Kapellmeisters bei 
der Metropolitan Opera in New York auf eigenen 
Wunsch aufgibt, wurde der Generalmusikdirektor des 
Wiesbadener Staatstheaters, Joseph Rosenstock, ernannt. 
Rosenstock wird seine neue Stellung im Herbst 1929 
antreten. Bodanzky wird sich in Amerika lediglich 
der Konzerttatigkeit widmen. 

Das Amar-Hindemith-Quartett unternimmt im 
Dezember und Januar eine Konzertreise durch das 
europaische Rufiland, es spielt ferner zur ErSffnung 
des Konzertsaals im Palais des Beaux Arts als erste 
deutsche Vereinigung seit 1914 in Briissel. 

Otto Klemperer dirigierte in Hamburg im Rahmen 
der Bechstcin-Stipendienfonds-Konzerte zum ersten 
Male wieder seit langen Jahren und hatte bei Publikum 
und Presse einen sensationellen Erfolg. 

Dr. Ericli Hezel, Opernspielleiter an den Essener 
Stadtischen Biilmen, wird nachstes Jahr den Posten 
eines Oberspielleiters an der Kblner Oper iibernehmen. 

Professor Max Strub von der Staatlichen Musik- 
scbule in Weimar wurde als Konzertmeister an die 
Staatsoper am Platz der Republik in Berlin berufen. 

Richard Lert, bisher an der Breslauer Oper, wird 
von der nachsten Spielzeit an der Berliner Staatsoper 
Unter den Linden tatig sein. 

Walter Gieseking hatte mit der Wiedergabe des 
G dur-Konzerts von Beethoven und der Partita von 
Casella bei seinem ersten Auftreten in Paris in 
einem Konzert des „Orchestre symphonique" unter 
Ansermet einen aufierordentlichen Erfolg. 

PREISAUSSCHREIBEN 

Der Sozialistisclie Kulturbund erlafit ein Preis- 
ausschreiben fiir zwei Orchesterwerke, die sich als 
einleitende Musikstiicke fiir Arbeiterkonzerte besonders 
eignen, und zwar eine Arbeiter-Sinfonie und eine 
Ouvertilre. Der Preis fiir die beste Sinfonie betragt 
Mk. 3 COO, fiir die Ouvertiire Mk. 1000. Letzter 
Termin fiir die Einreiclmng ist der 30. April 1929. 
Die Pruning der Manuskripte erfolgt durch einen 
Prufungsausschufi, der folgendermafien zusammen- 
gesetzt ist: Professor Dr. Georg Scliiinemann (Ob- 
mann), Dr. Alfred Einstein, Professor Paul Hindemith, 
Klaus Pringsheim und Herman Scherchen. — Die 
preisgekronten Werke sollen bis spatestens 1. Januar 
1930 6'ffentlich aufgefiihrt und alien in Betracht 
kommenden Arbeiterorganisationen zur Auffiihrung 
empfohlen werden. Die naheren Bedingungen fiir 
das Preisausschreiben sind durch den Sozialistischen 
Kulturbund, Berlin S. W. 68, Lindenstrafie 3, unent- 
geltlich zu erhalten. Man darf auf das Ergebnis 
dieses Preisausschreibens gespannt sein, Er will nicht 



NOTIZEN 



563 



einen neuen Typus schaffen, sondern einen alten in 
die neue Anschauungswelt hiniiberziehen. Das aber 
ist sicher: eine neue Gesellschaftsform braucht auch 
neue Formen der Kunstbetatigung. Sie kann niclit 
steril gewordene einfach iibernehmen. 

Der erste Preis in Hohe von 10000 Dollar fur 
Kammerkompositionen, den die Musikgesellschaft 
Philadelphia im vorigen Jahr ausgesetzt hatte, wurde 
zwischen Bela Bartok (3. Streichquartett) und Alfredo 
Casella (Serenade) geteilt. 

In Berlin wurde ein „Reichskartell filr Musik- 
verbraucher" gegriindet. Das Reichskartell erstrebt 
eine einheitliche Regelung der Musikabgaben unter 
Zugrundelegung der fur die Musik gemachten Auf- 
wendungen im einzelnen Betriebe. 

AUSLAND 
Frankreich : 

In Paris gelangte unter Ansermet das neue, kraft- 
volle poeme symphonique „Rugby" von Honegger, 
das merkwiirdigerweise auf die Mitvvirkung des Schlag- 
zeugs verzichtet, vor zahlreichen Horern zur Urauf- 
fiihrung. 

In der Pariser Opera comique wurde die mit 
grofiem Aufwand inszenierte ErstaufRihrung der 
„Verkauften Braut" von Smetana sehr beifallig auf- 
genommen. Die TSnze, welche von den Pragerinnen 
Wisiakowa und Veltchek ausgeffihrt wurden, fanden 
besonders starken Anklang. 

Maurice Ravel wurde von der Universitat Oxford 
zum musikalischen Ehrendoktor ernannt. Ravel bat 
ein Ballett „Bolero", ein Klavierkonzert und eine 
„ Opera heroique" : Jeanne dArc naeb dem Stiick von 
Deltail vollendet. 

Im Mai nachsten Jahres wird das Boston 
Symphony -Orchester unter Koussewitzky in der 
Pariser Oper gastieren. 

George Amies neues Ballett: „Der Zaubergarten 
der Fee Alcina" wird durch das Ensemble von Ida 
Rubinstein an der Pariser grofien Oper aufgefiihrt 
werden. Strawinsky arbeitet an einem neuen Ballett 



„Der Kufi der Fee", das ebenfalls dort gegeben wird. 
An der Oper kommt endlich ein Ballett „L'Eventail 
de Jeanne" heraus, bei dem nicht weniger als neun 
moderne franzosische Komponisten mitarbeiteten. 

Schweiz : 

Hermann Scherchen dirigierte in einer Studien- 
auffiihrung des Musikkollegiums Winterthur J. M. 
Hauers Romantische Fantasie, Arthur Honeggers 
„Concertino" und Bela Bartoks Musik aus dem 
„Wunderbaren Mandarin". Scherchen wird ferner in 
den Studienkonzerten Gashel von Ernst Kunz, das 
Bratschenkonzert von W. Barlhels und das Klavier- 
konzert von //. von Glenck uraufRihren. - Der Gesamt- 
plan der Konzerte des Musikkollegiums kann als 
vorbildlich gelten in der klugen Verteilung der 
einzelnen Werke, in der Vermeidimg alien iiblichen 
Programmschlendrians. 

Oskar Disler wird in den Symphonie-Konzerten 
des Musik-Collegiums Schajfhausen u. a. an neuen 
Werken den Psalmus hungaricus von Kodaly und das 
Konzert flir Viola d'amore von Hindemith zur Auf- 
fiihrung bringen. — Manclie stumpfe Konzertver- 
einigung einer grofien Stadt konnte sicb ein Beispiel 
nehmen. 

Walter Kiigi und Walter Frey brachten in Basel 
Conrad Becks Violinsonate zur Uraufftihrung. 

England: 

Anfang November gaben die Berliner Philhar- 
moniker unter Furtwangler drei Konzerte in der 
Albert Hall zu London. Die Leistungen von Diri- 
genten und Orchester fanden begeisterte Arterkennung. 

Rufiland : 

Das staatl. Operntheater in Leningrad kundigt die 
Urauffiihrung einer Beihe neuer Opern an, die stoff- 
licb der russischen Ideologie angepafit sind : „Pauline 
Gueble" von Scliaporin, „Explosion" von Janowski 
und die ,,Pferdebremse" von Siks, ferner ein Ballet 
von Glier: „Roter Mohn". 



Diesem Heft liegen bei: 

ein Prospekt des Verlages Gustav Bosse in Regensburft in welohen dieser 
seine „ Deutsche Musikbiicherei" anzeigt, die in jedes musikalische Haus. 
gehort. 

ein Prospekt des Verlages Georg Miiller, Miinchen, „Biicher fiber Musik 
und Musiker". 



564 



We* intetptetiett 

Diese in ihrer Art erstmalige Zusammenstellung IA ^f^LW ^W^^B? *J U ^'^W'^rW^Bw' 9 

kann keinen Anspruch auf Vollstandigkeit er- 

heben. Der MELOSVERLAG bittet die Leser 

um Mitteilung von Programmen, die nach Mafi- 

gabe des /ur Verfdgung stehenden Raumes in 

kurzester Form kostenlos veroffentlicht werden. 


Klavier 


Violine (ferner) : 

Riele Qneling: Windspergir 
Alexander Selunuller: Hindemith 
Max Strub: Windsperger 


Hedwig Apfel: Hindemith, Slavenski, Villa-Lobos, 

Fairchild, Bartok, Grainger, Albeniz, MUhaiul 
Paul Aron: de Falla, Hindemith, Toch, Wiener, 

Windsperger 
J alios Baranyi: Toch, de Falla. Honegger, Bartok, 

Schulhoff, Kodaltt, Ravel, Casella 
Hellmuth Banvald: de Falla 
Hans Brucli / Lene Brach-Woiller : Hindemith, Toch 

Windsperger 
Victor v. Frankenberg: de Falla 
Walther Frey : Beck, Toch 
Carl Friedbci'fj: Toch 
Walter Giesekmg : Hindemith, Toch, Albeniz, Braan- 

fels, Busoni, Casella, Castelmwvo - Tedesco, 

de Falla, Honegger, Korngold, Jos. Marx, 

Poulenc, Ravel, Rosenslock, Schonberg, Scott, 

Skrjabin, Strawinsky, Szymanowski 
Iringard Grippain-Gorges: de Falla, van Gilse, 

LiapowiOLv 
Mark Hambourg: Villa-Lobos, Ravel 
Alida Hecker : Hindemith, Casella, Toch, Sekles, 

Strawinsky, Bartok, Honeqqer, Mdhaud, Berg, 

Schulhoff 
Clara Herstatt: Tscherepnin, Benjamin 
Lilly Hcrz : Kodaly, Bartok 
Josef Hlrt: Hindemith 
Alfred Hoehn : Toch 
Hermann Hoppe: Toch 
Marianne Kuranda: Milhaud, de Falla, lansman, 

Szymanowski 
Frlda Kwast-Hodapp : Jarnach 
Remy Leskowitz : Hindemith, Scott, Strawinsky, 

Milhaud, Ravel, Fairchild, lansman, Schulhoff, 

Bartok 
Emma Liibbecke-Job : Hindemith 
GerdaNctte: Hindemith 
Elly Ney : Toch 

Franz Osborn : Hindemith, Toch 
San Roma : Toch 
Albert Spalding: Debussy, Ravel 


Viola 


Paul Hiudemith : Windspprger, Hindemith 
Winfried und Reinhard Wolf: Hindemith 


Violoncello 


Bmaimel Fenermaim: Hindemith, Schulthess, Winds- 
perger 

Maurits Frank: Hindemith 

Eva Heinitz : Hindemith 

Joachim Stntsohewsky : Wellesz, Raphael, Winds- 
perger, Hindemith, Casella, Jemt-ilz, Kodaly, 
Honegger 


Gesang 


Marguerite Babaian : Hindemith 

Elisabeth Bischoff: Windsperger 

Hildegard von Buttlar : Hindemith 

Claire von Conta: Windsperger 

Tini Debiiser: Hindemith 

Anne Fellheimer: Windsperger 

Lily DreyfuB: Windsperger 

Anny Gantzhorn: Haas 

Gertrude Hepp: Haas 

Rose Herrlinger: Hindemith 

Maria Hussa: Rrenek 

Lotte Rreisler: Haas 

Annamarie Lenzberg: Windsperger 

Felix Loffel: Schoeck 

Paul Lohmann : Rentier 

Valentin Ludwig: Windsperger 

Lotte Miider- Wohlgemuth: Lendvai 

Grete Merrem-Nikisch : Hindemith 

Marianne Mislap-Kapper: Hindemith, de Falla, Pish, 

Prokofieff 
Anny Quistorp: Toch 
Hermann Scliey: Stephan 
Theodora Versteegh: Kodaly 
Berthe de Vigier: Jesinghaus 

Rose Walter: Haas, Hindemith, Toch, Windsperger 
Reinliold von Warlich: Haas 

Nachdnick qui' mit besonderer Erlaubnis [ 


Violine 


Lie co Amar: Hindemith 
Eugenie Bcrtsch: Paul Mailer, Schoeck 
Hedwig Fassbander : Hindemith 
Stefan Frenkel : Janiach, Toch 
Klein von Giltay: Jarnach 
Bronislaw Hubcrman: Hindemith 
Walter Kagi: Beck, Toch 
Otto Kobin: Stephan 
Georg Kulilenkampf-Post ; Hindemith 
Gerhard Meyer: Willner 
Alma Moodie: Hindemith 

Alexander Moskowsky: Hindemith, Tscherepnin, 
Bartok, Ravel 



Bitte beziehen Sie sich bei alien Anfragen auf MELOS 



Ordhester Partituren 


Komplette Opern (Format 23X16 gebunden) 


(die mit *) 


bezeichneten Partituren sind nur 


20X14 und nur broschiert) 




Mk. 


Bellini, V. 




Boito, A. 


Mephistopheles . . .25 — 
Nero 25.— 


Donizetti, G. 


L'Elisir d'amore 




(Liebestrank) . . : 25. — 


Mascagni. P. 
Meyerbeer, G 


Iris 25.— 

. *) Robert der Teufel . . 25.— 


Montemezzi, ! 


L'amore dei Tre Re (Die 


Pizzetti, I. 


Liebe dreier Konige) 25. — 
Debora und Jael . 25.— 


Poncliielli, A. 


Die Gioconda . . 25. — 


Puccini, G. 


Die Bohenie .... 25. — 


— 


Gianni Schicchi . . 15. — 


— 


Madame Butterfly . . 25. — 
Manon Lescaut . . . 25. — 


— 


Das Madchen aus dem 




goldenen Westen . 25. — 


— 


Schwester Angelica . 15. — 


— 


11 Tabarro (Der Mantel) 15.— 
Tosca 25.— 


— 


Turandot 25.— 


Respighi, G, 
Rossini, G. 


Belfagor ..... 25.— 
*)DerBarbiervonSevilIa 25.— 
*)Wilhelm Tell . . . 25.— 


Spontini, G. 


*)Die Vestalin .... 25.— 


Verdi, G. 


Aida 25.— 


— 


Ein Maskenball . . . 25. — 


— 


Falstaff 25. 


— 


Othello 25.— 


— 


,,< Requiem (Messe) . .25 — 

Rigoletto 25.— 

La Traviata (Violetta) 25 — 
Der Troubadour . . 25. — 


Zandonai, G. 


Conchita 25.— 


— 


. Francesca da Rimini . 25. — 


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Musikverleger - Breitkopfstrasse 26 


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Hans c. Wolzogen: GroKmeister deutscher Musik 

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Band 31 

Hans <>. Wolzogen : Musikalische Spiele 

(„Wohltaterin Musik" u. a. m.) 

In Pappband Mk. 3. — , Ballonleinen Mk. 5.— 

Band 32 

Hans v. Wolzogen : Wagner und seine Werke 
In Pappband Mk. 3. — , Ballonleinen Mk. 5.— 

Band 52 

Hans v. Wolzogen : Lebensbilder 

Erinnerungen aus meineni Leben 

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Hans von Wolzogen ist der einzige, nodi lebende Wegbereket 
'•Wagners, der das Erbe BayreiUhs'his auf den heutigen Tag 
hiitet und dem wir nodi viel D&rifejibzutragen haben. Seine 
Sdiriflen fiber den Meister, seine Dichtungen und Lebens- 
erinnerungen, aus denen ein aufrediter und kerndeutsdier 
Mann zu uns spridit, gehoren zu seinem Festtage in jedes 
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tischen Verwendbarkeit. Umfassend im Mitarbeiterkreis. In gutem Leinen- 
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Das Kyrioleis ist gedacbt als ein Beitrag zur Reform des katholischen Kirchen- 
liedes sowohl in Weise, Text wie Regleitung. Bei volliger Selbstandigkeit 
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Auffuhrungsmoglichkeiten. Kirchenfeier ohne besonderen Chor. Ent- 
lastung des Kirch enchores. Kunstlerische Mitwirkung der Gemeinde, 



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in deutschem Text. Trotz schonster Entfaltung des musikalischen Flufies bei hinreifiender Wirkung, welche 
vor allem durch die grofiangelegte Tripel-Fugc des Schlufichores herbeigefiihrt wird, uberschreilet das dank- 
bare Werk keineswegs mittlere Schwierigkeit. Eine der osterlichen Auferstebungsfeier cntgprechende Weih- 
nachtsmusik fehlte bisher. _ Hicr ist sie als festiiche Einleitung der Christnacht gegeben l Kirchlichen wie jeg- 
lichen andern Weihnachtsfeier'n wird die Weibnacbtserzahlung in Haltnng und Formung vollanf entsprechen. 



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567 




geb. 17. Juni 1900 in Stutt- 
gart, lebt dort als Konzert- 
begleiter und Komponist 



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B. Schott's Sohne / Mainz 



Klavier: 

Fantasia apocalyptica, op. 7 M. 4. - 

Variationen fiber das Bach'sche Chorallied „Komm, sufier Tod", op. IS . . M. 2.50 

. Kleine Klavierstucke, op. 28 M. 2.50 

Variationen iiber „Kuckuck, Kuckuck" und ..Schlaf, Kindlein, schlaf" / Ernstes Lied / 
Lustigea Stuck / Vier Nachtstucke 

Tanz-Suite, op. 29 M. 2.50 

Lfindler / Walzer aua der Ferae / Tarantella / Spanischer Tanz / Valse Boston / Shimmy 

Violine und Klavier: 

Sonate, op. 20 M. 5.- 

Kammer-Or chest er: 

Konzert fur Klavier und Kammerorchester, op. 19 . . Partitur. (4°) M. 20. - 

Gesang mit Klavier: 

Russische Lieder, op. 21 (hoch) M. 4. - 

Verklarung (Tjontschew) / Strom der Tranen (Tjontscliew) / An die Heimat (Tjontschew) / 
Das Bauerlein (Calzow) / Riickblick (Jcsscnin) / Abendgefuhl (Jessenin) / Litanei 
■ (Tjontschew) / Liebeslied (Tolstoj) 

Biihnenwerke: 

„Saul" nach dem Drama A. Lernet-Holenia in einem Akt Partitur (4°) M. 40. - 

Urauffiihrung der neuen Fassung am 18. November in Diisaeldorf (Stadt. Theater) 

„Der verlorene Sohn" nach dem Text von Andre Gide, tibersetzt 

von R. M. Rilke Partitur in Vorbereitung 

Auffiihrungsmateriale nach Vereinbarung 



1 



568 



OPERNPREMIEREN 

DER N1CHSTEN WOGHEN 



FRANZ SCHREKER 

DER SINGENDE TEUFEL 

Oper in vier Akten. Dichtung vom Komponisten 

Urauffuhrung : Staatsoper unter den Linden, Berlin, 7. Dezember 

Weitere Annahmen : Wiesbaden, Augsburg, Altenburg, Kiel, Krefeld, Leipzig, Gotha etc. 

Klavierauszug mit Text . . Mk. 16. — 

Textbuch Mk. -.80 



EUGEN D'ALBERT 

DIE SCHWARZE ORCHIDEE 

Oper in drei Akten 
Text von K. M. Levetzow 



Urauffuhrung : 



Neues Theater in Leipzig, 
1. Dezember 



LEGS JANACEK 

DIE SACHE MARKOPULOS 

Oper in drei Akten nach dem Drama von 
K. Capek. Deutsch von Max Brod 
Urauffuhrung: Opernhaus Frankfurt, 



9. Dezember 



Klavierauszug mit Text 
Textbuch 



Mk. 
Mk. 



16.- 
-.80 



Klavierauszug mit Text 
Textbuch 



Mk. 16.- 
Mk. -.80 



JULIUS BITTNER 

MONDNACHT 

Oper in drei Aufzugen 

Text vom Komponisten 

Urauffuhrung : Stddtisehe Oper, Berlin, 

13. November 

Klavierauszug mit Text . . . Mk. 16. — 

Textbuch Mk. -.80 

MAX BRAND 

MASCHINIST HOPKINS 

Oper in einem Vorspiel und drei Akten 

(12 Bildern). Text vom Komponisten 

Urauffuhrung : Stadttheater Duisburg, 

Januar 1929 

Klavierauszug und Textbuch in Vorbereitung 



KAROL SZYMANOWSKI 

KONIG ROGER 

Oper in drei Akten 
Deutsch von R. M. Hoffmann 
Deutsche Urauffuhrung: Stadttheater Duis- 
burg, 28. Oktober 
Klavierauszug mit Text . . . Mk. 16.— 
Textbuch Mk. - .80 

JAR. WEINBERGER 

SCHWANDA, der Dudelsackpfeifer 

Volksoper in zwei Akten 
Tert von M. Kares. Deutsch von M. Brod 
Deutsche Urauffuhrung: Stadttheater Breslau, 

8. Dezember 
Klavierauszug mit Text . . . Mk. 16. — 
Textbuch Mk. —.80 



Soeben erschien: Flugblatt Nr. 11 der „Musik der Gegenwart" 
Zu Franz Schrekers Opers „DER SINGENDE TEUFEL" 

Aiis dem Inhalt : Fronz Schreker, Die Inszenierung flBesetzung, Dekoration und 
Regie). Walter Gmeindl, Die Instrumentation, Die Handlung 

Interessenten erhalten diese Broschiire sowie die Nachrichtenblatter 
„Oper von heute" kostenlos vom Verlag der 

UNIVERSAL-EDITION A.G., WIEN - LEIPZIG 



569 



Soeben erschienen: 

„SCHWEIZER 

SING- 

UND SPIELMUSIK" 

herausgegeben von 
ALFRED STERN u. Dr. WILLI SCHUH 



Heft 1 : 6 Alte Schweizer Lieder fur 2 bis 4 
Singstimmen mit Instrumenten gesetzt 
von Alfred Stern. 

Heft 2 : 10 Alte Schweizer Lieder fur eine 
Singstimme mit allerlei Instrumenten 
gesetzt von Alfred Stein 
Part. u. 1 mal Stimmen je RM. 2.50 
Singpart. einzeln . . . je RM. — .45 
Instr.-Stimmen einzeln . je RM. — .20 

Es werden folgen : 
Heft 3: Weltliche Liedsatze von Ludwig 

Senfl. Herausgegeben von Dr. Willi 

Sdiuh. 
Heft 4 : 12 Alte Schweizer Lieder fur 2 bis 4 

Stimmen in polyphonem Satz von 

Alfred Stern 

Weitere Hefte sind vorgesehen 

Zwei Urteile : 

„Haben Sie sehr schonen Dank fur die beiden ersten 
Hefte der Schweizer Sing- und Spielmusik. Ich habe 
ganz grofie Freude daran, und werde sie, die ganz im 
Sinne dessen gebaut sind, was wir seit Jahren immer 
wieder suchen, empfehlen, wo es nur moglich ist. Bitte 
orientieren Sie mich auch iiber das Erscheinen spaterer 
Hefte. Wenn die spateren genau so ausfallen, werden 
Sie in mir einen eifrigen Werber fur die Sammlung 
haben". 

Prof. FRITZ JODE, Charlottenburg 

„Die trefflich redigierte Sammlung „Schweizer Sing- 
und Spielmusik" ist besonderer Empfehlung-wert". 

Prof. Dr. ERNST KURTH, Bern 



Verlag 
Gebriider Hug & Go. 

Zurich und Leipzig 



MUSIK FUR BLASER 



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1. Quintett fur Oboe, Flote, 

Klarinette, Horn, Fagott 
(komp. 1911) 

2. Quintett fur Klavier,Oboe 

Flote, Klarinette, Fagott 
(1914) 

3. Trio : Cinq pieces pour 

trois instruments divers 
Flote, Klarinette, Harfe 
(1915) 

4. Sonate fiir Klarinette und 

Klavier (1916) 

5. Allegro-Andaiite-Finale 

fur drei Klarin. (es, c, a) 
drei Oboen (C, F, Bafi 
oder Fagott) und Klavier 
(1924) 

6. Sonatine fiir Violine und 

Klarinette (oder Viola) 

7. Trio fiir Flote, Klarinette. 

Fagott (1927) 

8. Quintett fiir Flote, Klarin. 

Violine, Bratsche, Cello 
eventl. Oboe, Engl. Horn, 
Fagott) (1927) 

9. Andante-Allegretto (1923) 

fiir obi. Instrumente 
(Oboe-Flote) Streicher u. 
Klavier 

10. Vier Stucke fiir sechs 

Blaser (Klarinetten und 
Horner) und Streicher 
(1925) 

11. Musik fiir Blasorchester 

(1914/15) (eventl.: Flote, 
Oboe, Klar., Fagott, 
2 Horner und Str.) 



Verlag Tischer & 
Jagenberg, Koln 



Manuskript 
Verl.Senart,Paris 
(in Deutschland) 
Tischer & Jagen- 
berg 

Verlag Tischer & 
Jagenberg 



Manuskript 

Verlag Tischer & 

Jagenberg 

Manuskript 



Manuskript 



Manuksript 

In Vorbereitung 

bei Tischer & 

Jagenberg 



Manuskript 



Auskunft erteilt 



Verlag Tischer & Jagenberg 

G. m. b. H. 
KOLN-BAYENTHAL 

Kastanienallee 20 



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Fiir Kammerchor und 11 Instrumente 

U.-E.-Nr. 9479 Ausztig fiir eine Singstimme oder 2 bis 3 Soli mit Klavier und 

Viola oder Viohne, d., tschech. Mk. 4. — . (Soeben erschienen) 

Vorzugsausgabe in Pappband geb. Mark 6. — 

FESTLICHE MESSE 

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Fiir Soli, gemischten Chor, Orgel und Orchester 

U.-E.-Nr. 9544 Klavierauszug mit Text Mk. 12.— 

Mit starkatem Erfolg in Prag und Briinn aufgefuhrt. 
Deutsche Urauffiihrung in Wiesbaden bevorstehend. 

SINFONIETTA 

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U.-E..-Nr. 8679 Partitur Mk. 20.— U.-E. Nr. 8680 Studienpartitur Mk. 4.— 

Zahlreiche erfolgreiche Auffiihrungen 

Verlangen Sie den neuen Prospekt mit Bildnis, Biographie und Werkeverzeichnis 
des toten Meisters von der 

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soeben erschienen: 

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tango-ballade Mk. 1.50 

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ballade vom angenehmen leben .... Mk. 1.50 

liebeslied Mk. 1.50 

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kurt weill / bert brecht 



571 



Ludwig Weber 

MUSIK NACH VOLKSLIEDERN HEFT 2 

Fur zwei bis vier gleiche Stimmen a cappella 
Ausgabe Kallmeyer Nr. 8. 1928. 10 Seiten. Quart. l.Tsd. Part. kart. RM. 2. - . Best.-Nr. 259 

Zwei Stimraenhefte je HM. — .50 

Inhal t : Es raiifi nur sein / Sdlwestern, reichet euch die Hande / Seht -frie die Sonne / Die Bliimelein all selilafen / 
Guter Mond / Gott gnad dem inachtgen Kaiser 

MUSIK NACH VOLKSLIEDERN BEFT 3 

einstiramig mit Instrumenten 

Ausgabe Kallmeyer Nr. 9 1928. 12 Seiten. Quart. 1. Tsd. Partitur RM. 3.—. Best.-Nr. 260 

2 Instrumentalstimmenhefte je RM. — .50, 1 Singsfimme RM. — ,50 

Inhal t: Ea ritt ein RUler / Am Brunnen / Juchhei Bliimelein / Alte Kiih und faule Fisch / Mufi i denn / Wem 
Gott will rechte Gunst erweisen / Wie lieblich schallt 

Infolge der ganz unerwartet guten Aufnahme, die das erste Heft der Musik nach Volksliedern gefimden hat, ist es 
moglich, heute schon Heft 2 und 3 anzuzeigen, die durch ihre Besetzung wohl nodi einen weiteren Kreis von 

Freunden finden werden als das erste. 

GEORG KALLMEYER VERLAG / WOLFENRUTTEL-BERLIN 



Franz Schubert 

Samtliche Klaviersonaten 
in Neubearbeitung 

mil Erganzung der bisher unvollendeten Sonaten 

Einzelausgabe mit Fingersatzen und Vortragsangaben 
von Walter Rehberg 



Sonate Nr 1 E-dur (1815) 

Ed.-Nr. 2576 M. 1.50 

Sonate Nr. 2 C-dur (erganzt) 

Ed.-Nr. 2577 M. 2.— 

Sonate Nr. 3 As-dur (1817) 

Ed.-Nr. 2578 M. 1.50 



Sonate Nr. 4 E-dur (1817) 

Ed.-Nr. 2579 M. 1.50 

Sonate Nr. 5 fis-moll (erganzt) 

Ed.-Nr. 2580 M. 1.50 

Sonate Nr. 9 t-moll (erganzt) 

Ed.-Nr. 2584 M. 1.50 



Sonaten Nr. 6 bis 8 und Nr. 10 bis 18 sind in Vorbereilung. 
s.Schuberts Klaviersonaten sind in ihrer grofien Anzahl und Mannigfaltigkcit nur wenigen bekannt. Nun hat es , 
einer der berufensten Spezialisten, Walter REHBERG unternommen, anla!31ich des Schubertjahres den halb- 
verschiitteten Schatz zu heben und den Gegenwarts-Klavierspielern durch Vollendung fehlendcr Teile (meist der 
Reprisen), dtirch Rerueksichtigung besserer Lesbarkeit des Notenbildes und praktischer Handlichkeit der Applikatur 
aber unter gewissenhafter Wahrung des Originals, wicder zuganglidi zu madien. Der Bestand der mittelschweren, 

gediegenen Klavierliteratur hat durdi diese Rehbcrgschen 18 Sonaten, um deren Herausgabe sidi in schonem, klarem 
Iruck der STEINGRSBER-VEKLAG, LEIPZIG, ideale Verdienste erworben hot, eine wertvolle Mehrung erfahren.' 

Dr. STIER (Nurnberger Zeitung) 
Durch alle Musikalienhandlungen (audi zur Ansicht) erhaltlid) 

STEINGRABER-VERLAG, LEIPZIG 



572 



Mitte November wird erscheinen : 

Der Kampf urn die Tradition 

Die deutsche Dic/itung im europaischen Geistesleben 1830-1880 

von Dr. HUGO BIEBER 
Etwa 550 Seiten. - Geheftet etwa RM. 18.—, Ganzleinen etwa RM. 20.— 

Die deutsche Dichtung des Zeitraums von 1830 — 1880 iibt heute mehr denn je lebendige Wirkung 
aus. Gottfried Keller, Theodor Storm, Gustav Freytag, Friedrich Hebbel, um nur einige Namen 
zu nennen, fesseln weitere Leserkreise als die Klassiker und die Modernen. 
Hugo Bieber hat die Geschichte dieser Dichtung in den weitesten Rahmen des Geisteslebens gestellt. 
Eindringende Charakterbilder der groGen Dichterpersonlichkeiten empfangen besondere Beleuchtung 
in einer Darstellung, die das dichterische Weltgeiuhl in seinem Zusammenhang oder Gegensatz mit 
der Entwicklung der Wissenschaft, der Wirtschaft, der Politik, des religiosen Lebens erfafit. Wer 
aus dem Buche Aufschlufi uber die Daten der aufieren Lebensgeschichte entnehmen will, wird es 
enttauscht aus der Hand legen. Aber wem an einer Besinnung fiber das geschichtliche Werden und 
an einer Klarung des kunstlerischen Verstandnisses gelegen ist, wird eben der geisteswissenschaftlichen 
Literatur eine besondere Stellung einrfiumen. Die historische Darstellung ist unterbaut durch ein- 
dringende Auseinandersetzungen mit den Grundfragen der dichterischen Gestaltung, der Erzahlungs- 
kunst wie des lyrischen Ausdrucks, der Tragik und des Humors. Der Verfasser lehnt es ab, seine 
eigene Anschauung zu verbergen, aber er hat besonderen Wert darauf gelegt, alien Anschauungen 
gerecht zu werden. So ist sein Buch nicht nur ein Beitrag zur Belehrung des geschichtlicnen 
Bewufitseins, sondern auch zur Versohnung der tieferen inneren Gegensatze des heutigen Lebens. 

Das Werh ersctieint als V: Band der Sammlung tt Epochen der deutschen Literatur". 
Ein ausfUhrliches Verzeichnis der anderen Bande dieser Sammlung steht kostenlos zur Verfugung. 

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William Boyce (1710— 1779) lebt heute fast nur noch in seinen kirchen- 
musikalischen Werken; die Vernachlassigung seiner Inslrumenlalwerke 
ist umso unverstandlicher als diesc zu den sehonslen Komposilionen 

ihrcr Zeil, in England sowohl wie in Europa, gehoren. 
Diese acht Symphonien sind nicht nur von starkem musikalischem'und 
historischem Interesse sondern weisen auch ausgepragte Ziige von 

Anmut und Kraft auf. 

Die Partitur enthalt Slreicher und Blaser, letztere ad lib., so dass auch 

eine Auffuhrung fur Streicher allein moglich ist. 



Symphon. Nr. 1 Part. M. 3.— Stimm. je M. 
. 2 „ M. 3.— „ „ M. 
„ 3 » M. 3.50 „ „ i\I. 
s 4 „ M. 3.— D „ M. 



50 
SO u. 


—.70 


50 u. 


—.70 


50 u. 


—.70 



Sj'mphon. Nr. 5 Pari. M. 3.50 Slimm. jc M. —.50 u. —.70 

„ 6 „ M. 3— „ „ M. —.50 u. —.70 

, „ 7 . M. 3.50 „ „ M. —.50 u. —.70 

„ 8 „ iM. 3.50 „ , M. —.50 u. —.70 



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Die Winnie und Begeisterung, die Liebe und Achtung, wie der Ver- 
i'asser seine Aufgabe nehandelt, konnen unmittelbar fur den Unterricht 
vorbildlich werden. An einer zielbewufit ausgewahlten Reihe von 
Liedern werden das Musikantische, das Geistige, das Ubermusikalische, 
das Transzendente, das Personliche im Schaffen Schuberts herausge- 
stellt, um daran die letzten Forderungen fur eine sinngemaGe Wieder- 
gabe abzuleiten. (Halbmonatssclirift fiir Schulmusikpflege, Essen.) 

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VON WALTER DAHMS 

21 . und 22. Tausend. In Leinen gebunden M. 10.- 
Reihe »Klassiker der Musik« 

Das Werk von Dabms ist das beste fiber Schubert. Dalims ist ein 
Kritiker, der sich noch die voile Urspriinglichkeit des kiinstlerischen 
Genusses erhalten hat, und der Schubert ganz verstand. Er ist fiber- 
all sachlich und anregend, so anregend, da(S man von ihm sofort 
zu Schubert eilen mufi und Schubert von neuem geniefit : inniger, 
tiefer, berauschender. (Pester Lloyd.) 



Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart, Berlin und Leipzig 



i 



576 



PAUL HINDEMITH 

Hans- u n d G e m e i n s c h a f t s - M u s i k 

Diese Musik ist weder fiir den Konzeitsaal nodi fiir den Kiinstler geschrieben. Sie will Leuten, 
die zu ihrem eigenen Vergniigen singen und musizieren, interessanter und neiizeitlicher Ubungs- 
stoff sein. Diesem Zwecke entsprechend werden an alle Ausfiihrenden keine sehr grofien 
lechnischen Anforderungen gestellt. Von den Streichern wird nur das Beherrsclien der ersten 
Lage verlangt, der Chor nnd die Solosingstimmen sind nach Miiglichkeit mit leicht singbaren 
Linien bedaclit. Sind Blaser vorhanden, konnen sie zur Verstiirkung der Vokal- und In- 
striunentalstimmen herangezogen werden. 

Aus Paul rlindemillis Vonvort zu den Sing- nnd Spielmusikcn. 

Sing- und Spiel musiken 

fiir Liebhaber unci Musikfreunde, op. 45 

Nr, 1 Frau Mnsica. Mnsik zum Singen und Spielen nach einem Text von Luther. 

Pni'tilur M. 3.-, Stiinmen zua. M. 2.50, Stimmcn einzeln: Singstimmc -.30, Inatrnnientalsliinnie —.50 

Nr. 2 Acht Kanons fiir 2 Singstimmen mit Instrumenten. 

Pnrlinu- M. 2.50, Stimmcn zus. M. 1.80, Stimmen cinzeln: Singslimmc —.75, Instrumcnlalatimme -.30 

Nr. 3 Ein Jager aus Kurpfalz, der reitet durch den griinen Wald. Spiehnusik f'iir Streicher 
und Holzhliiser. Pnrlitur M. 2.-, Stimmen zus. M. 3.-, oinzcln M. -.50 

B. SCHOTT'S SOHNE / MAINZ-LEIPZIG 



Die Orchesterwerke 



dieser Saison 



Bernhard Sekles 
Josip Slavenski 

Ernst Toch 



Dei' Dybuk 

Vorspiel fiir Orchester, op. 35 

Partitur (4°) M. 20.- / (Spieldauer en. 8 Minuten) 

Balkanophonia 

Suite fiir Orchester 

Partitur (4°) M. 40.- / (Spieldauer ca. 20 Minuten) 
Serbischer Tanz / Alhanisches Lied / Tiirkischer Derwisch- 
tanz / Griechisches Lied / RumanischerTanz / Mein Lied / 
Bulgarischer Tanz 

Fanal 



fiir grosses Orchester und Orgel, op. 45 

Partitur (4°) M. 20.- / (Spieldauer ca. 7 Minuten) 



B. SCHOTT'S SOHNE 



MAINZ UND LEIPZIG 



Notenbeispiele zur Meloskritik I; Hermann Reutter 



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Beilage zu MELOS November 1928 






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S.BtfjiToiie (Ptoeinsonatt) 

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p CViof.) 



MELOS 

ZEITSCHRIFT FUR MUSIK 

SCHRIFTLE1TUNG: PROF. DR. HANS MERSMANN 

Alle Sendungen Fur die Schriftleitung und Beaprechungsstucke nach Berlin-Grunewald, Neufertallee 5 (Fernspr. Uhland 3785) erbetenj 
Die Schriftleitung bittet vor Zusendung von Manuskripten um Anfrage mit Riirkporto. Alle Reclite ftir samtliche Beitrage vorbehalten.! 
Veranlwortlich fiir den Teil „Musikleben" : Dr. Heinrich Strobel, Berlin; fiir den Verlag und den Anzeigenteil: Dr. Johannes Petsdiull, 
Mainz / Verlag: MELOSVERLAG {B. Schott's Sohne) MAINZ, Weihergarten 5; Fernsprecher 529, 530; Telegr.: MELOSVERLAG; 

Post9clieck nur Berlin 19425 Auslieferung in Leipzig; Lindenstrafte 16/18 (B. Schott's Sohne) Dradt: B, Scliott*s Sohne, Mainz 
Die Zeitschrift erscheint am 15. jeden Monats. — Zu beziehen durrh alle Buch- und Musikalienhandlungen oder direkt vom Verlag. 
DasEinzelheftkostetl.- Mk., dasAbonnement jahrl.8. - Mk.,halbj. 4.50 Mk, viertelj..2.50Mk. (zuzugl. 15 Pf. Porto p.H., Ausland 20 Pf. p. H.) 
Anzeigenpreise : */i Seite 100.— Mk. l j t Seite 60.— Mk. '/* Seite 35.- Mk. Bei Wiederholungen Rabatte. Auftrage an den Verlag. 



ZUM INHALT 

Uber den Fragenkreis, der in diesem Hefte aufgerollt und in den nachsten fort^ 
gesetzt werden soil, konnte man als Uberschrift das Wort „Musikbetrieb" setzen. 
Neue Musik sucht neue Erscheinungsformen; diese neuen Erscheinungsformen sind im 
Begriif, die soziologische Struktur unseres Musiklebens von Grund aus umzugestalten-i 
Friiher war der schafFende Musiker allein das Zentrum aller soziologischen Frage" Jetzt 
aber sind audi diese Grenzen fliefiend geworden; nicht nur die kiinstlerischen sondern; 
auch die soziologischen Voraussetzungen unserer Zeit sind in starker Entwicklung be- 
griffen. Die ausgef'ahrenen Gleise des Konzert- und Opernbetriebs erweisen sicli als 
unfahig, eine neue Kunstanschauung zu tragen. Der Musik verbr auch er, friiher ein vollig 
passiver Faktor des Musiklebens, tritt in den Mittelpunkt neuer Fragenkreise. Seine! 
soziale, menschliche und geistige Lage, sein Verhaltnis zur Kunst iiberhaupt bedarf einer 
Nachpriifung. 

Von verschiedenen Seiten werden die Probleme in AngrifF genommen. Wichtiger 
als die literarisch gehalteneii Gedankengange des Mueikscliriftstellers mufi hier diej 
Aufierung des Musikers selbst erscbeinen. So kommen neben einem schaffenden Musiker 
von Rang auch Praktiker in diesem Heft zu Worte. Die Perspektive wechselt. Be- 
sonders das Problem der Oper drangt zu heftiger, kampferischer Auseinandersetzung, 
Auch die Meloskritik ist auf die gleichen Fragen gestellt. Der Anspruch auf vollstandige 
Erfassung aller hierher gehorigen Fragen kann natiirlich nicht gestellt werden. So wird 
das brennende Problem der Schulmusik einstweilen nur von der Perspektive eines 
Berichts iiber die Mtinchener Reichsschulmusikwoche untersucht. , 

Die Schrifdeitungj 



MITTELDEUTSCHE 

RUNDFUNK AG, 

IN LEIPZIG 



Die 6esellschaft beabsichtigt, in den Vorstand ein 
Mitglied zu berufen, dem die 

Durchfuhrung der gesamten musika- 
lischen und literarischen Aufgaben 

der 6esellschaft unterstehen soil. In Frage kommen nur 

PERSONLICHKEITEN, 

die umfassendes und tiefes fachmannisches Konnen 
besitzen und gleichzeitig befahigt sind, das ihnen 
unterstellte 6ebiet nach innen und aussen organisa- 
torisch zu leiten und reprasentativ zu vertreten. Baldiger 
Eintritt ist erwiinscht. 

Bewerbungen werden zunachst nur schriftlich an 
den Unterzeichneten erbeten. 



Dr. Hans Olto 

Vorsitzender des Aufsichtsrates 
Leipzig, Hainstrasse 16 



M U S I K 



Egon Wellesz ( Wien) 

DEB MUSIKER UND DIESE ZEIT 

I. 

Die Veranderungen im musikalischen Leben der Gegenwart sind zu bedeutend, 
als daft man an diesen Tatsachen vorbeigehen konnte, ohne ihnen Beachtung zu 
schenken. Der Kiinstler wird sich durch derlei Reflexionen keineswegs in der Ver- 
folgung seiner, ihm durch sein innerstes Gesetz vorgeschriebenen Ziele ■ urid Aui'gaben 
beirren lassen; aber er wird durch Betrachtung der allgemeinen Situation jene not- 
wendige Klarheit iiber seine eigene Stellung innerhalb der gesamten Strebungen ge- 
winnen, die notwendig ist, um in jenen Belangen, in denen die aussere Formung des 
Kunstwerks an den Kontakt mit einem Publikum appelliert, diese Bindung in, der 
beabsichtigten Weise herstelleu zu konnen. 

Um diese Bindung zwischen deni Kunstwerk und einem, vom Kiinstler als ideale 
Einheit vorgestellten Publikvim handelt es sich bei jeder kunstlerischen Produktion, die 
fur die Offentlichkeit bestimmt ist; mag der Kiinstler mit seinem Werk dem gevvohn- 
lichsten Unterhaltungsbediirfnis entgegenzukommen trachten oder sich ein Publikum 
imaginieren, das er zu den Hohen geistiger Einstelhing wahrend der Dauer des An- 
horens seines Werkes emporzuziehen vermag. 

So selbstverstandlich diese Erwagvmgen scheinen mogen, so liegt doch in direr 
Verkennung oder Mifiachtung der Hauptgrund fur die unleugbare Isolierung der Kunst 
in den letzten Jahrzelmten, fur die Ratlosigkeit mit der man fast jeder neuen Hervor- 
bringung begegnet, indem man ihre Bedeutung teils zu gering, teils zii hoch wertet, 
fur die erschreckend rasche Abnutzung dessen, was produziert wird; all dies Er- 
scheinungen, die jeder, der sich mit der Kunst der Gegenwart beschaftigt, zur Geniige 
beobachten kann. 

Man kann aus alien Anzeichen beobacbten, dafi die gegenwartig lebende euro- 
paische Menschheit ein aufierordentlich grofies Bediirfnis nach Kunst hat; dafi innerhalb 
der Kunste wiederum dem Schrifttum unci der Musik eine hervorragende Rolle zu- 
kommt, und, genauer betrachtet, innerhalb des Schrifttums der Roman und das Drama, 
innerhalb der Musik die Kammermusik und die Oper gegenwartig eine dominierende 
Rolle haben. t 

Wahrend aber auf dem Gebiete der Dichtung die Kluft zwischen Kiinstler und 
Publikum niemals so stark aufgerissen war, macht sie sich in der Miisik deutlich fiihl- 
bar. Eine billige Erklarung ware, dafi wohl Dichtung und Musik beide zu den suk- 
zessiven Kiinsten gehoren — im Gegensatz zu den Simultankunsten Malerei und 
Plastik — dafi aber die vollendete Beproduktion von Musik an die Tatsache de>r 
offentlichen Auffxihrung gebunden ist und daher — stellt man etwa die epischen 
Formen von Roman und Kammermusik gegeniiber — mehr als die Lektiire eines 
Buches vom Geniessenden die Isolierung aus der Umwelt, den vorher gefafiten Ent- 
schlufi, sich mit dem betreffenden Werk zu beschaftigen, voraussetzt. 



580 EGON WELLESZ 



Diese Erklarung, der man vielfach begegnen kann, trifft zwar im Aufierlichen zu 
beriihrt aber, so scheint es mir, nicht den Kern der Sachlage. Sie beriihrt die Frage 
des Konzertbetriebes und der Musikpflege, deren Probleme anders in den grofien 
Zentren, den Metropolen, und anders wiederum in den kleinen Stadten liegen ; es 
sind dies Fragen, auf die ich noch im weiteren Verlauf dieser Betrachtungen zu 
sprechen kommen mochte. 

Man mufi sich fragen, worm der Grand zu such en ist, daft trotz eines standig 
anwachsenden Kunstbetriebes Kunstler und Publikum einander so entfremdet worden 
sind, und ich glaube, dafi wir der Losung des Problems wesentlich naher kommen, 
wenn wir die Ursache in dem queren, verschobenen Verhaltnis der Kunstler des neun- 
zehnten Jahrhunderts zur umgebenden Welt suchen. 

Wenn heute vielfach von einer Ablosung des akkordlichen Denkens von einem 
linearen, von der Ablosung der Romantik durch einen neuen Klassizismus oder Kon- 
atruktivismus gesprochen wird, so sind diese Schlagworte Hilfsbriicken, durch die Teil- 
symptome erfafit und registriert werden; sie gehen aber nicht der Frage nach dem 
Sein oder Nichtsein [der Musik als Faktor im geistigen Leben der Nationeu auf den 
Grund. Wir mussen uns aber bewufit sein, dafi es heute um mehr geht, als um das 
Vorherrschea dieser oder jener Stromung, mehr als um die Fragen, ob man in der 
nachsten Zukunft tonal oder atonal komponieren werde, ob die neue Romantik schon 
heute oder erst in drei Jahren zu erwarten sei; es handelt sich hier um die 
Zukunft der Musik, losgelcist von alien Zeitfrageu und Schlagworten, die die Situation 
mehr verwirren als klaren. Denn diese Art der Betrachtungsweise, aus einzelnen Symp- 
tomen und aus technischen Problemen die Gesamtlage der Musik zu erklaren, ist selbst 
noch ein Relikt der romantischen Einstellung und verhindert, vorurteilsfrei den innersten 
Beweggriinden nachzuspuren. 

Der Typus des Musikers, der sich zu Beginn des neuuzehnten Jahrhunderts 
herauszubilden begann, ist ein Produkt des gesteigerten Subjektivismus dieser Epoche. 
Er nimmt eine Sonderstellung ein, nicht nur gemessen am Musikertypus friiherer 
Zeiten, sondern auch, innerhalb der gleichen Epoche, verglichen mit den Vertretern 
der anderen Kiinste. 

Die franzosische Revolution und die durch sie bedingte Umschichtung hatte das 
seit Jahrhunderten bestehende, feste Gefiige der europaischen Gesellschaft zerbrochen. 
Bis dahin hatte es eine einheitliche, fiihrende Schicht gegeben, welche in Dingen der 
weltlicheu Kuiist bestimmend war, und nach deren Geschmack und Urteil das Biirger- 
tum sich richtete. Ein Ferment durch alle Schichten hindurch bildete die kirchliche 
Kunst, welche, von der ernsten weltlichen Kunst in den Ausdrucks- und Inhaltswerten 
nicht allzu verschieden, bis in das Zeitalter der Aufklarung geistiges Besitztum der 
Menschheit war. 

Mit dem Durchsetzen der Tendenzen des Aufklarungszeitalters endet diese reli- 
giose Kunst in ihrer Ganzheit. Hier und dort entstehen noch isoliert grofie, religiose 
Musikwerke als Ausdruck der tranzendentalen Einstellung einzelner Kunstler; aber der 
breite Strom versiegt, und was in Hinkunft produziert wird — und dies bis in unsere 
Zeit — ist mehr das Ubernehmen einer f'ruhereii, einst von erlebtem Formbewufitsein 
getragene Musiksprache, ein archaisierendes Zuriickgreifen auf altere Vorbilder, als die 



DER MUSIKER UND DIESE ZEIT 581 

Schaffung einer zeitgemafien, neuen religiosen Ausdrucksweise. Es mufi dies, so be- 
kannt es ist, erwahnt werden, weil erstaunlijherweise von der Tatsache, dafi es im 
neunzehnten Jahrhundert keine im Gesamtkomplex der inusikalischen Produktion eine 
Rolle spielende religiose Kunst gibt. kaum Erwahnung geschieht. 

Das Barockzeitalter hatte in der weltlichen Musik zwei Form en ausgebildet und 
dem folgenden Rokoko uberlassen: die Arie und die aus mehreren Tanzstiicken be- 
stehende Suite. Aber die Herrschaft der Suite ist mit dem Aufkommen der Sinfonie 
zu Ende, und die Arie, deren schier unerschopflicher Inhaltsreichtum, deren proteusartige 
Wandlungsfahigkeit der Gesellschaft des siebzehnten und achzehnten Jahrhunderts gleich- 
bedeutend mit dem Begriff der Oper war, entartete zu Beginn des neunzehnten zu 
seichter Melodik und zum Gelegenheitsstiick. virtuose Kehlfertigkeit zu zeigen. In diese 
Wende zwischen dem Aufhoren der Geistigkeit der gesclilossenen Epoche des Barock- 
Rokoko und dem Beginn des subjektiv gesteigerten Empfindens des neunzehnten Jahr- 
hunderts tritt, alle produktiven Krafte an sich ziehend, in den siiddeutschen Landen 
die Sinfonie. Mit dieser Form gelingt es den Meistern der Wiener klassischen Epoche 
eine harmonische Verschmelzung zwischen fester, aber dehnbarer architektonischer Ge- 
staltung und der Aussprache personlichen Empfindens zu erreichen. Da6 dies gelang, 
war durch das Zusammentreffen mehrerer gliicklicher Umstande bedingt, vor allem da- 
durch, dafi der Genius eines Haydn, Mozart und Beethoven in der osterreichischen 
Landschaft^und Kultur eine Stiitze fand; dafi die reiche Fantasie ihrer Erfindung in 
einer, von den neuen, umwalzenden Ideen nur mittelbar beriihrten Umwelt sich aus- 
wirken konnte, in einer Umwelt, welclie dem gesprochenen Wort und dem Wort der 
Dichter weniger zu lauschen gewohnt war. als der tonenden Sprache der Musik. Be- 
zeichnend aber ist es, da£ der letzte dieser drei grofien Sinfoniker, aus der rheinischen 
Heimat nur hineinverpflanzt in die osterreichische Kultur und Landschaft, die Grenzen 
der der Sinfonie immanenten Formprinzipien sprengte, und sie aus den rein musikalischen 
Bereichen in ein neues Land der Kunst fuhrte, wo vom Horer mehr als das blofie 
Aufnehmeu und Geniefien der Sprache der Tone, wo dariiber hinaus ein Verstandnis 
fur die Intentiouen des Kiinstlers gefordert wurde. 

Was hier, bei der Aussprache des Genies Beethovens ein Einzelfall von erschtit- 
ternder Tragik hatte bleiben miissen: das personliche Eingreifen des Kiinstlers in die 
Form seines Werkes, wurde zur Redeweise der Musiker des neunzehnten Jahrhunderts 
und erstarrte, je langer und unbekiiramerter es> geiibt wurde, zur Manief, an der nie- 
mand Anstofi nahm ; so sehr wirkte richtungbestimmend das Beispiel, das Beethoven in 
der neunten Sinfonie gegeben hatte, nach. Man kann ein paralleles Phanomen in der 
Auswirkung der Erscheinung Michelangelos feststellen, nicht minder verhangnisvoll fur 
die nachfolgende Generation. Hier wie dort werden durch die iibergrofie Kraft der J?er- 
sonlichkeit die Grenzen der Kunst gesprengt; was aber das Einzelerlebnis einer ubergewal- 
tigen Natur war, wurde von der Nachfolge, die unter dem Bann dieser Personlichkeit stand, 
fur eiu allgemein begehbarer Weg erachtet. Und durch dies verhangnisvolle Verkennen 
entstand ein Bifi zwischen der vorgestellten Welt des Kiinstlers und dem Fassungsver- 
mogen des kunstsuchenden Publikums, der immer grofier wurde, je weiter man sich 
von der Zeit entfernte, in der das Vorbild dieser einen Personlichkeit zum lebendigen 
LBesitztum gehort hatte. 



502 EGON WELLESZ 



Solange das gesellschaftliche Zeremoniell der herrschenden europaischen Schicht 
unumschrankt gewahrt liatte, bestand zwischen dem Musiker und dem Publikum ein 
enger Zusanlirienhang, der auf einem Kontakt zwischen dem Werk und Publikum be- 
ruhte; der Kiinstler war nur als Hervorbringer schoner und edler Dinge in Gunst. Es 
ist hinlariglich bekannt, dafi er meist den engbegrenzten biirgerlichen Rahmen trotz 
aller Erfolge nicht verliefe und auch nicht verlassen konnte. 

Die Stellung des Kunstlers innerhalb der Gesamtheit — und dies bei den Ver- 
tfetern aller Kiinste — anderte sich aber nach der franzosischen Revolution; nirgend 
anderswo aber so entscheidend wie beim Musiker. Eine neue Generation trat auf, die 
im Wurisclie' nach Entfaltung der eigenen Personlichkeit den freien Beruf des Musikers 
ergriff, und' ohne welter e gesellschaftliche Bindung oder Verpflicbtuug der Erreichung 
dieses Zieles lebte. Schrieb der Kunstler friiherer /eit im Auftrage einer Gesellschaft, 
deren iiineres Gesicht er kannte, oder weuigstens im Zusammenhang mit ihren Beduri- 
niss^eh, so anderte sich dies jetzt. Der Kunstler isolierte sich aus der ihn umgebehden 
Welt,; er eihpfahd sich als geistiger Fuhrer, der einer imwillig gehorchenden Gesell- 
schaft deh Stempel seines Willens auf'zudrucken hatte. Aus einem harmonischen Zu- 
sammenwirken zwischen Kunstler und Publikum, wie es vordem geherrscht hatte bildet 
sich jener gefahfliche Zustand der Uberordnung des Kunstlers iiber die Gesellschaft 
heraus, dfer mir in einzelnen, erlesenen Fallen Berechtigung hat. Nun beginnt erst die 
Not des Musikers, die Qual von Werk zu Werk, von deneu jedes eine eigene Pragung 
h^ben mufite, und jener Kampf, die jeweils veranderte subjektive Stimmung — dieser 
Begriff erhalt nunmehi- die grofite Bedeutung — dem Publikum aufzuzwingen. 

Zu keiner /eit war der Musiker so sehr von alien Stiitzen verlassen gewesen, wie 
im lieunzehnten Jahrhundert und zu Beginn des zwanzigsten. Er verlangte von sich, und 
itian ' verlangte von ihm in jedem neuen Werke das Unerwartete. Daher das Miftver- 
halthis, dem man so haufig begegnet, zwischen Gewolltem und Erfeichtem. 
' ' Diesem steten Zustand der Anspannung und des Kampfes mufite in einem Punktc 
eine Kbmpensation ei'wachsen, sollte das Kunstlerdasein der Opfer wert sein, und diese 
bestand in der erhohten Scliatzung der kiinstlerischen, auch problematischen Leistung; 
fast ware man geneigt zu sageh, in der Verschiebung dei' Wertung vom Werk auf den 
Kunstler. 

So kahi der Musiker, und zwar vor allem der „absolute" Musiker, der ohne An- 
lehnung an das dichterische Wort Musik aus seinem Inneren herauszustellen und zu 
formen hatte, in eine soziale Ausnahmestellung, der er nicht gewachsen sein konnte. 
Ef mufite fiber sein Menschen turn hinaus etwas anderes vorstellen, als er im Grunde 
seines WeSens war; er niufite, auch im gewohnlicben Leben, die Rolle des Kunstlers 
weitei'spielen, gleichsam jenen Zustand erhohten Seins, der ihm durch seine Begabung 
in deil gesteigerten Augenblicken der Produktion gegeben war, dauernd verkorpern. 
Dadurch trat bei schwacheren Naturen ofters jener Zustand der Spaltung der Personlich- 
keit ein, der sich aus einer Ubersteigung der Willensimpulse erklart, und nach Zeiten 
ekstatischer Erhobenheit zur volligen Ausloschung der produktiven Kraft fiihrte, ein 
Schwinken zwischen den hochsten Hohen und der tiefsten Verzweiflung; ein Zustand, 
der als bewtifites oder unbewufites Selbstbekenntnis den jahen Wechsel der Stimmungen 
und der Gefuhle im Werk zur Folge hatte. Und daraus ergab sich jene neue Schwierig- 



KARTELL ODER SOZIALISIERUNG? 583 

keit fur den Horer, dem Psychologen gleich dem willkiirhaften Ablauf der wechselnden 
Emotionskurven zu folgen, und dabei den Zusammenhang der Gesamtkonstruktion nicht 
aus dem Auge zu verlieren. So sehr drangt sich in jener Epoche die Bedeutsamkeit 
der Aussprache im Werk hervor, so sehr wendet sich der Blick nach innen, dafi die 
Oper als Gattung mit einem Vorurteil gegeniiber der rein en Musik zu kampfen hatte, 
weil in ihr der Kunsder nicht direkt, sondern durch das Medium seiner Gestalten sprach; 
und dieses Vorurteil konnte erst Wagner dadurch entkraften, dafi er, mit Hilfe der sin- 
fonischen Technik, dem Orchester eine erhohte Bedeutung, und zwar als psychologischer 
Faktor verlieh. Denn dieses nimmt weniger, wie es allgemein gesagt wird, die Rolle 
des Chores in der antiken Tragodie ein, als dafi es dem Publikum die Gefiihle und 
Erlauterungen des Autors hinsichtlich seiner Figuren vermittelt. 

Durch die Entfremdung des Kiinstlers der realen Welt, einerseits durch iibersteigerte 
Wertung der Personlichkeit, andererseits durch die stete Forderung nach „Entwicklung" 
die auch im Aufierlichsten, in der Steigerung der Mittel bestehen konnte, kam es zu 
jenem gespannten Verhaltnis zwischen Kiinstler und Publikum, welches am. besten da- 
durch charakterisiert wird, dafi jeder bedeutendere junge Musiker sich mit seiner Pro- 
duktion gegen seine Umwelt stellte. das Trennende im Werk eher unterstrich als milderte; 
dafi das Publikum hingegen jeder neuen Erscheinung von vorne herein mit Mifitrauen 
begegnete, und sich erst langsam zur Anerkennung zwingen liefi. Damit verbunden 
nahm das primare, sichere Urteilsvermogen fur Wert und Unwert ab; man verliefi sich 
auf das Urteil anderer: es entstand die Uberwertung der Kritik. Alles war Bewegung 
geworden, Bewegung, die schliefilich ein uberhastetes Tempo nahm. Die Mittel iiber- 
steigerten sich, Richtung loste Richtung ab. Niemand wufite mehr, wohin es fuhren 
sollte. 

Aber in diesem Augenblick entsteht, aus anderen Regionen kommend, als man es 
vermutet hatte. die Wandlung. ') 



Ernst S ch o e n (Frankfurt a. M.) 

KARTELL ODER SOZIALISIERUNG? 

De jure, d. h. moraliter, ist die Sphare der Kunst aufierhalb derjenigen des wirk- 
lichen Lebens gelegen. Sie ist nach der schonen romantischen Interpretation Wahrheit 
gegeniiber der Wirklichkeit. De facto aber schneiden sich diese Spharen nicht nur im 
Leben des Kiinstlers sondern auch im Schicksal des Werks, das von dem des Schopfers 
ja ganz emanzipiert ist. 

Sollte es daher noch der Verteidigung bedurfen, wenn heute und hier die uns 
umgebende Kunstpolitik als eine Angelegenheit enormen sozialen Belanges erortert 
wird, so mag zugegeben were! en, dafi Kunstwissenschaft von der Existenz des Kunstlers 
wie vom Schicksal des Werks abstrahieren wird, um im Spiel der Analyse produktives 
Geniigen zu finden. Wer aber vom Ablauf kunstlerischer Angelegenheiten mit erfafit 



*) Der Aufsatz wird fortgesetzt. 



584 ERNST SCHOEN 



ist, mufi tfiglich erneut dazu Stellung nehmen, um seiner selbst willen, um der Gesell- 
schaft willen, deren Verhaltnis zur Kunst mit tiber ihr Leben enrscheidet, und schliefi- 
lich wo nicht urn der Kunst so zumindest um des Kiinstlertums willen, das gleichfalls 
ohne soziale Klarheit — nicht etwa Zufriedenheit — krankeln mufi. 

Als bescheidener Beitrag zum Jubilaumsfimmel des laufenden Jahres mag es gelten 
wenn wir zwei Daten aus Schuberts Laufbahn als beliebige Beispiele herausgreifen, um 
die enge wechselseitige Bedingtheit von kunstpolitischer und sozialer Lage aufzuzeigen. 
Schuberts musikalische Erziehung im kaiserlichen Konvikt und sein Lebenserwerb 
als Musiklehrer auf Schlofi Zelesz. Das Konvikt war das Treibhaus, der zoologische 
Garten, in dem sicli eine im Vollbesitz ihres Machtgenusses befindliche aristokratische 
Gesellschaft die Musikanten aufzog, deren Kunstlertum zur Befriedigung ihrer hochst 
differenzierten musikalischen Bediirfnisse zu dienen hatte. Und die Stellung auf 
Schlofi Zelesz bot ein Musterbeispiel dafiir, wie dann dieser Dienst organisiert 
wurde. So wie der kunstsinnige ungarische M'agnat selbst einmal dem Primas 
seiner Zigeunerkapelle die Geige aus der Hand reifien mochte, um die vornehm 
verdrangte produktive Lust daran zu biifien, so pflegte er wohl auch die Kammermusik 
im Verein mit dem Musiklehrer, der abends in die Gesindestube zuruckkehrte und 
vom (.enufi des Bratens, wie Schubert in einem Brief mitteilt, ausgeschlossen war. Die 
Gleichung zwischen der immanenten Unmoral des musikalischen Professionals und der 
Moralitat des adligen Musikliebhabers befand sich mit anderen Worten im Zustand 
einer Harmonie, wie sie heute nur im Sportleben zu finden ist. 

Was bedeutete eine solche soziale Position fur den Musiker, fiir den musikalischen 
Schopfer? Zweierlei. Die musikalische Ausbildung, bei Schubert im Konvikt, stellte 
das konzentrierte Hochstmafi musikalischer Handwerkslehre dar, einen Studiumszwang 
und eine Studienmoglichkeit, denen durch ihre zunftmafiige Klausur der Wert der Aus- 
schliefilichkeit und Vollkommenheit verliehen wurde. Und die erniedrigenden Formen 
der Anwendung dieser vollkommenen musikalischen Ausbildung im Gesindedienst einer 
adligen Haushaltung wurden erst in der Romantik iiberhaupt als solche Erniedrigung 
empfunden ; im Rhythmus einer sozialen Entwicklung, in welchem die geistige Stromung 
der Romantik iiberhaupt als Vorlaufer und Exponent der biirgerliclien Revolution zu 
betrachten ist. Im Spiegel der Entwicklung musikalischer, wie aller Geistesformen er- 
blicken wir ebensoviele Stadien sozialer Revolution. Die Form der Sonate und der 
Sinl'onie war als kiinstlerischer Zeugungsvorgang ebenso eine revolutionare Tat wie die 
Auflosung der Sonatenform, die wir bei Schubert finden, die bei ihm das Werk von 
Mahler, das von Schonberg vorbereitet. 

Niemand vvird leugnen wollen, da6 eine entsprechende Verhaltnisspannung zwischen 
musikalischer und sozialer Ereigniswelt auch heute wie jederzeij vorhanden ist und 
nach beiden Richtungen in Wirksamkeit tritt. Wie dieses Parallelogramm der Krafte 
heute begreiflicb zu machen sei, dafiir mogen auch wieder einige Beispiele zu Rate 
gezogen werden. 

Die musikalische Ausbildung in ihrer legalisiertesten Form erfolgt in Staatshoch- 
schulen, deren Werteinschatzung und. womogliche Reorganisation sich z. Zt. wie diejenigen 
aller parallelen geistigen Lebensformen im Zustand einer fieberhaften Krise befinden. 
Diese entscheidende Tatsache ist soziologisch ebenso leicht zu begriinden wie die andere, 



KARTELL ODER SOZIALISIERUNG? 585 

da6 diese Krise von einer Losung noch unabsehbar weit entfernt ist. Beide Tatsachen 
namlich folgen aus dem unabweislichen Umstand, dafi die definitive Ordnung, und 
d. h. Stilisierung einer geistigen Kultur einzig erfolgen kann auf Grund der wirtschaft- 
lichen und der daraus entspringenden politischen Stabilisierung einer gesellschaftlichen 
Lebensform. Was ist denn die Krise der geistigen Formen, der kiinstlerischen Inten- 
tionen von heute? Doch wohl keine Krise des Geistes, der Kunst als solcher? Der- 
gleichen kann es ja eben nur in abgeleitetem Sinn geben. Nein, es ist eine Krisis der 
Weltanschauung. Weltanschauung aber wird erzeugt von Polilik — bis in ihren tiefsten 
Sinn als angewandter Religion — und Politik ist untrennbar verknupft mit dem Kampf 
um die Wirtschaftsform. Dafi auch unsere Musikpolitik die Krise einer wirtschafts- 
politisch determinierten Gesellschaftsform, des Burgertums, durchmacht, kann an jedem 
Punkt bewiesen werden. Man darf Banalitat nicht fiirchten, wenn man an den Anfang 
eines solchen Beweises die Konstatierung stellt, dafi die Anbetung des Individuums 
das Credo der burgerlichen Gesellschaft ausmacht. Dieser Glaube tritt auch in den 
Existenzfbrmen ihres musikalischen Lebens in einigen Erscheinungen auf, von denen 
jede in der gegenwartigen Krise der Musikpolitik mit Recht eine bedeutende Rolle 
spielt. In der Musikpolitik wohlverstanden. Denn keinen Augenblick soil hier dariiber 
Unklarheit gelassen werden, da6 die gesetzgeberische Autonomie der Schopferperson- 
licbkeit sich, wie> eingangs angedeutet, a priori aufierhalb dieses ganzen Betriebes be- 
findet. Nur freilich, dafi ihr naturliches Verhaltnis zu ihrer Zeit in irgend einer Weise 
auch immer nicht zwar ihre Potenz, wohl aber ihre eigene Existenz, Auffassung 
und Weiterleben ihrer Werke fur uns, die wir uhs an ihnen messen, bestimmend be- 
einflufit. Erscheinungen des burgerlichen Individualismus in der Musik, wie wir sie 
meinen, sind z. B. professorale Konvention und Scholastik in der musikalischen Er- 
ziehung. Aus diesen Ersclieinungsformen resultiert die allbekannte Sterilitat des 
Hoclischulbetriebs, die den Typus des Minderbegabten ziichtet, der aus einem Schuler 
bestenfalls sofort wieder ein Lehrer werden kann. Sie sind im Verlauf der Einwir- 
kung der musikalischen Theorien der deutschen musikalischen Romantik auf Europa 
und Amerika so weittragend gewesen, dafi sich von ihnen allein aus eine hochst auf- 
schlufireiche Geschichte der Musik von der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts bis auf 
unsere Tage schreiben liefie. Auch alle besteliende Musikgeschichte dieser Zeit mufite 
von ihnen ausgehen, nur freilich, da6 sie sie nicht zirm Kriterium sondern zum Dogma 
genommen hat. Der Kritik unserer Tage sind diese Gespenster so wenig fremd wie 
z. B. die anderen der individuellen Auffassung — mit dem Endergebnis der Bearbeitung — 
und des Virtuosentums, der artistisch vollendeten. spielerischen Beherrschung der Mittel 
um ihrer selbst willen in Darstellung und Zeugung. Sie geifielt sie taglich. Aber was 
tut sie, um ihnen zu begegnen, was kann sie tun ? Was kann sie an ihre 
Stelle setzen, wo diese Erscheinungen selbst und die positiven historischen Machte, denen 
sie entspringen, doch bis in fast jede scheinbar noch so unabhangige und revolutionare 
musikalische Leislung, und gerade in die asthetisch vollkommensten und ausgewogensten, 
weil traditionserfiilltesten, unter ihnen, bestimmend hineinspielen? 

Die Alternative unseres Titels wiinscht zur Entscheidung beizutragen iiber einige 
jiingere Versuche auf dem Gebiet des Ausgleichs zwischen der von Natur asozialen 
Position des musikalischen Kunstlers, vor allem des Schopfers und der Gesellschaft, der. 



586 ERNST SCHOEN 



sein Werk sich gegeniiberstellt, und tiber die nachsten Versuche, die etwa auf diesem 
Gebiet bevorstehen mogen. 

Der neuerliche Beschlufi des „Allgemeinen Deutschen Musikvereins" zuv An- 
bahnung einer Union mit der ,,Internationalen Gesellschaft fur zeitgenossische Musik" 
als Ergebnis des Kraftespiels zwischen diesen beiden Instituten verdient nicbt etwa 
geringere Beachtung, weil er wie immer politische Entscheidungen solcher Art in einem 
Augenbliek vor die Ausfuhrung tritt, wo audi das jiingste dieser beiden Geschwister 
sich offenbar endgiiltig die Horner des Radikalismus abgelaufen hat. also sozusagen 
post festum kommt. Er enthebt jedenfalls den Kritiker der Notwendigkeit, seine For- 
derungen nach dem Mafistab einer bislang noch zu beobachtenden verschiedenen Tem- 
perenz des Bestehenden abzustufen. Die „Internationale" selbst nun also ging ja, urn 
das noch einmal festzustellen, vor 5 — 6 Jahren aus dem Bestreben hervor, die im 
Krieg vernichtete Beziehung zwischen den zeitgenossischen Musikern und der Allgemein- 
heit sowie zwischen dem zeitgenossischen Wollen von Land zu Land neu aufzurichten. 
Weitergehend sind nun die mittlerwede als selbstandiges Unternehmen um Paul Hinde- 
miths musikalische Arbeit gruppierten Bestrebungen der Vereinigung „Deutsche Kammer- 
musik Baden-Baden", die neuerdings den Gedanken der „Gebrauchsmusik" als Forde- 
rung der Zeit in den Mittelpunkt ihres Programms gestellt hat, dem die Veranstaltungen 
ihres kommenden Musikfestes in ganz bestimmter Richtung, namlich im Hinblick auf 
eine musikschopferische Einstellung auf die Bediirfnisse der Jodeschen Sing- und Spiel- 
kreise, ausschliefilich dienen sollen. 

Dafi die Anstrengungen dieser beiden Arbeitskreise noch in alien Punkten unter 
dem Krankheitsstigma des biirgerlichen Individualismus zu leiden haben, ist wohl all- 
gemein bekannt und auch in kritischen Erorterungen schon manchmal angedeutet 
worden. Es verdient aber, erhartet, Vorschlage zur Erweiterung und Umgestaltung des 
Aufgabengebietes verdienen ausgesprochen zu werden. Bei der Delegiertenversammlung 
des diesjahrigen Musikfestes der „Internationalen" in Siena soil die deutsche Delegation 
sich einen Augenbliek lang verdienstvollerweise dagegen gewehrt haben, dafi nach dem 
Verlauf grotesker Unergiebigkeit, den das Sieneser Fest genommen hat, sofort ent- 
scheidende Vorbereitungen fiir ein neues solches Fest getroffen wurden. Es ist aber 
nicht bekannt, was sie dagegen unternommen hat, dafi nicht nur eine sondern gleich 
zwei weitere musikfestliche Zusammenkunfte festgelegt wurden. 

Was war denn das Kriterium dieser Unergiebigkeit des Sieneser Musikfestes ? Was 
ist der einfache Grund der Unergiebigkeit all dieser Musikfeste? Nicht der vor allem, 
dafi nicht in einem Jahr gemigend musikalische Werke entstanden, die eine inter- 
nationale Uberschau rechtfertigten, zumal ja diese Musikfeste sowieso mit kaltem Mut 
vorwiegend schon erprobte Werke anerkannter Komponisten in ihr Programm auf- 
nehmen. Nein, dieser Grund liegt wohl doch noch etwas mehr im Tiefen und Breiten. 
Es ist unbestreitbar, dafi der Internationale Snobismus eine unschatzbare praktische 
Avantgarde auch des neuen musikalischen WoUens darstellt. Auch der standige Markt- 
verkehr zwischen musikalischem Autor und Musikverleger stellt sicher eine neue be- 
griifienswerte Notwendigkeit dar. Aber die sogenannten zentralen Ereignisse moderner 
Musikpolitik einzig in einen ausgewahlten Rahmen von Musiksnobs und Fachleuten 
der Musik einzusperren, in einen Rahmen, dessen Exklusivitat schon durch die Wahl 



KARTELL ODER SOZIALISIERUNG? 587 

des Ortes und die lacherliche gesellschaftliche Aufmachung des ganzen Vorgangs jeder 
weiteren Musikgemeinschaft unzuganglich ist, das offenbart sich doch schliefilich als eini 
Egoismus, dem dringendste Aufgaben der Musikpolitik des Tages und der Stunde vollig 
fremd sihd. Die Esoterik, die' in dieser besitzerfrohen Absperrung musikaliscber Giiter 
und . Errungenschaften von der profanen Menge zum sprechenden Ausdruck kommt, 
wollten wir eben der Kartellpolitik auf wirtschaftlichem Gebiet vergleichen. Ihr steht 
die Forderung nach Sozialisierung unerbittlich gegeniiber. 

Wenn die von Hindemith ausgehende Initiative sich der Beschaftigung mit Auf- 
gaben der „Gebrauchsmusik zuwendet — Chormusik (Gesangvereine), Militarmusik, 
Orgel (Kinoorgel), Filmmusik, Rundfunkmusik — wenn sie mit den Bestrebungen 
Jfldescher Musikpadagogik in produktive Verbindung tritt, so geschieht das offenbar in 
der selbstverstandlichen Erkenntnis der hier angedeuteten sozialen Geistesnote. Uber 
beide Versuche lafit sich natiirlich mancherlei aussagen, z. B. ob es sinnvoll sein kann, 
fur die derzeitigen Bediirfnisse einer Jung und roh aufsteigenden Gesellschaft besondere 
produktive Willkiirakte zu unternehmen, anstatt den Kampf urn die musische Klarung 
und Richtunggebung dieser Bediirfnisse zu wagen. Ebenso bleibt zu erwarten, ob der 
„montessorische" Musikunterricht Jodescher Observanz nicht einen Musikdilettantismus 
schon vor der allmahlichen Bekanntschai't mit der Musik herausbilden wird, der eigent- 
lich erst auf der Hohe der Beherrschung des Musikgenusses einsetzen diirfte. Die selt- 
samen und rudimentaren Erscheinungsformen neuen musikalischen Erlebens und Schaffens 
in Rutland zeigen uns die Abgrunde, die zwischen dem Aufbau einer neuen Gesell- 
schaft und ihrer allmahlichen Eroberung der "Welt der Formen zu durchschreiten sind. 

Darum sollte der Spontaneitat musikaliscber Schopfung kein kiinstliches Kanalbett 
vorgemessen werden. Die Roheit und Beschranktheit der Moglichkeiten innerhalb des 
musikalischen Erlebens der Masse konnen nicht stark und skeptisch genug in Rechnung 
gezogen werden. Aber gebieterische Forderung ist es heute wie jederzeit, dafi die 
Wirksamkeit der produktiven Krafte in der Kunst dem gewaltigen rezeptiven Begehren des 
Heeres der aufsteigenden Generationen sich erschliefie, anstatt in zufriedenem Getandel 
mit der unfruchtbaren Elite der Kennerschaft billiges Geniigen zu finden. Die jungen 
Musiker, die etwa noch ihre eignen geistigen Mittel und die geistigen und materiellen 
Mittel ihrer Umgebung dem Zustandekommen von Lappalien wie dem Sieneser Musik- 
fest zuwenden, sollten endlich anfangen, alle ihnen zugangliche geistige und wirtschaft- 
liche Macht dafiir ins Treffen zu fiihren, dafi iiberaU die reinsten Ergebnisse jungen 
musikalischen Schaffens den grofiten Massen geisteshungriger Jugend zugefiihrt werden. 
Als prachtvolles Beispiel solchen Bestrebens in Deutschland ist mir eine schon Jahre 
zuruckliegende Auffiihrung der „Geschichte vom Soldaten" unter Scherchen vor Tausenden 
empfanglicher und begeisterter Mitglieder von Jugendorganisationen in der Berliner 
Volksbiihne am Biilowplatz stark im Gedachtnis geblieben. 



588 . HANS OPPENHEIM 



Hans Oppenheim ( Wiirzburg) 

DIE OPER UND DAS OPERNTHEATER VON MORGEN 

Es mag iiberflussig erscheinen, die Reden iiber ein allzuviel und allzubreit be- 
redetes Thema urn eine zu vermehren. Theater, die spontane, intuitive Sprache des 
Bluts, sollte iiberhaupt der Sprache des Gedankens unzuganglicher, dem suchenden und 
bindenden Verstande verschlossener sein. In Krisenzeiten der Kultur wurde aber 
immer noch von alien, auch den vitalsten Erscheinungsformen des Lebens das Wort 
zu Hilfe gerufen; zudem wollen wir heute garnicht von der Familie des Theaters im 
Allgemeinen, sondern im Wesentlichen nur von dem mit beinahe pathologischen Symp- 
tomen gezeichneten Zweige dieser Familie: der Oper reden. Dies erscheint umso 
wichtiger, als in fast alien Debatten iiber das Theater die Oper mit der Begriindung 
ausgeschlossen wird, diese sei durch ihre Zeit- („Barock") und Material- (Ton) Gebunden- 
heit unumstofilichen Gesetzen unterworfen, von denen die anderen Gruppen des Theaters, 
besonders aber das Schauspiel, freier, elastischer und wandlungsfahiger sich zu losen 
berechtigt waren. Man spricht von der „Aristokratie der Oper", und sicher ist, dafi 
die Berechtigung soldier Bezeichnung gewisse Fesseln und Bindungen zuzugeben scheint 

Ohne ein historisches Traktat zu beginnen, wollen wir kurz untersuchen, was es 
mit solcher Berechtigung fur eine Bewandtnis hat. In der Entwicklungslinie der Oper 
erkennen wir deutlich und eindeutig die Kurve, die — in Deutschland etwa von 
Handel bis Wagner und dem jungen Strau£ — aus rein konzertanten Anfangen immer 
mehr von der Form- zur Menschengestaltung fiihrt. Anders ausgedriickt: Rezitativ und 
Arie, anfanglich ein wirklich aristokratisch.es, scheinbar unzerstorbares Eigenleben auf 
dem Theater fiihrend, werden immer mehr zu einem zusammenhangenden Kosmos, der 
nacheinander alle Mittel der Biihne riicksichtslos an sich reifit und dessen Gesetze immer 
weniger von der musikalischen, iiberlieferten Form des Konzerts, und in immer 
steigenden Mafie (wie im Schauspiel) vom „dramatischen" Geschehen und ganz indi- 
viduell von dem jeweiligen Typus des zu gestaltenden Menschen bestimmt werden. 
Dadurch aber, dafi die Anfange des Schauspiels, die in ihrer geistigen und formalen 
Struktur denen der Oper in gewissem Sinne ahneln, von diesen um etwa anderthalb 
Jahrtausende getrennt sind, hatte sich das Schauspiel in seiner Sprache, seiner Form, 
und seinem Gehalt schon zu individueller Freiheit gelost, als die Oper, gleichsam 
nur ein Konzertstiick in Kostum und Maske, noch die ersten Versuche auf den unge- 
wohnten Brettern des Theaters machte. Bestand zu diesem Zeitpunkt also die Behaup- 
tung zu Recht, die Gesetze des Schauspiels seien denen der Oper art- und wesensfremd, 
so gleichen sich nun im Ablauf von anderthalb bis zwei Jahrhunderten (also verhaltnis- 
mafiig schnell) die beiden Gattungen der Biihne immer mehr einander an. Es geniige 
an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dafi die Oper von heute und wahrscheinlich auch 
die von morgen offenbar eine starkere Bindung der Form mit „psychologischer" Ge- 
staltung und eine von allem musikalischen Ballast moglichst befreite Verdeutlichung 
des Schauspiels versucht. Wir diirfen es also im allgemeinen als widersinnig bezeiclinen, 
wenn in den erbitterten Kampfen um heutiges Theater der Oper eine Sonderstellung 
zugewiesen wird, die ihr (von den Ausnahmen ihrer Anfange abgesehen) nicht mehr 
gebiihrt, und konnen die Frage nach den Griinden der offenbaren Krise des heutigen 



DIE OPEH UND DAS OPEBNTHEATER VON MORGEN 589 

Operntheaters (die schon beinahe einer Agonie gleichsieht) und seines von angebeteten 
Gottern abfallenden Publikums aufwerfen, ohne ein mitleidiges Lacheln iiber den nicht 
mehr vollwertigen, nachgeborenen Sprofiling der Schaubiihne ftirchten zu miissen. Denn 
dieses Lacheln miifite mit gleichem Recht auch das Schauspiel, vielleicht das Theater 
iiberhaupt vernichten. Aber wir diirfen nun behaupten, und wollen in folgendem 
versuchen, es zu beweisen, daft es sich viel weniger um eine Krise der Kunstform 
Oper, als vielmehr um eine solche der „Betriebsform" Repertoiretheater, also vielmehr 
um eine Krise der Reproduktion als um eine der Produktibn handelt 

Denn was in den etwa 90 deutschen Operntheatern von heute (die der andern 
Lander kenne ich zu wenig) allabendlich an Un-Sinn, Gewissenlosigkeit und in hohlster 
Routine erstarrter Betriebsamkeit geleistet wird, davon ahnt der durschnittliche Horer 
nur wenig. Er iiberlegt auch wohl nur selten, ob dieser Zustand einer mehr oder 
minder gut organisierten „Buhnenindustrie" von jeher bestand, sondern empfindet 
lediglich Langeweile und Verstimmung und halt sich fur den verlorenen Abend dadurch 
schadlos, dafi er sich iiber die „unm6gliche und unlogische Kunstform der Oper" (als ob 
es iiberhaupt eine „logische" Form und Aufierung im Bereich der Kunst geben konnte!) 
und iiber ihre Darsteller lustig macht. Der Fachmann aber, der von einer Reise 
zuriickkehrt, die ihm den Genufi einiger Opernvorstellungen bescherte, berichtet kopf- 
schiittelnd iiber die Unglaublichkeiten, die er zu horen und zu sehen bekam. Aus- 
nahmen von dieser Regel sind so selten, dafi sie bei einer allgemeinen Betrachtung der 
Lage nicht mitzahlen. Dieser Zustand aber — und das ist das Merkwiirdigste! — wird 
von den beteiligten Instanzen: Fachleuten, Publikum und Presse als eine Gegebenheit 
angesehen, mit der man sich abzufinden hat. Woher kommt das alles ? Sehen wir 
uns die drei Instanzen naher an. Fachleute: also zunachst die Intendanten, Begisseure, 
Buhnenbildner, Kapellmeister und Sanger. 

Die Intendanten, meist vom Schauspiel kommend, iiberlastet mit der vom 
Laien nicht zu erfassenden, nervenzermurbenden Verantwortung fiir den Gesamtbetrieb, 
der unter alien Umstanden — gleichgiiltig in welchem Zustand — eine Vorstellung 
jeden Abend zu „liefern" hat, in ewiger Sorge um den — oft die Summe von einer 
Million Mark jahrlich iiberschreitenden — Etat, eingezwangt zwischen die Scylla ihrer vor- 
gesetzten, geldverweigernden Behorde und die Charybdis eines aus hundert Bedurfnissen 
und Anspriichen zusammengesetzten Publikums und Mitgliederensembles. Dazu aus 
Neigung oder Sparsamkeit sehr oft noch als Begisseure (meist des Schauspiels) mit den 
Pflichten eines kiiustlerischen Fiihrers beladen. Dafi bei solchem Tagwerk der obersten 
Leiter die Moglichkeit der Sammlung auf wesentliche grofie Ziele des Theaters durch 
die dringlichen Aufgaben der Stunde vernichtet werden niufi, bedarf kaum naherer Be- 
grixndung. Ich spreche dabei nur von Fuhrern, die durch Leistung und Personlichkeit 
durchaus zu ihrem Amt berufen und auserwahlt sind, und erwahne nicht die anderen, 
deren kaufmannische Kenntnisse und durch Alter erworbene Erfahruneen ill keiner Weise 
von kiinstlerischen und menschlichen Qualitaten geti'ubt werden. 

Die Opern-B e g i s s e u r e. Sie kommen entweder von der Literatur oder vom Theater. 
Die erst eren sind gefahrlich, weil sie nicht nur oft der Musik fern stehen, sondern vor allem, 
weil die chemische ZusammensetzUng des Theaterbluts nicht zu erwerben ist, sondern 
unerlafilicher und unersetzliclier Bestandteil der geistigen und sog'ar auch der korperlichen 



590 HANS OPPENHEIM 



Substanz sein muK. Kommen sie vom Theater, so waren' sie zumeist Sanger oder 
Kapellmeister und als solche immerhin mit den musikalischen Grundlagen der aufzu- 
fuhrenden Werke — mehr oder minder — vertraut, und Leidtragende (am Krebsiibel 
def Regie). Aber auch hier gehen nur einige gang seltene Personlichkeiten — unbe- 
lastet von Tradition und Routine (Erzfeinde des jungen Theaters) an den neu zu 
erschaffenden, immer wieder einmaligen Kosmos des Kunstwerks heran, sondern sie 
setzen (sofern sie nicht einfach auf irgend ein unertragliches Regie-Klischee zuriick- 
greifen, das sie irgendwo abgesehen, abgehort, abgeschrieben haben) im besten Falle 
ihre eignen Einfalle mosaikartig zu einer szenischen Interpretation der Musik zusammen. 
Dazu kommt, dafi gerade dieser Beruf eine Sach- und Menschenkenntnis in idealei' 
Harmonie mit allgemein geistigem Weitblick erfordert, wie kaum ein zweiter, und 
schon deshalb so selten „Au§erwahlte" entsendet. 

Der Biihnenbildner. Ein Beruf, neu geboren aus den — endlich ! - erhohten 
geistigen Anforderungen an die Schau- und Horbiihne. Zwei meist feindliche Gruppeii 
marschieren hier auf das junge Theater los: die mit der Farbe (und dadurch fast 
ilnmer mit der „ulusion") und die mit der Raumgestaltun g arbeitenden Kunstler, 
die nur selten Farben- und Raumgefiihl in sich vereinigen. Die Oper von morgen ruft 
aber nach einem Maler-Architekten mit — von Hause aus — starkem Gefiihl fiir Ruhnen- 
wirksamkeit (eine kaum erlernbare Kunst), mit dem geistigen Horizont fiir Bild — 
(Raum-) Werte von Mozart bis Hindemith, mit intensivster Fahigkeit, sich in die In- 
tentionen des Regisseurs einzuleben und ihnen Fliigel zu geben. Und was erleben wir 
fast iiberall? Museale Schaustiicke, an kleinen Biihnen mit kleinen Mitteln meistens 
unendlich lacherlich, an grofien Buhnen mit unverantwortlichen, ja verbrecherischen, 
veil sinnlos verschwendeten Geldopfern. erkauft, mehr oder weniger „geschmackvoll", 
daftir aber ohne jede Entfaltungsmoglichkeit fur das einzige Subjekt und Objekt der 
Biihne: den Darsteller. Nur selten sind diese Biihnenbilder — in engster Zusammen- 
arbeit mit dem Regisseur — aus der Atmosphare des Kunstwerks entstanden, diese 
steigernd und „verdichtend", sondern sie entstammen meist einer rein aufierlichen Bdd- 
Idee, in die nun wohl oder iibel das Kunstwerk und die Inszenierungsarbeit des Spiel- 
leiters sich einzuordnen hat. Ein sinnloses Neben- und Gegeneinander, unter dem 
Werk, Darsteller und Publikum zu fast gleichen Teilen zu leiden haben. 

Der Kapellmeister. Eine umfangreiche Broschure, nur ihm gewidmet, ware 
notwendig, urn annahernd umreiCen zu konnen, wie es in diesen Gefilden aussieht. 
Was sollte der Kapellmeister sein, und was ist er ? "Welche Verpflichtungen enthalt der 
schon beinahe zum Vornamen degradierte Titel: General-Musik-Direktor seiner eigensten 
Bedeutung nach ? Der Trager dieses Amtes sollte zunachst eine musikalische Personlichkeit 
sein, die durch ihre Kraft und Eigenart befahigt ist, den aus unzahligen musikalischen Indivi- 
dualitaten zusammengesetzten Apparat von Solisten, Orchester und Chor als „General" 
wifklich zu fiihren. Aber ebenso sehr miifite er ein Padagoge sein, der, aufs Genauste 
vertraut mit den technischen Vorbedingungen und Erfordernissen des Orchesterspiels, 
des Ghorensembles und der einzelnen Gesangsstimme? dieses polyphone Instrument in 
wochenlangen Vorproben zu der Einmaligkeit jeder Auffuhrung einheitlich erziehen 
konnte. Seine Dispositionsfahigkeit fiir den Spielplan, die Probenverteilung und die 
Schwierigkeiten der richtigen Besetzung der einzelnen Partien, also seine Fahigkeiten 



DIE OPER UND DAS OPERNTHEATER VON MORGEN 591 

als „Direktor' - miifiten gleichermafien uberzeugend fiir das Ensemble, wie fiir das Publi- 
kum sein. Sein geistiger Horizont ein alle Disziplinen des Theaters umfassender, und 
schliefilich seine eigene, in alien Feuern erprobte Technik ein unzerbrechliches Steuer 
im Wogenkampf der AufFiihrung. Und was ist der Kapellmeister? Sehr oft ein feiner 
Musiker ohne die speziellen Erfordernisse des Orchesterfiihrers, ebenso oft ein „manuell" 
begabter, „routinierter" Dirigent, ohne das Stilgefiihl fiir die Interpretation von soviel 
hunderten, verschiedensten Zeiten, Kulturen und Nationen enstammender Werke. Selten 
ein geborener Padagoge. Ebenso selten ein Organisator oder Verwirklicher von Planen, 
die einen einheitlichen Kurs des Theaters erkennen lassen. Fast immer aber ein ehr- 
geiziger und ausgezeichneter Anwalt der eignen „Karriere". 

Der Sanger. Hier beginnt das triibste Kapitel, dessen veraiitwortliche Verfasser 
die Konservatorien und die privaten Gesangslehrer sind. Es ist zu oft uber das alles 
gesprochen worden, als dafi es notwendig sein sollte, nochmals auf die Ungeheuerlich- 
keiten auf diesem Gebiete einzugehen. Aber wer, wie wir, standig mit den bedauerns- 
werten Exponenten dieses ahnungslosen Dilettantentums zu tun hat, wer bei jedem 
Probesingen sich davon iiberzeugen mufi, dafi von Hunderten noch nicht ein Sanger 
den rein technischen Anforderungen dieses Berufes geniigt (in welchem anderen Beruf 
ware das moglich ? Schuster und Schneider wurden nach einem Tage entlassen ; der 
Sanger kommt mit lebenslanglichem Kontrakt und einer Riickversicherung gegen iiber- 
fliissige Proben an ein grofies Landestheater), dafi von Tausenden niclit einer Gefiihl 
fiir die Architektur einer Phrase hat, und kaum jemals einer den geistigen Inhalt des 
vorzutragenden Werkes erschopft, der hat erkannt, dafi dieses Ubel an der Wurzel aus- 
gerottet werden miifite, wenn es je eine Erneuerung der Oper geben soil. Als ob es 
mit dem r sogenannten „schonen Material" getan, als ob das nicht nur selbstverstandlichste 
Vorbedingung zu allem anderen ware ! (Ist der Besitzer eines schonen Bechsteinflugels 
schon ein Pianist?) Wie wenige von den Tausenden von Schulern, die alljahrlich nach 
— in bestem Falle — dreijahrigem Studium auf die deutschen Theater losgelassen 
werden, ist im Ursinn des Wortes „musutalisch", wer ist zu geistigem Ausdruck begabt 
wer vor allem auch zu korperlichem ? Wer bringt die sprachlichen Vorbedingungen 
dieses Berufs mit? Soil ich noch weiter fragen ? Es ist ein bodenloser Abgrund, dem 
die Nebel und Diinste unseres Kunstklimas entsteigen. 

Und sicli iiber das Publikum und seine beglaubigten Vertreter, die Presse ver- 
breiten, jene namenlose Masse, fiir die wir arbeiten, denen wir Eindrucke, Anregungen, 
Erlebnisse vermitteln mochten, und die auch meist den geschilderten Zustand fiir 
den naturgegebenen und kunstentsprechenden halten miissen, weil sie Besseres zu selten 
kennen lernen. Welche Vorbedingungen zum Geniefien und Urteilen werden aber von 
dieser Seite mitgebracht? Nicht viel mehr als das Kapital der Gewohnheit, dessen 
Zinsen von ihnen einige Male im Monat, miide von den Forderungen des Tages und 
unfahig zu geistiger Mitarbeit am Abend, genossen werden wollen. Uberfiittert von der 
lacherlichen, als soldier schon kunstwidrigen Uberfiille des Gebotenen. mit den Gedanken 
bei allem, nur nicht bei uns (man belausche Pausengesprache in Arnstadt oder Berlin), 
unbescheiden und unberechtigt zur Kritik. Bleiben wir an diesem Punkte stehen und 
fragen zunachst, warum es sich die Kunst (und die Politik!) von jeher gefallen lassen 
mufite, von alien mehr verstanden zu werden, als gerade von denen, die sich ein Leben 



592 HANS OPPENHEIM 



lang Tag fur Tag mit ihr beschaftigen ? "Waram urteilt Publikum und Presse nicht 
ebenso leichtfertig iiber den Wert einer Operation, wie iiber den einer Komposition, 
einer Auffiihrung? — Glauben Sie ernsthaft, von der Kunst mehr zu verstehen, als von 
der Wissenschaft, mehr Verstandnis fiir Musik und Theater zu haben, weil Sie als Kind 
vierhandig (falsch) Klavier und an Geburtstagen oder Polterabenden vor entziickten 
Eltern und Verwandten .,Theater" spielten? Die Noten lesen zu konnen, heifit doch 
wohl nicht viel mehr, als die Farben mit Namen zu kennen. Glauben Sie des- 
wegen, ein Urteil iiber ein Bild zu haben ? Die Kunst scheint mir in ihrem Ursinn 
durchaus nicht vogelfrei, sondern verlangt, auch vom empfangenden Menschen, statt vor- 
eiligen und unsachlichen Urteils, fortgesetztes, ernsthaftes Studium und liebevolle Be- 
obachtung unsrer Arbeit, wenn diese auf fruchtbaren Boden zu fallen hoffen darf. Aber 
wie wenige von unseren Horern versuchen immer wieder, sich mit dem Kunstwerk 
und seinem unendlich verzweigten und empfindlichen Organismus auseinanderzusetzen, 
Beziehungen zu seiner Urmvelt und seiner Zeit zu suchen, kurz: lebendig zu bleiben? 
Eine der schwierigsten Aufgaben der Biihne ist es ja gerade, die richtige Spannung 
zwischen Umwelt und Zeit der Entstehung eines Werkes und Umwelt und Zeit seiner 
Darstellung zu erfiihlen. Diese — also taglich neu zu losende — Aufgabe kann nie- 
mals dem Urteil der Wissenschaft, sondern immer nur der Kritik des kiinstlerisch 
empfindenden und geschulten Menschen unterstehen. Wahrend aber eine Welt, wie nie 
zuvor durch Telephon, Telegraph, Auto, Flugzeug, Badio verbunden, im Begriff ist, in 
ungeheuren Katastrophen und Erschiitterungen seine Geschichte einheitlich zu andern, 
wollen Sie die Oper angstlich behiiten, als wenn sie ein Reliquienschrank ware. Unser 
Ohr, fahig geworden, den Larm von tausend Gerauschen der Strafie, der Luft zu ertragen, 
ja zu iiberhoren, empfindet die Partituren des Lohengrin und Tristan, die von ihrer 
Zeit teilweise als „hohere Katzenmusik" abgelehnt wurden, als reinsten und unschwer 
zu erfassenden Wohlldang. Dieselben Entwicklungsmoglichkeiten miissen Sie auch der 
Darstellung einer Oper in all ihren Teilen zugestehen. 

Statt dafi das Theater, wenn schon nicht als geistiger Fiihrer, so doch als em- 
pfindlichster Magnet auf alle Veranderungen des Weltbildes und Weltgefiihls reagierte, 
verlangen Sie, dafi gerade die Schaubiihne (die sich, wie wir eingangs zu klaren suchten, 
nicht wesentlich mehr von der „Horbuhne" unterscheidet) Ihnen mumienhaft die „gute, 
alte Zeit" konserviert. Wir erleben eine allgemeine europaische Kulturkrise, und nur 
das Theater bemiiht sich, durch Tednahmslosigkeit zu ersetzen, was es nur durch 
Vitalitat retten konnte. Die immer empfindlicher werdende Trennung von Kultur- und 
Lebensgefuhl, das ehedem ein untrennbares Ganze war, iniifite endlich auch dem Theater 
klar machen, dafi es auf verlorenem Posten kampft, wenn es nicht mit feinstem Ver- 
standnis fiir alle Zeitschwingungen synthetisch und ewig wandelbar zu vermitteln sucht. 
Natiirlich ist es nicht damit getan, dafi jede Biihne unvorbereitet und unvorbereitend 
„Jonny" in ihren Spiel plan aufnimmt, oder dafi man Wagner auf irgend eine sinnlose 
Stilbiihne zerrt. Aber das lacherliche und vollig unberechtigte Scheinleben, dafi das 
Theater und besonders die Oper heutzutage fiihrt, sollte entweder schnell und radikal 
vernichtet werden (statt in qualvoller, langsamer Agonie unproduktiv dahinsiechen), 
oder es miifite so iiberraschend zum wirklichen Leben erwachen, dafi es vor unserem 
Gewissen bestehen, unsere Lebenskraft erhohen konnte, dafi es uns wirklicher Schauplatz 



DIE OPER UND DAS OPERNTHEATER VON MORGEN 593 

unserer Kampfe (nicht der unserer Vorfahren) und Fanal, nicht Museum oder Raritaten- 

kabinett wiirde. Sagen Sie, dafi man dann neue Werke schreiben, aber die alten unan- 

getastet lassen solle, so antworten wir, dafi Sie mit soldier Forderung beweisen, den 

tiefsten Sinn alles wahrhaften Komodiantentums verhangnisvoll falsch zu deuten, jenes 

Komodiantentums, fur das und im Vertrauen auf das Mozart und Shakespeare Unsterb- 

liches, dafi heifit sich mit alien Zeiten Wandelndes, geschrieben haben. Zu solchem 

endlichen Erwachen der Oper wiirde gehoren, dafi der Spielplan zunachst von alien 

Werken gesaubert wird, die keine Beziehung zu unserem Denken und Fiihlen haben, 

(die aber trotzdem in spaterer Zeit vielleicht ehrenvolle Auferstehung feiern !), mehr noch, dafi 

der innere und aufiere Darstellungsstil den Rhythmus, die Form und die Farbe des 

uns umgebenden Weltbildes widerspiegelt. Das mufi umso eindringlicher verlangt 

werden, als unsere Generation offenbar nicht dazu bestimmt ist, in Ruhe die Friichte 

einer bestehenden Kultur zu verzehren, sondern unter Schmerzen eine neue zu gebaren. 

Wollen Sie es wirklich dem Theater verubeln, wenn es sich heute aus Ekel vor dem 

Uberrealismus ungekonnter, verkitschter Riihnenbilder vor jedem Wettlauf mit der von 

Ihnen so sehr ersehnten Wirldichkeit zuriickzieht, und Raume erfindet, in denen seine 

Gestalten atmen. wirken, zu einander streben und sich bekiimpfen konnen ? Der 

Hafi, mit dem solche Versuche allerorten bekampft werden, ist typisch fiir die 

panische Angst des Burgers, ihm leicht verstandliche, weil ererbte Horizonte verlassen 

und sich durch eigne Kraft und Erkenntnis in neuen Provinzen ansiedeln zu miissen. 

Was eben von der Reproduktion gesagt wurde, gilt natiirlich im gleichen Sinne 

von der Produktion. Wollen Sie wirklich unsere Dichter, unsere Komponisten dazu 

verdammen, unsere ewig gleichen Gefiihle mit denselben Worten, denselben Mitteln 

auszudriicken, wie unsere Grofimiitter ? Haben unsere Liebesbriefe — der einzige Bezirk, 

in dem alle Menschen kunstlerisch schopferisch sind, noch irgendwelche Ahnlichkeit 

mit denen unserer Grofivater? Und es miifite doch selbstverstandlich sein, dafi die 

Kunst, besonders die des Theaters, immer in engster Blutsverwandschaft zum Leben, 

zur Zeit, steht, denn sonst ware sie tot und „Wissenschaft" geworden. Und diese Zeit 

wird doch nie von der „Menschheit", also von Ihnen, gemacht, sondern immer nur von 

einigen auserwahlten Fiihrern ! Wir sind ja auch niemals starker, als die Zeit, die un- 

beirrt um unsere Zustimmung oder Ablehnung ihren Weg geht Deshalb ist es zum 

mindesten Selbsterhaltungspflicht, sich mit der Zeit auseinanderzusetzen. Und die Arena 

dieser Auseinandersetzung so lite das Theater sein. 

Binsenwahrheiten ? Vielleicht. Und doch miissen sie wohl immer wieder ausge- 
sprochen werden, bis — ja bis eines Tages die grofie Opernrevolution ausgebrochen 
und bis das Theater und das Publikum von morgen aus den Trummern des Gestern 
und Heute entstanden ist. 

Ich habe angedeutet, was auf beiden Seiten nicht sein sollte, und darf nun noch 
kurz — da das Meiste sich aus dem Gesagten von selbst ergibt — hinzufiigen, was 
(meiner Meinung nach) sein sollte. Die Voraussetzungen sind, wie ich zu zeigen versucht 
habe, die schwierigsten, die Folgerungen die einfachsten. 

Wir sahen, wie ungeheuer die Anforderungen sind, die an die Verantwortlichen 
und die Ausfiihrenden der Oper gestellt werden miissen : an den Intendanten, Regisseur, 
Kapellmeister, Biihnenbildner und Sanger (um hier die beiden Fundamente des Or- 



594 ANDRE COEUROY 



ehesters und Chors gar nicht zu erwahnen, denen eine eigne Betrachtung gewidmet 
werden imifite). Es ergibt sich daraus und aus der taglichen Erfahrung die klare 
Folgerung, dafi es eine solche Fulle hochstehender und umfassender Personlichkeiten 
garnicht geben kann, wie sie der augenblickliche „Betrieb" von neunzig (!) deutschen 
Operntheatern erfordert. Es kommt als wesentliches und selten beachtetes Moment 
hinzu, dafi das (unbedingt zu fordernde!) ideale kiinstlerische Ergebnis nur durch die 
harmonischste, vom gleichen Hafen auf gleiche Ziele steuernde Zusammenarbeit dieser 
Faktoren: Intendant, Regisseur, Buhnenbildner, Kapellmeister und Sanger zu erreichen 
ware. Ich frage deshalb : 

1st es wirklich notwendig, dafi die Mehrzahl aller deutschen Operntheater durch 
den sinnlosen, in keinem Verhaltnis zum Ergebnis stehenden „Betrieb" gezwungen wird, 
alljahrlich nach unzureichendsten Proben zwanzig bis dreifiig Opern in Karikaturen 
herauszustellen ? 

1st es wirklich notwendig, dafi Staat und StiLdte ungezahlte Millionen auf diesem 
verlogenen, angeblichen Kulturaltar opfern ? 

1st es wirklich notwendig, dafi ein bildungsfahiges Publikum von etwa 30 Milli- 
onen Deutschen durch Ubersattigung diese Statte, die ehedem ein Volk zur Feier sam- 
melte, meidet, verachtet oder zum Zeitvertreib erniedrigt ? 

Ware es nicht^ rich tiger und schoner, sparsamer und wesentlicher, wenn Deutsch- 
land (wie die anderen Lander ! ) * nur wenige Operntheater hatte ? Und wenn diese 
Theater eine Auswahl der besten Fiihrer und Mannschaften garantierte? Wenn diesen 
Theatern alle Mittel zu tiefster umfassendster Vorarbeit zur Verftigung gestellt wurden ? 
Sodafi sie auch alle Mitarbeiter (und nicht nur die „prominenten", ein en Begriff, den 
es dann nicht mehr geben wird) menschenwurdig bezahlen konnten ? Wenn diese The- 
ater — wandernd — mit einigen wenigen, aber bis ins Letzte durchgearbeiteten Opern 
die Menschen wirklich begliicken und ihnen einige Male im Jahr ein wirkliches Fest 
bereiten wurden? 

Und wenn dieser Traum eines kommenden Operntheaters zu verwirklichen ware, 
wiirde man erkennen: Die Oper ist nicht tot, sondern sie hat noch kaum begonnen, 
zu leben ! 

AUSLAND 

Andre Coeuroy (Paris) 

ENTWICKLUNG DER NEUEREN FRANZOSISCHEN SCHULE 

1. 

Mit dem Auftreten von Franck und Wagner verlor die franzosische Musik, die 
eines Gounod, eines Bizet, ihre Autonomic Sie gewann sie wieder dank kiihnen Pio- 
nieren, lauter Erfindern von Neologismen, unter denen Debussy den Ruhm geerntet hat. 
Da ist Faure, der an Gounod ankniipft, Chabrier, der sich auf Bizet bezieht, Duparc, 
Lalo und der allzu grundlich vergessene Chausson; ihm hat der francko-wagnerische 
Begeisterungstaumel nie die Klarheit und Subtilitat seiner Schreibweise mit den vor- 



ENTWICKLUNG DER NEUEREN FRANZOSISCHEN SjCBU.L'E 595 

debussystischen Nonen verdunkeln konnen, die aus den Liedern des Jahres 1882 spricht: 
die aufierordentliche Geschmeidigkeit seines Satzes wird spater bei Faure auftauchen, 
diese Fiihrung der Modidationen, weniger gemafi der musikalischen Logik als vielmehr 
eingegeben von der Eigenart der Bilder, die der Text oder eine vorgestellte Farbe sug- 
geriert hat, wird man bei Debussy wiederfinden. 

Die franzosische Schule ist eine Palette, auf der ein jeder seine eigene Farbe ein- 
tragt. Und jeder, fur sich genommen, widerlegt die anderen. Man empfindet es, urn 
die Wahrheit zu sagen, als etwas aufreizend, inimer nur von .,unserem Claude", von 
j,Claude de France", „von dem franzosischen Musiker" reden zu horen. Aber alle anderen ge- 
horen ebenfalls zu Frankreich, mit ebenso tiefer Berechtigung, nur unter einem anderen 
Gesichtspunkt, mag es sich nun um Vincent d'Indy oder Saint-Saens handeln. Gerade 
das ist die Grofie der franzosischen Schule, dafi sie sich nicht einem einzigen Menschen 
zuordnen lafit. Und auch das ist ein Zeichen von Grofie, dafi sie individuell und 
aristokratisch genug ist, um vor dem Ansturm der Eindringlinge ihre Selbststandigkeit 
zu bewahren. Betrachten wir die „Gwendoline" von Chabrier. Sie ist entstanden in 
den heroischen Zeiten des Wagnertums, und zwar eines Wagnertums, das sich noch 
mehr im Literarischen als im Musikalischen kundgab. Jenseits der Wickinger, der 
nordisclien Sagas, jenseits der Krieger aus Walhall und der schonen blonden Madchen 
mit den langen Flechten gab es kein Heil fur die Operndichtung. Das dem Musiker 
vorgelegte Libretto war tragisch und vielfarbig; man sah darin, nach den feststehenden 
Gewohnheiten der Operndramaturgie, die Ensembles, Duette, Rezitative abwechseln (in 
der Verfuhrungsszene des wilden Harold durch die zarte Skandinavierin) mit einem 
Seitenblick auf die komische Oper, der unweigerlich, trotz der grofiartigen Anlage des 
Textbuches, denken lafit an eine der auf boshafte Weise sehr poetischen Partiturseiten 
des Claude Terrasse in seinen „Travaux d'Hercule". 

Es ist durchaus kein Sakrileg, neben Gwendoline den Namen eines Meisters der 
franzosischen leichten Musik zu nennen. Chabrier ist vom gleichen Stamme, hier eben- 
so gut wie im „Roi malgre lui". Heute, da der wagnerische Horizont sich geklart hat 
und wir, um ihn zu betrachten, seinem Nebel entronnen sind, mufi man staunen, dafi 
die Zeitgenossen der Urauffuhrung die Musik der Gwendoline einzig auf die Rechnung 
Wagners gesetzt haben. Einige Formeln erschopfen noch nicht ein Werk, die Kutte macht 
nicht den Monch. Gwendoline ist eher mit Carmen verwandt als mit Tristan. In 
manchen Augenblicken bricht eine fast naive Heiterkeit aus. und liberall weht, mitten 
unter diesen blutdxirstigen Nordlandern, der starke Wind des Mittelmeeres. 

Roland-Manuel schrieb einmal: „Es scheint nicht, dafi man hinlanglich die Be- 
deutung dieses Jahres 1887 erkannt hat, welches entstehen sah den „Roi malgi'e lui" 
von Chabrier, das „Requiem" von Faure, die „Demoiselle Elue" von Debussy, nicht zu 
vergessen ein wichtiges und trotz seiner Winzigkeit folgenschweres Werk: die Sarabanden 
von Eric Satie." Die Nachahmung Wagners und Francks sind bereits nur noch Luft- 
spiegelungen auf dem Wege der franzosischen Musik. Trotz Wagner und trbtzFranck 
leben, und werden leben, die sevennische Sinfonie und die grofien Werke eines d'Indy. 
Was die Schule der Schola Cantorum rettet, das ist die Wiederbesinnung auf die Stimmen 
der Stamme; d'Indy hat sich der Lieder des Vivarais entsonnen, Ropartz oder Le Flem 
der bretonischen Gesange, Deodat de Severac hat die Melodien des Languedoc, Char- 



596 ANDRE COEUROY 



les Bordes die des Baskenlandes aufgesucht. Aber rettend wirkt auch die Wieder- 
besinnung auf den gregorianischen Choral, der die wahre Volkskunst der Franzosen ist; 
es fallt nicht schwer, seine Spuren bei Satie und Ravel bis bin zu Poulenc und Milhaud 
zu finden. Die franzosische Musik wieder mit der mittelalterlichen Polyphonie verkniipft 
zu haben, das wird der schonste Ruhmestitel der Schola bleiben. Seit mehr als einem 
halben Jahrhundert ist es das Bestreben der franzosischen Musik, eine moderne Lehre 
in der Vergangenheit zu verankern. Erneuerung in den Grenzen der Tradition: diese 
so typisch franzosische Haltung ist auch die Haltung F a u r e s. Er war der prophetische 
Musiker. Nicht ein stiirmischer Prophet in dem Sinne, wie Berlioz zu sein sich er- 
traumte, sondern ein in sich gefestigter und friedlicher Vorlaufer, der, mitten im heftigsten 
Ausbruch des Wagnertums, die harmonische Sprache von morgen schrieb und zwanzig 
Jahre vor Debussy die Syntax des neuen Jahrhunderts vorausahnte. Aber wenn er auch 
eine Grammatik schuf, so belebte er doch vor allem einen Geist: den abgeschiedenen 
Geist unserer Clavecinisten und den unserer Renaissancemeister. Zeitgenosse von 
Wagner und Franck, drehte er der Beredsamkeit ohne viel Gerausch den Hals um; 
Verlaine fand in ihm das einzige Echo, das er sich wiirdiger Weise wiinschen konnte. 
Die Besten unter den Heutigen verdanken ihm ihr Bestes: ihre eigene Personlichkeit, 
die unter seinen zarten Handen sich entfalten durfte. Seine iiberlegene Reinheit, sein 
feiner Sensualismus, seine Personlichkeit, die tiefer ist als es zunachst den Anschein hat, 
seine Absage an das Dogma haben ihn daran gehindert, die Gunst des Auslandes ?u 
erringen. Saint-Saens war Klassiker, aber er bediente sich der von der grofien ger- 
manischen Sinfonie herstammenden Sprache. Faure war Klassiker, aber er redete die 
eigene Sprache, unverstandlich fur den, der sie nicht von Geburt an spricht. Man muS 
das im Hinblick auf seinen Ruhm beklagen; bedenkt man jedoch, in welchem Grade 
ihm Bewunderung gezollt wird, so darf man sich dariiber freuen. 

Sein Kennzeichen? Es ist dies: Zeuge der Romantik, des Wagnertums, des 
Franckismus, der Debussy-Zeit gewesen zu sein, ohne im geringsten Ziige der Romantik, 
Wagners, Francks oder Debussys angenommen zu haben. Seine Musik, „faureisch" von 
Anfang an, will nicht, wie man komischer Weise heutzutage den Jungen vorwirft, um 
jeden Preis genial sein, aber sie versteht es (hochste Schonheit der Kunst!) in jedem 
Augenblick nur das Wesentliche auszudrucken. Sie mifitraut der Literatur: man er- 
kennt das an der zuriicktretenden Rolle der Titel; wenn diesen einmal eine gewisse 
Wichtigkeit beigelegt wird, ist die Musik schwa ch, wie in jenem Stuck fiir Harfe solo, 
das „Une chatelaine en sa tour" benannt ist. Wenn Faure das franzosische Lied er- 
neuert hat, so dadurch, dafi er Beschreibung und Philosophie verschmahte. Was er an 
Tiefe gewinnt, verliert er keineswegs an Ausstrahlung. Obwohl er sich nie als chef 
d'ecole aufgespielt hat, wurde er doch bestimmend fur die Orientierung der franzosischen 
Musik; man bedenke, dafi er Ravel, Florent Schmitt, Koechlin, Aubert, Ladmirault, 
Roger-Ducasse herangebildet hat. Auch ist ihm aufrichtige Verehrung der jungen Schule, 
der Auric, Poulenc, MUhaud zuteil geworden. 

Es war die geniale Leistung Debussys, dafi er mit einem Schlage das Genie Faures 
erweiterte, indem er der Musik alle' Tore des Gedankens offnete. Einer der Zeitgenossen 
seiner Revolution" hat von dieser gesagt, sie habe eine „offensichtliche Eroberung be- 
deutet, nicht nur auf dem Gebiet der Asthetik, sondern gleicher Weise auf dem der 



ENTWICKLUNG DER NEUEREN FRANZDSISCHEN SCHULE 597 

Philosophic, der Religion und der Moral". Es war der Kampf gegen den Spiritualismus 
eines Franck, der Sieg eines poetischen Pantheismus. Debussy war zwar zu allererst 
Musiker, aber er war doch auch Pflegekind aller Musen und Diener der sinnlichen 
Empfindung. Der Debussyismus war in der Tat etwas ganz anderes als nur die Ein- 
fiigung einiger neuen Formeln in die musikalische Syntax, die, wie alle Formeln, bereits 
veraltet sind und die einzig ein paar unentwegte Schiller ubernommen haben. Der 
Zauber Debussys lag, fur die Musiker, in der Erweckung einer neuen Art, zu fiihlen 
und die Dinge zu begreifen. Man nennt ihn einen Impressionisten. Man hat Unrecht, 
was die Elemente und die Struktur seiner Musik angeht (abgesehen von Nuages, 
Estampes, Images und dem grofiten Teil der Praludien). Aber man hat Recht im Hin- 
blick auf die tiefere Seelenverfassung des Kiinstlers, die bedeutsamer ist als seine Gram- 
matik. Wenn „Pelleas et Melisande" (1902) eines der grflfiten Daten des musikalischen 
Dramas darstellt, so belegt er ein noch wichtigeres Datum fur die gesamte franzosische 
Empfindungsweise. Das ist der Grund, weshalb in den Augen der Auslander Debussy 
allein die Inkarnation des musikalischen Geistes im zeitgenossischen Frankreich repra- 
sentiert; mit ihm wird alle wertvolle moderne franzosische Musik geboren; von ihm 
ist die gesamte altere Harmonie verjiingt word en. „Zuviel Zierrat", hat man gesagt; 
aber Verlaine hatte, mit Riicksicht auf solche Urteile, „die Nuance vor allem anderen" 
gefordert. Jedoch die Nuancen schwachen sich in der Entfernung ab : gewisse Kritiker 
der Balkanlander stellen die Parnassiens und die Symbolisten unter die gleiche Rubrik 
und nennen, wenn sie die Reformatoren der Harmonik herzahlen, in einem Atem Ravel 
und Fanelli. Debussy als der aufierordentliche Schopfer des Pelleas sollte jenen anderen 
Debussy nicht verbergen, der Charles d'Orleans mit seinen Chansons de France, Villon 
mit den Trois Ballades, Tristan l'Hermitte mit dem „Promenoir des deux Amants" herauf- 
beschworen und die Renaissance wiedererweckt hat. Debussy sollte als Zeitgenosse von 
Mallarme nicht den anderen Debussy, den geistigen Abkommling des Rameau und 
unserer Clavecinisten verdunkeln, der 1913 (in den S. I. M.) schrieb: „Reinigen. wir 
unsere Musik,. bemiihen wir uns, sie von Kongestionen zu befreien. versuchen wir, zu 
einer nackteren Musik zu gelangen! Hiiten wir uns, die Bewegung ersticken zu lassen 
unter dem Wust von Motiven und von aufgezwungenen Mustern. "Wie konnten wir 
die Bliite und die Starke der Musik wiedergewinnen, wenn wir das Vorurteil so vieler 
technischer Details konservieren, wenn wir die unmogliche Lehre von dem wimmelnden 
Schwann der kleinen Themen aufrecht erhalten, die sich hin- und herstofien und sich 
gegenseitig nacheilen, um schliefilich auf das arme Gefiihl zu stiirzen, das alsbald sein 
Heil in der Flucht sucht. Es ist eine allgemeine Regel: stets wenn man daran geht, 
eine Form oder ein Gefiihl zu komplizieren, geschieht es deshalb, weil man nicht mehr 
weifi, was man sagen will". ') 

(Deutsche Ubertragung von Hanns Gutman) 



') Der Aufsatz wird fortgesetzl. 



598 MELOSKRITIK 



MELOSKRITIK 

Die neue, hier angestrebte Form der Kritik beruht darauf, dafi 
sie von mehrereu ausgeiibt \Vird. Dadurch soil ihre Wertung von 
alien Zufalligkeiten und Hemmungen abgelost werden, denen der 
Einzelne ausgesetzt ist. Langsam gewonnene, gemeinsame Formu- 
lierung, aus gleicher Gesinnung entstanden, erstrebt einen hoheren 
Grad von Verbindlichkeit. So ist jede der vorgelegten Bespre- 
chungen ein Produkt gemeinsamer Arbeit der Unterzeichneten. 

I. 

ZUR SOZIOLOGIE DER MUSIK 

l. 

Wenn man sich heute mit Musik beschaftigt, gerat man zwangliiufig an Fragen- 
kreise, die uber den engeren Bereich des Musikalischen hinausweisen. Denn gerade in 
unserer Zeit ist das Verhaltnis zwischen dem Kunstwerk und denen, an die es sich 
wendet, fliefiend geworden. Es war etwa ein Jahrhundert lang an bestimmte Kon- 
yentionen gebunden. Diese Lage bezeicbnet der Typus ernes Beethovenschen Aka- 
demiekonzerts, fur das jedermann sich (im Gegensatz zu der friiheren hofischen Musik- 
pflege) den Eintritt erkaufen konnte. Das war eine mittelbare Auswirkung der damals 
neuen demokratischen Idee. Die gleiche Idee erfafit in unserer Zeit einen weit grofieren 
Kreis von Menschen. Eine neue Schichtung der Klassen macht es notwendig, die Frage 
iiach dem Verhaltnis zwischen der Kunst und ihren Verbrauchern neu zu formulieren. 
Wir sehen in den Organisationen und Erscheinungsformen des Musikbetriebs ein ver- 
wirrendes Durcheinander. Neben dem alteingesessenen Abonnentenpublikum in Konzert 
und Oper stehen die Organisationen der Volksbiihnenbewegung. Von der einen Seite 
her sucht der Arbeitersangerbund, von einer andern die Jugendmusikbewegung, aus 
aktiver musikalischer Betatigung zu einer Erneuerung zu gelangen. Der schafFende 
Musiker drangt aus seiner Isoliertheit heraus; er erstrebt mit neuen Ausdrucksmitteln 
Kontakt mit einem unverbrauchten, durch Bildung unbelasteten Publikum. 

Denn die scheinbar so triviale Frage des Publikums rtickt jetzt in den Mittelpunkt 
einer brennenden Prpblemstellung. Durch die sozialen Umschichtungen der letzten zehn 
Jahre kommen ganz neue Kreise von Menschen mit Musik in Beriihrimg. Von dieser 
Perspektive aus entstehen drei Typen. Zum ersten gehort das Publikum, das, getragen 
durch die Volksbiihnenbewegung, in das Parkett der Operntheater einriickt. Man gibt 
ihm ohne Bedenken das iibliche Repertoire, in dem unaktive Auffiihrungen der 
Klassiker und neuere Epigonenmusik vorherrschen. Den zweiten Typus finden wir vor 
allem in den Sangerbiinden der Arbeiterbewegung. Hier gelangen Menschen zum prak- 
tischen Musizieren, die der Musik von sich aus zunachst fern standen. Auch sie gleiten 
in den Stoffkreis der Liedertafeln und Mannerchore hinein. Ein dritter Typus scheint 
iiberhaupt aufierhalb der Musik zu stehen. Es ist der „Mensch unserer Zeit", dessen 
Interessen sich in Technik und Sport erschflpfen, der bestenfalls Musik im Radio oder 
durch das Grammophon konsumiert. 

Die Entwicklung der neuen Musik schien diesen soziologischen Tatsachen zuerst 
in keiner Weise zu entspreclien, sich sogar in Widerspruch zu ihnen zu stellen. Musik, 
wie sie etwa aus dem Kreise Schonbergs kam, ist iiberspitzter Individualismus, schon 



MELOSKRITIK 599 



durcli ihre Sprache nur wenigen Eingeweihten zuganglich. Eine solche Luxusmusik 
widersetzt sich mit bewufiter Betonung jeder Gemeinschaftsbildung. 

Diese im Wesen resignierende Musik wird durch eine andere, jiingere verdrangt, 
die wieder den Weg zur Allgemeinheit sucht. Sie findet in der Oper sehr friih eigen- 
willige und personliche Formulierungen, im Konzert auf einer anderen l^bene 
neue Wirkungsmoglichkeiten. Daneben erscheinen vereinzelte Ansatze, Musik einem 
soziologischen Zweck einzuordnen. Hier steht ein Werk wie die Dreigrosclienoper von 
Brecht und Weill, andrerseits die Musik, die Hindemith „fiir Liebhaber und Musikfreunde" 
schreibt und die zu der Wiederlebung alter Polyphonie durch die Jugendmusikbewegung 
in Beziehung zu setzen ist. 

Es entstehen folgende drei Fragen, die ungefahr den vorher gekennzeichneten 
Typen entsprechen. Ist es notwendig, dafi die neuen Horerschichten den Weg der Ent- 
wicklung mit aUen Irrtumern und fruchtlosen Umwegen hocheinmal gehen ? Gibt es 
neue Inhalte, welche an die Stelle der alten treten konnen ? Wie weit ist es nicht 
iiberhaupt eine irrige Voraussetzung, dafi der heutige Mensch mit Musik, mit Kunst im 
allgemeinen, etwas zu tun haben mufi? Wir wollen versuchen, ohne Anspruch auf 
irgend eine Vollstandigkeit, zu diesen Fragen Stellung zu nehmen. 

2. 

Ehe wir dazu kommen, bestimmte Forderungen aufzustellen, wollen wir an dem 
besonders augenfalligen Beispiel der Oper die soziologische Sti'uktur unseres Musiklebens 
betrachten. Der durchschnittliche heutige Opernbesucher verlangt noch immer nichts 
als schone Stimmen, angenehme sinnliche Eindriicke, stoffliche Beizwirkungen und eine 
aufiere Dramatik in Geste und Bild. Diese Situation hat sich dadurch nicht im ge- 
ringsten geandert, dafi der Zustrom des Publikums aufierordentlich anwuchs. Im 
Gegenteil: die neuen Horerorganisationen, die zu dem alten Publikum hinzutraten, 
stellen an die Oper noch geringere Anforderungen als dieses. Denn es fehlen ihnen 
sowohl die Tradition eines ganzen Jahrhunderts, wie auch die geistigen Vorbedingungen, 
die auf der andern Seite, wenn auch verwassert, docli noch spiirbar sind. 

Die Erwartung, dafi hier eine unvoreingenommene, fur alle starken, neuen Ein- 
driicke aufnahmefahige Horerschaft entstande, hat sich nicht erfullt. Denn das Hin- 
streben zu der scheinbaren Bildungshohe der alten Stammsitzinhaber und zugleich die 
naive Hingabe an das Stoffliche lafit sie willenlos in die unsaubere Kunstanschauung 
der andern hinubergleiten. So ist ihre Einstellung zur Oper in erster Linie durcli 
deren narkotische und dekorative Wirkungen bestimmt. Und ein echter und primitiver 
Theatereindruck wie Strawinskys ,.Geschichte vom Soldaten" wird von ihnen abgelehnt, 
weil es ihnen unterhalb dieses vermeintlichen Bildungsniveaus zu liegen scheint. 

Diese Tatsache zeigt, dafi hier etwas schief ist. Nur ein vorsichtig wagender 
und fiihrender Spielplan konnte das Publikum allmahlich auf eine reinere und sach- 
licbere Basis stellen. Ein soldier Spielplan miifite einige in diesem Sinne gefahrliche Zonen 
der Oper bewufit ausschalten. Das veristische Musikdrama miifite fallen, die neuroman- 
tische Oper auf ihren Lebendigkeitswert hin sorgfiiltig gepriift werden. Vor allem 
miifiten die Auffiihrungen selbst ebenso sehr von dem iiblich gewordenen verschmierten 
Pathos gereinigt werden wie von ihrem unechten provinziellen Naturalismus. Dieser 
Weg wird von einigen zielbewufiten Fiihi-erii beschritten. Und wenn gerade solche 



600 MELOSKRITIK 



positiven Versuche boykottiert und die ausgetretenen Repertoireauffuhrungen ostentativ 
bevorzugt werden, dann entsteht allerdings die Frage, wie weit die bestehenden Formen 
der Oper uberhaupt noch in Beziehung zu der Aktivitat und Diesseitigkeit des heutigen 
Lebens gesetzt werden konnen. 

Ausblicke ergeben sich nach zwei Seiten. Einmal wird die grofie representative 
Oper als gesellschaftlicbes Ereignis weiterbestehen, zu dem sich aucb der Volksbuhnen- 
horer langsam emporbildet Daneben werden vereinzelte Ansatze sichtbar, den Begriff 
Oper auf einer vollig neuen soziologischen Basis zu formulieren. Hier stent die „Drei- 
groschenoper" von Brecht und Weill, wichtiger vielleicht als S) r mptom, denn als Kunst- 
werk. Damit ist der Ausgangspunkt fur eine eingehendere stilistische Untersuchung 
dieses Stiickes gegeben. ') Hans Mersmann, Hans Schultze-Ritter 

und Heinrich Strobel 

II. 

Im Rahnien der MELOSKRITIK werden audi Besprechungen 
durch einzelne Personlichkeiten vorgenommen, die von der Werk- 
besprechungskommission urn Bearbeitung eines bestimmten Gebiets 
, gebeten wurden. 

ANDRE COEUROY: 

PANORAMA DE LA MUSIQUE GONTEMPORAINE 

Dies Buch des Franzosen Andre Coeuroy ist fur den deutschen Leser von Interesse 
nicht so sehr wegen besonders tiefdringender und origineller Erkenntnisse iiber das 
Wesen zeitgenossischer Musik als vielmehr durcli eine ganz anders gerichtete Einstellung 
zu ihren Erscbeinungsformen. Die Verschiedenheit der Nationalitat bedingt eine Ver- 
schiebung des Blickpunktes, durcli welcbe. vieles eine neue und uberraschende Beleuch- 
tung erhalt. Das zeigt sich schon in der Art der Problemstellung und in der Wahl 
des Ausgangspunktes. 

Musik ist fur Coeuroy ganz im Sinne einer literarisch-rationalistischen Musik- 
asthetik, wie sie in Frankreich stets heimisch war, eine Sprache, und deshalb vor allem 
national. Bisher beherrschten Deutschland, Frankreich und Italien den Charakter der 
gesamten abendlandischen Musik, aber jetzt sucht jede, auch die kleinste Nation, durch 
Erforschung und Bearbeitung ihres musikalischen Volksgutes zu einer eigenen nationalen 
Musik zu gelangen. Sadie der kunstlerischen Potenz ist es, aus diesem Rohmaterial 
eine adaquate Form zu entwickeln und so einen autonomen Stil zu schaffen. Es folgt 
nun eine durch die Fidle des beigebrachten Stoffes fesselnde Ubersicht iiber die Be- 
muhungen dieser Lander um eine nationale Kunst. Hier nimnit der Verfasser gelegent- 
lich gar zu rasch den Willen fiir die Tat und sieht Erfolge, wo erst bescheidene Ansatze 
vorhanden sind, die sich auf rein stoffliche Wirkungen und ein gewisses Lokalkolorit 
beschranken. Die wirklich erste grofie Erfiillung ist fiir ihn Strawinsky in der Epoche 
des „Petruschka", des „Sacre" und der „Noces". Mit letzteren stofit Strawinsky zum 
objektiven Stil der Sonate, des Konzerts und des „Oedipus" vor. Hier endlich geschieht 
die letzte Befreiung vom Gegenstandlichen ; ahnlich wie in der abstrakten Malerei wird 
die „reine Materie" der Musik organisiert und kiinstlerisch gebunden. Dies wird er- 
lautert an einer geistreich durchgehihrten Parallele zwischen Strawinsky und Picasso, in 
der die artistisch-kosmopolitische Atmosphare dieser Kunst sehr fein aufgefangen ist. 

*) Sie bildet das Thcma der Meloskritik im nachsten Heft. 



MELOSK.RITIK 601 



Audi die Lander mit alter musikalischer Vergangenheit beimihen sich urn Er- 
neuerung der Krfifte. Da sieht der Verfasser nicht so sehr das Krisenhafte der Lage, 
den Bruch mit dem Alten, als vielmehr das Zuriickgreifen auf Gewesenes. Das ent- 
spricht einer typiscli franzosischen Geisteshaltung, die noch stets aus der Riickbesinnung 
auf die Tradition ihre starksten Werte gewonnen hat. So werden die Bestrebungen 
der jungen Generation Italiens zusammengefafit in den Worten: „Die italienische Musik 
hat das Lachen Bossinis wiedergelernt". 

Anders erscheint ihm die Situation in Deutschland. Hier werden durch Schonberg 
und Reger neue Wege gewiesen. Aber sie fiihren zu einer Uberschatzung der Poly- 
phonie, zu einer Uberladung mit abstrakter Problematik. Eine solche Musik „droht den 
Kontakt mit den Tonen zu verlieren, sie existiert mehr fur's Auge als fur's Ohr". Trotz- 
dem kann sie sich nicht ganz loslosen von romantischer Traumerei, und selbst der 
„ungestume Maschinismus" eines Hindemith ist nicht frei davon. Es uberwiegt aber 
der Gesamteindruck einer diisteren freudlosen Gehirnmusik, weit entfernt von der 
„Goetheschen Klarheit und Gelassenheit Strawinskys" ; und es erscheint wie ein gliick- 
licher Zufall, wenn Kurt Weill einmal einige frische Melodien schreibt, „die sich nicht 
scheuen, hiibsch zu sein". So sicher dieses Urteil schief ist und ganz wesentliche 
aktive Werte der neuen deutschen Musik iibersieht: es gibt immerhin Anregung zum 
Nachdenken. 

In Frankreich gait es zunachst, den Impressionismus Debussys zu iiberwinden. 
Trotzdem fuhlt sich die junge Generation Debussy stets verpflichtet. Denn er hat die 
Musik von dem ubermachtigen Einflufi Beethovens und Wagners gereinigt. Aber es 
kommt die erregende Wirkung des Jazz, des „Sacre" von Strawinsky. Satie ironisiert 
jene Musik, „die man anhort mit dem Kopf in den Handen", in Stiicken wie den 
„Embryons desseches" und den „Airs a faire fuir". Er sammelt nach dem Krieg die 
Jugend um sich, und die Gruppe der „Sechs" erstrebt nun eine neue, versachlichte aber 
nichts desto weniger lebensfrohe und wirklichkeitsnahe Musik voll rhythmischer Konti- 
nuitat und klanglicher Sauberkeit, die erfullt ist vom Geiste Molieres und von gallischer 
Heiterkeit. „Sie entgeht den Abgriinden, die sie streift, weil sie den sicheren Weg 
franzosischer Tradition nicht verlafit, aber einer Tradition, die vorwarts schreitet im 
Gewande einer neuen Zeit". 

Nun folgt eine Uberschau uber die asthetischen, stilistischen und technischen Werte, 
die aus der neuen Musik herausgewachsen und internationales Gemeingut geworden 
sind. Die Begriffe einer „reinen Musik", des Neuklassizismus werden behandelt, die Ent- 
wicklung der modernen Harmonik gestreift. Tonale bezw. polytonale Musik wird 
abgegrenzt gegen chromatische Atonalitat. Die neuen Klange, die Einwirkung des Jazz, 
Viertelton- und Maschinenmusik werden erortert und endlich die neuen Formen der 
Oper, des Balletts und der Konzertmusik. Zwar kornmt es nie zu einer Analyse, die 
bis in die Tiefe der Probleme vorstofit. Dafiir aber ist alles sehr unmittelbar und per- 
sonlich gesehen und aufschlufireich durcli die grofie Fiille des Materials und durch 
Zitate interessanter Aufierungen von fuhrenden Musikern. 

Es ist ein Buch vpll echt franzosischen Geistes, aber durchaus frei von natio- 
nalistischer Uberheblichkeit, ein Buch nicht so sehr der Erkenntnis als lebendiger Schau. 

Hans Schultze-Ritter 



602 ERNST. LATZKO 



RUND FUNK 

Ernst Latzko (Leipzig) 

RUNDFUNK-UMSCHAU 

Novemberprogramm-Tonfilm 

Der November stand nattirlich auch im Rundfunk unter dem Zeichen Schuberts. 
Allerdings handelte es sich eher urn die Aneinanderreihung mehr oder weniger ge- 
ungener Einzelauffuhrungen, als da£ die Sendeleitungen versucht hatten, von einem 
hoheren Gesichtspunkt aus, mit Zuhilfenahme des erklarenden Wortes, das Schaffen 
Schuberts im Zusammenhang und in seinen Bedingtheiten darzustelleh. So ergibt sich 
als einziges Resultat die Bekanntschaft mit bisher verborgenen "Werken des Meisters 
und hier mufite sich als dankbarste Aufgabe die Ausgrabung seiner Opern erweisen, 
die ja in erster Linie das Opfer ihrer Textbiicher wurden und durch eine rein akustische 
Auffiihrung nur gewinnen konnten. So konnte man in Koln die Urauffuhrung (!) der 
„Freunde von Salamanca", in Frankfurt „Fierrabras", in Munchen „Der vergessene 
Wachtposten" und in Hamburg „Die Verschworenen" horen. Der gleiche Sender wieder- 
holte das Programm des einzigen von Schubert mit eigenen Werken am 26. Marz 1828 
veranstalteten Konzertes und Leipzig setzte sich fur selten gehorte Orchesterwerke ein, 
unter denen ein Rondo und ein Konzertstuck fur Violine und Orchester besonderes 
Inleresse erregten. 

Im ubrigen war das Novemberprogramm nicht gerade reich an Ereignissen. Berlin 
setzte seinen Cyclus „Musik der Gegenwart" fort und brachte Totenlieder fur Bratsche 
und Klavier von Alexander Weprik, „Aus dem Dorf", Quintett fur Flote, Klarinette, 
Violine, Bratsche und Kontrabafi von Slavenski und Lieder von Jirak. Frankfurt sandte 
ein Programm in der Veranstaltung „Die neue Zeit", in der die Musik durch zwei 
Lieder aus Weills „Mahagonny", drei lustige Marsche von Krenek und Honeggers 
pacific" vertreten war. Dieses Werk entwickelt sich allmahlich zu einer der am haufigsten 
im Rundfunk gespielten Kompositionen. In diesem Monat erschien es auch im Stutt- 
garter Programm. Gleichsam als ob die in ihm lebendigen maschinellen Krafte es 
auf eine technisch bedingte Auffuhrung verwiesen. Auch sonst wird Honegger jetzt 
vom Rundfunk bevorzugt. Die „Konig David"-Suite wird in Hamburg gespielt, die 
Sonate fur Cello und Klavier in Koln. Rudi Stephans „Musik fur sieben Saiteninstru- 
mente" war in Stuttgart und in Leipzig zu horen, in Stuttgart auch Weills Konzert fur 
Solovioline, zehn Blaser und Schlagzeug. Hans Gals Divertimento fiir Flote, Oboe, zwei 
Klarinetten, Trompete, zwei Horner und Fagott wird in Breslau gebracht, das sich durch 
die Auffuhrung der „Fruhlingsfeier" des kiirzlich verstorbenen Carl Prohaska ein be- 
sonderes Verdienst erwarb. Dankenswert war die Ubertragung der Missa symphonica 
von Windsperger durch den Berliner Sender. Hindemith war diesmal nur mit der 
Sonate fiir Cello und Klavier in Koln vertreten, Schoeck mit Orchesterliedern in Leip- 
zig. Schliefilich sei noch das Stuttgarter Programm „Der Jazz in der modernen sin- 
fonischen Musik" erwahnt, weil es die Auswertung des tanzerischen Momentes in der 



RUNDFUNK-UMSCHAU 603 



Musik der Gegenwart in den gewahlten Werken — Milhaud : „Saudades do Brasil", 
Eisler: .,Palmstrom", Studien uber Zwolftonreihen fur Sprechstimme, Flote, Klarinette 
Violine und Cello, Blifi: ,. Conversations", Weill: „Tango Angele" und ,, Alabama Song", 
Gruenberg: „Daniel Jazz" — gut zum Ausdruck bringt. 

Der Plan der Frankfurter Sendeleitung, an Sonntag-Vormittagen alle neun Bruck- 
schen Sinfonien zur Auffiihrung zu bringen, verdient freudige Zustimmung. Leipzig 
setzte seinen Cyclus „Das Klavierkonzeit in drei Jahrhunderten" mit Werken von Schobert, 
Wagenseil und Joh. Chr. Bach fort 

Von Opernauffuhrungen, bezw. -iibertragungen, seien Wetzlers ,,Baskische Venus'' 
in Leipzig, Bizets „Perlenfischer" in Berlin, „Titus" in Konigsberg und „Falstaff" in 
Daventry genannt. Der auf deni Berliner Programm verheifiene „Oedipus Bex" von 
Stravinsky wurde leider wieder abgesetzt. 

Erwahnt sei noch, dafi die Jodeschen Rundfunk-Singstunden nun vom Breslauer 
Sender veranstaltet werden. 

Die in der letzten Zeit gemachten Versuche mit deni Tonfilm und zahlreiche im 
Zusammenhang damit aufgetauchte irrige Meinungen iiber diese neueste Moglichkeit 
„mechanischer Musik" rechtfertigen eine Auseinandersetzung Jmit dieser ungeahnte Per- 
spektiven eroffnenden Erfindung. Da sie zunachst den Physiker noch mehr angeht als 
den Musiker, seien hier die Aufierungen eines Fachmannes, des Vorstands der Mittel- 
deutschen Bundfunk-A.-G., Dr. h. c. Fritz Kohl, wiedergegeben : 

„Um von vornherein einen Irrtum auszuschalten, der immer wieder auftaucht 
mufi erwahnt werden, dafi unter dem Tonfilm nicht etwa die Vereinigung von 
kinematographischer Aufnahme und Ton sondern ausschliefilich die Auf- 
nahine des Tones auf einem Filmstreifen zu verstehen ist. 

Der erzeugte Ton wird genau wie im Bundfunk mit einem Spezialmikrophon auf- 
genommen und so wie dort elektrisch verstarkt. Die verstarkten Strome beeinflussen 
in genau dem gleichen Rhythmus die Helligkeit einer Lichtquelle, deren photochemische 
Wirkung durch einen normalen Filmstreifen, der in bekannter Weise in einem Kino- 
apparat bewegt wird, festgehalten wird. Auf dem entwickelten Film zeigen sich nun 
an Stelle der Tone haarfeine Einzelstriche von verschiedener Helligkeit, die in ihren 
Abmessungen kaum ein hundertstel Millimeter stark sind und alle Frequenzen der auf- 
genommenen Tone wiedergeben. 

Um den Ton wieder zu reproduzieren, ist es nur notwendig, vor einer konstanten 
Lichtquelle den Filmstreifen wieder ablaufen zu lassen und das genau im Rhythmus 
der vorbeigleitenden Schwarzungsuriterschiede variierte Lichtbvindel auf eine lichtelek- 
trisclie Zelle fallen zu lassen, die ihrerseits die Eigentiimlichkeit hat, je nach dem Be- 
leuchtungsgrad ihren elektrisclien Widerstand entsprechend der Lichthelligkeit zu ver- 
andern. Legt man an diese lichtelektrische Zelle eine Spannungsquelle und lafit diese 
auf einen vom Rundfunk her bekannten Lautsprecher oder auch auf einen Rundfunk- 
sender wirken, so wird auf diese Weise die Spannungsquelle im Rhythmus des vorher 
aufgenommenen Tones moduliert und dadurch eine naturgetreue Wiedergabe erreicht. 

Die Vorteile gegeniiber der Schallplatte sind einleuchtend. An Stelle der Mem- 
brane treten Lichthelligkeitsunterschiede, an Stelle des auf die Platte schreibenden 



604 ERNST LATZKO 



Stiftes tritt ein Lichtstrahl, an Stelle der in ihren Dimensionen beschrankten 
Schallplatte tritt der unendliche Filmstr eifen. Hemmungen durch mecha- 
nische Reibung, durch Eigenfrequenz des Systems, etc. sind ausgeschaltet. Der Weg zu 
einer vollkommen naturgetreuen Aufnahme und Widergabe steht often. 

Fiir den Hausgebrauch diirfte auch in Zukunft die Grammophonplatte noch lange 
die bisherige Rolle spielen, da die Filmapparatur kostspielig ist und vorlaufig nicht in 
die Hand des Laien pafit. Dagegen ergeben sich fur den Rundfunk aufierordentlich 
interessante Ausblicke : 

1. ergeben sich die Moglichkeiten der kiinstlerischen Retusche, d. h. bei einer nicht 
in alien Teilen gelungenen Darbietung konnen die mifilungenen Teile gegen bessere 
ausgewechselt werden. 

2. Resonders schwierige Darbietungen, die sich zeitlich ubermafiig ausdehnen, 
konnen auf mehrere Tage verteilt werden, was der Spannkraft aller Ausfuhrenden 
zugute kame. 

3. ergeben sich nach Qualitat und Quantitat weitgehende archivarische Moglich- 
keiten. 

4. erhalt der Rundfunk durch den Tonfilm ein wertvolles padagogisches Mittel, 
da er jetzt die Moglichkeit hat, die Darbietung vor dem Darbietenden selbst 
wieder abrollen zu lassen und bei dieser Gelegenheit Fehler und Schwachen zu 
besprechen." 

Soweit der Fachmann. Auch der Laie wird sich aus diesen Ausfiihrungen ein 
ungefahres Rdd von der Erfmdung, ihrer Redeutung und ihren Moglichkeiten machen 
konnen. Von selbst drangt sich der Vergleich mit der Schallplatte auf. Ausgangspunkt 
und Resultat sind bei beiden Phanomenen die analogen: ein akustisches Ereignis und 
seine Wiedergabe auf technischem, soil heifien, von der Personlichkeit emanzipiertem 
Wege. Verschieden bei den beiden Erfindungen ist das Mittelglied. Rei der Schall- 
platte nimmt die Mechanik diese Stelle ein, beim Tonfilm die Optik und aus der 
Uberlegenheit jeder optischen Wiedergabe vor einer mechanischen hinsichtlich der 
Genauigkeit ergeben sich die Vorziige des Tonfilms. Zu dieser qualitativen Uberlegen- 
heit komrat dann aber noch eine wichtige quantitative durch den "Wegfall des Platten- 
wechsels. 

Die Versuche in Leipzig umfafiten gesprochenes Wort (Thomas Manns Rede an- 
lafilich des Reclam-Jubilaums), Gesang mit Klavier, Gesang mit Guitarre, Cello mit 
Klavier, Streichquartett und Orchester. Dabei kam das gesprochene Wort, der Klavier- 
und der Guitarreton in uberraschender Naturtreue wieder und ergaben hinsichtlich der 
Klangfarbe jetzt schon einen grofien Vorsprung vor der Schallplatte, ein Zeichen fiir die 
Fahigkeit des Tonfilms, die Obertone zu erfassen und der beste Reweis fiir die in ihm 
enthaltenen Zukunftsmoglichkeiten. 



DAS MUSIKPROGRAMM DER ORAG IM WINTER 1928/29 605 

Hermann Scherchen (Konigsberg) 

DAS MUSIKPROGRAMM DER ORAG IM WINTER 1928/29 l ) 

Der Radiohorer soil vor allem Freude durch die Sendungen haben. 1st das der 
Fall, so wird sicb beim Horen von selbst sofort jene Ergriffenheit einstellen, die trotz 
der raumlichen Trennung von sendenden Kiinstlern und aufnehmenden Horern eine 
enge Verbundenheit zwischen beiden herstellt. 1st diese innere Ergriffenheit aber er- 
reicht, so wird sich je nach der Art des einzelnen Horers das fiir ihn wichtigste von 
selbst ergeben: Belehrung, Steigerung des eigenen Lebensgefiihls und Bildung der Per- 
sonlichkeit. 

Ein solches Ziel verlangt, dafi den Horenden nur das Beste und zwar in best- 
moglicher Form dargeboten wird. Die erste Voraussetzung dazu ist, dafi die Programme 
selbst den besonderen Bedingungen der Radioubertragung angepafit sind, und dafi die 
einzelnen Werke keine zu lange Vortragsdauer beanspruclien. Wir behalten uns des- 
halb vor, gelegentlich weitgehend von dem iibrichen Schema der Konzertveranstaltungen 
abzuweichen; Sie werden also — statt abendfiillender Progamme — zuweilen nur ein 
einzelnes Werk, ja mitunter auch nur den wichtigsten Teil einer grofieren Komposition 
zu horen bekommen. Neben wichtigen Orchesterwerken der Konzertliteratur wird der 
Konigsberger Sender in diesem Winter eine grofie Anzahl leichte, aber immer Wert- 
volles enthaltene Programme bringen. Es ist sehr schwer, gerade hinsichtlich der fur 
Radioubertragungen in Betracht kommenden Werke die richtige Auswahl zu treffen; wir 
hoffen dies dadurch erreicht zu haben, dafi der musikalische Spielplan ebenso wie alle 
wichtigen Programme fiir die ganze Wintersaison jetzt schon bis in Einzelheiten fest- 
gelegt ist. 

Die zweite Voraussetzung fiir die Erreichung unseres Ziels besteht in einer moglichst 
hochstehenden und sorgfaltigen Wiedergabe aller Musikwerke. Um diesem Ziel moglichst 
nahe zu kommen, ist seit dem 1. September der Orag ein eigenesKonzertorch ester und 
ein eigener Chor angeschlossen. Die Mitglieder des Chores sind Konigsberger Damen 
und Herren, die seit Jahren am hiesigen Kunstleben Anteil nehmen. Das Orchester ist 
mittels einer grofien Anzahl von Neuengagements aus alien Teden des Reiches zu- 
sammengesetzt worden, was sich von selbst daraus ergab, dafi der bisherige Bestand 
der Rundfunkkapelle um mehr als die Halfte vergrofiert wurde. 

Um fur die musikalischen Darbietungen einen moglichst vollkommenen Grad- 
messer zu gewinnen, der feststellt, wie sich die Klangwirkungen im Mikrophon selbst 
darstellen und somit bei den Radiohorern anlangen, ist zur besonderen Kontrolle der 
Mikrophonvermitt ung Herr Dr. Hansler, Kapellmeister vom Stadttheater Zurich ver- 
pfliclitet worden. Herr Dr. Hansler verfolgt an Hand der Partituren bei den Proben 
im Vortragsraume selbst die beabsichtigten Klangwirkungen und vergleicht damit das 
durch das Mikrophon vermittelte Resultat. 

Wie im vergangenen Jahr wird die Orag wieder eine Reihe eigener Opern- 
und Operettensendungen vornehmen, die durch eine radiodramaturgisclie Bear- 

J ) Wir verotfentlidien die programmatische Einfiihrungsrede, die der Verfasser bei Ubernahme der 
musikalischen Leitung des Konigsberger Rundfunk hielt, um ihrer grundsatzlichen Gesichtspunkte willen. 

Die Schriftleitung. 



606 HERMANN SCHERCHEN 



beitung in sorgfaltigster Weise den Bediirfnissen des Rundfunks angepafit werden sollen. 
Auch hier gehen wir bis auf wenige Aufnahmen von der Voraussetzung aus, dafi die 
Radioveranstaltungen nicht dieselbe Dauer wie die audi gesehenen Auffiihrungen der 
Opernbiihne beanspruchen diirfen. Die in der Orag zu Gehor kommenden Opern- 
sendungen werden in der Hauptsache Werke bringen, die in dem ublichen Spielplan 
seltener enthalten sind, aber doch eine besondere radiotechnische Eignung haben. Aufier- 
dem sind Werke vorgesehen, die in dem Repertoire der Opernhauser nicht vorkommen, 
(wie Handels „Agrippina" nnd Rossinis „Ralienerin in Algier"), die fur das Schaffen der 
betreffenden Meister aber aufschlufigebende Bedeutung haben. 

Neben eigenen Opernsendungen wird der Versuch gemacht werden, besondere Hor- 
spiele als eine dem Radio eigentumliche Form zu schaffen. Wir beginnen diesen Ver- 
such mit dem Umweg iiber solche schon bekannten Werke, die weder rein szenischer, 
noch rein musikalischer Art sind, sondern Mischformen darstellen. Wir nennen hier- 
fur : Strawinskys „Geschichte vora Soldaten", Hermann Reutters ,,Saul" und die neue 
Fassung von Milhauds „Die Ochsen auf dem Dache". 

Der neubegriindete Chor der Orag wird eine Reihe von bisher in Konigsberg 
nicht oder selten gehorten Chorwerken im Senderaum auffiihren. Als erste dieser Ver- 
anstaltungen war im September Handels „Relsazar" zu horen. Eine bisher im Radio- 
wesen nicht vorhandene Neuerung bedeutet die Einfuhrung der Konigsberger 
Motette, die am zweiten Sonnabend jeden Monats als Vesperveranstaltung nachmittags 
urn 17 5 15 stattfinden soil. Wegen des IN aniens „Konigsberger Motette" seien einige er- 
klarende Hinweise gestattet. Die Motette ist eine der kleinsten Kunstl'ormen, ahnlich 
dem Lied und dem Strophenteil des Tanzes. Ihr Kennzeichen ist die Mehrstimmigkeit. 
Sie ist eine der wichtigsten gesellsch aftlichen Kunstformen, da sie nur weniger Aus- 
fuhrender, und ihrer Kiirze wegen, keines allzu grofien Studiums bedarf. Sie war des- 
halb vorwiegend die Domane der kleinen Kirchenchore, der Kammerchore an Fiirsten- 
hol'en und der gesellschaftlichen Chore, die zu den Musikvereinigungen gehorten. 

Ihr Jahrhunderte langer allgemein bekannter Gebrauch, hat in Leipzig an der 
Kirche zu St. Thorn a (an der Johann Sebastian Bach als Kantor gewirkt hat) zu 
folgender Entwicklung gefiihrt: in einer gottesdienstlichen Verrichtung, die am Spat- 
nachmittag des Freitags in jeder Woche stattfand, sang der Chor den Text der Predigt 
und die Handlungen der Liturgie gefiihlsgemiiiJ erganzende Motetten. Durch die 
auserlesene Qualitat des weltbekannten Thomanerchores gewannen diese Darbietungen 
immer grofiere kiinstlerische Redeutung, sodafi man schliefilich als Sondereinrichtung 
an jedem Sonnabend der Woche mittags um 13.30 Uhr rein konzertmafiige Wieder- 
holungen dieser Musikdarbietungen (bei unentgeltlichem Eintritt) in der Thomaskirche 
veranstaltete. Die Grundlage dieser Veranstaltungen blieben nach wie vor die Motetten. 
Um das Programm den Redurfnissen eines Konzerts entsprechend abzurunden, wurde 
es bald durch Orgelvortrage und freiere und grofiere Gesangsformen erweitert z. R. 
durch Chorvariationen und Kantaten. Diese Veranstaltungen aber wurden entsprechend 
ihrer Herkunft aus den Motettenauffiihrungen ganz einfach „Leipziger Motette" genannt. 

Wenn wir nun heute unternehmen woUen, mittels des Oragchores eine Konigs- 
berger Motette ins Leben zu rufen, so ist damit gemeint, unseren Veranstaltungen 
im Gegensatz zu der ausschliefilich auf geistliche Musik beruhenden friiheren 



DAS MUSIKPROGRAMM DER ORAG IM WINTER 1928/29 607 

Motette regelmafiige Motettenauffiihrungen weltlichen Charakters zu Grunde zu legen. 
Dafi die Motette in beiden Erscheinungen sowohl als geistliche wie als weltliche 
Kunstform vorkommt, bewies schon unsere Erwahnung der verschiedenen Chore, durch 
welche sie in vorigen Jahrhunderten zum Vortrag gelangte. — Bei den Konigsberger 
Motetten soil ferner der Versuch gemacht werden, durch eine in das Programm einge- 
schlossene Vorlesung oder einem entsprechenden Vortrag, den Sinn des Grundplans 
jeder Veranstaltung durch das Wort nochmals begriffs- und gefuhlsgemafi zu gestalten. 
Das ist nur moglich, wenn solche Heranziehung des Wortes auf kiinstlerischer Basis 
geschieht, also nicht in wissenschaftlich belehrender Form erfolgt. 

Das musikalische Vortrags wesen der Orag wird in diesem Winter versuchs- 
weise anf eine neue Darstellungsform gebracht werden. Es ist beabsichtigt, weniger 
wissenschaftlich betonte, rein belehrende oder unterrichtende Vortrage abzuhalten, als 
den Horern eine Darstellung des Vortragsstoffes zu geben, wie er unmittelbar im Leben 
wahrgenommen werden kann. Ferner soil versucht werden, die Badiohorer nicht 
nur zuhoren, sondern denkend an der Entwicldung der Vortrage und der diesen 
zu Grunde liegenden Stoffe teilnehmen zu lassen. Dies wird so geschehen, dafi ein 
Problem, wie z. B. das der musikalischen Melodie in einem Zwiegesprach behandelt 
werden soil, das unmittelbar ankniipft an den Vortrag eines auf der Flote geblasenen 
Liedes. Aufier der eben gekennzeichneten Gespriichsform des Dialogs als neuem Dar- 
stellungsmittel fixr die Musik betreffende Probleme, wird die Unterhaltung mehrerer Per- 
sonlichkeiten (z. B. im Anschlufi an ein vierstimmig gesungenes Musikstiick) und die 
Lehrform (als die durch den Sender mitgeteilte Art des Unterrichts einer grofieren 
Anzahl von Schiilern) zur Anwendung gelangen. Auf diese Weise sollen die Horer 
nicht, wie meist im wissenschaftlicli betonten Vortrag Besultate mitgeteilt bekommen, 
sondern Gelegenheit haben, in inniger Fiihlungsnahme mit dem Material des Vortrags 
an den Denkprozessen selbst Anteil zu nehmen. 

Bei dieser Gelegenheit sei darauf hingewiesen, dafi wichtige Themen kiinftig- 
hin zum Teil durch besonders geeignete Badiosprecher in Vortragsform verlesen werden, 
wahrend die Verfasser dieser Abhandlungen, fur die wir die kenntnisreichsten bedeu- 
tendsten Personlichkeiten des Beiches gewinnen wollen, selbst niclit anwesend sind, 
sondern nur das Manuskript zur Verfiigung stellen. Wir gehen dabei von der Er- 
wagung aus, dafi fiir die richtige Wirkung des im Badio gesprochenen Wortes nicht 
nur der gedankliche Gehalt jedes Vortrags von grofier Bedeutung ist, sondern, dafi die 
klanglich angenehme, rein sprachgemafi gute Wiedergabe durch das Milirophon fur die 
Wirkung des Vortrags ebenso grofie Wichtigkeit hat. 

Die Orag wird von der neuen Saison ab ein eigenes Cembalo besitzen und da- 
mit in der Lage sein, altere Musikwerke in wirklich stilgerechter Klangwirkung zu 
iibermitteln. Durch liebenswiirdiges Entgegenkommen der betreffenden Verwaltungs- 
behorden steht dem Konigsberger Sender aufierdem (wie auch schon im Vorjahr) 
fiir seine musikalische Zwecke die vorziigliche Orgel der Universitatsaula zur Verfiigung. 

Als eine Neueinrichtung bringt das Winterprogramm in jedem Monat eine 
Morgenf eier, in der an einem Sonntag Vormittag unbekannte, grofiartige Werke 
alterer Meister zu Gehor gebracht werden (z. B. von Johann Sebastian Bach „Das 
musikalische Opfer", und von Gluck das letzte Chorwerk des Meisters ,.De profundis") ; 



608 WILLI SCHMID 



die anderen Morgenfeiern sollen die Bekanntschaft mit bedeutenden lebenden Ton- 
kiinstlern yermitteln. Fur diese Morgenfeiern sind August Halm, Philipp Jarnach, 
Erwin Lendvai, Franz Schrecker, Heinz Tiessen, Ernst Toch und Hans Jiirgen von 
der Wense eingeladen worden, personlich im Vortragsraum der Orag zu erscheinen und 
dort Werke von sich zum ersten Male fur Konigsberg sowohl wie in Urauffiihrung zur 
Darbietung zu bringen. 

Ferner ist einer der bedeutendsten lebenden Komponisten, Joseph Mathias 
Hauer, von der Orag beauftragt worden, ein ausschliefilich fur den Konigsberger 
Sender bestimmtes Horspiel zu verfassen. Dieses "Werk heifit: „Vom Leben", 
nach "Worten aus Holderlins ,.Hyperion" und ist fur eine Sprechstimme, Gesangssoli, 
Kammerchor und Kammerorchester geschrieben. 



UMSCHAU 



Willi S ch m i d (Munch en) 

MUSIK UND SCHULE 

Ein Uberbliclc anlafilich der VII. Reichsschulmusikwoche in Munchen. 

Den neuen Ansiitzen zu kollektivistischem Denken und Tun entsprechend vollzieht 
sich in der Nachkriegszeit ein gut Teil an Arbeit und Arbeitsanregung auf Tagungen, 
Kongressen, Zusammenkiinften. Sie sind an sich weder von Ubel noch von Vorteil, 
sondern werden beides erst durch die Art der Aufmachung und der Handhabung. Die 
Reichsschulmusikwochen, veranstaltet vom Zentralinstitut fur Erziehung und Unterricht 
in Berlin, sammeln seit sieben Jahren alle urn die musikalische Erziehung der Jugend und 
des Volkes bemuhten Lehrenden, die dafur interessierten Musiker und Behorden. 
Munchen als Tagungsort — das hat nach verschiedenen Seiten hin Sinn und Bedeutung. 
Die Annaherung der immerhin in wesentlichen Dingen verschieden zentrierten Kultur- 
kreise mufi und wird herbeigefuhrt werden. Sicher wurde sie auf gesangserzieherischem 
Gebiet durch die Miinchner Tagung in die Wege geleitet. Deutschland, Dsterreich und 
das deutschsprachige Ausland waren mit iiber 900 offiziellen Teilnehmern und mehreren 
hundert Gasten nicht nur quantitativ sondern, was mehr sagen will, auch qualitativ mit 
guten Namen und guten Kopfen vertreten. 

Der gelaufigste Fehler vieler Tagungen, die Uberlastung mit Darbietungen aller 
Art, wurde auch von der Miinchner Woche nicht vermieden, aber durch den Aufbau, 
der die Theorie auf den Vormittag, die Praxis auf den Nachmittag, Konzert und Theater 
auf den Abend legte, einigermafien paralysiert. Das allgemeine Niveau der Vortrage, 
auf die hier nicht naher eingegangen werden kann, lag unterschiedlich hoch. Ein er- 
freulicher Zug zur Sacldichkeit und zur Freihaltung von Fachschlagworten und Mode- 
gedankengangen war festzustellen. Dagegen erreichten nur wenige der Redner die 
konzise, einpragsam zusammenfassende, knappe und klare Form der Darbietung, die man 
zugunsten einer leichteren Aufnahme und geistigen Aneignung des Gedankengutes gerade 



MUS1K UND SCHULE 609 



bei solchen Gelegenheiten sich wiinschen mochte. Die Erziehung der Erzieher — das 
ist ja das eigentliche Problem. Man hatte reichlich Gelegenheit, psychologische Studien 
an den Teilnehmern, den Musik- uud Gesangslehrern, den Studienraten und Kantoren 
zu machen. Weniger in faclilicher Beziehung als in Sachen des allgemeinen Bildungs- 
niveaus, der Klarbeit iiber die geistigen Bewegungen innerhalb der deutschen Musik- 
erziehung im Bahmen der Kulturlage. Charakteristisch fur die Unsicherheit das mehr 
oder weniger kritiklose Hinnehmen des mehr oder weniger autoritativ Gebotenen. 
Trampeln, Klatschen und Beifallsrufe bedankten z. B. am letzten Vormittag Hans 
Joachim Moser, als er mit einigen geschickten taktischen Verklauselierungen eine mutige 
Lanze fur die Jugendbewegung und ihre Ziele brach, Trampeln, Klatschen und Bravorufe 
umschollen Hans Pfitzner eine Stunde spiiter, als er ein feierliches Pereat fiber eben 
diese Jugendbewegung in der Musik, die „den musikalischen Sauglingen Schnaps statt 
Muttermilch reicht", aussprach. Um das hier gleich vorweg zu nehmen: das erstaunlichste 
Ereignis der ganzen Beichsschulmusikwoche war eben dieser Vortrag, besser die lose 
gefiigte Schlufirede Pfitzners. Deutlicher konnte die Kluft zwischen dem am Ende einer 
unwiederbringlichen grofien Vergangenheit stehenden Vertreter eines egozentrisch auf 
sich selbst zuriickgezogenen aristokratischen Individualismus und den neuen Kraften 
eines aus fruchtbarem Gemeinschaftsboden gewachsenen lebendigen, von religiosen Im- 
pulsen bewegten Wollens und Gestaltens nicht aufgerissen werden. Dabei kennt Pfitzner, 
wie er eingangs feststellte, weder die Schul- noch die Jugendmusik, weifi nichts von 
der Singbewegung und urteilt aus einer hermetischen Abkapselung heraus. Der Mann, 
der den Palestrina geschrieben hat, mifidcutet den geistigen Anschlufi an die alte Musik, 
hat keine Erfahrung von der inneren Bindung, von der tiefen organischen Beziehung 
unserer Jugend und der lebendig Schaffenden zu ihr. Hier ist ein Anfang — dort ein 
Ende. Es scheint, als ob es keine Briicke gibt. — 

Nach einer Zeit, wo das Erziehungswesen materialistisch erstarrt, einem iiberaus 
organisierten System der blofien Leistungs- statt einer Seins-Kultur diente, hat sich die Auf- 
fassung vom Wesen der Erziehung mit einer schonen und hoffnungsreichen Wendung 
wieder der Entwicklung der seelisch-leiblichen menschlichen Totalitat als ihrer hochsten 
Bestimmung zugewandt. In den Zusammenhang dieser neuen Orientierung ist audi die 
Musikerziehung, die Schulmusik, neu eingeordnet, ist ihr ein neuer Sinn gegeben worden. 
Zeiten naiver sicherer Ktdtur mit ihrem Buhen im Selbstverstandlichen, Unbewufiten 
besitzen das, was wir im zivilisatorischen Zustand bewuiSt wieder zu entbinden suchen, 
die gestaltenden Krafte auch der kunstlerischen Erziehung. Es geht in diesem Sichan- 
spannen um den Sinn und um die Tatsache des neuen Lebensgefiihls, um diesen leider 
schon zum Modewort gewordenen Tatsachenkomplex auch hier so zu bezeichnen. Die 
Soziologen sprechen von der neuen Lebensaggregierung, die dem Menschen als physischen, 
geistigen und seelischen Lebensraum eine neue Welt bietet. In dieser neuen Welt 
geht eine neue Auseinandersetzung mit dem Uberkommenen vor sich. Mit blofier 
Tradierung, blofier Weitergabe im bisherigen Sinn kann nicht mehr ausgekommen 
werden. Das Abreifien des Kontinuums kann nur von denen geleugnet werden, die 
kein Gefuhl fiir die Zeit haben, in der sie stehen. Das stent den Erzieher vor ganz 
neue Aufgaben. Inwieweit und nach welcher Bichtung hin die Musik innerhalb dieses 
neuen Aufgabenkreises eingegliede/t wird, welche Bolle ihr zukommt, das ist nicht so 



610 WILLI SCHMID 



leicht auszumachen. Es ist sclion sehr viel, dafi die Padagogen die Musik wieder als 
geistige Macht erkennen und werten. Ihre Einwirkung auf unsere Jugend und auf miser 
Volk soil freilich etwas ganz anderes leisten und schaffen als blofie asthetische und 
historische Bildung, mehr vermitteln als blofi geistige Unterhaitung, Hoheres bezwecken 
als blofie spielerische Befriedigung des musikantischen Betatigungstriebes. Die Aktivisten 
erwarten von einer vertieften Einwirkung der Schulmusik, zumal des Chorgesangs auf 
unsere Jugend eine neue seelische und geistige Bindung der kommenden Generationen, da- 
durch eine Wiederbelebung, besser Begeneration der Volksmusik und damit Freiwerdung 
seelischer Krafte, die zu ihrem Teil nach deni kulturellen Zusammenbrucb fur die aktive 
Erneuerungs-Arbeit am Volksganzen einzusetzen sind. Alle diese Erwartungen sind uto- 
pistisch, wenn sie aus einer geistigen Einstellung auf bewufite Kulturmacberei hin 
erwachsen. Bescheidener und richtiger betrachtet man sie zunachst als Hilfshypothese 
fur die Arbeit, ohne schon immer auf die Friichte dieser Arbeit zu warten. Man mufi 
zunachst einmal iiberhaupt arbeiten. 

Gibt es eine Moglichkeit des Entriiinens aus dem zivilisatorischen Zustand? Ein 
allzu rosenroter Optimismus der Organisatoren beantwortet diese Frage mit einem selbst- 
verstandlichen ja. Wir wollen bescheidener sein und freuen uns der ersten Ansatze, der 
ersten Spuren nicht schon zu neuer Gestaltung, sondern zu neuer Grundlegung nach dem 
Bruch mit der Vergangenheit. Bisher war der Sinn der musikalischen Jugendbewegung 
richtig auf sich selbst, auf die eigene Erziehung gerichtet. Die Einzelerscheinung, ihre 
Abwendung von der invidualistischen Kunstmusik der Jahrhundertwende, ihr (nicht 
antiquarisch-philologisches, historisches, sondern spontanes) Wiederanknupfen an friihere 
Jahrhunderte kam aus einem machtigen stachelnden Drang nach Gemeinschaft. Ihr 
Sinn wird wieder erlebt. Nunmehr setzen die Beziehungen von Staat und Musik wieder 
ein. Die Auffassung von der gesellsch af tsbildenden Kraft der Mxisik. diese ihre Schatzung 
und daraus erwachsene Forderung tragt, gestehen wir uns das offen ein, manche ideo- 
logischen Ziige. Man will das post hoc, propter hoc der Ableitung nicht merken. Wenn 
die osterreichischen Vertreter auf der Miinchner Tagung vom Bliihen der Schulmusik 
den seelischen und staatlichen Wiederaufbau erwarten, so ist das zuviel erwartet. Durch 
Forderung der kiinstlerischen Erziehung macht der Staat noch keine Kultur. Er kann 
zunachst nicht mehr tun als organisatorische Grundlagen schaffen. Das ist schon sehr 
viel, auf ihnen gilt es weiter zu bauen. 

Gerade diese praktische staatliche Leistung trat bei der Miinchner Tagung deutlich 
in Erscheinung. Nicht nur in mehr aufierlichen Dingen wie es die Beziehungen von 
Beich und Landern, von Begierungen und Kommunen zur Schulmusikerziehung dar- 
stellen, sondern in der erfreulichen Tatsache, dafi die Vertreter des Staates wissen, wie 
Avichtig ihre Hilfe, ihre Arbeit und ihre Leistung ist. Die Erziehung der Erzieher liegt 
in ihrer Hand. Damit die Verantwortung. Es ist heute durchaus an dem, dafi, um es 
offen auszusprechen, eine Singschule wichtiger sein kann als ein Konservatorium. Wenn 
Preufien seine Akademie fur Kirchen- und Scliulmusik mehr ausbaut, Bayern einen 
neuen Entwurf der musikalischen Lehrerbildung vorlegt, der die griindliche musikalisclie 
Durchbildung des Volksschullehrers sicher stellt, so ist das von grofiter Bedeutung. 
Wenn nach dem Muster Bayerns, wo die Singschulen zum Teil schon iiber 100 Jahre 
bestehen, stadtische Singschulen neu gegrundet werden sollen, so ist das aufierordentlich 



MUSIK UND SCHULE 611 



zu begriifien. Denn nochmals, scharf formuliert. es ist wichtiger, dafi hundert Kinder 
singen lernen, als dafi ein Geiger das Paganini-Konzert spielen kann. 

Uber das „Wie" der Erziehung, iibei' die Lehre, den Lehrgang, die Methodik wurde 
aul' der Munchner Tagung sehr viel gehandelt. Von den Vortragen der Munchner Pada- 
gogen Kerschensteiner und Alois Fischer hatten besonders die Ausfiihrungen Fischers 
uber das Verhiiltnis von Kunst und Methodik, uber die Moglichkeit einer Lehrbahrkeit 
von Kunst und sei es nur ihrer Anfange, alle Vorziige einer geistvoll klaren Durch^ 
denkung und Darbietung des Problems. Die mittlere Stellung, die kluge und wohl- 
fundierte Entscheidung fiir einen freien, geistig wie handwerklich lebendigen Gebrauch 
der im engen Anschlufi an die Kunst zu gewinnenden Methoden schuf den Hintergrund 
fur die praktische Anschauung der in Bayern geiibten Lehrgange. Bekanntlich bestand 
in Bayern die Gefahr einer Festlegung auf das Eitz'sche Tonwort in der staatlichen 
Gesangserziehung. Ich sage Gefahr, denn ein Methodenzwang, eine Beglementierung 
und Schematisierung fordert zwar den organisatorischen Betrieb, nicht aber die Sache. 
Da war es nun interessant, aus dem Munde des in Bayern verantwortlichen Beraters 
v. Waltershausen zu horen, dafi man an eine starre Verbindlichkeitsmachung einer 
Methode nicht denke, sondern die Leistung der gestaltenden Lehrerpersonlichkeit das 
Ziel sei. Allerdings waren die praktischen Vorfuhrungen einiger Lehranstalten mit den 
Eitz'schen Tonwortsilben nicht gerade geeignet, dafur zu werben. 

Was eine Personlichkeit vermag, die Macht, die nur von ihr in alien erzieherischen 
Dingen ausstrahlt, das erwies sich gelegentlich des Besuchs der Augsburger Singschule, der 
Schopfung Albert Greiners. Greiner ist in erster Linie Stimmbildner. Der Chorklang seiner 
verschiedenen Klassen von den Kindern bis zu den Erwachsenen ist von einer so vorbild- 
lichen Schonheit, wie man ihn sonst wohl kaum noch irgendwo horen kann. Schade, dafi 
demgegenuber der Musiker noch ziemlich veraltete, ausgetretene Wege geht, das Kla- 
vierlied bevorzugt und das begleitete Lied in einer zum Teil schauderhaften, an die 
altere Liedertafel erinnernden Verballhornung kennt. (Am schlimmsten Kanonbearbei- 
tungen von Otto Jochum, der Mozarts Nachtigallenkanon mit Violine, Bratsche, Cello 
und Horn im Serenadenstil ermordet und einen altenglischen Kanon mit einem Manner- 
chor versieht, wozu noch ein englisch Horn kontrapunktiert !) In diesem Betracht waren 
die Vorfiihrungen der Munchner stadtischen Singschulen vorzuziehen, die den a-capella- 
Gesang in den Mittelpunkt stellten. Die auswartigen Teilnehmer bekamen des weiteren 
einen Einblick in die lnstrumentalerziehung an unseren Mittelschulen. Sie geht seit iiber 
100 Jahren ihrem Ursprung nach zuriick auf eine spezifisch suddeutsch-osterreichische Tra- 
dition der Instrumental-Kirchenmusik. Uberhaupt hat sich in Suddeutschland noch 
manches iiber die schlimmen Zeiten hinweg von der Hochbliite barocker Musikkultur 
gerettet. In Gymnasien und Klosterschulen, ja sogar in kleinen landlichen mit der 
Volksschide verknxipften Musikschulen wurde die Pflege von Streich- und Blasinstrumenten- 
spiel nie ganz vernachlassigt. Heute noch besteht z. B. eine Musikschule an derTegern- 
seer Volksschule, eine konigliche Stiftung aus dem ersten Viertel des vorigen Jahr- 
hunderts. Ich erinnere mich gut, wie wir vor 20 Jahren unter der Fuhrung eines aus- 
gezeichneten Lehrer-Kantors mit lauter Einheimischen, darunter vielen Bauern, Mozart- 
messen musizierten. Unsere Holzblaser brauchten keine Konkurrenz zu fiirchten und 
die Sopranistin hatte den sicheren Stil und die naturliche Kantabilitat gewachsenen, 



612 WILLI SCHMID 



bodenstandigen Musikantentums. Das Streichquartettspiel an den Gymnasien war und 
ist selbstverstandlicher Usus. In den Volksschulen steht es nicht mehr so gut wie einst. 
Einen nachdenklichen Einblick in die Zusammenhange gewinnt man daraus, wenn man 
bedenkt, wie die Lehrerbildung, die lioch vor 60 und 70 Jahren Orgel und Generalbafi 
dem Volksschullehrer als eisernen Bestand mitgab. immer mehr Unterrichtsgut einfiihrte, 
den jungen Leuten multa non multum gab, sie zwar zu Liedertafel-Dirigenten, aber 
nicht zu Musikern erzog. Die neuen staatlichen Anweisungen iiber die organisatorische 
Gestaltung der musikalischen Bildung der Lehrer werden gut tun, wieder etwas den 
alten Gesinnungen und Leistungen Entsprechendes herzustellen. 

Es ist keine Frage, dafi eine engere Verbindung von Schul- und Kirchenmusik wieder 
zur unbedingten Notwendigkeit geworden ist. Joseph Haas sprach iiber dieses Thema. 
Seine Formulierung dreier geschichtlichen Epochen der Beziehungen von Kirchen- und 
Schulmusik interpretiert die Tatsachen aus einer klaren geistesgeschichtlichen Erkennt- 
nis heraus, wenn sie diese drei Perioden folgendermafien kennzeichnet : die Kirchen- 
musik lebt im Menschen von den Anfangen der Christianisierung bis zur Beformation, 
sie lebt mit dem Menschen von der Beformation bis zur Aufklarungszeit, wo der Staat 
in Unterrichts- und Erziehungsfragen an die Seite der Kirclie tritt. Die Kirchenmusik 
lebt endlich neben dem Menschen von der Aufklarungszeit bis zur Neuzeit, in der 
der Staat in Unterrichts- und Erziehungsfragen iiber der Kirche steht. Es gibt eine 
kirchenmusikalische Kulturanschauung, die in den Musikunterricht durch Herstellung 
der Querverbindung von Schulgesang und Beligion einzubauen ist. Eine betonte Pflege 
des gregorianischen Chorals als dem musikalischen Ausdruckstypus des Objektivismus und 
des deutschen Kirchenliedes als dem Ausdruckstypus des Subjektivismus mufi folglich fiir 
die Schulmusik angestrebt werden. Damit wird gleichzeitig das Verstandnis fiir die 
wesenhaften tragenden Krafte aller deutschen Musikkultur angebahnt. Sehr zu unter- 
streichen ist der dringliche Appell des Vortragenden zu besonnener und hilfsbereiter 
Haltung aller Schul- und Kirchenkreise gegeniiber jenen Jugendverbanden, die das allzu 
Profane in der Musik bekampfen und im religiosen Gesang nach Aktivitat drangen. 
Alle kirchenmusikalische Erneuerungsarbeit auch in der Schule bedarf keiner neuen 
Verordnungen und Anweisungen : sie hat vielmehr die Erneuerung der religiosen Ge- 
sinnung zur Voraussetzung. Sicher hat gerade dieser Schlufigedanke etwas ungemein 
Zentrales beriihrt. Er geht auf das Verhaltnis von Kultur und Beligion und weist 
nachdriicklich auf die alte, zuzeiten betonter Hervorhebung einer vermeintlichen Eigen- 
standigkeit der Kultursacbgebiete vergessene und mifiachtete Wahrheit hin, dafi rechter 
religioser Lebensform jegliches kulturelle Gut beigegeben wird. Man hatte Gelegenheit 
Kirchenmusik in den einzelnen katholischen und protestantischen Kirchen zu horen, zu- 
gleich ein Querschnitt durch die verschiedenen Stile und Jahrhunderte, charakteristisch 
fiir die Verzweigtheit dieses Gebietes. 

Becht bezeichnend fiir Miinchen, fiir den Dualismus Miinchens. die abendlichen 
Veranstaltungen. Da gab es eine Festauffiihrung der Meistersinger — es wird nach- 
gerade unertraglich, wie die Meistersinger fiir Festauffuhrungen herhalten mussen, zu 
Anfang, zu Schlufi des Spieljahres, bei Gedachtnisfeiern, Kongressen, Jubilaeh und 
natiirlich auch bei der Beichsschulmusikwoche, wo sie freilich. vor allem im gesanglichen 
Teil vorbildlich kamen — ; eine Festauffiihrung des Waltershausenschen Oberst Chaberts, 



ZEITSCHAU 613 



schliefilich als Hohepunkt den Palestrina mit Pfitzner am Pult, alle Mangel der Aus- 
fiihrung mit der Kraft seiner genialen Intensitat bedeckend. Die Miincliner Kompo- 
nistenschule war in einem Kammermusikkonzert mit Arbeiten von Geierhaas, Haus- 
egger, Courvoisier und Reufi wohlanstandig und solide vertreten, Hausegger dirigierte, 
historisch sicker sinnvoll, ausgerechnet Thuille und Straufiens „Macbeth" (es gibt ihn 
also wirklich noch), endlich Regers Mozartvariationen. Das eigentliche musikalische Er- 
eignis, das des nach aufien hin inoffizielleren musikaliscben Miinchens war der Abend 
des Domchors unter seinem Fiihrer, einem unserer feinsten deutschen Chorleiter und 
ecbten Musiker, Domkapellmeister Berberich. Ein kleiner Chor von einigen 60 Frauen 
und Mannern aus alien Bevolkerungsschichten, nur der Saclie hingegeben, heimisch in 
der Welt der alten Niederlander und Deutschen, der Josquin und Hobrecht (unver- 
gleichlich die innere Haltung, mit der er Hobrechts „Malheur me . bat"-Messe eingangs 
der Woche beim Hochamt im Dom sang!), der Senfl und Finck, der Orlando und 
Palestrina. Von diesem festen archimedischen Punkt aus wird die Gegenwart gemeistert. 
Die Deutsche Vesper von Joseph Haas und die achtstimmige Motette von Karl Marx, 
welch beide der Munchner Domchor seinerzeit uraufgefiihrt hatte, fanden diesmal ein 
aufierordentlich starkes Echo. Die Schulmusiker reagierten auf das Gemeinschaftsleben 
des Chors, auf die in ihm und durch es gegriindete Leistung aufierordentlich sicher 
und lebhaft. Beispielhaft konnte man hier aufzeigen, welche Bedingungen und Krafte 
zusammen kommen miissen, um etwas Lebendiges, Starkes, Gesundes, etwas Junges und 
in die Zukunft Weisendes zu schaffen. Solche siiddeutsche Kultur vollzieht, gar nicht 
laut oder aufierlich sehr aktiv, spontan und selbstverstandlich den Anschlufi an die 
lebendige und junge Bewegung in der deutschen Musik. 

Es waren meines Wissens nur Leo Kestenberg und H. J. Moser, die eines der 
wenigen weiterfiihrenden Geschehnisse der letzten Zeit, die Verbindung der Schaffenden 
und der Nachschaffenden im „Neuen Werk" von Jode-Mersmann-Hindemith seiner Be- 
deutung und seinem Wollen nach fur die Schvd- und Jugendmusik und die neue Musik 
selbst erkannten und anerkannten. Die Pfitznersche Abwehr, sicherlich auch noch von 
manchen anderen Prominenten der Tagung innerlich begriifit, fur viele der Schul- 
musiker richtunggebend, mag mancherorts zwar Sclierben einschlagen, aber das Lebens- 
fahige, Gesunde, Junge wird unverletzt davonkommen. 



MUSIKLEBEN 



Heinrich Strobel (Berlin) 

ZEITSCHAU 

Das grofie Batselraten um Furtwangler ist zu Ende. Er hat den Antrag als Opern- 
direktor nach Wien zu gehen, nach langem Hin und Her abgelehnt. Seine ganze Arbeits- 
kraft bleibt nun fiir Berlin erhalten, und aufierdem wurde erreicht, worum man seit 
Jahren kampfte: die Ubernahme des Philharmonischen Orchesters durch die 



614 MUSIKLEBEN 



Stadt Berlin. Preufien und Reich werden sich an der finanziellen Sanierung des be- 
riihmten Orchesters dadurch beteiligen, dafi sie eine Anzahl Aktien der Philharmonie- 
A.-G. iibernehmen. 

Wird Furtwangler nun auf seine Opernplane verzichten ? Es ldingt wenig wahiv 
scbeinlich bei einem Manne von so starkem Ehrgeiz. Auch hat die Stadt Berlin natiir- 
lich Interesse daran, ihm ein moglichst grofies Arbeitsgebiet zu verschaffen. Er versichert 
zwar aufs bestimmteste, dafi er nicht daran denke, in Berlin Opern zu dirigieren, Aber 
wenn sich in Berlin Moglichkeiten erschliefien, wird er dann wieder ablehnen, wie in Wien ? 

Ein Veranderung in den ersten deutschen Dirigentenstellen, die sich auf Berlin 
auswirken konnte, 1st keineswegs ausgeschlossen. Man weifi, dafi Walter schon seit langem 
Absichten auf Wien hat. Dort ist man begreiflicherweise uber Furtwanglers Absage 
recht wenig erbaut. Man wollte ihn absolut haben. Seinetwegen setzte man S chalks 
Demission in Szene. Nun haben die Wiener Schalk und Furtwangler verloren. Sie miissen 
sich nach einem neuen Operndirektor umschauen. Clemens Kraufi, der schon im vorigen 
Jahr mit Wien verhandelte, wird neben Bruno Walter jetzt wieder genannt. Auch Kleiber 
soil sich interessieren. Selbst an Klemperer wird gedacht. Aber seine aktive, jeder 
Kompromisslerei abgeneigte Personlichkeit pafit nicht in das weiche, behabige Wien. Auch 
ist er fur Berlin unentbehrlich. 

Im Stadtblatt der frankfurter Zeitung" veroffentlichte vor einiger Zeit 
Dr. Karl Holl eine Artikelreihe, die sich eingehend mit dem Frankfurter Musikleben 
beschaftigt. Holl iibt scharfe Kritik an der Unlebendigkeit und Unproduktivitat der 
Frankfurter Musikpflege. Was er iiber die Struktur der gesellschaftlichen Musikvereine, 
iiber die Planlosigkeit der Operndirektion sagt, trifft mutatis mutandis fast auf alle 
grofien deutsclien Stadte zu. Uberall findet man ein erstarrtes Konzert- und Opern- 
publikum, das sich im passiven Zuhoren kunstlerisch befriedigt, uberall findet man die 
gleiche Stagnation im Opernrepertoire. Holl wendet sich gegen den verhangnisvollen 
Brauch der grofien Operninstitute, alle Krafte auf gewisse ,,MustervorsteIlungen" zu 
konzentrieren und den Gebrauchsspielplan dadurch verschludern zu lassen. Er schneidet 
einen der wichtigsten Mifistande aller stadtischen Musikpolitik an, wenn er auf die 
kunstlerische Inkompetenz der „D ezernenten" hinweist. So tuchtig sie als Beamte 
sein mflgen, es fehlt ihnen in den allermeisten Fallen die kunstlerische Bildung und 
Kennerschaft, um eine produktive stadtische Musikpolitik ti'eiben und verantworten zu 
konnen. Mit Reclit hebt Holl auch die Gefahren hervor, die das ,,Kontrollrecht der 
Biirgerschaft" iiber die kunstlerisch en Mafinahmen der Stadt mit sich bringt. Er sagt: 
„die Mitbestimmungsrechte diirfen nicht die Aktivitat der kiinstlerischen Ftihrung ent- 
lasten und ihre Verantwortungsfreude herabmindern". 

Aber er kritisiert nicht nur : er sucht vielmehr soziologisch zu begriinden und macht 
Vorschlage zur Erneuerung des Musiklebens. Sie sind so allgemein gidtig, dafi sie auch 
an dieser Stelle angefiihrt werden miissen : „Der oberste, ideelle Gesichtspunkt heifit — 
Aktivierung des gesamten Musiklebens im Sinne enger Verbindung mit dem 
musikalischen Geist der Zeit und mit dem Bediirfnis der breiten kulturwilligen Kreise. 
Aktivierung — das soil bedeuten, tatige Fiihlung mit dem innersten Musikwillen, der 
sich nicht in der neuen Musik . . . erschopft, sondern auch die veranderte Perspektive . . . auf 



„MUSIKSTADT" LEIPZIG 615 



die Kunst der Vergangenheit wesentlich einschliefit. Bedurfnis der breiten, kultur- 
willigen Kreise — das will sagen, dafi hier, im bewuGten Gegensatz zu der gesellig- 
geniefierischen Auffassung und Verschleifi-Praxis der Konzertvereine, sowie im Gegen- 
satz zur snobistischen Esoterik gewisser „geistreicher" Zirkel das naturliche Verlangen 
der geistig regen Bevolkerung nach Musik gestillt werden soil, abgelost von einem 
„gesellschaftlichen" Zweck, eingebettet in den Wunsch nach Kompensierung des werk- 
tatigen Lebens durch Aufnahme iibermaterieller und uberpersonlicher Werte". Holl 
fordert dann — eine notwendige Folge des vorber Gesagten — eine „Bereinigung des 
Musiklebens im Hinblick auf die Okonomie der Krafte durch eigene Initiative der Stadt". 
Dabei ist es billig, dafi „die Stadt von den privaten Vereinen" (die sie direkt oder in- 
direkt stiitzt) „ein gewisses Eingehen auf die stadtische Kulturpolitik, mindestens aber 
willige Zusammenarbeit in alien gemeinverbindlichen Fragen der ortlichen. Musikpflege 
verlangt". 



Fritz Balthasar (Leipzig) 

„MUSIKSTADT" LEIPZIG 

Wer etwa glaubt, dafi in Leipzig noch etwas vom Geist der „Davidsbundler" zu 
spiiren ist, der irrt sich. Schon lange ist es her, dafi Entscheidungen, die eine einzige 
Hingabe an die Sache erl'ordern, von den prominenten Instituten dieser ,.Musikstadt" 
durchgefochten wurden. Neues wird, wenn man schon emmal nachgibt, lediglich auf 
seine gesellschaftlich repriisentative Wirkurig hin taxiert, der beriihmte Leipziger „Jonny" ( 
ist der eklatante Beweis dafiir. So ausschliefilich sogar herrscht diese Mentalitat, dafi 
selbst eine Reaktionsbewegung, wie- sie die Straubeschule mit Thomas darstellt, nur 
schwache Energien zu entwickeln vermag. 

Fertig gebracht hat das die dominierende Stellung des Gewandhauses. Hier 
ist die groteske Verkehrung Tatsache geworden, dafi ein neues Werk hochstens durch 
eine gesellschaftliche Aktualitat legitimiert werden kann. Denn man appelliert an eine 
Schicht, die bereits durch Generationen ihre Stammsitze vererbt, die vergessen hat. dafi 
man nur deshalb eine glanzvolle GeseUschaft wurde, weil man Folie kunstlerischer Taten 
von Weltgeltung geworden war. Die Folgen solcher Publikumsstruktur sind natiirlich, 
wie woanders auch, der ewig gleiche Turnus der Standardwerke und die Bevorzugung 
jener verwaschenen Produktion der Gegenwart, die niemand weh tut. Gewifi, Furt- 
wangler hat wichtige moderne Werke gebracht, aber sie wurden geschluckt als sein 
Spleen, um ihn nicht zu verargern. Sie blieben isoliert in der Programmbildung, und 
er hat diese einzig bemerkenswerten Ereignisse der letzten Jahre wohl selbst mehr als 
Berliner oder intern ationale Vorproben aufgefafit. Was belichtet schliefilich scharfer die 
Situation, als dafi man so zufrieden ist mit den Allerweltsprogrammen, die im derzeitigen 
Interregnum von Walter, Busch, Kraufi, Sclauricht und Pfitzner neben den Leipzigern 
Brecher und Straube serviert werden, so zufrieden: dafi daruber jede Diskussion 
der vakanten Stelle ein gesclilafen ist. Einsam in der Spielfolge dieses Konzert- 
winters steht Hindemiths Bratschen-Konzert, das der Komponist als Solist bereits 
absolviert hat. 



616 MUSIKLEBEN 



Wie bereits angedeutet, steht die andere musikalische Grofiuntefnehmerin, die 
Stadt Leipzig auch im Banne der tonangebenden Gesellschaft. Im Neuen Theater 
hofFt man, durch praehtvoll aufgezogene Premieren neuerer Werke moglichst unverbind- 
lichen Charakters, Anlafi zu Routs zu geben. So etwas wird dann als allgemeines Interesse 
einkassiert, der Masse glaubt man mit dem veralteten, unlebendigen Abonnentensystem 
genug zu tun. Fiir lange Zeit noch scheint kaum Aussicht zu bestehen, dafi sich bei 
den stadtischen Kunststellen die Erkenntnis durchsetzt : dafi ein, im vollsten Sinne des 
Wortes, kiinstlerisches Publikum stets wird, stets erworben werden mufi, 
sicb nur aus dem stetigen Kristallisatioiisprozefi um neu herausgestellte Werte 
formt, die wahrhaftiger Schopfung verbunden sind. Leipzig hatte einst .ein solches 
Publikum. 

Der Exponent dieser Haltung der Stadt ist ihr Generalmusikdirektor Gustav Brecber. 
Auf verschiedenen Posten hat er nur sporadische Erfolge gehabt. Das mufi in die Er- 
innerung gerufen werden, denn ein Riickblick auf seine fiinfjahrige Leipziger Tatig- 
keit legt nahe, dafi er sich, an sich schon kerne Kampfnatur, nach seiner Berufung als 
Nachfolger Lohses nunmehr endgiiltig entschlossen haben mag, es durch Paktieren auf 
der mittleren Linie zu schaffen. Innerpolitische Etappen: grofi aufgemachter Straufizyklus 
in Anwesenheit des Komponisten, wodurch man die Gesellschaft gewann; kostspielig 
ausgestatteter „Parsifal", um die Wagnerian er im Schach zu halten; Busonis ,,Turandot" 
und „Arlechino", um moderneren Anspriichen den Mund zii stopfen. Das aufiere Prestige 
sollten naturlich Urauffuhrungeu bringen, doch hier entlarven schon die Namen: Ettinger, 
Rabaud, Reznicek und im letzten Monat Hermann Hans Wetzlers „Baskische Venus", 
ein bombastisches Epigonenwerk, dessen riesiger Apparat zu bluffen gestattet. In hilf- 
loser Leitmotivik stellt die Mache geradezu ein Dokument fiir die Zersetzung aller 
musikalischen Energie durch die Nachromantik dar.' Selbst der jiingste d' Albert „Die 
schwarze Orchidee'* tragt ausgepragt den Wesenszug, der fiir die Annahme in Leipzig 
bestimmend ist. Zu einem Buche, das Magazin-Amerika parodiert, stofit der Verismus, 
der sich an der Bhythmik des modern en Gesellschaftstanzes regeneriert, ohne sonderlich 
iiber eine allerdings brillante musikalische Unterlage fiir eine Ausstattungsrevue hinaus- 
zukommen. Wahrlich, ein Anlafi fiir Leipziger Ambitionen, die denn auch, was Aufwand 
betraf, in noch nie dagewesener Weise befriedigt wurden. Wenn man sich schliefilich 
auch nicht durch das Mitmachen der Handelrenaissance tauschen lafit, bleiben wirklich 
nur „Jonny", Weills „Zar" und Ravels „Zauberwort". Wird jedoch gerade an diesen 
Werken beachtet. dafi sie vor allem der Regie ein restloses Ausleben gestatten, dann 
mufi man sie auf das Konto Walter Briigmanns setzen, mehr Regisseur spielerischer, 
nach Effekt haschender Einfalle, als fundiert in einem Stilwillen. Obwohl er Opern- 
direktor genannt wird, ist er zu weich, eine Forderung ohne Eitelkeit des Begisseurs nur 
um der Sache willen durchzudriicken. Aber ganz grell beleuchtet, was nicht gebracht 
wird: Hindemith, Strawinsky, Berg, Toch, Honegger, Prokofieff, Milhaud u. a., von der 
Verschleppung des „Protagonisten'" (Weill) gar nicht zu reden. Man fragt nach dem Ge- 
brauclispielplan. Mozart, Verdi, die Spieloper sollten das Riickgrat bilden. Sie folgen, 
auch die Enstaubungen, derart in Intervallen, dafi sie sich nicht zu einerPhysiognomie 
einen. Das Repertoire des Neuen Theaters regieren in jeder Hinsicht ZufaU und Ehrgeiz 
nach billigem Prestige. 



MELOSBERICHTE 



617 



Noch interessieren in Leipzig die PhilharmOnischen Konzerte des Sinfonie- 
orch esters, die der Initiative des Konzertvereins, der Musikfreunde und der Phil- 
harmonischen Gesellschaft zu verdanken sind. Aber man vermag hier Hermann 
S ch e r ch e n nicht mehr als Dirigenten zu halten, die Produktivitat der Zukunft ist also 
n Frage gestellt. Alfred Szendrei, der auch mit dem genannten Orchester konzertiert, 
geht wahllos in seinen Programmen auf „Novitat" aus. Manchmal riskieren Gewand- 
hauschor unter Straube, Riedelverein unter Ludwig etwas (Honegger). Am 
meisten hort man neue Musik im ephemeren Strom der Solistenkonzerte. 

Kein Zweifel, das Musikleben Leipzigs ist in eine Stagnation geraten, die es urn 
alles Ansehen bringen miii Daran andert auch ein alljahrliches „Bachfest" nichts. Wie 
ist da herauszukommen ? Nur dadurch, dafi die Neubesetzung des Gewandhaus- 
dirigentenpostens endlich zur Diskussion gestellt wird, in der die Stadt die 
Initiative zu ergreifen hat. Bisher wurde eine Kraft von Rang tur die Gewandhaus- 
gesellschaft nur dadurch finanziell tragbar, dafi man auswartige Kombinationen einging. 
Eine stabilere Kombination ware aber innerhalb der Stadt zu schaffen, die Stadt hatte 
sie zu bringen, die ja auch ideell am Rufe des Gewandhauses partizipiert. Einer zeit- 
bejahenden Personlichkeit miiftten im Opernhause Moglichkeiten eroffnet werden, Brecher 
konnte man nach der autoritativen Seite hiii ein Aquivalent anbieten. Es ware Ver- 
brechen an zwei Instituten von Ruf, liefie man die grofie und neue Sache an stadtischen 
und privaten Kompetenzen scheitern. Schneller aber, als man denkt, wird das Publikum 
beider Hauser vom Bedeutungswechsel in der Programmbildung (alte und jiingste 
Musik einerseits, Musik des XIX. Jahilmnderts anderseits) iiberzeugt sein, wenn ihm 
in einem wirklichen Fiihrer Wille iind Ziel erscheinen. 

MELOSBERICHTE 



Berliner Musik: 



Bittner^Krenek- 
Schonberg 



Bittner: den Urwiener, 
Krenek: den inter- 
nationalen Wiener und 
Schonberg, der sich 
aus der Wienerischen 
Bequemlichkeit in einen abstrakten Intellek- 
tiialismus fliichtete — man hort sie alle 
drei hintereinander. Von Bittner ist nicht 
viel Aufhebens zu machen. Da Bruno 
Walter auf alte Freundschaften manches 
gibt, kommt Bittners neueste Oper „Mond- 
nacht" an seinem Institut in Charlottenburg 
her,aus. Ein Premierenerfolg. „Mondnacht" 
ist eine weanerische Leutnantstragodie mit 
Erlosungshintergriinden, die wirkungssiche- 
ren Naturalismus und Operette wahllos 
durcheinandermantscht. Solange Wiener 
Milieu geschildert wird, die ,.gute alte Zeit'' - , 
in der man frank und frei in den Tag 
hineinliebelte, in der wackere Burger ihren 
Schwatz auf der Strafie hielten, solange 
Bittner in seinen Singspielgrenzen bleibt, 



hat die Musik eine gewisse volkstumliche 
Harmlosigkeit. Aber wenn er holier hinaus 
will und den hochverraterischen Herrn 
Leutnant durch das Mitleid einer mond- 
sfichtigen Jungfrau ,.erlosen" lafit, dann ver- 
liert er den Boden unter den Fiifien. Mit 
den Mitteln von Straufi, Puccini und Mahler 
tastet sich die Musik armselig am Text- 
wort weiter — ohne Originalitat, ohne 
Linie. 

Walter nimmt sich der diinnen Partitur 
mit grofier Liebe an, er tont das Klang- 
bild aufs mannigfaltigste ab. Auf der 
Biihne wird er von Lotte Schone und dem 
heniichen Tenor Fidesser ausgezeichnet 
unterstiitzt. Der Schauspielregisseur Martin 
ist hier zu Hause, wo es keine Riicksicht 
auf die Musik zu nehmen gilt. 

Walter bringt vorher eine Neueinstu- 
dierung des „Tannhauser" : . Er breitet die 
Partitur nach dem Lyrischen und Farbigen 
hin mit unerhorter Feinheit aus. Man ge- 



618 



MUSIKLEBEN 



niefit die vollendete Gesangskunst der 
Maria Mutter (Elisabeth). Aber was man 
auf der Biihne sieht, diesen Jagdaufzug mit 
einer Unzahl ausgestopfter Tiere, diese in 
ihrer Zerknirschung ein riesiges Kreuz 
schleifenden Pilger, diesen iippigen Prunk 
im Wartburgsaal : das ist altestes Theater. 
Man hatte es nicht mehr fiir moglich ge- 
halten. Die ganze Berliner Presse stand 
Kopf vor Begeisterung iiber diese Tann- 
hauser-Neuinszenierung. 

Von Bittner zu Krenek — da gab es 
noch vor ein paar Jahren keine Verbindung. 
Jetzt ist das anders geworden. Mit seinem 
Potpourri fur Orchester, das man unter 
Unger horte, biegt Krenek mehr noch als 
in seiner Kleinen Sinfonie, zu einer seichten 
und riihrseligen Operettelei zurixck, und 
in seinen Drei Einaktern, fiir die sich 
Klemperer mit seiner ganzen Vitalitat in 
der Krolloper einsetzte, nimmt er den 
Operntypus von gestern in verkiirzter Form 
wieder auf. Seine Sprache vereinfacht sich, 
um Zugang zum Horer zu finden. Aber 
wie er ihn in seinen friiheren Werken heftig 
attackierte, so stiirzt er sich ihm jetzt be- 
denkenlos in die Anne. Stilwille und Ge- 
sinnung sind aufgegeben. Es ist iiber diese 
Einakter nichts anderes zu sagen, als was 
schon im Juliheft dieser Zeitschrift gesagt 
wurde. Den besten Eindruck macht noch 
das March en. Es lehnt sich zwar am deut- 
lichsten an altere Vorbilder an (Humper- 
dinck, Schreker), aber es klingt, es hat 
hiibsche Ensembles und fliefiende Beweg- 
ung. Die platte Art, mit der aktuelle Ge- 
gebenheiten und philosophische Gedanken 
in den Text eingewoben sind, beriihrt frei- 
lich gerade im „Geheimen Konigreich" 
aufierst peinlich. Die kaltschniiuzigeVeristik 
des „Diktators*' erinnert an einen schlechten 
Vorkriegsfdm. Im „Schwergewicht" ist Krenek 
auf dem Niveau einer Durchsohnittsposse. 

Die Auffuhrungen hatten starken Erfolg, 
besonders das Marchen, fiir das Strnad sehr 
geschmackvolle Dekorationen in Schwarz- 
Weifi entwarf. Ausgezeichnete Frankfurter 
Krafte sprangen in den HauptroUen ein : 
Jean Stern (Diktator, Ochsenschwanz), Clara 
Ebers (Konigin). Wirl, der von Operette 
wieder zur Oper zuriickkehrt, ist gleich gut 
als blinder Offizier wie als Tanzlehrer. Die 



Schrekerkopie des Narren im Marchen ver- 
korpert Hamrnes ausgezeichnet. 

Schonberg denkt seine Ideen mit unbe- 
irrbarer Folgerichtigkeit weiter. Er isoliert 
sich immer mehr und stofit heute noch auf 
den gleichen Widerspruch bei den Horern 
wie ehedem. Freilich lafit sich audi kein 
ungeeigneteres Publikum denken als das 
rein gesellschaftlich orientierte der Phil- 
harmonischen Konzerte, dem Furtwangler die 
neuen Orchestervariationen vorsetzte. 
Es gab einen Skandal, wie er nur aus der 
Zeit heftigsten Kampfes um neue Musik in 
Erinnerung ist. Er wh'd von einem kleinen 
Teil der Horer getragen. DieMehrheit ist zu in- 
dolent, um in irgend einer Form aktiv zu sein. 

Schonberg iibertragt den Stil seiner 
spateren Kammermusikwerke auf einen 
grofien Orchesterapparat. So sehr es e<gent- 
lich seinem Zwolftone-Formalismus zu- 
widerlauft — das Klangliche ist mit hochster 
Differenzierung gegeben, sodafi es nicht 
selten als solches fesselt, wenn der musi- 
kalische Ablauf nicht mehr .greifbar ist. 
Wir bewundern die geistige Hohe der Ar- 
beit. Aber wir erkennen audi den unge- 
heuren Gegensatz zwischen der Logik des 
geschriebenen Notenbildes und dem Chaos 
der Vielklange und Melodiepartikel, das 
unser Ohr trifft. Den Gegensatz zwischen 
der intellektuellen Konstruktion und der 
tatsachliclien Zersetzung der nachwagner- 
ischen Ausdrucltschromatik im realenKlang- 
bild. Nur an einigen Stellen, vor allem 
gegen Schlufi, weist eine durchgehendere 
Bhythmik auf jene Festigung der Ton- 
sprache, die Schonberg in seinem voraus- 
gehenden dritten Streichquartett erstrebte. 

Die Auffiihrung unter Furtwangler war 
hervorragend. 

Hindemiths Konzert fiir Viola d'amore 
ist in der klaren und fliefienden, dabei 
formal festgefiigten Gestalt denkbar grofiter 
Gegensatz zu Schonberg. Der Abstand 
zweier Generationen wird deutlich. Das 
wenig bekannte Stuck ist das grazioseste, 
das intimste von Hindemiths Kammer- 
konzerten, der Humor des Bratschenkon- 
zertes ist noch um einige Grade verfeinert. 
Hindemith spielt den Solopart, von Taubes 
Kammerorcliester trefflich assistiert, wunder- 
bar sachlich und schliclrt. 

Heinrich Strobel (Berlin) 



MELOSBERICHTE 



619 



Nielsens „Saul^ In alien musikalischen 

in Goteborg Kreisen Skandina- 

— viens spricht man 

zur Zeit von der Goteborger Aufftihrung 
der Oper „Saul und David" von Nielsen. 
Dieses Werk .das vielleicht besser die Be- 
zeichnung „oratorisches Drama" hatte tragen 
sollen, wurde bei der Urauffiihrung in 
{Copenhagen 1 902 von Presse und Publikum 
recht kxihl aufgenommen. Man hatte in 
jener unter dem Einfluft von Wagner und 
.anderen Spatromantikern stehenden Zeit 
kein Verstandnis fiir diese herbe, eigen- 
farbige, polyphone Musik, die auf jede Ge- 
fuhlsiibertreibung und sinnliche Klang- 
schwelgerei verzichtet. 1913 versuchte man 
eine Wiederholung unter Nielsens eigener 
Leitung. Das Verstandnis in Fachkreisen 
war vielleicht etwas grofier, das breite 
Publikum verhielt sich aber passiv. Um 
1916 erfolgte Nielsens Anerkennung als 
fuhrender danischer, vielleicht uberhaupt 
nordischer Komponist. Aber erst in dieser 
Saison hat sich die Kopenhagener Oper zu 
einer Neueinstudierung entschlossen. Schon 
im November fiihrte „Stora Teatern'' in 
Goteborg das Werk auf — und hatte da- 
mit einen in der neuesten Geschichte des 
nordischen Musikdramas beispiellosen Er- 
folg. Der Goteborger Erfolg des ,.Saul und 
David", sowie die bevorstehende Ham- 
burger Auffiihrung von Oehlenschlagers 
„Aladdin" mit Nielsens Biihnenmusik wird 
in Danemark als ein Zeichen dafiir ge- 
nommen, dafi das wachsende Verstandnis 
im Ausland fur Nielsens symphonische Ar- 
beiten sich jetzt auch auf seine Buhnen- 
werke erstrecken wird. 

Jorgen Bentzon (Kopenhagen) 

Wien im Festfieber Festfieber — wie eine 
Epidemie kommt es 
bei gewissen Erregungsanlassen irgendwo 
auf, verbreitet sich iiber die ganze kulti- 
vierte Musikwelt und verschwindet nicht, 
ohne stellenweise zu recht alarmierenden 
Ausbriichen gefiihrt zu haben. In meiner 
bescheidenen Praxis bildet das Wien des 
Schubertjahres den schwersten Fall. 

Die ersten Anzeichen verrieten, wie man 
sich entsinnen wird, bereits im Januar dieses 
Jahres, dafi eine, einstweilen latente, Storung 
eingetreten sei. Bald verdichteten sich die 



Symptome zu chronischen Anfallen, deren 
starkster mit dem Sangerbundesfest im Juli 
erreicht wurde. Es war schon damals 
nicht schwer, vorauszusehen, dafi um den 
19. November die letzte, akute Verscharfung 
erfolgen wurde. Sie trat sqgleich in voller 
Schwere auf. Ein Festkonzert, ein Festakt, 
eine Brunnenenthullung, die Weihe zweier 
Erinnerungstafeln, funf Huldigungen vor 
Schuberthausern und -denkmalern, die samt- 
lich hochtonende Apostrophen an den 
gefeierten Heros umschlossen — die stellen- 
weise etwas krafi formulierten, im Wesent- 
liclien aber auf dem Boden wissenschaftlicher 
Erwiesenheiten stehenden Ausfiihrungen 
eines Musikhistorikers wurden dafiir als 
Herabsetzung eines Genies mit einem 
Entrustungssturm quittiert — waren die be- 
angstigenden Konvulsionen, denen das 
Wiener Musikleben ausgesetzt war. Das 
mitgenommene Wien aber besafi nicht mehr 
die Kraft, bei all diesen Attacken das 
Schubertwerk so eindeutig in den Vorder- 
grund zu stellen, dafi sich die schwersten 
Besorgnisse als unberechtigt erwiesen hatten. 
Im Gegented, es trat eine Vivisektion 
des Schubertwerkes nach politischen und 
kunstpolitischen Ambitionen in die Er- 
scheinung, wie sie katastrophaler nicht 
gedacht werden kann. Die Gegensatze 
zwischen Stadtverwaltung und Bundesre- 
gierung, die sich bei Beethoven noch 
zusammengefunden hatten, haben sich in- 
zwischen so verscharft, dafi Schubert hier 
zuerst zum Opfer fallen mufite. Der griine 
Tisch verlangte das zweite. Nicht befriedigt, als 
wetteifernde Veranstalter zu gelten, spur- 
ten Fremdenverkehrskommission einerseits, 
Unterrichtsministerium andererseits aktive 
Betatigungsgeluste. Mit dem Ergebnis, dafi 
eine konzentrierte Zusammenfassung nicht 
einmal in technischem Sinne stattfand, dafi 
die einzelnen Veranstaltungen so verfehlt 
erdacht wie sinnlos durchgefuhrt wurden. 
So billig aber sollte Schubert immer noch 
nicht davonkommen. Was nun noch von 
ihm iibrig blieb, fiel den ausfiihrenden 
Kunstinstanzen endgiiltig zum Opfer. Es 
gab also auch keinen einheitlichen, ge- 
schweige denn einen zu erschopfendem 
Uberblick gerundeten kunstlerischen Ver- 
lauf. Peinlicher als ungezahlte Wieder- 
holungen und Bearbeitungen wirkten ver- 



620 



MUSIKLEBEN 



schiefende Gewichtsverteilungen, klaffende 
Lxicken. In drei Tagen hochfieberhafter 
Feierei wurde man mit unausgesetzten 
Mannerchoren und der Es dur-Messe ge- 
sattigt. Dagegen hat es den Veranstaltern 
kein Kopfzerbrechen gemaclit, den Meister 
des deutschen Liedes zentenarzufeiern, ohne 
einen einzigen seiner grofien, reifen Zyklen 
zu beriicksichtigen. 

Der Gedenktag selbst war die Krisis. 
Herab stiirzte die Temperatur aus ihrer 
schwindelnden Hohe. Ermattet, beruhigt 
kehrte das Wiener Musikleben zu normalen 
Dimensionen, zu abendlichen Konzerten 
zurtick. Acht Tage nach dem Anheben der 
Feier sptirte man schliefilich nodi erfreu- 
liche Zeichen genesender Funktion der 
Wiener Musikorgane. In der Staatsoper hat 
Marie Gutheil- Scfwder mit Robert Hegers 
musikalischer Waltung zwei szenische 
Werke, den „HauslicJien Krieg" und die 
„Zwillingsbruder" inszeniert — mit einem 
kiinstlerischen Vermogen und einem Erfolg, 
welche die AufFuhrung vermutlich durchaus 
lebensfahig erhalten werden — das will 
bei Schuberts Singspielen bekanntlich viel 
heifien. Wiederum war es Frau Gutheil- 
Schoder, die, diesmal von Paul von Klenau 
musikalisch assistiert, das Oratorienfragment 
„Lazarus" durch eine szenische Darstellung 
lebendig werden liefi. Nicht nur dies gelang — 
wenn auch die Langen des ersten Teils spur- 
bar blieben — sondern die Beziehungen dieser 
Schopfung, gleichermafien rtickweisend auf 
Handel wie vorweisend auf Wagner, die 
erst durch die konkrete AufFuhrung richtig 
bewuftt werden, gaben der Gestalt des 



Meisters neue, ungewohnte Umrisse. An 
letzter Stelle der Feiern kamen gliicklich 
noch Furtwangler und die Wiener Phil- 
harmoniker zu Wort. Seien uberflussige 
Worte vermieden, sei nur erwahnt, dafi 
sie mit den unbekannten Menuetten und 
Trios fur Streichorchester ihre herrliche 
Interpretation durch ein besonderes Ver^ 
dienst kronten. 

Das ist die wesentliche Ausbeute der 
Schubertfeier, soweit sie aufierhalb des all- 
taglichen Rahmens liegt. Ein International 
Kongrefi fiir Schubertforscliung, der in sich 
ein erfreulicheres Bild bot, die Spuren reich- 
lich spater Vorbereitung aber nicht ganz ver- 
bergen konnte, schlofi sich ihnen zeitlich 
an. Wenn auch die Symptome des uber- 
standehen schweren Festfiebers in den 
Konzertanzeigen fiir den Abschlufi des 
Jahres noch immer nicht vollends ausge- 
schaltet sind, so besteht fiir ein erfahrenes 
Auge doch kein Zweifel mehr daran, dafi 
der Patient sich endgiiltig auf dem Weg der 
Rekonvaleszenz befindet. Das Wiener Musik- 
leben hat dank einer unvergleichlich zahen 
Tradition solch harte Beanspruchung, fiir 
dieses Mai wenigstens, einigermafien iiber- 
wunden. Es fragt sich nur, ob Vorkomm- 
nisse wie das vorliegende nicht das Ver- 
trauen in die kiinstlerische Leistungsfahig- 
keit einer Stadt empfindlich erschiittern. 
Die Erfahrungen an Musikfesten haben 
noch nie zu derartig schwerwiegenden Be- 
denken Anlafi gegeben; h off en wir, da6 
sie zur Warnung dienen werden. 

Fred Hamel (Berlin) 



NOTIZEN 

OPER UND KONZERT 

Paul Hindemith wird nach Vollendung seiner 
komischen Oper, deren Titel noch nicht feststeht, ein 
Ballett fur Diaghilew schreiben, dessen Urauffuhrung 
im Marz in Paris stattfindet. „Hin und zurtick" 
wurde bereits in 7 Sprachen ubersetzt und zwar : 
englisch, franzosisch, russisch, danisch, ungarisch, 
tsche'chisch und hollandisch. Hindemith wird 
im Dezember sein Bratschenkonzert auf einer 
Tournee in Russland spielen, im Januar in der 
Schweiz. 

Hermann Reutter's „Saul" nach dem Drama von 
Lernet-Holenia kam in neuer Fas9ung am Stadttheater 
in Dusseldorf mit durchschlagendem Erfolg bei Publi- 



kum und Presse zur Urauffuhrung. Das Wiirtt. 
Landestheater in Stuttgart erwarb die Urauffuhrung 
von Reutter's „Der verlorene Sohn", Text von Andre 
Gide in der Ubersetzung von Rainer Maria Rilke und 
wird dieses Werk zugleich mit „Saul" zur Auffuhrung 
bringen. Die Staatsoper in Stuttgart hat ferner die ein- 
aktige Oper „Das Gazellenhorn" des schwabischen 
Komponisten Hugo Herrmann zur Urauffuhrung in 
dieser Spielzeit erworben. 

Am Opernhaus in Hannover gelangte eine Ballett- 
groteske „Robes, Pierre und Comp." zur Urauffuhrung 
durch Yvonne Georgi und Harald Kreutzberg, von 
denen auch der Text stammt. Die Musik schrieb 
Friedridt Wilckens fiir zwei Klaviere. 



NOTIZEN 



621 



Donizettis „Lucia von Lammermoor" ist von Max 
Ettinger neu ubersetzt und bearbeitet worden und 
gelangt im Laufe der Spielzeit im Stadttlieater Leipzig 
zur Erstauffuhrung. 

Die nachsten Auffuhrungen von Ernst Tochs 
Oper „Die Prinzessin auf der Erbse" finden in Alten- 
burg, Zurich, Liibeck, Freiburg i. Br., Bern und 
Stendal statt. 

Das Konigsberger Opernhaus, das von dem neuen 
Intendanten Dr. Hans Schiller kiinstlerisch vollig re- 
organisiert wurde, hat auch geschaftlich einen erheb- 
lichen Aufschwung genommen. Eine wesentliche 
Herabsetzung der Eintrittspreise bewirkte eine 
Steigerung der Abonnentenzahl auf das Dreifache. 
Die Mitgliederzahl der Besucher-Organisationen ist 
ebenfalls um etwa 20°/ gestiegen. Es kann jede 
Vorstellung durchschnittlich 12 - 16 mal gegeben 
werden. Eine Abstimmung bei Abonnenten ergab 
eine Ablehnung der modernen Operette mit 4 / 6 der 
Stimmen. Die bestbesuclite Opernvorstellung war 
bisher Hindemiths „Cardillac". 

Respighis „ Versunkene Glocke" nach dem Marchen- 
drama Gerhart Hauptmanns erzielte bei ihrer Erst- 
auffuhrung in der Metropolitan Opera in New York 
einen starken Erfolg. 

Das AltmarkischeLandes theater Stendalhat die Erst- 
auffuhrung der dreiaktigen komischen Oper „Madame 
I'arduduc" von Jacques Offenbach in der textlichen 
Neubearbeitung von Karl Kraus erworben. 

Ernst Toch schreibt gegenwartig im Auftrag des 
Frankfurter Rundfunks eine „Heitere Suite" fiir Or- 
chester, die Anfang Januar durch diese Sendegesell- 
schaft uraufgefiihrt werden wird. 

Eduard Erdmann hat ein Klavierkonzert ge- 
schrieben, das in Koln unter Abendroth, vom Kom- 
ponisten gespielt, zur Urauffiihrung gelangt. 

Anlafilich des 5. Jahresfestes veranstaltete die 
Gemeinniitzige Vereinigung zur Pflege deutsclier Kunst, 
e, V. in Berlin die Erstauffuhrung der „Missa 
symphonica" von Lothar Windsperger mit dem 
St. Michaetis-Kirchenchor aus Hamburg und dem 
Berliner Sinfonie-Orchester unter Leitung von Pro- 
fessor Alfred Sittard. Die Auffuhrung hatte grofien 
Erfolg. Das Werk hatte auch bei seiner Auffuhrung 
durch die Liedertafel in Mainz einen starken Erfolg. 
Es ist ferner zur Auffuhrung in der Wiesbadener 
Maifestwoclie in Aussicht genommen. 

Der Chemnitzer Volkschor brachte als erster 
Chemnitzer Vereinschor mit der Stadtischen Kapelle 
eine Auffuhrung von Honeggers „Konig David". Die 
Leitung hatte Willi Steffens. — Respekt vor diesem 
Volkschor ! 

Die Tripel-Fuge fiir grofos OrcJiester von Kurt 
von Wolfurt, erscheint demnachst im Verlage von 
Ernst Eulenburg. Das Werk wurde kiirzlich in Dresden 
aufgefiihrt ; weitere Auffuhrungen stehen bevor in 
Aachen, Bamberg, Berlin, Hannover, K6ln, Niirnberg. 



Dr, Hans Hefing wird in Diisseldorf (unter 
Weisbach) das Klavierkonzert von Hermann Wunscli 
zur westdeutschen Erstauffuhrung bringen. 

PERSONALNACHRICHTEN 

Lotte Lehmann, die beruhmte Sangerin und Ge- 
sangspadagogin, konnte am 2. November in Berlin 
ihren 80. Geburtstag feiern. 

Zum Nachfolger von Joseph Rosenstock, der an 
die Metropolitan Opera in New-York verpflichtet 
wurde, ist Erich Boehlke (Koblenz) als Generalmusik- 
direktor an das Wiesbadener Staatstheater ab Herbst 
1929 berufen worden. 

An Stelle des von Wiesbaden nicht abkommlichen 
Carl Schuricht werden Alexander v. Zemlinsky (fiir 
die Orchesterkonzerte) und Bruno Kittel (fiir die 
a cappella-Abende) die Leitung des Chors an der 
Hochscliule fiir Musik in Berlin iibernehmen. 

Alfred Hoehn konzertierte mit grofitem Erfolg 
in Hamburg (Dr. Muck) und Dresden (Fritz Busch) 
und wurde zu Konzerten nach Ungarn, Polen und 
Tachechoslowakei eingeladen. Fiir diese und die nfichste 
Saison liegen Angebote aus Spanien, Siidamerika und 
den Vereinigten Staaten vor. 

Das Deutsclie Musilcinstitut fiir Auslander wird 
im Juni 1929 im Schlofi Charlottenburg eroffnet 
werden. Das Prasidium iibernimmt Wilhelm Furt- 
wangler. Es werden lediglich Meisterkurse fur Klavier, 
Violine und ein Dirigentenkurs abgehalten, fiir die 
als Lehrer Eugen d' Albert, Edwin Fischer, Walter 
Gieseking, Willy Hefl und Joseph Szigeti gewonnen 
worden sind. Wilhelm Furtwangler wird einige Vor- 
trage iiber Dirigieren halten, aufterdem wird Carl 
Scliuriclit den Dirigentenkurs leiten. Fur Vortrage 
iiber Musikasthetik und Musikgeschichte (in deutsclier 
und englischer Sprache) sind die Herren Dr. A. Ein- 
stein, Dr. Leiclitentritt und Prof. Dr. Weiftmann ver- 
pflichtet worden. Vortrage iiber Instrumentenkunde 
halt Prof. Dr. C. Sachs, iiber die Entwicklung der 
Notenschrift und Musikbibliothekwesen Prof. Dr. 
Joh. Wolf. 

MUSIKFESTE 

Die „Deutsche Kammermusik Baden-Baden 1929" 
findet im Juli statt. Zur Einsendung kommen in Be- 
tracht : instrumentale und vokale Kammermusikwerke, 
die fiir Haus und Schule geeignet sind ; ferner Film- 
musiken und kleine musikalische Biihnenwerke (Sing- 
spiele, Kammeropern, Pantomimen). Die , .Deutsche 
Kammermusik Baden-Baden" erweitert nachstes Jahr 
ihren Aufgabenkreis durch Aufnahme von Original- 
kompositionen fiir den Rundfunk (Instrumental- und 
Vokalmusik; Horspiel). Nahere Auskunft durch 
„Deutsche Kammermusik Baden-Baden" zu Handen 
von Heinrich Burkard, p. Adr. Programmrat der 
Deutschen Rundfunkgesellschaften. Berlin W 9, Pots- 
damer Strafie 4. 

Das 17. Deutsche Baclifest der Neuen Bach- 
gesellschaft wird 1929 in den Tagen vom 8.-10. Juni 
in Leipzig stattfinden. Es wird zugleich eine Er- 



622 



MUSIKLEBEN 



innerungsfeier an die vor 200 Jahren erfolgte erste 
Auffiihrung der Matthaus-Passion sein und an das 
vor 25 Jahren in Leipzig stattgehabte 2. Deutsche 
Bachfest. Die Leitung des Bachfestes liegt in den 
HandendesThomaskantorsProfessorD..Dr.^rarZS(rau6e. 
Die Neue Bachgesellschaft hat an Stelle des ver- 
storbenen Hermann Abert Herrn Professor Siegfried 
Oclu zum stellvertretenden Vorsitzenden gewahlt und 
an dessen Stelle Herrn Professor Dr. Max Schneider 
(Breslau) in den Vorstand berufen. 

PREISAUSSCHREIBEN 

Fur die Komposition eines gemischten Chores mil 
Ordiester (geistlich oder weltlich) schreibt die „Maat- 
schappij fot Bevordering der Toonkunsf in Amsterdam 
anlafilich ihrer Zentenarfeier einen Preis von 2500 
Gulden aus. Einsendungstermm : 1. Marz 1929. Partitur 
und Kl.-A. sind mit Kennwort und beigefiigtem ver- 
siegelten Umschlag, der Namen und Adresse des 
Komponisten enthalt, an den Generalsekretar der 
Gesellschaft, Dr. Paul Cronheim, Nic. Maesstraat 33, 
Amsterdam, einzusenden. Es kommen nur Werke, die 
weder veroffentlicht noch aufgefiihrt sind, in Frage. 

Der Stadtrat von Graz hatte anlafilich der Acht- 
hundertjahrfeier der Stadt ein Preisausschreiben fur 
ein Original-Orchesterwerk grofien Stils von mindestens 
8 / 4 stiindiger Auffiihrungsdauer erlassen. Den Preis 
erhielt Hermann Kundigraber fiir ein Orchester- 
tryptichon. - Die Grazer wollen was fiir ihr Geld. 
Minimum 3 / 4 Stunden — das heifit die Komponisten 
zum Breittreten ihrer Ideen formlich zwingen. Und 
das ausgerechnet in einer Zeit, wo alles Produktive 
nach Konzentration strebt. 



AUSLAND 
Frankreicli : 

Das „ordiestre symphonique" in Para gab zwei 
Abende mit Werken von Strawinsky, bei denen u. a. 
neben einem seiner friihesten Werke, der ersten 
Symphonie, sein letztes .,ApolIo musagetes" aufgefuhrt 
wurde. 

Der nach dem Brand im vorigen Sommer wieder 
hergestellte „Salle Pleyel" wurde am 30. November 
wieder eroffnet. 

Ida Rubinstein gab an der Oper einen Ballett- 
abend, bei dem u. a. „Le baiser de la Fee" von 
Strawinsky, „Sanguet" von David und „Le Bolero" 
von Ravel zur Urauffuhrung gelangten. 

Der 60. Geburtstag von Albert Roussel im April 
nachsten Jahres wird durch Auffiihrung verschiedener 
Werke des Kiinstlers, u. a. eines Psalms, in Paris 
gefeiert werden. 

Sdiweiz : 

Othmar Schoeck arbeitet an einer kleinen Oper, 
zu der ihm das Marchen „ Vom Fischer und syner 
Fru" den Text liefert. 

Danemark : 

Die Kopenhagener Sektion der I. G. N. M. brachte 
im November u. a. Hindemiths „Frau Musica" in 
dem Bahmen einer offenen Singstunde zur Auffiihrung, 

Das kgl. Theater in Kopenhagen wird in dieser 
Saison zwei jung-danische Novitaten bringen : Hbffdings 
Oper „Des Kaisers neue Kleider" und Riesagers Ballett : 
„Benzin", 



Diesem Heft liegen bei: 

ein Prospekt des Verlages Ferdinand Hirt in Breslau, fiber „Jedermanns 
Biicherei Abteilung Musik" herausgegeben von Prof. Dr. Johannes Wolf. 

ein Bestellzettel fiir Einbanddecken zum VII. Jahrg. MELOS. 



Die schonste und grundlegende Darstellung der musikalischen Kultur aller Zeiten und Volker ist das 

Handbuch der Musikwissenschaft 

Herausgegeben von Professor Dr. Ernst Biicken von der Universitat K6ln unter Mitwirkung einer 

grofien Anzahl von Musikgelehrten. 

Etwa 1300 Notenbeispiele I gegen monatliche 3 Gmk. 

und etwa 1200 Bilder j Teilzahlungen von ^ ^^ 

Urteile der Presse: „Eine Kulturgeschichte der Musik im besten Sinne des Wortea" (Deutsche Musiker-Zeitung) — „Ein ganz 
prachtiges und gediegenes Werk" (Das Orchester) — „Ein Werk, das das Herz jedes Musikfreundes hoher schlagen lassen muii" 
(Blatter der Staatsoper) — „Etwas ahnliches war bisher in der Musikliteratur nodi nicht vorhanden" "(Weserzeitung, Bremen). 

Man uberzeuge sich durch Augenschein und verlange unverbindliche Ansichtsendung M Nr. 4 von 
ARTIBUS ET UTERIS, Gesellschaft fur Kunst- und Literaturwissenschaft m. b. H., POTSDAM 



623 



Wet intetptetiett 



Diese in ihrer Art erstmalige Zusammenstellung 
kann keinen Anspruch auf Vollstandigkeit er- 
heben. Der MELOSVERLAG bittet die Leser 
urn Mitteilung'von Brogrammen, die nach Mafi- 
gabe des zur Verftigung stehenden Raunies in 
kiirzester Form kostenlos veroffentlicht werden. 



Ueue lOlmlkl 



Klaviei 



Hedwig Apfel; Hindemith, Slavenski, Villa-Lobos, 

Fairchild, Barlok, Grainger,^ Albeniz, Milhaud 
Paul Aron: de Falla, Hindemith, Toch, Winner, 

Windsperger • < 

Claudio Arrau: Slrawinsky 
,1 alios Baranyi: Toch, de. Falla. Honegger, Barlok, 

Schulhoff, Kodaly, Ravel, Casefla 
Hcllninth Biirwald: de Falla 

Marthe Bereiter : Albeniz, Barlok, Cricka. Petyrek, Toch 
Hans Brnch / Lenc Bruch-Weiller : Hindemith, Toch 

Windsperger 
Ednard Erdmnnn : Schonberg, Hindemith, Berg, Haba, 

Krenek, Schnabel, Tiessen, Petyrek, Frdmann, 

Jarnach. Toch, Barlok 
Victor v. Frankenberg: de Falla 
AValther Frey : Beck, Toch 
Carl Friedber;*: Toch 
Walter Giesekmg : Hindemith, Toch, Albeniz, Braun- 

fels, Busoni, Casella, Castelnuooo - Tedesco, 

de Falla, Honegger, Korngold, Jos. Marx, 

Poulenc, Ravel, Rosenstock, Schonberg, Scott, 

Skrjabin, Slrawinsky, Szymanowski 
Iringard Grippain-Gorges: de Falla, van Gilse, 

Liapounow 
Mark Hambourg: Villa-Lobos, Ravel 
Alida Hecker : Hindemith, Casella, Toch, Sekles, 

Slrawinsky, Barlok, Honegger, Mdhaud, Berg, 

Schulhoff 
Clara Herstatt: Tsch*repnin, Benjamin 
Lilly Hcrz : Kodaly, Bnrtok 
Josef Hirt : Hindemith 
Alfred Hoehn: Toch 
Hermann Hoppe: Toch 
ElseC.Kraus : Hindemith. Toch, Schonberg,Slraivinsky, 

Eisler, Krenek, Haba, Batting, Berg, Hauer, 

Wo'pe, Jemnhz, liosa, Tiessen 
Marianne Kuranda: Milhaud, de Falla, Jansman, 

Szymanowski 
Frida Kwast-Hodapp : Jarnach 
Remy Leskowitz: Hindemith, Scott, Strawinsky, 

Milhaad, Ravel, Fairchild, Jansman, Schulhoff, 

Barlok 
Emma Liibbecke-Job : Hindemith 
Gerda Nette : Hindemith 
Elly Ney : Toch 

Franz Osborn: Hindemith, Toch 
Karl Hermann Pillney : Janacek 
San Roma: Toch 
Albert Spalding: Debussy. Ravel 
Zofja Spatz: Milhaud, Casella, Kosa, Pisk 
Frans Wiemans: Casella, Milhaud, de Falla 
AH Weyl-Nissen: Hindemith, Slavenski, Maler, 

Windsperger, Prokofieff 



Cembalo 



Li Stadelmann : de Falla, Maler 



Violine 



Licco Amar: Hindemith 

Eugenie Bertsch: Paid Milller, Schoeck 

Hedwig Fassbander: Hindemith 



Violine (ferner) : 



Stefan Frenkel: Jamach, Toch 
Klein von Giltay: Jarnach 
Bronislaw Huberman: Hindemith 
AV alter Kiigi: Beck, Toch 
Otto Kobin: Slephan 
Lonis AV. Krasner : Achron 
Georg Kuhlenkampf-Post; Hindemith 
Gerhard Meyer: Willner 
Alma Moodie: Hindemith 

Alexander Moskowsky: Hindemith. Tscherepnin, 
Barlok. Ravel, Achron, Caslelnuovo- Tedesco, Nin 
Riele Qneling : ' Windspergtr 
Alexander Schmiillor: Hindemith 
Max Strnb: Windsperger 



Viola 



Panl Hindemith: Windsperger, Hindemith 
AVinfried und Reinhard Avolf: Hindemith 



Violoncello 



Emannel Fcnermann: Hindemith, Schullhess, Winds- 
perger 

Manrits Frank : Hindemith 

Hans Hagen : Hindemith, Ravel, Kodaly, Toch, Webern 

Eva Heinitz: Hindemith 

Joachim Stutschewsky : Weltesz, Raphael, Winds- 
perger, Hindemith, Casella, Jemtitz, Kodaly, 
. Honegger . 



Gesang 



Marguerite Babaian: Hindemith 

Elisabeth Bischoff : Windsperger 

Hildcgard von Buttlar: Hindemith 

Claire von Conta: Windsperger 

Tini Debiiser: Hindemith 

Anne Fellheimer: Windsperger 

Lily Dreyfufl: Windsperger 

Anny Gantzhorn: Haas ' 

Gertrude Hcpp: Haas 

Rose Herrlinger: Hindemith 

Maria Hussa: Krenek 

Lotte Kreisler: Haas 

Annamarie Lenzbcrg: Windsperger 

Felix Lbffel: Schoeck 

Paul Lohmann: Reutter 

Valentin Lndwig: Windsperger 

Lotte Mttder-Wohlgemnth : Lendvai 

Grete Mcrrem-Nikisch : Hindemith 

Marianne Mislap-Kapper : Hindemith, de Falla, Pisk, 

Prokofieff 
Anny Quistorp: Toch 
Marianne Rau-Hbglaucr : Schonberg 
Hermann Schey: Stephan 
Maria Sohultz-Birch: Bartok, Honegger, Jemnilz, 

Marx,Pelyrek,Ravel,Tiessen,Erdmann,Sch6nberg 
Theodora Versteegli: Kodaly 
Berthe de Vigicr: Jesinghads 

Rose Walter: Haas, Hindemith, Toch, Windsperger 
Reinhold vou Warlich: Haas 

Nachdmck nur mit beaonderer Erlaubnis I 



Bitte beziehen Sie sirh bei alien Anfrigen anf MELOS 



624 



OPERN- 

PARTITUREN 

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Hansel und Gretel .,'..■ M. 17. — 

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Meistersinger, 2 Bande je M. 22. — 

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Walkure M. 17. -_ 

Siegfried M. 17. - 

Gotterdammerung, 2 Bande . je M. 20. — 
Parsifal M. 17. - 

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Geboren 1901 in Schaflhausen, sludicrte in Zurich, lebt seit 
1923 in Paris, wo rr dem Kreis um Arthur Hone.gger angehort. 
Jn dem Deutsch-Schweizer Beck paart sich kraftvolles deutsches 
Flmpfinden mit dem V(»Ilendeten Fi»rmgeflihl der romanischen 
Rasse, wobei jedoch die deutsche Komponente stark uberwiegt. 
Ur-Auffiihrungen der Werke fanden statt: Streichquartett: in 
Frankfurt (Musikfest 1927), Concertino: in Paris (Fruhjahr 1928) 
mit Walter Frey, Symphonie: in l.uzern (Schweizer Tonkunstler- 
lest 1928). Weitere Aufl'tihrungen der Symphonie in Neuchatel, 
Boston, Zurich, demnachst in Berlin und Mainz. 



Quartett Nr. 3 

fiir 2 Violinen, Viola und 
Violoncello 

Symphonie Nr. 3 

fiir Streichorchester 

Concertino 

fiir Klavier und Orchester 



Studien-Partitur 
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Parritur (4o) . . . . . . M. 20. - 

Auffiihrungsmateiial nach Vereinbarung 

Klavier-Auszug M. 5. - 

Partitur (4°) ....... M.. 20.- 

Auffi.hrungsmaterial nach Vereinbarung 



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Orchester Partituren 



Komplette Opern (Format 23X16 gebunden) 

(die mit *) bezeichneten Partituren sind nur 
20X14 und nur broschiert) 

Mk. 

Bellini, V. Norma 25.— 

Boito, A. Mephistopheles . . . 25. — 

— Nero 25.— 

Donizetti, G. L'EIisir d'amore 

(Liebestrank) . . : 25. — 

Mascagni, P. Iris 25. — 

Meyerbeer, G. *) Robert der Teufel . . 25. — 
Montemezzi, I. L'amore dei Tre Re (Die 

Liebe dreier Konige) 25. — 

Pizzetti, I. Debora und Jael . . 25. — 

Ponchielli, A. Die Gioconda . . . 25. — 

Puccini, G. Die Boheme . . . . 25. — 

— Gianni Schicchi . . 15. — 

— Madame Rutterfly . . 25. — 

— Manon Lescaut . . . 25. — 

— Das Miidchen aus dem 

goldenen Westen . 25. — 

— Schwester Angelica . 15. — 

— II Tabarro (Der Mantel) 15 — 

— Tosca 25.— 

— Turandot 25.— 

Respighi, G, Relfagor 25. — 

Rossini, G. *) DerHarbiervonSevilln 25. — 

— *) Wilhelm Tell . . . 25.— 
Spontini, G. *) Die Vestalin .... 25 — 
Verdi, G. Aula 25.— 

— Ein Maskenball . . .25.— 

— Falstaff 25.— 

— Othello 25.— 

— Requiem (Messe) . . 25. — 

— Rigoletto 25.— 

— La Traviata (Violetta) 25.— 

— Der Troubadour . 25. — 
Zandonai, G. Conchita 25. — 

— Francesca da Rimini . 25. — 



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Parsifal gesellt sich hier eine neue. die dem 

luxurioscnBediirfnisdesTheaterpublikumsnach- 

kommt und in den yrundervol en Zcichnungen 

von Hans Wildermann die einzelnen Partien 

darstellt und verstandlich macht.' 

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ALTE DEUTSCHE MINNELIEDER 

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Mit 13 Holzschnittzeichnungen 

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»uf die noch viel zu wenig bekannten Juw»len 

mittelhochdeutscher Liebesdichtung zu lenken." 

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Dieser Band, mit dem das monu- 
mentale Werk zum Abschlufi ge- 
langt, behandelt kiinstlerische 
Gestaltung und Unterricht 
u.bringtineinem Anhang die mu- 
sikalische und geigerische Analyse 
von 1 2 Werken der Violinliteratur 

(Umfang ca. 225 Seiten) 
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Ein Lehrgang des Klavierspiels nach neuen Grundsatzen, zugleich erste Ein- 
fiihrung in die Musik. — Vom ersten Anfang bis zu Beethoveris leichteren 
Variationen und Bachs kleinen Praludien und Inveritionen, 

I, Band. 100 Seiten. Zweite, wesentlich umgearbeitete und erweiterte Auflage. Preis etwa 6 Mk. 

• ;,Die erste grofier angelegte Klavierschule, die nicht nur das Klavierspiel lehren, 
sondern zugleich systeniatisch in die Musik selbst fiihren, ja „zum Schalten mit 
den Tonen, zum freien Umgang mit ihnen" erzielen mochte." 

„Endlich die erste musikalische,, grundmusikalische Erziehungsmoglichkeit. Diese 
Sclnde sollte in alien Musikanstalten Eingang finden." 

„Halms Klavieriibung ist inhaltlich d e wichtigste Neuerscheinung der didaktischen 
Musikliteratur und es ist ihr weiteste Verbreitung zu wiinschen." 

So schrieben mafigebende Personlichkeiten iiber die praktisch zum Teil unbe- 
queme, wenig geschickte erste Auflage. Nun erscheint auf langjahriger Lehr- 
erfahrung beruhend, die zweite, ganz jvesentlich veranderte und verbesserte Auf- 
lage des Halmschen Werkes, das namentlicb audi fur den Selbstunterricht ein 
einzigartiges Hilfsmittel ist. Das wesentlidi Neue an der Klavieriibung ist, dafi 
sie das Klavier benutzen lehrt um der Musik willen. Alles wild aus dem Geiste 
der Musik heraus aufgebaut. nichts wird mediahisch eingetrichtert. Uber 150 vor- 
ziiglich ausgewahlte Stiidce (u. a. von Gibbons, Purcell, Bach, Beethoven, Mozart, 
Haydn, Schubert) vermitteln neben Liedweisen und Choralen ein reiches Gut von 
Melodien und Themen. Prospekt kostenlos. 



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Heft II: Drei Suiten fiir kleine Hande zum Gebrauch neben der Klavieriibung; 
BA 226. Im Druck. Preis etwa 2 Mk. 



Aufierdem erschien : 

VIOLINDBUNG 

Ein Lehrgang des Violinspiels, 1 . Heft : 1 . — 6. Lage. 

70 Seiten. Preis der Restauflage 1.50 Mk. 



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Die Losung der Cembalofrage : 
Originalgetreuer Kielfliigel-Silberklang und viel- 
farbige Cembaloregister, verbunden mit der 

stabilen, nieversagenden Hammermechanik. 
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bemessene Anschaffungskosten : ein Cembalo- 
chord kostet kaum mehr als ein gutes Pianino. 

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Werkstatten fiir historische Klaviertypen (Klavichorde, sowie originalgetreue 
Rekonstruktionen alter Kielfliigel und Hammerklaviere des 18. Jahrhvinderts) 



BRUNO 


Das unentbehrliche Studienwerk fiir jeden, der 


sich eingehend mit Neuer Musik besch&ftigt. 

HARMONIELEHRE 


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I. Die Lelire von der Har- 
monik der diatonischen, 
der ganztonigen und der 
chromatischen Tonreihe. 

Umfang: I— XVI und 408 
Seiten mit 782 Notenbei- 
epielen und zahlreichen Ta- 
bellen. 

II. Mus erbeispiele zur Lelire 
von \er Harmonik. 
Umfang: 120 Seiten 

In Canzleinen gebunden: 
Teil I: Mk. 12.— 
Tei II: Mk. 8.— 


Aus Besprechungen : 

. . . eroffnet teilweise harmonische Perspektiven, die higher in der Praxis noch 
kaum beachtet worden sind, aber er gliedert sie einnvoll und organ iach in den 
ganzen Komplex ein. Hierher gehoren die glanzend gesdiriebenen Kapitel iiber 
dieFunf-, Sedis- undSiehenklange, die aufiertonale (1) Satztechnik und dieTheorie 
der alterierten Akkordik, die in dieser Form ebenfalla ganz neu sind . . . 

Dr. Fischer (Allg. Muaik-Zeitung) 

... so darf man sie als die praktisch verwendbarste und in diesem Sinne 
als eine der besten Harmonielehren der Cegenwart bezeichnen . . . 

Dr. Veidl per Auftakt) 


B. SCHOTT'S SOHNE / MAINZ - LEIPZIG 



628 



NEUE, WERKE VON •' 

ERNST KRENEK 



Z WEI NEUE ORCHESTER -WERKE 



Op. 54 POTPOURRI 

fur grofies Orchester 

U.E.Nr. 9411 Partitur Mk. 20.- 

Ein neuer, grofeer Erfolg bei der Erstauffuhrung 

in Hamburg unter Gustav Brecfier 
„Ein vlrtuoses Stuck, angefullt mit einem diabolischen 
Humor, hochstapart in den Klangwirkungen . . , hdchst 
fesselnd und reizvoll bis zur letzten Note. Der 
Erfolg war grofi**. (Norddeutsdie Nadirichten^ Altona) 
n Das Stuck hat kolossalen Schmifi, ist glanzend 
modern ihstrumentiert. Und die Ubergange von 
einem Thema zum anderen wachsen iiberraschend naturlich 
aus dem Bau des Stiickes . . . ein vorziigl ich er Wurf , 
eine mit frischen und erf risch enden Einfallen 
gesegneteKomposition, deren Schmifi verstarkt durch 
Brechershinreisende und feurige Wiedergabe, direkt Eundete". 

(Hamburger Anzeiger) 
„, . . durchauslebenabejahend, zeitgemafl in ihrem hastenden 
Tempo und ihrcr, fiir da's Wesen Kreneks, bezeichnenden 
Bhythmik . . . fand das forsche und draufgongerische Stiick 
aufiergewohnlich lebhafte Zustimmung". 

(Hamburger Fremdenblatt) 



Op. 58 KLEINE SYMPHONIE 
fiir Orchester 

Sensationeller Urquffuhrungserfolg in Berlin unter 
Otto Klemperer 

„Kein anderer deutscher Komponist ware fahig, so mit 
An stand zeitgemafi, witzig, harmlbs, heiter zu sein . . . 
E s ist das Scharmanteste was wir von ihm 
kennen . . . Biavissimo Krenekl . . . Krenek wurde als 
magister elegantiae stiirmischgerufen und gefeiert". 

(B. Z. am Mittag, A. IVeissmann) 
„ . . . der Sclierz eines, der sich auch auf den Ernst ver- 
steht, und w.ir freuen uns an viclen hiibschen, narrischen, 
extravoganten, giocosen Einfiiilen und an Einfallen. die 
doch nur von Einem kommen, der irgendwie zu den 
Berufenen und Auserwahlten zahu w . 

(Vossische Zeitung, M. Marsdialk) 
„Seine „Klcine Symphonie" ist Parodie der klassischen 
Symphonie, Parodie schon in der Resetzung . . , es gibt 
tauaend Witze der MeEodie und Instrumentation. Und die 
Frechheit ist so hinrcifiend liebenawiirdig, dafi 
man nur laclien kann und dem Komponisten die 
Hand achuttelnmochte". (Berl. Tageblatt, A . Einstein) 



EINE NEUE KLAVIER-SONATE 

U.E.Nr. 8836 Op. 59 II. KLAVIERSONATE Mk. 3.- 

NEUE GESANGE MIT KL AVIER 



Op.53 VIERGESSNGE 
fiir Mezzo-Sopran und Orchester 

1. Das unerkannte Gedicht — 2. Ein. Rundum — 

3. Ein Anderes — 4. An Sich 
U.E.Nr. 8924 Ausgabe fur Gesangu. Klavier M.2.50 



Op. 56 DREI CKSANGE 

fiir Bariton und Klavier 

U.E.Nr. 9568 IDieZerst6ruii(;MagdeburgsM.2. - 

U.E.Nr.9569 IIDerneue Ainadis M.1.50 

U.E.Nr. 9570 III Fragment M.1.50 



Op. 57 KONZERTARIE 

(Monolog der Stella) 

(Aus Goetlies .,Stella", IV. Akt, 1. Szene) 

U.E.Nr. 9556 Fiir Sopran und Klavier Mk. 2.- 

Material der Orchesterbegleilung nach Vereinbarung 



Zu beziehen durch jede Musikalienhandlung — Prospekte mit Bildnis, Biographie und Werkverzeichnis 
des Komponisten, sowie Pressestimmen gratis vom Verlag der 

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EINE ZEITSCHRIFT FUR 
EINEN NEUEN ZEITBEGRIFF 

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Magdeburger Zeiiung : Wir ■ erinnern uns 
merit, jenials eine s>o gro sztigig angelegie. 
so gi'*.chmacU- und slilvoll aufgemachte, so 
erlesrn gefoimt' und vornehm gestempelte 
Zeitschnft ge.ieheh zu haben, wie dieses 
erste Heft der ,,BOtlcherstrasse ". 

Prager Presse: Die Zeitsclirift ubertrifft 
alle Erwartungon, in hezug auf Ausstattung 
ebenso, wie in bezug auf Inhall. PersBn- 
lichkeiten von international cm Ruf und 
Rang haben wesentliche Bcitrage ge- 
bchneben, und dip Ausstattung .st gerade- 
zu mustergiiltig beispielgebend. 

Literarische Welt: Kine ungewohnlich 
pompos.herfferichteie Monatsn-vue — schon 
rein ausserlich ein I'nikum in der heutigen 
ZeitschriA- nilu r eine ungeheure Luxus- 
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Schweiz, yon den mittel- 
alterlichen Anfnngen bia zur 
Gegenwart und blldetdamit 
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verlossigste Material fur 
eine kiinftige schweizer. 
Musikgesehichte. 

n Da d-eutache und achTreizeriache Musikgesehichte ineinander ver- 
woben Bind, werdeu dcutsche Musikgelehrte am beaten wisaen, 
Wfti ite dem Herouageber, E. Refardt, zu vcrdanken haben". 

(Zeitschrift fUr Musik) 

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mit schwriz. MuiikgeHchiclite 1't-fnflt, ala ein ausgeJeichneteB und 
EuverlKasiges Hilfsmittel . vvYeiaGii". (Signalc) 

n . . . hat unserer Musikt'orBchiing einen unschatzbaren Dienai 
geleistet". (Neue ZUricher Zeitung) 

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in sechs Banden 



T Tin dem Klavierapielcr die MogHchkcit zu geben, die beaten, charakteriatischsten und bedeutendaten 
*— zeitgenoaaischen Klavierkompositionen in einer schonen und billigen Ausgabe zu erwerben, haben wir 
aua den zablreichen Klavierwerken unaerea Verlagea in sechs Banden das Wertvollate und Ceeignetate zu- 
sammengestellt. Der Preia der einzelnen Bande steht in gar keinem Verhaltnis zu den Kosten des Einzel- 
erwerbs dieaer zahlreichen Werke. Die Anordnung der Stiicke ist sowohl nach der technisclien, wie nacli 
der muaikalisch-geistigen Seite hin nach Schwierigkeitsgraden erfolgt und -wit glauben mit dieser ura- 
faesenden Sammlung jedem Musiker, dem auaiibenden, dem Musikfreund und dem Lehrer ein -willkommenes 
und dringend erwunachtes Material an die Hand zu geben. 



INHALT DER BANDE 

BAND I (U. E. Nr. 9516) 

Klavierstiicke von Barwinskyj, Braunfels, Dobrowen, Foerster, Friedman, Kosa, Marx, 
RacJimaninoff, Springer, R. Strauss, Szymanowski, N. Tscherepnin, Weinberger. 

BAND II (U. E. Nr. 9517) 

Klavierstiicke von Castelnuovo-Tedesco, Gal, Graener, Hdba, Medtner, Scriabine, Szyma- 
nowski, A. Tscherepnin, Willner. 

BAND III (U. E. Nr. 9518) 

Klavierstiicke von Bartok, Kattnigg, Kosa, Malipiero, Mjaskowsky, Novak, Polovinkin, 
Respighi, Rieti, Scriabine, Wladigeroff. 

BAND IV (U. E. Nr. 9519) 

Klavierstiicke von Bartok, Butting, Feinberg, Finke, Grosz, Gruenberg, Hdba, Jirdk, 
Koddly, Lazar, Polovinkin, Salmhofer, Schulhoff, 

BAND V (U. E. Nr. 9520) 

Klavierstiicke von Bartok, Grosz, Krenek, Milhaud, Petyrek, Prokofieff, Rathaus, 
Scriabine. 

BAND VI (U. E. Nr. 9521) 

Klavierstiicke von Bartok, Butting, Casella, Eisler, Hauer, Pisk, Schbnberg, Wellesz. 



6 Bande mit 



100 Klavierstiicken 

50 zeitgenossischer Komponisten 

Preis jedes Bandes (40 Seiten stark) M. 2.50. 
Genaue Inhaltsverzeichnisse der Sammlung gratis. 
Durch jede Musikal ienhandlung zu beziehen. 



UNIVERSAL-EDITION A.-G.,WIEN-LEIPZIG 



631 




Drganifdje unb med?anifd)e 3ftufif 

Kartoniert M. 3.75 

Ein Buch von wirklich revolutionilr aufruttelndei* 
Bedeutung, das mit vielen Dingcn der heutigen 
Auffassung der Musik scharf und konsequent ab- 
rechnet. Volkszeitung, Diisseldorf 

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ale! ®efd)ld?te ber rtiuftfalifd)cn gfornwanblungen 

5. und 6. Tausend. In Leinen geb. M. 6. - 

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Grundrifi einer Phanomenologie der Musik; Broschiert M. 2.40, in Leinen M. 3.50 



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Kritische Zeitbilder. Klang und Eros. Neue Musik. - Gebunden im Karton M. 20. 



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BERLIN UND LEIPZIG 



632 



AUSGEWAHLTE LIEDER 

TSCHECHISCHER 

KOMPONISTEN 



Anton Dvorak: Rusalka's Lied an den Mond'fiir Gesang und Klavier 
Deutsche Ubersetzung von Dr. Friedrich Adler. 

Das^bekannteste Lied aus der gleichnamigen Oper,'die eben wieder 
mit durchschlagendem Erfolge in CSR, Deutschland und Osterreich 
aufgefiihrt wird. Preis ItM. — .90 

Anton Dvorak: Zwei Lieder: Wiegenlied / Gestorte Andacht 

Deutsch von Dr. Fr. Adler, franzosisch vonDr. Jar. Fiala. Preis HM. 1.20 



DAS TSCHECHISCHE MODERNE LIED 

Liederalbum 20 tschechischer Komponisten mit tschechisch-deutschem Text: 

Heft I: Vertreten sind Smetana, Fibich, Forster, Jeremids, 

Axman, Zitek,Jirdk,Kvapil,Petrzelka,Osti'cil,lVovotny 

Heft II : Vertreten sind Dvorak, Novak, Karel, Kricka, Kunc, 

Vycpdlek, Vomdcka, Tomdsek, Stepdn 

Preis jedes Heftes: HM. 2.25 

Jaroslav Kricka: Drei Fab el n fur Gesang und Klavier 

1. Die unfolgsamen Zicklein - 2. Hahnchen und Hiihnclien - 3. Der 
Kranich und die Rohrtrommel. 

Deutsche Ubersetzung von Dr. Fr. Adler 

Die weltberiihmte Sangerin MmeXroiza hat diese Lieder im Repertoir 

Preis RM. 2.70 



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Verlag tschechoslovakischer Komponisten und Musikschrif'tsteller 

HUDEBNI MATICE UMELECKE BESEDY, PRAG HI 

Besednf ulice 3 — Kiinsderhaus Umelecka Beseda 
Zentrum des Musiklebens in der Tschechoslowakei 



633 



ROBERT SCHUMANN 

SKIZZENBUCH 



dem 



T> 



ALBUM FUR DIE JUGEND 

rait noch unveroffentlichten Stiicken, zahlreichen Notizen, 
Entwfirfen zu den Musikalischen Haus- und Lebensregeln u. a. 



(.(. 



FAKSIMILE- AUSGABE 

nebst einem ausfuhrlichen Anhang von 

Lothar ¥ i n d s p e r g e r und Martin Kreissig 

Kein anderes Werk Schumanns, wohl iiberhaupl kcin Werk der Klavier-- 
literntur iat in dem MaGe Allgemeingut der ganzen Welt geworden, wie das 
Jugendalbum mit seinem „Fr6hlichen Landmann", „Wilden Reiter", „Erston 
Verlust" nsw. Das bkizzenbudi enthalt diese und die andcren Stiicke in 
der ersten Niederschrift, aber audi Skizzen zu noch unveroffentlichten 
Kind era tuck en, die ousgearbeitet den besten iibrigen cbenbiirtig waren, 
aiso eine Fa ksimile- Ausgabe nicht nur von all gem einem Interessc, sondern 
auch von weittragender Bedeutung fiir die Musikforschung. 

In imitiertem Einband des Originals u. Sclmtzkarlon im Stil der Zeit Mk. 20. — 

B. SCHOTT'S SOHNE / MAINZ-LEIPZIG 



BERNARD VAN DIEREN 

Es ist bemerkenswert, dafi, Cecil Gray in seinem Werk „Die Zeitgenossische Musik" Bernard vanT Dieren auf 
gleicher Stufe mit Strauss, Ravel, Schonberg und den ersten Komponisten Europas stellt. In seinem Essay bestiltigt 
Gray seine „feste Uberzeugung, dafe Bernard van Dieren nicht nur zu den wenigen Koinponisten zflhlt, deren Werke 
in der heutigen Z^eit groflten Wert hohen, sondern dafi ■ er auch dazu berufen ist, einen hedeutc.nden Einfluft auf da9 
zukilnftige Musikschaffen auszuuben". 

Gray's Bewunderung ist urn so interessanter, da er fast der einzige Musikcr ist, dem die Werke van Dierens bekannt 
slnd. Die Oxford University Press hat nunmehr eine Ausgabe von Wcrken van Dierens heraus gebracht, welche Liedcr 
und Knmmernuisikwerkc umfafit. Die Titelzeicljnung zu der Ausgabe siammt von dem franzosischen Malcr P. L. Rigal. 



Lieder fiir 

Sonetto VII of Spencer's Amoretti 

Fur Gesang und kleines Ordiester 
Part. Mk. 4.— 

Stimmen audi leihweise. 
.,Les Rayons et les Ombres" (Hugo) 

Franz. Text Mk. 2.50 

Les Contemplations — I (Hugo) 

Franz. Text Mk. 2.50 

„Take, o take those lips away" (Shake- 
speare) Engl. u. franz. Text Mb. 2.- 
„With margerain gentle'* (Skelton) 

Engl. u. franz. Text . . . Mk. 2.50 
Spring Song of the Birds (James I of 

Scotland) 

Engl. u. franz. Text . . . Mk. 2.50 
Song from „The Cenci"g{SheJlcy) 

Engl. u. franz. Text . . . Mk. 3.- 
, r Weep you no more, sad fountains" 

Franz, u. engl. Text. . . Mk. 2.50 



Mk. 3.- 



Mk. 3.. 



Mk. 
Mk. 



Gesang und Klavier, wenn nicht anders 
Chanson (Depr^aux) 

Franz, u. engl. Text . . . 
Schon Rohtraiit (Morike) 

Deutsch u. engl. Text . . 
Levanu (de Quinccy) 

Franz, u. engl. Text . . . 
Bulov Franz, u. engl. Text 
Dream Pedlary (Beddoes) 

Engl. u. franz. Text . . . 
She I love (Waller Savage Landor) 

Mk. 2.- 
Madchenlied (O. J. Bierbaum) 

Deutsch, franz. u.engl.Text Mk. 2.50 
Der Asia (Heine) 

Deutsch, franz. u.engl.Text Mk. 2.50 
Mild is the parting year (W. S. Landor) 

Spleen (Verlaine) .... Mk. 2.- 



Mk. 2.- 



angegeben 

Love must be gone (\Y. S. Landor) 

The touch of love (W. S. Landor) 

Mk. 2.- 

Last Days (W. S. Landor) . Mk. 2.- 

Mon Coeur se recommande a vous 
(nach einer Melodic von Orlando di 
Lasso) Mk. 2.- 

Epiphanias 

Deutsch. franz. u.engl.Text Mk. 3. — 

Spring (Thomas Nashc) . . Mk. 2.50 

Tenia con Variazionc 

Far Klavier allein . . . Mk. 4. - 
Netherland Melodies 

Fttr Klavier allein . . . Mk. 3.— 
Sonatina Tyroica 

Fur Violine und Klavier . Mk. 5.50 
Streichquartett No. 2 Part. Mk. 10.50 



OXFORD UNIVERSITY PRESS 

95, Wimpole Street, London, W. I 
Alleinige Auslieferung fiir Deutschland : FRIEDRICH HOFMEISTER, LEIPZIG 



634 



3ofepf? fyattbn 

<5d?otfifd?e unb tDafiftfcfte #o(Mieber 

mit 25egfeitung Don 23iDline, 33iolonrcflo unb fUa&ier 
Stud) f(ir ®efong mit StaDlerfregteitung affeln au^fiiljrbay 

UU&lblerf unb mit neucn paffenben Xejten sum crffcn 2Me beuffd) fjeraudgegeben Don 

Or. 23ernft. (Sngeffe 

4 £>efte (porfilur mit (Slimmen) & 3J?. 3.- 
©timmen einjetn a 2J?. -.50 



#eft l ab.-tftr. 2450 

1. ©le braune £elb' unb yarrows 

6«h'n Sob. Burns 

2 ffi n|t glng Id) Im ©ommer Sob. Burrs 

3. JBIflff t>u mltnad) JlanOcin gebn . . . ©djoli. SJolfSlltb 
■4. Sort too burd>S Sleb baS Bdijleln 

jlef)i , . . . Sob. Bums 

5. Srfilaf in belner enaen Hammer . . . <5d)oit. JSoifSlleb 

6. 25ern urn Berg, unb Xa\ inmllten ... 3. Sobenbera 

7. 3M Blumen bori am Uierlaum .... Sob. BurnS 

8. Sflefl lelfe, meln Bddjlen Sob. Burn* 

9. 2Beit fiber ben Jorlh Sob. Burns 



#eff 2 ®b.«J?r. 2451 



3ung 3ofel (of fid) fef)r fjnuor . . 

Zti) m fi jurdcf In Jene ©tabf . . 

iDurd-S Sfeib madit id) morgenS 

D wd(r meln £ieb eln Slieberbufd) . 

Him Btumenlfranb beS flaren See . 

ffiln JBanbrer fommf t>on feme . . 
. 3olbeS 2JIdDd)en, to flff bu gefirn . 
s. O Bto b, bie mid) gefangen r)euf . 
9. ©o lann ble Hebe (Sonne (a*f . . 

10. Sleln fufjeS ilebcfie , fajldfft bu nod) 

11. Xreu unb nerjlnnlgltd), Sobln Jilbalr 



, Sob. Bums 
, Sob. Burns 

Sob. BurnS 
, Sob. Burns 

Sob. BurnS 
. <3u|t. Cdjfller 

Sob. Burns 
, Sob. BurnS 
, $. £«nS 
, Sob. Burns 
, SolMieb 



Xieber nad) G5ebid)fen »on Hermann Xonef: 



ipeff 3 Gb.-tfr. 2595 

1. ©le ©tfneeqanS jlefjf, ber ©omrncr gef>f . . . £. £6nS 
la. ©prldi, fahfjf bu ben Safer £. £8nS 

2. QS ttelben me ne ©d)afe urn ben 3J!ad)anbeibaum £. X6nS 

3. IBaS feften benn bie leufe mid) blofi fo elgen an &. HSni 

4. JBenn Idj melne ©d>afe ttelbe Q. £SnS 

5. 3efjt fommf ber ©ommer In baS £anb ....£. IffnS 

6. 2Jlein ©djafj, b iS (I eln freler ©cfjilfc . . . . S>. £SnS 

7. Sfuf ber tflneburger $eibe ge&t ber fflinb . . £. £6"uS 

8. fis fang unb fang eln Wgclfin &. £3nS 

9. Soft Wtlp - Sofe rot, tole fOfi l|l bod) beln 3JIUnb £. IffnS 



#eff 4 (Jb.»3tr. 2596 



1. JBo ble welPen Sauben fjlegen &. .tons 

2. 3d) ffebe auf ber £elbe unb bin fo ganj 

affeln #. £6nS 

3. flber ble $elbe ger)f mein ffiebenfen $. £8nS 

4. 3m ©cbummern, ba fam Id) einff ju blr ... $. lifnS 

5. Unb Wenn baS S.uer brennf ij. £8nS 

6. ffiS blflfjen bie Sofen ble 31ad)llgan fingt . . . £. i«nS 

7. QS |Ief)t elne Blume, v>t> btr 3Blnb l»ef)t ben 

©laub $. £«nS 



„Q.i ruf)t e'n elgener Sfit In blefen iaufrifd)en JBeifen, In benen eln fo freler unb ungebunbener Sbarafter fid) auepragf, wie man 
if)n nld)l leld)t in ben tlebern anberer SSIf^r pnbef. SS flnb Stufierungen elner unbelafteien unb unaebiodjenen a3oifS|eele, ble lf)r 
S eub unb £elb mil nawer fimfaiMjelt auSfinat. 0le Beglelfung fflr fflaoierlrio, ble 6ai)>n biefen ilebern angebe'f)en lieff, jelgf 
im befonberen, wie wunberbar bie mit Sreirell gef)anbf)abfe iTunfl eineS X)e flerS ble Ttauir ju flelgern unb audi filnffferfcfj ju l)o(T< 
enben oermag. 2Belcf) InbiblbuefleS £eben f)errfd)l In ben olelfailj fonlrapunfherfen Beglelfln|Trumenlen, uor affem In beren 5Bor», 
3wlfdien« unb Jladifafjen I Oabel Iff ble fllaoierfllmme fo angelegt, bat ble £'eber aud? obne Beglellung ber ©freldjln'trumenle 
mui'ijlert Werben Wnnen; ble S)iolln(fimme wleberum fann gelegentlld), nad) Slngabe GngelfeS, aud) bon elner SISte Ubernommen 
werben.* 3B, 3B. 

„Cer SerauSaeber 6af (Id) burd) prafllfd)e Seilfrlllf, Bejeidinung beS SiorlragS unb tellwelfe Umgeffaltung ber JBorle, nlrbl julefcl 
aud) burd) felne Inflruftloe JBorrebe eln tjo^eS SBerblenff urn bat foffbare 3Berf erworben." ©er ftunfjtoarl. 

iOurd) jebe 3J?uf(fatient)anbtung7(<JU'l) 8"r 9tnffd)f) erljalttid) 



6feinGrdbcr*23er(ag / £ e i p 5 i q 



635 



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Neun Lieder 



op. 41 



Der Abend (Bilke) / Heilige 
(Rilke) / Die StraGburgerMiinster- 
Engelchen (Bierbaum) / Kleine Ge- 
Bchichte (Morgenstern) / Spatnach- 
mittag (Kuckuck) / SpruchfKuckuck) 
Was denkst du jetzt? (Morgen- 
stern) / DasHauschen onderBahn 
(Morgenstern) / Der Esel (Busch) 



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Band I 

en thai t die Zyklen „Die sclione Mullerin", ,.\Vinterreise", 

„Sdiwanengesang (< unci 29 ausgewahlte Lieder 
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Band II 

enthiilt wcitere 97 ausgewahlte Lieder 



Fur hohe Stimme Ed. Sdiott Nr. 121 broscltfert Mk. 

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Die beiden Bilnde stellen eine mit grofiter Sorgfalt getroffene und 

zum erstenmnl Iebendige Auslese im heutigen Geist und Geschmack 

aua dem gesamten Liedsdiaffen Sdiuberts dar und bringen gleidizcitig 
die Vortragsbezeidinungen des grofiten Sdiubertstingera aller Zeiten. 



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